Deutsche Erstausgabe (PDF) November 2015
Digitale Neuauflage (PDF) März 2021
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2013 by Heidi Cullinan
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Let it Snow«
Published by Arrangement with Dreamspinner Press,
5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2015 by Cursed Verlag
Inh. Julia Schwenk
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit
Genehmigung des Verlages.
Bildrechte Umschlagillustration
vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock
Satz & Layout: Cursed Verlag
Covergestaltung: Hannelore Nistor
ISBN-13 (Print): 978-3-95823-559-5
Besuchen Sie uns im Internet:
www.cursed-verlag.de
Aus dem Englischen
von Luca Marx
Liebe Lesende,
vielen Dank, dass ihr dieses eBook gekauft habt! Damit unterstützt ihr vor allem die*den Autor*in des Buches und zeigt eure Wertschätzung gegenüber ihrer*seiner Arbeit. Außerdem schafft ihr dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der*des Autor*in und aus unserem Verlag, mit denen wir euch auch in Zukunft erfreuen möchten.
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Euer Cursed-Team
Klappentext:
Während eines Schneesturms mitten im Nirgendwo zu stranden, wäre schon schlimm genug, doch Stylist Frankie trifft es noch schlimmer: Er wird mit drei attraktiven Männern in einer kleinen Hütte eingeschneit und muss sich ausgerechnet mit dem kalten Marcus ein Bett teilen. Doch unter Marcus‘ rauer Schale verbirgt sich ein fürsorglicher Mann, der in seiner Vergangenheit einmal zu oft verletzt wurde. Kann Frankie das Eis zwischen ihnen zum Schmelzen bringen?
Widmung
Das hier ist für mich, weil ich wirklich in der Stimmung für eine Geschichte war, in der jemand eingeschneit ist, und da ich keine finden konnte, habe ich am Ende selbst eine geschrieben.
Frohe Weihnachten, Heidi! Und euch auch.
Trotz des brandneuen Navigationssystems und strikten Anweisungen seines Vaters hatte Frankie Blackburn es irgendwie geschafft, sich zu verirren. Denn es war absolut ausgeschlossen, dass die Abbiegung nach links in eine weitere gewundene, von Bäumen gesäumte Straße ihn zurück nach Minneapolis bringen würde, auch wenn das Navi noch so sehr darauf bestand. Die Tatsache, dass er es geschafft hatte, sich mitten im Nirgendwo zu verirren, während sich um ihn herum ein Schneesturm zusammenbraute, setzte dem Ganzen schlicht die Krone auf.
Mit einem Auge kontrollierte er die Navigationsanzeige, aber aus Respekt vor dem dichten Schleier aus Schnee, der vom Himmel fiel, nahm er den Blick nur so kurz wie möglich von der Straße. Der Schnee war der erste Hinweis gewesen, dass etwas falsch lief. Er hatte noch den Wetterbericht gecheckt, bevor er das Haus seiner Eltern in Duluth verlassen hatte. Während dort am Morgen fünfzehn bis dreißig Zentimeter Schnee erwartet wurden, hätte eine halbstündige Fahrt Richtung Süden Frankie aus dem Schlamassel herausholen und ihn nicht tiefer hineinreiten müssen. Da sich um ihn herum eine Schicht von sicherlich mehr als fünfzehn Zentimetern gebildet hatte – die schnell weiter anwuchs –, hatte er offensichtlich etwas falsch gemacht.
Toll gemacht, Frankie. Er umgriff das Lenkrad fester und versuchte, die Angst zu ignorieren, die seinen Bauch zusammenkrampfen ließ. In Momenten wie diesen konnte er den Reiz des Rauchens verstehen, denn wenn schon sonst nichts, würde es ihn wenigstens dazu zwingen, tiefe Atemzüge zu machen. Josh, einer seiner Mitbewohner, rauchte. Er sagte immer, der Rausch wäre fantastisch. Er würde sein Bewusstsein erweitern und ihn beruhigen, egal wie gestresst er war. Frankie könnte jetzt definitiv eine Bewusstseinserweiterung und etwas Beruhigung gebrauchen.
