Für Karen

Die aus dem, was sie hatte, immer das Beste gemacht hat.

Lutefisk

Lars Thorvald liebte zwei Frauen. Das war’s dann wohl, schoss es ihm durch den Kopf, als er auf den kalten Betonstufen saß, die zu seiner Wohnung hinauf‌führten. Vielleicht hätte er auch mehr als nur diese zwei lieben können, aber daraus würde wohl nichts mehr werden.

An diesem Morgen hatte er entgegen ärztlicher Anweisung geschmorte Schweineschulter püriert, dabei aus dem Küchenfenster auf das verschneite Dach des Happy-Chef-Restaurants auf der anderen Seite des Highways gesehen und einer dieser Frauen ein Liebeslied vorgesungen. Es war ein Beatles-Song, und er galt seiner kleinen Tochter, die auf dem Wohnzimmerboden schlief, wobei Lars den Namen des Mädchens im Original durch den seines Babys ersetzte.

Mit achtundzwanzig hatte er das erste Mal zu einer Frau »Ich liebe dich« gesagt. Und bis dahin war er auch noch Jungfrau gewesen. Seinen ersten Kuss hatte er immerhin schon mit einundzwanzig bekommen, auch wenn die Frau, die ihn geküsst hatte, eine knappe Woche später nicht mehr auf seine Anrufe reagiert hatte.

Dass er mit Frauen kein Glück hatte, schob Lars auf den Umstand, dass er schon als Jugendlicher kein Glück bei Mädchen gehabt hatte. Und die Schuld dafür wiederum schob er auf den Umstand, dass er der übelriechendste Junge seines Jahrgangs war, und zwar alle Jahre wieder. Seit er zwölf war, stank er jedes Jahr zur Weihnachtszeit wie der Boden eines Fischmarkts, und selbst wenn er den Rest des Jahres überhaupt nicht stank, taten die anderen Kinder dennoch so als ob, weil Kinder nun mal so sind. »Fischkopf« nannten sie ihn, das ganze Jahr, und schuld an dieser ganzen Misere war eine alte Schwedin namens Dorothy Seaborg.

 

Es war an einem Dezembernachmittag im Jahre 1971 gewesen, als besagte Dorothy Seaborg aus Duluth, Minnesota, auf dem Weg zum Briefkasten auf einer Eispfütze ausrutschte und sich die Hüfte brach, wodurch der Lutefisk-Nachschub für die sonntäglichen Adventsessen der St. Olaf’s Lutheran Church ins Stocken geriet. Daraufhin hatte Lars’ Vater Gustaf Thorvald, Inhaber der Bäckerei Gustaf & Sons in Duluth und einer der prominentesten Norweger zwischen Cloquet und Two Harbors, vor versammelter Kirchengemeinde versprochen, mit seiner Familie einzuspringen und die gewöhnungsbedürftige skandinavische Tradition weiterzuführen – zum Wohle der gesamten Twin-Harbor-Region.

Dabei übersah er schlichtweg, dass weder er selbst noch seine Frau Elin oder seine Kinder je einen lebendigen Stockfisch gesehen, geschweige denn gefangen, weich geklopf‌t, getrocknet, in Ätznatron eingelegt, mehrmals kalt gewässert und anschließend behutsam aufgekocht hatten – die Hauptzutat für ein Gericht, das im Idealfall aussah wie gelierter Nebel und roch wie gekochtes Aquariumswasser. Da alle Familienmitglieder für diese Aufgabe gleichermaßen unqualifiziert waren, fiel die Arbeit dem zwölfjährigen Lars und seinem zehnjährigen Bruder Jarl zu. Der jüngste Bruder, der neunjährige Sigmund, blieb verschont – allerdings nur, weil er das Zeug tatsächlich gern aß.

»Lars und Jarl mögen es nicht«, erklärte Gustaf seiner Frau, »also kann ich mich darauf verlassen, dass sie mir nichts wegessen. So vermeiden wir Schwund.«

Gustaf war zufrieden mit seiner Argumentation, und Elin erhob keinen Einspruch, obwohl sie es gemein fand, den Söhnen diese Arbeit aufzuhalsen. In ihrer interkulturellen Ehe – er Norweger, sie Dänin – galt alles, was für den einen aufgrund ebendieser Kultur von Bedeutung war und für den anderen nicht, als unantastbar und wurde grundsätzlich nur mit den eigenen Landsleuten diskutiert.

 

Die alljährliche Auseinandersetzung mit ihrem kulturellen Erbe war der emotionalen Entwicklung der Thorvald-Jungs nicht eben förderlich. Jarl, der noch immer seine eigenen Popel aß, zog sie dem Lutefisk vor – immerhin waren Konsistenz und Farbe die gleichen. Lars war um eine Antwort verlegen, wenn die alten Skandinavierinnen in der Kirche auf ihn zukamen und sagten: »Ein junger Mann, der so guten Lutefisk macht wie du, wird bei der Damenwelt mal sehr beliebt sein.« Nach Lars’ Erfahrung weckte die Fähigkeit, Lutefisk zuzubereiten, bei den Mädchen höchstens Ekel und bestenfalls Gleichgültigkeit. Selbst diejenigen unter ihnen, die Lutefisk angeblich mochten, wollten ihn nicht riechen, wenn sie ihn nicht gerade aßen, und Lars ließ ihnen in dieser Hinsicht leider keine Wahl. Die einst so herbeigesehnte Weihnachtszeit war für ihn zu einem grausamen Monat voller Gestank und Zurückweisung geworden, unter dessen sozialen Folgen er dank seiner Klassenkameraden auch dann noch zu leiden hatte, wenn die Weihnachtsbäume längst vertrocknet und am Straßenrand ausgesetzt worden waren.

 

Als Lars achtzehn wurde, war es mit seiner Toleranz für diese gewöhnungsbedürftige Tradition endgültig vorbei. Seine Hände waren über und über vernarbt von all den Jahren, in denen er Stockfisch in Ätznatron eingelegt hatte, und mit jedem Weihnachten setzte sich der Geruch hartnäckiger in seine Poren, unter seine Fingernägel, in sein Haar, ja selbst in seine Schuhe. Trotz allem war aus Lars ein kleiner Künstler in der Küche geworden. Er hatte es wider Willen zu einer veritablen Meisterschaft in der Zubereitung von Lutefisk gebracht, der dank ihm nur immer noch beliebter wurde. Lutheraner kamen von überall her, sogar aus Fergus Falls, um den »Thorvald-Lutefisk« zu probieren, darunter nur leider keine einzige attraktive junge Dame.

Wie zum Hohn stopfte Lars’ Vater ihm alljährlich zu Weihnachten eine Gabel Lutefisk in den Mund. »Nur einen Bissen«, sagte Gustaf dann jedes Mal. »Deine Vorfahren haben das gegessen, um die langen Winter zu überleben.«

»Und wie haben sie den Lutefisk überlebt?«, wagte Lars einmal zurückzufragen.

»Sei gefälligst stolz auf deine Arbeit, Sohn«, entgegnete Gustaf und nahm ihm zur Strafe seinen Lefse-Fladen weg.

