cover

INTERDISZIPLINÄRE KONZEPTE:

AKADEMISCHES SCHREIBEN IN DEN NATUR- UND INGENIEURWISSENSCHAFTEN

images

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage 2016

Alle Rechte vorbehalten

© A7-24 Aumann GmbH, Coburg

Gesamtherstellung und Verlag:

A7-24 Aumann GmbH, Edition Aumann

Ketschendorfer Str. 54, 96450 Coburg

Tel. 09561/357 60 88, Telefax 09561/357 6080

E-Mail: service@edition-aumann.de

Internet: www.edition-aumann.de

Coburger Reihe – Band 1

Gestaltung: Hochschule Coburg, Alexandra Krug

Satz: Alexandra Krug, www.grafiar.de

Redaktionsteam:

Prof. Dr. Michael Lichtlein (Leitung)

Dipl. Ing. (FH) Verena Fritsch

Dr. Regina Graßmann

Prof. Dr. Kai Hiltmann

Prof. Dr. Mirko Kraft

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Das Werk ist sorgfältig erarbeitet worden. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Für Vollständigkeit, Fehler, Auslassungen u. ä. kann, insbesondere wegen der schnellen Veränderungen in Gesellschaft, Beruf, Bildung, Wirtschaft und Technik, keine Haftung übernommen werden. Vorschläge zur Verbesserung des Inhalts und der Nutzung werden gerne entgegen genommen.

ISBN:

978-3-95626-032-2 (ebook)

978-3-95626-031-5 (print)

.

Dieser Band wurde finanziell unterstützt durch die

Gesellschaft für Betriebswirtschaft HS-Coburg.

Inhalt

Einleitung

Michael Lichtlein, Hochschule Coburg

Haben Sie Interesse am Schreiben? Interessenstheoretische bzw. motivationale Aspekte des akademischen Schreibens

Andreas Hirsch-Weber, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

Zum Selbstverständnis eines germanistischen Schreibdidaktikers

Cornelia Czapla, RWTH Aachen University

Schreiben in MINT – Modulare Vermittlung der Schlüsselkompetenz Schreiben im Schreibzentrum der RWTH Aachen University mit Blick auf die MINT-Studiengänge

Carmen Kuhn, Frank Kühl, Lea Luise Kimmerle, Lisa Hertweck, Sandra Drumm, Manfred Hampe, Samuel Schabel, TU Darmstadt

Wie können Studierende an die universitäre Textproduktion im Bachelorstudium Maschinenbau herangeführt werden?

Jan Weisberg, FH Bielefeld

Modulintegrierte Schreibdidaktik am Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik der FH Bielefeld – Konzepte, Strategien, Erfahrungen

Kristina Rzehak, FH Bielefeld

Learning to be Professional. Überlegungen zur Kommunikationskompetenz im Beruf und im MINT-Studium

Zoran Ebersold, Hochschule Augsburg

Technisches Schreiben – Konsistenz auf der Gesamtebene

Regina Graßmann, Markus Knorr, Hochschule Coburg

Schreiben im Labor – Überlegungen zum akademischen Schreiben in den Natur- und Ingenieurwissenschaften

Ruth Neubauer-Petzoldt, FAU Erlangen

Gedichte lesen ist wie Äpfel essen: Ein Plädoyer für Poesie – auch für die Natur- und Ingenieurwissenschaften

Autorinnen und Autoren

Einleitung

Interdisziplinäre Konzepte: Akademisches Schreiben in den Natur- und Ingenieurwissenschaften

Der Arbeitskreis Schreiben in Natur- und Ingenieurwissenschaften kam am 07. Februar 2014 zu seinem Gründungstreffen an der Hochschule Coburg zusammen.

Der Arbeitskreis hat es sich zur Aufgabe gemacht, ausgehend von den auf der interdisziplinären Tagung Wissenschaft schreiben (09. -10. Oktober 2013, KIT Karlsruhe)1 gesetzten Schwerpunkten zum Schreiben an den Technischen Universitäten,2 das akademische Schreiben in den Natur- und Ingenieurwissenschaften zu fokussieren und die Konzeption von auf diese Fachdisziplinen speziell ausgerichteten Schreibprogrammen zu erörtern. Darüber hinaus wollen die Mitglieder des Arbeitskreises, aus der Perspektive der Sprach-, Literatur und Ingenieurwissenschaften, über Ansätze der allgemeinen Schreibforschung und Schreibdidaktik reflektieren sowie gemeinsame Linien für die Entwicklung von Schreibkursen erarbeiten.