Natürlich würde er es nicht wagen, die Hände vom Lenkrad zu nehmen, also wusste er nicht genau, wie er eine Zigarette rauchen sollte, ohne einen Unfall zu bauen oder sich selbst anzuzünden.
Was Frankie stattdessen besser tun sollte, war, den Wagen zu stoppen und jemanden anzurufen, um eine Wegbeschreibung zu bekommen. Das Problem war nur, dass er einfach nichts fand, wo er sicher rechts ran fahren konnte. Etwas weiter zurück war eine Bar am Straßenrand gewesen, aber die hatte regelrecht Hey, schwuler Junge, komm her, damit wir dich fertig machen können geschrien. Außerdem war das hier der Norden von Minnesota, die Pampa der Pampas. Ein sicherer Hafen für jemanden wie Frankie war sogar noch unrealistischer als der Weihnachtsmann. Noch nie hatte jemand Frankie angesehen und war sich nicht gleich sicher gewesen, dass er schwul war. In seiner Highschoolzeit hatte er sich mehrmals gefragt, ob ihm einfach eingeredet worden war, schwul zu sein, aber dann hatte er das erste Mal einen Schwanz ausprobiert und er hatte gewusst, dass Titten und Muschis niemals seine Welt sein würden. Also wusste er die Vorwarnungen einfach zu schätzen.
Da es keine besonders erfreulichen Vorwarnungen gewesen waren und er in einer der kleineren Städte im Süden Minnesotas aufgewachsen war, wusste er es besser, als sein Glück hier in der Gegend zu versuchen. Was auch immer diese Stadt war, sie war definitiv nichts für Frankie. Bitte vorsichtig weiterfahren.
Das Problem war, dass jede Art von Zivilisation hier oben schwer zu finden war. 15 Minuten waren seit der Bar am Straßenrand vergangen und alles, an dem Frankie seitdem vorbeigekommen war, waren vier nicht freigeräumte Einfahrten gewesen. Alles, was er jetzt noch tun wollte, war, seine Mutter anzurufen und in Panik zu verfallen, aber er wollte immer noch nicht, dass ihn irgendetwas von der Straße ablenkte, denn es wurde immer schlimmer. Umdrehen würde voraussetzen, dass er denselben Weg, den er gekommen war, wiedererkannte, aber er könnte genauso gut nur in einem anderen Teil der Pampa landen.
Es gab keine andere Lösung, er musste irgendwo anhalten. Als er endlich etwas erreichte, das wie die Ausläufer eines Dorfs aussahen, fuhr er die Hauptstraße hinunter bis er das schwache, verblasste Schimmern eines Schilds sah, auf dem Logan Café stand.
Frankie hielt sich nicht damit auf, es auf hinterwäldlerische Warnsignale hin zu überprüfen. Er fuhr geradewegs auf den Parkplatz hinter dem Gebäude und schaltete den Motor ab. Ein paar Sekunden später kauerte er über dem Navigationsbildschirm, bevor er anfing zu fluchen. Er verstand nicht, wo die Karte ihn hinführen wollte, nur dass seine Zieleingabe ihn östlich von International Falls geleitet hatte. Kein Wunder, dass es ihm vorkam, als würde er ans Ende der Welt fahren. Das Ende der Welt war eine boomende Metropole im Gegensatz zu seinem gegenwärtigen Aufenthaltsort. Er befand sich im einzigen Ort im Umkreis von 15 Meilen, weit weg von jeglicher Interstate oder wenigstens einem anständigen Highway. Frankie brauchte keinen Wetterbericht, um zu wissen, dass er genau ins Herz eines Schneesturms gefahren war, anstatt auf die behaglichen Fahrbahnen der I-35.
