N. Bernhardt
Buch XVIII: Chaos in Hymal
Der Hexer von Hymal
N. Bernhardt
Buch XVIII: Chaos in Hymal
Der Hexer von Hymal
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-954187-67-6
null-papier.de/374
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Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel: Nach der Schlacht
Zweites Kapitel: Neuanfang in Halfuár
Drittes Kapitel: Rat und Tat
Viertes Kapitel: Eine bittere Wahrheit
Fünftes Kapitel: Neue Pläne und neuere Pläne
Sechstes Kapitel: Ein Krieg und seine Folgen
Siebtes Kapitel: Der Preis der Freundschaft
Ausblick
Nach der gewonnenen Schlacht muss Nikko erst einmal seine Verbündeten besänftigen. Schließlich hatten sich die Orks viel mehr von ihrem Sieg versprochen. Auch die Sache mit dem rätselhaften Geist duldet keinen Aufschub mehr.
Erst nach einigen offenen Worten Danuwils erkennt der junge Zauberer, dass sein nicht eben dezentes Handeln Konsequenzen haben dürfte. Werden ihm die Stände Hymals nach dieser Aktion überhaupt noch folgen wollen?
Weitere Informationen zur Reihe und zum Autor finden Sie unter:
hymal.info
Noch immer saß Nikko auf dem Kopf seines Drachen und stierte in das zornige Gesicht des Orkfürsten. Es mochten so nur wenige Augenblicke vergangen sein, doch kam es ihm wie eine Ewigkeit vor. Warum sagte Krûl nichts?
Vielleicht sollte der junge Zauberer die Gunst der Stunde nutzen, um sich der Orks hier und jetzt ein für alle Mal zu entledigen. Solange der Fürst und seine Horde so … einladend vor ihm standen, könnte er die ganze Brut mit dem Odem des untoten Drachen bestimmt ohne große Probleme beseitigen. Aber wäre das wirklich ein kluger Zug?
Wohl kaum. Jedenfalls nicht, solange der Magier sich nicht sicher war, dass dieser Geist der Orks – wer oder was auch immer sich dahinter verbarg – ihm eine solche Tat nicht zürnen würde.
Da begann Krûl, endlich zu sprechen. Noch bevor Grâkh die Worte seines Herrn übersetzen konnte, hatte Nikko das Gefühl, dass es eher Enttäuschung war, die in den Grunzlauten des Orkfürsten mitschwang, als Zorn wegen der eigenen Krieger, die der Drache dahingerafft hatte.
»Große Krûl nich froh, dass Schlach so einfach«, meinte Grâkh schließlich. »Große Biest habe alle Spaß und Ork nur zusehen?«
»Ork jetz jage Reste von Mensch«, übersetzte er weiter, bevor Nikko etwas erwidern konnte. »Große Biest habe Dank von Ork.«
Na, wenigstens hatte Nikko sich nicht den Zorn der Orks wegen der Toten in ihren eigenen Reihen zugezogen. Allerdings würden sie nun offenbar genau das machen, was der Zauberer zuvor bereits befürchtet hatte. Sie wollten die Überlebenden des Kampfes jagen, um doch noch ihren Spaß an der Schlacht zu haben. Das musste der Magier irgendwie verhindern!
»Die Schlacht ist gewonnen«, verkündete Nikko und versuchte dabei, möglichst imposant zu klingen. »Der Krieg ist vorbei. Zieht Euch nun in Eure Festung zurück!«
Als Grâkh dem Orkfürsten diese Worte übersetzte, verfinsterte sich dessen Miene aufs Neue. Am Klang der daraufhin gegrunzten Antwort konnte Nikko schon erahnen, dass Krûl dieser Aufforderung nur widerwillig nachkommen würde – wenn überhaupt.
»Große Krûl nich hier um nur zusehe«, übersetzte Grâkh, der ebenfalls nicht länger guter Laune war. »Große Krûl hier um kämpfe und Beute mache, so wie große Geist versprech.«
Kämpfen? Beute? Ja, was dachten sich die widerlichen Biester eigentlich? Immerhin waren sie in Halfuár, also auf Nikkos eigenem Grund und Boden. Wer hier plünderte – wenn überhaupt, entschied doch einzig und allein er selbst!
