GERN GESCHEHEN, MR. PRESIDENT!
Wie man eine US-Wahl
manipuliert
in 10 einfachen Schritten
Einige dieser Geschichten wurden von Rolling Stone, The Nation, Harper’s, In These Times, YES!, Guardian, Observer, Los Angeles Times, Aljazeera, PBS Now, BBC Television, Democracy Now! und der Thom Hartmann Show veröffentlicht bzw. erschienen online bei Truthout.org, Vice.com, Huffington Post und Nation of Change sowie, mit Illustrationen von Ted Rall, in Hustler und The Progressive.
Deutsche Erstausgabe
1. Auflage, Juli 2016
Vollständig überarbeitete, aktualisierte und erweitere Neuausgabe des 2012 bei Seven Stories Press, New York erschienenen Titels Billionaires & Ballot Bandits. How to Steal an Election in 9 Easy Steps.
© 2016 Haffmans & Tolkemitt
Bötzowstraße 31, D-10407 Berlin.
www.haffmans-tolkemitt.de
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Lektorat: Katharina Theml, Büro Z, Wiesbaden.
Umschlaggestaltung: Studio Ingeborg Schindler.
Produktion: von Urs Jakob,
Werkstatt im Grünen Winkel, CH-8400 Winterthur.
Satz & Litho: Fotosatz Amann, Memmingen.
Druck & Bindung: Ebner & Spiegel, Ulm.
Printed in Germany.
ISBN 978-3-942989-95-4
»Ich will meinen gerechten Anteil –
und das heißt alles.«
Charles Koch
»Es ist möglich,
Menschen vom Wahlrecht auszuschließen,
aber es ist unmöglich,
sie von dem Recht auszuschließen,
gegen diesen Ausschluss aufzubegehren.«
Thomas Paine
Eine feindliche Übernahme Amerikas von Robert F. Kennedy jr.
1. Die Europäer müssen die Amerikaner für verrückt halten
2. Datenabgleich: Der große Stimmenschredder 2016
3. Lynchen per Laptop
4. Wie man eine Wahl stiehlt
5. Die Wahlen-GmbH
6. Erdölporno: Die XXXL-Pipeline
7. Der Aasgeier
8. Tausend 100-Dollar-Noten
9. Ziel 67C
10. Christen, Kannibalen und Diamanten
11. Jagd auf Triad
12. Ferngesteuerte Kandidaten
13. Karl Rove, vertraulich
14. Die Hysteriefabrik
15. Tränen eines Klons
16. Eine Frage der Ehre
17. Säubern, was das Zeug hält
Geschichten aus der Gruft der Demokratie
Ein Comic-Buch von Ted Rall nach der Recherche von Greg Palast
18. Der Knacki-Beschiss
19. Indianerausfälle
20. Apfelkuchen-Apartheid
21. Es ist Zauberei!
22. Wahlplacebos
23. Briefe fürs Kröpfchen
24. Abgeblockt
25. Die Aliens greifen an!
26. Presse-Blues
27. Gehen also zehn Nonnen in ein …
28. Stopfurnen (von Robert F. Kennedy jr.)
29. Zwangsvollstreckt
30. Den Milliardären wieder eine Zukunft geben
Schluss: Ein mächtiger Strom
Dank
Anmerkungen zu den Berechnungen
Register
Die amerikanische Demokratie ist unter Beschuss.
500 Millionen Dollar haben Karl Rove und der Enron-Gauner Ed Gillespie von großen Umweltverschmutzern und Wall-Street-Moguln eingesammelt, um die nächsten Präsidentschaftswahlen zu kaufen.
Zwei der Koch-Brüder, Charles und David, spendeten 750 Millionen Dollar für die Wahl von Kandidaten, die sich für schrankenlose Unternehmensprofite einsetzen.
