DR. PHIL. HELMUT NEUHOLD, Jahrgang 1959, studierte an der Universität Wien Geschichte und Politikwissenschaft. Er verfasste verschiedene wissenschaftliche Arbeiten mit dem Schwerpunkt Militärgeschichte und biografische Arbeiten. Publikationen bei marixwissen: Die großen Eroberer; Der Dreißigjährige Krieg; Die großen Herrscher Österreichs; Die Staufer.
»Kein Plan überlebt die erste Feindberührung«
HELMUTH VON MOLTKE
Der deutsch-deutsche Krieg und vor allem die Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866 bedeuten eine tiefgreifende Zäsur in der europäischen Geschichte: Das Ende der Habsburger Ära und ihrer Vorherrschaft in Mitteleuropa sowie den Beginn der preußischen unter dem Geschlecht der Hohenzollern. Das vorliegende Buch informiert über die politischen und sozialen Hintergründe dieses Schlüsselereignisses, zeichnet ein detailliertes Bild der militärischen und politischen Hauptakteure und vermittelt vor allem eine lebhafte Vorstellung von den Strategien, Taktiken und Schlachtverläufen die Königgrätz zu einem der interessanten Kriegsschauplätze des 19. Jahrhunderts gemacht haben.
Helmut Neuhold
1866 Königgrätz
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© marixverlag in der Verlagshaus Römerweg GmbH, Wiesbaden 2016
Covergestaltung: Kerstin Göhlich, Wiesbaden
Bildnachweis: (…) am Abend des 3. Juli 1866: König Wilhelm überreicht
seinem Sohne den Orden pour le merite
Farblithographie nach Aquarell, 1898, von Georg Koch (1857–1927).
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eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main
ISBN: 978-3-8438-0535-3
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»Der Krieg ist nichts anderes als die Fortsetzung
der Politik mit anderen Mitteln.«
Carl Philipp Gottfried von Clausewitz
DER KAMPF UM DIE VORMACHT IN DEUTSCHLAND
DIE LANGE VORGESCHICHTE DES KRIEGES VON 1866
Deutscher Fürstentag in Frankfurt 1863
Der Krieg gegen Dänemark 1864
OTTO VON BISMARCK UND KAISER FRANZ JOSEPH
Otto von Bismarck
Kaiser Franz Joseph I
DER ZERFALL DES DEUTSCHEN BUNDES UND DER KRIEGSAUSBRUCH
Die Gasteiner Konvention
Falsche Erwartungen
MOLTKE UND BENEDEK
Benedek, ein seltsamer Held
Helmuth von Moltke
DER FELDZUG IN BÖHMEN
Friedrich Karl von Preußen
Preußens Siegeszug
Österreichs singulärer »Sieg«
General Ludwig von Gablenz
Das Gefecht bei Nachod
Das Gefecht bei Skalitz
Eberhard Herwarth von Bittenfeld
Gitschin und Schweinsschädel
Telegramme
KÖNIGGRÄTZ UND DER TRIUMPH DER ZÜNDNADEL
Das Zündnadelgewehr
Der Verlauf der Schlacht
Der Kronprinz
BLITZKRIEG IN DEUTSCHLAND – DER MAINFELDZUG
Vorspiel: Langensalza und der Untergang des Königreichs Hannover
König Georg V. von Hannover
Vogel von Falckenstein
Der Bundes – »Feldherr« – Alexander von Hessen-Darmstadt
Edwin von Manteuffel
KRIEG IN ITALIEN – CUSTOZZA UND LISSA
Erzherzog Albrecht
NACH NIKOLSBURG UND PRAG
VON KÖNIGGRÄTZ NACH SEDAN UND VERSAILLES
Frankreichs Rolle und diplomatische Niederlage
Territoriale Veränderungen in Deutschland
Die Blüte der Hinterlader
MIT NIBELUNGENTREUE BIS IN DEN UNTERGANG
ZEITTAFEL
QUELLEN UND LITERATUR
Literatur
Zeitungen und Zeitschriften
Internet
»Es gibt in der Geschichte keinen Feldzug, wo ein gleichermaßen hervorragender Erfolg in ebenso kurzer Zeit und ohne irgendeine bemerkenswerte Schlappe erzielt worden ist …« (Friedrich Engels 1866)
Es gab einmal vor über 150 Jahren einen deutschen Politiker, der den Plan fasste, mit militärischen Mitteln den alten Machtkampf zwischen zwei bedeutenden Dynastien zu beenden und dabei die Grundlagen für ein Gebilde zu schaffen, das man zu seiner Zeit für sehr modern hielt und das viele herbeisehnten – den geeinten deutschen Nationalstaat. Otto von Bismarck war bereit, die Geschichte mit »Blut und Eisen« zu schreiben und auf das »Preußische Schwert« zu vertrauen. Schon der erste Versuch im »Deutsch-Dänischen Krieg« von 1864 zeigte ihm, dass dieses Vertrauen durchaus gerechtfertigt war. Bismarck bereitete daraufhin einen viel größeren Krieg vor. Dieser sollte die österreichische Vorherrschaft in Deutschland beenden und den Deutschen Bund zugunsten eines »kleindeutschen« von Preußen beherrschten Nationalstaates vernichten.
Im Sommer des Jahres 1866 fand im Herzen Europas dann eine militärische Auseinandersetzung statt, die nur wenige Wochen dauerte und auch im Verhältnis zu anderen weltgeschichtlich bedeutenden militärischen Konflikten verhältnismäßig wenige Opfer forderte, aber deren Auswirkungen unseren Kontinent und dessen Geschichte maßgeblich veränderten und bis heute beeinflussen. Dieser »Deutsche Krieg«, der im Wesentlichen aus dem alten Konflikt zwischen Preußen und Österreich um die Vorherrschaft in Deutschland entsprang, markierte eine wesentliche Zäsur in die europäische Geschichte und stellte die Weichen für die Gründung eines deutschen Nationalstaates, der das Kaiserreich Österreich unter den Habsburgern ausschloss. Nach einem kurzen und heftigen militärischen Ringen, in dem sich die Vorteile des »modernen« und aufstrebenden staatlichen Gebildes, das sich Königreich Preußen nannte, gegenüber der altehrwürdigen und erstarrten Habsburgermonarchie manifestierten, war mit einem Male die weitere Entwicklung der Geschichte Europas eine andere.
