Über dieses Buch:
Wenn sich das Böse in dein Leben schleicht …
Ein harmloser Wochenendtrip unter Freunden entpuppt sich in FEUERVÖGEL als Alptraum, aus dem es kein Erwachen gibt. Und in AMADONS OPFER muss ein Teenager entdecken, was hinter den düsteren Machenschaften seiner Lehrer steckt.
Schließt eure Türen fest zu – und macht euch bereit für den ALMANACH DES GRAUENS: Die Bestsellerautoren Wolfgang Hohlbein und Dieter Winkler wecken die Kreaturen der Dunkelheit – und verbeugen sich in ihren Horror-Stories vor legendären Altmeistern des Schreckens.
Über die Autoren:
Wolfgang Hohlbein, 1953 in Weimar geboren, ist Deutschlands erfolgreichster Fantasy-Autor. Der Durchbruch gelang ihm 1983 mit dem preisgekrönten Jugendbuch MÄRCHENMOND. Inzwischen hat er 150 Bestseller mit einer Gesamtauflage von über 44 Millionen Büchern verfasst. 2012 erhielt er den internationalen Literaturpreis NUX.
Bis 1996 war Dieter Winkler Chefredakteur der erfolgreichen Computerzeitschrift CHIP. Seitdem widmet er sich ausschließlich dem Schreiben. Winkler unterhält mit spannungsgeladenen Kurzgeschichten und Romanen, deren Themenspektrum sich zwischen Fantasy und Internet erstreckt.
Wolfgang Hohlbein im Internet: www.hohlbein.de
Bei dotbooks veröffentlichte Wolfgang Hohlbein die Romane Azrael
Azrael – Die Wiederkehr
Fluch – Schiff des Grauens
Das Netz
Im Netz der Spinnen
sowie die ELEMENTIS-Trilogie mit den Einzelbänden Flut, Feuer und Sturm und die große ENWOR-Saga
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Überarbeitete eBook-Neuausgabe Juni 2016
Feuervögel erschien bereits in Wolfgang Hohlbeins Fantasy Selection 1999. Weitbrecht Verlag, 1999.
Amadons Opfer erschien in Wolfgang Hohlbeins Fantasy Selection 1999. Weitbrecht Verlag, 1999.
Copyright © der Originalausgabe 1998 by Weitbrecht Verlag in K. Thienemanns Verlag
Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs
Titelbildabbildung: © Subbotina Anna (fotolia.com)
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH
ISBN 978-3-95824-687-4
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Wolfgang Hohlbein
Dieter Winkler
Almanach des Grauens
Horror-Stories
dotbooks.
von Wolfgang Hohlbein
Agenten sind ein seltsames Völkchen. Wohlgemerkt, ich spreche nicht von Geheimagenten à la James Bond, sondern von literarischen Agenten; der wirklich gefährlichen Spezies also. Obwohl der Unterschied gar nicht so groß ist, wie man glauben mag.
Mein Agent zum Beispiel: Er ist manchmal wochenlang spurlos verschwunden, redet oft in einer sonderbaren Sprache, die niemand so richtig versteht, und ich argwöhne schon seit einer geraumen Zeit, dass seine Arbeit so streng geheim ist, dass er manchmal selbst nicht so richtig weiß, was er eigentlich tut.
Warum ich das alles erzähle? Keine Ahnung. Mit irgendetwas muss ich ja schließlich die Sei ten füllen.
Oder vielleicht weiß ich es doch: Manchmal verdienen sich Agenten ihr exorbitantes Honorar nämlich wirklich; auch wenn meiner ständig behauptet, er würde nur von mir bezahlt, um gemein zu meinen Verlegern zu sein. (Das ist nicht wahr. Dafür zahle ich keinen Pfennig, das macht er ganz umsonst…)
Die nachfolgende Geschichte jedenfalls hat mir mein Agent erzählt. Er hat sie nämlich selbst erlebt. Ich glaube ihm das, denn sie ist einfach zu bizarr, um sie sich auszudenken. Wenn Sie sie gelesen haben, werden Sie vielleicht besser verstehen, warum ich immer behaupte, dass die besten Horrorgeschichten die sind, die das Leben selbst schreibt.