»Ihr hattet die Gelegenheit zu kämpfen«, antwortete der Zauberer, der nun ebenfalls wütend wurde. »Dass ihr zu langsam wart, ist nicht meine Schuld.« Mit beinahe bebender Stimme fügte er hinzu: »Vergesst auch nicht, dass Ihr auf meinem Land seid. Niemand plündert hier ohne meine Erlaubnis!«
Nun folgte eine angeregte Diskussion zwischen Krûl und Grâkh, in die sich hin und wieder auch andere Orks lautstark einmischten. Natürlich verstand Nikko kein Wort, aber anhand der allgemeinen Stimmung erwog er erneut, den ganzen Orkhaufen mit seinem Drachen ein für alle Mal zu vernichten. War es nicht viel zu riskant, diese Bestien in Hymal weiterhin unbehelligt ihr Unwesen treiben zu lassen?
»Große Geist sag Macht und Beute«, verkündete Grâkh schließlich. »Große Krûl nich gehe ohne!«
Immer wieder dieser blöde Geist! Aber Nikko hatte auch Verständnis für den Orkfürsten. Immerhin hatte er seine Truppen gesammelt und war zur Schlacht geeilt. Dass der Kampf ohne größeres Zutun seinerseits gewonnen worden war, könnte ihn in den Augen seiner Untergebenen schon einiges an Ansehen gekostet haben. Nun auch noch ganz ohne Beute davonzuziehen, ließe ihn noch schlechter aussehen.
Sollte Nikko die Orks also doch vernichten? In dieser Situation wäre das fast schon ein Akt der Gnade – jedenfalls für Krûl. Dennoch, der unbekannte Geist der Orks ließ dem Magier einfach keine Ruhe.
»Ihr habt tapfer gekämpft«, lenkte Nikko schließlich ein, denn immerhin war es am zu Beginn der Schlacht zu einem kleinen Gefecht zwischen der vordersten Reihe der Orks und Fydals Reiterei gekommen. »Auch sollt Ihr nicht ohne Beute bleiben.« Mit blutendem Herzen bot er an: »Alle Toten auf dem Feld und deren Besitz sind Euer.«
Als Grâkh mit dem Übersetzen fertig war, fügte Nikko noch hinzu: »Die von der Schlacht Geflohenen jedoch gehören mir allein und werden von Euch nicht gejagt. Bis zum morgigen Sonnenaufgang habt Ihr Zeit, das Schlachtfeld zu plündern. Danach zieht Ihr Euch in die Berge zurück.«
Die Antwort des Orkfürsten klang zwar wieder ruhiger als sein hitziges Gegrunze zuvor, aber dennoch hatte Nikko ein eher ungutes Gefühl, denn Krûls Ausführungen waren einfach zu lang, um diese als Zustimmung deuten zu können.
»Große Krûl gib Dank«, übersetzte Grâkh dann endlich. »Große Krûl sage ja bis große Geist sage ja oder nein. Grâkh werd spreche mit große Geist in kommende Nacht.«
»Einverstanden«, freute sich der Zauberer, dass er zumindest etwas Zeit gewonnen hatte. Immerhin blieb ihm so fast ein ganzer Tag, um die Überlebenden der Schlacht in Sicherheit zu bringen.
Nikko hatte mittlerweile Stunden damit verbracht, die Lage um das Schlachtfeld herum unter Kontrolle zu bekommen. Einerseits galt es dabei, die Überlebenden möglichst frühzeitig von den Orks zu trennen – nicht, dass die Biester doch noch in Versuchung gerieten, sich an den Fliehenden zu vergreifen. Andererseits wollte der Zauberer die Orks auch nicht allzu lange aus den Augen lassen. Irgendwie traute er dem ohnehin so zerbrechlichen Frieden nicht.
Das Wetter war ihm bei seinem Unterfangen nicht gerade behilflich. So willkommen die trüben Wolken und Nebelschleier ihm während der Schlacht gewesen waren, so sehr behinderten sie nun seine Sicht über die weite Ebene. Jedes Mal, wenn Nikko wieder eine Gruppe flüchtender Soldaten des Herzogs auf der Ebene erspähte und mit einem Scheinangriff seines Drachens von den Orks wegtrieb, verlor er Krûls mittlerweile ohnehin weit zerstreute Truppe zeitweise aus dem Blickfeld.
