Deutsche Erstausgabe (ePub) September 2015
Für die Originalausgabe:
© 2013 by Summer Devon
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Taming the Bander«
Originalverlag:
By arrangement with Samhain Publishing. Dieses Werk wurde
vermittelt durch Interpill Media GmbH, Hamburg.
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2015 by Cursed Verlag
Inh. Julia Schwenk
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit
Genehmigung des Verlages.
Bildrechte Umschlagillustration
vermittelt durch Shutterstock LLC
Satz & Layout: Cursed Verlag
Covergestaltung: Hannelore Nistor
ISBN ePub: 978-3-95823-555-7
Besuchen Sie uns im Internet:
www.cursed-verlag.de
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Klappentext:
Als Leiter der Tierstation Die Arche hat Gestaltwandler Jake Bander alles, was er braucht: Ruhe, Abgeschiedenheit und genug Auslauf für das Tier in ihm – bis sich Vaughn Prentiss auf seinen Hof verirrt. Als stinkreicher Weltenbummler mit losem Mundwerk geht er Jake nicht nur auf die Nerven, sondern auch viel zu sehr unter die Haut.
Als Vaughns Vermögen von seinem eigenen Finanzberater gestohlen wird und er einen Job bei der Arche annimmt, kommt er dem Tier in Jake gefährlich nahe. Denn Vaughn hat längst erkannt, dass Jake nicht ganz menschlich ist – und mit diesem Wissen ist er nicht allein…
Summer Devon
Aus dem Englischen
von Uta Stanek
Widmung
Für Linda, weil sie die Hand gehoben und gesagt hat: »Ich!«
Ein großes Hey, hallo an Eric und an alle anderen hier bei
Barnes & Noble in Farmington. Bitte bleibt, wo ihr seid, okay? Danke.
Etwa eine Woche später würde Vaughn es saukomisch finden, dass er einen Großteil seines ersten Abends zurück in den Staaten damit verbrachte, Leuten dabei zuzuhören, wie sie über Geld sprachen.
Er war spät auf der Party erschienen. Ununterbrochen wehte eine Brise über die Terrasse. Sie brachte die Lichter zum Schwingen und trug eine angenehme Duftmischung aus Salz, Meeresalgen und totem Fisch herüber.
Maya stellte ihn der Gastgeberin vor, dann verschwanden beide Frauen, um herauszufinden, was mit einem anderen Partygast namens Bleach oder Peach passiert war.
»Wenn es ums Socializing geht, kommt Vaughn sehr gut alleine klar.« Mayas Stimme war laut genug, dass er sie über das betrunkene Kichern der Gastgeberin hören konnte, als sie sich taumelnd einen Weg durch die Menge bahnten.
Vaughn postierte sich neben einer hell erleuchteten Topfpalme und lauschte den Gesprächen über Geld. Er versuchte abzuschätzen, wer von den Partygästen wirklich dumm wie Bohnenstroh war und wer nur so tat.
Er dachte über die Leute nach, die vorgaben, sie hätten ihre Aktienbestände mit ihrem eigenen scharfen Verstand aufgebaut oder mit ihren schwieligen Händen dafür geschuftet. Sie überzeugten einen davon, im Schweiße ihres Angesichts eigenständig ihre Bankkonten aufgefüllt zu haben. Sie prahlten mit ihren sorgfältig ausgewählten Investitionen oder sprachen darüber, wie schwer es war, das Holz zu hacken, mit dem sie ihre riesigen Kamine fütterten. Sie behaupteten, die wildesten Errungenschaften erzielt zu haben, um die Tatsache zu überspielen, dass sie in Wirklichkeit nichts erreicht hatten.
Vaughn verhielt sich ungewöhnlich ruhig auf der Party, weil er noch unter einem Jetlag und einer offensichtlich hundsmiserablen Laune litt. Er wusste nicht, wie er die falschen erfolgreichen Geschäftsleute ausfindig machen sollte – immerhin hatte er nicht einen Finger gerührt, um das Geld zu verdienen, das sein Leben finanzierte. Von Beruf Sohn zu sein, war so ein hässlicher Ausdruck. Verwöhnt. Begünstigt. Er war schon als Schlimmeres bezeichnet worden. Japp, erst vor ein paar Stunden hatte man ihn nutzlos genannt.
