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5. Auflage 2021
© 2016 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Türkenstraße 89
80799 München
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Fax: 089 65 20 96
Die kanadische Originalausgabe erschien 2015 bei Backfitpro Inc. unter dem Titel Back Mechanic – The step by step McGill Method to fix back pain © 2015 by Dr. Stuart McGill. All rights reserved.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Redaktion und Lektorat: Corinna Nikolaus, bookwise GmbH
Übersetzung: Imke Brodersen
Umschlaggestaltung: Laura Osswald, in Anlehnung an das Original von Paal Hawk für Altius Gruppen AS, Hamar, Norwegen
Umschlagabbildung: Lars A. Lien
Model: A. Haglund
Illustrationen: Jiri Hvalacek, Prag, Tschechische Republik
Satz: Leeloo Molnár, bookwise GmbH
Druck: Florjancic Tisk d.o.o., Slowenien
Printed in Germany
ISBN Print: 978-3-86883-932-6
ISBN E-Book (PDF): 978-3-95971-271-2
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95971-272-9
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.rivaverlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de.
eBook by ePubMATIC.com
Einleitung
Der Weg zu einem gesunden Rücken
Teil 1: »Warum ich?« Den Schmerz verstehen
1. Der Faktencheck
2. Die wahren Ursachen von Rückenschmerzen
3. Ist eine Operation nötig?
4. Der Rückenkodex
Teil 2: Selbstdiagnose: Worauf beruht der Schmerz?
5. Der McGill-Ansatz zur Ermittlung der Schmerzursache
6. Die persönliche Schmerzanalyse
Teil 3: Der Weg zur schmerzfreien Bewegung
7. Schmerzursachen beheben
8. Wirbelsäulengerechte Bewegungen im Alltag
9. Rückentraining: Die »Goldenen Drei«
10. Balsam für den Rücken: Zügiges Gehen
11. Aufbautraining: Core-Muskulatur
12. Die Hüfte mobilisieren
13. Die nächste Stufe: Zurück zum aktiven Lebensstil
Teil 4: Die Feinheiten: Der Weg zu mehr Belastbarkeit
14. Vorerkrankungen berücksichtigen
15. Endlich schmerzfrei: Fallbeispiele und das jeweilige Vorgehen
16. Fragen Sie Ihren Professor: Sexualität, Matratze und andere Alltagsthemen
17. Zum Abschluss
18. Glossar
Anhang: Eigene Aufzeichnungen
i. Schmerz- und Aktivitätstabelle
ii. Übungsplan (mit Beispiel)
Danksagung
Der Autor
Vergleichen wir einmal die Wirbelsäule mit einem Auto und mich mit einem geschickten Mechaniker – dann wäre dieses Buch die Betriebsanleitung für das Fahrzeug. Es verrät Ihnen, wie man eigene Rückenprobleme diagnostiziert und wie man sich jeweils selbst helfen kann. Im Gegensatz zu einer Betriebsanleitung sollten Sie dieses Buch jedoch bitte vollständig lesen und nicht oberflächlich durchblättern, bis Sie den Abschnitt gefunden haben, der zur aktuellen Situation passt. Wenn Sie an Rückenschmerzen leiden, ist alles wichtig, was in diesem Buch steht! Bei einem Auto mag es ausreichen, einzelne Bauteile auszuwechseln. Beim Rücken greifen in der Regel aber mehrere Elemente ineinander. Sie werden Hinweise auf die möglichen Ursachen Ihrer Schmerzen finden, aber auch Abschnitte, die auf Sie nicht zutreffen. Dennoch empfehle ich, den gesamten Text zu lesen. Je besser Sie das Gesamtthema verstehen, desto größer sind Ihre Erfolgschancen.
