Mira Sol

Spuk am Himmel

Kosmos

Umschlagillustration Ina Biber, Gilching

Umschlaggestaltung von Friedhelm Steinen-Broo, eSTUDIO CALAMAR

Grundlayout: Doppelpunkt, Stuttgart

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© 2016, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-440-15110-5

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Eiskalte Hand

»Habt ihr das gehört?«, flüsterte Marie. Sie hatte sich kerzengerade aufgesetzt und die Decke fest um die Schultern gezogen. Ihre Augen waren vor Schreck geweitet und leuchteten gespenstisch im fahlen Mondlicht. »Da röchelt jemand!«

»Das kommt von dahinten«, raunte Kim. »Aus dem Busch.«

Franzi lauschte in die Schwärze der Nacht. Tatsächlich. Aus dem Gebüsch neben dem Pferdeschuppen drang Rascheln und leises Schnaufen. Es kam Franzi sofort bekannt vor. Sie grinste. »Regt euch nicht auf, das ist –« Im selben Moment legte sich eine eiskalte Hand um ihren rechten Arm. Franzi stieß einen Schrei aus und riss sich los. Augenblicklich fing Marie an zu kreischen. Sie krallte sich an Kim fest.

»Sorry«, rief Kim. »Keine Panik. Ich habe doch nur nach Franzis Hand gegriffen.«

Marie verstummte und ließ Kim los.

»Du hast vielleicht Eisfinger, Kim«, zischte Franzi. »Mir ist beinahe das Herz stehen geblieben!«

Ihre Freundin hob entschuldigend die Hände.

»Alles klar bei euch?«, war plötzlich eine Stimme zu hören. Auf dem Weg, der vom Haus zur Koppel führte, zuckte das gleißende Licht eines Handscheinwerfers. Es blendete so, dass alle drei die Augen zukneifen mussten. Franzi blinzelte und erkannte schemenhaft ihren Vater.

»Was ist passiert?«, rief Herr Winkler. Er ließ den Lichtkegel der Lampe über den Boden gleiten. »Hat das Hängebett nicht gehalten?«

»Nein, alles in Ordnung«, beeilte sich Franzi zu sagen. Sie atmete tief durch. »Ich hatte bloß vergessen, Marie und Kim vor Mister Röchel zu warnen. Und natürlich ist er ausgerechnet heute Nacht wiedergekommen.«

Herr Winkler lachte auf. »Verstehe!«

Kim und Marie warfen sich einen irritierten Blick zu.

»Wer ist Mister Röchel ?«, fragte Marie.

»Ein Igel«, antwortete Franzi grinsend. »Er ist vor vier Wochen das erste Mal hier aufgetaucht. Scheinbar findet er die Schnecken in unserem Garten sehr lecker. Er kommt regelmäßig nachts vorbei und jagt sie.«

»Ein kleiner Igel macht solche abartigen Geräusche?«, fragte Kim. Sie blickte skeptisch zu dem Busch, aus dem jetzt lautes Schmatzen drang.

Marie strich sich energisch eine Strähne ihrer langen blonden Haare hinter das Ohr. »Das klingt eher wie ein Vampir.«

Franzis Vater lachte. »Wenn man das Geräusch nicht kennt, kann man es tatsächlich mit der Angst zu tun bekommen.« Er leuchtete das Gebüsch an. Im Lichtkegel war ein großer Igel mit einer glänzenden schwarzen Knopfnase zu erkennen. Er hielt ein Schneckenhaus zwischen den Vorderpfoten. Herr Winkler schaltete die Lampe aus. »Dann wollen wir ihn mal nicht weiter stören.«

Franzi nickte. »Aber es war super, dass er uns gestört hat. Sonst hätten wir die Sternschnuppen verschlafen.«

»Stimmt«, sagte Marie. Sie klopfte auf eins der weichen Kissen, die überall auf der Matratze verteilt waren. »Das Hängebett ist so was von gemütlich! Ich habe nur mal kurz die Augen zugemacht und bin direkt eingeschlafen.«

»Das ist wirklich eine tolle Idee von Ihnen gewesen«, fügte Kim hinzu.