Jetzt musste er definitiv seine Eltern anrufen, aber zuerst sollte er wohl die Toiletten aufsuchen, sich Wasser ins Gesicht spritzen und sich eine echte, menschliche Wegbeschreibung von einem der Gäste geben lassen.
Das Logan Café war schmal, weitreichend und alt, definitiv nicht der Zeit der Diner nachempfunden, sondern ein direkter Nachkomme davon. Das Restaurant selbst war nicht sehr groß, hatte aber viele Sitzgelegenheiten, angefangen bei den Separees an den Wänden über die Tische in der Mitte bis hin zu der langen Theke vor der Bar und dem Fenster, das einen Blick in die Küche gewährte.
Das Dekor bestand hauptsächlich aus einem industriellen Weiß, das mit den Jahren zu einem traurigen Cremeton verblasst war, insbesondere der Linoleumboden. Ein bisschen Farbe fand sich in den grünen Vinylpolstern der Stühle, Hocker und Separeesitze, aber auch die waren abgenutzt und in mehr als einem Fall mit Klebeband geflickt.
Die Speisekarte stand in großen Plastikdruckbuchstaben auf einer schwarzen Tafel über dem Küchenfenster aufgelistet, aber sowohl Buchstaben als auch Tafel waren ebenfalls veraltet. Die Buchstaben waren vergilbt und auf der schwarzen Tafel schimmerten die blassen Rückstände vergangener Gerichte durch.
Die Art, wie sich jeder nach Frankie umdrehte, nachdem er die Glocke über der Tür zum Klingen gebracht hatte, gab ihm das Gefühl, in einem Italowestern gelandet zu sein. Jedes einzelne Gesicht im Raum war weiß, was nicht ungewöhnlich gewesen war, als er noch in Saint Peter aufgewachsen war. Da die Metropole Minneapolis jedoch aus einem Überfluss ethnischer Gruppen bestand, fiel Frankie der Mangel an unterschiedlichen Hautfarben sofort ins Auge. Die Altersspanne bewegte sich auf einer Skala von alten Männern und Frauen bis hin zu ein paar Teenagern, aber jeder Einzelne von ihnen betrachtete Frankie, als wäre er gerade aus dem Zoo ausgebrochen.
Er ermahnte sich, kein Drama zu veranstalten, ignorierte die starrenden Blicke und konzentrierte sich darauf, den Schnee bestmöglich von seiner Kleidung und den Schuhen zu klopfen, bevor er die Toilette betrat. Sie war genauso trostlos und veraltet wie alles andere auch. Das Porzellan des Urinals und Waschbeckens war voller rostiger Flecken, etwas, das Frankie schon als Kind immer Angst gemacht hatte. Nachdem er hastig seine Hände gewaschen hatte, kehrte er in das Restaurant zurück und zwang sich dazu, die matronenhafte Frau hinter der Theke anzulächeln. Patty, wie ihr Namensschild verriet. Als er sich ihr gegenübersetzte, versuchte Frankie, weniger verängstigt auszusehen, als er eigentlich war.
»Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie in einem Tonfall, der zu implizieren schien, dass er sicher eine Menge Hilfe nötig hatte.