 

1987 schloss Lars die Highschool ab und sah zu, dass er aus Duluth wegkam. Seine Noten hätten ihm problemlos einen Studienplatz an einer respektablen Lutherischen Universität wie dem Gustavus-Adolphus-College oder dem Augsburg College verschafft, aber Lars wollte Koch werden, und er sah nicht ein, was der Besuch eines guten Colleges mehr bringen würde als einen unnötigen Zeitverlust von vier Jahren. Also zog er in die Twin Cities Minneapolis und St. Paul auf der Suche nach einer Freundin und einem Job in der Küche, egal, in welcher Reihenfolge. Die einzige Bedingung war, dass niemand von ihm verlangen durf‌te, Lutefisk zu machen. Und das ließ ihm weit mehr Möglichkeiten, als sein Vater prophezeit hatte.

Nach seiner zehnjährigen unbezahlten Ausbildung bei Gustaf & Sons hatte Lars bereits einige Erfahrung im Backen – der wohl schwierigsten aller kulinarischen Disziplinen –, aber er wollte vielseitiger werden. Das wurde er, indem er ausschließlich Jobs annahm, bei denen er etwas lernen konnte. Und da er in dieser Zeit ungefähr so viele Dates hatte, wie ein vegetarisches Restaurant an einer Autobahn eröffnete, konnte er nach weiteren zehn Jahren beachtliche Kenntnisse der französischen, italienischen, deutschen und amerikanischen Küche vorweisen.

Im Oktober 1987, als sein Heimatstaat glückselig den allerersten World-Series-Titelgewinn für die Minnesota Twins feierte, hatte Lars sich eine Stelle als Koch bei Hutmacher’s erarbeitet, einem In-Restaurant am Seeufer, das »Berühmtheiten« wie Wetteransager, Staatssenatoren und die Lokalhelden des Profisports anzog. Jahrelang war das Hutmacher’s dafür bekannt gewesen, dass Twins-Spieler ihre Mahlzeiten dort ungestört genießen konnten, doch ausgerechnet in der Woche, in der Lars eingestellt wurde, veranstalteten die jubelnden Baseballspieler selbst eine feuchtfröhliche Spätschicht-Party nach der anderen.

Der Erfolg dieser leidgeprüf‌ten Mannschaft elektrisierte das ganze Restaurant. So schien etwa Cynthia Hargreaves, die aufgeweckteste Kellnerin im Team – sie gab die besten Weinempfehlungen von allen –, ein Interesse an Lars zu entwickeln, der sich mit seinen mittlerweile achtundzwanzig Jahren einen blassen, behaarten Rettungsring um die Hüfte und eine beginnende Glatze zugelegt hatte. Cynthia hatte zwar einen Überbiss und zitterte immer leicht, aber sie war eins achtzig groß und wunderschön. Nicht schön wie eine Statue oder ein Parfummodel, sondern schön auf eine realistische Art, so wie ein LKW oder eine Pizza in dem Moment schön sind, in dem man sie am meisten braucht. Und deshalb erschien sie Lars erreichbar.

Wenn sie in die Küche kam, musterten alle sie ungeniert, nur Lars hielt sich zurück. Stattdessen sah er ihr ins Gesicht, während er Dinge sagte wie: »Sag den Gästen, das Kalb braucht noch fünf Minuten«, oder: »Nein, ich kann den Knoblauch nicht weglassen – das ist Pesto.«

»Ach so, und du kannst nicht einfach eine Paste aus Pinienkernen, Olivenöl, Basilikum und Pecorino machen?«, fragte sie.

Er war beeindruckt, dass sie die Zutaten auswendig kannte. Vielleicht gab es dafür gar keinen Grund, aber so etwas erwartete er von Nicht-Köchen nun mal nicht. Ihm war klar, dass sie ihn durchschaut haben musste, als er ihr wissendes Grinsen sah, als hätte sie ihn auf frischer Tat ertappt.

»Na ja, ich kann’s ja mal versuchen«, sagte er. »Aber dann ist es kein Pesto mehr.«

»Ist das Basilikum denn auch frisch?«, fragte sie. »Ein gutes Pesto steht und fällt mit dem Basilikum.«

Er bewunderte, wie entschieden sie diese falsche Meinung vertrat. In Wirklichkeit war es die Zubereitung, die die Qualität bestimmte. Richtiges Pesto, das hatte er gelernt, als er im Ristorante Pronto arbeitete, wird im Mörser zerstampf‌t. Das macht den großen Unterschied.

»Es ist zwei Tage alt«, antwortete er.

»Wo hast du es her? Vom Wochenmarkt in St. Paul?«

»Ja, von Anna Hlavek.«

»Ah, kauf es lieber bei Ellen Chamberlain. Ellen baut das beste Basilikum an.«

So exzentrisch falsche Meinungen zu Lebensmitteln, das reizte Lars. Seit er in Minneapolis war, haftete ihm zwar weder Lutefisk-Gestank noch dessen Ruf mehr an, dafür verjagte er die Frauen regelmäßig mit seinem, wie sie es nannten, »Übereifer«, und das wollte er diesmal unbedingt vermeiden.

»Ach, wirklich?«, fragte er deshalb nur, fuhr mit seiner Arbeit fort und sah sie nicht an.

»Ja«, sagte sie und machte einen Schritt auf ihn zu. Sie versuchte, das Gespräch am Laufen zu halten. »Anna baut auf dem gleichen Feld Zuckermais an. Und was Zuckermais mit dem Boden macht, ist ja bekannt.«

Das war immerhin ein Argument – wenn das mit dem Mais denn stimmte. »Ich wusste nicht, dass Anna auch Zuckermais anbaut.«

»Sie verkauf‌t ihn nicht an jeden.« Cynthia lächelte wieder. »Ich sage dem Gast dann, dass wir knoblauchfreies Pesto haben.«

»Warum?«

»Ich will dich mal ein bisschen ins Schwitzen bringen«, antwortete sie.

Er konnte nicht anders – er war verliebt, als sie die Küche verließ. Aber die Liebe machte ihn wie immer traurig und mutlos. Was er nicht wusste, war, dass Cynthia ein Jahrzehnt voller gefühlskalter Männer mit Bindungsangst hinter sich hatte und dass Lars’ Liebenswürdigkeit und besonders seine überschwengliche, offen gezeigte Begeisterung für sie genau das waren, was sie sich zu diesem Zeitpunkt von einem Partner wünschte.

 

Als die beiden Ende Oktober 1988 heirateten, war Cynthia schwanger, was man ihr jedoch nicht ansah. Lars war noch immer Koch bei Hutmacher’s, und sie war noch immer die beliebteste Kellnerin dort. Doch trotz der Bilderbuchliebesgeschichte, die sich in ihrem Betrieb abgespielt hatte, weigerten sich die Besitzer, das Restaurant für den Hochzeitsempfang an einem Samstag zu schließen.

Lars’ Vater, der seinem Ältesten noch immer nicht verzieh, dass er sowohl die Führung der familieneigenen Bäckerei als auch die Verantwortung für die Versorgung Tausender sturköpfiger Skandinavier mit Lutefisk von sich gewiesen hatte, boykottierte die Hochzeit und verweigerte jegliche Unterstützung. Hätte Lars das erste Enkelkind seiner Mutter gezeugt, wäre sie vielleicht eher zu helfen bereit gewesen, aber stattdessen war Elin mit Sigmunds beiden Kindern beschäftigt. Natürlich hatte der eine Bruder, der nie in seinem Leben Lutefisk hatte machen müssen, seine Jungfräulichkeit bereits im Alter von siebzehn Jahren verloren – und das auch noch mit durchschlagendem Erfolg.