Am Nachmittag wagten es einige besonders dreiste Orks sogar, bedrohlich nah an Halfuár heranzurücken, wo Nikkos Untertanen sich hoffentlich weiterhin in der Burg verschanzt hielten. Dennoch musste der Magier nun auch noch die Orks von der Festung wegtreiben. Na ja, Erfahrung aus seiner Zeit als Hirte hatte er immerhin genug.
Als dann gegen Abend die Dunkelheit einsetzte, musste Nikko es letztendlich aufgeben, die versprengten Fetzen von Fydals geschlagenem Heer von den Orks wegzutreiben. Er konnte nur noch hoffen, dass die meisten der Überlebenden mittlerweile in Richtung Sinál unterwegs waren oder sich auf Halfuár in Sicherheit gebracht hatten.
Soweit der Zauberer es bei der Dunkelheit erkennen konnte, hatten sich Krûls Kämpfer nun wieder gesammelt und schienen sich zum Abmarsch bereit zu machen. Hatte also tatsächlich alles so funktioniert, wie Nikko es sich vorgestellt hatte?
Darauf verlassen wollte er sich lieber nicht. Trotz zunehmender Müdigkeit sollte er die Orks weiterhin im Auge behalten. An Schlaf war in dieser Nacht also nicht zu denken, schließlich musste er davon ausgehen, dass die Biester die Dunkelheit bis zum letzten Augenblick ausnutzen würden. Aber vielleicht ergab sich trotzdem noch die Möglichkeit, irgendwann eine kleine Meditation dazwischen zu schieben.
Während er eine Schleife durch die Wolkendecke flog, machte Nikko sich und den Drachen wieder unsichtbar. Er hatte nämlich das Gefühl, dass es besser wäre, wenn die Orks nicht bemerkten, dass sie beobachtet wurden. Vielleicht könnte er so mehr über ihre wahren Intentionen erfahren.
Moment mal! Hatte Grâkh nicht gesagt, dass er in dieser Nacht den Geist der Orks befragen würde? Das wäre doch die perfekte Gelegenheit, mehr über dieses Wesen zu erfahren. Mit etwas Glück könnte Nikko sich die zur Beschwörung des Geistes nötigen Muster bei Grâkh einfach abschauen.
Beschwörung? Ja, wurde der Geist denn überhaupt beschworen oder kommunizierte der Ork auf andere Art mit dem rätselhaften Wesen? Nun, es gab nur einen Weg, das alles herauszufinden. Nikko musste Grâkh einfach die ganze Nacht über beobachten.
Es war alles andere als einfach gewesen, die Orks in der Dunkelheit des fortgeschrittenen Abends nicht aus den Augen zu verlieren, obwohl sie mit der Beute vom Schlachtfeld so schwer beladen waren, dass sie nicht besonders schnell vorankamen. Glücklicherweise stießen die Biester bald auf die Straße nach Telgâr, der sie dann eine ganze Weile lang folgten.
Noch viel mehr Glück hatte der Zauberer, als sich die Wolken tief in der Nacht weitgehend auflösten und den Schimmer von Mond und Sternen durchscheinen ließen, sodass wenigstens etwas Licht auf die Erde fiel. Denn nur deswegen entging ihm nicht, dass die Orks irgendwann die Straße verließen und ihren Weg querfeldein fortsetzten.
Der Pfad zu Krûls Festung in den Bergen konnte es jedoch noch nicht sein, denn dafür waren sie viel zu nahe bei Halfuár. Wo aber konnten die Orks sonst hin wollen?
Verdammt! Wohin waren die Biester jetzt so plötzlich verschwunden? Auf einmal schienen sie wie vom Erdboden verschluckt zu sein! Nikko, der noch immer unsichtbar auf seinem Drachen ritt, flog mehrere Schleifen über das Gebiet, auf dem er die Orks verloren hatte. Aber das half nichts. Es war einfach zu dunkel, um etwas Genaueres zu erkennen.
Vermutlich waren Krûl und seine Krieger in irgendeinem Loch verschwunden. Bis der Großherzog das Land vor nun fast zwei Jahren von den Orks erobert hatte, war ganz Hymal in ihren Klauen gewesen. Aus dieser Zeit kannten sie sicherlich noch alle Höhlen und sonstigen Verstecke in der Umgebung.