Um das Gelesene gründlich zu erfassen und anwenden zu können, empfehle ich sogar ein zweimaliges Lesen. Beim ersten Durchgang nehmen Sie die Informationen auf und notieren sich besonders hilfreiche Tipps sowie alle Ideen, wie Sie die Empfehlungen im Alltag besser umsetzen können. Beim zweiten Lesen schreiten Sie zur Tat. Ziehen Sie bequeme Kleidung an, räumen Sie einen ausreichend großen Bereich frei, und führen Sie beim Lesen die verschiedenen Untersuchungen zur Diagnose sowie die Übungen tatsächlich aus. Besonders wichtig ist das zweimalige Durchgehen des Textes für die Selbstdiagnose in Teil 2.
Ergänzend werden immer wieder Kästen mit Zusatzinformationen eingeschoben. Auch diese sind wichtig.
Aus der Praxis: Hier werden die Geschichten von echten Patienten aus meinen Akten erläutert – wie haben diese Menschen ihren individuellen Weg zur Genesung gefunden? Was hat ihnen dabei geholfen? Aufgrund des Arztgeheimnisses wurden alle Namen geändert, aber alle diese Menschen haben in den vergangenen 30 Jahren einmal vor mir gesessen. Und bald werden Sie eine ähnliche Geschichte erzählen können.
Profitipp: Im Laufe meiner Tätigkeit hatte ich immer wieder mit Sportlern zu tun: von High-School-Athleten über Profiteams bis hin zu Goldmedaillengewinnern. In den Profitipps finden Sie Zitate und Einsichten von Spitzensportlern aus unterschiedlichsten Disziplinen, die bei mir in Behandlung waren. Nicht jeder Mensch strebt Rekorde an, aber diese Männer und Frauen mussten sich ihren Rückenschmerzen stellen, während sie ihren Körper auf Höchstleistung trainierten. Die Weisheit, die darauf beruht, dass man körperlich die eigenen Grenzen überwinden will, kann jedem helfen, der einen gesünderen Rücken anstrebt.
Viele Kollegen kennen meine Arbeit, anderen ist sie fremd. Wenn Sie während der Lektüre oder danach wegen Rückenschmerzen in Behandlung sind, sollten Sie dieses Buch ruhig in die Praxis mitbringen. Dann können Sie die nächsten Schritte zur Genesung besser mit dem Arzt absprechen. Informieren Sie Ihren Arzt immer über eigene Behandlungsmaßnahmen!
Dieses Buch soll Ihnen helfen, den eigenen Rückenschmerz zu verstehen und anzugehen, damit man ganz normal das gewohnte Leben führen kann. Ich bin davon überzeugt, dass Sie sich nach dem Lesen selbst wie ein sehr passabler Rückenmechaniker vorkommen werden.
Professor Stuart McGill,
Waterloo, Kanada
Was ist das Besondere an diesem Buch? Es gibt unzählige Bücher zum Thema Rücken – warum sollte gerade dieses für Sie den entscheidenden Unterschied machen? Ganz einfach: Die Informationen in diesem Buch beruhen auf wissenschaftlich erprobten Ergebnissen. Rückenschmerzen sind nicht leicht zu kurieren. Man hat mich beschworen, ein massentaugliches Buch zu schreiben, so etwas wie »Rückenschmerzen besiegen: In fünf leichten Schritten zum Erfolg«. Das wäre jedoch unehrlich und unprofessionell. Ich möchte lieber Ihr Lotse sein, doch das funktioniert nur, wenn Sie meinen Anweisungen auch wirklich Folge leisten.