Ich habe die Charaktere, die Personenkonstellation und (aus dramaturgischen Gründen) das Ende geändert, aber die Geschichte selbst hat sich vor einigen Jahren genau so zugetragen.
Behauptet jedenfalls mein Agent.
Und Agenten würden doch niemals lügen. Oder?
***
»Das ist es?!« Noras Unterkiefer klappte in einer ungläubigen Grimasse herab und ihre Augen quollen tatsächlich ein Stück weit aus den Höhlen. Sie sagte noch einmal: »Das ist es? Das ist es wirklich?«, und ihre Stimme wurde dabei zu einem fast komisch klingenden Piepsen; als hätte ihr der Anblick im wahrsten Sinne des Wortes den Atem verschlagen.
Nicolas zündete sich eine Zigarette an – die erste seit dem Frühstück. Die Flamme des Feuerzeuges warf tanzende rote Lichtreflexe auf Noras Gesicht, was die Grimasse ungläubigen Staunens noch bizarrer erscheinen ließ. Er sog den Rauch tief und fast gierig in seine Lungen und genoss das leichte Schwindelgefühl, das er hinter seiner Stirn auslöste. Für einen starken Raucher wie ihn waren die letzten acht Stunden die reinste Tortur gewesen, aber zusammen mit drei militanten Nichtrauchern im Wagen hatte er keine Chance gehabt.
Aber nun hatten sie es geschafft. Vor ihnen lag noch ein kurzer Fußmarsch, und dann ein Bad und zwölf Stunden Schlaf, und die Welt sah schon wieder ganz anders aus.
Nora konnte gar nicht aufhören von dem Haus zu schwärmen. »Das ist ja phantastisch!«, murmelte sie immer wieder. »So etwas habe ich ja noch nie gesehen. Ich kann kaum fassen, dass du uns so etwas gemietet haben sollst!«
Das konnte Nick im Grunde auch nicht. Und Frank würde es erst recht nicht glauben, wenn er die Rechnung bekam. Aber er hatte ihm gesagt, er solle etwas Außergewöhnliches suchen, etwas Schnuckeliges mit Atmosphäre. Er hatte nichts von billig gesagt.
Er selbst fand das Haus eher unheimlich. Als sie über den Hügel gefahren waren, hatte es zu dämmern begonnen. Jetzt war die Sonne untergegangen, nur hinter dem Haus war noch ein schnell verblassender grauer Schimmer zu sehen, gegen den sich das Gebäude als scharf umrissener Schatten abhob. Mit seinen Erkern und Türmchen, ineinander geschachtelten Giebeln und hohen Kaminen wirkte der Umriss wie aus einem Walt-Disney-Film. Das Haus der bösen Hexe vielleicht, oder das Schloss des Magiers. Im Erdgeschoss brannte nur hinter einem einzigen Fenster Licht, was die Schwärze des umgebenden Schattens noch zu verstärken schien. Das Haus hatte Atmosphäre. Die Frage war nur, welcher Art.
Der nichts ahnende Finanzier dieser pittoresken Idylle sah die ganze Angelegenheit etwas nüchterner. »Das sind mindestens dreihundert Meter«, nörgelte er. »Konntest du kein Haus finden, an das man mit dem Wagen heranfahren kann?«
»Doch«, antwortete Nick. »Das Holiday Inn in Rostock. Oder das Vier Jahreszeiten in Berlin.« Er verdrehte die Augen. »Du hast nicht den geringsten Sinn für Romantik, weißt du das?«
»Und ob ich den habe«, knurrte Frank. »Sobald mich jemand dafür bezahlt.«
Cora kicherte albern und Nick verdrehte abermals die Augen, sparte sich aber jede Antwort. Frank hatte in einer Beziehung Recht: Es waren ziemlich genau dreihundert Meter bis zum Haus hinauf, noch dazu mit einer nicht zu unterschätzenden Steigung und auf einem uralten Schotterweg, auf dem bei Dunkelheit jeder Schritt zu einem nicht mehr kalkulierbaren Risiko wurde. Sie waren alle müde und geschafft von der langen Fahrt und sie hatten eine verdammte Menge Gepäck mitzuschleppen.