Die Senatoren und Kongressabgeordneten, denen sie mit ihrem Geld zur Wahl verhelfen, repräsentieren nicht das Volk der Vereinigten Staaten – sie repräsentieren die Kochs und ihre Kumpane aus der Erdölindustrie, die Pharmakonzerne und die Bankster von der Wall Street, denen es um eine feindliche Übernahme der US-Regierung geht. Der unternehmensfreundlichste Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert hatte mit seinem Urteil in dem Prozess Citizens United gegen Federal Election Commission Unternehmen zu natürlichen Personen erklärt und die Verfügungsmacht über Berge von Geld mit dem Recht auf freie Rede gleichgesetzt. Diejenigen mit dem meisten Geld haben nun die lauteste Stimme in unserer Demokratie, während arme Amerikaner mundtot gemacht werden. Und das Geld spricht klar und deutlich: Bei 97 Prozent der Wahlen auf Bundesebene in den letzten beiden Jahrzehnten trugen die am besten finanzierten Kandidaten den Sieg davon. Amerika, das stolze Vorbild der Welt für Demokratie und eine starke Mittelschicht, entwickelt sich immer mehr zur Oligarchie und zu einer Kleptokratie der Konzerne.
Als ich in jungen Jahren durch Lateinamerika reiste, erlebte ich dort Kolonialgesellschaften, die im Kern altertümliche Polizeistaaten waren, beherrscht von Ausländern in Teilhaberschaft mit einigen wenigen reichen Familien. Diese Oligarchen aus einheimischer Zucht kontrollierten das Land und die Ressourcen und kungelten unter sich die Präsidentschaft aus. Um sich an der Macht zu halten, errichteten diese Machtcliquen Propagandaapparate zur Täuschung der Öffentlichkeit, kontrollierten die Presse, fälschten die Wahlen, zerschlugen die Gewerkschaften und zementierten im Namen der »nationalen Sicherheit« einen starken, häufig brutalen Polizeistaat.
Amerika sieht heute mehr und mehr wie eine dieser Kolonialwirtschaften aus, mit einem System, das immer stärker zur Bereicherung des reichen obersten Prozents der Gesellschaft neigt und der Befriedigung der merkantilen Bedürfnisse multinationaler Konzerne mit geringer Loyalität zum Land dient. Diese radikalen Kräfte beherrschen bereits die nationale Presse; Fox News und das Talkradio sind längst komfortabel in der Hand der rechten Wirtschaftslobby. Es ist das erste Mal in der amerikanischen Geschichte, dass die Interessen von Wirtschaft und Medien so klar und so gefährlich im Bunde stehen.
Mit den Medien und unbeschränkten Geldmitteln in der Hand zielt die Strategie von Rove, den Kochs, der Handelskammer und ihresgleichen letztlich darauf, die repräsentative Demokratie auszuhöhlen, indem sie Amerikaner am Wählen hindert. Eine Fülle von neuen Gesetzen zur Diskriminierung von Minderheiten richtet sich gezielt gegen Wähler der Demokratischen Partei und verfolgt den Zweck, Hindernisse zu errichten, die Arme und Angehörige von Minderheiten, Senioren und Studenten vom Gebrauch ihres Wahlrechts abschrecken oder ausschließen.
Bürger von der Wahl abzuhalten steht unter Strafe. Dennoch bedient sich die Republikanische Partei raffinierter Abschreckungs- und Ausschlussmethoden, um Wähler aus Minderheiten an der Ausübung ihres Wahlrechts zu hindern. Die Aussortierung von Wählern wegen angeblich falscher Adressen zum Beispiel ist nach dem Wahlrechtsgesetz illegal (siehe Kapitel 13 »Karl Rove, vertraulich«), und ein Gerichtsurteil untersagte insbesondere der Republikanischen Partei diese caging genannte Praxis. Trotz dieses Urteils fahren Funktionäre der Republikaner, wie Greg Palast nachweist, in großem Umfang mit der illegalen »Säuberung« von Wählerlisten fort. Nur selten werden heute solche Gesetzesverstöße geahndet.
Noch beunruhigender ist die Kaperung des Gesetzgebungsverfahrens durch Rove und seine Kumpanen – die Einbringung vorformulierter Gesetze, die dann von republikanischen Legislativen im ganzen Land verabschiedet werden –, mit dem Zweck, aus den Wählerlisten Anhänger der Demokratischen Partei herauszusieben oder Hürden aufzubauen, um sie von der Wahl abzuhalten. Laut dem Brennan Center for Justice gab es vor 2006 keine besonderen Auflagen für die Wähler, sich im Wahllokal auszuweisen. Doch seit 2011 haben republikanische Strategen in 41 Bundesstaaten 141 neue Bestimmungen eingeführt, mit denen die Teilnahme an der Wahl an die Vorlage bestimmter Ausweispapiere geknüpft wird. 16 Staaten haben Gesetze verabschiedet, die Wähler behindern und sich auf die Wahl auswirken.