Seit meinen ersten Untersuchungen zur Biomechanik der Wirbelsäule als junger Doktorand vor über 30 Jahren haben wir in meiner Klinik an der Universität Waterloo so revolutionäre Entdeckungen gemacht, dass mein Ruf nicht nur Patienten aus aller Welt anlockt und viele Ärzte und Forscher meinen Rat einholen. Schon lange vor der Entstehung des Films Avatar habe ich Verfahren zur optischen Bewegungsmessung (Motion Capture) eingesetzt, um unter Einbeziehung der biophysikalischen Signale des Körpers mehr über seine Funktionen und über Schmerzursachen herauszufinden. Mein Team arbeitet mit vielen Methoden: Echte Wirbelsäulen aus Körperspenden vermitteln uns ein besseres Verständnis von Verletzungsmechanismen; wir ergründen zusammen mit den Patienten individuelle Schmerzursachen; wir führen Vergleichsstudien zu Wirksamkeit bestimmter Behandlungen durch, und wir arbeiten regelmäßig mit Spitzensportlern aus den Profiligen von UFC, NHL, NBA und NFL zusammen, mit Extremsportlern und Olympiateilnehmern. Diese umfassenden Einblicke helfen uns, bessere Wege zu finden, um verlorene Fähigkeiten zurückzugewinnen. Gerade die Arbeit mit Sportlern ist dabei wichtig: Wer einen Ferrari fährt, sieht, was im Zusammenspiel von perfekter Automobiltechnik und Können möglich wird. Dank unserer Entdeckungen konnten wir auch bei schweren Wirbelsäulenschäden die vollständige Heilung ermöglichen – bis hin zum nächsten Weltrekord. Solche Beweise sind unwiderlegbar.
Ich wurde mehrfach gebeten, meine Lehrbücher so umzuschreiben, dass sie für ein Laienpublikum verständlich werden. Die erfolgreiche Behandlung von Rückenproblemen ist eine komplexe Materie, die nur schwer zu vereinfachen ist. Aber nun ist es geglückt. Ich habe meine Erkenntnisse aus all diesen Jahren auf die Fakten reduziert – die ungeschminkte Wahrheit über Rückenschmerzen, ihre Ursache und wirksame Gegenmaßnahmen. Dabei verfolge ich keine politischen Ambitionen und muss auch keine falschen Rücksichten auf Ärzteverbände, Arzneimittelkonzerne, Hersteller von Chirurgiebedarf oder Regierungsinteressen nehmen. Dieses Buch schildert die neutrale Wahrheit, die Ihnen auch der Hausarzt sagen könnte (wenn er oder sie die Zeit dazu hätte) oder die Ihr Facharzt Ihnen erklären müsste, bevor er Ihnen zur Operation rät.
Rückenschmerzen werden in der Praxis meist zu rasch abgetan – die Ursache ist schwer zu ermitteln, es ist alles »psychosomatisch«, und wenn es einfach nicht besser wird, bekommt man eben Schmerzmittel. Das kennen Sie? Ich kann Ihnen aus meiner Erfahrung heraus mehr erklären. Jeden Tag berate ich Patienten mit einer derartigen Krankengeschichte. Wenn sie meine Methode einige Wochen befolgt haben, sind sie wie ausgewechselt. 95 Prozent von ihnen profitieren davon – das weiß ich, weil wir unsere Patienten wieder einbestellen.
Dieses Buch ist als Schritt-für-Schritt-Anleitung konzipiert, mit der Sie Ihre Wirbelsäule in Topform bringen. Wichtige Themen sind dabei:
1. Die unterschiedlichen Ursachen und das Fortschreiten von Rückenschmerzen, von Bandscheibenschäden bis hin zu Ischiasschmerzen.
2. Typische Alltagsaktivitäten, die Rückenschmerzen hervorrufen und verschlimmern können.
3. Gesunde Bewegungsabläufe für ein schmerzfreies Leben, damit Sie weiterhin alles tun können, was Ihnen wichtig ist.
4. Strategien und Übungen für eine gesunde, stabile Wirbelsäule.
5. Unverzichtbare Fragen bei der Entscheidung, ob eine Operation hilfreich ist oder alles noch schlimmer macht.
Dieses Buch ist für alle, die vom Schmerz gebeutelt sind – von der Hausfrau, die einfach nur wieder schmerzfrei den Hund ausführen möchte, bis hin zum Profisportler, der wegen seiner chronischen Rückenschmerzen kaum noch aus dem Bett kommt. Ich kenne das ganze Spektrum aus erster Hand, und wenn Sie dieses Buch gelesen haben, werden Sie verstehen, auf welchen Kriterien meine hohe Erfolgsquote beruht. Und Sie werden diese Techniken bei sich selbst einsetzen können.
