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Deutsche Erstausgabe (PDF) Februar 2016

Digitale Neuauflage (PDF) März 2021

 

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2015 by Heidi Cullinan

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Winter Wonderland«

 

Published by Arrangement with Dreamspinner Press,

5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2016 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

 

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

 

ISBN-13 (Print): 978-3-95823-568-7

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

 


 

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Aus dem Englischen
von Uta Stanek

 


 

Liebe Lesende,

 

vielen Dank, dass ihr dieses eBook gekauft habt! Damit unterstützt ihr vor allem die*den Autor*in des Buches und zeigt eure Wertschätzung gegenüber ihrer*seiner Arbeit. Außerdem schafft ihr dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der*des Autor*in und aus unserem Verlag, mit denen wir euch auch in Zukunft erfreuen möchten.

 

Vielen Dank!

Euer Cursed-Team

 

 

 

 

Klappentext:

 

 

Paul ist einsam: Nachdem seine beiden besten Freunde ihr Liebesglück gefunden haben, bleibt er als fünftes Rad außen vor. Da hilft es ihm auch nicht, dass Krankenpfleger Kyle mit Schneepenissen und nicht jugendfreien Nachrichten um seine Aufmerksamkeit buhlt – denn Kyle ist nicht nur zu jung, sondern auch das genaue Gegenteil von dem, was Paul sich wünscht. Als Paul jedoch mit Kyle zusammen an der Weihnachtsaktion der Gemeinde arbeiten muss, offenbart Kyle eine Seite an sich, die für Paul alles verändern könnte…


 

 

 

Widmung

 

 

Für Linda Lytle,

die irgendwann wieder Valley High

für mich singen wird.

 


 

Kapitel 1

 

 

Ein drei Meter großer Penis aus Schnee ragte über Paul Jansens Eingangsstufen auf. Schon wieder.

Er ließ sich in der Ecke seines Sofas nieder und nippte an seinem Kaffee, während er mit einem Fuß den Vorhang zur Seite hielt, um das heutige phallische Angebot zu beurteilen. Es war erstaunlich gut. An der Vorderseite zeichnete sich eine pralle Vene ab, die jedoch nicht so ausgearbeitet war wie sonst. Große Hoden, aber sie waren dem Schaft eindeutig in Eile zugefügt worden. Die Eichel hatte einen schönen Umriss – dafür nahm sich der Schneekünstler für gewöhnlich die meiste Zeit.

Er würde eine 2+ dafür vergeben. Nachdem er seine Tasse zur Seite gestellt hatte, zog Paul seinen Bademantel fester um sich und stieg in seine Stiefel. Er öffnete die Eingangstür und blinzelte in den Schneeregen und den Wind hinaus. Salutierte dem Penis. Schoss ein Foto für die Nachwelt.

Dann nahm er mit seinem rechten Fuß Maß, stützte sich am Türrahmen ab und zertrat die Skulptur in kleine Stücke, bevor er drinnen nach der Schneeschaufel griff, damit er sich um die Hoden kümmern konnte.

Das hier war der dritte Schneepenis, den er in dieser Saison zerlegt hatte – der sehr frühen Schneesaison, da der erste Schauer im späten September gefallen war. Seit dem Sturm am zehnten Oktober hatte die ganze Zeit Schnee gelegen. Die Schneepenisse waren kurz nach dem Sturm aufgetaucht. Der erste hatte ihn zum Lachen gebracht und er hatte ihn ein paar Stunden stehen lassen. Aber er hatte seine Nachbarin auf der anderen Seite der Doppelhaushälfte verärgert. Außerdem war es knifflig gewesen, das Haus durch die Eingangstür zu verlassen. Also hatte er ihn zertreten, nachdem er ein Foto geschossen hatte, und zu seinem Freund Arthur gesagt, sobald er auf der Arbeit erschienen war: »Sehr witzig, aber hör auf, Mrs. Michealson aufzuregen.«

Arthur blinzelte ihn nur an. »Was ist witzig?« Also zeigte Paul ihm das Foto auf seinem Handy und Arthur lachte. »Der ist echt gut! Aber wie hast du das angestellt? Der Schnee ist viel zu pudrig, um zu pappen.«

»Hab ich nicht. Denkst du, ich würde einen Penis auf meine eigenen Eingangsstufen setzen?«

Arthur zuckte die Schultern, als wollte er sagen: Warum nicht? Aus schmalen Augen betrachtete er das Foto. »Ernsthaft, das da ist ein Kunstwerk. Fast schon eine Skulptur.«

»Tja, jetzt ist es weg.« Paul legte die Stirn in Falten. »Ich war so sicher, dass du ihn gebaut hast.«

»Nö, tut mir leid.« Arthur gab Paul sein Handy zurück. »Machen wir uns an dieses Bücherregal.«

Paul hatte den Schneepenis aus seinem Kopf verbannt und sich auf seinen Job konzentriert. Logan Design and Repair existierte erst seit acht Monaten und obwohl sie nicht kurz vor dem Bankrott standen, arbeiteten sie wie die Tiere, um ihre Kosten zu decken. Im Sommer hatte Paul seine Lizenz als Elektriker bekommen und Arthur arbeitete an der als Klempner. Sie erledigten nichts Großes, aber sie kamen mit einem Wasserboiler, der Elektrik eines Herds und einem Müllschlucker zurecht. Im Augenblick bauten sie maßangefertigte Bücherregale für das neue Arbeitszimmer des Pfarrers der Lutherischen Kirche zusammen.

Paul übernahm die Buchhaltung, was ihn abends oft lange im Geschäft festhielt. Wenn das passierte, wurde sein Abendessen normalerweise von Frankie, dem Verlobten von Pauls anderem besten Freund, vorbeigebracht. Manchmal war es ein Eintopf oder etwas anderes Hausgemachtes, manchmal ein heißer Burger aus dem Café.