Bevor er sich mit Maya getroffen hatte, hatte er in einer örtlichen Stammkneipe Halt gemacht, weil er sich seit Monaten danach gesehnt hatte, ein Baseballspiel anzuschauen und dabei ein kaltes und wässriges amerikanisches Bier zu trinken. Während er darauf wartete, versuchte er, eine Unterhaltung mit jemandem an der Bar in Gang zu bringen. Der Mann in staubigen Jeans und T-Shirt saß zusammengesunken auf einem nahestehenden Hocker, die eine Seite seines Kopfes auf eine Faust gestützt, während er in den Fernseher über der Bar starrte.
Vaughn versuchte es nur mit einem: »Hey, wie läuft's?« Er kam nicht mal bis: Wie schätzt du die Chancen der Yankees dieses Jahr ein?, als der Kerl – ein kräftiger Typ mit einem Zweitagebart und der Sonnenbräune eines Farmers – sich umdrehte, um ihm ins Gesicht zu sehen. Ihre Blicke trafen sich für eine lange Minute und Vaughns Herzschlag beschleunigte sich.
Dann knurrte der Struppige: »Nutzloser Quälgeist. Ihr reichen Faulenzer, die sich zum Spaß unters gemeine Volk mischen.«
Die Beleidigung brachte Vaughn nicht aus der Ruhe. Ihm war schon öfter Feindseligkeit entgegengeschlagen. Vaughn besaß dieses Aussehen, das seine Cousine gerne als Schönling-Look bezeichnete, und er hatte kein Problem damit, Geld für anständige Klamotten auszugeben.
Er würde sich nicht von einem Schwachkopf aufwiegeln lassen, der ein paar über den Durst getrunken hatte und auf Streit aus war.
Also nickte er dem Barkeeper zu, nahm sein Bier und ging damit zu einem der Tische, um es dort zu trinken und sich das Ende des Spiels anzusehen. Seine in Slippern steckenden Füße legte er auf die Sprosse des Stuhls ihm gegenüber ab.
Nach einer Weile war er nach draußen in den leichten Wind gegegangen, ins Licht und zu der Party von Mayas Freundin in dem schicken Restaurant. Hier gab es eine Menge leicht zu vergessener Unterhaltungen, aber auch einige interessante Geschichten über den Winter in der Gegend. Offensichtlich jagte in den Wäldern, die ein paar Stunden von New York entfernt waren, ein Wolfsrudel. Oder vielleicht war es eins dieser Geschöpfe mit zwei Gestalten, mit denen die Klatschpresse vollgestopft war.
Ja, genau. Überall Gestaltwandler zu sehen, war heutzutage ganz groß in Mode.
Er trank noch ein Bier – dieses allerdings aus einem Glas – und musste sich andauernd selbst daran erinnern, dass ihm der knurrende Kerl aus der Bar nicht unter die Haut gegangen war.
Ein paar Stunden später schnappte er einer sehr betrunkenen Maya das Handy weg, um ihrem Fahrer zu schreiben. Vaughn brachte sie von der Party zurück zu ihrem Haus und ließ es zu, dass sie sich bei ihm über Dave, ihren Ehemann, ausheulte, bevor Vaughn ihr einen Gutenachtkuss auf die verschwitzte Stirn gab und in sein übliches Zimmer ging.
***
Am nächsten Morgen tauchten der Kerl aus der Bar mit seinen verächtlichen, braunen Augen und das Wort nutzlos wieder in Vaughns Kopf auf.
Er duschte, zog sich an und ging nach unten auf die hintere Veranda mit Ausblick über die Dünen, die sich zum Strand und dem Atlantik hin erstreckten. Seufzend ließ er sich mit einem Stift und der zusammengefalteten Dienstagsausgabe der New York Times in einen Korbstuhl fallen, damit er in Ruhe das Kreuzworträtsel lösen konnte. Maya kam nach draußen, als er es gerade beendet hatte.