 

Für die Flitterwochen fuhr das Paar ins Napa Valley, das noch immer von dem Urteil der Weinjury profitierte, das ein Jahrzehnt zuvor die Fachwelt erschüttert und infolgedessen sich das Tal explosionsartig zu einem Zentrum des Weintourismus entwickelt hatte. Lars hatte noch nie an einer Weinprobe teilgenommen, und während er die Probiergläser hinunterstürzte, nahm seine frischgebackene Ehefrau alles andere in sich auf: das Kleingedruckte auf den Flaschenetiketten, die fachkundigen Weingartenführungen und was die Karten über die Weinlagen verrieten. Cynthia war zum ersten Mal in Kalifornien, und selbst vollkommen nüchtern wurde ihr ganz schwindlig beim Anblick eines Weinstocks, und bei all den Fachbegriffen blühte sie erst richtig auf: reinsortig, Oechsle, Cuvée, Barrique. Zurück im Mietwagen, versuchte Lars, ein Übermaß an schweren Rotweinen auszuschlafen, spürte aber auch mit geschlossenen Augen, wie Cynthia lächelte, während sie ihn und ihr ungeborenes Kind durch die sonnenüberfluteten kalifornischen Hügel chauffierte.

»Ich liebe das hier alles so sehr«, sagte sie.

»Ich liebe dich auch«, sagte er.

 

Sie hatten sich darauf geeinigt, dass Lars bei einem Jungen den Namen des Babys aussuchen durf‌te und Cynthia, wenn es ein Mädchen würde. Eva Louise Thorvald wurde zwei Wochen vor dem errechneten Termin am 2. Juni 1989 geboren und kam mit einem stattlichen Gewicht von viereinhalb Kilo auf die Welt. Als Lars sie das erste Mal auf dem Arm hatte, schmolz sein Herz dahin wie Butter auf warmem Brot und sollte nie wieder seine ursprüngliche Form annehmen. Als Mutter und Kind schließlich im Krankenhauszimmer schliefen, ging er hinaus auf den Parkplatz, setzte sich in seinen Dodge Omni und weinte wie ein Mann, der in seinem Leben bis jetzt noch nie etwas wirklich gewollt hatte.

 

»Lass uns bis zum Nächsten erst mal fünf oder sechs Jahre warten«, sagte Cynthia und ließ sich eine Spirale einsetzen. Lars hatte auf mindestens drei Kinder gehofft, wie in seiner eigenen Familie, aber das hatte schließlich Zeit. Er versuchte, Cynthia zu erklären, dass bei mehreren Kindern mindestens eins in der Nähe wohnen bleiben und verhindern würde, dass man alleine starb, wenn man in der Dusche ausrutschte oder auf der Kellertreppe stolperte, und dass sich sein Bruder Sigmund nach dem Wegzug von Jarl und Lars um die Bäckerei und die zunehmenden Bedürfnisse ihrer dahinsiechenden Eltern kümmerte, und wie toll das für alle Beteiligten funktionierte. Eine Argumentationskette, die seine fünfundzwanzigjährige Frau nicht im Geringsten beeindruckte. Denn Cynthia wollte ins Weingeschäft.

So wie ein musikalischer Elternteil genau plant, wo, wie und wann sein Kind welches Musikstück zum ersten Mal zu hören bekommt, hatte Lars Wochen damit verbracht, den Speiseplan für die ersten drei Lebensmonate seiner Tochter festzulegen:

Woche 1

Keine Zähne, daher:

  1. Selbstgemachte Guacamole

  2. Pürierte Backpflaumen (mögen Säuglinge Backpflaumen?)

  3. Pürierte Karotten (wenn möglich Sugarsnax 54, sonst Herbstkönig).

  4. Pürierte Rote Bete (Lutz Green Leaf)

  5. Selbstgemachtes Honeycrisp-Apfelmus (Äpfel bei Dennis Wu besorgen)

  6. Hummus (aus Dosenkichererbsen? Vielleicht bis Woche 2 warten.)

  7. Oliven-Tapenade (vielleicht mit pürierten Cerignola-Oliven? Dubcek nach den besten Oliven für Neugeborene fragen.)

  8. Was als Eiweiß- und Eisenquelle?

Woche 2

Noch immer keine Zähne, außer wir haben unwahrscheinlich viel Glück, aber was soll’s:

  1. Definitiv Hummus.

  2. Rest wie oben, bis Zähne da.

Woche 12

Zähne!

  1. Schweineschulter (püriert? Oder lieber eine Demi Glace auf Schweinefleischbasis?)

  2. Spaghettikürbis. Welches Kind wäre nicht begeistert? Das wird sie umhauen! (Was für ein Glück sie hat, dass sie zu Beginn der Kürbissaison Zähne bekommt!)

  3. Ossobuco (Kalbshachsen von Al Norgaard bei Hackenmueller Meats besorgen).

Woche 16

Zeit für deftige Hausmannskost!

  1. Moms Hähnchen-Wildreis-Auf‌lauf (siehe Rezept)

1 kleine Packung Wildreis

300 g Hähnchenfleisch, angebraten, gewürfelt

1 Dose Champignoncremesuppe

½ Dose Milch (Suppendose zum Abmessen benutzen)

Salz und Pfeffer

50 g grüne Paprika, gewürfelt

 

Ofen auf 180°C vorheizen. Reis nach Packungsanweisung kochen. Hühnchen, Champignoncremesuppe, Milch, grüne Paprika zugeben, mit Salz und Pfeffer abschmecken. Alles in gefettete 2-l-Auf‌lauf‌form geben und 30 Minuten backen.

  1. Corn Dogs (bestimmt gut abzunagen! State-Fair-Rezept finden.)

     

  2. Moms Möhrenkuchen (siehe Rezept)

400 g Zucker (evtl. weniger)

350 ml Salatöl (Ersatz finden)

4 Eier

240 g Mehl

2 TL Backpulver

1 TL Salz

3 TL Zimt

300 g Möhren, geraspelt

100 g Nüsse, gehackt (Nussallergiegefahr?)

1 TL Vanilleextrakt

 

Ofen auf 160°C vorheizen. Sämtliche Zutaten gut vermengen, in eine rechteckige Springform füllen und 45 Minuten backen.

Für den Guss:

115 g Butter

225 g Frischkäse (Doppelrahmstufe)

800 g Puderzucker

 

Verrühren und auf dem abgekühlten Möhrenkuchen verstreichen.

Dieser Essensplan kam Lars sehr vernünftig vor, der immer im Hinterkopf hatte, welche Lebensmittel gerade Saison hatten und was schon seine eigene Familie durch die langen Winter in Duluth gebracht hatte. Seine größte Sorge galt den im Möhrenkuchen enthaltenen gehackten Nüssen. Irgendwo hatte er gehört, dass Kinder eine Nussallergie entwickeln konnten, wenn sie zu früh Nüsse aßen. Aber wie früh war zu früh? Er musste mit ihrem Geburtshelfer Dr. Latch sprechen. Der Mann hatte einen buschigen Schnurrbart, freundliche Augen und etwas, das Lars als zupackend interpretierte.

In seiner Praxis hörte sich Dr. Latch Lars’ Frage an und blickte den jungen Mann dann ungefähr so an, wie jemand ein Krabbelkind mit einem Klappmesser in der Hand ansehen würde.