Manchmal wurde er mit zu Arthurs Haus geschleppt, um mit der ganzen Clique zu Abend zu essen: Frankie und Marcus, Gabriel und Arthur. Hingeschleppt zu werden, war die einzige Möglichkeit, ihn dorthin zu bekommen, weil er es hasste, das fünfte Rad zu sein.

Obwohl er es genauso leid war, allein zu sein.

An dem Tag, als der erste Schneepenis aufgetaucht war, hatten sie versucht, Paul zum Abendessen einzuladen, sobald sie damit fertig gewesen waren, ihn wegen seines geheimen Bewunderers aufzuziehen. Paul hatte die Einladung abgelehnt und sich für das Essen entschieden, das er von zu Hause mitgebracht hatte, um es im Laden zu essen, während er etwas Papierkram erledigte.

Kurz nachdem er sich eingerichtet hatte, rief seine Mutter an.

»Paul. Ich bin froh, dass ich dich erreiche.« Der kurz angebundene, irritierte Tonfall machte deutlich, dass froh nicht mehr als eine Redewendung war. »Ich habe von dem Vorfall auf deiner Veranda gehört. Ich hoffe, du hast Arthur gesagt, dass das geschmacklos war und dass ich nicht noch einmal von so etwas hören muss.«

Arthurs Name triefte vor Verachtung, als er aus ihrem Mund kam. »Eigentlich habe ich keine Ahnung, wer das war.«

Seine Mutter schnalzte mit der Zunge. »Was für ein Skandal. Hast du die Polizei informiert?«

Wegen eines Schneepenis? Einen Moment lang vergnügte sich Paul mit der Vorstellung, diese Anzeige aufzugeben. »Das ist bloß ein Streich, davon bin ich überzeugt. Wird wahrscheinlich nicht noch mal vorkommen.«

»Das hoffe ich allerdings auch.« Sie hielt inne. Ihr Tonfall verriet, dass sie gleich zum eigentlichen Grund ihres Anrufs übergehen würde. »Ich wollte wissen, ob du diesen Sonntag zur Kirche kommst.«

Oh, verdammt. Wann immer Mary Jansen von ihrem Sohn wissen wollte, ob er zur Kirche kommen würde, war das der Code für Ich kenne jemanden, den ich dir vorstellen will. Und dieser Jemand wäre nicht, unter gar keinen Umständen, männlich.

Paul suchte nach einer Lüge. »Ich bin dieses Wochenende mit den Jungs zum Jagen verabredet.«

»Du bist in letzter Zeit kaum bei der Messe gewesen. Was wird der Pfarrer denken?«

»Ich war vor ein paar Wochen da, aber ich verspreche, dass ich bald wieder hingehen werde.«

»Lass mich wissen wann, und anschließend gibt es dein Leibgericht zum Abendessen.«

Sein Leibgericht und eine heiratsfähige junge Frau. »Mach ich«, sagte Paul. Auch das war eine Lüge.

Kurz darauf hatte sie das Telefonat beendet, aber die Unterhaltung hatte Paul die Lust auf sein Abendessen verdorben und ihn genug abgelenkt, dass er hauptsächlich mit gerunzelter Stirn die Endsummen auf seinem Computerbildschirm anstarrte, bis es kurz nach Mitternacht war. Er gab auf und fuhr nach Hause.

Ein neuer Penis blockierte seine Eingangstür.

Der zweite war etwas Besonderes gewesen. Nicht ganz so groß, aber er bog sich sorgfältig nach rechts und alle Venen waren detailliert ausgearbeitet, als würde er in einem Anatomiekurs zum Einsatz kommen. Er war unbeschnitten und die Hoden wiesen feine Härchen auf – getrocknetes Gras, das im Schnee steckte.

Auch von diesem Penis nahm er ein Foto auf und schickte es als Gruppennachricht an Marcus, Gabriel und Arthur. Raus damit. Wer von euch ist der Künstler?

Er würde auf Frankie setzen, da er der Stylist war, doch entweder waren sie alle geübte Lügner oder es war keiner von ihnen. Lachend antworteten sie ihm und bestanden darauf, dass es keiner von ihnen war, obwohl sie darauf brannten zu erfahren, wer es tatsächlich war.

Paul hatte keine Ahnung.

Er zermarterte sich das Hirn, während er seine letzten Affären durchging, aber keiner passte ins Bild des Penisbauers. Außerdem lebte keiner von ihnen in Logan und obwohl Paul am Stadtrand wohnte, gab sich derjenige, wer auch immer seine Eingangsstufen mit Schwänzen verzierte, zu den seltsamsten Uhrzeiten bei fragwürdigem Wetter sehr viel Mühe. Das musste jemand von hier sein.

Alle im Dorf zogen ihn wegen seiner Schneeskulpturen auf. Einige Leute, für gewöhnlich ältere Frauen, schnalzten mit ihren Zungen und schienen ihn dafür verantwortlich zu machen, das Dorf zu blamieren, aber die meisten fanden es lustig.

Jemand hatte ein Foto von der zweiten Skulptur geschossen und es war nicht ungewöhnlich für Paul, sich im Supermarkt aufzurichten, nachdem er aus dem untersten Regal eine Dose gefischt hatte, und jemanden vorzufinden, der ihm grinsend ein Facebook-Foto von seinen Eingangsstufen mit einem Penis zeigte. Da er nicht wusste, wie genau er darauf reagieren sollte, lachte Paul leise oder rollte die Augen, um sich im Wesentlichen in bester Ach, was soll's!-Manier aus der peinlichen Situation zu manövrieren.

Natürlich drängte seine Mutter weiterhin darauf, die Vorfälle den Behörden zu melden.

Seine ältere Nachbarin bedrängte ihn mit der Befürchtung, dass dies bedeutete, dass sie vor einem Hausfriedensbruch standen. Seine Schwester, Sandy, schickte ihm mehrere Facebook-Nachrichten, in denen sie mit selbstgerechter Geringschätzung erklärte, wie beschämend die Situation für die ganze Familie war und dass es in Pauls Verantwortung lag, sie nicht eskalieren zu lassen.