Es wäre wohl am besten, den Drachen hier irgendwo zu landen und dann zu Fuß weiter zu suchen. Nikko könnte sich dabei auch auf Nase und Ohren verlassen. Orks waren ja nicht unbedingt die dezentesten Wesen, die auf der Erde ihr Dasein fristeten.
Nachdem er den Drachen gelandet hatte, übertrug Nikko den Unsichtbarkeitszauber nur auf sich. Zwar könnte er die Echse auch weiterhin tarnen, befürchtete jedoch, sie später nicht ohne Probleme wiederzufinden.
Seine Hoffnung, die Orks über ihren Gestank und ihre ekligen Geräusche aufspüren zu können, stellte sich schon bald als berechtigt heraus. Tatsächlich hörte er aus einer Richtung nicht nur die kratzigen Laute der Biester besonders laut, sondern dazu noch das Knurren ihrer grässlichen Wargs. Auch der Gestank schien sich von dort her intensiv auszubreiten.
Schon wenige Augenblicke später erkannte der Magier, dass die Wargs vor einem Höhleneingang warteten. Dieser wurde von zwei Orks mit … vermutlich Keulen bewacht. Genau konnte Nikko es bei der Dunkelheit nicht sehen. Aus dem Innern der Höhle ließ sich das übliche Gegrunze vernehmen. Half ihm draußen noch das spärliche Licht von Mond und Sternen, würde er in dem stockfinsteren Loch so gut wie blind sein. Wie sollte er sich dort drinnen nur zurechtfinden?
Die blaue Dimension? Wenn es Nikko gelingen würde, die richtige Entrückung zu finden, müsste es doch möglich sein, die Orks im bläulichen Schein dieser faszinierenden Welt zu beobachten. So bestünde auch keine Gefahr, sich durch seinen Geruch oder irgendwelche Geräusche zu verraten. Gerade die Wargs hatten ja ausgezeichnete Nasen. So jedenfalls hatte Danuwil es ihm vor langer Zeit einmal erzählt.
Nikko hatte sich die Einzelheiten über einige der Entrückungen gemerkt, in denen der Drache in der blauen Welt sichtbar war. Wenn der Magier außerdem einen Schwebezauber wirkte, bestand auch keine Gefahr, dass er durch eventuell durchlässiges Gestein hindurchfiel.
Also versetzte er sich direkt aus seiner Unsichtbarkeit heraus in die blaue Welt, wirkte schnell noch einen Schwebezauber und begann dann mit der Entrückung. Zuerst wählte er eine Phase, in welcher der Drache in der blauen Dimension sichtbar blieb. Ein Blick über die Schulter in die Richtung, in der er die Echse warten ließ, bestätigte dies. Leider war nun weder von den Wargs noch von den Orks etwas zu sehen.
Der Meister musste eine ganze Reihe von Kombinationen durchprobieren, fand letztlich aber eine, in der skurrilerweise nur die Orks erkennbar waren, alles andere erschien bestenfalls als blassblauer Schimmer. Das hatte jedoch den großen Vorteil, dass Nikko sich keinen Weg in die Höhle suchen musste. Nein, er konnte einfach durch die Felsen zu den Biestern hin schweben.
Als er dann ganz in der Nähe der Orks ankam, musste er enttäuscht feststellen, dass er nicht hören konnte, was die Bestien sagten, obwohl sie sich angeregt zu unterhalten schienen. Na ja, er verstand ihre Sprache ohnehin nicht. Dennoch störte er sich irgendwie an der Stille.
Trotz der Verschwommenheit der bläulichen Gestalten konnte Nikko zumindest Krûl und Grâkh in der Masse erkennen. Die beiden hatten dabei nicht nur die imposantesten Figuren, sie waren es auch, die sich am heftigsten miteinander unterhielten – wenn nicht gar stritten.
So ging das eine ganze Weile lang, bis Nikko irgendwann die ersten Zweifel kamen, ob er auf diese Weise überhaupt etwas über den Geist der Orks herausfinden konnte. Allerdings hatte Grâkh ja gesagt, dass er das Wesen noch in der Nacht befragen würde. Dann aber schienen die beiden sich zu trennen.
Der Orkfürst ließ Grâkh allein und entfernte sich mit allen seinen Kriegern. Mehr konnte Nikko nicht erkennen. Grâkh jedoch machte keine Anstalten, sich ebenfalls zu entfernen. Nein, nun fing er sogar an, sich vor irgendetwas oder irgendwem zu verbeugen und wild zu gestikulieren.