Die Zusammenarbeit der im diesem Arbeitskreis Schreiben in Natur- und Ingenieurwissenschaften versammelten Fachdisziplinen gründet auf der gegenseitigen Wertschätzung der verschiedenen fachlichen und beruflichen Biografien der Mitglieder. Vor diesem Hintergrund will der Arbeitskreis eine Reihe aufeinander aufbauender Fragestellungen, z.B. in Band 1 der Coburger Reihe, diskutieren und spezifische Materialien für Schreibkurse ausarbeiten.

Das Selbstverständnis des Arbeitskreises folgt der Prämisse, mit Bezug auf die wissenschaftliche Mehrsprachigkeit und die internationale Wissenschaftskommunikation in der Lingua franca Englisch, den Stellenwert der Wissenschaftsund Kultursprache Deutsch bei der Wissensvermittlung und Erarbeitung von Erkenntnissen und Forschungsergebnissen herauszuarbeiten. Ferner gilt es, schreibdidaktische Wege zu beschreiben, die den Studierenden im Fachstudium Textkompetenz in Ausrichtung auf die zukünftigen Berufsfelder vermitteln, Schnittstellen des akademischen mit dem beruflichen Schreiben aufzuzeigen und somit einen Beitrag zur Sicherung der Qualität von akademischen Texten und wissenschaftlichen Abschlussarbeiten zu leisten. Denn die neuen Formen der Studiengänge, die Verkürzung der Gymnasialzeit und erweiterte Zugänge zur Hochschulausbildung haben deutliche Signale gesetzt, die Studierenden von der Studieneingangsphase an auf das akademische Schreiben vorzubereiten. Hieran schließt sich auch die Frage, inwiefern Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften die Vermittlung von Lese- und Schreibkompetenz in der Zukunft als ein eigenes Aufgabenfeld definieren können.

Das selbstständige Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten ist eng mit dem seminaristischen Lernen verbunden, das zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit der Humboldt‘schen Universitätsreform eingeführt wurde und auf die Ausbildung der Persönlichkeit ausgerichtet war. Seither wurde die Ausbildung wissenschaftlicher Textkompetenz in den deutschsprachigen Ländern, trotz deren zentraler Bedeutung für den Studienerfolg, kaum als eine eigenständige Schlüsselqualifikation eingeordnet. Hingegen konnte sich das akademische Schreiben in den anglo-amerikanischen Ländern aus dem humanistischen Ansatz heraus in den 1970er Jahren weiter entwickeln und wichtige Grundlagen für die Formulierung schreibdidaktischer Ansätze (Writing Across the Curriculum (WAC)- bzw. Writing in the Disciplines (WID)- Bewegung) liefern.

Die durch den Qualitätspakt Lehre3 zur Verfügung gestellten Fördermittel ermöglichen nun auch die Implementierung fachübergreifender und fachspezifischer Programme zum akademischen Schreiben an den Hochschulen im deutschsprachigen Raum.

Die Einführung von Schreibkursen in den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fachdisziplinen stellt sowohl für die Vertreter/innen dieser Fachdisziplinen als auch für die Schreibdidaktiker/innen eine Herausforderung dar. Denn das Schreiben in den Natur- und Ingenieurwissenschaften bedarf nicht nur einer disziplinspezifischen Ausrichtung, sondern auch einer ausgerichteten Schreiblehre, die sich an den in den Texten behandelten Darstellungsverfahren und den operativen Prozessen orientiert. Somit stellt sich im Hinblick auf die zu formulierenden Aufgabenstellungen die Frage nach dem Verhältnis einer Anleitung zur freien Textproduktion zu einer eher auf die fachlichen Inhalte ausgerichteten Schreiblehre. Darüber hinaus gilt es zu überlegen, ob Lehrveranstaltungsformate nur innerhalb der Studiengänge der jeweiligen Institutionen formuliert oder vergleichbare Aufgabenstellungen entwickelt werden können. Ferner bleibt zu klären, inwiefern Schreibkurse bzw. Schreiblabore curricular in den Studiengängen verankert oder über ein Kursangebot als Schlüsselqualifikation von den Studierenden frei gewählt werden können. Der vorliegende Band greift diese Fragestellungen auf, er ist eine Sammlung erster Ansätze, deren innovatives Potential die Entwicklung schreibdidaktischer Ansätze in den Natur- und Ingenieurwissenschaften erwarten lässt.