Es geht in diesem Buch darum, kompakt darzustellen, wie es zu diesem Konflikt kam, der eine sehr lange Vorgeschichte hatte, und wie sich die politischen Weichenstellungen der Entscheidungsträger und die militärischen und wirtschaftlichen Umstände auf den Verlauf des Krieges auswirkten.
Der kurze Krieg von 1866 hatte viele Schauplätze, so zum Beispiel in großen Gebieten Westdeutschlands und in Norditalien. Sogar zur See in der Adria wurde gekämpft. Der wichtigste und letztlich entscheidende Kriegsschauplatz befand sich aber auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik. Die Orte, an denen die wichtigsten Schlachten und Gefechte dieses Krieges stattfanden, haben heute ganz andere – tschechische – Namen. Aus Königgrätz wurde Hradec Kralove und Trautenau, die Stätte des einzigen österreichischen Sieges am nördlichen Kriegsschauplatz, heißt jetzt Trutnov. Trotzdem ist der Krieg auf dem ehemaligen böhmisch-mährischen Kriegsschauplatz an vielen Orten genauso wie in Teilen Niederösterreichs noch immer sehr präsent, was eine Vielzahl von Denkmälern und musealen Einrichtungen, sowie Schlachtdarstellungen durch sogenannte Reenactment-Gruppen beweist. Auch an anderen ehemaligen Kriegsschauplätzen von 1866 gibt es Orte der Erinnerung, wenngleich diese gegenüber anderen im heutigen Bewusstsein präsenteren Kriegen meist wenig zur Kenntnis genommen werden.
Es gibt kaum eine kriegerische Auseinandersetzung, die im Laufe der Zeit mit so vielen verschiedenen Namen bedacht wurde. Wird der Konflikt heute in Deutschland zumeist »Deutscher Krieg« genannt, so findet sich in Österreich oft die Bezeichnung »Preußisch-Österreichischer Krieg«. Da eigentlich Preußen gegen den Deutschen Bund Krieg führte, hatte man ursprünglich daran gedacht, diesen Konflikt den »Preußisch-Deutschen Krieg« zu nennen. Das hat sich aber noch weniger durchgesetzt als die Bezeichnungen »Einigungskrieg«, »Deutscher Bundeskrieg«, »Deutscher Bruderkrieg«, »Deutsch-Deutscher Krieg« oder »Siebenwöchiger Krieg«. Alle diese Begriffe scheinen etwas für sich zu haben und tauchen auch in der einschlägigen Literatur auf. Ziemlich abwegig und an den tatsächlichen Ereignissen vorbeigehend scheint die manchmal in Österreich gebrauchte Bezeichnung »Deutsch-Österreichischer Krieg«. Dazu kommt noch, dass dieser »Deutsche Krieg« auch noch untrennbar mit dem »Dritten Italienischen Unabhängigkeitskrieg« verbunden ist, den das mit Preußen verbündete Königreich Italien zur gleichen Zeit gegen das Habsburgerreich führte. Die beiden Kriege lassen sich auf Grund des Bündnissystems und ihrer Wechselwirkungen auch nicht voneinander trennen und werden deshalb auch in dieser Arbeit gemeinsam behandelt. Der Titel des Buches »Königgrätz« wurde deshalb gewählt, weil diese Schlacht das zentrale Ereignis in diesem Kriegsgeschehen darstellt und auch heute noch sehr bekannt ist.
Vieles am »Deutschen Krieg« mutet heutigen Lesern seltsam an: Armeen aus souveränen Staaten, die heute kaum mehr bekannt sind, standen einander gegenüber. Die »Koalitionstruppen« des Deutschen Bundes umfassten Kontingente aus Österreich, Bayern, Württemberg, Hannover, Sachsen, Kurhessen, Baden, Hessen-Darmstadt, Sachsen-Meiningen, Nassau, Frankfurt, Liechtenstein sowie Reuß ältere Linie. Die »aufständischen« Preußen wurden durch Kleinstaaten wie die beiden Mecklenburgs, Braunschweig, Oldenburg, einige mittel- und norddeutsche »Staatsgebilde«, die Städte Hamburg, Lübeck und Bremen sowie durch das Königreich Italien unterstützt.
Der Krieg von 1866 war in mancher Hinsicht ein Krieg der alten Schule, der sich in vielem nicht von jenen zur Zeit Napoleons unterschied. Andererseits war er die große militärische Auseinandersetzung, bei der zum ersten Mal in Europa moderne Techniken wie die Eisenbahn und der Telegraph eine wirklich bedeutende Rolle spielten. Beide Seiten nutzten die »Segnungen« der Moderne, wobei die Preußen allerdings im Vorteil waren. Sie hatten rechtzeitig für die Umstellung der Bewaffnung ihrer Truppen auf Hinterlader-Gewehre gesorgt und dadurch einen taktisch entscheidenden Vorteil. Auch erwies sich ihre militärische Organisation, Planung und Kommandostruktur als eindeutig überlegen. Man sprach wie in den meisten Kriegen der Moderne keine Kriegserklärung mehr aus, sondern fiel einfach in das gegnerische Gebiet ein.
Die Kämpfe der Preußen und ihrer Verbündeten gegen die Kontingente der einzelnen bundestreuen Mittel- und Kleinstaaten, deren Operationen kaum koordiniert waren, gingen so gut wie immer zugunsten des Aggressors aus. Die geniale Führung und der klug vorbereitete Aufmarschplan, hinter dem die Person des Generalstabschefs Helmuth von Moltkes stand, ermöglichten den preußischen Armeen auch schnell, auf dem böhmischen Kriegsschauplatz gegen die einzelnen Korps der österreichischen Nordarmee – bis auf eine Schlappe – siegreich zu bleiben. Schon weitgehend in die Enge getrieben, entschloss sich der überforderte österreichische Befehlshaber Feldzeugmeister Benedek zu einem Entscheidungskampf, der als eine der größten Schlachten der europäischen Geschichte gilt. Die Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866 brachte nicht nur nach heftigem und lange Zeit nicht eindeutigem Ringen den Sieg der preußischen Armee über die Österreicher und die mit ihnen verbündeten Sachsen, sondern zeigte auch auf, wie sehr von nun an die generalstabsmäßige Planung und die Militärtechnik entscheidend für die weitere Kriegführung mit Massenheeren sein würden.
