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eBook Insel Verlag Berlin 2018

Der vorliegende Text folgt der 4., aktualisierten Auflage der Ausgabe des insel taschenbuchs 4452.

© Insel Verlag Berlin 2016

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

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Der Verlag weist darauf hin, dass dieses Buch farbige Abbildungen enthält, deren Lesbarkeit auf Geräten, die keine Farbwiedergabe erlauben, eingeschränkt ist.

Umschlaggestaltung und Layout: Marion Blomeyer, München

Illustrationen: Ryo Takemasa, Tokio

Karten: Peter Palm, Berlin

eISBN 978-3-458-74527-3

www.insel-verlag.de

INHALTSVERZEICHNIS

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Reise nach Rom

Rund um die Piazza Navona

Die sprechende Statue

Auf der schönsten Piazza der Welt

Wo die Sünde süß ist

Das Wunder von Sant’Ignazio

Madonna mia

Wo die Zeit nicht verstreicht

Heute mir, morgen dir

Dar Filettaro a Santa Barbara

Am Kapitol

Caffè und Cappuccino

Im Himmel über Rom

Das einstige Ghetto

Ode an die Artischocke

Wunder einer Nacht

Trinkernasen

Trastevere und Gianicolo

Mitten im Fluss

Geschlagen, aber nicht besiegt

Im Garten der Weisheit

Cereria Di Giorgio

La Grande Bellezza

Mütter des Vaterlandes

Wanderung zum Vatikan

Vatikan und Prati

Über den Dächern

Zeit für Sankt Peter

Steine des Anstoßes

Gratta Checca!

Caffè und Kuchen

Die Burg des Engels

Renaissance einer Piazza

Schlemmen bei Franchi

Marsfeld und Villa Borghese

Immer informiert – die Edicola

Krieg und Frieden

Zur Cena bei Gino

Das Kino in der Unterwelt

Zu Gast bei den de Chiricos

Carpaccio mit Kardinal

Spaziergang zur Treppe

Das Lächeln der Etrusker

Ein Brunnen wie ein Gedicht

Ein Platz für wilde Tiere

Um Kolosseum und Stazione Termini

Bei den singenden Schwestern

Piazza Martin Lutero

Abstieg zum Sonnengott

China Town

Das Elfenbeingesicht

Bei der kleinen Bäckerin

Salario und Trieste

Mercato Piazza Alessandria

Rausch aus Stein

Am Bett des Duce

Tief im Tuff

Aventin, Testaccio und der Süden

Treppe und Schlüsselloch

Movida am Scherbenberg

Auf dem Friedhof der Nichtkatholiken

Marmor, Stein und Eisen

Garbatella

In den Ardeatinischen Höhlen

Park der Aquädukte

Giuda ballerino!

Im Norden und Westen

Arenen von gestern und heute

Maximal modern

Ein Park für alle

Straße der Täuschung

Ausflüge

Am Strand von Santa Severa

In den Hügeln der Toten

Der heilige Berg

Im Gefängnis des Engelspapstes

Der Garten der Najaden

BILDNACHWEIS

REGISTER

Reise nach Rom

TIPPS

DIE WEB-SEITEN
WWW.MUOVERSIAROMA.IT UND WWW.ATAC.ROMA.IT ENTHALTEN
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BEI DER PLANUNG VON AUSFLÜGEN
MIT DEM BUS IN DIE GEGEND UM ROM
HILFT DER ROUTENPLANER AUF DER
INTERNETSEITE DER BUSGESELLSCHAFT
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Natürlich führen nicht alle Wege nach Rom. Aber es gibt viele gute Wege dorthin. Wer will, kann sich, wie über Jahrhunderte die Pilger, zu Fuß der Stadt nähern, auf der Via Francigena oder dem Franziskus-Weg. Andere kommen mit dem Fahrrad entlang gewundener, verwunschener Sträßchen der Toskana und Latiums, oder mit dem Auto auf der schnellen, durch schöne Landschaften verlaufenden Autostrada. Mit dem Zug geht es von Deutschland aus noch immer recht langsam gegen Süden, was den Vorteil hat, dass ein Gespür für die Entfernung entsteht und genug Zeit bleibt, das eine oder andere Buch über Rom zu lesen.