»Hi.« Frankie gab sein Bestes, ohne jegliche Anspannung weiterzulächeln. »Ich hab mich ein wenig verirrt. Ich versuche, zur I-35 zu kommen.«
Patty zog die Augenbrauen bis zu ihrer straffen Dauerwelle hoch, die vorne vor ihrer Diner-Mütze zu einem sorgfältigen Nest aus matten, selbstgefärbten rotbraunen Haaren auftoupiert war. »Schätzchen, du bist meilenweit von Duluth entfernt.«
Keine Panik. Frankie presste die Hände auf die Oberfläche der Theke, um sie vom Zittern abzuhalten. »Ich weiß. Mein Navi funktioniert nicht richtig. Oder ich habe ein falsches Ziel eingegeben. Und jetzt bin ich total vom Weg abgekommen. Haben Sie vielleicht eine Karte oder so, die ich mir ansehen könnte?« Er erinnerte sich an seine gute Erziehung und fügte hinzu: »Und wenn Sie eine Tasse heißen Tee und ein Hühnchen- oder Truthahnsandwich mit Senf ohne Mayo haben, wäre das toll.«
Frankie merkte, wie sie ihn musterte, wie ihr Blick über ihn schweifte und seine gewissenhaft gestylten Haare registrierte, seine ausgewählte, modische Kleidung und seine leuchtend rote Columbia-Skijacke, die niemals einen Sessellift sehen würde, jedoch zweifellos schick aussah. Er beobachtete sie, wie sie ihr Urteil über ihn fällte, und er musste zugeben, dass es wahrscheinlich nicht weit von der Wahrheit entfernt war. Er wartete auf ihre Verachtung und hoffte, dass sie ihm zusammen damit trotzdem auch eine Karte überreichen würde.
Es kam keine Verachtung, obwohl sie den Kopf schüttelte und eine leere Tasse vor ihm abstellte. »Die Karte ist hinten. Ich hol sie, während Sie auf Ihre Bestellung warten. Allerdings sollten Sie sich das besser einpacken lassen. Mit dem Sturm ist nicht zu spaßen. Cheries Knie macht ziemliches Theater und sie sagt, so wie sie's sieht, werden wir einige Tage mit dem Schnee zu kämpfen haben.«
»Danke«, antwortete Frankie und versuchte, nicht in Panik auszubrechen.
Die Kellnerin hängte einen Lipton-Teebeutel in seine Tasse und goss heißes Wasser darüber, während sie redete. »Sie sind also aus den Twin Cities?«
»Ja, auch wenn meine Eltern in Duluth leben. Sie sind gerade erst von Saint Peter dorthin gezogen.«
Das Gesicht der Frau erhellte sich. »Ach was. Das ist südlich der Cities, nicht? Gibt's da ein College? Ich glaube, Lacy Peterson ist vor ein paar Jahren dahin gegangen.«
»Gustavus Adolphus. Mein Vater war Dozent dort, allerdings hat er gerade eine Stelle an der Universität von Minnesota in Duluth angenommen.«
»Hübsche Stadt, Duluth.« Die Frau wischte die Theke vor Frankie ab. »Ich wollte dieses Wochenende dort meine Weihnachtseinkäufe erledigen, aber Cherie hat sich wegen ihrem kranken Knie krankgemeldet und hier bin ich nun.«
»Im Miller Hill Shopping Center war wirklich viel los.« Frankie erinnerte sich noch lebhaft daran, wie er seine Mutter gestern dorthin begleitet hatte. »Sie können froh sein, dass Sie gewartet haben.«
Die Frau lächelte ihn an. »Vielleicht.« Sie nickte in Richtung der Küche. »Ich sehe mal nach der Karte und gebe Ihre Bestellung weiter.«
Na, das war doch gar nicht so schlimm gewesen. Frankie nahm einen Schluck von seinem Tee, während er sich darauf konzentrierte, dass er nicht mehr in die falsche Richtung unterwegs war und schon bald eine Karte haben würde. Außerdem versuchte er sich einzureden, dass das nicht der schlimmste Tee war, den er je getrunken hatte, obwohl er nach abgestandenem Kaffee und Seife schmeckte.