Jeder Mensch hat das Recht, unbeschwert mit seinen Kindern herumzutoben. Niemand sollte nachts vor Schmerz aus dem Schlaf schrecken, nur weil er sich auf die andere Seite gedreht hat. Im Augenblick geht es Ihnen wahrscheinlich nicht besonders gut und der Weg zur Genesung wird keineswegs leicht. Nur mit Disziplin und Entschlossenheit wird die Wirbelsäule wieder funktionstüchtig. Dazu muss man alte Bewegungsmuster gegen neue austauschen. Aber Sie sind es sich schuldig, wieder zu wissen, wie sich ein Tag ohne Schmerzen und Beschwerden anfühlt. Nehmen Sie Ihr Leben wieder selbst in die Hand. Es ist Zeit für einen Neustart und eine Generalüberholung der Wirbelsäule. Es ist Zeit für neue Energie!
Fangen wir gleich an.
Teil 1:
»Warum ich?« Den Schmerz verstehen
In Kapitel 1 nehmen wir verbreitete Überzeugungen zu Rückenschmerzen unter die Lupe. Was davon dürfen Sie glauben? Kapitel 2 erklärt das Zusammenspiel der einzelnen Bestandteile des Rückens und typische Schmerzursachen. In welcher Reihenfolge Sie diese Kapitel lesen, hängt von Ihrem Lernstil ab. Möchten Sie erst wissen, warum bisherige Therapien bei Ihnen nicht so gut geholfen haben wie bei anderen, dann lesen Sie zuerst Kapitel 1. Wenn Sie vorher lieber mehr über die Rückenmechanik erfahren möchten, beginnen Sie mit Kapitel 2.
In den ersten beiden Kapiteln geht es um Grundlagenwissen: Was ist die Wirbelsäule, und wie funktioniert sie? Die Fakten werden dabei klar von verbreiteten Mythen zum Rücken abgegrenzt. Es sind viele falsche Vorstellungen über die Wirbelsäule im Umlauf, die leider an der Entstehung von Rückenschmerzen Anteil haben. Erst wenn wir mit solch falschen Ideen gründlich aufgeräumt haben und die tatsächliche Mechanik als Ausgangspunkt nehmen, können wir dazu übergehen, die eigenen Schmerzen korrekt einzuordnen und entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten.
Bei Rückenschmerzen haben Ärzte häufig nicht die nötige Zeit für eine umfassende Untersuchung. Mitunter steht der Patient ohne konkrete Diagnose da, oder es wurde nur durch einen kurzen Blick auf eine MRT- oder CT-Aufnahme etwas sehr Spezielles festgestellt. Schon dies ist in meinen Augen eine unzureichende Untersuchung. Die Schmerzquelle für einen Patienten allein durch den Blick auf ein solches Bild zu bestimmen, gleicht dem Versuch, über ein bloßes Foto des Autos herauszufinden, warum der Motor nicht anspringt. Selbst wenn die richtige Diagnose gestellt wird – eingeklemmter Ischiasnerv oder ein Bandscheibenvorfall –, ist dies für die Heilung nur selten hilfreich. Für die Behandlung müssen wir uns darauf konzentrieren, die Ursache der Symptome zu finden und gezielt dagegen vorzugehen. Das ist deutlich wichtiger als die Suche nach dem offiziellen diagnostischen Fachausdruck.
In der modernen Medizin gerät diese Philosophie leider oft ins Hintertreffen, und man konzentriert sich weiterhin auf die »schnelle Reparatur« durch eine Operationsempfehlung und auf Schmerzmittel, womit das Problem sozusagen unter den Teppich gekehrt wird. So treten Gerüchte und Halbwahrheiten an die Stelle einer adäquaten und korrekten Ursachenfindung. Manche Experten suggerieren sogar, dass Schmerzen »reine Kopfsache« sind. Schmerzen haben nahezu immer eine körperliche Ursache! Wenn wir sie ignorieren oder die Schuld in einer falschen Einstellung suchen, hilft das nicht weiter. Deshalb warne ich davor, Rückenschmerzen durch Psychotherapie behandeln zu wollen. Psychosomatische Probleme wie Stress im Beruf oder Neurotizismus können Schmerzen zwar verstärken, sind jedoch nicht die eigentliche Ursache. Selbst wenn Ihr Arzt oder Ihre Ärztin keine Ursache finden kann – es gibt trotzdem eine, und die lässt sich behandeln.