Paul war nicht sicher, was er deswegen unternehmen sollte. Die ersten beiden Penisse hatte er auf Kinder geschoben, die sich von der Tatsache ablenken wollten, dass sie so früh schon ausgewachsene Schneestürme bekamen. Dieser dritte allerdings schubste ihn über die Grenze zur Verärgerung.

Am Abend nach dem dritten Penis, nachdem die kleine, alte Dame hinter dem Tresen der Bibliothek ihm ein Schneepenis-Foto gezeigt hatte, bevor sie seine Karte gescannt hatte, beschwerte sich Paul bei Gabriel, Logans Bibliothekar und Arthurs Verlobten.

»Warum nur ich?«, klagte er, als Gabriel mit ihm im Vorraum stand, während Paul seine Jacke anzog. »Es kann nicht mal was mit dem Schwulsein zu tun haben. Du und Arthur bekommt keine und Marcus oder Frankie auch nicht.«

»Wir sind zu weit draußen mitten im Nirgendwo. Falls sich irgendjemand in unserem Vorgarten herumtreiben sollte, würde Arthur ihn mit der Schrotflinte begrüßen.« Nachdenklich rieb sich Gabriel das Kinn. »Aber ja, du hast recht, wenn es um das Schwulsein gehen würde, wären Marcus und Frankie in ihrem neuen Haus Freiwild. Vielleicht haben sie Angst, einen Anwalt zur Zielscheibe zu machen, der wie ein Grizzlybär aussieht.«

Seufzend wickelte Paul einen Schal um seinen Hals. »Ich hab überlegt, eine Videokamera anzubringen, um sie zu erwischen, aber ich besitze keine. Außerdem ist es so kalt und verschneit, dass sie wahrscheinlich beschlagen oder schlicht nicht funktionieren würde.«

Gabriel schnitt eine Grimasse in Richtung des Parkplatzes, der eine Einöde aus Schneeverwehungen war. »Es ist abstrus, wie früh der Schnee dieses Jahr gekommen ist. Ehrlich gesagt, macht mir bei diesem Tempo der Januar Angst. Alle sind besorgt. Es wird nicht darüber geredet, ob es einen Stromausfall gibt, sondern wann und wie oft. Deine Schneepenis-Abenteuer sind beinahe eine komische Auflockerung.«

»Meine Nachbarin findet sie nicht komisch.«

Mit einer Handbewegung wischte Gabriel den Einwand beiseite. »Edna Michealson liebt es, sich zu beschweren. Jedes Mal, wenn ich mit dem Bücherbus unterwegs bin, muss ich eine halbe Stunde für ihren Besuch einplanen. Nicht, um über Bücher zu diskutieren, sondern um mir ihre Aufzählung der Dinge anzuhören, die sie an dem Tag wütend gemacht haben.«

Paul bereitete es kein Vergnügen, einem Vortrag seiner neunundachtzigjährigen, ehemaligen Lehrerin der vierten Klasse über unangemessene Schneeorgane zu lauschen. »Anfangs waren sie niedlich, aber genug ist genug.«

Gabriels Lippen verzogen sich zu einem durchtriebenen Grinsen, als er sich gegen die Wand neben der Garderobe lehnte. »Es macht Spaß, Arthur bei seinen Versuchen, sie nachzubauen, zu beobachten. Er hat endlich herausgefunden, dass er Wasser hinzufügen muss, aber das Verhältnis stimmt noch nicht ganz, denn am Ende hat er entweder Suppe oder Krümel. Gestern hat er einen Obelisken zustande gebracht, aber er ist in der Mitte eingebrochen, als er versucht hat, einen Hoden anzubauen.«

Paul setzte seine Mütze auf und drehte sie, bis sich das Loch vom Nagel, an dem er sie aufgehängt hatte, nicht über seinem Ohr befand. »Meine Familie ist davon überzeugt, dass es Arthur ist.«

»Ich weiß, dass wir dich damit aufgezogen haben, aber vielleicht stimmt es. Vielleicht ist es ein geheimer Bewunderer.«

Paul schnaubte. Falls der Schneepeniskünstler wirklich ein Bewunderer war… tja, ganz ehrlich, Paul war nicht sicher, was er davon halten sollte. Warum schrieb er ihn nicht auf Grindr an und fragte ihn nach einem Kaffeedate?

Jeder, der unter Umwerben einen Schwanz verstand, der seine Eingangstür blockierte…

Okay. Es war ein bisschen cool. Und selbst wenn die Hoden angeleimt waren und er sie von der Treppe meißeln musste, lachte er.

Paul winkte Gabriel zum Abschied und fuhr nach Hause, wobei er auf dem Weg beim Café anhielt, um sich was zum Abendessen zu besorgen.

Nachdem er es sich mit den Filmen, die er in der Bibliothek ausgeliehen hatte, vor seinem Fernseher gemütlich gemacht hatte, wickelte er seinen heißen Burger aus.

Zugegeben, es war viel zu früh, doch Paul war bereits bei seiner zweiten Runde Weihnachtsfilme angelangt. Gabriel hatte eine anständige Sammlung aufgebaut und es gab genug neue Filme, sodass Paul vor den Feiertagen eine Menge aufzuholen hatte.

Er liebte die Hallmark- und Lifetime-Filme. Der erste Film, Weihnachten mit Holly, erinnerte Paul an das Jahr, als er, Arthur und Marcus zusammen in Arthurs Hütte gelebt hatten – das Weihnachten, an dem Marcus und Frankie sich kennengelernt hatten, nachdem Frankie in Logan gelandet war.

Während dieser Feiertage waren sie vier eine Familie geworden.

Der zweite, Christmas Lodge, war nicht so gut. Er war lieb und süß und hatte diese schwammige Eigenschaft, die Paul bevorzugte, bei der sich alle Probleme in Luft auflösten und Weihnachten ganz wundervoll war.