1778 waren die Vereinigten Staaten und die Schweiz die einzigen Demokratien der Erde. Heute gibt es 166 Demokratien. Wir sind das Vorbild. Doch während wir einen Blutzoll und viel Geld zahlen, um Demokratien im Irak und Afghanistan aufzubauen, setzen unsere Regierungen und Parteifunktionäre alles daran, Bürgern das Wählen im eigenen Land zu erschweren.
Wenn es gelänge, sich nur 0,25 Prozent der schwarzen Wähler in diesem Land zu entledigen, so schrieb Karl Rove unlängst, könne man die Wahl drehen. An diesem Ansinnen ist etwas zutiefst Unamerikanisches.
Mit projektierten sechs Milliarden Dollar könnte der Wahlkampf 2016 der kostspieligste der amerikanischen Geschichte werden und wäre doppelt so teuer wie der letzte. Milliardäre schaufeln tonnenweise Geld in den Wahlkampf, nicht weil sie Patrioten sind, sondern weil sie alles niederreißen wollen, woran Amerikaner glauben und was sie an ihrem Land lieben – alle Ideale, die uns stolz darauf machen, Amerikaner zu sein.
Senator John McCain nannte die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im Verfahren Citizens United gegen Federal Election Commission »arrogant, uninformiert, naiv … das schlimmste Urteil im 21. Jahrhundert«. Das Gericht beseitigte damit auf einen Schlag ein Jahrhundert gesetzlicher Bestimmungen und Rechtsprechung, die Unternehmen daran hinderten, Kandidaten zu finanzieren.
Die so reichlich fließenden Spenden der Unternehmen sind eine Anzahlung auf unsere Demokratie, die sie bald vollständig in ihren Besitz zu bringen hoffen. Unser System zur Wahlkampffinanzierung ist zu legalisierter Bestechung verkommen. Firmenspenden ebnen Politikern den Weg, die das Gemeineigentum privatisieren wollen: Sie wollen der Öffentlichkeit die Luft stehlen, das Wasser, die Wildtiere, die Fischbestände und das öffentliche Land, um daraus ihren privaten Profit zu schlagen. Die Lobbys von Erdöl, Kohle, Gas und Atomkraft können jetzt die Regeln unserer Energiepolitik manipulieren, um den Einsatz der dreckigsten, giftigsten, höllischsten Brennstoffe statt preisgünstiger, sauberer, grüner, gesunder, patriotischer, himmlisch erneuerbarer Energien zu belohnen. Unterdessen ist die Wall Street ein unreguliertes, zu gering besteuertes Kasino, wo die öffentlichen Investoren in einem gezinkten Spiel zur Bereicherung der Bankster regelmäßig ihr Geld verlieren.
Ich persönlich habe kein Problem damit, die von Konzernen beherrschten sogenannte Super-PACs – spezielle »politische Aktionskomitees« zur generellen Wahlkampfunterstützung, an denen sich nach neuer Rechtsprechung des Obersten Gerichts auch Unternehmen beteiligen dürfen – als hochverräterisch zu charakterisieren. Sie haben zum Ziel, die amerikanische Demokratie zu untergraben und unser Land in die Fänge einer Geldaristokratie zu treiben. Sie streben die Aufgabe der Idee einer demokratischen Regierung an, wie sie unseren Gründervätern vorschwebte. Wir rasen im freien Fall auf die Wiederkehr einer Oligarchie alten Schlags zu, jene verderblich diebische, tyrannische, oppressive Regierungsform, vor der Amerikas erste Siedler aus Europa geflohen waren.
Greg Palast ist der letzte der großen Enthüllungsjournalisten alter Schule. Er ist eine Ausnahmeerscheinung, ohne Angst vor tyrannischen Konzernen. Gemeinsam recherchieren wir seit Jahren die neuen Praktiken, mit denen bestimmte Wähler in Amerika von der Wahl ferngehalten werden, und prangern sie öffentlich an.
Greg Palast und ich fassten die Tricks des neuen Wählerbetrugs und Stimmenklaus zuerst in einem Artikel für Rolling Stone zusammen. In Gern geschehen, Mr. President! beschreibt Greg Palast nun detailliert jede dieser hinterlistigen Maschen, um Angehörige der Minderheiten in den Vereinigten Staaten ihres Wahlrechts zu berauben. Vor allem folgt Palast hier der Spur des Geldes, das hinter der Maschinerie der Demokratiezerstörung steckt.