Sehr verbreitet ist auch die Idee, man könne sich an seine Rückenschmerzen gewöhnen. Man wachse sozusagen mit dem Schmerz, und werde mit der Zeit unempfindlicher. Falsch! Denn es ist genau umgekehrt: Je länger der Schmerz unbehandelt bleibt, desto stärker nehmen wir ihn wahr, und desto sensibler werden wir dafür. Stellen Sie sich vor, Sie würden sich immer wieder mit einem Hammer auf den Daumen schlagen. Der Daumen wird mit jedem Mal schmerzempfindlicher. Irgendwann ist das Gewebe so gereizt, dass Sie schon bei der geringsten Berührung vor Schmerz zusammenzucken. Hier hilft kein Sport, sondern ich muss den Hammer weglassen. Im ersten Schritt werden wir uns in diesem Buch also mit den »Schmerzhämmern« beschäftigen – die müssen weg. Sie werden feststellen, dass man schmerzhafte Bewegungsmuster durch schmerzfreie ersetzen kann. Das ist die eigentliche Lösung, um die Schmerzempfindlichkeit zu senken sowie die Bewegungsfreiheit langsam und schmerzfrei wieder auszuweiten.
Es ist eine Schande, dass die Patienten darunter zu leiden haben, dass die Wahrheit unter so viel Desinformation verborgen liegt. Falsche Überzeugungen behindern die Genesung, und die bisherigen Therapieerfahrungen bestärken viele in ihrem Glauben, dass ihnen nur noch eine Operation helfen kann. Das macht Angst, und die wird durch die Geschichten von Freunden, die nur dank massiver Schmerzmittel durch den Tag kommen, nicht gerade gelindert. Solche Patienten verlieren oft jede Hoffnung und sind davon überzeugt, dass sie ihre Schmerzen eben ertragen müssen.
Es ist an der Zeit, zu den Fakten vorzudringen und eine konstruktive Haltung gegenüber Schmerzen zu entwickeln. Beschäftigen wir uns also zunächst mit den Denkfehlern, die bisher die korrekte Behandlung Ihrer Schmerzen erschwert haben.
Typische Denkblockaden
Zu Beginn sollten wir gewisse Fehlüberzeugungen benennen, die unsere Genesung behindern. Erst dann können wir einen Ausweg finden, der langfristig zu einem schmerzfreien Leben führen kann.
Problem: Durch die Physiotherapie wurden meine Schmerzen schlimmer.
Ausweg: Suchen Sie einen Physiotherapeuten auf, der die Ursache Ihrer Schmerzen begreift und angeht. Mithilfe dieses Buches sind Sie dazu wahrscheinlich bald selbst in der Lage.
Problem: Nach dem Workout habe ich jedes Mal drei Tage lang Schmerzen.
Ausweg: Wenn Sie die einzelnen Übungen des Workouts und Ihre Aktivitäten in den restlichen 23 Stunden des Tages genauer betrachten, stellt sich vermutlich ein Zusammenhang heraus. Dann können Sie die verschlimmernden Tätigkeiten so verändern, dass sie weniger Schmerzen bereiten. Mehr dazu später.
Problem: Man hat mir gesagt, ich würde mir die Schmerzen nur einbilden.
Ausweg: Beweisen Sie sich selbst, dass Sie auch schmerzfreie Momente haben. In diesem Buch erfahren Sie, wie man diese Abschnitte bis zur anhaltenden Linderung verlängern kann.
Problem: Man hat mir gesagt, ich soll positiv denken.