Aber er hatte eine starke Neigung zum Christlichen und Paul konnte sich nicht so fallen lassen, wie er wollte. Obwohl niemand im Film übertrieben homophob war, wusste Paul, dass die Filmproduzenten ihm erzählen würden, dass er kein kitschiges Weihnachtswunder verdient hatte, weil er schwul war. Allerdings gefiel ihm, wie die Heldin den perfekten Mann an dem perfekten Ort in den Bergen fand. Er wusste, dass das echte Leben so nicht funktionierte, aber er liebte es, sich von diesem weichen Gefühl einwickeln zu lassen, dass tatsächlich alles klappte, vor allem an Weihnachten.

Er konnte ein schönes Weihnachten vertragen. Er konnte einen perfekten Mann vertragen, der mit einem Adventskranz und einem schiefen Lächeln an seiner Haustür auftauchte, bereit, Einzug in sein Leben zu halten. Weder Marcus noch Arthur war es zwar genau so widerfahren, aber… na ja, es war Paul nicht entgangen, dass sich die beiden in den vergangenen zwei Jahren darin abgewechselt hatten, ihren Mr. Right zu Weihnachten zu finden.

Drei Jahre und drei von ihnen. Die drei Bären, wie Frankie sie aufzog. Das machte Paul wohl zum Baby-Bären, was in Ordnung war. Aber er hatte das ganze Jahr über versucht, sein Goldlöckchen zu finden, und so ziemlich jeden schwulen Mann im County und darüber hinaus gedatet oder flachgelegt.

Sofern nicht noch jemand während eines Schneesturms hier stecken blieb, wusste er nicht, wie er sein Happy End zu Weihnachten bekommen sollte.

Für den Fall, dass er sich ein anderes Happy End beschaffen konnte, überprüfte er seinen Grindr-Account, doch dort erwartete ihn bloß der übliche Anstupser von PrinceCharming1990. Paul hatte keine Ahnung, wer der Kerl war oder gar, wo er war – er hatte seinen Standort nicht angegeben. Wo auch immer Prince Charming lebte, er hatte einige kinky Ideen, was er mit Paul anstellen wollte, und war verdammt hartnäckig.

Heute Abend spielte PrinceCharming1990 den Schüchternen. Lass uns im Schnee spielen.

Paul ignorierte diese Anfrage genauso, wie er alle anderen nicht wirklich verschleierten Zweideutigkeiten ignoriert hatte.

1990. Wahrscheinlich war das das Geburtsjahr des Kerls. Im Februar würde Paul achtunddreißig werden.

Als Prince Charming geboren worden war, war Paul in die Highschool gekommen. Das war einfach… nein. Allein der Gedanke gab ihm das Gefühl, ein Kinderschänder zu sein. Auch wenn sich bei einigen sexuellen Vorschlägen dieses speziellen Kinds seine Zehen einrollten.

Prince Charming war bei keiner Sex-App angemeldet und baute keine Organe aus Schnee auf seinen Eingangsstufen.

Paul verbannte Eispenisse und Grindr aus seinem Kopf und legte eine DVD aus dem Zehnerpack Weihnachtsromanzen in den Player.

Er hatte sich auf diese DVD-Kollektion gefreut, seit Gabriel sie für ihn bestellt hatte, und er hatte sie sich bei seiner derzeitigen Ausleihorgie nur deshalb bis zum Schluss aufgehoben, weil er die anderen beiden morgen wieder zurückbringen musste. Er hatte die Absicht, wenigstens zwei der zehn Filme zu gucken, aber heute Morgen war er früh aufgestanden, sodass er bereits nach fünf Minuten des ersten Films einschlief. Im einen Moment hatte der Film gerade angefangen und im nächsten öffnete er die Augen und starrte auf den stummen Menü-Bildschirm.

Und lauschte auf das kratz, kratz, kratz von irgendwas draußen auf der vorderen Veranda.

Langsam setzte sich Paul auf und blinzelte die Tür an. Es klang wie ein Waschbär. Oder ein Bär.

Raschel, raschel, raschel. Kratz, kratz, kratz.

Schab. Schlurf. Schab.

Das war kein Bär. Da war jemand auf seiner Veranda.

Da baute jemand einen Schneepenis auf seiner Veranda.

Er rutschte zur Sofakante und hielt den Drang, zur Tür zu rasen, im Zaum. Wenn er zu viele Geräusche machte, würde sich wer auch immer vielleicht aus dem Staub machen. Wenn er auf Zehenspitzen zur Tür schlich, könnte er die Tür aufreißen und sie überraschen. Allerdings fiel ihm auf halbem Weg ein, dass er vielleicht eine Waffe brauchen würde. Nichts Tödliches, aber… nun, falls es keine Bande Kids war, sollte er vorbereitet sein.

Allerdings hatte er keinen Baseballschläger. Seine Jagdgewehre standen im Schrank, aber die waren kaum angemessen. Außerdem blieb ihm nicht viel Zeit. Als er durch den Vorhang linste, erkannte er, dass der Penis beinahe fertig war.

Ein Kerl. Kein Kind und kein Schlägertyp. Alles, was Paul ausmachen konnte, war ein dunkler Parka und eine Strickmütze mit Ohrenklappen. Die Hose stach hervor. Ein bisschen wie die Dinger, die man in Krankenhäusern trug. Wie hießen die doch gleich? OP-Kleidung. Sie erinnerten ihn an etwas, aber er kam nicht darauf.

Schließlich war er ohne Waffe unterwegs. Wer immer es war, Paul konnte es mit ihm aufnehmen, obwohl er bezweifelte, dass es so weit kommen würde. Er holte tief Luft, um sich für Gott weiß was zu stählen, und legte eine Hand auf den Türknauf.