Das Weiße Haus, der Amtssitz der amerikanischen Präsidenten, war das Heim einer beängstigenden Serie von feigen Schwindlern, frömmelnden Schurken, psychopathischen Blutanbetern, prahlerischen Primitivlingen, reichen Dummköpfen, möchtegernreichen Dummköpfen, Betrügern, Fälschern und schlimmer: Hohlköpfen, Vogelscheuchen, plappernden Totenmasken und Männern, die sich nicht einmal selbst etwas bedeuteten. Richard Nixon. George W. Bush. Donald Trump?
Mein Partner bei diesen Recherchen, Rechtsprofessor Bobby Kennedy jr., sagte mir:
»Die Europäer müssen die Amerikaner für verrückt halten – dass wir kranke, gefährliche Schwachköpfe wie George W. Bush wählen – immer und immer wieder.«
Wieso landen die USA bei einem Horrorpräsidenten nach dem anderen? Kennedy erklärt es: »Nur was die Europäer nicht wissen, ist, dass wir Bush gar nicht ins Weiße Haus gewählt haben. Er hat die Wahl gestohlen. Zwei Mal!«
Das hässliche kleine Geheimnis der amerikanischen Demokratie ist, dass wir nicht alle Stimmen zählen. Millionen von Stimmen werden schlicht in den Müll geworfen. Und Millionen von Wählern werden aus den Wählerlisten gestrichen und von den Wahlen ausgeschlossen.
Wie viele? Ob Sie es glauben oder nicht, der amerikanische Staat unterhält eine Behörde, die US Election Assistance Commission, die den offiziellen Stand der nichtgezählten Stimmen ermittelt. Aus den Zahlen dieser Kommission können wir berechnen, dass mindestens 2 706 275 der bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2008 abgegebenen Stimmen nie gezählt wurden. Weggeworfen: Beinahe drei Millionen Stimmen wurden durch den Abfluss gespült. Das ist eine hässliche Tatsache.
Aber es kommt noch ärger. Die Daten der Behörde verraten uns auch, dass mindestens 3 195 539 amerikanische Wähler schlicht daran gehindert wurden, ihre Stimme überhaupt abzugeben. Das heißt, sie wurden aus dem Wählerregister gesäubert oder bekamen schlicht keinen Wahlzettel.
Rechnet man es zusammen, dann schwillt die Summe auf nicht weniger als 5 901 814 legitime Stimmen und Wähler, die aus der Stimmzählung hinausgeworfen wurden. Nennen wir sie die FEHLENDEN SECHS MILLIONEN.
Spielt das eine Rolle?
Und ob es das tut! Im Jahr 2000 wurde George W. Bush mit einem Vorsprung von nur 537 Stimmen zum Präsidenten erklärt – von über 100 Millionen abgegebenen Stimmen.
Karl Rove, Bushs Chefberater, erklärte es am besten. Die Leute nannten Rove »Bushs Gehirn«. Aber Bush nannte ihn »Turdblossom«, das heißt Dungblume. Dungblume also sagte:
»Wir erwecken langsam den Eindruck, als hätten wir [in den USA] Wahlen wie in Ländern, wo die Machthaber, äh, Obristen mit Spiegelbrille sind.«
Vielleicht beschwerte sich Dungblume Rove hier über den massiven Stimmendiebstahl in den USA. Ich habe allerdings eher den Verdacht, dass er damit prahlen wollte, denn »Bushs Gehirn« ist der Erfinder von einigen der hässlichsten Stimmenklau-Tricks der letzten vier Jahrzehnte. (Siehe Kapitel 13, »Karl Rove, vertraulich«)
2016 ist Rove mächtiger denn je und bereitet sich darauf vor, beinahe eine halbe Milliarde Dollar für die kommende Wahl auszugeben. Und wer ist es, der Rove mehr Millionen gibt, als Sie in Ihrem ganzen Leben jemals zählen können – Millionen, um sicherzustellen, dass die Republikaner gewählt werden? Es ist sein liebster Sugardaddy: der Aasgeier. Wer der Aasgeier ist? Nun, darauf komme ich noch.
Woher weiß ich von den FEHLENDEN SECHS MILLIONEN Stimmen?