Ausweg: Eine positive Haltung ist zwar erstrebenswert, reicht als alleiniges Werkzeug zur Schmerzbewältigung jedoch nicht aus. Konzentrieren Sie sich darauf, die Schmerzursache zu finden.
Problem: In der Klinik hieß es, ich soll meine Schmerzen auf einer Skala von 1 bis 10 einstufen.
Ausweg: Konzentrieren Sie sich lieber darauf, welche Tätigkeiten Sie schmerzfrei ausüben können. Legen Sie das Heftchen zur Aufzeichnung der Schmerzintensität vorerst beiseite.
Richtig oder falsch?
Zwei wichtige Trugschlüsse zum Thema Rückenschmerzen haben wir bereits entkräftet, nämlich, dass alles nur Kopfsache sei und dass man sich mit der Zeit an den Schmerz gewöhne. Damit können wir uns nun weiteren Binsenweisheiten zuwenden und diese geraderücken.
Trugschluss: Wenn ich meine chronischen Rückenschmerzen nicht mithilfe meiner Physiotherapie in den Griff bekomme, bleibt mir nur noch eine Operation.
Fakt: Kennen Sie den Spruch: »Wenn man nur einen Hammer hat, sieht alles wie ein Nagel aus«? Die meisten Chirurgen sind davon überzeugt, dass sich mit dem Skalpell alles heilen lässt, wenn sie nur »den Schmerz herausschneiden« dürften. Doch das entfernte Gewebe ist nur selten die einzige Ursache für die Schmerzen. Um bei der Operation an die Wirbelsäule zu gelangen, muss häufig gesundes Gewebe durchtrennt werden, und wenn bei dem Eingriff ein Nerv verletzt wird, ist die anschließende Rehabilitation erschwert. Zudem können die Metallimplantate Knochengewebe absterben lassen und sich lockern. Die Risiken einer Operation rechtfertigen häufig nicht den möglichen Nutzen, wenn dabei nicht die wahre Schmerzursache beseitigt wird. In solchen Fällen kommt der Patient oftmals nach einigen Jahren mit ähnlichen Gewebeschäden direkt über oder unter der Stelle des vorherigen Eingriffs wieder. Mitunter meldet sich zusätzlich der ursprüngliche Schmerz noch schlimmer zurück. Die Antwort des Chirurgen lautet dann vielfach: »Ich kann nichts mehr für Sie tun.« Für viele solcher Patienten konnte ich mithilfe von Physiotherapie Lösungen finden, welche die Schmerzursache behandelten. Nach einer Operation hingegen ist die Schädigung bei manchen so massiv, dass auch ich leider nichts mehr ausrichten kann. Wenn Sie dieses Buch lesen, sind Sie auf dem richtigen Weg, um alle konventionellen Behandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen, ehe Sie sich unters Messer legen. Welche Fragen vor einer eventuellen Operation unbedingt abzuklären sind und wann diese tatsächlich die letzte Option ist, besprechen wir später.
Aus der Praxis: Brad war nach seinen Schmerzmitteln mittlerweile süchtig. Er hatte sie in der Schmerzklinik erhalten, nachdem sein Arzt ihm nicht hatte weiterhelfen können und ihn mit der klassischen Fehldiagnose weggeschickt hatte, seine Rückenschmerzen seien »reine Einbildung«. Weil er auch in einem Fuß starke Schmerzen hatte, hatte man ihm zur Amputation geraten. Als Brad mich aufsuchte, räumte er gar Suizidgedanken ein – er sagte, wenn diese grausamen Schmerzen wirklich Einbildung wären, müsse er verrückt sein und bräuchte nicht weiterzuleben. Er gab mir eine Woche Zeit: Wenn wir in dieser Woche nicht weiterkämen und seine Schmerzen lindern könnten, wollte er sich umbringen. Der Druck war also enorm. In der folgenden Woche arbeitete ich eng mit ihm zusammen und konnte ihm zeigen, dass sein Problem behandelbar war. Es stellte sich heraus, dass seine Füße völlig gesund waren. Seine Schmerzen beruhten auf einem eingeklemmten Nerv im unteren Bereich der Wirbelsäule. Zunächst einmal musste er bestimmte Beugebewegungen meiden und bestimmte Muskeln aufbauen, die seinen Bewegungsablauf steuerten. Innerhalb von drei Monaten überwand er seine Medikamentenabhängigkeit, ging die Schmerzursachen gezielt an und bekam sein Leben wieder in den Griff. Heute ist er ein zufriedener Mann, der nicht nur einen voll funktionsfähigen Rücken hat, sondern insbesondere noch immer den Fuß, den der Chirurg bereitwillig abnehmen wollte.