»Freut mich!«, antwortete Herr Winkler. Er fuhr prüfend über eines der dicken Seile, mit denen das Bett an zwei Ästen befestigt war. Eigentlich war es kein komplettes Bett, sondern ein Lattenrost, den Franzis Vater beim Aufräumen auf dem Dachboden gefunden hatte. Er hatte ihn in den Ästen zweier großer Eichen festgebunden und Franzi hatte eine alte Matratze bezogen und Kissen und Decken darauf drapiert. Knapp einen halben Meter über dem Boden schwang nun ein großes, bequemes Outdoor-Bett sanft hin und her. Es war natürlich Ehrensache gewesen, dass Franzi es zusammen mit ihren Freundinnen und Detektivkolleginnen Kim und Marie einweihte.

Herr Winkler lächelte. »Dann lasse ich euch mal wieder allein in der wilden Natur zurück.« Er zwinkerte. »Wenn was ist, einfach schreien!« Er winkte und wandte sich zum Gehen.

»Papa, das war gemein!«, rief Franzi ihm hinterher.

»Lass mal«, sagte Marie. »Ich habe vorhin wirklich überreagiert. Aber das passiert mir nicht noch mal.«

Franzi musste grinsen. Es war Marie deutlich anzumerken, dass ihr die Sache peinlich war. Sie hatten mit ihrem Detektivclub Die drei !!! schon unfassbar viele gefährliche Situationen gemeistert – und jetzt versetzte sie ein harmloses kleines Tier in Angst und Schrecken.

Kim seufzte. »Ich fand das Geräusch auch mehr als unheimlich. Aber Marie und ich wohnen eben in der Stadt. Da laufen keine Igel herum und schnaufen wie die Weltmeister.«

Marie nickte. »Eigentlich ziemlich schade.« Sie grinste. »Ich meine, nicht die Igel. Auf die kann ich verzichten. Aber so einen schönen Sternenhimmel wie hier kann man in der Stadt niemals sehen!« Marie legte den Kopf in den Nacken und sah verträumt nach oben. Das leise Schmatzen, das aus dem Busch zu ihnen drang, schien sie nicht mehr zu stören.

Franzi blickte ebenfalls in den Himmel. Vor der undurchdringlichen Schwärze des Firmaments leuchteten unzählige Sterne. Sie glitzerten wie kostbare Diamanten, die auf schwarzem Samt verstreut waren. Keine Straßenbeleuchtung oder Lichter von Häusern störten den Anblick. Wieder einmal mehr freute sich Franzi, dass sie mit ihrer Familie hier am Stadtrand in dem alten Bauernhäuschen lebte. Es war umgeben von weiten Feldern, Weiden und Waldstücken, die einigen Bauern gehörten, und Franzi konnte mit ihrem Pony Tinka jederzeit von der Koppel aus weitläufige Ausritte in der Gegend unternehmen. Sie liebte diese Stunden, die sie ganz allein mit ihrer lebhaften Rappstute in der Natur verbrachte. Aber mindestens genauso liebte sie den Kitzel, den sie bei der Detektivarbeit mit Kim und Marie erlebte. Erst vor wenigen Tagen war es ihnen gelungen, einen äußerst mysteriösen Fall zu lösen. Sie hatten einen skrupellosen Täter dingfest gemacht, der nachts als schwarzes Phantom durch einen Rosengarten schlich und die Anwohner in Angst und Schrecken versetzte. Fast nebenbei hatten sie auch noch einen fiesen Betrugsversuch aufgedeckt. Franzi seufzte zufrieden. Zusammen waren Die drei !!! wirklich ein unschlagbares Team. Aber jetzt waren erst mal Ferien und Erholung angesagt! Schon vor Wochen hatten sie eine Liste erstellt: Sie würden ins Waldschwimmbad gehen, Radtouren machen, Eis essen, die Gorilla-Babys im Zoo besuchen und viele schöne andere Sachen machen. Und heute verbrachten sie die Nacht draußen in dem gemütlichen Hängebett und würden ein seit Wochen angekündigtes Himmels-Spektakel genießen. Anfang August gab es immer besonders viele Sternschnuppen. Das Ereignis hieß »Perseiden-Strom«. Tausende von verglühenden Meteoren würden über den nächtlichen Sommerhimmel rasen und dabei ihre leuchtenden Spuren ziehen. Franzi wartete gespannt. Auch Kim und Marie sahen konzentriert in den Himmel.