»Sie wollen ein vier Monate altes Kind mit Möhrenkuchen füttern?«, fragte Dr. Latch.

»Nicht viel«, erwiderte Lars. »Nur eine kleine Portion. Eine Babyportion. Ich mache mir bloß Sorgen wegen der Nüsse. Wahrscheinlich könnte ich den Kuchen auch ohne Nüsse backen, aber meine Mom hat ihn immer mit Nüssen gemacht. Was meinen Sie?«

»Ab achtzehn Monaten. Frühestens. Warten Sie zur Sicherheit lieber, bis sie zwei ist.«

»Vielleicht täusche ich mich ja, aber ich meine, mich zu erinnern, dass meine beiden jüngeren Brüder schon sehr früh Möhrenkuchen gegessen haben. Es gibt ein Foto von meinem Bruder Jarl an seinem ersten Geburtstag. Da hat er ein bisschen Möhrenkuchen bekommen und ihn sich in die Haare geschmiert.«

»In der Situation wahrscheinlich das Beste, was er damit machen konnte.«

»Na ja, jetzt hat er eine Glatze.«

»Wenn ich mir Ihren Plan hier so ansehe, hätte ich dringlichere Bedenken.«

»Zum Beispiel?«

»Na ja, Schweineschulter für ein drei Monate altes Baby? Nicht empfehlenswert.«

»Püriert vielleicht?«, fragte Lars. »Ich könnte das Fleisch erst anschmoren. Oder vielleicht nur die Knochen anbraten und Schweinebrühe daraus machen für eine Demi Glace. Aber das wäre nicht meine erste Wahl.«

»Sie arbeiten bei Hutmacher’s, stimmt’s?«, fragte Dr. Latch. »Ihre Schweineschulter ist wirklich ausgezeichnet. Aber lassen Sie Eva bitte noch mindestens zwei Jahre Zeit.«

»Zwei Jahre, echt?« Lars wollte sich vor Dr. Latch nicht anmerken lassen, dass diese Unterhaltung ihm das Herz brach, aber der Arzt merkte es auch so.

»Ich kann ja verstehen, wie gern Sie Ihre große Leidenschaft mit Ihrem ersten Kind teilen wollen. Das sehe ich in der einen oder anderen Form immer wieder. Lassen Sie sich gesagt sein: Die Zeit wird kommen! Aber fürs Erste bitte nur Muttermilch und Babynahrung.«

»Das ist ja schrecklich«, stöhnte Lars.

»Für Sie vielleicht«, sagte Dr. Latch. »Aber glauben Sie mir, Ihre Tochter wird mit dieser Kost ungeheuer zufrieden sein. Und jetzt überweise ich Sie an den aufmerksamsten Kinderarzt, den ich kenne.«

 

Zurück in St. Paul, lud Lars die ungewohnte Babyausrüstung aus dem Wagen und war dankbar, dass Cynthia und er sich eine Wohnung mit Aufzug leisten konnten. Während er wartete, dass sich die Aufzugtüren öffneten, blickte er auf die nur wenig abgenutzte Betontreppe, die er über die Jahre gelegentlich hochgelaufen war, um sich etwas mehr zu bewegen. Der Gurt der Wickeltasche schnitt ihm in die Schulter, der Plastikbügel der Babyschale lag schwer in seiner Hand, und er hatte die leise Ahnung, dass er diese Treppe nie wieder benutzen würde.

Wenn sie nicht gerade schliefen, versuchten zu schlafen oder ihre neugeborene Tochter im Arm wiegten, waren Lars und Cynthia normalerweise in der Küche. Lars wollte sein wunderschönes Mädchen nicht eine Sekunde lang aus den Augen lassen, weshalb er sie immer in ihrer Babyschale auf der Anrichte stehen hatte.

»Meinst du nicht, dass es ein bisschen gefährlich ist, sie hier neben dem Herd zu haben?«, fragte Cynthia am zweiten Abend, während sie Knoblauch und Petersilie für eine Alfredosoße hackte.

»Der Arzt kann ihr das Recht auf Essen absprechen«, sagte Lars, »aber sie sollte wenigstens von den Düften umgeben sein. Das ist fast genauso gut.«

»Na ja. Einen Haufen Essen riechen, das sie noch nicht essen darf. Wahrscheinlich frustriert sie das ohne Ende.«

»Aber wir sind nun mal hier, und ich will, dass sie bei uns ist.«

»Ich weiß ja nicht. Ein Baby in einem Raum voller Messer und kochendem Wasser.«

»Wo hättest du sie denn lieber?«

Cynthia schüttelte den Kopf. »Irgendwo anders.«

Lars sah zu Eva hinüber, die eine Strickmütze und Fäustlinge trug, damit sie sich mit ihren winzigen Fingernägeln nicht das Gesicht zerkratzte. Er hatte nie die Absicht, sie so lange anzustarren – es passierte einfach. Wenn sich ihre Blicke trafen, waren, zack, fünf Minuten vergangen. Oder zwanzig.

Cynthia tippte ihm auf die Schulter.

»Das Nudelwasser ist fertig.«

»Wo sind die Fettuccine?«, fragte er und sah in den Kühlschrank.

Sie holte eine grüne Creamette-Packung aus dem Drehschrank vor seinen Füßen. »Ich dachte, die Marke probieren wir mal aus. War im Angebot.«

»Ich weiß noch, wie wir früher immer Nudeln selbst gemacht haben. Die Zeiten sind wohl vorbei.«

»Zum Glück«, sagte Cynthia. »Bei dem Heidenaufwand, der das immer war.«

Cynthia war erst fünfundzwanzig und fand schnell wieder zurück zu ihrer mageren Figur, nur mit mehr Farbe in den Wangen und größeren Brüsten, wohingegen Lars nur immer kahlköpfiger und dicker und langsamer wurde. Er hatte schon vor der Schwangerschaft gelernt, dass er Cynthias Hand halten oder sie sonst wie anfassen musste, damit die anderen Männer erkannten, dass sie beide ein Paar waren. Jetzt, da Cynthia die Mutter seiner Tochter war, war er noch einen Tick argwöhnischer und knurrte vorbeigehende Typen mit kecken Tom-Selleck-Schnurrbärten und coolen Bon-Jovi-Frisuren an. Cynthia schob den Kinderwagen, während sie den Winterwochenmarkt unter die Lupe nahmen, und kümmerte sich nicht um Lars’ schwerfälligen Schatten oder die Sprüche, die er glotzenden Perversen entgegenblaffte. Sie war eigentlich nur froh, wieder trinken zu können.

 

»Hutmacher’s sucht einen neuen Sommelier«, sagte Cynthia eines Morgens, während Lars Evas Windel wechselte. Für Cynthias empfindliche Nase war der Geruch der vollen Windeln ihrer Tochter unerträglich, für Lars hingegen war es nach zehn Jahren Lutefisk-Produktion leichter, als ein Omelett zu wenden.

»Aber es ist doch erst ein Monat um«, sagte Lars. »Die haben dir drei gegeben.«

»Sie haben gesagt, sie würden mir die Stelle drei Monate lang freihalten. Aber es ist ja nicht so, dass sie mir den Mutterschutz bezahlen.«

»Dann nimm dir doch die drei Monate. Wir haben schließlich ein bisschen was gespart!« Nachdem er die Krankenhausrechnung beglichen hatte, entsprach das ganz und gar nicht mehr der Wahrheit, aber Lars wollte nicht, dass Cynthia sich darum Sorgen machte.