Das ist mein Job, mein Metier, ich jage hauptberuflich wahlfälschende Trickbetrüger und versuche herauszufinden, wie sie die US-Wahlen frisieren und dem Wahlvolk die Stimmen klauen. Seit über einem Jahrzehnt bin ich auf der Jagd nach Wahlbanditen – und den Milliardären, die hinter ihnen stecken –, für die britische Tageszeitung The Guardian, für BBC Television, für Al Jazeera und, 2016, für Rolling Stone.
Wie funktioniert das, der millionenfache Diebstahl von Stimmen? Wie kommen die Räuber damit durch? Die Antwort lautet: mit Hilfe der Hysteriefabrik.
Durch mehrere Tarnorganisationen haben Rove und seine Kameraden nämlich eine Kampagne gestartet, die sich brillant der Taktiken bedient, mit denen einst die Angst vor der roten Gefahr und später vor dem Terror geschürt wurde. Nur dass jetzt an Stelle eines Kommunisten, der unter dem Bett lauert, oder einer Zelle von ISIS-Schläfern im Haus nebenan ein neues Angstmonster erschaffen wurde, das gejagt und vernichtet werden muss: der betrügerische, der illegale Wähler.
Doch den gibt es so gut wie gar nicht oder, um genau zu sein, es gibt so wenige, dass man sie buchstäblich an den Fingern einer Hand abzählen kann – etwa sechs in jedem Jahr, nicht sechs Millionen. Es gibt also ein halbes Dutzend Deppen, die wegen illegalen Wählens verurteilt werden … in den gesamten Vereinigten Staaten. Aber in der medialen Echokammer der Angst, im Inneren der Wahlbetrug-Hysteriefabrik, werden diese sechs Deppen zu einer derart gefährlichen Bedrohung aufgebauscht, dass sie als Entschuldigung dafür dienen, sechs Millionen Bürgern das Wahlrecht zu stehlen.
Wie genau aber bekommt man es hin, sechs Millionen Stimmen zu unterschlagen?
Es gibt zehn Wege, das zu bewerkstelligen, und einer ist hinterhältiger als der andere. Wir kommen im Laufe dieses Buches noch auf jede einzelne dieser Manipulationen zurück.
Ich entdeckte den ersten Trick – »Säuberung« genannt – im November 2000. Der Gewinner des Wahlkampfs zwischen dem Demokraten Al Gore und dem Republikaner George W. Bush war noch nicht entschieden. Es gab einen Streit um jede Stimme, die im Staat Florida abgegeben worden war.
Inmitten der Stimmauszählung ließ ein »Vögelchen« zwei Computerdisketten auf meinen Schreibtisch fallen. Sie enthielten eine Liste von Wählern – 91 000 von ihnen –, die kurz vor der Wahl aus den Wählerregistern Floridas entfernt worden waren. Warum? Warum waren diese Wähler aus den Listen »gesäubert« und auf diese Weise am Wählen gehindert worden? Der offizielle Vorwurf von Floridas Innenministerin Katherine Harris gegen sie lautete, dass besagte 91 000 Bürger »Straftäter« seien, das heißt verurteilte Kriminelle, die gar kein Recht hatten zu wählen.
Aber niemand von der Presse hatte diese Liste verurteilter Krimineller zu Gesicht bekommen – bis das »Vögelchen« (meine Quelle) sie auf meinem Schreibtisch deponierte. Mein Team begann, die Liste Name für Name durchzugehen und mit dem Strafregister abzugleichen. Und dabei fanden wir heraus, dass keiner – nicht ein Einziger – ein Straftäter war, nicht einer von ihnen war ein Krimineller, nicht einer ein illegaler Wähler. Trotzdem verloren sie alle ihr Stimmrecht.
Allerdings waren die meisten von ihnen des folgenden Verbrechens schuldig: als Schwarze wählen zu wollen. Die große Mehrheit derjenigen, die ihr Stimmrecht verloren hatten, waren afroamerikanische Wähler. Annähernd 88 Prozent der Schwarzen wählen die Demokratische Partei.
Dennoch erklärte Innenministerin Harris George W. Bush mit einer Mehrheit von nur 537 Stimmen zum Präsidenten – nachdem sie Zehntausende von Schwarzen von der Wahl ausgeschlossen hatte.
Und hier ein interessantes Faktum: Katherine Harris war nicht nur die oberste Wahlaufseherin Floridas, sondern gleichzeitig die Vorsitzende der Kampagne »Wählt Bush zum Präsidenten«. Und noch eine interessante Tatsache: Wer hatte ihr aufgetragen, unschuldige Wähler aus den Listen zu säubern? Sie handelte auf Geheiß des Gouverneurs des Bundesstaates: Jeb Bush.