»Da war eine!«, rief Marie plötzlich. Sie sprang vom Hängebett und lief zum Koppelzaun vor.

»Wo?«, fragte Kim.

»Schon vorbei«, murmelte Marie. Im selben Moment glommen zwei Lichtpunkte dicht nebeneinander auf und beschrieben einen rasanten Bogen über den Himmel. Wie winzige Feuerwerkskörper schossen sie durchs Dunkel. Das Phänomen hielt nur wenige Sekunden an, dann wurden die Lichtpunkte vom Himmelsschwarz verschluckt. Aber schon kurz darauf leuchteten weitere Feuerbälle auf und zogen ihre gleißenden Spuren in die Dunkelheit. Immer mehr Sternschnuppen regneten im Sekundentakt herab.

Die drei Mädchen blickten atemlos in den Himmel.

»Wahnsinn!«, murmelte Kim. »So etwas habe ich noch nie gesehen.«

Franzi und Marie nickten stumm.

»Wünscht euch was!«, flüsterte Marie schließlich, ohne den Blick vom Firmament abzuwenden. Wieder und wieder querten Feuerpunkte den Nachthimmel.

»Guter Hinweis, das hätte ich fast vergessen«, flüsterte Kim. Sie lehnte sich an den Koppelzaun und sah konzentriert in den Himmel.

Franzi sog genüsslich die mild duftende Sommernachtsluft ein. Sie dachte an Blake. An seine blitzblauen Augen, die verstrubbelten dunklen Haare, sein warmes Lachen. Sie konnte sein Gesicht ganz nah vor sich sehen. Als eine besonders große Sternschnuppe den Himmel kreuzte, wünschte Franzi sich, dass die zehn Tage, die er im Ruder-Trainingscamp verbrachte, wie im Flug vergehen würden. Das war gerade der einzige, große Wunsch, den sie hatte: Blake sollte wieder da sein! Sie wollte sich in seine Arme werfen, seine warmen Lippen spüren, seine vertraute Stimme hören. Franzi seufzte und schloss die Augen.

»Hast du dir gewünscht, dass Blake bald zurückkommt?«, fragte Marie prompt. Franzi öffnete die Augen. Ihre Freundin lächelte sie an. Franzi räusperte sich und zupfte an einem ihrer kurzen Zöpfe.

»Nichts sagen!«, rief Kim, bevor Franzi antworten konnte. »Sonst geht der Wunsch nicht in Erfüllung!«

»Quatsch!«, sagte Marie sofort. »Das ist nur beim Wimpernwunsch so. Du weißt schon, du findest eine deiner Wimpern, wünschst dir was und pustest sie weg. Dabei darf man das, was man sich gewünscht hat, niemandem verraten.« Marie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Bei Sternschnuppen gilt das nicht.«

»Bist du sicher?«, fragte Kim.

Marie nickte. »Klar! Also, ich verrate euch meinen Wunsch: Ich möchte, dass mich Sami morgen wieder ganz süß anlächelt und fragt, ob wir zusammen Zimtschnecken backen.«

Franzi grinste. Sami war der neue Au-pair-Junge, der seit fast zwei Wochen bei Maries Familie lebte und sich um Finn, Maries dreijährigen Halbbruder, kümmerte. Er kam aus Finnland, war 18 Jahre alt, wollte Medizin studieren und Kinderarzt werden. Da er nicht sofort einen Studienplatz bekommen hatte, hatte er beschlossen, ein Jahr als Au-pair in Deutschland zu verbringen. Laut Marie war Sami sehr lustig, konnte fantastisch backen und kam sofort mit allen Menschen klar. Franzi war schon neugierig darauf, den Jungen kennenzulernen. Sie waren mit ihm und Finn morgen Nachmittag auf dem Laurentius-Markt verabredet.