»Ich weiß, aber ich drehe hier noch durch. Es ist Hochsommer, und draußen kann ich nichts Sinnvolles unternehmen, wenn ich das Kind umgeschnallt habe. Das Nachmittagsprogramm im Fernsehen ertrage ich auch nicht länger. Und mehr als zwanzig Seiten in Ruhe lesen kann ich auch nicht, ohne dass sie anfängt zu quengeln.«

»Du willst also früher wieder anfangen zu arbeiten?«

»Ich denke drüber nach. Ich wette, wir schaffen es, uns so abzustimmen, dass immer einer von uns zu Hause ist. Und Jarl und Fiona sind schließlich auch noch da.«

Lars’ Bruder und seine Freundin wohnten nur ein paar Meilen entfernt ebenfalls in St. Paul und waren sehr erpicht darauf, auf ihre kleine Nichte aufzupassen. Aber insgeheim hatte Lars gehofft, dass sein Baby nur im absoluten Notfall von beiden Eltern gleichzeitig getrennt sein müsste. »Braucht man nicht irgendeine Ausbildung, um Sommelière zu werden?«

»Ich kenne das Restaurant und seine Gäste besser als jeder andere. Außerdem kann ich die Weinkarte herunterbeten. Ein paar von den Weinen habe ich sogar selbst ausgesucht. Der Tepusquet Vineyard Chardonnay von ZD Wines zum Beispiel – das war meiner.«

»Na, ich weiß ja nicht«, sagte Lars. Hätte er sie gerade erst kennengelernt, das wurde ihm plötzlich bewusst, hätte er ihr geraten, sofort loszulegen und ihren Träumen zu folgen und diesen ganzen Kram. Aber wenn er seine wunderschöne, impulsive Frau jetzt ansah, musste er unwillkürlich an seine eigene stoische, pragmatische Mutter denken. Denn selbst wenn Elin je etwas anderes hatte sein wollen als die unbezahlte Buchhalterin einer Bäckerei und Mutter dreier Jungs, so hatte sie in Lars’ Gegenwart nie ein Wort darüber fallenlassen. War es selbstsüchtig oder realistisch, fragte er sich, Cynthia anzusehen und das Gleiche zu wollen? Zufrieden dabei zusehen zu wollen, wie ihre Arme, Beine, Hüften und Hingabe wuchsen? Er konnte es nicht sagen.

»Ich glaube, du willst, dass ich in meinem Leben nichts anderes mehr bin als Mutter. Und das ist Schwachsinn«, sagte Cynthia und verließ den Raum.

Es wäre Schwachsinn gewesen, hätte es nicht der Wahrheit entsprochen, aber das tat es, zumindest zum Teil. Ja, Lars wollte, dass sie Mutter sein wollte, genauso wie er mit Leib und Seele immer in erster Linie Vater sein würde und alles andere auf der Welt abgeschlagen auf einem im Dunklen liegenden, unfassbar weit entfernten zweiten Platz kam.

 

Lars lag auf dem braunen Flokati im Wohnzimmer und las seiner Tochter aus James Beards Beard on Bread vor, als Cynthia die Wohnungstür öffnete. Er erkannte an ihren schweren Schritten, wie das Vorstellungsgespräch gelaufen war. Statt Cynthia hatte das Restaurant »den berühmten und angesehenen Westküstensommelier Jeremy St. George« eingestellt und ihr nur einen Job als »leitende Oberkellnerin« angeboten, was kein echter Job war, sondern einfach etwas, das sie sich aus dem Stegreif hatten einfallen lassen, um Cynthia zu beruhigen, als sie anfing, eine Szene zu machen.

Cynthia war an diesem Abend so wütend, dass sie einen Einzellagen-Merlot von Stag’s Leap entkorkte, den sie für einen besonderen Anlass aufgehoben hatten, und nach einer Schale Instant-Käsemakkaroni die ganze Flasche in sich hineinkippte.

»Warum ist er denn von San Francisco aus hier rausgezogen, um diesen Job anzunehmen?«, fragte sie Lars, als würde er die Antwort kennen. »Er hätte jeden Sommelier-Job im ganzen Land haben können!«

Sie erzählte ihm, dass der Restaurantleiter ihr Jeremy St. Georges Lebenslauf gezeigt hatte und auch sein Porträtfoto, auf dem er, wie es sich für einen kalifornischen Sommelier, der etwas auf sich hielt, gehörte, ebenso gelehrt wie sinnlich auszusehen versuchte. Cynthia berichtete, dass er Anfang dreißig war, einen Abschluss von der University of California at Davis hatte, schon im Napa Valley und in San Francisco als Sommelier gearbeitet hatte und aussah wie ein Unterwäschemodel. Lars fragte sich, warum sie den Zusatz »Unterwäsche« vor das Model gesetzt hatte.

Was Lars jedoch wirklich ernste Sorgen bereitete, waren die Instant-Käsemakkaroni. Es war ein verdammt rasanter Abstieg von ihren ersten gekauf‌ten Nudeln zu den ersten Fertigprodukten gewesen, und Lars musste zugeben, dass daran vor allem ihre finanzielle Situation schuld war. Sie lebten von seinem Einkommen, und auch wenn jedermann außerhalb des Gaststättengewerbes davon ausging, dass man sich als Koch in einem guten Restaurant eine goldene Nase verdiente, war das in Wirklichkeit ganz und gar nicht der Fall. Selbst wenn er weiterhin fünfzig Stunden die Woche als Koch bei Hutmacher’s arbeitete, standen ihnen einige dürre Monate bevor.

Er gab es nicht gern zu, aber wenn sie besser essen und auch für ihre Tochter frische, nahrhafte Lebensmittel kaufen wollten, musste Cynthia wieder arbeiten gehen.

 

Lars schlug vor, dass sie als Bedingung für ihre Rückkehr Teilaufgaben als Sommelière verlangte, und obwohl Cynthia der Gedanke widerstrebte, die »Assistentin« irgendeines ach so tollen Westküstensommeliers zu sein, musste sie zugeben, dass eine Jobbezeichnung – irgendeine Jobbezeichnung –, die das Wort »Sommelière« enthielt, ihre Rückkehr zu Hutmacher’s deutlich erträglicher machen würde.

Die Restaurantbesitzer waren mit dem neuen Titel Assistenz-Sommelière einverstanden, solange Cynthia zusätzlich Kellnerschichten übernahm, und Jeremy St. George billigte das Ganze. Er fand jedoch, sie müssten sich erst kennenlernen, und als es so weit war, offenbarte er ihr, dass er sein ganzes Leben auf eine Assistentin wie sie gewartet hatte.

Nach ihrer ersten Schicht kam sie spät nach Hause. Anderthalb Stunden nach Feierabend kam sie durch die Tür getorkelt und sang dabei einen Song von den Replacements. Lars, der sie schon ewig nicht mehr hatte singen hören, fragte: »Und, wie war’s?«, kannte aber die Antwort schon.

Abends im Bett sah Cynthia ihn nur an, sagte: »Danke«, und fiel sofort in tiefen Schlaf. Ihr Gesicht war selbst in diesem Zustand voller Liebe, und Lars beschloss, das als Bestätigung aufzufassen.