Da nutzte es dem wirtschaftlich, technisch und organisatorisch unterlegenen Habsburgerreich auch nichts, dass es gegen Preußens Verbündeten, das Königreich Italien, überragende Siege zu Lande und zur See erzielen konnte. Am nördlichen Kriegsschauplatz konnten die Österreicher das Vordringen der Preußen in Richtung Wien nicht mehr aufhalten und der militärische untüchtige Kaiser Franz Joseph wollte das Wagnis einer großen Schlacht vor den nicht mehr vorhandenen Toren seiner Residenzstadt dann doch nicht eingehen. Während Preußen im so genannten Mainfeldzug auch die süddeutschen Staaten besiegt hatte und bereits große Teile des Territoriums des Deutschen Bundes beherrschte, gab man sich schließlich in Wien geschlagen. Unter dem Einfluss Bismarcks zeigte sich nach heftigen internen Konflikten auch die preußische Führung, deren Truppen zudem durch den Ausbruch der Cholera dezimiert wurden, zum Waffenstillstand und damit zur Aufnahme von Friedensverhandlungen bereit.
Der Frieden von Prag, der auf den denkwürdigen Vorfrieden von Nikolsburg vom 26. Juli 1866 fußte, brachte für das Kaiserreich Österreich zwar ein scheinbar glimpfliches Ergebnis ohne Gebietsverluste an Preußen, bedeutete aber den Ausschluss des Habsburgerreiches aus Deutschland und den Beginn einer Sonderentwicklung, die durch den so genannten »Ausgleich« eingeleitet wurde. Bismarck hatte sein Ziel erreicht und konnte die preußische Hegemonie durch den Sieg über Frankreich wenige Jahre später zur Vollendung der kleindeutschen »Lösung« nutzen und das Deutsche Reich unter Preußens Führung begründen. Vielen Zeitgenossen schien dieses neue und so kraftvolle Reich für die Ewigkeit geschaffen. Letztlich überlebte aber dieser scheinbar so mächtige Staat nicht allzu lange, was weniger an der Person ihres Gründers, sondern an der gesamteuropäischen Konstellation und der verhängnisvollen Politik seiner Nachfolger lag.
Es gibt eine Vielzahl von – meist älteren – Publikationen zum Deutschen Kriege oder wie er sonst benannt wurde. Viele Autoren, militärische Experten und Generalstäbler haben sich mit den militärischen Operationen, den Siegen und Niederlagen befasst, aber allzu oft wurden die menschlichen und psychologischen Komponenten rund um die Akteure nicht ausreichend gewürdigt. Das preußische Zündnadelgewehr und der österreichische Lorenz-Vorderlader traten in den Vordergrund, um militärische Erfolge zu erklären, aber die einzelnen Individuen, die Soldaten und ihr Umfeld, sowie die Zivilbevölkerung wurden dabei kaum berücksichtigt. Die Geschichte eines Krieges ist auch jene der einzelnen Menschen, seien es die Kommandeure oder die einfachen Soldaten und natürlich auch die der immer größten Gruppe – die der Zivilisten. Dabei gibt es besonders für den Krieg des Jahres 1866 eine Vielzahl von Quellen, um auch diesen Bereich aufzuarbeiten. Der Fundus an persönlichen Aufzeichnungen aller Art ist riesengroß. An kaum einem der schreibenden Zeitgenossen ging dieses Ereignis spurlos vorüber.
Die Namen einiger herausragender Politiker und Heerführer jenes kurzen und doch so entscheidenden Krieges sind heute noch vielen geläufig, während andere weitgehend in Vergessenheit geraten sind. Es soll in diesem Buch auch einiger dieser Männer, wie Generalstabschef Moltke, dem preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, General Herwarth von Bittenfeld, Feldzeugmeister Ludwig von Benedek, Erzherzog Albrecht und auch Wilhelm von Tegetthoff in kurzen biographischen Skizzen gedacht werden.
Natürlich dürfen auch die wichtigsten politischen Protagonisten dieses so folgenreichen Konflikts nicht vernachlässigt werden. Bei Persönlichkeiten wie Otto von Bismarck oder Kaiser Franz Joseph soll auch der Aspekt ihres militärischen und strategischen Verständnisses und ihr spezieller Zugang zur kriegerischen »Lösung« des alten Konflikts zwischen Preußen und Österreich um die Vorherrschaft in Mitteleuropa beleuchtet werden.
An Quellen und Literatur wurde eine möglichst große Bandbreite herangezogen, was sowohl zeitgenössische, ältere als auch moderne Publikationen einschließt. Ein beträchtliches Augenmerk wurde auch der Memoirenliteratur, Briefen, Augenzeugenberichten und Zeitungsberichten gewidmet. Auch wenn der Deutsche Krieg heute weitgehend aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt zu sein scheint, so sind seine Auswirkungen durchaus mit der europäischen Umgestaltung durch die Kriege Napoleons zu vergleichen. Dieser Konflikt veränderte durch die eigentliche Weichenstellung zur Gründung des Deutschen Reiches unter Preußens Führung und die Schwächung des Habsburgerreiches das Machtgefüge in Europa und führte zu Entwicklungen, die letztlich zu zwei Weltkriegen und zur heutigen Situation unseres Kontinents in großem Maße beitrugen.