»Du weißt aber schon, dass Sami sich nicht um dich kümmern soll«, stichelte Franzi, »sondern um deinen kleinen Bruder!«

Marie warf ihre Haare über die Schulter zurück und grinste. »Klar. Generell schon. Deshalb habe ich mir ja auch vom Universum gewünscht, dass er ein Mal was mit mir alleine macht.«

Franzi schüttelte lachend den Kopf. »Du bist echt unverbesserlich!«

Kim räusperte sich. »Was ist eigentlich mit Holger? Hast du ihn schon getroffen und ihm die Meinung gesagt?«

Franzi zuckte zusammen. Marie war seit ein paar Wochen gar nicht gut auf ihren Freund zu sprechen. Vielleicht war er mittlerweile auch schon ihr Exfreund? Franzi kannte die neuesten Entwicklungen nicht.

Jedenfalls waren Marie und Holger einmal lange Zeit ein sehr glückliches Paar gewesen. Doch dann hatte Holger gestanden, dass er sich nicht mehr sicher war, ob er Marie wirklich noch liebte, und eine Beziehungspause vorgeschlagen. Wenige Tage später hatte Marie ihn dann zusammen mit einem anderen Mädchen beim Parkouring-Training gesehen. Die beiden hatten nicht gerade den Eindruck gemacht, bloße Sportpartner zu sein. Seitdem war Marie tief enttäuscht von Holger und hatte eigentlich vorgehabt, einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen.

»Ja. Holger«, sagte Marie spitz. »Der musste unser Treffen absagen. Er hatte einen Unfall.«

»Das hast du gar nicht erzählt«, rief Kim. »Der Arme!«

Marie verzog den Mund. »Mein Mitleid hält sich in Grenzen.«

»Ist ihm was beim Parkouring passiert?«, fragte Franzi.

»Nein.« Marie schüttelte den Kopf. »Er ist bei Rot über die Straße gelaufen.«

Kim riss die Augen auf. »Verdammt. Er ist überfahren worden!«

Marie kletterte auf den Koppelzaun und ließ die Beine baumeln. »Nein. Er ist mit einem anderen Jungen zusammengestoßen, der auch bei Rot rübergerannt ist. Von der gegenüberliegenden Seite. Beide haben nicht nach vorne geschaut, sondern nur auf die Autos geachtet. Und dann: Peng!« Marie zuckte mit den Schultern. »Sie sind mit den Köpfen zusammengeknallt. Schwere Gehirnerschütterung. Mindestens eine Woche Bettruhe.«

»Oje«, sagte Kim.

»Wie gesagt, mein Mitleid hält sich in Grenzen«, wiederholte Marie.

Plötzlich reckte sie den Hals und sah in den Himmel. »Das ist ja seltsam!«

»Was meinst du?«, fragte Franzi und beugte sich ebenfalls weiter vor. Sie konnte jedoch nichts entdecken und nahm an, dass Marie nur vom Thema Holger ablenken wollte.

Doch Marie beharrte darauf: »Da, rechts, über dem Wald«, sagte sie. »Da ist doch was!«

»Ich sehe Sterne«, sagte Franzi. »Millionen von Sternen. Und viele Sternschnuppen.«

»Ja, aber siehst du auch die fünf Lichtpunkte, die ganz dicht nebeneinanderstehen?« Marie kniff die Augen zusammen. »Die bewegen sich! Und zwar nicht wie Sternschnuppen.«

Franzi sah genauer hin. Jetzt erkannte sie, was Marie meinte. Über dem Wald leuchteten fünf besonders große Sterne: einer in der Mitte und vier drumherum. Die Formation bewegte sich inmitten der fallenden Sternschnuppen langsam auf und ab und schien in Richtung der Felder zu ziehen. Bei genauerem Hinsehen konnte man erkennen, dass sie anders leuchtete als die Sterne am Himmel. Ihr Licht war stärker, kälter, bläulicher. Plötzlich begann das Licht im Zentrum zu blinken.

Kim kletterte über den Koppelzaun und lief ein Stück weiter hinaus auf die Wiese. »Leute, das sind weder Sterne noch Sternschnuppen!«

Franzi und Marie folgten ihr. Die Lichter verloren an Höhe. Sie schossen wieder zurück in Richtung des Waldes, sackten rasant ab, fingen sich, begannen dann zu kreiseln und verloren weiter an Höhe. Mit einem Mal verlosch das Leuchten. Die drei !!! sahen sich an.