In dem Café waren nicht viele Gäste, aber alle schienen Frankie immer noch im Auge zu behalten. Das ältere Ehepaar, das an einem Tisch in seiner Nähe saß, machte ihm nur halb so viele Sorgen wie das Dreiergespann aus massigen, bärtigen Männern mit Sherlock-Holmes-Mützen, das in dem Separee in der Nähe der Toiletten saß. Sie sahen aus, als wären sie buchstäblich gerade erst vom Holzhacken zurück, und trugen Overalls, grobkarierte Hemden und klobige Stahlschuhe. Die drei Bären, dachte Frankie in dem Versuch, der Situation etwas Positives abzugewinnen. Es gelang ihm besser, als es sollte, hauptsächlich deshalb, weil, na ja, wenn die drei schwul wären, dann wären sie zweifellos Bären. Sie stellten sogar drei Varianten dieses Motivs dar: Einer hatte sandfarbenes Haar und war eher schmal. Gelocktes Haar lugte unter seiner Kappe hervor. Sein Bart war feiner, passend zu einem Baby Bär. Der, der neben ihm saß, hatte karottenrotes Haar und ein schallendes Lachen, das zu seinem stämmigen Körper passte. Ihnen gegenüber saß definitiv Papa Bär, ein großer, finsterer und grimmiger Mann.
Abgesehen von ein paar argwöhnischen Blicken, bedachten die drei Bären Frankie mit keiner besonderen Aufmerksamkeit. Deshalb sah er keinen Sinn darin, sich länger hier herumzutreiben und ihnen einen Grund zu geben, sich zu langweilen und auf dem mageren Burschen aus der Stadt herumzuhacken.
Patty kehrte mit einer Karte und seinem Sandwich zurück, doch was Frankie an Appetit aufbringen konnte, verging ihm jäh, als Patty ihm anhand des Kartenmaterials von Rand McNally aufzeigte, wie weit Logan, Minnesota von Frankies eigentlichem Zielort entfernt war. Er kam sich dämlich vor, weil er nicht früher herausgefunden hatte, aber er hatte gedacht, das wäre der springende Punkt daran, einem Navigationssystem zu folgen: auf die Angaben zu vertrauen, die es machte. Sein Vater hatte ihn eingewiesen und Frankie hatte versucht, alles richtig einzugeben.
»Sie reden davon, die Straßen nördlich von hier zu sperren.« Patty runzelte die Stirn, aber der Gesichtsausdruck sah eher nach Sorge als nach Ablehnung aus. »Sie sollten vorsichtig sein.«
»Wenn ich nach Duluth zurückkomme, bleibe ich bei meinen Eltern, bis der Sturm vorbei ist. Die Interstate wird man sicher ziemlich schnell wieder öffnen, denke ich.«
Patty nickte. »Da unten in Duluth sollte man auch das Wenigste davon mitbekommen und alles südlich davon sollte kein Problem sein. Allerdings zieht da ein Sturm über den Westen von Iowa. Wenn der nach Norden umschwingt und die beiden aufeinandertreffen, könnte es ziemlich schnell hässlich werden.«
Bei dem Gedanken daran schmerzte Frankies Bauch. »Ich sollte wohl meinen Chef anrufen und ihm sagen, dass ich morgen nicht zur Arbeit kommen werde, und meine Mom, damit sie mich erwartet.«
»Rufen Sie Ihre Mom lieber schnell an und sparen Sie sich den Chef bis Duluth auf.« Patty nickte Richtung Fenster. »Jetzt geht's richtig los.«
Das tat es. Frankie legte einen Zehner auf die Theke und schnappte sich sein Sandwich, aber Patty schob ihm die Karte zu.
»Nehmen Sie die mit. Und hier…« Sie kritzelte eine Nummer über die Legende. »Das ist die Nummer des Cafés. Wenn Sie sich verirren oder stecken bleiben, rufen Sie an. Am besten fahren Sie in Richtung Highway 53. Wenn Sie jedoch nervös werden, dann fahren Sie rüber nach Eveleth. Dort gibt es ein günstiges Hotel, Super 8.«
Einen tagelangen Schneesturm in einem Kleinstadthotel auszuharren, kam Frankie schlimmer vor, als nach Duluth zurückzufahren, aber er nickte. »Danke. Ich weiß das wirklich zu schätzen.«
»Ich hoffe nur, Sie haben in Ihrem winzigen Auto eine Decke.« Stirnrunzelnd sah Patty zum Parkplatz hinüber, auf dem Frankies grüner Festiva stillschweigend in Schneeflocken ertrank.
