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ANDREAS AHLHORN | DENNIS KRÄMER

FLOSSING

in Therapie und Training

ANDREAS AHLHORN | DENNIS KRÄMER

FLOSSING

in Therapie und Training

Title

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Wichtiger Hinweis

Dieses Buch ist für Lernzwecke gedacht. Es stellt keinen Ersatz für eine individuelle Fitness- und medizinische Beratung dar. Wenn Sie medizinischen Rat einholen wollen, konsultieren Sie bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und die Autoren haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.

Für Fragen und Anregungen:

info@rivaverlag.de

Originalausgabe

2. Auflage 2019

© 2016 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Manuskriptbearbeitung: Daniel Beck

Umschlaggestaltung: Melanie Melzer

Umschlagabbildung: Manuel Ringlstetter

Innenteilfotografien: Nils Schwarz, S. 33: Medical-Flossing

Shooting-Location: FT-Club, München

Model: Dennis Krämer

Illustrationen (S. 15): aus Myers, Thomas W.: Anatomy Trains. Myofascial Meridians for Manual and Movement Therapists, Elsevier Ltd, Oxford 2008

Layout und Satz: Meike Herzog, Deborah Herzog, Alpsee Design

Druck: Florjancic Tisk d.o.o., Slowenien

Printed in the EU

ISBN Print 978-3-86883-912-8

ISBN E-Book (PDF) 978-3-95971-239-2

ISBN E-Book (ePUB, Mobi) 978-3-95971-240-8

   Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter   

www.rivaverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de.

Inhalt

I. Basics

Intro

Die drei Wirkmechanismen des Flossings

Schwammeffekt

Subkutane Irritation

Kinetic Resolve

Flossing und myofasziale Leitbahnen

Wirkung von Flossing-Anlagen auf die Faszien

Wirkung von Flossing-Anlagen auf die Gelenke

Wirkung von Flossing-Anlagen auf die Muskulatur

Das 1 x 1 des Flossings

Ein gutes Verhältnis zum Patienten

Red Flags: Kontraindikationen und Nebenwirkungen

Exkurs: Einsatz des Flossings in der Fußball-Bundesliga

II. Therapie und Schmerzbekämpfung

Gelenkapplikationen

Faszienapplikationen

Muskelapplikationen

Regenerationsapplikationen

Applikationen bei Schwellungen

Verletzungen therapieren: Was tun bei …?

III. Übungen und Workouts

Mobility-Übungen für das Flossing

Mobility-Zirkel für mehr Beweglichkeit

Flossing-Zirkel für Sportler

Die Autoren

Übersicht über Applikationen, Therapiepläne, Übungen und Workouts

I.

Basics

Schmerzlinderung und Leistungssteigerung dank Flossing: Die neue, revolutionäre Therapie- und Trainingsform mit dem „Gummi-Wickel“ verbessert die Beweglichkeit von Gelenken, steigert den Kraftfluss der Muskulatur und stellt die Elastizität von Faszien wieder her.

Intro

Schmerzfrei und beweglich durch Abbinden«, so titelte das Fachmagazin Physiotherapie einen Artikel zum Thema Flossing. Was martialisch klingt, erklärt die Sache doch kurz und knapp, wenngleich diese neuartige manuelle Therapie mit dem Zusatz »und Mobilisieren« noch treffender beschrieben würde. Schmerzfrei und beweglich durch Abbinden und Mobilisieren oder kurz gesagt Flossing: ein neues manuelles Tool, das Therapeuten und Trainern hilft, Patienten und Athleten wieder gesund und noch leistungsfähiger zu machen.

Die Flossing-Anlagen werden um die Brennpunkte beziehungsweise betroffenen Stellen wie Gelenke, Muskeln oder Faszien gewickelt und diese anschließend mittels spezieller Übungen mobilisiert. Diese Kombination aus Flossing-Anlage und Übung fördert die Beweglichkeit von Gelenken, den Kraftfluss und die Elastizität von Muskeln und Faszien und kann auch akute oder chronische Schmerzen im Bewegungsapparat lindern. Ziel aller Applikationen ist es letztendlich, die natürliche Beweglichkeit - die Range of Motion - ganz ohne Limitierungen wiederherzustellen.

Flossing bringt:

  erhöhte Beweglichkeit

  Schmerzlinderung

  beschleunigte Regeneration

  kürzere Rehabilitation

Obwohl es auf den ersten Blick so aussieht, sind die Gummibänder, die beim Flossing eingesetzt werden, keine Bandagen. Sie schützen nicht bzw. stützen nicht wie Manschetten. Sie sind vielmehr elastisch und dienen dazu, bewusst Gewebe zu komprimieren und abzuschnüren. Dadurch sollen zum einen alle fließenden Leitungen wie Blut und Lymphflüssigkeit unterbrochen, zum anderen ein enormer Druck von außen auf alle Strukturen und Schichten des zu behandelnden Bereiches ausgeübt werden.