Der Aufsatzband wird eröffnet mit dem Basisartikel von Michael Lichtlein (Hochschule Coburg) Haben Sie Interesse am Schreiben? Interessenstheoretische bzw. motivationale Aspekte des akademischen Schreibens. Der Autor betrachtet hier die Bedeutung des Schreibens nicht nur aus der Perspektive der fachwissenschaftlichen Ausbildung, sondern er zeigt auf, wie der an der Hochschule Coburg seit dem Jahr 2012 implementierte interdisziplinäre Ansatz neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Fachwissenschaftler/innen und damit der Ausbildung schriftsprachlicher Kompetenz eröffnet.

Den Beiträgen der Autor/innen aus dem Arbeitskreis ist der Essay von Andreas Hirsch-Weber (KIT Karlsruhe, Schreiblabor am House of Competence) Zum Selbstverständnis eines Schreibdidaktikers vorangestellt. Der Autor skizziert hier die Notwendigkeit der Erstellung geeigneten Lern- und Unterrichtsmaterials für natur- und ingenieurwissenschaftliche Fächer und zeigt eindrücklich Aufgabenfelder auf, die Textwissenschaftler/innen an Technischen Universitäten beim Aufbau von Schreibzentren übernehmen.

Der nachfolgende Beitrag von Cornelia Czapla (RHTW Aachen University) stellt ein die MINT-Fächer übergreifendes Konzept vor, das die Perspektiven und Desiderate einer Schreibdidaktik aufzeigt.

Das Autoren-Team Carmen Kuhn, Frank Kühl et al. (Technische Universität Darmstadt) legt in seinem Bericht den Fokus auf die curricular verankerten Lehrveranstaltung der Ingenieur/in der Gesellschaft und das Wissenschaftliche Arbeiten und Schreiben im Maschinenbau und beschreibt erfolgreiche Wege des interdisziplinären Dialogs der Ingenieurwissenschaften mit den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften.

Jan Weisberg (FH Bielefeld) gibt einen Einblick in die Modulintegrierte Schreibdidaktik am Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik der FH Bielefeld und eröffnet den Blick auf die Chancen und Weiterentwicklungsmöglichkeiten der Implementierung des akademischen Schreibens in die Fachlehre.

Kristina Rzehak (FH Bielefeld) befasst sich mit der Ausbildung Kommunikativer Kompetenz in Studium und Beruf. Sie analysiert drei Vorträge von Berufspraktikern und erörtert eine konsequent auf spätere Berufsfelder ausgerichtete Schreiblehre in ihren Überlegungen zum „Learning to be Professional“, d.h. zum Aufbau kommunikativer Kompetenz im MINT-Studium.

Der Aufsatz Technisches Schreiben – Konsistenz auf der Gesamttextebene von Zoran Ebersold (Hochschule Augsburg) ist aus der Perspektive des Ingenieurwissenschaftlers geschrieben. Der Autor erläutert die Konzeption und Durchführung einer Schreibaufgabe im Seminar.

Regina Graßmann und Markus Knorr (Hochschule Coburg) beschreiben in ihrem Beitrag Schreiben im Seminar – Überlegungen zum akademischen Schreiben in den Natur- und Ingenieurwissenschaften ein interdisziplinär formuliertes Seminarkonzept zum akademischen Schreiben in den Natur- und Ingenieurwissenschaften.

Ruth Neubauer-Petzoldts (FAU Erlangen-Nürnberg) Essay Gedichte Lesen ist wie Äpfel essen: Ein Plädoyer für Poesie – auch für Technik- und Naturwissenschaften schließt die Runde mit Blick auf das Gespräch zwischen Autor/in und Leser/in und erörtert die Kunst, einen am wissenschaftlichen Objekt orientierten und zugleich vermittelnden Text zu schreiben.