»Habe ich. Und einige Liter Wasser, warme Kleidung, einen Eiskratzer und sogar eine Schaufel«, versicherte Frankie ihr. »Ich komme vielleicht aus dem Süden von Minnesota, aber es ist immer noch Minnesota.«
Patty nickte beifällig und trieb ihn mit einer scheuchenden Handbewegung an. »Dann also los. Rufen Sie mich an, wenn Sie da sind, wo immer Sie landen werden, nur damit ich nicht von Ihrer Leiche in irgendeinem Straßengraben träume.«
Ihre Sorge um ihn rührte ihn und dieses Mal war Frankies Lächeln ernst gemeint. »Das werde ich«, versprach er und nahm die Karte an sich. »Danke.«
»Los dann«, sagte Patty und ihre wedelnden Bewegungen wurden drängender.
Frankie wagte einen schnellen Blick zu den drei Bären, nur um einen stechenden Blick von Papa Bär aufzufangen, ehe er in den Sturm hinauslief. Er brauchte fünf Minuten, bis er das Auto freigeschaufelt hatte, und während der Motor warmlief, knabberte er an seinem Sandwich herum und studierte die Karte.
Das Essen war viel besser als der Tee, obwohl er hauptsächlich deswegen etwas aß, um etwas zu tun zu haben, während er sich für sein Abenteuer wappnete. Laut Karte musste er den Weg zurück, den er gekommen war, dann zehn Meilen südlich von hier die erste Möglichkeit rechts an einer großen Kreuzung abbiegen und die County Road nehmen, um zurück zum Highway zu kommen. Das würde ihn direkt zurück nach Duluth und dem warmen, bequemen Gästezimmer seiner Eltern bringen. Ja, sein Chef wäre verärgert, wenn er nicht zur Arbeit kam, aber besser, Robbie war verärgert, als dass Frankie in einem Straßengraben starb.
Er gab es auf, sein Sandwich aufessen zu wollen, zog stattdessen sein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer seiner Eltern.
»Bist du schon zu Hause?«, fragte seine Mutter. »Wie schnell bist du gefahren?«
»Eigentlich bin ich nicht mal in der Nähe von Zuhause. Ich bin falsch abgebogen und bin in Logan.«
»Was? Warum? Wo ist Logan?«
»Ungefähr eine Stunde nördlich von Duluth. Ich hab beim Navi versagt und bevor ich gemerkt hab, wie sehr ich mich verirrt habe, war ich auch schon hier.«
»Oh, Schatz.«
Die Erschöpfung in ihrer Stimme brachte Frankies Eingeweide dazu, sich zu verknoten. »Entschuldige, Mom.«
Die Geräusche wurden gedämpft, als Melinda ihre Hand über die Sprechmuschel legte. »Es ist Frankie. Er hat sich eine Stunde von Duluth verirrt.« Eine Pause, dann: »Was? Was?« Sie nahm ihre Hand runter und als sie jetzt sprach, war ihrer Stimme die Panik anzuhören. »Schatz, dein Dad sagt, da oben herrscht ein furchtbarer Sturm. Furchtbar.«
»Ja, ist mir aufgefallen.« Frankie sah aus dem Fenster und beobachtete den Schnee, der schneller und schneller zu fallen schien. »Mom, ich sollte besser losfahren, wenn ich heute Abend noch bei euch ankommen will.«
»Schatz, nein. Such ein Hotel und sitz das Ganze aus. Ich will, dass du in Sicherheit bist.«
»Ich will nicht in Buxtehude, Minnesota festsitzen. Oh mein Gott, du hättest diese drei verrückten Holzfäller in dem Café sehen sollen, in dem ich nach dem Weg gefragt habe. Egal, in der Nähe gibt es kein Hotel, soweit ich sagen kann, außer ich fahre nach Westen.«
»Franklin Nelson Blackburn, du verirrst dich schon, wenn du nachts versuchst, das Badezimmer zu finden. Ich werde dich nicht durch diesen Schneesturm fahren lassen.«
»Pass auf, Mom. Ich muss wirklich los. Ich ruf dich an, wenn ich auf dem Highway bin, okay?«
»Oh mein Gott. Lass mich deinen Vater ans Telefon holen.«
»Nein. Ich lege jetzt auf. Bitte ruf die Jungs für mich an und sag ihnen, dass ich bei euch bleibe.«
»Frankie«, sagte sie, aber den Rest hörte er nicht mehr, da er aufgelegt hatte. Obendrein schaltete er sein Handy komplett aus.