Am prosaischsten scheint die Reise nach Rom per Flugzeug zu sein. Dabei bietet auch sie besondere Erlebnisse: erst den Blick auf die weiß gleißenden Gipfel der Hochalpen, dann die dunstverhangene Poebene, die Hügel und Berge des Apennin und schließlich, schon im Sinkflug, die Küste der Maremma mit ihren Inseln sowie geheimnisvolle Kraterseen erloschener Vulkane inmitten stiller Landschaften.

Plötzlich taucht die »Urbs« auf, die »Stadt« schlechthin, wie sie die alten Römer nannten. Das blaugrüne Band des Tibers und die dunkelgrünen Parks unterteilen die Flächen gelbrötlicher Palazzi, die sich bis zu den Abruzzen und Albanerbergen erstrecken. Dann scheint, wie eine steinerne Krone, die marmorweiße Kuppel des Petersdoms auf.

Rom ist der Nabel der Welt, so sehen es jedenfalls viele Römer. Heimat der Cäsaren, Bühne der Päpste, Metropole Italiens, mal quirlig, mal beschaulich, stolz und romantisch, nobel und derb, tausend Mal tot gesagt und doch immer aufs Neue aus den eigenen Ruinen auferstehend.

Für viele Deutsche ist Rom, mehr als 200 Jahre nach Goethes italienischer Reise, noch immer ein Sehnsuchtsziel. Etliche Besucher empfinden Rom als schönste Stadt der Welt – vor Paris, London oder New York. Sie werfen eine Münze in den Trevi-Brunnen, um ganz bestimmt zurückzukommen.

Wer länger in Rom bleibt, gar Jahre dort lebt, wird es in seiner Grandezza und seiner Schäbigkeit entweder lieben oder hassen lernen. Das römische Alltagsleben mit Schule, Beruf, Verpflichtungen fühlt sich ganz anders an als eine Urlaubsreise. Manche wollen nicht wieder von hier weg, andere geben entnervt auf. Eines aber ist gewiss: Kalt lässt Rom keinen. Und wer sich einmal in die Stadt am Tiber verliebt hat, kommt nie mehr von ihr los.

Rund um die Piazza Navona

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BUSSE 62, 64 U. A. BIS C.SO VITTORIO EMANUELE/NAVONA

Die sprechende Statue

PIAZZA PANTALEO

TIPP

EINE WEITERE FRÜHER SPRECHENDE
STATUE IST DER BABUINO IN DER
VIA DEL BABUINO.

1.1.tif

Rom ist voller steinerner Skulpturen. Als stille Zeugen der Geschichte stehen sie im Großstadt-Getümmel. Doch was heißt hier still: Anfang des 16. Jahrhunderts begannen einige Statuen zu sprechen. Die Römer hängten ihnen nachts Schilder um den Hals oder klebten Zettel an die Sockel, auf denen sie ihren Ärger und ihren Spott über »die da oben« kundtaten. Sie lästerten, gern in Versen, über die Verschwendungssucht der Päpste oder verulkten die Arroganz von Adeligen.

»Statue parlanti«, sprechende Statuen, wurden diese Skulpturen genannt. Das Volk gab ihnen phantasievolle Namen wie »Abate Luigi« oder »Madama Lucrezia«. Mancher Pontifex war über diese Lästermäuler so erbost, dass er sie in den Tiber werfen wollte. Doch dazu kam es nie.

Heute sprechen diese Statuen nicht mehr. Bis auf eine – Pasquino genannt. Er steht vor einem Palazzo an der Piazza Pantaleo. Pasquino ist ein Torso, ihm fehlen Arme und Beine. Doch sein bärtiges Gesicht ist gut erhalten.