Und 2004 taten sie es wieder. Dieses Mal hatte Bushs Gehirn, Karl Rove, einen neuen Trick parat, das Aussortieren. (Wir kommen auf das Aussortieren noch ausführlicher zurück.) Und so wurde George W. Bush wiedergewählt; abermals nicht durch eine Stimmenmehrheit, sondern durch den Ausschluss von Wählern.
Und 2008 und 2012 gab es wieder neue Tricks. Diese hießen »ungültige Stimmabgabe«, »Blockade« und »Rauswurf«. Insgesamt benutzten republikanische Wahlfunktionäre neun Wege, um still und leise sechs Millionen Wähler und ihre Stimmzettel unter den Teppich zu kehren.
Es stimmt, Barack Obama gewann trotzdem. Das lag daran, dass er den Diebstahl mehr als wettmachte, indem er 2008 und 2012 mit einem Vorsprung von über neun Millionen Stimmen gewann. Aber 2012 war es eng: Obama übertrumpfte den massiven Stimmenklau in den entscheidenden Staaten Ohio und Florida nur so gerade eben – um Haaresbreite.
Nun haben wir 2016, und Sie fragen sich:
Wie wird dieses Mal die Wahl gestohlen?
Die Republikaner benötigen eindeutig einen neuen Trick. Er muss größer, fieser und noch viel hinterhältiger und vernichtender sein als jede bisherige Manipulation.
Und jetzt, nach zwei Jahren Recherche meines Teams aus einem halben Dutzend Detektiven, haben wir ihn gefunden: Trick Nr. 10. Sein Name klingt täuschend unschuldig: zwischenstaatlicher Datenabgleich. Es steht zu befürchten, dass damit bis zur Präsidentschaftswahl im November 2016 über eine Millionen Wählerstimmen neutralisiert werden.
Was könnten die Republikaner anstellen, um die Wahl 2016 zu stehlen?
Der Groschen fiel bei mir, als ich Donald Trump vor einer riesigen Menge eine Warnung brüllen hörte. Trump brüllte:
»Es gibt Leute, die wählen viele, viele Male!«
Wie bitte? Alle Republikaner erzählen Horrorgeschichten über betrügerische Wähler: Straftäter, die wählen; Tote, die wählen; illegale Ausländer und Aliens, die wählen. Aber Trumps Anschuldigung war neu: Leute, die mehr als ein Mal wählen.
Wirklich, Donald? Es gibt Leute, die »viele Male« ihre Stimme abgeben? Wenn man in den USA zwei Mal wählt, wandert man für fünf Jahre ins Gefängnis. Deshalb tut das niemand. Es gibt über hundert Millionen amerikanische Wähler. Unterlagen des Bundes zeigen, dass bei der letzten Bundeswahl nicht eine einzige Person zwei Mal gewählt hat. Nicht eine. Und jetzt behauptete Donald Trump, dass dies ein großes Problem sei: dass Leute zwei Mal wählen.
Wie viele Leute genau wählen also nach Ansicht der Republikaner zwei Mal? Ich bekam die Antwort von einem von Trumps frühesten Beratern für die Präsidentschaftsbewerbung, Dick Morris. Morris gab diese massive Verschwörung auf Fox News bekannt. Er sagte, dass republikanische Parteifunktionäre »wahrscheinlich über eine Millionen Doppelwähler gefunden haben!«
Eine Million? Normalerweise höre ich einem geifernden Verrückten wie Morris gar nicht zu, aber er war einmal Chefberater des Präsidenten der Vereinigten Staaten – bis er dabei erwischt wurde, mit dem Weißen Haus zu telefonieren, während ein Callgirl seine Zehen lutschte (wirklich!). Und nun erklärte Morris, wie die republikanischen Wahlbetrugsermittler eine riesige Verschwörung von einer Million Demokraten aufgedeckt hatten, die doppelt gewählt hatten.