Er schaffte es, das Licht einzuschalten, nachdem er die Tür aufgerissen hatte, was bedeutete, dass er im Licht der trüben Glühbirne, die die Verandastufen erhellte, nicht nur einen guten Blick auf ein sehr strapazierfähiges Vorhautbändchen, sondern auch auf das Gesicht eines jungen Mannes mit strahlenden, blauen Augen und vor Kälte geröteten Wangen werfen konnte.

Paul starrte ihn an. »Kyle? Kyle Parks?«

Kyle schloss den Mund und presste die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. Dann zog er aufreizend ruhig eine Augenbraue hoch und sein durchtriebenes Lächeln ließ Paul auf eine Art erschauern, die nichts mit der Kälte zu tun hatte.

Kyle warf Paul eine Kusshand zu, stieg von der Veranda herunter und verschwand in der Nacht, während Paul zurückblieb und den Schneepenis anstarrte, der, wie er jetzt erkannte, mit einer bedruckten Standardkarte verziert war, die an einem Stück Garn hing, das in die Skulptur eingebaut war.

Auf der Karte stand: Lass uns im Schnee spielen.

Paul hob seinen Blick zu dem detaillierten, handgefertigten Penis, der zwei Meter groß war und dessen freigelegte Eichel im Licht der Veranda wie ein eisiger Juwel schimmerte. Er dachte an Kyle Parks, den netten Nachtpfleger, der hier draußen auf seiner Veranda stand und den Penis mit all diesen Venen formte.

Der ihm die ganzen PrinceCharming1990-Grindr-Nachrichten schickte.

Kyle. Der kleine Kyle. Der anbot, ihn zu lecken und seinen…

Paul schloss die Augen, aber er sah dennoch Kyles verruchtes Lächeln, das sich mit den schamlosen Vorschlägen von PrinceCharming1990 vermischte.

Mit einem abgehackten Schnauben stieß er den Atem aus, öffnete die Augen und riss die Karte von dem Penis. Er stieß die Skulptur um, ohne ein Foto zu machen oder in seiner Eile, wieder nach drinnen zu kommen und das Licht auszuschalten, innezuhalten und zuzusehen, wie sie zerbröselte.

Aber er lag stundenlang in seinem Bett und starrte an die Decke, so weit vom Schlaf entfernt, dass er nicht sicher war, jemals wieder dorthin zu gelangen.

Das konnte nicht passiert sein. Von allen Leuten, die möglicherweise einen Schneepenis auf seiner Veranda hätten errichten können…

Lass uns im Schnee spielen.

Zu seiner Schande wurde Paul ein wenig hart.

Er vergrub das Gesicht in seinem Kissen und stöhnte in die Füllung. Er konnte darauf nicht reagieren. Er musste PrinceCharming1990 auf der Stelle blocken.

Allerdings tat er das nicht. Bis in die frühen Morgenstunden lag er im Bett. Die kitschigen Weihnachtsfilme mischten sich mit Kyle Parks anrüchigem Lächeln, bis sie sich miteinander verbanden und er von einem süßen Kyle träumte, der draußen vor einer malerischen Blockhütte stand und Paul lächelnd zu Hause willkommen hieß.

Flankiert von einer Armee gut ausgestatteter Schneepenisse.

 

***

 

Jeder in Logan dachte, er wüsste, wer Kyle Parks war. Jeder in Logan lag falsch.

Das Problem daran, in einer Stadt mit weniger als tausend Einwohnern aufzuwachsen, war, dass die Leute die Kindheit nicht aus dem Kopf bekommen konnten.

Sie erinnerten sich daran, wie Kyle Boy Scout-Popcorn verkauft oder bei ihnen in der Sonntagsschule gesessen oder seine Hose in ihrem Garten eingenässt hatte, als er noch nicht ganz reif fürs Töpfchen gewesen war. Und irgendwie bedeuteten all diese Erinnerungen, dass sie nicht akzeptieren konnten, dass er nicht länger ein Kind war. In ihren Köpfen war er immer noch der kleine, langbeinige Junge mit dem schlechten Haarschnitt. Und jeder, jeder, redete immer noch davon, dass er es sich zur schlechten Angewohnheit gemacht hatte, in den Highheels seiner Mutter und mit ihrem Make-up im Gesicht herumzustöckeln. Hätte das nicht unser erster Hinweis sein müssen? Doch selbst dann war er kein schwuler Mann. Er war ein schwules Kind.

Es half nichts, dass Kyle wusste, dass er wie ein Kind aussah. Er wurde nicht nur überall, wohin er ging, nach seinem Ausweis gefragt, die Leute stritten sich deswegen auch noch öfter mit ihm. Du kannst keine fünfundzwanzig sein. Außerhalb der Stadt sprachen sie von seinem Babyface, aber in Logan bestanden die Leute, die ihn seit seiner Kindheit kannten, darauf, dass er immer noch klein war. Die allgemeine Meinung besagte, dass er vielleicht, möglicherweise, fast zwanzig war, aber weiter wagten sie sich nicht hinaus. Der Vermerk des Staates Minnesota auf seinem Führerschein, dass er 1990 geboren worden war, musste ein Fehler sein. Kyle vermutete, dass er irgendwann dankbar für sein jugendliches Aussehen sein würde, doch im Moment würde er alles für ein paar graue Haare geben. Oder die Fähigkeit, sich mehr als einen Flaum als Bart stehen zu lassen. Oder eine Heimatstadt, in der die Leute bereit waren zu glauben, dass er nicht Peter Pan war.

Als er von Paul Jansens Doppelhaushälfte wegfuhr, schlug sein Herz zu schnell. Die Erinnerung an Pauls schockierten, leicht entsetzten Gesichtsausdruck brannte sich in Kyles Gedächtnis und er hasste seine jugendliche Erscheinung mehr als je zuvor.