Während Frank und er die Koffer aus dem Wagen luden, kramte Nora ihren Fotoapparat hervor und begann Aufnahmen von dem Haus zu machen. Nick lachte in sich hinein. Sie würde sich wundern, wenn sie den Film entwickeln ließ und herrliche Bilder von einer schwarzen Fläche und einem winzigen leuchtenden Rechteck bekam.
Er schulterte Noras Reisetasche – die Tasche war so schwer, als hätte Nora bei ihrem letzten Ägyptenurlaub die Spitze der Cheopspyramide eingepackt –, griff sich seinen und Franks Koffer – nicht aus Höflichkeit, sondern einzig, weil es der erste war, der ihm entgegenfiel – und machte sich auf den Weg zum Haus. Frank folgte ihm in zehn Metern Abstand, während Nora noch fotografierte und Franks neue Bettgespielin (Hieß sie überhaupt Cora? Frank wechselte seine Damenbekanntschaften im Moment so schnell, dass Nick sich kaum noch die Mühe machte sich ihre Namen zu merken) wie üblich herumtrödelte; wahrscheinlich, bis jemand kam, um ihr auch noch das letzte Gepäckstück abzunehmen.
Der Weg zum Haus hinauf zog sich. Die Koffer schienen mit jedem Schritt ein wenig schwerer zu werden und der Riemen der Reisetasche schnitt schmerzhaft in seine Schulter. Außerdem glitt er tatsächlich auf dem lockeren Geröll aus und rettete sich nur durch einen hastigen Schritt davor, zur Erheiterung aller anderen auf der Nase zu landen.
Nick war vollkommen außer Atem, als sie das Haus erreichten. Außerdem war er zwar am ganzen Körper in Schweiß gebadet, fror aber trotzdem so sehr, dass seine Zähne klapperten. Die gut funktionierende Heizung des Volvo und der wolkenlose Himmel hatten sie alle vergessen lassen, dass Weihnachten noch keine zehn Wochen her war. Nick trug nur Jeans und eine dünne Strickjacke über seinem ärmellosen T-Shirt.
Je näher sie dem Haus kamen, desto mehr schien es an Atmosphäre zu gewinnen. Die Nacht war mittlerweile vollends hereingebrochen, aber der Himmel blieb sternenklar und es herrschte beinahe Vollmond, sodass es nicht ganz dunkel wurde. Das Haus kam ihm sehr viel größer vor als auf dem Foto. Und es war in eindeutig schlechterem Zustand. Etliche Fenster in den oberen Stockwerken waren zerbrochen und mit Brettern vernagelt, die Hälfte der Fensterläden fehlte. Sämtliche Scheiben starrten vor Schmutz und über den Zustand des Daches wagte Nick erst gar nicht nachzudenken.
Er steuerte die Tür neben dem einzigen erleuchteten Fenster an und biss die Zähne zusammen, um nicht auf den letzten Metern schlappzumachen. Plötzlich schoss etwas Kleines, Dunkles auf ihn zu, streifte um ein Haar sein Gesicht und verschwand schimpfend in der Dunkelheit. Nick duckte sich erschrocken und ließ nun tatsächlich einen der Koffer fallen – Franks, nicht seinen eigenen. Sein Herz begann heftig zu pochen.
Frank, der nur zwei Schritte hinter ihm ging, lachte leise. »Das war nur ein Sperling, du Held! Seit wann bist du so schreckhaft?«
Nick schaute dem davonflatternden Schatten nach, bis er in der Dunkelheit verschwunden war. »Nur ein Spatz?« Ihm war es größer vorgekommen, viel größer.