Wir möchten den Beiträger/innen für ihr außerordentliches Engagement sowie all jenen danken, die zur Erstellung des druckfertigen Manuskripts beigetragen haben. Hier ergeht ein besonderer Dank an Michael Paaß vom Schreib-Lese-Zentrum der Universität Münster für die professionelle Unterstützung bei der Vorbereitung des Bandes.

Regina Graßmann

Coburg, im Dezember 2015

Haben Sie Interesse am Schreiben? Interessenstheoretische bzw. motivationale Aspekte des akademischen Schreibens

Michael Lichtlein, Hochschule Coburg

1.Einleitung

Das schriftliche Verfassen von Projektberichten, Hausarbeiten, Abschlussberichten, oder auch Essays und Protokollen sind eine zentrale Aufgabe für jeden Studierenden im Rahmen seiner wissenschaftlichen Ausbildung an der Hochschule. Am Ende steht in der Regel die Abschlussarbeit, früher Diplomarbeit, jetzt Bachelor- oder Masterthesis. Auch im Prüfungskontext nehmen schriftlich verfasste Berichte deutlich an Bedeutung und Relevanz in der akademischen Ausbildung zu. Wenn nun das Schreiben an Bedeutung in der wissenschaftlichen Ausbildung gewinnt, und zwar nicht nur in Professionen mit typischerweise schriftlicher Auseinandersetzung mit Sachverhalten, wie zum Beispiel den Geistes- und Sozialwissenschaften, sondern auch in naturwissenschaftlichen Bereichen, dann gewinnt auch die Motivation bzw. das Interesse am Schreiben an Wichtigkeit. Unter Berücksichtigung interdisziplinärer Ansätze in der wissenschaftlichen Ausbildung – wie sie an der Hochschule Coburg seit 2012 vorhanden sind – nimmt die Ausbildung schriftsprachlicher Kompetenz, das richtige akademische Schreiben, eine herausragende Rolle ein. Dem inhärenten didaktischen Aspekt werden nachfolgenden Beiträge in diesem Band auf unterschiedlichste Weise thematisieren und diskutieren (siehe weiter unten).

So wäre es wünschenswert, akademisches Schreiben weniger als notwendiges Übel zu sehen seinen Bericht endlich „fertig zu haben“, sondern Motivation und evtl. sogar „Begeisterung“ zu wecken. Dem Schreiben per se käme damit die Aufgabe zu, die Interessenentwicklungen zu fördern und auch bei vorhandenen Desinteressen und Abneigungen eine Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Schreibgegenstand anzuregen. Nachfolgend möchte ich zwei Aspekte aufgreifen. Zum einen die Bedeutung der Entwicklung von Interessen am Schreiben und zum anderen die motivationale Bedeutung des Kontextes.

2.Interessenstheoretische Aspekte des akademischen Schreibens

Bei der Interessentheorie orientiere ich mich im Wesentlichen an Überlegungen zur Konzeptionierung einer pädagogisch-psychologischen Theorie des Interesses bei Krapp (1992a, 1996, 1998a, 1998b) und Prenzel (Prenzel 1988, 1992) in Anlehnung an ein grundsätzliches Interessenskonstrukts (Krapp & Schiefele, 1989).

Interesse lässt sich formal bestimmen als eine spezifische Person-Gegenstands-Relation (Prenzel, 1988, S. 116). Interesse bezieht sich grundsätzlich auf eine bedeutungsmäßig herausgehobene Relation zwischen einem Gegenstand und einer Person, die sich von anderen Personen-Gegenstands-Relationen unterscheidet. Die besondere Beziehung betrifft die zielgerichtete und planvolle Auseinandersetzung einer Person mit einem Gegenstand. Diese realisierte Form eines Interesses äußert sich in einer Interessenhandlung. Die Person greift aus der Vielfalt von Objekten, die ihre Umwelt bietet, gezielt bestimmte heraus und lässt sich handelnd auf sie ein. Sie erschließt sich Stück für Stück einen bestimmten Umwelt- oder Gegenstandsbereich (vgl. Prenzel, 1988, S. 10). Verfestigt sich diese Beziehung, so kann sich daraus (unter bestimmten Voraussetzungen) ein mehr oder weniger dauerhaftes Interesse entwickeln, welches dann ein habituelles oder dispositionales Persönlichkeitsmerkmal darstellt (vgl. z. B. Pekrun, 1988). Dies wäre beim Schreiben in der wissenschaftlichen Ausbildung sicherlich nicht sofort erwartbar, aber dennoch zielführend.