»Du bist so drollig mit deiner Papierzeitung«, sagte sie.
»Für Kreuzworträtsel braucht es nun mal Papier, keine Elektronik.« Er sah nicht hoch. »Also, hältst du uns für nutzlose Quälgeister?«
»Hm?« Seine Cousine gähnte.
»Nutzlose Quälgeister in der Blüte ihres Lebens.« Er gähnte zurück. Verdammte ansteckende Gähnerei. Sie hätten ausschlafen sollen. Die Zeitung, die im Wind raschelte, war lebendiger als sie beide zusammen.
Mit einem Finger strich Maya über ihre Augenbraue. »Sprich für dich selbst. Aber ernsthaft. Wo ist das Problem? Du siehst aus wie die ursprüngliche Lilie auf dem Feld. Niemand, der so wenig geschlafen oder so viel getrunken hat wie du, hat das Recht, heute Morgen so zu strahlen.«
»Du siehst auch gut aus.« Er warf die Zeitung auf den Tisch und beschwerte sie mit einem Muschelhorn.
Sie starrte ihn finster an. »Wenn du Kaffee willst, such nach Mrs. Jefferson. Ich werde sie deswegen nicht nerven. Mit solchen Sachen beschäftige ich mich nur am Wochenende. Und nicht mal dann wirklich. Dave ist diesen Monat genau null Mal außer Haus gewesen.«
Vaughn nahm sich ein Glas Eistee, das auf einem Silbertablett stand. Das Kondenswasser am Glas fühlte sich herrlich an seinen Händen an. Er nahm es mit zum Rand der langen Veranda, von wo aus man den Nebel über dem Meer überblicken konnte, und versuchte, die Linie zwischen Horizont und Wasser auszumachen.
Erneut gähnte Maya, dieses Mal so stark, dass ihr Kiefer knackste. »Komm schon, Vaughn, hör auf, so eingeschnappt zu sein. Das ist mein Job. Oder zumindest sagt das Dave.«
Witzig, er hatte gedacht, er würde gar nicht schmollen, doch manchmal war Maya sehr scharfsinnig.
Das Eis in ihrem Glas klirrte, als sie trank. »Vielleicht arbeitest du nicht und spinnst auch nicht, aber du bist viel zu dekorativ, um nutzlos zu sein.«
Ohne sich umzudrehen, zuckte er mit einer Schulter. »Das ist nicht das erste Mal, dass mir jemand mit diesem Lilien-auf-dem-Feld-Zeug kommt. Wie nennt man eine Lilie, die fast dreißig ist? Schäbig. Da bin ich vielleicht doch lieber ein Quälgeist.«
Mit einem langen Fingernagel tippte Maya gegen ihr Glas und summte vor sich hin. Sie lehnte ihr elegantes Hinterteil neben ihm gegen das Geländer, wobei sie völlig ignorierte, dass ihre weiße Shorts womöglich schmutzig werden konnte. »Leg die Stirn nicht so in Falten. Richte deine Aufmerksamkeit stattdessen auf etwas Wichtiges. Du musst mir zum Beispiel noch deine Meinung zum Eingangsbereich sagen. Ich will eine gute Farbe. Ist Koralle und Violett zu klischeehaft für den Strand?«
Einen Moment lang verspürte Vaughn eine Woge der Verärgerung für seine Cousine, gefolgt von Belustigung. Was zur Hölle wollte er eigentlich von ihr? Wollte er, dass sie ihm den Kopf wusch? Das Leben zu genießen, war nicht genug. Geld für wohlhabende Zwecke zu spenden, rechtfertigte nicht seine Existenz. Bla, bla, bla.
Also sagte er: »Koralle ist irgendein Orangeton, oder? Nimm das.«
Sie gab einen zufriedenen Laut von sich und ging dann wieder dazu über, melodielos vor sich hin zu summen. Er vermutete, dass sie wieder ein paar ihrer Glückspillen eingeworfen hatte. Nachdem Maya gegangen war, um die Dekorateure anzurufen, ging Vaughn joggen.
