PLACHUTTA
KLASSIKER
DER WIENER KÜCHE
Wien, die einzigartige Stadt im Herzen Europas, die weltweit wie kaum eine andere Metropole in Hinblick auf Musik, Kunst und Kultur eine führende Stelle einnimmt, beherbergt ein kulinarisches Juwel: die Wiener Küche.
In heutiger Sichtweise entspricht sie aufgrund ihrer historischen Entwicklung dem Typus einer Fusionsküche mit im Ursprung italienischen, türkischen, spanischen und französischen Wurzeln. Wien als Machtzentrum des Habsburger-Reiches vereinte viele Nationen, deren Nationalküchen von Diplomaten und ihrem gesellschaftlichen Umfeld, den Militärs, Zuwanderern, Köchen und Haushaltshilfen nach Wien importiert wurden, wo sie zu einer selbstständigen Küche, der „Wiener Küche“, verschmolzen. Die Nähe zu Wien bewirkte, dass Böhmens Mehlspeisen-, Braten- und Knödelküche sowie Ungarns paprikadominierte Gulaschgerichte einen nicht unwesentlichen Teil der Wiener Küche ausmachen, wobei Letztere in ihrer „Wiener Fasson“ eine gewisse Eigenständigkeit gegenüber dem Original entwickelten.
Die Wiener Küche jedoch auf Einflüsse aus den Regionen und Ländern der k.u.k Monarchie zu beschränken, wäre eine unzulässige Verkürzung. Die Wiener Küche ist das Resultat einer Rezeptvielfalt, deren Ursprünge nicht immer eindeutig zuzuordnen sind und zur österreichischen Regionalküche fließende Grenzen aufweisen. Wer Wien bereist, orientiert sich an dem, was diese Küche als Aushängeschild führt: Wiener Schnitzel, Tafelspitz, Gulasch, Sachertorte und Apfelstrudel. Wer aber nach den Grundsätzen der Wiener Küche sucht, erkennt schnell, dass sie eine Küche für alle Bevölkerungsschichten darstellt. In ihr verbinden sich kulinarische Glanzlichter der k.u.k. Hofküche, der Herrschaftshäuser und Adeligen mit den Bedürfnissen der Bevölkerung.
Als eines der charakteristischen Merkmale der Wiener Küche gilt die Rindsuppe mit ihrer weltweit konkurrenzlosen Vielfalt an unterschiedlichen Suppeneinlagen. Im Gegensatz zur französischen, geklärten und von jeglichem Fett befreiten Consommé (Kraftbrühe) gibt sich die wienerische Rindsuppe mit ihren typischen „Goldaugen“ ungeschönt bieder und dennoch gehaltvoll. Das hat den Vorteil, dass im Idealfall reichlich im selben Arbeitsgang mitgekochtes Rindfleisch nebst Wurzelgemüse, Markscheiben und Lauch als Hauptgericht dient.
Die Vielfalt an Suppeneinlagen in der Wiener Küche hat sich nicht zuletzt dadurch entwickelt, dass es in früheren Zeiten selbstverständlich war, Reste und auch Innereien möglichst sinnvoll zu verwerten. Lebernockerl und Leberknödel oder Käseschöberl sind Zeuge dieser Bemühungen. Brotreste wurden in Form einer kostenschonenden „Panadelsuppe“ verwertet, Karpfeninnereien sind die Basis für die in Wien traditionell zu Weihnachten beliebte Fischbeuschelsuppe.
Um die Herkunft des Wiener Schnitzels ranken sich viele Legenden und Mythen, eindeutige Belege gibt es keine. Fakt ist, dass man sich der Zubereitung eines echten Wiener Schnitzels mit einem gewissen Fachwissen nähern sollte. Es ist ja eine bekannte Weisheit, dass das scheinbar Einfache besonderer Zuwendung bedarf.
Das original Wiener Schnitzel wird ausschließlich aus Kalbfleisch zubereitet. Klassisch verwendet man dafür eine sorgfältig zuparierte Kalbschale, das sogenannte Kaiserteil. Gourmetrestaurants wählen die noch zartere Rose vom Kalbsrücken, was den höheren Preis rechtfertigt und dem Gaumen schmeichelt. Im privaten Bereich steht es jedem frei, kostengünstige Schweinsschale oder saftigen Schweinsschopf zu verwenden.
Wie dick oder dünn und wie stark gebräunt ein Wiener Schnitzel sein soll, ob Butterschmalz oder geschmacksneutrales Öl das ideale Backfett ist, daran scheiden sich die Geister. Grundsätzlich sollte das Schnitzel eine Stärke aufweisen, bei der der Geschmack des Fleisches nicht von jenem der knusprigen Panier übertönt wird. Als klassische Beigabe ist nebst einer unbehandelten Zitronenspalte Erdäpfelsalat obligatorisch, der in seiner Konsistenz eine leichte Cremigkeit aufzuweisen hat und nach Wunsch mit Vogerlsalat kombiniert wird.
Das original Wiener Schnitzel wird ausschließlich aus Kalbfleisch zubereitet.