Eine Interessenhandlung ist somit ein Sonderfall der interessenstheoretischen Personen-Gegenstands-Relation, da sie zielgerichtet und planvoll verläuft. Die Art der Auffassung des Gegenstandes bestimmt die Art der Richtung der Interessenhandlungen. Der Gegenstand ist im Gedächtnissystem repräsentiert, d.h. die Person verfügt über ein gegenstandsspezifisches Wissen. Eine Interessenhandlung bewirkt Veränderungen auf beiden Seiten der Beziehung. Einerseits wirkt die Person auf den Gegenstand ein, z. B. bei der Lösung einer Aufgabe. Andererseits wirkt der Gegenstand auf die Person ein, indem er die Person in der konkreten Auseinandersetzung veranlasst, ihr Wissen zu erweitern und neue Sachverhalte über den Gegenstand zu lernen. Diese besondere Relation entsteht beim Schreiben auf.

Die spezifischen Merkmale einer Interessenhandlung beziehen sich auf kognitive und emotionale Aspekte. Die emotionale Seite einer interessenorientierten Handlung lässt sich generell als Summe von positiven Erlebensqualitäten beschreiben. Vor diesem Hintergrund interessenorientierten Verständnisses beschreiben die folgenden allgemeinen Merkmale eine Interessenhandlung (vgl. Krapp, 1992a, S. 312):

Positive Gefühle vor, während und nach der Interessenhandlung;

Optimales Aktivierungs- und Erregungsniveau, das generell als angenehmes Spannungserleben empfunden wird;

Kompetenzgefühle aufgrund der positiven Einschätzung der eigenen Fähigkeiten in Bezug auf die gegenstandsspezifischen Handlungsanforderungen (vergleichbar mit dem von Heckhausen verwendeten Begriff der „Passung“);

Gefühle von Selbstbestimmung und Autonomie, weil sich die Person frei von äußeren und inneren Zwängen fühlt.

Aus einer Person-Gegenstands-Auseinandersetzung resultiert jeweils eine spezielle Person-Gegenstands-Relation, wobei sich nach Krapp (1998a) zwei Zustände von Interesse – zwei Relationen – unterscheiden lassen: Interesse als Person-Gegenstands-Beziehung (in aktueller Situation) und Interesse als Person-Gegenstands-Bezug (zeit- und situationsübergreifend). Man spricht in diesem Zusammenhang auch von situationalem bzw. individuellem Interesse (Hidi&Baird, 1988; Hidi&Anderson, 1992, Krapp, 1992a).

Aus einem situationalen Interesse kann sich ein individuelles Interesse, also der relativ dauerhafte Person-Gegenstands-Bezug, entwickeln, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Der erste Kontakt spielt hierbei beispielsweise eine wichtige Rolle. Sind die gewonnenen Erfahrungen positiv, so verstärken sich die oben genannten Merkmalsausprägungen – es resultieren vermehrtes Wissen und eine veränderte Einstellung (Petty& Cacioppo, 1986), die dann zu einer Erhöhung der Bereitschaft zu einer erneuten Person-Gegenstands-Auseinandersetzung führen. Wenn sich die Person wiederholt, freudvoll und ohne äußere Veranlassung mit dem Interessegegenstand auseinandersetzt, kann von einem individuellen Interesse ausgegangen werden. In diesem Zusammenhang ist auch das sogenannte Postulat der grundlegenden Bedürfnisse nach Deci & Ryan (1993) von Bedeutung, da es Hinweise liefert, warum solche interesseorientierten Handlungen als angenehm empfunden werden.

2.1.Bedeutsame Aspekte der Selbstbestimmungstheorie beim interessenorientierten Schreiben