Die Skulptur aus dem 3. Jahrhundert vor Christus soll einen griechischen Krieger darstellen oder Menelaos, den König von Sparta. Der Torso wurde in der Renaissance gefunden und aufgestellt. Bald wurde er zur ersten sprechenden Statue. Die Römer nannten sie Pasquino, nach einem Handwerker, Wirt oder Barbier, der ein loses Mundwerk hatte. Der steinerne Pasquino wurde mit Sprüchen wie »Quod non fecerunt barbari fecerunt Barberini« berühmt – »Was die Barbaren nicht getan haben, haben die Barberini getan.« Der Spott galt Papst Urban VIII. aus der Barberini-Familie, der Bronzeteile des Pantheons einschmelzen ließ, um daraus Kanonen zu gießen. Auch der Borgia-Papst Alexander VI. wurde zum Ziel Pasquinos. Über ihn hieß es: »Hier ruht Alexander VI. Und mit ihm liegt begraben, was er verehrte: Luxus, Zwietracht, Betrug, Gewalt, Verbrechen.«

Nach einer gewissen Pause begann Pasquino wieder zu reden, als Adolf Hitler 1938 nach Rom fuhr. Danach ging es mit mokanten Sprüchen weiter. Vor einigen Jahren wurde die Statue restauriert. Seither wünscht die Stadtverwaltung, dass Pasquino nicht mehr beklebt wird. Vergeblich. Am Sockel sind heute wieder Verse zu finden, die sich etwa über den Korruptionsskandal Mafia Capitale lustig machen. Als Pasquinade oder Pasquill wird noch heute allgemein eine Spottschrift bezeichnet. Vielleicht versuchen Sie sich in Rom ja mal an einer. Aber lassen Sie sich nicht erwischen.

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BUSSE 30, 79, 81 U. A. BIS RINASCIMENTO; 46, 62 U. A.
BIS C.SO VITTORIO EMANUELE/NAVONA

Auf der schönsten Piazza der Welt

PIAZZA NAVONA

TIPP

DAS BERÜHMTE TARTUFO-EIS
DES CAFFÈ TRE SCALINI GIBT ES
AUCH ZUM MITNEHMEN

WWW.TRESCALINI.IT

2.2.tif

Italien besitzt etliche Orte, die sich um den Titel der schönsten Piazza der Welt bewerben könnten: die Piazza San Marco in Venedig, die Piazza del Campo in Siena oder die Piazza San Pietro in Rom. Unter all diesen Schönheiten aber sticht eine als prima inter pares heraus: die Piazza Navona. Vormittags oder gegen Abend, wenn das schräg einfallende Sonnenlicht die feuerfarbenen Palazzi aufflammen lässt und die barocke Fassade der Kirche Sant’Agnese ins Schwingen versetzt, zeigt sich der Platz in fast überirdischer Schönheit. Der Spaziergänger, der aus den Gassen der Altstadt heraustritt in diesen lichten Raum mit seinen plätschernden Brunnen, wird bezaubert sein, egal, wie oft er schon hier war.

Ein Problem aber gibt es, das den Zauber zerreißt und die Brunnen übertönt: der Rummel, der hier herrscht. Der Platz wimmelt von Menschen, die in babylonischer Sprachenvielfalt durcheinanderrufen. Wimpelbewehrte Reiseführer bugsieren ihre Gruppen durchs Getümmel, Schulklassen umlagern den Vierströmebrunnen, um Arme und Füße im Wasser zu kühlen. Überall haben Künstler oder Menschen, die sich als solche ausgeben, ihre Staffeleien aufgestellt. Sie verkaufen Gemälde mit Ansichten aus Rom und ganz Italien, gern in psychedelischen Farben. Dann sind da noch Porträtisten und Karikaturisten, fliegende Händler, Bettler, Taschendiebe, Musiker, Jongleure und lebende Statuen.