Er trieb sich zu heftig an. Das war okay – sogar gut. Aber er verlor komplett die Orientierung. Erschöpft und schweißnass kämpfte er sich über kurvenreiche Straßen ohne Seitenstreifen, dafür aber mit Giftefeu, der direkt aus dem Asphalt ragte. Trotzdem verlor er nicht seinen Laufrhythmus, auch dann nicht, als ihm einfiel, wo er sein Handy liegen gelassen hatte – neben seinem Bett. Nutzlos und jetzt auch noch verloren.
Ein heruntergekommenes Schild tauchte in der Nähe der zugewucherten Straße auf; eine hölzerne Platte mit dem Bild einer Arche darauf. Die Tierstation.
Er erinnerte sich daran, wie Maya von der charmanten Arche erzählt hatte, in der eine wahllose Ansammlung geretteter Tiere lebte. Ihre Mutter, seine Tante, hatte sie ein paar Mal erwähnt. Der Hof existierte schon eine ganze Weile und war von einem der Sommertouristen gegründet worden, der letztendlich hier hängen geblieben war.
Ein kleineres Holzschild baumelte am Haken an der Unterseite des Bildes der Arche. Anders als das Schild von der Tierstation sah das GESCHLOSSEN-Schild frisch gemalt und neu aus.
Er könnte zu einem der Häuser gehen, die er weiter hinten abseits der Straße erkennen konnte, oder er ging weiter, bis er auf eine größere Straße stieß. Vaughn hatte kein Problem damit, nach dem Weg zu fragen und das Schild faszinierte ihn. Mit dem Handgelenk fuhr er sich über die Stirn und wandte sich dem kleinen, zerfurchten Weg zu.
***
Trisha, die dreizehnjährige freiwillige Helferin, rannte den Pfad hoch und auf Jake zu, der den letzten Schluck seines Kaffees trank und die Lokalzeitung las. »Mr. Bander! Die Emus sind wieder abgehauen.«
Jake legte die Zeitung zur Seite und seufzte. Die Arche war für heute geschlossen, also würden die Vögel wenigstens niemanden belästigen. Die Leute schienen einen neugierigen Emu für einen aggressiven Emu zu halten.
Trisha schirmte ihre Augen ab und starrte über die Felder. Zweifellos war sie diejenige gewesen, die das Tor offen gelassen hatte. Jake war seit ungefähr vier Uhr in der Früh auf den Beinen und arbeitete. Es kostete ihn sein letztes bisschen Geduld, Trisha nicht anzukeifen, aber das arme Ding sah so besorgt aus.
Schniefend stopfte sie ihre Hände in ihre Shorts. Jake bemerkte, dass sie den Tränen nahe war. »Schon gut. Sie kommen zurück, wenn sie Hunger kriegen«, log er und stupste den Köter, Bessie, mit einem Fuß an.
Los. Tröste sie. Sie schlug zweimal mit dem Schwanz auf und schlenderte dann von der Veranda, um sich an Trishas Beinen zu reiben. Jake hielt sich nie mit dem Versuch auf, den freiwilligen Helfern, die auf der Farm strandeten, näher zu kommen. Dazu gab es keinen Grund, weil die Tiere darin so viel besser waren.
Trisha beugte sich hinunter und kraulte sie hinter den Ohren. »Wir könnten Bessie hinter ihnen herschicken?«
»Wenn sie sie nervt, könnte sie getreten werden.« Jake schluckte seinen restlichen Kaffee hinunter und stand auf. »Du gehst nach Hause. Deedee wartet bestimmt schon. Ich kümmer mich drum.«
»Aber kann ich später wiederkommen? Nach dem Strand und so? Und helfen? Bei der abendlichen Fütterung?«
Er unterdrückte ein Seufzen. Er hatte gedacht, die Kids hätten aufgehört, auf diese seltsame Art und Weise zu sprechen, bei dem sich jeder Satz wie eine Frage anhörte, aber die arme Trisha erniedrigte sich selbst mehr als ein Hund am unteren Ende der Rudelhierarchie. Wahrscheinlich hatte sie nie gelernt, ihre Meinung selbstbewusst zu vertreten.