In seinem Kopf waren die Schneeskulpturen kombiniert mit den Grindr-Sticheleien der perfekte Flirt gewesen. Es stimmte, er konnte Paul nicht von Angesicht zu Angesicht dazu bewegen, ihn eines zweiten Blickes zu würdigen, aber er hatte angenommen, dass das wieder was mit diesem ganzen Du bist zu jung-Kram zu tun hatte. Möglicherweise auch die Ich verabrede mich nur mit großen, behaarten Bären-Sache, obwohl er Paul mit ein paar schlanken Männern zusammen gesehen hatte. Kyle hatte bereits versucht, seinen eigenen Typ zu verändern – eine Woche lang hatte er nichts außer fettigem Essen und Milch zu sich genommen, aber letztendlich hatte er Gewicht verloren, weil ihm von dem ganzen Mist schlecht geworden war. Am Ende war er zu dem Schluss gekommen, dass er Paul nur dazu bringen musste, ihn als spaßiges Sexobjekt zu betrachten. Und als verfügbar. Und willig. Also Grindr. Nur dass Paul höchstens an seinen Ködern geknabbert hatte.

Der erste Schneepenis war ein Jux gewesen, doch damit hatte er mehr erreicht als mit einem Haufen dreckiger Direktnachrichten, also hatte er sich gedacht, was soll's – die Hände schmutzig machen und noch mal das Ganze. Wenn er geahnt hätte, das Paul ihn dabei erwischen würde, hätte er sich für diese Gelegenheit in Schale geschmissen oder etwas angezogen, dass er schneller hätte ausziehen können. Auch wenn das Pauls Gesichtsausdruck nach zu urteilen keinen Unterschied gemacht hätte. Verdammt.

Die Fahrt zwischen Pauls Haus und seinem eigenen Zuhause war kurz, aber sonst war niemand zu dieser unchristlichen Stunde wach, also konnte Kyle weiterhin für sich selbst ein finsteres Gesicht ziehen, während er seine Jacke weghängte und Zutaten für ein Sandwich aus seinem Kühlschrank holte. Aus Rücksicht auf seine beschissene Laune fügte er dem noch einen Angry Orchard-Cider hinzu. Er stellte alles auf ein Tablett und schlurfte um die Ecke zu seinem Zimmer.

Während er aß, fragte er sich nicht zum ersten Mal, ob es helfen würde, wenn er seine eigene Wohnung hätte. Es war möglich, dass Paul ihn in jedem Alter und in jeder Umgebung abweisen würde – was wehtat –, aber… na ja, Kyle war gewillt, es zu versuchen.

Hastig verschlang er sein Sandwich und trank den Cider, während er im Internet surfte. Als er sich durch einige schamlose Pornoclips klickte, drehte er die Lautstärke herunter. Da er mürrisch war, suchte er nicht nach seinen Lieblingsclips, sondern fütterte stattdessen seine schlechte Laune, indem er in kostenlosen zwei bis sechs Minuten langen Teasern nach seinem Kink suchte.

Denn selbst in seinem Porno war er zu jung. Er würde seinen Arsch darauf verwetten, dass keiner der Kerle in der Bär-Twink-Kategorie fünfundzwanzig war, und, Gott, wenn er dummerweise zur Daddykink-Kategorie wechselte, bekam er alarmierend junge Jungs und Männer, die ihn an seinen Opa erinnerten.

Wobei er nach niemandem Steine werfen wollte. Aber konnte ein Mann nicht einen schlanken, hübschen jungen Mann mit einem süßen, kuschligen Bären bekommen, der entweder in seinem Alter oder nur ein wenig älter war?

Er wusste es besser, als zu hoffen, dass er über eins stolperte, in dem es der Twink dem Bären besorgte. Oh, diese Videos existierten und man durfte seinen Arsch darauf verwetten, dass er sie sich als Lesezeichen gespeichert hatte. Aber wenn er in einer Stimmung wie dieser war… tja, er wusste nicht, warum er sich immer wieder selbst daran erinnern wollte, wie unmöglich er war, trotzdem war es das, wonach er suchte. Falls er eine Ahnung hatte, lag sein Problem darin begründet, dass er in einer winzig kleinen Kleinstadt mitten im Nirgendwo lebte. Nein. Er war in jedweder Hinsicht ein Freak. Große, schmale Füße. Dünner Körper und lange Beine. Babyface. Feminines Auftreten. Auf seiner Stirn war gegen seinen Willen passive Tunte tätowiert.

Er hatte einen tollen Haarschnitt und war exzellent gefärbt, seit Frankie Blackburn in die Stadt gezogen war und einen Friseursalon eröffnet hatte. Alles andere war erbärmlich. Er könnte sich genauso gut einen zweiten Cider genehmigen.

Er tat es nicht, weil es zu diesem Zeitpunkt sechs Uhr früh und seine Mutter so gut wie aufgestanden war. Egal, wie oft er ihr sagte, dass es etwas anderes war, morgens zu trinken, wenn man die ganze verdammte Nacht auf den Beinen gewesen war, sie regte sich trotzdem auf und bemutterte ihn. Was vermutlich ein weiteres Argument dafür war auszuziehen.

Morgen werde ich mir die Wohnungsanzeigen ansehen, sagte er sich, als er in sein Bett stieg und in den Schlaf driftete.

Seine Träume waren eine durchgedrehte Mischung aus Pornos, Paul und der Arbeit. Was seltsam wurde, als sein kurzer Vorstoß in medizinisch angehauchte Pornoclips Kyles Träume inspirierte, sodass er an einem nackten Paul in einem Bett im Pflegeheim eine Prostatauntersuchung durchführte. Wenn er wach gewesen wäre, hätte er diese Fantasie abgewürgt, aber so wachte er mit einem Ständer auf und kam unter der Dusche zu dem sehr hübschen Bild eines nackten Paul Jansen auf allen vieren, der nach Kyles Schwanz bettelte.

Als er herauskam, war seine Mutter in der Küche und kochte Schweinekoteletts fürs Mittagessen. Sie lächelte und murmelte: »Guten Morgen«, als Kyle auftauchte. Im Hintergrund spielte ein Countrysender und Daryl Parks saß mit der Zeitung am Tisch. Kyles Brüder saßen sich gegenüber und hantierten mit ihren Handys herum. Am kleineren Tisch neben der Schiebetür stritten drei von Kyles Nichten und Neffen darum, wer mehr Chicken Nuggets hatte, und versuchten, die Milch der anderen zu verschütten.