Wie genau geben diese betrügerischen Wähler eine zweite Stimme ab? Wie schaffen es die Leute, »viele, viele Male« zu wählen? Laut Morris stimmen sie in zwei Staaten bei derselben Wahl ab. Morris sagte, dass zum Beispiel der republikanische Wahldirektor des Staates North Carolina eine Liste von 35 000 Leuten habe, die in diesem Staat und einem weiteren abgestimmt hatten. 35 000 kriminelle Doppelwähler in nur einem Staat, North Carolina – und eine Million in der ganzen Nation! Morris behauptete, dass Obama auf diese Weise 2012 seine Wiederwahl gewonnen habe. Eine Million demokratische Doppelwähler!
Wenn Morris recht hat, dann ist dies die größte kriminelle Verschwörung aller Zeiten – eine Million Menschen, die sich heimlich einem Komplott angeschlossen haben, zuerst, um einen schwarzen Mann zum Präsidenten zu wählen. Und jetzt, 2016, konspirieren eine Millionen Wähler, um eine Frau ins Präsidentenamt zu hieven, Hillary Clinton!
Republikanische Parteifunktionäre, behauptete Morris, hätten nun endlich solide Beweise für diese massive Verschwörung. Wie haben sie diese Millionen von Kriminellen erwischt? Die Republikaner, erklärte Morris, benutzten dazu ein spezielles Computerprogramm namens »Interstate Crosscheck«. Dieses Abgleichprogramm forschte nach Wählern gleichen Namens in mehreren Staaten – und entdeckte dabei, dass eben diese Wähler auch in einem anderen Staat eine zweite Stimme abgaben. Ein Mann namens James Brown wählte zum Beispiel ein Mal in North Carolina und noch ein Mal in Arizona. Tatsächlich fand North Carolina heraus, dass 11 000 Amerikaner sowohl in North Carolina als auch in Arizona abgestimmt hatten. (Das ist außergewöhnlich: Arizona liegt über 2000 Meilen von Carolina entfernt – aber es wäre zu schaffen.)
Morris kam zu dem Schluss: »Hier ist der erste konkrete Beweis für massiven Wählerbetrug, den wir je hatten. Wir haben darüber ad nauseam gesprochen. Dies beweist es!«
Das wollte ich mit eigenen Augen sehen. Ich musste mir die Beweise verschaffen, die Namen dieser Doppelwähler. Wer sind sie? Werden sie ins Gefängnis kommen?
Ich rief also das Wahlbüro des Staates North Carolina an, um eine Kopie der Liste mit diesen 35 000 doppelt wählenden Teufeln zu erbitten. Aber ich wurde vom Pressesprecher des Staates abgewimmelt. »Diese Listen«, sagte er, »sind vertraulich.« Vertraulich?
Doppelt zu wählen sei ein Verbrechen, sagte der Offizielle, daher seien »[a]lle Dokumente, die mit einer Kriminalermittlung verbunden sind, vertraulich«.
Vertraulich?
Ich begann zu graben. Ich entdeckte, dass 29 der 50 amerikanischen Bundesstaaten an dem Programm »Interstate Crosscheck« teilnahmen. Es ist kein Zufall, dass beinahe jeder dieser 29 Staaten von republikanischen Wahlfunktionären kontrolliert wird. Und Staat für Staat – Nevada, Mississippi, Ohio und ein Dutzend weiterer – weigerten sich schlicht, mir die Namen der Verdächtigen, der kriminellen Doppelwähler, auszuhändigen. Es war alles »vertraulich«.
Immerhin gelang es mir, die Gesamtzahl der Verdächtigen in den 29 Staaten zu ermitteln: 7 264 422. Ganz recht: über sieben Millionen einer Straftat verdächtige Bürger. Wow! Aber das warf nun wieder eine weitere Frage auf: Wenn es sieben Millionen Verdächtige gibt und genügend Beweise vorliegen, um zumindest eine Million von ihnen zu verurteilen, wie viele von ihnen wurden dann schon verhaftet?
Ich flog nach North Carolina, um es herauszufinden.
Ich habe das Recht, die Namen von Kriminellen zu erfahren, die bereits verhaftet wurden. Wie viele Doppelwähler waren verhaftet worden? Wie sich herausstellte, enthielt Carolinas Verdächtigenliste insgesamt 561 693 Namen – über eine halbe Million Bürger, die verdächtigt wurden, zwei Mal gewählt zu haben! Und der Staat war sich sicher, dass mindestens 35 000 von ihnen schuldig waren.
Also wie viele von ihnen hatte der Staat denn nun verhaftet?