Auf keinen Fall würde er hier stranden. Auf. Gar. Keinen. Fall.
Als Frankie seinen Wagen vom Parkplatz hinter dem Café lenkte, fiel ihm auf, dass sich die Straßenverhältnisse wesentlich verschlimmert hatten, während er drinnen gewesen war. Große, schlanke Bäume umgaben ihn eng zu beiden Seiten der Straße, einige immergrüne, aber die meisten nördliche Harthölzer ohne Blätter. Es kam Frankie vor, als würde er durch einen Baumfriedhof fahren, der in einem Schneesturm unterging. Er konnte den Asphalt noch sehen, aber nur so gerade, und ein paar Mal erwischte er sich dabei, dass er auf die linke Fahrbahn geraten war, weil der Schnee die rechte zugeschneit hatte.
Fahr einfach zum Highway, spornte er sich selbst an und schaltete das gregorianische Weihnachtsalbum an, das seine Mutter ihm geschenkt hatte. Fahr zum Highway, fahr zu deinen Eltern und benutz nie wieder ein Navi.
Als die Mönche ruhig das Ave Maria sangen, umfasste Frankie das Lenkrad so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten, und versuchte, sich nicht von dem fallenden Schnee hypnotisieren zu lassen. Es fühlte sich so surreal an, wie die Musik ihn umschwirrte, während Schnee und Dunkelheit ihn einzuhüllen drohten, sollte er die Kontrolle über sein Auto verlieren.
Die Wälder waren hübsch, auch wenn sie sich mitten im Nirgendwo befanden und voller Bauerntrampel und voreingenommener Christen waren, die gegen die Ehegleichheit gestimmt hatten und die Leute aus den Twin Cities für Yuppiesnobs hielten. Die so weltfremd waren, dass sie noch nicht einmal von Hipstern gehört hatten.
Die Mönche wechselten zu Stille Nacht und Frankie dachte an die drei Bären. Besonders an den mürrischen Papa Bär. Sie waren genau die Art Kerle, die Frankie während seiner Jugend das Leben zur Hölle gemacht hatten. Seltsam, dass er seit zehn Jahren in Minneapolis lebte, aber zehn Minuten in diesem Café hatten ihn sich wieder wie vierzehn und mulmig fühlen lassen, während er sich für den Sportunterricht fertigmachte.
Saint Peter war wegen seiner Nähe zu den Cities und zu Mankato und auch wegen des Colleges ein wenig weiterentwickelt, aber auch hier gab es Hinterwäldler. Manchmal schienen sie wütender und gemeiner zu sein, weil sie neben denen leben mussten, die sie als hochnäsig betrachteten, so wie Frankie und seine Familie.