Die Selbstbestimmungstheorie wird aufgrund des Zurückgreifens auf im Selbst befindliche Motive und Bedürfnisse auch als eine Theorie des Selbst im Rahmen motivationaler Theorien betrachtet. (Ryan, 1992a, S. 5). Das Selbst wird als Subjekt sowie als Objekt untersucht, da es gleichsam Prozeß und Ergebnis der Entwicklung des menschlichen Organismus beinhaltet (vgl. Deci & Ryan, 1992, S. 2). Das Selbst bildet den Kern der Persönlichkeits- bzw. Motivstruktur des Menschen. Verhaltensweisen und Handlungen, die vom Selbst kommen, sind intrinsisch motiviert. Das Selbst hat aber auch eine aktive Steuerungs- und Regulationsfunktion. Zentraler Gedanke ist die Tendenz zur fortwährenden Integration von umweltbezogenen Werten und Orientierungen. Dahinter steht eine Persönlichkeitskonzeption, die davon ausgeht, dass die Entwicklung von (angeborenen) grundlegenden Prinzipien gesteuert wird. Außerdem wird eine organismische Tendenz zur Selbstorganisation postuliert, d.h., dass neuere (motivationale) Komponenten in die bestehende Struktur des Selbst harmonisch integriert werden. Da diese Tendenz als ein grundlegendes Bedürfnis des Selbst aufgefasst wird, ist das Individuum zu diesem Prozeß ebenso intrinsisch motiviert. Darüber hinaus spielen sog. energisierende Faktoren im Laufe der Entwicklung eine wichtige Rolle.

Die SDT unterscheidet bei den energisierenden Faktoren für die Entwicklung des Selbst zwischen einem formalen Grundbedürfnis, eine in sich stimmige Persönlichkeitsstruktur zu entwickeln und den materialen Grundbedürfnissen (basic needs) nach Kompetenz (competence), Autonomie (autonomy/selfdetermination) und sozialer Eingebundenheit (social relatedness). Die drei Grundbedürfnisse sind gleichermaßen für intrinsische und extrinsische Motivation relevant. Dies hat eine besondere Bedeutung in Lernsituationen, deren Anforderungen zunächst primär extrinsisch erlebt werden.

Das Bedürfnis nach Kompetenz oder Wirksamkeit bedeutet für eine Person, ihre Fähigkeiten und ihr Wissen einsetzen zu können, sich als wirksam in einer Handlungssituation erleben zu können. Competence encompasses people´s striving to control outcomes and to experience effectance (Ryan, 1991, S. 243). Dieses Bedürfnis ist notwendig, damit sich das Individuum mit den Anforderungen der Umwelt aktiv auseinandersetzen kann.

Das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit oder sozialer Zugehörigkeit bezieht sich auf das Streben eines Individuums, sich mit anderen Personen in einem sozialen Milieu verbunden zu fühlen. D. h., ein Individuum besitzt eine angeborene motivationale Tendenz, Kontakte und Beziehungen zu seinen Mitmenschen aufzubauen. Man ist bestrebt, sich einer sozialen Gemeinschaft zugehörig zu fühlen und als Teil dieser Gemeinschaft akzeptiert zu werden (vgl. Ryan, 1991). Das Bedürfnis nach Selbstbestimmung oder Autonomie nimmt eine Schlüsselstelle in der Theorie ein, da motiviertes Handeln nach dem Grad der Selbstbestimmung strukturiert und differenziert werden kann. Es wird in Anlehnung an die Überlegungen von DeCharm (1968) beschrieben als motivationale Tendenz, sich selbst als Verursacher seiner Handlung zu erleben. Autonomie wird betrachtet als Self-governing und beinhaltet eine Handlungsregulation aus eigenem Antrieb. Entsprechend dem weiter oben skizzierten Menschenbild ist das Bedürfnis nach Autonomie vom Selbst bestimmt. Das Erleben von Autonomie spielt deshalb eine zentrale Funktion bei der Integration beruflicher Anforderungen in das Selbst.

Das Gegenteil ist Fremdbestimmung “...refers from the outside the self, by alien or external forces“ (Ryan, 1993, S. 8). Autonomiestreben hat einen direkten Bezug zum Selbst und ist eine wichtige Voraussetzung intrinsisch motivierter Handlungen. Einerseits bezeichnet der Aspekt der Autonomie das Bedürfnis nach freier Wahl der Handlung, nach Authentizität im Handeln. Andererseits nimmt man eine qualitative Wertung einer Handlung vor, deren Maßstab das Kriterium der Autonomie ist (vgl. Deci & Ryan, 1991, S. 269).