Trugschluss: Die Ärzte in der Schmerzklinik finden eine Dauerlösung für mich.
Fakt: Schmerzbewältigung bedeutet, dass man mit den Schmerzen umzugehen lernt. Das ist ein Kurieren an den Symptomen, anstatt die Ursachen anzugehen. Schmerz beruht auf Nervenimpulsen, die im Gehirn verarbeitet werden. Die Lösung einer Schmerzklinik besteht in Medikamenten und kognitiver Verhaltenstherapie. Die starken Schmerzmittel, die Patienten erhalten, gehen mit einem hohen Suchtfaktor einher. Auch das sehe ich häufig bei Patienten, die durch alle diagnostischen und therapeutischen Maschen gerutscht sind.
Trugschluss: Rückenschmerzen lassen sich innerhalb von sechs bis zwölf Wochen beheben. Mehr zahlt die Kasse sowieso nicht.
Fakt: In Amerika berufen sich die Versicherer gern auf Studien, die allerdings lediglich die Rekonvaleszenz nach Muskelschäden bei Mäusen und Ratten ermittelt haben. Studien zu Rückenverletzungen beim Menschen ergaben hingegen, dass je nach Schädigung häufig eine lange Abfolge von Maßnahmen erforderlich ist. Die Heilung kann bis zu zehn Jahre in Anspruch nehmen. Was nicht heißt, dass Sie sich auf weitere zehn Jahre Rückenschmerzen einstellen müssen! Machen Sie sich jedoch klar, dass Sie auf Ihren Rücken längerfristig Rücksicht nehmen müssen, um schmerzfrei zu bleiben.
Trugschluss: Rückenschmerzen sind erblich bedingt. Meine Mutter hatte Rückenschmerzen so lange ich denken kann. Mir blüht dasselbe.
Fakt: Rückenschmerzen sind kein Schicksal, und das Urteil lautet nicht lebenslänglich. Manche Menschen sind genetisch vielleicht anfälliger für Rückenprobleme, aber auch das ist behandelbar, und in den meisten Fällen sind Verletzungen vermeidbar. Viele Leute glauben, dass es im Alter immer schlimmer wird mit dem Rücken. Interessanterweise haben die meisten Leute beim Renteneintritt weniger Rückenschmerzen – das ist Schnee von gestern. Die schlimmsten Symptome waren ihrer Aussage nach zwischen 30 und 50. Später sind die Rückengelenke auf natürlichem Weg verknöchert, was schmerzhafte Mikrobewegungen reduziert. Wie viele alte Menschen klagen über Rückenschmerzen? Tatsächlich sind es nur sehr wenige. Damit Sie später nicht dazu gehören, sollten Sie Ihre Schmerzen schon jetzt angehen.
Trugschluss: Nach einem Bandscheibenvorfall ist es aus mit dem Profisport.
Fakt: Eine geschädigte Bandscheibe ist tatsächlich schwerer zu behandeln als ein Beinbruch, und die Erfolgsaussichten sind deutlich ungewisser. Für viele Sportler gelten Wirbelsäulenschäden als der Super-GAU, doch mit der richtigen Rehabilitation sind auch solche Probleme besiegbar. Ich berate immer wieder Athleten aus unterschiedlichsten Disziplinen, von denen Hunderte ihre erfolgreiche Laufbahn im Profisport bis hin zur Olympiade fortführen konnten. Viele davon haben clevere eigene Systeme entwickelt, um die hohen Anforderungen an ihren Rücken bei Training und Wettkämpfen zu bewältigen. Solchen Patienten konnte ich ganz neue Werkzeuge an die Hand geben, mit denen sie ihre Bandscheiben retten und im Sport Höchstleistungen erzielen konnten.