»Es kommt mir manchmal unfasslich vor, dass ich erst seit vierzehn Tagen aus Berlin bin. Was ist alles seitdem vorgefallen und wie hat die Weltlage sich umgestaltet! Gott der Herr möge ferner gnädig sein. Er hat unsere Sache sichtlich in Schutz genommen und ich glaube, dass es Sein Wille ist, dass Deutschland unter Preußen zur Einheit gelangt.« (Helmuth von Moltke am 15. Juli 1866)
»Zwei Länder rivalisierten jahrhundertelang im Deutschen Reiche: Österreich und Brandenburg-Preußen. Es sind zwei grundverschiedene Länder, grundverschieden nach Abstammung und Wesensart ihrer Völker, grundverschieden nach dem Wesen und den Zielen ihrer Dynasten, aber ebenso auch in ihrer Bestimmung, ihrem Alter und ihrem Werden.« (Heydendorff 1947, S. 14)
Als es 1866 zur letzten großen Auseinandersetzung zwischen Preußen und Österreich kam, war der zugrundeliegende Konflikt schon weit über 100 Jahre alt. Die Grundlage des Konflikts, jene der »unerlösten« deutschen Nation, war bereits im Hochmittelalter angelegt und wurde durch die Politik vieler Habsburger-Herrscher weiter verschärft. Deutsche Regionalfürstentümer und später die Kleinstaaterei standen oft genug einer viel zu schwachen »Reichsgewalt«, verkörpert durch die Könige und Kaiser, gegenüber. Das »Heilige Römische Reich Deutscher Nation« war ein Konglomerat differierender Fürsteninteressen und hatte mit einer Nation im heutigen Sinn kaum etwas gemein. Die religiöse Spaltung und der Dreißigjährige Krieg vereitelten letztlich jedwede Form wirkungsvoller Zentralgewalt und spätestens seit dem Westfälischen Frieden war der Titel eines »Deutschen Kaisers« eine machtlose Hülle, die sich allenfalls auf die Macht der habsburgischen Erblande stützen konnte. Diese lagen aber großteils außerhalb der eigentlichen Reichsgrenzen. Und während sich insbesondere Frankreich zu einem starken Nationalstaat entwickelte, waren sich die Herrscher der deutschen kleineren und mittleren quasisouveränen Territorialstaaten ihrer Schwäche nur zu bewusst, scheuten aber jede Veränderung, die sie ihrer relativen »Unabhängigkeit« beraubt hätte.
Durch eine Reihe von nicht unbegabten und zielstrebigen Herrschern aus dem Hause Hohenzollern, konnte das am Ende des Dreißigjährigen Krieges geschwächte und zu einem großen Teil entvölkerte Brandenburg-Preußen seine Ökonomie, seine Infrastruktur und seine militärische Potenz in einem Maße und in einer Geschwindigkeit aufbauen, in der es alle anderen Staaten Europas übertraf. Einer der wesentlichen Gründe für diesen Erfolg war die religiöse Toleranz, die Vertriebene und Religionsflüchtlinge in großem Ausmaß besonders aus Frankreich, den österreichischen Erbländern und dem Reich anzog. Österreichs Herrscher gaben sich im Gegensatz dazu und trotz der Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges religiös weiterhin intolerant und waren bereit, auf viele Staatsbürger zu verzichten, wenn diese an der »falschen« Religion festhielten. Überhaupt nahmen die Habsburger das abgelegene und für sie wenig attraktive Brandenburg, das seit 1701 von einem »König in Preußen« regiert wurde, nicht ernst. Auch als der »Soldatenkönig« Friedrich Wilhelm damit begann, eine der stärksten und damals auch modernsten Armeen Europas aufzubauen, betrachtete ihn in Wien niemand als potentiellen Konkurrenten, sondern eher als Lieferanten von Soldaten für die vielen Kriege, die das Haus Habsburg in jener Zeit führte.
Als Kaiser Karl VI. die Pragmatische Sanktion erließ und bei allen europäischen Herrschern um die Zustimmung für seine Tochter Maria Theresia als Nachfolgerin warb, dürfte er kaum daran gedacht haben, dass seiner Dynastie bald große Gefahr aus der »Reichssandbüchse« im Nordosten drohen könnte. Denn dort gab es nach dem Tod des »Soldatenkönigs« im Jahr 1740 einen jungen Mann auf dem Thron, der der Welt lange Zeit als »Musenprinz« und »Antimachiavell« erschien. Doch als die Habsburgerin Maria Theresia fast zeitgleich mit Friedrich II. von Preußen im Einklang mit der Pragmatischen Sanktion ihre Herrschaft in den habsburgischen Erbländern antreten wollte, ließ dieser seine Maske fallen. Während Maria Theresia an vielen anderen Fronten gegen eine Vielzahl von Feinden kämpfen musste, besetzte er das habsburgische Schlesien. So kann man also den »Beginn« des preußisch-österreichischen Konflikts mit dem Überfall Friedrichs II. auf Schlesien zeitlich verorten. Von nun an hatte das Haus Habsburg in den Hohenzollern auch einen gefährlichen Konkurrenten um die Macht im Reich.
Die weitere Entwicklung des Kampfes um Schlesien bis hin zum Siebenjährigen Krieg war von dieser Konkurrenzsituation geprägt. Im Siebenjährigen Krieg wäre es den Habsburgern fast gelungen, diesen neuen gefährlichen Konkurrenten auszuschalten. Aber eben nur fast, denn das »Mirakel des Hauses Brandenburg«, der unerwartete Tod der russischen Zarin Elisabeth, rettete das Brandenburg-Preußen Friedrichs »des Großen« und hob seinen Staat mit einem Male in den Rang einer europäischen Großmacht. Von nun an mussten sich die Habsburger mit dem »Junior-Konkurrenten« im Reich arrangieren. Das zeigte sich auch beim als »Kartoffel-Krieg« in die Geschichte eingegangenen Bayerischen Erbfolgekrieg. Es gab nun eine zweite Macht im Reich, die Österreich Paroli bieten konnte.