 

Wenn Cynthia auf Weintouren außerhalb der Stadt war, was ihr neuer Job erforderte, wurden Lars’ Runden auf dem Wochenmarkt in St. Paul logistisch anspruchsvoller, machten aber immer noch genauso viel Spaß. Manch einem wäre es vielleicht zu anstrengend und kompliziert vorgekommen, ein zwei Monate altes Kleinkind inklusive Wickeltasche und Kinderwagen überallhin zu manövrieren, aber Lars fühlte sich energiegeladen, auch wenn alles an ihm hängenblieb. Da Jarl und Fiona jetzt offiziell als Babysitterkommando abgestellt waren, wenn sich Lars’ und Cynthias Schichten überschnitten, wollte Lars jede freie Minute mit seiner Tochter nutzen.

Die Spätsommerhitze durchströmte seinen Körper, als er aus der Tür trat, auf seinem Fruit-of-the-Loom-T-Shirt blühten schon im Aufzug Schweißflecken, und als er Eva und ihre Ausrüstung nach unten zum Wagen geschafft hatte, keuchte er. Aber der Wochenmarkt von St. Paul würde die Mühen wie immer wert sein. Mitte September ging die Saison für Späternte-Tomaten zu Ende, und Lars plante kalte Suppen, Soßen und milde Salsas, nach denen Evas junger Gaumen ganz sicher verrückt sein würde, wenn man bedachte, wie sehr sie die tragisch wenigen Dinge liebte, die Dr. Latch ihr bisher zu essen erlaubt hatte.

Ihm war nie bewusst gewesen, wie viele Paare auf den Wochenmärkten unterwegs waren, bis seine Frau anfing zu verreisen. Samstagmorgenpärchen tingelten durch die Reihen voller Äpfel, Rüben und Salat, viele mit Kinderwagen oder mit Kindern an der Hand. Andere waren kinderlos, noch erfüllt von wahrer Liebe und ihren berauschenden Nachbeben und konnten die Hände nicht voneinander lassen, als wollten sie sich vergewissern, dass der andere auch tatsächlich existierte. Lars versuchte, sich daran zu erinnern, wie sich das Verliebtsein angefühlt hatte, doch die vielen Leute, die stehen blieben, um seine kleine Tochter zu bewundern, hielten ihn davon ab, weiter in Gedanken bei dem fehlenden Mitglied ihrer kleinen Familie zu verweilen.

 

»Wusstest du, dass 125 Gramm Marinarasoße fast achtmal so viel Lycopin enthalten wie eine rohe Tomate?«, fragte er seine zappelnde Tochter, während er sie durch die träge Masse von Pärchen beförderte, die um sie herumwogte. »Heute suchen wir uns ein paar ordentliche Soßentomaten.«

Worauf Eva in die Sonne blinzelte und fröhlich zu ihm hochguckte, als wollte sie sagen: Ich liebe meinen Dad, oder vielleicht auch nur: Ich habe gerade den flüssigsten Schiss hingelegt, den mein Vater je sehen wird. Gegen die Sonne war das schwer zu sagen.

 

Der Tomatenstand von Karen Theis, der beinahe ein Jahrzehnt lang die gesamte Metropolregion Minneapolis-St.-Paul mit festen, schönen Roma-, Eier-, Fleisch- und Big-Boy-Tomaten versorgt hatte – nichts Ausgefallenes, nur die wichtigsten Hybriden –, war Lars’ erste und einzige Anlaufstelle für Tomaten. Doch an diesem Morgen war der Stand verschwunden, an seiner Stelle saßen ein dicker Mann und eine noch dickere Frau auf lila Gartenstühlen und verkauf‌ten schmutzigen, unansehnlichen Rhabarber (die beste Rhabarberzeit war längst vorbei) aus einem fleckigen Pappkarton.

»Oh. Was ist denn mit Karen passiert?«, fragte Lars die beleibte Frau.

Sie starrte ihn mit leerem Blick an. »Wer soll denn Karen sein?«

»Brauchen Sie Rhabarber?«, fragte der dicke Mann. »Wir machen ’nen guten Preis.« Fliegen landeten auf den zuckrigen Stengeln und rieben die Vorderfüße aneinander. Das Paar machte keine Anstalten, sie zu verscheuchen.

»Karen hatte hier die letzten acht Jahre einen Tomatenstand, genau an dieser Stelle. Ich frag mich bloß, was los ist, ob sie umgezogen ist oder nur Urlaub macht, oder so.«

»Ach ja, der Name kommt mir bekannt vor«, sagte der Mann und drehte sich zu der Frau um. »Warum kommt mir der Name bekannt vor?«

»Weil die Leute schon den ganzen Morgen nach ihr fragen.«

Diese Art Gespräch war eigentlich zu erwarten gewesen mit Leuten, die Mitte September versuchten, Rhabarber zu verkaufen. »Und was ist nun mit ihr?«, fragte Lars noch einmal.

Die Frau sah Eva in ihrem Kinderwagen. »Das ist ja ’ne Süße. Wie alt ist Ihre Tochter denn? Ein Jahr?«

»Fast dreieinhalb Monate. Sie ist groß für ihr Alter. Sie haben also keine Ahnung, was mit Karens Tomatenstand passiert ist?«

Als der Mann sich in seinem Stuhl vorbeugte, sah Lars, dass eine der Armlehnen fehlte und der Mann eine Reihe von leuchtend roten Kreisen an seinem linken Unterarm hatte, weil er sich auf die nackte Stange gestützt hatte. »Sir, wenn ich eins weiß«, sagte der Mann, »dann das: Sagen Sie einer Frau niemals, dass sie zu dick ist. Besonders in jungen Jahren, wenn es direkt ins Unterbewusstsein sickert.«

»Kann mir irgendjemand sagen, wo ich Karen Theis finde?«, rief Lars und blickte zu den benachbarten Händlern hinüber.

»Hat zugemacht«, antwortete ein Nantes-Möhren-Verkäufer. »Die Asiaten haben sie verdrängt.«

Anna Hlavek, die Kräuterfrau einen Stand weiter, rief: »Die Asiaten haben sie nicht verdrängt, die Asiaten bauen einfach bessere Tomaten an.«

Lars sah Anna an, und das schien sie als Auf‌forderung aufzufassen, ihre These weiter auszuführen.

»Der da drüben. Da kauf‌t das New French Café immer seine Tomaten«, erklärte Anna und meinte das angesagteste unter den neuen Restaurants in Minneapolis. »Wie geht’s denn Ihrer Kleinen?«, fragte sie und kam hinter ihrem Stand hervor, um Evas Hände in die Luft zu heben. »Sooooo groß bist du! Soooo groß!«

Lars mochte Anna, aber wenn jemand seine Tochter anfasste, ohne ihn vorher gefragt zu haben, versetzte ihn das grundsätzlich in Rage.

»Wie alt ist sie noch mal?«, fragte Anna. »Ein Jahr? Anderthalb?«

»Nein, dreieinhalb Monate. Sie ist einfach … sehr ehrgeizig für ihr Alter.«

»Wo ist denn Ihre hübsche Frau? Immer noch in Kalifornien?«

»Jap«, sagte Lars. »Es ist gerade Weinlese für einige Sorten.«

»Oje, wie lang ist sie denn weg?«

»Zwei Wochen, glaube ich.« Es waren bereits vier, aber Lars wusste, dass sich das schlecht anhörte.