War das Glück Nikko also doch noch hold? Ja, es sah fast so aus, als würde der Ork nun den Geist herbeirufen oder anrufen – oder was auch immer. Aber was war das? Der Magier konnte zwar erkennen, dass reichlich Energien flossen, Muster waren dem Ganzen jedoch nicht zu entnehmen. Was konnte das bedeuten?
Mehrere Minuten lang zog sich das Schauspiel hin, doch noch immer erkannte Nikko keine klare Struktur. Weder bekam er ein Gefühl dafür, wer oder was dieser Geist nun war, noch sah er einen Hinweis, wie er unter Umständen selbst mit ihm Kontakt aufnehmen könnte. Dann schien Grâkh sein Ritual zu beenden. Ob der Ork mit dem Ergebnis zufrieden war, war jedoch nicht auszumachen. Dazu war sein Ebenbild in dieser Welt viel zu verzerrt und verschwommen.
Plötzlich ertönte ein grässliches Lachen! Einfach so. Wo kam das denn her? Die Laute der Orks konnte der Magier hier doch gar nicht hören. Es musste also ein anderes Wesen sein, das sich so amüsierte. Moment mal, war das etwa der Geist der Orks, der Nikko da auslachte?
Der Zauberer hatte den Rest der Nacht in einiger Entfernung von der Orkhöhle verbracht, war aber nicht richtig zur Ruhe gekommen. Erst eine ausgiebige Meditation am Morgen brachte etwas Erholung und auch wieder einen freien Kopf. Den konnte Nikko jetzt gut gebrauchen!
Daran, was nach dem scheußlichen Gelächter in der Höhle geschehen war, konnte der Magier sich seltsamerweise kaum mehr erinnern. Dass Grâkh irgendwann zu den anderen Orks gegangen war, wusste er zwar noch, aber wie lange er selbst dann wie angewurzelt dort verweilt hatte … es könnten Minuten aber auch Stunden gewesen sein.
Mit einem kräftigen Schütteln versuchte Nikko nun, die Gedanken an das gruselige Gelächter loszuwerden. Schließlich galt es, mit kühlem Kopf über das gestern Erlebte nachzudenken. Sollte die stundenlange Beobachtung der Orks umsonst gewesen sein?
Nun ja, so einfach, wie Nikko sich das alles vorgestellt hatte, war es offenbar doch nicht. Er hatte ja gehofft, sich bei Grâkh irgendwelche Muster zur Kommunikation mit diesem Geist abgucken zu können. Was der seltsame Ork da aber getrieben hatte, musste eine gänzlich andere Art der Magie gewesen sein. Von Mustern hatte der Zauberer jedenfalls keine Spur erkennen können.
Vielleicht sollte er den Ort des Geschehens ja mal in der Wirklichkeit genauer untersuchen. Es war durchaus möglich, ja sogar wahrscheinlich, dass er in der blauen Welt nicht das ganze Geschehen mitbekommen hatte. War es etwa ein Fehler gewesen, das Ritual aus einer anderen Dimension heraus zu verfolgen?
Was war überhaupt mit den Orks? Hatten sie den Rest der Nacht in der Höhle verbracht oder waren sie nach dem Ritual wieder losgezogen? Ein Blick in den heute heiteren Himmel ließ vermuten, dass die lichtscheuen Biester sich an diesem Tag viel lieber verborgen halten würden. Waren sie also noch in der Höhle?
Als Nikko sich wenige Minuten später vorsichtig dem Loch näherte, stellte er mit Erleichterung fest, dass die Wargs nicht mehr am Eingang wachten. Das hieß wohl, dass die Orks doch schon abmarschiert waren. Aber wohin?
Es gab eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie hatten sich dazu entschlossen, wieder in ihre Bergfestung zurückzukehren, oder aber doch noch zu plündern. Obwohl, diese Entscheidung dürfte wohl eher von dem Geist getroffen worden sein. In letzterem Fall würden sie es allerdings mit Nikko und seinem Drachen aufnehmen müssen.