»Was war das denn jetzt?«, rief Kim. »Ist da ein Flugzeug abgestürzt?«

»Das hätten wir doch gehört«, antwortete Marie. Sie schüttelte den Kopf. Im Mondlicht konnte Franzi ihr Gesicht sehen, auf dem sich Ratlosigkeit spiegelte. »Also, ich weiß ja, dass das jetzt total verrückt klingt. Aber wenn ihr mich fragt, dann sah das Ganze nach einem Ufo aus!« Marie lief noch ein Stück weiter auf die Koppel hinaus. »Sagt mal, leuchtet da etwas hinten in den Feldern?«, rief sie.

»Ich sehe zwei helle Punkte«, antwortete Kim. »Sie bewegen sich knapp über dem Boden.«

Franzi orientierte sich kurz. »Das ist bei den Maisfeldern vor dem Hühnerhof der Familie Ahlers.«

Marie stemmte die Arme in die Seiten. »Das müssen wir uns sofort ansehen!«

Kim nickte. »Auf jeden Fall.«

»Meint ihr, da laufen jetzt ein paar abgestürzte Aliens herum?«, fragte Franzi.

»Wer weiß«, rief Marie zurück. »Wir müssen auf jeden Fall nachsehen. Los, kommt schon!«

Franzi schüttelte den Kopf. »Wartet, ich hole erst die Taschenlampen! Sonst brechen wir uns alle Knochen. In den Feldern gibt es dutzende von Löchern!«

»Gut«, rief Marie. »Aber beeil dich.«

Das brauchte sie Franzi nicht zweimal zu sagen. Sie rannte wie der Teufel zurück zum Koppelzaun, flankte darüber und spurtete zum Pferdeschuppen.

Spuk am Himmel

Das Tor des alten Schuppens knarrte leise, als Franzi es aufstieß. Sie schaltete das Licht ein, obwohl sie sich wahrscheinlich auch in völliger Dunkelheit in dem Raum zurechtgefunden hätte. Zusammen mit Kim und Marie hatte sie hier schon unzählige Stunden verbracht, denn der Schuppen war ihr geheimes Hauptquartier, in dem sie ihre Detektiv-Besprechungen abhielten. Franzi ging schnell an der Sitzecke mit dem runden Tisch und den drei Stühlen vorbei und steuerte auf einen silbernen Rollcontainer zu. Dort bewahrten die Detektivinnen ihre Utensilien auf, die sie für die Ermittlungen benötigten. Franzi riss die oberste Schublade auf, schob das Abhörgerät und das Fingerabdruck-Set zur Seite und schnappte sich drei mittelgroße Taschenlampen.

Als sie die Schuppentür zuschlug, hörte sie, dass ein Auto in die Einfahrt zum Hof einbog. Das eindrucksvolle Knattern, das der Motor von sich gab, konnte nur von Stefans altem Opel stammen. Franzi schüttelte den Kopf. Eigentlich wohnte ihr älterer Bruder schon lange nicht mehr zu Hause. Er studierte BWL und hatte ein Zimmer in einer WG in der Stadt gemietet. Allerdings kam er häufig spontan nach Hause, wenn er auf einer Party in der Nähe gewesen war und keine Lust hatte, weiter in die Stadt hineinzufahren. Meistens brachte er dann noch, rein zufällig natürlich, einen großen Sack mit Schmutzwäsche mit, den er in der Waschküche abstellte.

Franzi lief auf das geparkte Auto zu. Tatsächlich war es Stefans Uralt-Opel. Ihr Bruder zog gerade eine große Tasche vom Beifahrersitz. Sie war bis zum Zerbersten gefüllt und der Ärmel eines Pullis und eine Tennissocke quollen aus dem halb geöffneten Reißverschluss heraus. Stefan zuckte zusammen, als Franzi aus dem Dunkel heraus auf ihn zulief.

»Hast du mich erschreckt!«, sagte er. »Was machst du denn hier?«

Franzi stemmte die Arme in die Seite. »Das könnte ich dich auch fragen!«

Stefan zog eine Augenbraue hoch. »Ich bin schon lange volljährig und kann mich nach Mitternacht herumtreiben, wo ich will. Du hingegen …«

»Ich befinde mich immer noch zu Hause!«, unterbrach ihn Franzi grinsend. »Außerdem sind Ferien, und überhaupt – ich hab jetzt keine Zeit!«

»Was hast du denn vor?« Stefan deutete auf die Taschenlampen in Franzis Händen.