Selbst nach dem Tod des »Alten Fritz« blieb die Konkurrenzsituation unter seinen weitaus weniger politisch begabten Nachfolgern bestehen. Auch beim gemeinsamen Vorgehen gegen die französischen Revolutionstruppen und den aufsteigenden Napoleon wurden die Österreicher und die Preußen nicht wirkliche Freunde. Österreich kämpfte in der Folge in mehreren Kriegen gegen Frankreich, hatte dabei einige militärische Niederlagen und wenige Siege aufzuweisen. Eine vernichtende Katastrophe wie jene, die bei Jena und Auerstedt 1806 die Preußen ereilte, blieb ihm jedoch erspart. Als dann die Österreicher 1809 bei Aspern zeigten, dass Napoleon nicht unbesiegbar war, standen sie allein, da das geschlagene Preußen zu sehr mit sich selbst beschäftigt war. Erst nachdem Napoleons Stern 1812 im russischen Winter versank, sahen sich die Preußen und die Österreicher wieder Seite an Seite. In der »Völker«-Schlacht bei Leipzig 1813 lag das Oberkommando ebenso wie die Führung des Generalstabs in österreichischer Hand, obwohl die Preußen später den Großteil des Sieges für sich reklamierten. General »Vorwärts« Blücher wurde der Welt später als der eigentliche Befreier Deutschlands vom französischen »Joch« präsentiert, obwohl jener eigentlich nur von einer Niederlage in die andere getaumelt war und Männer wie Schwarzenberg und Radetzky die wirklich bedeutende Offensive durchgeführt hatten.
Man trieb Napoleon nach Frankreich zurück und marschierte gemeinsam in Paris ein. Im Wiener Kongress wurde Europa neu geordnet, wobei die Preußen zu den großen Gewinnern gehörten. Doch noch spielte Österreich unter Metternich die Hauptrolle. Die Wiederkehr Napoleons mündete dann in einer Schlachte die zwar in ihrer Bedeutung häufig überschätzt wird, aber trotzdem in die Geschichtsbücher eingegangen ist: Waterloo. Die zuvor schmählich besiegten Preußen wendeten das Blatt durch ihr bloßes Auftauchen auf dem Schlachtfeld. Wenn sie zu spät gekommen wären, hätte das Napoleon auch nicht gerettet, denn Schwarzenberg und Radetzky waren wieder auf dem Weg nach Paris, wie bereits bei ihrem Sieg über Napoleon im Jahr zuvor.
Der Deutsche Bund, den man am Wiener Kongress aus der Taufe hob, war letztlich ein Kompromiss und beseitigte nicht den Antagonismus zwischen Preußen und Österreich. Dieser Bund sehr unterschiedlicher und weitgehend souveräner Staaten umfasste per Eigendefinition die »souveränen Fürsten und freien Städte Deutschlands« und schloss den österreichischen Kaiser und die Könige von Preußen, Dänemark und der Niederlande mit ein. Wobei die Herrscher Österreichs und Preußens nur mit ihren »vormals zum Deutschen Reich gehörigen Besitzungen« dem Bund beitraten. Das traf auch auf die Könige von Dänemark und der Niederlande zu, die nur für Holstein bzw. Luxemburg beitraten. Die als Teil der Wiener Kongress-Akte existierende Deutsche Bundesakte war entsprechend kompliziert und barg allerlei Zündstoff für künftige Probleme. Dieses Konstrukt sollte trotz aller Krisen von 1815 bis 1866 bestehen bleiben. Heute wird der Deutsch Bund gerne mit der Europäischen Union verglichen und es gibt wohl ein paar offensichtliche Parallelen wie die unterschiedliche Größe und Wertigkeit der Mitgliedsländer, eine fehlende gemeinsame »Regierung« und keine nur dieser Führung verantwortliche gemeinsame Armee. Die Revolution von 1848 und das vergebliche Streben, dem Bund eine gemeinsame funktionsfähige Verfassung zu geben, brachten weitere große Probleme mit sich. Der Bund umfasste am Anfang 34 Fürstentümer und vier freie Städte, wozu 1817 noch Hessen-Homburg kam. Diese Zahl verringerte sich durch Erbschaften in den deutschen Kleinststaaten auf 35 Mitglieder im Jahre 1863. In seiner Schlussphase wies das Gebiet des Deutschen Bundes knapp 50 Millionen Einwohner auf. Die Garantiemächte des Deutschen Bundes waren neben Österreich und Preußen auch Großbritannien, Russland, Schweden, Spanien und Portugal. Sie sahen sich als berechtigt, gegen einzelne Mitgliedsstaaten bei Verstößen gegen den Vertrag mit Gewalt vorzugehen. Ein Beispiel dafür war der so genannte »Frankfurter Wachensturm« im Jahre 1833, bei dem eine Gruppe von Aufständischen versuchte, eine Revolution zu entfachen. Ein großes Problem stellte natürlich auch die Mitgliedschaft fremder Monarchen für ihre im Bundesgebiet befindlichen Territorien dar. So war der englische König bis 1837 auch König von Hannover.
Das wichtigste Organ des Bundes war die Bundesversammlung in Frankfurt am Main, die eine Art von ständigem Gesandtenkongress darstellte. Hier waren alle Staaten je nach ihrer Einwohneranzahl im Plenum stimmberechtigt. Doch daneben tagte der von Österreich präsidierte Engere Rat. Dieser hatte 17 Mitglieder, zu denen die größeren Mitgliedsstaaten gehörten, und sie hatten sogenannte Virilstimmen. Die kleineren Staaten hatten nur eine Kuriatstimme und damit geringen Einfluss auf Entscheidungsprozesse. Die Stimmverhältnisse im Engeren Rat waren so gestaltet, dass weder Preußen noch Österreich diesen majorisieren konnten. Das Recht des Bundes ging wie das der Europäischen Union über jenes der Länder.
Der Deutsche Bund hatte de facto keine gemeinsame Außenpolitik, da die größeren Mitglieder hier völlig eigennützig agierten. Wichtig bei allen Entscheidungsprozessen war der Konsens zwischen Österreich und Preußen, welcher zwar nicht vertraglich festgelegt war, aber faktisch die größte Bedeutung hatte. Überhaupt ging es ständig um die Beziehungen und das Gegeneinander Preußens und Österreichs, wozu sich noch die Interessen des restlichen »Dritten Deutschlands«, wie man die Klein- und Mittelstaaten geschlossen nannte, gesellten. Beide Großmächte konnten zusammen die Mittel- und ganz besonders die Kleinstaaten disziplinieren. Somit war es auch möglich Ansätze von Liberalisierung, die Feinde des Metternichschen Systems im Vormärz und auch danach zu unterdrückt. Das war besonders nach den Karlsbader Beschlüssen und während der nachrevolutionären Reaktionszeit von 1848 von Bedeutung und wurde auch entsprechend umgesetzt. Militärisch gesehen konnte keiner der kleineren Bundesstaaten Österreich und Preußen etwas entgegensetzen. Bedeutsam war ebenfalls, dass der Bund die territoriale Unversehrtheit aller Mitglieder garantierte, was besonders den kleineren Mitgliedern ein Anliegen war. Für interne Streitigkeiten zwischen Mitgliedsstaaten standen eigene Gerichte zur Verfügung.