»Nur ein Spatz«, bestätigte Frank grinsend. »Was hast du geglaubt, was es ist? Der Hund von Baskerville?«
Nur ein Spatz, dachte Nick noch einmal. Frank hatte Recht. Es war nur ein Spatz gewesen. Das sollte ihn eigentlich beruhigen, tat es aber nicht. Er nahm den Koffer wieder auf und ging weiter. Er sagte nichts.
Das Haus schien irgendwie noch mehr an Unheimlichkeit zu gewinnen, je näher sie kamen. Nick war mittlerweile in einer Verfassung, in der es ihn kaum noch erstaunt hätte, wäre die Tür aufgegangen und Tim Curry in Strapsen herausgetreten, um sein unverwechselbares sardonisches Grinsen zu zeigen.
Tatsächlich ging die Tür auf, als sie noch zwei Schritte entfernt waren. Ein vielleicht vierzigjähriger, ungepflegt wirkender Bursche mit langem Haar und schmutzigen Händen starrte eine Sekunde lang finster zu ihnen heraus, fokussierte seinen Blick dann auf Nick und sagte: »Sie müssen dieser Schriftsteller sein.«
Nick setzte den Koffer zu Boden, schüttelte den Kopf und deutete mit dem Daumen über die Schulter zurück. »Das ist er. Aber wenn Sie Peter Vanlo sind, dann haben wir miteinander telefoniert. Mein Name ist Nicolas. Aber Sie können mich Nick nennen. Das tun alle.«
Er ignorierte Vanlos Aussehen, so gut er konnte, zwang sich zu einem offenen Lächeln und streckte die Hand aus. Kälte und Erschöpfung ließen seine Finger zittern.
»Ich bin Peter«, bestätigte der andere. Er ignorierte Nicks Hand ebenso wie Franks grüßendes Nicken, schob die Tür weiter auf und trat gleichzeitig vollends aus dem Haus. »Haben Sie noch Gepäck unten im Wagen? Ich hole es. Gehen Sie schon mal rein. Kaffee steht auf dem Herd. Ist aber schon eine Stunde alt. Sie kommen zu spät.«
»Wir hatten Mühe die richtige Straße zu finden«, sagte Frank. »Ihr kleines Tal liegt ziemlich versteckt.«
Peter sah ihn eine Sekunde lang verständnislos an, dann zuckte er wortlos mit den Schultern, drehte sich um und schlurfte davon, um das restliche Gepäck zu holen.
Frank sah ihn verwirrt – und vielleicht ein ganz kleines bisschen vorwurfsvoll – an, aber Nick konnte nur mit den Schultern zucken. Nick hatte nur zweimal mit Vanlo telefoniert und da hatte er vollkommen … anders geklungen. Aber irgendwie war hier eigentlich alles anders, als er es sich vorgestellt hatte.
Er nahm den Koffer wieder auf – nur seinen eigenen – rückte den Tragriemen der Tasche zurecht und legte rasch die letzten Schritte bis ins Haus zurück.
Dort erlebte er die nächste Überraschung und auch sie war nicht besonders angenehm. Nick hatte keine konkrete Vorstellung vom Inneren des Hauses gehabt – das aber hatte er jedenfalls nicht erwartet. Der Raum maß höchstens acht mal fünf Schritte und wirkte so heruntergekommen und ungepflegt wie sein Besitzer. Das spärliche Mobiliar musste hundert Jahre alt sein und gehörte nach Nicks Dafürhalten auf den Sperrmüll. Es gab eine Vitrine mit glasgefüllten Türen, die so schmutzig waren, dass man nicht mehr hindurchsehen konnte, einen zerschrammten Tisch mit drei wenig Vertrauen erweckend aussehenden Stühlen und einen gewaltigen Kanonenofen, der im Umkreis von drei Metern eine schier unerträgliche Hitze verbreitete, trotzdem aber nicht in der Lage war das gesamte Zimmer zu heizen. Ein unangenehmer Geruch hing in der Luft – das typische Aroma eines Kohleofens, aber auch noch etwas, das Nick nicht einzuordnen vermochte, das aber sehr unangenehm war.