Kyle lugte um die Ecke ins Esszimmer und ins Fernsehzimmer dahinter, bevor er seine Mutter mit gerunzelter Stirn ansah. »Wo ist Linda Kay?«

»Ich weiß nicht.« Jane Parks' Tonfall war ein übertriebener Singsang, als sie mit weit aufgerissenen Augen zum Schrank nickte.

Kyle machte eine große Show daraus, sein Kinn zu kratzen und die Stirn zu runzeln. »Oh, nein. Denkst du, sie ist ausgezogen?«

»Schwer zu sagen.« Janes Stimme spielte mit, aber sie wandte ihre Konzentration wieder den Essensvorbereitungen zu.

»Das wäre eine Schande. Letzte Nacht hat es wieder geschneit und ich wollte ein neues Fort bauen. Ein großes Fort.« Er seufzte theatralisch. »Ich schätze, ich werde einfach ein kleines für die Kids bauen.«

Die Tür zum Vorratsschrank öffnete sich, als eine neunzig Kilo schwere Frau strahlend und fröhlich daraus auftauchte. Zunächst hüllte Linda Kay Kyle in ein breites Lächeln ein, bei der ihre Zunge zwischen ihren Lippen hervorzeigte, bevor sie ihre Arme um ihn schlang und ihn drückte. »Reingelegt, kleiner Bruder.«

Kyle erwiderte ihre Umarmung, so gut er konnte, und sein Lächeln war, wenn auch nicht so schön und rein wie ihrs, aufrichtig. »Und wie du mich reingelegt hast. Heißt das, du wirst doch ein Schneefort mit mir bauen?«

Linda Kay kniff ihre Augen zusammen und schüttelte ihren Kopf so heftig, dass ihr braunes Haar in sein Gesicht schlug. »Nein. Ich will einen Drachen machen. Der Feuer spuckt.«

»Einen Feuer spuckenden Drachen?«, wiederholte Kyle, während die Möglichkeiten bereits durch seinen Kopf ratterten.

»Das Feuer wird aus Schnee gemacht, nicht aus dem Propantank«, bemerkte Jane trocken vom Herd aus.

Verdammt. Kyle schnitt eine Grimasse in Linda Kays Richtung. »Unsere Mutter ist eine Spaßbremse

Linda Kay lehnte sich mit hinterhältigem Blick vor und flüsterte laut in Kyles Ohr: »Ich schmuggle es aus der Garage.«

»Das wirst du nicht tun, Linda Kay.«

Als Linda Kay schmollte, küsste Kyle ihre Wange. »Wir werden einen Weg finden, damit es cool aussieht. Lass mich schnell was essen und eine Tasse Kaffee trinken, dann legen wir los.«

Linda Kay folgte Kyle um den Tisch, als er eine Kapsel entkoffeinierten Kaffee in die Keurig-Maschine legte, und als er sich über die linke Schulter seiner Mutter beugte, um einen Blick auf sein Frühstück/Mittagessen zu werfen, nahm seine Schwester eine ähnliche Position auf der rechten Seite ein.

Jane seufzte. »Ihr zwei. Könnt ihr nicht noch zehn Minuten warten?«

»Wir haben Hunger.« Linda versuchte, ein Stück Schweinekotelett abzuzwacken, und lachte, als Jane ihre Hand zur Seite schlug.Denn nach fünfundzwanzig Jahren als Kyles Zwilling hatte sie den Dreh raus.

Während sie ihr Täuschungsmanöver ausführte, stibitzte Kyle ein Stück Speck vom Teller neben dem Herd. Er nahm einen Bissen und steckte Linda Kay den Rest heimlich hinter Janes Rücken zu. Als seine Schwester mit einem diebischen Kichern davonflitzte, lehnte sich Kyle gegen die Anrichte und trank seinen Kaffee, während er mit seiner Mutter plauderte.

»Arbeitest du heute Abend?«, fragte sie ihn. »Ich weiß, dass der Schichtplan in letzter Zeit ein einziges Chaos ist, und ich habe den Überblick über deine Wechsel verloren.«

Er nickte. »Die Nachtschicht. Elf bis sieben. Aber morgen habe ich frei, weil ich am Wochenende tagsüber eingeteilt bin.«

Missbilligend schnalzte Jane mit der Zunge. »So unregelmäßige Arbeitszeiten sind nicht gesund für dich. Diese ganzen Nachtschichten sind schon schlimm genug.«

»Irgendjemand muss sie machen. Es gibt aber gute Neuigkeiten.« Er grinste, als er seinen Kaffee beiseitestellte. »Ich hab gehört, Dolorianne denkt darüber nach, in Rente zu gehen.«

Vor Freude hätte Jane beinahe ihren Pfannenwender fallen gelassen. »Oh – heißt das, du kannst ihre Schicht übernehmen? Die regelmäßige Tagesschicht?«

Kyle rollte die Augen. »Gott, ich wünschte, es wäre so. Nein, das würde heißen, ich könnte die Schicht von drei bis elf bekommen, wenn ich will.«

Sie runzelte die Stirn. »Aber, Kyle, mit diesen Stunden kannst du unmöglich wieder zur Schule gehen.«

Nicht das schon wieder. »Mom, ich will kein staatlich geprüfter Krankenpfleger sein. Mir reicht der Krankenpflegehelfer.«

»Aber wenn du staatlich geprüft wärst, wären deine Karrierechancen besser und du würdest mehr Geld verdienen.«

Kyle wollte diese Diskussion nicht zum achtzehnten Mal führen, also wechselte er das Thema. »Wie war dein Treffen gestern?«

Sie strahlte. »Oh, es war wundervoll. Der Ruth Circle und der Hope Circle haben sich in der Kirche getroffen und der Bibliotheksvorstand ist auch vorbeigekommen, sogar Mr. Higgins. Die Benefizveranstaltung findet definitiv statt.«

»Also noch mehr Schlittenfahrten mit anschließendem Tanzball?«

»Nein, dieses Jahr wird es mehr geben. Einen Kunsthandwerksmarkt, eine Eislaufbahn und alle örtlichen Geschäfte werden einen Tag der offenen Tür haben. Und.« Sie stieß ihn mit dem Ellbogen an und wackelte mit den Augenbrauen. »Ich habe ihnen gesagt, dass du Schneeskulpturen machen wirst.«

»Mom

»Beschwer dich nicht. Du liebst es, die Skulpturen zu machen, und Linda Kay wird so eine Freude daran haben, dir zu helfen.