Josh Lawson, der Sprecher der republikanischen Funktionäre, sagte: »Keinen. Wir konnten sie nicht lokalisieren.«
Keinen?! Da gibt es 35 000 Kriminelle, und Sie können nicht einmal einen Einzigen aufspüren?
»Sie sind schwierig zu finden.«
Schwierig zu finden? Moment mal. Wie schwierig kann es sein, jemanden zu finden, der doppelt gewählt hat, wenn man seinen Namen hat? Außerdem sind dem Staat auch die Adressen der Verdächtigen bekannt, die Sozialversicherungsnummern, die Führerscheinnummern, sogar die E-Mail-Adressen. Und die Behörden können keinen Einzigen von ihnen finden?
Das machte mich ein bisschen misstrauisch. Es gibt nur zwei Gründe, warum die Behörden nicht einmal einen dieser Doppelwähler aufspüren konnten. Entweder sind diese Leute die schlüpfrigsten 35 000 Kriminellen der Geschichte – oder sie sind alle unschuldig. Das heißt, vielleicht wurden sie deshalb nicht verhaftet, weil sie gar kein Verbrechen begangen haben. Trotzdem stehen sie auf der Liste.
Das wirft die Frage auf: Warum sollte man eine riesige Liste von Kriminellen aufstellen, aber keinen von ihnen verhaften?
Ich erhielt die Antwort – als ich die Liste bekam.
Hier die Liste, die ich nicht bekommen sollte – und die Sie nicht sehen dürfen. Ich sollte wohl besser sagen, ein Teil davon. Insgesamt bekamen wir die Namen von beinahe drei Millionen Verdächtigen der Crosscheck-Liste in die Hand. Wie? Ich darf Ihnen unsere Methoden nicht verraten, nur so viel: Wir haben sie auf legalem Weg erlangt. Ein bisschen Täuschung gehörte dazu, das stimmt, aber in den USA war alles völlig legal.
(»Wir«, das ist unser außergewöhnliches Team unter Führung der Schweizer Investigatrix Badpenny von Eckardt. Den dicksten Fang zog der investigative Fotojournalist Zach D. Roberts an Land. Es war Roberts, der zuerst Witterung von Crosscheck aufnahm und mich mitbuddeln ließ.)
Werfen Sie nun einen Blick auf ein paar der »Doppelwähler« auf der Crosscheck-Liste:
Das ist typisch für Crosscheck-»Verdächtige«: James Elmer Barnes jr. aus dem Staat Georgia ging angeblich ein zweites Mal in Virginia als James CROSS Barnes III. wählen.
Mit anderen Worten, der einzige Beweis, dass diese beiden Namen einen kriminellen Doppelwähler repräsentieren, ist die Entsprechung ihrer Vor- und Zunamen. Das ist alles. Nichts weiter.
Schauen Sie auf den zweiten »Doppelwähler«: James RATCLIFFE Barnes JR. aus Georgia wird beschuldigt, ein zweites Mal im Staat Virginia gewählt zu haben – obwohl der zweite Wähler einen anderen Mittelnamen hat (Anthony) und anders als der erste keinen Namenszusatz trägt, denn hier fehlt JR.
Obwohl die Behörden von Georgia keinen dieser beiden Mr. Barnes lokalisieren konnten, um sie zu verhaften, hatte ich keine Schwierigkeiten, einen von ihnen aufzuspüren. Mr. James Elmer Barnes jr. sagte mir, dass er nie den Mittelnamen »Cross« geführt habe und auch nie »der Dritte« gewesen sei (»III.«) – und er sei nie im Bundesstaat Virginia gewesen, ganz zu schweigen davon, dort gewählt zu haben.
Die Zuständigen in Georgia wollten nicht erläutern, warum diese verschiedenen Mr. Barnes’ immer noch auf der Verdächtigenliste standen. Tatsächlich wollten die republikanischen Funktionäre überhaupt nicht mit mir sprechen.
Der Staat verhaftete Mr. Barnes nicht dafür, zwei Mal gewählt zu haben (das heißt, es wurde weder James Elmer Barnes noch James Cross Barnes verhaftet, die tatsächlich zwei verschiedene Personen sind). Stattdessen bereiteten sich beide Staaten darauf vor, sie aus der jeweiligen Wählerliste zu entfernen. Beide Herren Barnes stehen kurz davor, ihr Wahlrecht zu verlieren, das heißt aus dem Wählerregister gestrichen zu werden.