Die Vorliebe des Wieners, respektive des Österreichers, für „Gebackenes“ – seien es nun das gleichermaßen wie das Schnitzel beliebte ausgelöste Backhendl, der traditionell in Wien am Heiligen Abend sehr geschätzte gebackene Weihnachtskarpfen oder die von Vegetariern favorisierten gebackenen Champignons, Steinpilze, Selleriescheiben oder Karfiolröschen mit Sauce Tatar – ist ungebrochen und nährt die Vermutung, dass alles, was im knusprig-goldenen „Bröselkleid“ gebacken wird, hierzulande sehr willkommen ist.
Die Herkunft des Begriffs „Hausmannskost“ ist heute in Vergessenheit geraten. Sinn und Zweck dieser Küche war es in früheren Zeiten, Reste von Braten, Siedefleisch, Schinken, Teigwaren und Erdäpfeln in wahre Geschmackssymphonien zu verwandeln: Hausmannskost ist in ihren Ursprüngen eine kreative Reste-Verwertungs-Küche. Die Wiener Küche weist einen sehr reichen Schatz an solchen Rezepten auf.
Die ungebrochene Beliebtheit klassischer Gerichte der Wiener Hausmannskost wie Schinkenfleckerl, Grammelknödel, geröstete Knödel, Grösteln aller Art, Hascheenudeln, Briesnudeln, Grammelschnmarrn, Grenadiermasch oder Erdäpfelgulasch bezeugt, dass diese in Wien traditionell sehr beliebte und gepflegte Küchenkleinkunst, „Einfaches in etwas Besonderes“ zu verwandeln, bis heute Gültigkeit besitzt. In heutigen Zeiten, in denen der sorgsame Umgang mit Lebensmitteln, auch unter dem Motto „Nose to Tail“, zunehmend wieder in den Mittelpunkt rückt, wird deutlich, wie zukunftsweisend dieses kulinarische Erbe ist.
Die Herkunft des Begriffs »Hausmannskost« ist heute in Vergessenheit geraten.
In Zeiten, in denen der Sonntagsanzug den Arbeitstag vom Ruhetag auch optisch trennte und Feiertage ihrem Sinn gemäß gefeiert wurden, galt der „große Braten“ als kulinarischer Höhepunkt familiären Speisens. Als Gastwirtschaften mit mittels Holz oder Kohlen befeuerten Herden ausgestattet waren und Blockeis aus Eisfabriken die Kühlhäuser und Kühlschränke versorgte, war die Bratenküche eine logistische Wunderwaffe. Frisch zubereitet und im Rohr warm gestellt, konnten Braten durch fachmännisches Tranchieren mit Messern enormen Ausmaßes und massiver Klinge hunderte, ja tausende Gäste schnell und qualitativ hochwertig versorgen.
Die Wiener Küche bietet dafür ein wunderbares Repertoire. Wir präsentieren in diesem Band den wohl beliebtesten Klassiker unter den Wiener Festtagsbraten, den Nierenbraten. Im „Ottakringer Bräu“, dem „Vorfahren“ des heutigen „Plachutta Hietzing“ und seinerzeit eine Großgaststätte enormen Ausmaßes – allein schon der Gastgarten bot über 1000 Plätze –, wurden, wie Zeitzeugen berichten, auf diese Weise an schönen Sonn- und Feiertagen über 4000 Gäste versorgt.
In früheren Zeiten waren große Braten wahre Wunderwaffen der kulinarischen Logistik.
Die Wiener Küche gilt zu Recht als beste und umfangreichste „Mehlspeisküche“ der Welt. Daran wird sich wohl auch trotz Globalisierung und des Vormarschs ethnischer Küchen mit ihren vielfältigen Einflüssen nichts ändern. Zu beliebt und begehrt sind Marillenknödel, hauchdünn ausgezogener Apfelstrudel, die wohl berühmteste Torte der Welt, die Sachertorte, und klassische Desserts wie Maronireis, der in Wien traditionell auf Schlagobers und mit Amarenakirschen garniert serviert wird, zart schmelzende Schneenockerl mit Vanille,- Erdbeer- und Schokoladesauce und Co.
Wer durch die Flaniermeilen der Wiener Innenstadt schlendert und sich an den Auslagen der berühmtesten Konditoreien ergötzt, den verführt allein schon der Anblick zum Genießen.
Eine Besonderheit der Wiener Küche sind auch die vielen süßen Hauptgerichte, für die sich nicht nur Vegetarier begeistern. Ob Kaiserschmarren, Fruchtknödel, Topfenknödel oder gebackene Mäuse, Scheiterhaufen oder Reisauflauf – die Wiener Küche bietet für jeden Geschmack ein kleines „süßes Paradies“.
In den letzten Jahrzehnten hat einschlägige Literatur die österreichische Küche mit ihren vielen regionalen Spezialitäten als Gegenpol zur Wiener Küche in Szene gesetzt. Dennoch war die Wiener Küche im vorigen Jahrhundert auch in den Bundesländern nicht nur auf vielen Wirtshausschildern präsent, sondern schlechthin der Inbegriff einer Nationalküche.
Heute wirken verschiedenste globale und gesellschaftliche Veränderungen auf die Wiener Küche ein. Zum einen befindet sich das Kochen am eigenen Herd auf dem Rückzug, das Wissen um die Zubereitung traditioneller Gerichte wird nicht mehr wie früher von Generation zu Generation weitergereicht. Und die einst so bedeutende Wiener Innereienküche wird zwar gern glorifiziert, findet aber, realistisch betrachtet, immer weniger Anklang.
Eine lebendige Küche wie die Wiener Küche verändert sich ständig.