Franzi verdrehte die Augen. »Wir –«

Im selben Moment kam Marie angelaufen, dicht gefolgt von Kim.

»Wo bleibst du denn!«, rief sie leise. »Wir müssen uns beeilen, sonst sind die Lichter weg!« Dann sah sie Franzis Bruder. »Oh, hallo, Stefan!«

»Hi!«, grüßte Stefan zurück. »Du meine Güte«, murmelte er. »Alle drei Detektivinnen in Eile. Das kann nur eins bedeuten: Sie verfolgen einen Verbrecher.«

»Das wissen wir noch nicht«, sagte Marie. »Wir haben einen sehr seltsamen Spuk am Himmel beobachtet: Ein unbekanntes Flugobjekt ist herumgeflogen und dann in den Feldern gelandet. Wir müssen unbedingt nachsehen.«

»Bitte?« Stefan lachte auf. »Spuk am Himmel! Das ist ja mal was Neues.« Er sah in den Sternenhimmel und zwinkerte anschließend den drei Detektivinnen zu. »Falls ihr es noch nicht mitbekommen habt: Heute ist Sternschnuppennacht. Ihr habt bestimmt einen besonders großen Meteoren entdeckt.«

»Nein.« Franzi schüttelte energisch den Kopf. »Das war etwas anderes.« Sie warf Kim und Marie je eine Taschenlampe zu. »Los geht’s!« Zu ihrem Bruder gewandt sagte sie: »Du kannst ja mitkommen!«

Stefan seufzte. »Na gut, ich kann euch ja nicht allein in die einsame Nacht laufen lassen.«

Franzi grinste. »Gib einfach zu, dass du neugierig bist!«

Die drei !!! liefen los. Stefan sprintete hinterher.

Als sie die Koppel erreicht hatten, blieben sie stehen und orientierten sich kurz. Der Wind hatte aufgefrischt und ein blasser Mond beleuchtete die zerfaserten Wolken am Himmel. Es fielen kaum noch Sternschnuppen.

Stefan sah sich um. »Wo sind denn nun eure Aliens?«, witzelte er.

»Die Lichter waren im Maisfeld in der Nähe vom Ahlers-Hof«, sagte Franzi.

»Da!«, rief Marie. »Ich kann sie wieder sehen. Jetzt sind sie ein Stück weiter draußen.«

Stefan kniff die Augen zusammen und pfiff durch die Zähne. »Tatsache: Da ist was.«

Franzi knuffte ihn in die Seite. »Haben wir doch gesagt!«

Die drei Mädchen schalteten ihre Taschenlampen ein und liefen, dicht gefolgt von Stefan, bis zum Ende der Koppel. Dort stiegen sie über den Zaun und liefen weiter am Rand des angrenzenden Rapsfeldes entlang. Nach einigen Minuten erreichten sie einen schmalen Weg, der das Feld von einem üppig bewachsenen Maisacker trennte. Die Pflanzen waren fast zwei Meter hoch.

»Da!«, rief Marie. Sie deutete schräg links vor sich.

Kim sah in die angegebene Richtung, konnte aber nichts entdecken.

»Mist«, fluchte Franzi. »Das ist total unübersichtlich.« Sie leuchtete in eine Reihe von Maispflanzen hinein.

Plötzlich flammte gleißendes Licht auf. Franzi wich zurück, landete mit einem Fuß in einem Erdloch und verlor das Gleichgewicht. Sie plumpste zu Boden. Marie sprang zu ihr.

»VERSCHWINDET!«, schrie eine wütende Stimme. Maisblätter raschelten. Jemand näherte sich mit schnellen, energischen Schritten. Während Franzi sich mit Maries Hilfe wieder aufrappelte, sah sie aus dem Augenwinkel ein Paar Beine, das in groben Arbeitshosen steckte. Das Licht blendete sie, sodass sie weiter nichts von der Person erkannte, die wütend schnaufte und wiederholte: »Verschwindet endlich und –«