»Ich kann mir gar nicht vorstellen, als Mutter so lange von meinem Kind getrennt zu sein. Meinen Dougie nehme ich überall mit hin. Ich lasse ihn nicht eine Sekunde aus den Augen.« Lars sah einen mürrischen flachsblonden Vierjährigen ein paar Meter weiter sitzen und Gehwegritzen mit einem Plastikmesser bearbeiten.

»Das kann im Weingeschäft schon mal passieren«, sagte er. »Also, wo bekomme ich denn jetzt ein paar Tomaten her?«

 

Der südostasiatische Händler saß auf einer blauen Land-O’-Lakes-Milchkiste, der Oberkörper breit und beinahe rechteckig wie eine Agassiz-Kartoffel, die dicken, gebräunten Beine ausgestreckt. Er blickte durch die Gläser einer Ray-Ban-Sonnenbrille ausdruckslos geradeaus. Neben ihm in der brütenden Hitze schimmerten auf einem Tapeziertisch mit sauberer karierter Tischdecke akkurat aufgereihte und beschriftete Kolonnen wunderschöner fremdartiger Tomaten in herzerwärmend leuchtendem Orange, in Rot, Gelb, Lila und mit Streifen.

 

Als Lars den Kinderwagen seiner Tochter auf den Stand zuschob, lehnte sich Eva schon zu den Tomaten, ihre dicken Fingerchen griffen in die Luft zwischen sich und den glänzenden kleinen Kugeln.

»Hi, kann man bei Ihnen vielleicht mal probieren?«, fragte Lars den Verkäufer.

»Nix probieren«, erwiderte der Mann und ließ Evas ausgestreckte Händchen nicht aus den Augen. »Erst kaufen, dann probieren.«

»Tja, das mache ich dann vielleicht«, sagte Lars. »Ich suche nach einer Soßentomate, einer mit viel Lycopin wie die Roma VF. Haben Sie so was in der Art?«

»Ich verkaufe keine Roma VF. Ich verkaufe Tomaten.«

»Ach so. Was ist denn dann eine Roma VF

»Von Wissenschaftlern im Labor gezüchtet.«

»Okay.«

»Sir, wenn Sie eine lycopinreiche Tomate suchen, dann nehmen Sie am besten eine Moonglow. Höchster Lycopinanteil. Von allen traditionellen Sorten.«

Der Händler nahm eine kleine orange Tomate in die Hand, von der Größe her zwischen Golf- und Baseball, und zeigte sie Lars. Lars streckte die Hand aus, aber der Händler legte sie wieder zu ihren Geschwistern.

»Die Moonglow ist gut zum roh Essen und für Salsas«, fuhr er fort. »Wenn Sie eine Soßentomate suchen, nehmen Sie die San Marzano. Die weltbeste für Tomatenmark und Soßen.« Er nahm eine lange rote Tomate, von der Form her fast wie eine Peperoni, und legte sie vorsichtig auf seine Hand.

»Ich kaufe eine Moonglow zum Probieren.«

»Dreißig Cent«, sagte der Händler.

»Verdammt, bei dem Preis bin ich ja zwei Dollar los, bevor ich überhaupt einen Löffel Soße habe.«

»Im Pfund billiger. Einzeln dreißig Cent.«

Lars seufzte, aber dann tauschte er ein paar silbergraue Münzen gegen eine weiche, orange schimmernde Kugel. Er musste es tun. Er biss hinein wie in einen Apfel, und orangefarbenes Wasser lief ihm übers Kinn und blieb in seinem Bart hängen. Es störte ihn nur einen kurzen Augenblick, bis der Geschmack der Traditionstomate sich auf seinem Gaumen ausbreitete.

Zu Anfang war sie wunderbar süß, jedoch keineswegs zuckrig oder aufdringlich; sie hatte einen Hauch zitroniger Säure. Beim Kauen des festen Fruchtfleisches schloss er die Augen, um sich auf die schwindende Süße in seinem Mund zu konzentrieren. Er dachte an Cynthia und daran, wie sie hier beim letzten Mal Roma VF für ein Gericht gekauf‌t hatten, das sie mit einem leichten Corvina Veronese kombinieren wollten. Er dachte daran, wie sehr sie das hier jetzt genießen würde – wie ihr zu jeder dieser Tomaten der passende Wein einfallen würde –, und fragte sich, wo in Kalifornien sie wohl gerade war. Er dachte, dass diese Reise ihre bisher längste war und dass er seit drei Tagen nichts mehr von ihr gehört hatte.

 

Lars schüttelte die Gedanken ab und kniete sich hin, um Eva die andere Hälfte der Moonglow an den Mund zu halten. Mit breitem Grinsen schmierte sie sich den Tomatenrest ins Gesicht.

Er stellte sich dem Händler vor, erzählte ihm, wo er arbeitete, und fragte den Mann nach seinem Namen.

»John«, sagte der Händler und schüttelte fest, aber kurz seine Hand, ohne zu lächeln.

»Das waren die bestinvestierten dreißig Cent meines Lebens, John«, sagte Lars. »Ich hatte keine Ahnung, dass die Hmong so grandiose Tomaten züchten.«

»Tun sie auch nicht. Aber wenn sie Glück haben, bringe ich es vielleicht einem von ihnen bei.«

»O Gott, Entschuldigung, ich hab einfach angenommen, dass Sie Hmong sind.«

»Immer das Gleiche mit euch. Ich bin Laote, aus Laos. Großer Unterschied. Die Hmong haben wir aus der Mongolei reingelassen. Hätten wir nicht tun sollen. Die haben von Anfang an nur Probleme gemacht. Diese Ebene der Tonkrüge? Ganz schön viele Mohnfelder da oben. Ich muss Ihnen nicht erklären, was die in den Krügen aufbewahrt haben. Wasser war es jedenfalls nicht.«

Lars hatte gelernt, immer höf‌lich zuzuhören, aber die Vorurteile dieses Traditionstomatenbauern – ohnehin ein Völkchen für sich, egal, welcher Herkunft – bereiteten ihm langsam Unbehagen. Deswegen war seine Aufmerksamkeit getrübt, und er sah nur noch aus dem Augenwinkel, wie Eva nach einem Zipfel der Tischdecke griff, um sich zu den Tomaten zu ziehen. Der dumpfe Aufschlag einer großen Menge von Gemüse war unverkennbar für jeden, der je mit Lebensmitteln gearbeitet hatte.

»O Scheiße!«, rief Lars, als er den Berg Tomaten auf dem Boden sah. »O Scheiße, o Scheiße, o Scheiße.«

John drängte sich mit der entschiedenen Gewalt eines Ersthelfers an der Unfallstelle an Lars vorbei, kniete sich neben seine Tomaten und sortierte ungerührt die weiterhin verkäuf‌lichen von den unrettbar verlorenen Tomaten.

Als Lars die Tomaten zur Seite räumte, unter denen seine Tochter begraben war, stellte er erschrocken fest, dass sie nicht weinte, sondern gerade versuchte, sich eine geplatzte Moonglow in den winzigen Mund zu stopfen.

Die meisten San Marzanos konnten Lars und John retten, aber etwa die Hälfte der Moonglows und fast alle von den pinkfarbenen Brandywines hatten Druckstellen oder waren beim Aufprall auf den Boden, den Kinderwagen oder die kleine Eva geplatzt.