So oder so, der Zauberer sollte besser nicht noch mehr Zeit vergeuden und die Spur der Orks möglichst schnell finden. Es wäre ja nicht auszudenken, wenn Krûls Horde ohne Gegenwehr in Halfuár wüten würde. Dennoch, Nikko wollte sich vorher die Höhle noch genauer ansehen. So viel Zeit musste sein!
Im Innern war von den Orks nichts mehr zu hören, nichts zu sehen und zum Glück auch nur noch wenig zu riechen. Trotzdem hielt der Magier seinen Unsichtbarkeitszauber vorerst aufrecht, gönnte sich aber etwas magisches Licht, um in dem finsteren Loch überhaupt etwas sehen zu können.
Vom Eingang aus führte der Gang ihn zunächst ein Stück nach unten und mündete dann in einer größeren Höhle, von der einige Abzweigungen auszugehen schienen. Zahllose Knochen auf dem Boden ließen vermuten, dass die Kaverne den Orks auch früher schon als Unterschlupf gedient hatte.
Nikko versuchte sich daran zu erinnern, in welcher Richtung Grâkh gestanden hatte, als er gestern Nacht den Geist beschwor. Dort war tatsächlich ein Durchgang zu erkennen, dem der Zauberer nun folgte.
Der Gang führte weiter hinab und endete schließlich in einer mittelgroßen Höhle, vielleicht zwei oder drei Schritte breit, dafür jedoch bestimmt einen halben Steinwurf lang. Am anderen Ende des Raums schien etwas gebaut zu sein, doch Genaueres konnte der Magier bei dem fahlen Licht nicht erkennen. Den fauligen Gestank, der den ganzen Raum erfüllte, konnte er aber auch so noch gut genug riechen.
Das roch doch beinahe so widerlich wie bei einer Dämonenbeschwörung, oder nicht? Es war zwar schon eine Weile her, dass Nikko das letzte Mal mit einem Dämon zu tun hatte, aber den Geruch dieser Biester würde er wohl niemals vergessen. Dennoch, irgendwie roch es hier ein wenig anders. Außerdem verflog der Gestank nach einer Beschwörung doch eigentlich sofort.
Der Zauberer verstärkte nun sein magisches Licht, um sich die Sache genauer ansehen zu können. Irgendetwas stimmte hier nicht. Wenn Grâkh tatsächlich einen Dämon beschworen hatte, müsste sich der Geruch ja längst wieder verzogen haben. Es sei denn, der Ork hätte den Ritualplatz nicht richtig gebannt und gereinigt. Das aber könnte heißen …
Nein, die Ursache des Gestanks ließ sich in Nikkos magischem Licht jetzt leicht erkennen. Auf einem Steinquader kurz vor der hinteren Wand der Höhle lag ein Toter! Ein ganzer Schwarm Fliegen stieg wütend empor, als der Zauberer sich näherte. Nun sah er auch, wie sich unzählige Maden im Fleisch der Leiche kringelten.
Der faulige Gestank war kaum noch auszuhalten und der eklige Anblick tat sein Übriges. Nikko war kurz davor, sich zu übergeben, und würde diesen widerlichen Ort am liebsten sofort verlassen. Doch es schien so, als sei er hier auf der richtigen Spur. Das alles konnte ja kein Zufall sein!
Mit zugehaltener Nase schaute sich der Zauberer weiter um, doch fühlte er die faulige Luft bald auch in seinem Mund. Er sah, dass hinter dem offenbar als Altar dienenden Quader eine grobschlächtige Statue stand, die mit einer gehörigen Menge Blut besprengt war, an einigen Stellen schienen sogar Fleischfetzen zu hängen. Moment mal, was war denn das? Igitt, ein echtes Herz lag in einer Öffnung der Statue, ungefähr dort, wo sich ihr eigenes Herz befinden würde.
Angewidert drehte sich Nikko weg und erkannte, dass auch die Seitenwände des Raums beschmiert waren. Aber sahen die Flecken nicht wie mit Blut gezeichnete Symbole aus? Nein, es war ein und dasselbe Symbol – wieder und wieder! An allen Wänden fand es sich. War das etwa das Siegel des rätselhaften Geistes?
Das könnte durchaus sein. Vielleicht hatte Grâkh das Wesen ja gerufen, indem er dessen Siegel mit Blut an die Wände zeichnete. Es schien auch so, als seien viele der Symbole bereits älter, nur einige wenige waren frisch.