»Klar.« Er wedelte mit einer Hand. »Geh schon. Ich will nicht schon wieder Deedee gegenübertreten. Geh und hab Spaß am Strand.«
Sie stieg auf ihr Fahrrad und schwankte die dreckige Einfahrt hinunter.
Er sah ihr nach und fragte sich, ob er als Kind genauso eine Nervensäge gewesen war. Die Arbeit, die die Kids hier erledigten, erschwerte ihm manchmal seinen Job. Nee, daran hatte er keinen Zweifel: Er war eine weitaus größere Plage gewesen als jemand wie Trisha. Vom ersten Tag an war Jake Bander ein Sonderfall gewesen.
»Endlich allein. Bereit für ein kleines Rennen?«, fragte er Bessie. Sie wedelte mit dem Schwanz, bellte und raste los. Allerdings senkte sich ihr Schwanz enttäuscht, als er sich umdrehte und zurück ins Haus ging. Aber er würde sich draußen nicht splitterfasernackt ausziehen. Manche Leute ignorierten das GESCHLOSSEN-Schild und kreuzten trotzdem hier auf.
Nackt setzte er sich auf den Boden in der Küche und atmete einen Augenblick lang heftig, als sich das kribbelige Gefühl von seinen Knochen auf seine Haut ausbreitete und an jedem einzelnen Nerv entlangjagte. Er legte sich rücklings zurück, um es zu beenden. Sobald es einmal weit genug vorangeschritten war, war die Verwandlung so unvermeidlich wie Kotzen. Man musste sich dem Ganzen hingeben oder man riskierte, etwas zu zerreißen. Allerdings fühlte es sich tausendmal besser an als Kotzen. Er streckte sich und stöhnte und ignorierte den Ständer, den er immer bei der Verwandlung bekam. Bessie bellte wieder und er knurrte.
Wenn er den richtigen Mund zum Sprechen gehabt hätte, hätte er ihr gesagt, dass sie sich kurz gedulden sollte, doch sie verstand das Knurren genauso gut. Beinahe eine volle Minute verstrich – seine eigene verdammte Schuld, weil er in der Nacht zuvor so viel getrunken hatte –, bevor er auf die Füße kam. Es folgten die normalen Sekunden der Unbeholfenheit, doch dann stieß er die Tür auf und er und Bessie stürzten hinaus in die frische Luft. Ihr Jagdinstinkt sang zu ihnen. Er ließ sich auf alle viere fallen.
Der Ärger entglitt ihm mit jedem weiteren Atemzug, den er tat.
Sie verfolgten die großen Vögel. Bessie rannte neben ihm und keuchte etwas, um mit ihm Schritt zu halten, also wurde er langsamer. Sie rasten weg vom Haus und der Zivilisation. Wind und Sonne umgaben sie wie ein Segen, während sie liefen. Er stieß einen leisen Laut des Vergnügens aus und wünschte sich gleichzeitig, es hätte ein ausgewachsener Schrei sein können.
Warum hatte er das aufgeschoben? Genau das war es, was er brauchte: die Menschen zu vergessen – diese Dinge, mit denen sein Leben überladen war, und die winzigen Gedanken, die den Kopf seiner anderen Gestalt wie Mücken ausfüllten.
Er unterdrückte den Drang zu jagen. Nicht im Sommer, warte auf den Schnee. Konzentration. Vögel.
Der Hund wendete sich nach rechts und er sah die großen Umrisse zu dicht an der Straße. Zu dicht an den Menschen.
Er musste zurück. Der Hund begann zu bellen. Die Vögel drehten ihre langen Hälse, um sie anzusehen. Er wollte ihr sagen, dass sie die Klappe halten sollte. Sie schien diesen Befehl nicht zu verstehen, wenn er in dieser Gestalt steckte.
Er grollte; sie beschleunigte.
Der Hund umrundete die Vögel, scheuchte sie vor sich her. Sie gehorchten. Alle rannten los. Vogel, Hund, Bander, sie alle rannten. Dahin zurück, wo sie hingehörten. Er knurrte dem Hund seinen Ärger entgegen.