»Das ist etwas Besonderes, das ich mit ihr zusammen mache.« Und auf Pauls Eingangsstufen, bis er mich erwischt hat. Kyle stierte in seinen Kaffee. »Werde ich wenigstens dafür bezahlt?«

Sie verpasste ihm einen Klaps, hart genug, um ihn aufjaulen zu lassen. »Kyle David Parks! Natürlich wirst du nicht dafür bezahlt. Alle Gelder gehen an die Bibliothek.« Mit einem Holzlöffel zielte sie auf seine Nase. »Und wenn du bei Gabriel Higgins vorbeischaust, um mit ihm abzusprechen, welche Skulpturen du baust, wag es nicht, das Thema Geld aufzubringen.«

In Notwehr hob Kyle seine Hände hoch. »Werde ich nicht, ich schwöre.«

Besänftigt fügte sie dem Rührei, das sie für Kyle machte, etwas Käse hinzu, weil sie darauf bestand, dass der Mensch Eier zum Frühstück brauchte, wann auch immer er frühstückte. »Es wird etwas ganz Besonderes werden. Es wird Charterbusse von den Cities und Duluth hierher geben, ein Weihnachtsdorf und Rentiere. Dieses Mal gibt es sogar ein Thema. Winter Wonderland

Das war weniger ein Thema als ein netter, allgemeiner Titel, aber Kyle würde sich deswegen nicht streiten. »Klingt großartig. Ich werde morgen bei der Bibliothek vorbeigehen. Vielleicht will Linda Kay mitkommen.«

»Wenn es wirklich so schneit, wie vorausgesagt, wird es wunderbar funktionieren. Sie hat vor, nach Eveleth zu gehen, um Kenny zu sehen, und sie wird sich ärgern, wenn das Wetter ihre Pläne durchkreuzt.«

»Okay.« Kyle stieß sich von der Anrichte ab, um Teller und Gläser für den Tisch zu holen, doch seine Mutter ergriff den Saum seines T-Shirts und hielt ihn fest.

»Bei dem Treffen habe ich auch gehört, dass heute Morgen wieder eine Skulptur auf Paul Jansens Veranda stand.«

Kyle schnitt eine Grimasse. Seine düstere Stimmung kehrte mit aller Macht zurück. »Tja, nun, es wird die letzte gewesen sein.«

»Das hoffe ich. Er ist zu alt für dich.«

»Er ist siebenunddreißig, nicht siebzig. Außerdem ist unser Altersunterschied nur um drei Jahre größer als der zwischen dir und Dad.«

Jane schürzte die Lippen und konzentrierte sich darauf, Kyles Rühreier zu würzen. »Ich sage nur, dass ich nicht verstehe, warum du mit niemandem in deinem Alter zusammen sein kannst.«

»Weil die Männer in meinem Alter Idioten sind. Außerdem gibt es im ganzen County nur fünf davon, die für mein Team spielen.« Er drückte seinen Zeh unter eine lose Bodenfliese. »Spielt keine Rolle. Er ist nicht interessiert. Niemand ist interessiert.«

Sie zögerte. »Ich wette, in Duluth gibt es mehr schwule Männer in deinem Alter.« Als Kyle ihr einen verletzten Blick zuwarf, küsste sie seine Wange. »Schmoll nicht. Ich sage nicht, dass du ausziehen sollst. Ich versuche, dir dabei zu helfen, glücklich zu sein.«

»Ich will hier glücklich sein. Wenn ich umziehe, dann in eine Wohnung in der Innenstadt.«

Linda Kay streckte ihren Kopf um die Ecke, von wo aus sie gelauscht hatte. Ihr Gesicht spiegelte den Verrat wider, den er fast begangen hätte. »Du kannst nicht ausziehen!«

»Ich ziehe nicht aus.« Kyle holte einen Stapel Teller aus einem Schrank und reichte ihn ihr. »Ich decke den Tisch und du hilfst mir dabei.«

Sie grummelte, aber sie half trotzdem. Als sie sich zum Essen hinsetzten, lehnte sie sich dicht zu ihm und flüsterte: »Wie war der Schneepenis?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich wurde erwischt. Und er hat ihm nicht gefallen.«

In einer dramatischen wegwerfenden Geste knickte Linda Kay ihr Handgelenk ab. »Bitte. Kein Geschmack.«

Grinsend lehnte sich Kyle zu ihr und drückte ihr einen Kuss aufs Haar. »Ich liebe dich, Linda Kay.«

»Ja, weil ich umwerfend bin.« Sie stahl ein Stück von seinem Speck und zwinkerte ihm auf ihre entzückend unbeholfene Art zu. »Wir werden unserem Schneedrachen einen großen Penis machen.«

»Mom würde einen Anfall bekommen.«

Sie bedachte ihn mit einem Blick, der sagte: Bitte, sei nicht albern. »Natürlich werden wir ihn verstecken

Sie hob ihre Hand, damit Kyle sie abklatschen konnte. Kyle tat es, dann aß er seine Rühreier, während seine düstere Stimmung unter Plänen für einen kunstvollen, Eis spuckenden Drachen mit verborgenem Schwanz begraben wurde.