Nick stellte den Koffer zu Boden, ließ die schwere Reisetasche von der Schulter gleiten und massierte sein schmerzendes Schlüsselbein, während er sich zur Tür hemmdrehte.
Frank kam herein und sah sich stirnrunzelnd um. Ohne seinen Koffer. »Hübsch«, sagte er. »Ein Ort, an dem man sozusagen den Atem der Geschichte spürt.« Er seufzte.
»Sag mir nicht, dass du mein gutes Geld dafür ausgegeben hast.«
Nick rang sich die Andeutung eines Lächelns ab, und ein noch schwächeres Schulterzucken. Er war nicht unbedingt schockiert, aber nicht weit davon entfernt. »Warten wir ab, bis Peter wiederkommt. Wahrscheinlich ist das hier nur so etwas wie das … Gesindezimmer.«
»Gesindel würde eher passen«, sagte Frank. »Ich hoffe, der Rest der Bude sieht nicht genauso aus. Aber was kann man schon von einem Kaff erwarten, das Crailsfelden heißt!«
Nick sagte vorsichtshalber nichts dazu. Frank war heute nicht besonders gut drauf – aber das war im Grunde schon seit Monaten so. Einer der Gründe, aus denen sie hierhergekommen waren. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen.
Schritte näherten sich, aber es war nicht Peter mit ihrem Gepäck, sondern Cora und Nora. Nicht zum ersten Mal musste Nick innerlich über diesen Gleichklang lachen. Die beiden Frauen waren sich so unähnlich, wie es nur ging. Nora war dunkelhaarig, nicht mehr ganz so schlank wie vor fünf Jahren, als sie sich kennen gelernt hatten, aber alles andere als dick, hatte dunkle Augen und ein einfach unwiderstehliches Lächeln. Sie war eine sehr kluge Person, hatte sich aber eine kindliche Begeisterungsfähigkeit erhalten und baute ihn nur zu oft wieder auf, wenn er down war. Ohne sie hätte er die letzten Jahre mit Frank wahrscheinlich nicht durchgestanden.
Cora hingegen war … nun, eben Cora. Frank hatte vor zwei Wochen im Suff behauptet, dass er sie sich im Grunde nur geangelt (er hatte tatsächlich geangelt gesagt) hatte, weil er die Namensgleichheit zwischen ihr und Nora so komisch fand, und Nick glaubte ihm. Es lohnte sich nicht, sich den Kopf über sie zu zerbrechen. In wenigen Wochen würde sie sowieso der Vergangenheit angehören, wie alle anderen vor ihr.
Cora jedenfalls kam herein, riss die Augen auf und ließ eine Kaugummiblase vor dem Mund platzen, als sie ihr neues Domizil erblickte. Nora drehte sich rasch herum, sah in Nicks Richtung und zog eine so komische Grimasse, dass es Nick schwer fiel, nicht vor Lachen laut loszubrüllen.
»Gemütlich«, sagte sie. »Vielleicht hätte ich doch ein paar Fotos weniger machen sollen.«
»Aber wieso?«, fragte Frank. »So hast du wenigstens eine Erinnerung an die schönsten dreißig Sekunden unseres Aufenthaltes.«
Nick seufzte. Er sagte nichts.
»Aber das … ist nicht unser Zimmer, oder?«, piepste Cora. »Ich meine, es ist ein … bisschen klein.«
Nick drehte sich hastig herum und biss sich so heftig auf die Zunge, dass es wehtat. Die Kleine musste wirklich vollkommen gut im Bett sein, wenn Frank alles andere ertrug. Ungeheuer gut sogar.