Sie hätte sterben können. Hätte von einem kraftvollen Vogeltritt oder einem Auto getroffen werden können. Sie bellte höhnisch auf seine Sorge hin.
Zurück in der Nähe des Hauses befand sich sein spezielles Fleckchen Rasen, wo er das Fell gegen die andere, normale Haut eintauschte. Schließ die Tore, ermahnte er sich und wusste, dass er fast wieder zurück war. Lang ausgestreckt lag er in der Sonne, den Bauch nach oben der Wärme entgegengedreht, während ihm die umfassende Wahrnehmung von Gerüchen und wilder Freude entglitt. Zurück zu dem anderen.
Als er blinzelte und erkannte, dass ein ganz bestimmtes Dunkelgrün in dem schattigen Gras verblasst war, wusste er, dass er fertig war. Er stand auf und ging zum Tor. Schlamm verkrustete seine Füße und er blieb stehen, um sie am Gras abzureiben. Wann war er durch den Bach gelaufen?
»Du bist ein Idiot«, sagte er zu der keuchenden Bessie. »Himmel, warum riskierst du dein Leben für diese beschissenen Vögel? Ich hätte das Auto geholt.«
Glücklich wedelte sie mit dem Schwanz.
»Hallo?«, wehte eine Stimme von der Straße herüber.
Jake sah hoch und wieder direkt in diese eisblauen Augen.
»Oh«, sagte er. Lahm, aber wahrscheinlich besser als: Scheiße, du bist's.
Der Typ von gestern Nacht. Der, der wie Glen gewesen war, nur noch mehr. Zu hübsch, zu glatt, zu golden – zu viel von allem, das er verachtete und nach dem er sich sehnte.
Und Jake hatte die vage Vorstellung, dass er sich gegenüber dem Mann wie ein Arsch verhalten hatte. Er sollte sich entschuldigen. Außer – ups. Er war nackt.
Der Fremde aus der Bar, groß und schlank und schweißbedeckt, kam direkt auf ihn zu und starrte ihn noch immer an.
Natürlich gefiel seinem Körper, der von der Verwandlung noch immer kribbelte und prickelte, diese Aufmerksamkeit.
»'tschuldige.« Er ging an dem Fremden vorbei, der sich eigentlich auf dem Absatz hätte umdrehen und davon rennen müssen, ihm stattdessen aber hintertrottete, als Jake splitternackt in Richtung Büro eilte. Der Wind strich über ihn hinweg. Er bekämpfte den Drang, seine Hände auf seinen Schritt zu legen und vor Scham gebückt loszurennen.
»Entschuldigung, dass ich störe, aber ich muss mal telefonieren. Falls du ein Telefon hast«, sagte der Goldjunge.
»Klar.« Jake wurde nicht langsamer, als er ins Haus stürmte, sodass die Fliegengittertür seinem Besucher vor der Nase zuschlug.
»Hör mal, ich wusste nicht, dass du den Hof leitest. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dich nicht belästigt«, rief der Goldjunge ihm hinterher. Er klang nicht aufgebracht, nur erschöpft. Verdammt, er hatte Jake aus der Bar wiedererkannt. So viel zu der Hoffnung, dass der Typ ihn vielleicht vergessen hatte.
»Schon okay.« Jake sammelte seine Jeans auf und sprang hinein. Sobald er sie geschlossen hatte, drehte er sich zu dem Mann um. Entschuldige dich, sagte er sich. Sag dem Mann, dass es nicht seine Schuld ist, dass er dem einzigen Menschen, mit dem du was riskiert hast, so ähnlich sieht.
Aber was sollte es bringen, wenn sie sich beide unbehaglich fühlten, indem sie darüber sprachen?
Jake zog das Handy aus seiner Gesäßtasche und reichte es ihm, wobei er darauf achtete, dass sich ihre Finger nicht berührten. »Wenn man sich über das Geländer der Veranda lehnt, hat man manchmal Empfang.« Oben würde er ebenfalls Empfang haben, aber auf gar keinen Fall würde Jake ihn dorthin führen.
»Danke.« Das Lächeln des Goldjungen ließ ihm den Atem stocken.