2.2.Bestimmungsmerkmale motivierter Handlungen

Lernprozesse entstehen grundsätzlich durch motiviertes Handeln, welches durch Intentionalität, d.h. absichtsvolle und zielgerichtete Handlungen gekennzeichnet ist. Motiviertes Handeln bewegt sich nach Deci & Ryan in ein Kontinuum zwischen den beiden Endpunkten fremdbestimmt und selbstbestimmt. Um diese Bandbreite systematisch erfassen zu können, differenzieren Deci & Ryan die Qualität von Handlungen nach dem Grad der Selbstbestimmung: Der höchste Grad ist die autonom-selbstbestimmte Handlung und der niedrigste Grad ist die heteronom-fremdbestimmte Handlung. An beiden Endpunkten jedoch, autonom wie heteronom, sind die Personen motiviert und verfolgen bestimmte Ziele und Absichten. Der Prototyp selbstbestimmter Handlungen ist die intrinsisch motivierte Handlung. Eine solche Handlung wird, vergleichbar dem Flow-Erleben (Csikszentmihalyi, 1985) als vollkommen frei und übereinstimmend mit den Zielen und Wünschen und den internen Regulationsmechanismen im Selbst der Person erlebt. In diesem Zustand tut das Individuum, was es aus eigenem Antrieb tun möchte (vgl. Krapp, 1993a, S. 200). Selbstbestimmtes Handeln tritt spontan auf und ist durch das Interesse und die Freude an der Sache gekennzeichnet.

Im Gegensatz zu selbstbestimmten Handlungen sind fremdbestimmte Handlungen durch äußere Einflüsse initiiert. Diesen Handlungen liegt eine ökonomisch-instrumentelle Basis zugrunde, die außerhalb des Selbst liegt. Da jedoch auch diese Handlungsweisen innerpsychisch reguliert werden, lassen sich selbstbestimmtes und kontrolliertes Verhalten nach dem Kriterium des wahrgenommenen Ortes der Handlungsursache (Perceived Locus of Causalitiy, PLOC) unterscheiden (vgl. Deci & Ryan, 1991, S. 248). Diese Differenzierung kann auch auf die Umschreibung der beiden Begriffe extrinsisch und intrinsisch motivierter Handlungen bezogen werden. Während die SDT in ihren früheren Auffassungen extrinsische und intrinsische Motivation noch als Gegenpole verstand, rückt sie in den aktuellen Vorstellungen davon ab und postuliert ein Kontinuum mit den beiden Polen fremdbestimmt und völlig selbstbestimmter intrinsischer Motivation (vgl. Abb.1).

images

Abb. 1.: Das Kontinuum motivierter Handlungen in Anlehnung an die Selbstbestimmungstheorie (Deci & Ryan, 1992)

3.Die Bedeutung des Kontextes in der akademischen interessenorientiertem Schreiben

Darüber hinaus sind mit Interessenhandlungen auch kognitive Aspekte verbunden: Interessenhandlungen im Rahmen von sozialen Interaktionen werden generell positiv eingeschätzt. Die Ziele der Handlungen harmonieren mit den sozialen Orientierungen der agierenden Person. In Interessenhandlungen erschließt sich die Person den Gegenstand, d.h. über ihre Interessen erarbeitet sich die Person Sach- und Sinnzusammenhänge. Sie erwirbt neue Erfahrungen und Kompetenzen. Gleichzeitig wird das Wissen über Inhaltsbereiche verfeinert und neu strukturiert. Damit werden also auch Fertigkeiten trainiert, die nicht direkt mit Inhalten zu tun haben, sondern generell für die effiziente Auseinandersetzung mit Sachverhalten wichtig sind. Übertragen auf Schreiben in der wissenschaftlichen Ausbildung wird hier nicht nur der Austausch mit anderen Studierenden im Lernprozess berührt, sondern auch die über die Auseinandersetzung mit der Schreibkompetenz hinaus liegenden Fähigkeiten und Fertigkeiten. Um diesen Lernprozess voranzutreiben sind hier die äußeren Rahmenbedingungen von zentraler Bedeutung. Der soziale Kontext, in dem eine Handlung abläuft, beeinflusst die Qualität der motivierten Handlung (Deci & Ryan, 1987, S. 1026). Die schon weiter oben genannten Grundbedürfnisse verändern die Handlungsmotivation in dem Maße, wie sie einer Person die Befriedigung der grundlegenden Bedürfnisse ermöglichen bzw. versagen.