Nora ging zum Herd, hob mit spitzen Fingern den Deckel der Kaffeekanne an und schnüffelte daran. »Er scheint wirklich schon lange hier zu stehen«, sagte sie.
»Was hier so übel riecht, ist nicht der Kaffee«, sagte Frank. »Es ist das Haus.« Er durchbohrte Nick bei diesen Worten regelrecht mit Blicken, aber Nick zog es vor, auch darauf nicht zu reagieren. Er hatte keine Angst vor Frank – Gott bewahre, bestimmt nicht – aber er hatte keine Lust mit ihm zu streiten. Sich mit ihm herumzuschlagen war wie ein Kampf gegen Windmühlenflügel: Es war nicht besonders schwer, ungeschoren davonzukommen, aber man konnte auch nicht gewinnen.
Ihre Unterhaltung versiegte, bis Peter zurückkam, in jeder Hand einen Koffer und zwei weitere unter die Arme geklemmt. Der Bursche schien das Klischee vom dummen Muskelprotz wirklich zu erfüllen. Er schob die Tür mit dem Fuß hinter sich zu, ließ seinen Blick misstrauisch durch den Raum schweifen, als ob er sich davon überzeugen wollte, dass seine Besucher auch ja nichts verändert hatten, und deutete dann mit einer Kopfbewegung auf die Tür am anderen Ende des Zimmers.
»Kommen Sie mit«, brummte er. »Ich zeige Ihnen Ihre Zimmer.«
»Sie sind doch hoffentlich etwas besser eingerichtet als dieses hier?«, fragte Frank.
»Sie sind größer«, antwortete Peter. »Passt auf, wo ihr hintretet. Das Licht funktioniert nicht überall.«
Frank verdrehte die Augen, aber er sagte nichts, sondern hakte sich kopfschüttelnd bei Cora unter und folgte ihm. Als Nick dasselbe tun wollte, schüttelte er erneut den Kopf und sagte: »Ich glaube, mein Koffer steht noch draußen vor der Tür.«
Nick biss sich auf die Unterlippe und machte zugleich eine kaum sichtbare, besänftigende Geste in Noras Richtung. Er war ziemlich sicher, dass Frank sie trotzdem bemerkte, aber sein Grinsen wurde nur noch breiter.
»Warum zum Teufel lässt du dir das gefallen?«, fragte Nora, als er mit Franks Koffer in der Hand wieder ins Haus kam.
»Weil er mein Boss ist«, antwortete Nick.
»Er ist ein Arsch!«, ereiferte sich Nora. »Ein überheblicher, großkotziger Arsch, dem es Spaß macht, Menschen herumzuschubsen!«
»Das stimmt«, bestätigte Nick. Er setzte den Koffer ab und zündete sich eine neue Zigarette an. Die erste hatte er fallen gelassen, als er die Beinahekollision mit dem Sperling gehabt hatte. »Aber rein zufällig ist er auch einer der höchst bezahlten Drehbuchautoren des Landes. Und von jeder Mark, die er verdient, bekommen wir zehn Pfennig.«
»Das ist es nicht wert!«, behauptete Nora. »Kein Geld der Welt gibt ihm das Recht sich so aufzuführen!«
Nick war ein bisschen verwirrt über die Heftigkeit ihres Ausbruchs. Objektiv betrachtet war es nur eine Kleinigkeit. Frank hatte ihn gebeten seinen Koffer hereinzuholen – na und? Schließlich wurde er dafür bezahlt. Sie ereiferte sich auch nicht wirklich darüber. Es war nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Frank benahm sich seit Monaten unerträglich. Gutmütige kleine Sticheleien hatten seit eh und je zu ihrem Verhältnis gehört. Das war in Ordnung, und Nick genoss diese halb spielerischen, halb ernsten Frotzeleien dann und wann sogar. Oder hatte sie einmal genossen. Aber seit einigen Monaten zog Frank die Schraube immer enger an. Aus dem Spiel begann allmählich Ernst zu werden.
»Vielleicht dauert es ja nicht mehr lange«, sagte er.