Das Anlegen des Floss-Bandes - die Applikation - ist nur ein Teil der Therapie beziehungsweise des Trainings. Wird das geflosste Gelenk oder die betroffene Stelle dreidimensional bewegt - idealerweise durch den Patienten oder Athleten selbst -, entstehen die erforderlichen Scherkräfte, die verklebte Oberflächen von Muskeln und Faszien zum Gleiten bringen sowie sogenannte Crosslinks zerreißen. So verändern sich noch während der Übung die Elastizität des Gewebes sowie der Tonus von Muskulatur und Faszien. Hinzu kommt die Reibung zwischen dem Band und den darunterliegenden Schichten. Dieser Reiz spricht die Mechanorezeptoren der Haut an und kann ein »Umpolen« beziehungsweise »Resetten« fehlgeschalteter Bewegungsabläufe bewirken.

Bei stärkeren Verletzungen wie Muskelfaserrissen, Bänderverletzungen und Meniskusschäden kann Flossing - durch einen Experten angewendet - die Rekonvaleszenzzeit erheblich verkürzen. Hier kommt auch zum Tragen, dass die bei den Entzündungsreaktionen entstandenen Stoffe durch Flossing verstärkt abtransportiert werden und die Kompression zusätzlich zum Abbau der Schwellung beiträgt, wodurch die propriozeptiven Fähigkeiten wieder schneller zurückkehren.

Flossing wirkt auf:

  Muskeln

  Gelenke

  Faszien

Erfunden hat das Flossing der US-amerikanische Sportwissenschaftler und Physiotherapeut Kelly Starrett. Er prägte dafür den Begriff »Voodoo Flossing« - wohl aus dem Grund heraus, dass es doch ein wenig an Zauberei erinnert, wenn durch das Anlegen der Gummibänder in Verbindung mit manualtherapeutischen Behandlungen beziehungsweise Übungen schnell eine Besserung und Schmerzlinderung eintritt.

Allerdings hat Flossing nichts mit Zauberei zu tun, denn es macht sich konkrete Prinzipien beziehungsweise Mechanismen zunutze, die seine Wirksamkeit erklären. Flossing nutzt insgesamt drei Effekte beziehungsweise Reize, um Leistungsverbesserungen und Schmerzlinderung zu erreichen sowie bessere Regenerations- und Rekonvaleszenzergebnisse zu erzielen. Der Mix aus Anlagetechnik und einem bestimmten Druck des Bandes in Verbindung mit anschließender Bewegung erzeugt die drei wesentlichen Wirkmechanismen des Flossings.

  Schwammeffekt (s. unten)

  subkutane Irritation (S. 11)

  Kinetic Resolve (S. 12)

Die drei Wirkmechanismen
des Flossings

SCHWAMMEFFEKT

Das »Verschnüren« und »Lösen« per Floss-Band erzeugt einen Schwammeffekt. Im ersten Schritt wird die verbrauchte Flüssigkeit im Gewebe wie Lymphe oder Stoffwechselendprodukte ausgepresst, um dann wieder frische, nährstoffreiche Flüssigkeit aufnehmen zu können.

Dieser Schwammeffekt optimiert das neurovaskuläre Versorgungssystem des Körpers. Durch die extrem hohe Kompression wird der venöse Rückstrom zu einem sehr großen Teil unterbrochen und der arterielle Zustrom stark vermindert, je nach Applikation bis zu 100 Prozent. Was passiert jetzt? Die Einschränkung der Blutzufuhr führt zu einer bewussten Ischämie im Muskel. Dadurch verändert sich das biochemische Milieu in den Zellen, die Sauerstoffsättigung und der pH- Wert in der Muskulatur nehmen ab. All dies begünstigt endokrine und zelluläre Prozesse, da der Organismus diesen Eingriff als Reiz empfindet und sich dagegen »wehrt«.

Dauerhaft ist diese bewusste Unterversorgung des Gewebes natürlich negativ zu bewerten. Temporär und fachlich begleitet will man allerdings durch die Kompression des Bandes erst liquides Material wie Lymphe, Stoffwechselendprodukte und verbrauchte Flüssigkeit aus dem extrazellulären Gewebe herauspressen, um dann durch das Abnehmen des Bandes alle Schleusen zu öffnen. In diesem Moment strömt und flutet frische, nährstoffreiche Flüssigkeit ein. Das frische arterielle Blut versorgt die Muskulatur mit Nährstoffen und Sauerstoff, das zurückfließende venöse Blut nimmt die angefallenen Schadstoffe mit.