Tatsächlich trat Jake sogar einen Schritt zurück, als hätte der Mann versucht, ihn zu küssen. Doch stattdessen musste er seine Anspannung gespürt haben, denn er hörte unvermittelt auf zu lächeln und stieß die Tür auf, um nach draußen zu gehen.
Jake zog sein T-Shirt über und folgte ihm, während er sich selbst verfluchte. »Kaffee?«, fragte er, bevor er sich davon abhalten konnte.
Wieder dieses Lächeln. Brillantweiße Zähne, die überkront sein mussten. Feine Linien um die Augen – diese unglaublich blauen Augen, in denen ein paar grüne Flecken zu sehen waren. Nicht, dass Jake sie sich genauer angesehen hätte. Nach der Verwandlung besaß er einfach ein paar Stunden lang ein ziemlich gutes Sehvermögen.
Der Goldjunge strich sich feuchte, weizenblonde Haare aus der Stirn und wischte sich die schlanke Hand an seinem dunkelblauen, eng sitzenden T-Shirt ab. »Sehr gerne, danke.«
»Vielleicht lieber Wasser stattdessen?«
»Beides, bitte. In unterschiedlichen Gefäßen natürlich.«
Jake schlappte in die Küche, in der Bessie Wasser aus ihrem Napf schlürfte und es dabei großzügig auf dem Boden verteilte. Er hatte vergessen, dass er den Kaffee geleert hatte, also musste er neuen aufsetzen. Sein Gehör war noch immer ausgezeichnet, also konnte er den Typen auf der Veranda hören.
»Ich bin in der Arche. Du weißt schon, dieser Hof, von dem du dauernd redest. Gib mir einfach eine Wegbeschreibung, wie ich zurückkomme, okay, Maya? Hör auf zu kichern und sag mir, wie ich zur Bluff Road zurückkomme.«
Maya. Bluff Road. Oh, Scheiße. Vielleicht war dieser Kerl mit Maya Prentiss verbandelt. Eine der besten Sponsoren der Arche. Maya hatte den Gold-Spender-Status. Jake schloss die Augen und unterdrückte ein Stöhnen. Er hätte es besser wissen müssen, als für über einen Monat nicht mehr durch die Wälder zu streifen.
»Wer bist'n du?« Das musste Peters ungehaltene Stimme sein, die da von der Veranda zu ihm herüberschallte. Peter, der eigentlich nicht vor morgen hätte herkommen sollen. Hi, Kirsche, sag hallo zur gottverdammten Sahnetorte.
Jake legte die Kaffeefilter zur Seite und ging absichtlich langsam – er würde nicht rennen – auf die Veranda hinaus, wo Peter, ein weiterer Streuner, der auf der Arche Zuflucht gefunden hatte, Mayas Toy Boy finster anblitzte.
Die Hände in die dürren Hüften gestemmt, gab der siebzehnjährige Peter seinen aufsässigen Blick zum Besten. Einen Moment lang fragte sich Jake, ob er damit Jake an einem seiner schlechten Tage imitierte. Einem Tag wie gestern.
»Ich bin Vaughn.« Der Goldjunge streckte eine Hand aus. Peter starrte sie an, ohne sich zu rühren. So was wie ein Lächeln huschte über Vaughns Gesicht.
»Peter!«, bellte Jake. »Was hab ich dir über Besucher gesagt? Schüttle dem Mann die Hand.«
Peter richtete seinen finsteren Blick auf Jake und verdammt, unter seiner gebräunten Haut war er blass und Tränen sammelten sich in seinen Augenwinkeln. »Er ist kein Besucher, oder, Jake?«
Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Vaughn ebenfalls Jake an. Er hatte seine Hand wieder sinken gelassen. »Was sollte ich sonst sein?«, fragte er milde.
Jake schüttelte den Kopf. »Peter…«, setzte er an.