Das gilt für gewöhnliche Zeiten. Im Dezember und Anfang Januar kommt der Weihnachtsmarkt hinzu, der hier »Mercatino di Natale della Befana« heißt. Die Hexe Befana fliegt in der Nacht zum 6.  Januar auf dem Besen herum und tut, was in Deutschland an Heiligabend das Christkind macht: Sie bringt Geschenke.

An den Ständen werden Hexenpuppen feilgeboten, Krippenfiguren aus Neapel, blinkende Christbaumkugeln, Luftballons und Kriegsspielzeug. Ein Karussell dreht sich, ein Puppentheater wirbt um Aufmerksamkeit, die Kinder zupfen von ihrer Zuckerwatte ab, während sich ihre Eltern einen Glühwein holen, der hier, wie in Frankreich, »vin brulé« heißt.

Dem kunstsinnigen Reisenden mag das alles zu bunt werden. Doch dieser Platz war schon immer ein Ort des Spektakels. Kaiser Domitian ließ hier im Jahr 86 nach Christus ein Stadion bauen, das gut 30 000 Zuschauer fasste. Auf den Fundamenten der Zuschauerränge wurden später Palazzi gebaut. Daher hat die einem langgestreckten Oval ähnelnde Piazza Navona noch immer die Form des antiken Stadions. Im 18. und 19. Jahrhundert fluteten die Römer gern den Platz, um ihn für Seefeste, Wasserspiele und als Freibad zu nutzen. Wie das aussah, zeigen Gemälde und Stiche, zum Beispiel von Giovanni Paolo Pannini und Giuseppe Vasi.

Der Platz sorgte und sorgt also immer für Unterhaltung. Schwierig wird es nur, wenn man ihn für sich haben möchte. Doch unmöglich ist es nicht. Es gilt, früh, sehr früh, aufzustehen und gleich loszulaufen. Da liegt sie, die pittoreske Piazza, menschenleer im klaren Licht. Na gut, ein paar Damen mit ihren Hunden und ein Radler sind schon unterwegs. Doch die stören nicht. In aller Ruhe lassen sich die beiden erstaunlichsten Kunstwerke der Piazza bewundern: die Kirche Sant’Agnese des Architekten Francesco Borromini und der Vierströmebrunnen seines Kollegen Gian Lorenzo Bernini. Die beiden fast gleich alten Barock-Genies wetteiferten im Rom des 17. Jahrhunderts darum, wer der größere Künstler sei. Die Konkurrenz artete in Feindschaft aus. Der Stadt kam das zugute, denn beide gaben ihr Bestes.

Die Römer erzählen gern, das Duell sei auf der Piazza Navona sozusagen in Stein gemeißelt. Tatsächlich reckt einer von Berninis Flussgöttern am Brunnen, der Rio de la Plata, die linke Hand abwehrend gegen die Kirche, als werde diese gleich einstürzen. Borromini soll deswegen die Statue der Heiligen Agnes auf die Balustrade seiner Kirchenfassade gestellt haben. Sie hält sich die rechte Hand vor die Brust, als wolle sie beteuern: Diese Kirche bleibt stehen.

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BUSSE 30, 46 U. A. BIS ARGENTINA

Wo die Sünde süß ist

VIA DEL PIE’ DI MARMO 21/22

TGL. 9–19.30 UHR

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Es waren einmal zwei Cousins, Agostino Moriondo und Francesco Gariglio. Die gründeten 1850 in Turin eine Schokoladen-Manufaktur. Da sie sehr tüchtig waren, durften sie den König aus dem Haus Savoyen beliefern, der in Turin residierte. Durch die Einigung Italiens im Jahr 1861 wurden die Savoyer Könige des ganzen Landes und zogen nach Rom. Ihre Chocolatiers folgten ihnen nach. Und obwohl sie längst gestorben sind, lebt ihr Werk weiter, in einem Sträßchen unweit des Pantheons.