Auch wenn es der Deutsche Bund nicht schaffen sollte, eine gemeinsame Verfassung zu erlangen, so hatte er doch eine relativ wirksame Militärverfassung. Es gab ein Bundesheer, das aus Kontingenten aller Mitglieder bestand und nur für den Verteidigungsfall dienen sollte. Es gab auch eine Bundeskriegsverfassung sowie eine Exekutionsordnung, um die Beschlüsse des Bundes gegen aufsässige Bundesstaaten durchzusetzen. Für die permanenten Organisationsaufgaben gab es eine Bundesmilitärkommission, die sich um die, zumindest auf dem Papier beeindruckende, Militärmacht des Bundes kümmerte. Das Bundesheer war in zehn Armeekorps unterteilt, wovon ein Teil als stehendes Heer vorhanden war. Man darf sich darunter allerdings keine einheitliche Armee vorstellen. So stellten Preußen und Österreich jeweils drei Korps und die Bayern eines. Die drei restlichen Korps bestanden aus Einheiten der übrigen Bundesstaaten. Ausschlaggebend war dabei, wie auch beim Stimmgewicht, die Anzahl der Einwohner des jeweiligen Staates. Österreich und Preußen hatten dabei folglich das totale Übergewicht. Von den 300 000 Mann, die im Falle einer Mobilisierung aufgeboten werden konnten, waren viele in den Bundesfestungen stationiert. Diese mussten finanziell von den Bundesmitgliedern erhalten werden und waren alle gegen den »Erbfeind« Frankreich gerichtet: Mainz, Landau, Luxemburg, Rastatt und Ulm. Darüber hinaus hatte das Bundesheer keinen Oberbefehlshaber; dieser sollte im Fall der Fälle vom Rat der Bundesversammlung gewählt werden.
Letztlich war die militärische Macht des Bundesheeres meist stark genug, um sich gegen Klein- und Mittelstaaten durchzusetzen; bei den Großmächten Österreich und Preußen gab es aber so gut wie keine Erfolgsaussichten. Dies sollte sich letztlich auch im Krieg von 1866 zeigen. Manchmal mussten die Bundestruppen gar nicht eingesetzt werden, da sich schon die bloße Drohung als ausreichend erwies. Da die Bundestruppen nicht selten zur Unterdrückung liberaler, verfassungsgebender oder revolutionärer Bestrebungen eingesetzt wurden, waren sie sicherlich das wichtigste Mittel der Repression im Deutschen Bund. Als Polizeitruppe zur Aufrechterhaltung der alten Ordnung und als friedenssicherndes Mittel innerhalb der unübersichtlichen deutschen Staatenlandschaft bewährte sich das Bundesheer sicherlich. Doch die spätere Entwicklung sollte zeigen, dass es als militärischer Faktor in einem großen Krieg zu vernachlässigen war.
Ein weiteres Problem, das auch im Konflikt zwischen Preußen und Österreich eine große Rolle spielen sollte, waren die Zollschranken zwischen den einzelnen Bundesstaaten. Auf Bundesebene konnte darüber lange Zeit keine Einigung erreicht werden, weshalb dann einzelne Staaten die Initiative ergriffen. Führend dabei war Preußen, das 1818 alle innerstaatlichen Handelsschranken fallen ließ. Dem preußischen Zollsystem schlossen sich nach und nach einige kleinere Nachbarstaaten an. Das »Dritte Deutschland« der Klein- und Mittelstaaten bemühte sich, einen Zollverbund zu gründen, wobei schließlich der »Mitteldeutsche Handelsverein« entstand. Dieser Verein hatte keine lange Lebensdauer und begann bereits 1829 zu zerbrechen. Die Entwicklung führte nun zum großen Deutschen Zollverein, wobei sich 1833 der preußische und der süddeutsche Zollbereich zusammenschlossen. Weitere Staaten kamen hinzu. Bis auf Österreich, Hannover und den ehemaligen Hansestädten im Norden waren schließlich alle im Zollverein vereint. Preußen hatte dabei wiederum das Übergewicht und war tonangebend. Manche sahen darin bereits eine Vorstufe zur Umsetzung der kleindeutschen Lösung, einer Vereinigung ganz Deutschlands unter Preußens Führung ohne Österreich. Bei den Österreichern war man – besonders der lange Zeit allmächtige Fürst Metternich – über diese Entwicklung besorgt.
Besonders auf österreichischer Seite lag aus Angst vor jeder Form von Veränderung das zentrale Augenmerk auf der Sicherung des Status Quo. Der Bund war besonders von der Entwicklung in Frankreich beeinflusst, da von dort aus eine Abfolge von Revolutionen und Systemwechseln auch ihre Wirkungen auf die gebildeten Deutschen hatte. Doch vorerst tat man alles, um eine Art von wohl überwachter »Friedhofsruhe« aufrecht zu erhalten. Durch die Rheinkrise mit Frankreich und der damit verbundenen Angst vor einer erneuten territorialen Expansion des »Erbfeindes« wurden in den Staaten des Deutschen Bundes auch viele nationale Gefühle mobilisiert, von denen Preußen viel mehr profitierte als das reaktionär erstarrte Österreich. Eine wichtige Zäsur war die Revolution von 1848, welche die Zeit des Vormärz und der metternichschen Bevormundung beendete. Außer in Preußen und Österreich kam es auch in einigen kleineren deutschen Staaten zu revolutionären Erhebungen. Die meisten Revolutionäre betrachteten den Deutschen Bund als Hindernis zur Etablierung eines deutschen Nationalstaates. Die Revolution brachte nicht nur für die Österreicher (Italien, Ungarn), sondern auch für den Bund kriegerische Entwicklungen in Südwestdeutschland und gegen Dänemark mit sich. Bei letzterem Konflikt wurde das Problem mit Holstein und Schleswig akut, welches später zum Krieg von 1864 und letztlich auch zum Deutschen Bundeskrieg führen sollte. Die Schlesisch-Holsteinische Erhebung und der Krieg mit Dänemark endeten jedoch vorerst erfolglos und brachten eine Niederlage des Bundes mit sich.