Doch der Teenager war schon von der Veranda heruntergesprungen und rannte blind durch das hohe Gras. »Lasst mich, verdammt noch mal, in Ruhe«, sagte er, nahm seinem Verhalten jedoch etwas von der Dramatik, indem er hinzufügte: »Ich werd schnell fegen gehen.«
Jake lehnte sich an den Türrahmen und seufzte. Bessie lag zu seinen Füßen, Gott sei Dank. Er stupste sie mit seinem Fuß an. Such ihn. Sie erhob sich und trottete in Richtung der Ställe.
»Vielleicht solltest du die Luft hier draußen mal überprüfen lassen. Sie scheint zu ungewohnter Feindseligkeit zu führen«, sagte Vaughn. »Vielleicht hat er aber auch eine gute Entschuldigung?« Die höfliche Gelassenheit in seiner Stimme hatte sich in Säure verwandelt. Jake brauchte ein paar Sekunden, um Vaughns verärgertes Stirnrunzeln einzuordnen.
Nee. Nicht sein Problem. Jake ging zurück ins Haus. Er kippte etwas von dem Inhalt der Kaffeedose in den Kaffeefilter. Ziemlich willkürlich, aber der Kaffee, den er kochte, schmeckte für gewöhnlich ganz okay.
Vaughn war ihm in die Küche gefolgt. »Ich hatte den Eindruck, dass der junge Mann eifersüchtig ist. Und ernsthaft, ihn einen Mann zu nennen, ist eine Übertreibung. Er kann keinen Tag älter als sechzehn sein.«
»Siebzehn.«
»Ach. Und du bist wie alt? Dreißig?«
»Zweiunddreißig.« Er füllte die Kaffeekanne und goss das Wasser in den Behälter. Wie konnte er dem Typen höflich mitteilen, sich vom Acker zu machen? Er drückte den Startknopf auf dem ramponierten Mr. Coffee und wandte sich um, um seinem Kläger ins Gesicht zu sehen. »Vaughn. Wegen letzter Nacht.«
»Wow, nein. Letzte Nacht ist mir scheißegal. Ich will wissen, was zwischen dir und diesem Kind läuft.«
Okay. Der Goldjunge hatte doch Temperament und Jake musste ihn dafür bewundern, dass er einen Kerl, der vielleicht zwanzig Kilo mehr wog als er, geradeheraus konfrontierte. »Nichts. Er ist eines der Kids, die hier rumhängen.«
Vaughn verschränkte die Arme vor der Brust. Schöne Unterarme. Muskulös und schlank – und Jake musste seinen Blick dahin anheben, wo er hingehörte.
Maya Prentiss und ihr Geld waren wichtig. Und, so vermutete Jake, ebenso sein eigener Ruf. Also würde er tun, was er sonst nur selten tat. Er würde sich erklären. Er holte tief Luft und sagte: »Dieser Hof zieht die sonderbaren Typen an.«
»Wie zum Beispiel die schwulen Jungs?«
Jake schob seine Hände in seine Hosentaschen. Besser das, als Vaughn eine reinzuhauen, damit er die Klappe hielt. Er versuchte es erneut. »Peter ist vor seinen Eltern nicht geoutet. Aber er hat sich vor mir geoutet. Ich sagte, cool, aber pass auf, es ist schwer, in einer kleinen Stadt schwul zu sein. Jetzt glaubt er, in mich verknallt zu sein.«
Fest presste Vaughn die Lippen zusammen. »Muss hart sein, wie sich dir die Leute zu Füßen werfen.«
Der Bastard glaubte ihm nicht.
Jake nahm eine Kaffeetasse, füllte sie mit Wasser und streckte sie ihm entgegen. »Hier.«
»Ich habe meine Meinung geändert. Ich werde einfach wieder gehen.«
»Trink das Wasser«, befahl er.
Sofort griff Vaughn nach der Tasse.
Jake tat einen beruhigenden Atemzug und konnte sich, weil er sich gerade eben wie ein Tier verhalten hatte, zusammenreißen. »Ich hab Peter nicht angerührt. Ich lebe abstinent.«
Die blauen Augen weiteten sich. »Warum?«
»Geht dich nichts an.« Er schaffte es, gelassen zu klingen. Er zog einen Stuhl heran und setzte sich an den Tisch. »Setz dich.«