In der Schokoladenhandlung Moriondo e Gariglio in der Via del Pie’ di Marmo nehmen die Sinne als Erstes den feinen Kakaogeruch wahr. Dann schweift der Blick über Glasvitrinen, in denen im gedämpften Licht Kostbarkeiten locken, als seien es Juwelen. Es sind Pralinen in allen Varianten, Torrone-Barren, Nougat-Stücke, Bonbons und glasierte Maronen, Stück für Stück handgemacht, nach alten Rezepten des Hauses. Schnell sind die anderen Verlockungen Roms vergessen. Jetzt heißt es probieren.

»Es wird alles hier zubereitet«, sagt Attilo Proietti, der Chef des Hauses. »Wir verwenden nur natürliche Zutaten wie Kakao, Früchte und Zucker. Keine Glucose. Keine Farbstoffe.« Schon der Volksdichter Trilussa – dem in Trastevere ein Platz und ein Denkmal gewidmet sind – habe hier eingekauft und der Schokoladenhandlung Gedichte gewidmet. Und Giorgio Napolitano habe, als er italienischer Präsident war, hier im Laden Pralinen für seine Frau Clio ausgewählt.

Sie sind auf Diät? Ausgerechnet in Rom? Hier brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Denn im Moriondo e Gariglio wird gern auf einen italienischen Ernährungswissenschaftler verwiesen, der fordert, bei einer strengen Diät täglich 30  Gramm Zartbitter-Schokolade zu essen. Wobei hinzuzufügen wäre: mindestens.

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BUSSE 62, 83 U. A. BIS CORSO/MINGHETTI

Das Wunder von Sant’Ignazio

VIA DEL CARAVITA 8A

WWW.SANTIGNAZIO.GESUITI.IT

MO – SA 7.30–19 UHR, SO 9–19 UHR

TIPP

DIE NAHE PIAZZA DI PIETRA MIT IHREN BARS UND RESTAURANTS SAMT BLICK AUF DIE TEMPELRESTE DES HADRIANEUMS EIGNET SICH GUT FÜR EINE PAUSE.

4.1.tif

Keine andere Stadt der Welt rühmt sich so vieler Kirchen wie Rom. Mehr als tausend sollen es sein, wenigstens 300 von ihnen sind absolut sehenswert. Der Besucher könnte sich monatelang mit ihnen beschäftigen. Wer wenig Zeit hat – oder diese nicht nur mit Kirchen verbringen will –, dem stellt sich das Problem: Was besichtigen? Und was weglassen?

Die Antwort ist natürlich eine Frage der Perspektive. Wer dem Papst nahekommen will, eilt nach Sankt Peter. Wer die Gotik liebt, schaut sich Santa Maria sopra Minerva an. Auch wer moderne Kunst bevorzugt, wird in der Ewigen Stadt fündig, zum Beispiel im Viertel Tor Tre Teste, wo der 2003 eingeweihte Sakralbau Dio Padre Misericordioso des amerikanischen Architekten Richard Meier steht.

Auch für Menschen, die sich gern ein bisschen reinlegen lassen, hält Rom eine Überraschung bereit: Sant’Ignazio. Schon die gleichnamige Rokoko-Piazza mit den konkaven Fassaden der Palazzi, die wie eine Theaterkulisse wirken, verblüfft. Das künstlerische Hauptstück aber wird drinnen in der einschiffigen Barockkirche aufgeführt. Sie entstand zu Ehren von Ignatius von Loyola, des Gründers des Jesuitenordens, im 17. Jahrhundert. Es war die Zeit der Gegenreformation. Die katholische Kirche versuchte auch mit den Mitteln der Kunst, die Menschen so zu beeindrucken, dass sie zu ihr zurückkehren sollten. Daher wurde das Kircheninnere Sankt Ignazios derart sinnenfreudig ausgestattet, dass einem schwindelig wird.