Die gewählte Deutsche Nationalversammlung in Frankfurt erwies sich 1848 als machtlos, und zeitigte auch einen großen Verlust an Legitimität für den Deutschen Bund. Die Ernennung des habsburgischen Erzherzogs Johann zum Deutschen Reichsverweser schien eigentlich das Ende des Bundes zu bedeuten. Doch es kam anders und mit der Niederschlagung der Revolution und der Beseitigung der neu geschaffenen demokratischen Institutionen fügte sich alles vorerst wieder in alte Bahnen. Indes war viel in die Brüche gegangen. Der Konflikt zwischen Großdeutschen und Kleindeutschen hatte im Frankfurter Parlament eine wichtige Rolle gespielt und kleindeutsche Abgeordnete hatten König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen sogar die Kaiserkrone angeboten, was dieser aber ungnädig abgelehnt hatte.
Die folgende Restauration des Deutschen Bundes verschärfte den alten Konflikt zwischen Österreich und Preußen extrem. Die Preußen wollten einen engeren Bund unter ihrer Dominanz etablieren, der »Deutsches Reich« genannt werden sollte. Österreich sollte mit diesem neuen Gebilde nur recht lose als »Deutsche Union« verbunden sein. Nicht nur Österreich lehnte diese »Reform« des Bundes entschieden ab, auch Bayern, Württemberg, Hannover und Sachsen konnten diesem Plan nichts abgewinnen. Dennoch wurde 1850 ein »Erfurter Unionsparlament« ins Leben gerufen, das die neue Verfassung unter dem Diktat Preußens annahm. Österreich, das von dem fähigen und energischen Staatskanzler Felix zu Schwarzenberg geführt wurde, berief für Mai 1850 einen Kongress ein, der zur Erneuerung des Deutschen Bundes führen sollte. Zudem wurde Anfang September 1850 ein Rumpfbundestag einberufen, der aber von den Preußen und einigen Satellitenstaaten boykottiert wurde. Preußen vereinnahmte inzwischen auch einige kleinere Bundesstaaten militärisch und die Zeichen schienen auf Krieg zu stehen. Ein wichtiger Konfliktfaktor war dabei vor allem die bestehende Krise mit Dänemark um Schleswig und Holstein. Als der reaktionäre Kurfürst von Hessen in eine Auseinandersetzung mit seinem Parlament verwickelt war, beschloss der Rumpfbundestag unter Österreichs Einfluss die Bundesexekution in Hessen. Die Österreicher konnten sich dabei auf die Bayern und Württemberger verlassen und erhielten sogar russische Unterstützung. Preußen war nicht bereit, sich diese Entwicklung bieten zu lassen und so marschierten sowohl Bundestruppen als auch preußische Einheiten in Hessen ein. Die »Herbstkrise« von 1850 hätte nun fast zu jenem Krieg geführt, der schließlich 1866 ausgetragen werden sollte. Nur waren dabei Preußens Karten eindeutig schlechter, da Österreich nicht mehr gegen Italien kämpfte und sich zudem noch der Unterstützung durch den Zaren sicher war. Außerdem hätte Österreich auch noch den greisen Feldmarschall Radetzky aufbieten können, der sich in einer Vielzahl von Schlachten den Ruf eines Unbesiegbaren erworben hatte. Preußen gab schließlich klein bei, der konfliktorientierte Außenminister Radowitz wurde entlassen und die Regierung unter Otto Theodor von Manteuffel setzte auf Verhandlungen mit Österreich. Der Vertrag von Olmütz vom 29. November 1850 wurde vielfach als preußische Niederlage interpretiert, da man die preußische Unionspolitik aufgab und einem Wiederanschluss Preußens an den Bund zustimmte. Die endgültige Abrechnung zwischen Preußen und Österreich wurde dadurch fürs Erste aufgeschoben.
Über die Neugestaltung des Bundes diskutierte man dann bei der Dresdner Ministerialkonferenz aller Bundesstaaten monatelang. Da man sich, wie zu erwarten, auf keine Stärkung der Exekutivgewalt des Bundes einigen konnte, gab es keine Reform. Lediglich der vorrevolutionären Zustand wurde wieder hergestellt. In der inzwischen eingesetzten Phase der Reaktion und, besonders in Österreich, des Neoabsolutismus, versuchte man wie zuvor, jede Opposition zu bekämpfen und die Verfassungen der Einzelstaaten zu kontrollieren. Die Spuren der Revolution wurden teilweise sogar unter dem Einsatz militärischer Gewalt beseitigt. Ein Polizeiverein sollte die antirevolutionären Aktivitäten der Bundesmitglieder koordinieren, während die Zensur erneut kräftig durchgriff und man das Aufkommen neuer politischer Parteien zu verhindern trachtete.
Doch ließen sich vor allem in den größeren Staaten wie Preußen und Österreich gewisse Entwicklungen nicht aufhalten. Während in Österreich auf Grund der Niederlage im Krieg gegen Frankreich und Sardinien im Jahr 1859 eine relative Liberalisierung und neue Verfassungsexperimente Platz griffen, sorgte in Preußen der Übergang der Herrschaft von Friedrich Wilhelm IV. zu Wilhelm I. für einen neuen Geist, der als »Neue Ära« bezeichnet wurde. Das färbte auch auf andere Mitglieder des Bundes ab und die erstarrten politischen Strukturen Deutschlands begannen sich rasch aufzulockern. Die Liberalen wurden als politische Gruppe bedeutend und die Parlamente pochten auf ihre neuen Rechte. Diese Entwicklung brachte es ebenfalls mit sich, dass sich der Graben zwischen Preußen und Österreich erneut vertiefte, da es den neuen Regierungen am reaktionären Grundkonsens fehlte. Der Nationalismus erhielt wieder mehr Stellenwert und der Vielvölkerstaat Österreich stellte dabei für viele einen Störfaktor dar.