Frankie hatte Piano- und Violinstunden genommen und – bevor er es geschafft hatte, seine Mutter anzuflehen, damit aufhören zu können – Tanzstunden. Es war egal, dass Frankie diese Aktivitäten genossen hatte und dass sie für ihn beruhigend und friedlich gewesen waren. Frankie hatte nie Baseball gespielt oder davon geträumt, einen heißen Schlitten zu kaufen. Er hatte auch nie mit seinen Cousins auf die Jagd gehen wollen und das machte ihn in den Augen von Saint Peters unterschiedlich Gebildeten wohl irgendwie zu einer Bedrohung. Es war egal, dass Frankie einen großen Freundeskreis – einige davon sogar andere Jungs – aus dem sozialen Netz seiner Eltern hatte. Wenn es Frankie gegen die Hinterwäldler hieß, dann verlor Frankie immer.
Diese drei Holzfäller waren ohne Frage genauso. Er wettete, dass keiner von ihnen 2012 während der Debatte über die Gleichstellung der Ehe Stimmt mit Nein-Aufkleber an ihrem Wagen befestigt oder ihre Abgeordneten dazu gedrängt hatte, dabei zu helfen, die Gleichstellung durchzubringen.
Er hätte Geld darauf gesetzt, dass sie die Art Kerle waren, die damit gedroht hatten, die Köpfe von Leuten wie Frankie in stinkende Toiletten zu tauchen.
Wahrscheinlich schrieben sie in Logan, Minnesota mit schwarzem Marker SCHWUCHTEL auf die Spinde von Frankies Artgenossen. Sie trugen jedes Anzeichen von Kleinstadtmobbern zur Schau und Frankie war wirklich froh, sie hinter sich zu lassen.
Dennoch gab es keinen Zweifel daran, dass die Landschaft hier oben wirklich schön war, selbst wenn alles mit Schnee bedeckt war. Als Frankie noch klein gewesen war, hatte er immer davon geträumt, wegzulaufen und sich eine kleine Hütte im Norden zu suchen, wo alles ruhig und idyllisch war, genauso wie in Mayberry aus der Andy Griffith Show. Und zur Abwechslung hätte ihn jeder mal gemocht. Als er älter geworden war, war ihm natürlich bewusst geworden, dass es weniger wie in Mayberry, sondern eher wie in Beim Sterben ist jeder der Erste geworden wäre, je weiter er sich nach Norden bewegt hätte. Trotzdem hatte ihn dieser Gedanke nie ganz losgelassen und besonders mit den trällernden Stimmen der Mönche, die ihn umgaben, machte Frankie die Umgebung nostalgisch, während er sich wünschte, dass ein Typ wie er so ein Leben tatsächlich führen könnte.
Er verdrängte die Tagträume und zwang sich dazu, sich auf die Straße zu konzentrieren. Nur noch ein paar Meilen bis zur Abzweigung, erinnerte er sich, nicht sicher, ob es tatsächlich ein paar Meilen waren oder nicht. Bald, verbesserte er sich. Bald bin ich auf dem Highway und ungeschoren davongekommen.
Dann sah er den Elch.
Gerade als die Musik zu ihrem dramatischen, hoffnungsvollen Höhepunkt anschwoll, sprang das Tier aus dem Unterholz. Frankie verstand nicht auf Anhieb, was los war, aber als er es tat, war der einzige Gedanke, für den er noch Zeit hatte, dass er am Arsch war. Der Elch war größer als eine Kuh, dunkel und haarig und hatte ein so großes Geweih, dass es schwer war, nicht darauf zu starren. Frankie schrie auf und bremste, aber er hätte genauso gut auf das Gaspedal treten können. Der Elch drehte den Kopf in Frankies Richtung, blinzelte jedoch nur und rührte sich nicht vom Fleck.
Wieder schrie Frankie auf, als er auswich, in eine Schneewehe driftete und die Kontrolle verlor.
Snow on snow, sangen die Mönche, als der Festiva in den Straßengraben rutschte und weiter in eine flache Schlucht. Der Motor stotterte und erstarb, aber die Musik spielte weiter, ein schauriger Auftakt, während der Schnee schneller und schneller fiel und die Mönche Frankies Schicksal überhaupt nicht bemerkten.