Wer sich auf eine Marmorscheibe im Langhaus stellt und nach oben blickt, glaubt, in den Himmel zu sehen. Architektur, Skulptur und Malerei gehen so geschickt ineinander über, dass die Illusion eines nach oben offenen Raums entsteht, durch den Wolken ziehen und Engel flattern. Sobald man jedoch die Marmorplatte verlässt, beginnen sich die Proportionen zu verzerren. Der »Betrug« wird sichtbar. Verantwortlich dafür ist der Jesuit und Maler Andrea Pozzo, der bis 1685 in Sant’Ignazio gearbeitet hat. In seinem zweibändigen Werk Perspectiva pictorum et architectorum hat er die Kunst der architektonischen Perspektivmalerei dargelegt.

Wer noch ein bisschen weiter vor zur Vierung geht und wieder nach oben schaut, blickt in eine gewaltige Barockkuppel, ein weiteres Wunderwerk Pozzos. Noch ein paar Schritte, und es wird klar: Auch die Kuppel ist nur gemalt.

Der Grund: Beim Bau der Kirche wurde den Jesuiten das Geld knapp. Außerdem erhob ein anderer Orden in Rom Einspruch gegen die Errichtung einer Kuppel, weil sie ihm Licht nehmen würde. Daher mussten die Jesuiten über der Vierung eine flache Decke einziehen. Pozzo löste das Problem mit seiner Trompe-l’œil-Malerei. So lehrt er den Betrachter, dass alles eine Frage der Perspektive ist.

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BUSSE 30, 70 U. A. BIS SENATO

Madonna mia

PIAZZA DELLA ROTONDA

TIPPS

DER PLATZ VOR DEM PANTHEON IST ABENDS BESONDERS STIMMUNGSVOLL.

GEPFLEGT RÖMISCH IST DIE KÜCHE
IM RISTORANTE ARMANDO
AL PANTHEON UM DIE ECKE.

SALITA DEI CRESCENZI 31

WWW.ARMANDOALPANTHEON.IT

MO – FR 12.30–15 UND 19–23 UHR;
SA 12.30–15 UHR

5.1.tif

»Wenn ich etwas verliere, rufe ich die Madonna an. Und dann finde ich es«, erläutert Sara, eine Zimmerwirtin im Stadtteil Prati, als handele es sich um ein Naturgesetz. Und die Madonna findet sich in Rom keineswegs nur in den Kirchen, sondern auch an allen Straßen und Plätzen – na gut, an fast allen.

»Madonnelle« oder »Madonnine« nennen die Römer die Bildnisse Marias an den Häusern ihrer Stadt. Manchmal sind es ganz bescheidene Figürchen in dunklen Gassen, mit Plastikblumen und elektrischem Rotlicht geschmückt. Dann wieder präsentieren sie sich als prächtige, von Stuckengeln eingerahmte Fresken oder Reliefbilder an den Fassaden der Palazzi, oft von einem Baldachin geschützt. Allen gemeinsam ist, dass Touristen sie kaum wahrnehmen, weil es so viel anderes in Rom zu sehen gibt.

Und die Römer? Ihnen sind diese himmlischen Hoffnungsbilder so vertraut wie altehrwürdige Möbelstücke in der Stube. Auch wenn sie die Mutter Gottes nur unterbewusst wahrnehmen, so wirkt sie doch beruhigend und stärkend auf ihren Alltag ein.

Wie viele Madonnine gibt es wohl in Rom? Einst sollen es mehr als 1500 gewesen sein. Heute sind es immer noch mehr als 500. Die meisten von ihnen beschützen das historische Zentrum, und wer seine Kinder zu Touren durch die Altstadt animieren möchte, mag das Spiel vorschlagen, wer mehr Madonnen-Bildnisse findet. Vielleicht erhöht es den Reiz, zu erzählen, dass schon die vorchristlichen Römer kleine Außenaltäre für ihre Götter bauten, um die Passanten zu schützen.