»Was schulde ich Ihnen?«, fragte Lars und traute sich kaum, John in die Augen zu schauen.

»Unfälle passieren«, erwiderte John. Er stellte die Kiste mit den kaputten Früchten unter den Tisch und setzte sich wieder auf seine Milchkiste.

Lars nahm einen Zwanziger und einen Zehner aus seiner Brief‌tasche und hielt sie John hin. Es schmerzte ihn; das war fast der Lohn eines halben Arbeitstages.

»Hier«, sagte er. »Bitte nehmen Sie es.«

Der Händler sagte nichts und nahm auch das Geld nicht. Passanten und andere Händler starrten Lars an, und sein Gesicht brannte vor Scham. Nachdem er etliche Sekunden des Schweigens ausgestanden hatte, musste er die Scheine wieder einstecken und verstand, dass seine Schuld ein Loch geschlagen hatte, das Geld wohl nicht füllen konnte.

 

Am vierten Tag, an dem er nichts von Cynthia gehört hatte, fing Lars an herumzutelefonieren. Ihr Vorgesetzter Mike Reisner hatte nichts gehört, und auch die Restaurantbesitzer Nick Argyros und Paul Hinckley hatten weder von Cynthia noch von Jeremy gehört. Nachmittags rief er bereits die Weingüter an, die sie vermutlich besucht hatten: Stag’s Leap, Cakebread, Shafer, Ridge, Stony Hill, Silver Oak. Er versuchte es sogar bei einigen von den Rhone-Rangers-Mitgliedern wie Bonny Doon und Zaca Mesa; sie alle kannten Jeremy St. George, aber keiner von ihnen hatte ihn oder Cynthia gesehen.

»Sind Sie ganz sicher?«, fragte er den Typen von Shafer. »Sie wollten für die Lese kommen.«

»Unsere Lese fängt erst in ein paar Wochen an«, sagte der Mann.

Lars’ Bruder schien sich keine Sorgen zu machen. »Wahrscheinlich sind sie mit dem Auto auf dem Rückweg«, sagte er auf Lars’ Flokati liegend, noch immer in Hemd und Krawatte, die er bei seinem Job als Rechtsanwaltsgehilfe trug. Einmal dem tyrannischen Imperium seines Vaters entkommen, hatte er einen Job gesucht, bei dem er jeden Tag Krawatte tragen musste. In Jarls Welt mussten Menschen, die Krawatte trugen, niemals Lutefisk machen, die Hände in heiße Öfen stecken, Paletten mit Toastbroten heben oder sich bei der Arbeit sonst wie körperlich anstrengen.

»Aber auf dem Hinweg sind sie doch geflogen«, erinnerte Lars ihn.

»Gibt es nicht auch Weingüter in Arizona und Texas und so was?«

»Sie wurden auf keinem von den großen Gütern im Napa Valley gesehen«, sagte Lars von seinem Lehnsessel aus. Eva saß auf seinem Schoß und lutschte an einer Bratenspritze.

»Vielleicht sind sie gar nicht zu den Großen gefahren«, sagte Jarl. »Oder vielleicht sind sie mal zu den richtig Guten gefahren wie Lambrusco.«

»Lambrusco ist kein Ort.«

»Klar ist er das. Hier drin«, widersprach Jarl und zeigte auf sein Herz. »Entspann dich mal, und lass dich auf das Niveau normaler Menschen herab.«

»Ich mag normale Sachen. Aber ich mag auch erstklassige gesunde Sachen.«

»Ich mag auch hin und wieder erstklassige gesunde Sachen«, sagte Jarl.

Das stimmte nicht. Für einen Kerl, der so großen Wert darauf legte, gut angezogen zu sein, hatte Jarl einen erschreckend provinziellen Geschmack, was Essen und Wein anging.

»Gerade du! Seit Anfang der Achtziger habe ich dich kein Gemüse mehr essen sehen.«

Jarl wirkte überrascht. »Wo soll das denn gewesen sein?«

»Und das zählt noch nicht mal richtig. Es war der Krautsalat von Charlie’s Café Exceptionale.«

»Das war der beste Laden der Stadt. Nicht so versnobt wie Faegre’s.«

Lars schüttelte den Kopf. »Da hatte ich den besten Caesar Salad meines Lebens.«

»Mein Gott, du bist so ein Snob«, sagte Jarl und sah Eva an. »Gib’s zu. Und aus ihr wirst du auch einen machen. Sie wird der größte Snob aller Zeiten. Neben euch beiden, dem schnieken Superkoch und der schnieken Sommelière. Nächstes Mal gebe ich ihr beim Babysitten Chips.«

»Denk nicht mal dran!«

»Chips und Cola.«

»Bitte nicht.«

»Uns hat das Zeug doch als Kindern auch geschmeckt. Was hast du jetzt für ein Problem damit?«

»Ich will einfach, dass meine Kinder etwas essen, das tatsächlich einen Nährwert hat.«

»Kinder?«, fragte Jarl. »Hast du mir was zu sagen?«

»Ja, wir bekommen ein zweites Kind.«

»Wann? Ich dachte, ihr wolltet erst mal fünf Jahre warten, oder so.«

»Nein, als ich das letzte Mal mit Cynthia gesprochen habe, habe ich ihr gesagt, dass ich jetzt ein zweites will. Ich will kein fetter alter Opa sein, der hinter einem Krabbelkind herrennt.«

»Dann nimm doch einfach mal ein bisschen ab, Specki«, schlug Jarl vor.

Das Telefon klingelte.

»Kannst du mal rangehen?«, fragte Lars und zeigte auf das Baby auf seinem Schoß.

»Klar«, sagte Jarl. Er machte vier Liegestütze und klatschte zwischen jeder einmal in die Hände, wobei seine Krawatte wie eine lange gestreif‌te Zunge auf den Boden hing, und stand dann auf, um den Hörer in der Küche abzunehmen. »Hallo, bei Thorvald«, sagte er.

»Wer ist dran?«, rief Lars.

»Deine Arbeit. Paul irgendwas.«

»Einer von den Besitzern«, sagte Lars und setzte seine Tochter auf den Teppich, bevor er in die Küche rannte. »Pass mal eben auf Evie auf«, bat er Jarl, als er den Hörer ans Ohr nahm.

 

»Hey, Lars«, sagte Paul Hinckley. Er war ein erfolgreicher Anwalt in den Twin Cities gewesen und hatte keine große Ahnung von Essen, aber als Restaurantbesitzer legte er weit mehr als nur ein wenig Liebe zum Detail an den Tag. Er hatte keinen Graphikdesigner oder Innenarchitekten engagiert. Das Logo, die Schriftart der Speisekarte, das Farbmotto des Speiseraums, alles hatte er selbst ausgesucht, auch Geschirr und Gläser. Und einige der Gerichte auf der Speisekarte verdankten Paul sogar ihren Namen. Außerdem wusste er gern zu jeder Zeit, was seine Angestellten so trieben.

»Hallo, Paul. Was ist los?«

»Ja, hi, Lars. Du, ich hab nur schnell ein paar Neuigkeiten für dich.«

»Klar, schieß los.«

»Ich wollte dich nur wissen lassen, dass ein Parkplatz frei wird, und wir dachten, du hättest vielleicht Interesse daran – wegen der ganzen harten Arbeit, die du für uns leistest.«