Die Politik Österreichs in Italien, der Krieg von 1859 und auch die stets drohende erneute Auseinandersetzung mit Frankreich, das nun von dem Emporkömmling Napoleon III. beherrscht wurde, waren wichtige Themen. Der 1859 in Frankfurt gegründete Deutsche Nationalverein nahm sich die italienische Nationalbewegung gegen die Herrschaft der Österreicher als Vorbild und forderte die kleindeutsche Lösung. Wobei natürlich Preußen die führende Rolle übernehmen sollte und der Deutsche Bund keine Rolle mehr spielen würde. Man wollte ein deutsches Parlament und eine zentrale Regierung wie zuvor 1848. Dem entgegengesetzt entstand der großdeutsche Deutsche Reformverein, der sich vor allem aus Mitgliedern aus Deutschlands Süden rekrutierte. Beide Lager standen sich unversöhnlich gegenüber und hatten wortgewaltige Fürsprecher. Die beiden Vereine sollten nach den gewaltsamen Veränderungen von 1866 schließlich ihre Daseinsberechtigung verlieren. Allen war klar, dass es nicht mehr so weitergehen könne und man verlangte einen Wandel, über dessen Richtung man sich aber nicht einig war. Kern der Auseinandersetzungen war die Rolle, die Österreich in Zukunft in Deutschland spielen würde. Diese Differenzen entzweiten auch die Mitgliedsstaaten des Bundes untereinander, wobei besonders die mittelgroßen Staaten eher auf eine Reform des Deutschen Bundes setzten. In der Würzburger Konferenz hatten bereits 1858 diese Staaten eine föderative Reform des Bundes verlangt. Doch Preußen und Österreich waren dazu nicht bereit.
Als Bismarck preußischer Ministerpräsident geworden war, schienen die Österreicher geschockt, dass dieser »schreckliche und gefährliche Mann« (Kaiser Franz Joseph) Leiter der preußischen Politik geworden war. Nun preschte auch noch der sächsische Minister Freiherr von Beust mit einer sehr konservativen Reformidee für den Deutschen Bund vor, die natürlich den Österreichern in die Hände spielen sollte. Bismarck führte in der Folge einige Unterredungen, um das Projekt zu Fall zu bringen, denn er wollte längst nicht das Weiterleben des Bundes, sondern dessen Untergang. Er sprach auch offen davon, dass der Gegensatz zu Österreich bald zum Krieg führen würde, falls Österreich nicht nachgeben und sich nicht weitgehend aus Deutschland zurückziehen würde. Norddeutschland sei die »natürliche Einflusssphäre« Preußens. »Hätte an der Spitze Österreichs ein wahrer Staatsmann gestanden, so hätte er entweder Bismarcks Rat befolgt oder sich auf einen Krieg vorbereitet.« (Eyck 1975, S. 62) Doch nichts dergleichen geschah, denn der österreichische Außenminister hieß Rechberg und der Kaiser Franz Joseph. Letzterer ließ in der Folge sogar zu, dass die österreichische Volksvertretung seine Armee finanziell aushungerte und reduzierte. Derartiges geschah während der österreichischen Geschichte häufig, bevor diese Armee wirklich dringend gebraucht wurde.
»So kurzsichtig die österreichischen Politiker auch waren, sie konnten sich der Einsicht nicht entziehen, dass die Verfassung des Deutschen Bundes veraltet und die Lösung des deutschen Problems brennend geworden war.« (Eyck 1975, S. 68)
Von Seiten Österreichs war man trotz des starken Drucks durch die Nationalbewegung lange Zeit kaum zu irgendeiner Form von Veränderung bereit. Schließlich sah sich die Regierung von Kaiser Franz Joseph aber gezwungen, von sich aus Reformvorschläge zu machen, um nicht gänzlich überspielt zu werden. Der österreichische Reformentwurf sah ein Bundesdirektorium von fünf Mitgliedern als Exekutive vor: Österreich, Preußen und Bayern als ständige Mitglieder, während die beiden anderen von den übrigen Staaten des Bundes gewählt und einem regelmäßigen Wechsel unterzogen gewesen wären. In der bisherigen Bundesversammlung hätten Österreich, das auf seinem Vorsitz beharrte, und Preußen jeweils drei Stimmen gehabt. Zudem war der zutiefst antidemokratische Kaiser Franz Joseph sogar bereit, ein Abgeordnetenhaus des Bundes zuzulassen. Gemeinsam mit der Fürstenversammlung hätte es die Legislative gebildet. Auch ein oberster Gerichtshof des Bundes war vorgesehen. Insgesamt bedeutete der Entwurf einen Übergang vom reinen Staatenbund zum Ansatz eines Bundesstaates. Dieser Plan war für österreichische Verhältnisse fast revolutionär, wurde aber von den Liberalen in Deutschland wegen der nicht direkt gewählten Volksvertretung abgelehnt, während sich Preußen daran stieß, dass es wieder nicht als gleichberechtigte Führungsmacht agieren sollte. Nun kam die Stunde Bismarcks, dem es gelang, seinen Souverän von der Teilnahme am Frankfurter Fürstentag abzuhalten, wo Österreich die Bundesreform durchsetzen wollte. Somit »scheiterte« die letzte Chance, den Konflikt diplomatisch zu regeln und dem Deutschen Bund eine Überlebenschance zu geben. Preußen pochte weiter auf eine Erhöhung der eigenen Position und wollte den Bund entlang der Mainlinie in zwei Einflusssphären teilen. Dieses Vorhaben stieß natürlich bei Österreich auf Unverständnis. Durch den Gegensatz der beiden Großmächte hatte sich der Deutsche Bund als nicht reformierbar erwiesen.
»Nachbar oder Feind ist mir gleichbedeutend.« (Friedrich II.)