Diese verbesserte Fluidität sorgt auch für eine verbesserte Vernetzung und Informationsweitergabe zwischen Nervensystem und Faszien. Der Austausch der Flüssigkeit in der extrazellulären Matrix beschleunigt das Wachstum beziehungsweise die Erneuerung der Zellen.

Selbst kleine Entzündungen und Einrisse in Muskulatur, Sehnen und Gewebe lassen Schlacken und Stoffwechselendprodukte entstehen, die jetzt herausgeschwemmt werden.

Die Anlage komprimiert die Blut- und Lymphbahnen; Applikationen am Gelenk erzeugen einen hohen Druck in den Arterien. Dieses Verfahren ähnelt dem in der Rehabilitation und im Hochleistungssport eingesetzten Okklusionstraining beziehungsweise dem Blood-Flow-Restriction-Training (siehe Kasten auf Seite 11).

Bei einer Gelenkapplikation kommt es zu einer erhöhten Resorption der Gelenkflüssigkeit in der Kapsel. Die Folge ist eine massive Gewebedurchspülung, wobei Abfallstoffe ausgeschwemmt werden und die Schleusen für eine verbesserte Stoffwechsel- und Ernährungssituation (Trophik) ähnlich einer Hypertrophie geöffnet werden.

Diesen Schwammeffekt macht man sich übrigens auch beim Blackroll-Training zunutze, allerdings nicht über den gesamten Umfang der betroffenen Stelle, sondern nur punktuell auf der Abrollfläche. Das FlossBand umschließt im Vergleich dazu zirkulär das myofasziale Gewebe.

Wer das Flossing bewusst als Trainingsform einsetzen will, kann damit sogar das Muskelwachstum anregen, da sich durch die Unterversorgung der Systeme die Intensität des Trainingsreizes automatisch erhöht. Studien aus dem Hypertrophietraining mit geflossten Gliedmaßen zeigen, dass es dabei zu anabolen Prozessen wie dem vermehrten Anstieg von Wachstumshormonen und der Aktivierung der Muskelproteinbiosynthese kommt. All das ist aber abhängig von dem Druck auf die Muskulatur per Applikation, der Dauer des Flossings sowie den ausgeführten Übungen.

Sichtbare Zeichen - die Abdrücke des Floss-Bandes auf der Haut sind normal und verschwinden nach wenigen Minuten wieder.

Der starke Druck, der durch das Floss-Band ausgeübt wird, presst die Flüssigkeit aus dem Gewebe.

Okklusionstraining und Blood-Flow-Restriction-Training

Das Okklusionstraining beziehungsweise Blood-Flow-Restriction-Training wird zur Kräftigung der Muskulatur schon seit Jahren angewendet. Anders als beim Flossing wird hier nicht ein größerer Bereich komprimiert, sondern einfach die Blutzufuhr mit einer schmalen Manschette verringert oder komplett unterbunden. So soll erreicht werden, dass der Muskel beim Krafttraining auch mit weniger Sauerstoff (dieser ist ja in frischem Blut enthalten) Leistung erbringen muss. Bei Studien konnte auch festgestellt werden, dass der Kraftzuwachs in direktem Zusammenhang mit der Ausschüttung von Wachstumshormonen steht. Allerdings muss bei dieser Methode beachtet werden, dass nur der venöse Zufluss unterbunden wird, nicht aber der arterielle. Daher sollte solch ein Training nur unter ärztlicher oder sportwissenschaftlicher Begleitung absolviert werden.

SUBKUTANE IRRITATION

Um dem Patienten sehr schnell Schmerzlinderung zu verschaffen und ihm, wenn auch zeitlich begrenzt, »normale Bewegungsabläufe« zu ermöglichen, ist die durch das Flossen angestrebte subkutane Irritation einer der wichtigsten Effekte.

Subkutane Irritation - worunter sich viele nichts oder nur wenig vorstellen können, hat jeder in seinem Leben schon mehrfach erlebt. Nachdem man sich beispielsweise am Schienbein oder einer anderen schmerzempfindlichen Stelle gestoßen hat, reibt man ganz unbewusst mit der Hand über den betroffenen Bereich. Dieser Reflex hat durchaus seinen Grund, denn der Impuls, den das Reiben auslöst, wird im neuronalen System schneller weitergeleitet als der des Schmerzes. Die Mechanorezeptoren, die auf Druck, Reibung, Bewegung etc. reagieren, »schlagen« also die Nozizeptoren, die Schmerz melden. Oder: Die Schmerzwahrnehmung lässt sich durch bestimmte sensorische Simulationen