Die Kontext-Bedingungen können kategorisiert werden auf einer Qualitätsskala von informierend (informationalevents) mit positivem Einfluss. überkontrollierend (controlling events) bis amotivierend (amotivating events) mit negativem Einfluss auf die Handlungsmotivation. Informierende Umweltereignisse, die als autonomieförderlich erlebt werden, erhöhen den Grad der Selbstbestimmung durch freie Wahl und positives Feedback. Kontrollierende Ereignisse verhindern dieses Autonomieerleben durch die Verwendung von Strafen, Belohnungen und anderen extrinsischen Motivatoren. Auf der Basis dieser Überlegungen ist es nun möglich, einen Zusammenhang zwischen der Qualität des Lernumfeldes, den Anforderungen und dem Grad des motivierten Handelns von Lernern herzustellen (vgl. Abb. 2).

images

Abb. 2: Der Zusammenhang zwischen Merkmalen des Kontext und der Qualität der Motivation

Im weiteren Verlauf der motivationalen Entwicklung von Interesse am Schreiben sind lediglich die informierenden Bedingungen relevant. Insbesondere die amotivierenden Bedingungen unterminieren nachweislich die Interessensentwicklung. Im Interaktionssetting des Schreibens, z.B. in Schreibwerkstätten ist deshalb die Frage wichtig, warum Studierende die dortige Beratung in der Regel als unterstützend bzw. informierend erleben? Denn auch dort sind informierende Rückmeldungen notwendig und ein gewisses Anhalten zu bestimmten Handlungen notwendig. Neben der Schreibberatung ist natürlich auch die Schreiblehre (hier ist gemeint der interessante Lerngegenstand in der Person-Gegenstand-Relation) und die Schreibdidaktik (hier ist gemeint die interessensförderliche Operationalisierung der Schreiblehre auf die konkrete Handlungsebene) von besonderer Relevanz. Somit wäre es wünschenswert, diese wichtigen kontextuellen Merkmale im Rahmen des akademischen Schreibens nicht nur weiter zu fördern, sondern dessen bisher wenig beleuchteten interessensförderlichen Faktoren auf ein belastbares Fundament zu stellen und hier intensiver zu forschen.

4.Ausblick

Die von R. Graßmann in der Einleitung angesprochene Unterstützung des akademischen Schreibens im Bereich fächerübergreifender und fachspezifischer Programme durch entsprechende Fördermittel unterstreicht die große Chance der Entwicklung von Interesse und Motivation. Im Rahmen dieses Buches wird von den verschiedenen Autoren versucht, ein Anfang zu machen, mittels einer transparenten Schreiblehre und überschaubaren Schreibdidaktik nicht nur den Interessensgegenstand attraktiv zu machen sondern darüber hinaus kontextuelle Bedingungen (u.a. durch eine Schreibdidaktik) zu definieren, den Prozess der Interessensentwicklung aktiv zu fördern und zu wecken. So unterschiedlich die Verfasser sind, so differenziert sind ihre Ansätze, damit jeder Leser seine individuelle Art und seine Lust am Schreiben entdecken kann. Schreiben ist lernbar. Machen Sie sich auf den Weg, beginnen Sie mit einem ersten Schritt, motivieren Sie sich oder lassen Sie sich motivieren, damit Ihr Interesse am und Ihre Kunst im Schreiben wachsen und überraschen Sie mit den Ergebnissen.

Literatur

Deci, E. L. & Ryan, R. M. (1987). The support of autonomy and the control of behavior. In Journal of Personality and Social Psychology, Vol. 53, 6, S. 1024-1037.

Deci, E. L. & Ryan, R. M. (1991). A motivational approach to self: Integration inpersonality. In R. Dienstbier (Ed.), Nebraska symposium on motivation, Vol. 38, Perspectives on motivation (237-288). Lincoln: University of Nebraska Press.

Deci, E. L. & Ryan, R. M. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik, 39, S. 223-238.

Hidi, S. & W. Baird (1988): Strategies for increasing text-based interest and students’ recall ofexpository texts. Reading Research Quarterly 23, 465-483.

Hidi, S. & Anderson, V. (1992). Situational interest and its impact on reading and expository writing. In K. A. Renninger, S. Hidi & A. Krapp (Hg.), The role of interesting learning and development (S. 215-238). Hillsdale, New Jersey: Erlbaum.