Trugschluss: Aus der MRT-Aufnahme bezieht der Arzt alle nötigen Informationen für die richtige Behandlung.
Fakt: Bildgebungsverfahren, ob MRT oder CT, können die Ursachen von Rückenschmerzen nur sehr eingeschränkt ermitteln. Sie zeigen Veränderungen und Strukturen am Rücken, die aber nicht zwangsläufig für den Schmerz verantwortlich sein müssen. Schmerzen beruhen meist auf Funktionsstörungen. Falsche Bewegungsabläufe sensibilisieren bei ständiger Wiederholung das Gewebe, bis es selbst bei geringer Belastung schmerzt. Eine Operationsentscheidung aufgrund von MRT- und CT-Befunden zu treffen ist in meinen Augen ein Fehler, sofern nicht zuvor ein Arzt hinzugezogen wurde, der sich mit der Beurteilung und Behandlung von Rückenschmerzen durch Schmerzprovokation gründlich auskennt. Solche Aufnahmen können hilfreich sein, wenn die Operation die letzte Option ist (und das ist selten der Fall). Vorher sind sie einfach ein Baustein, für die Erstellung des optimalen individuellen Behandlungsplans.
Profitipp: Ein Rekordhalter im Gewichtheben verriet mir, dass er vor seiner Rückenverletzung keinen einzigen Weltrekord geschafft hatte. Inzwischen ist ihm dies drei Mal geglückt. Die Verletzungen haben ihn viel gelehrt, und diese wertvollen Erkenntnisse wollte er mir mitteilen.
»In gewisser Weise waren meine Rückenverletzungen ein Segen – sie haben mich gezwungen, zu einer absolut perfekten Technik überzugehen: Ich kann mir beim Training keinerlei Kompromisse mehr leisten. Wenn ich das täte, wäre meine Karriere endgültig vorüber.«
Als dieser Weltrekordhalter wieder mit dem Training begann, schwor er sich, diese Regel – nur perfekte Technik – niemals mehr zu brechen. Seine Leistungen waren unglaublich, und er konnte seinen eigenen Weltrekord noch zwei Mal toppen. Er hatte sich von seiner Verletzung nicht in die Knie zwingen lassen, sondern erbrachte dadurch Topleistungen in seiner Disziplin.
Trugschluss: Rückenschmerzen beruhen auf einer Verkürzung der hinteren Beinmuskulatur.
Fakt: Unsere Untersuchungen ergaben, dass eine verkürzte hintere Beinmuskulatur zwar häufig mit Rückenproblemen einhergeht, aber nicht unbedingt die Ursache ist. Sobald die Rückenschmerzen zurückgehen, wird auch die Beinmuskulatur flexibler. Dennoch kann ein muskuläres Ungleichgewicht zwischen dem rechten und dem linken Bein Rückenschmerzen beeinflussen, insbesondere bei Sportlern. In diesem Buch lernen Sie korrekte Bewegungsabläufe für den Alltag, zum Beispiel beim Schuhebinden. Auch bei einer sehr straffen hinteren Beinmuskulatur gibt es rückenschonende Lösungen für solche Tätigkeiten.
Trugschluss: Der dunkle Schatten auf meiner Bandscheibe im MRT zeigt, dass ich eine degenerative Bandscheibenerkrankung habe.
Fakt: Die Diagnose »Degenerative Bandscheibenerkrankung« ist mehrheitlich eine Fehldiagnose. Dunkle Schatten auf den Bandscheiben sind bei MRT- oder CT-Aufnahmen ein Hinweis auf Wasserverlust im Bereich des Gallertkerns. Das ist ein normaler Alterungsprozess, vergleichbar mit der Entstehung von Falten im Gesicht. Dies als »degenerative Erkrankung« zu bezeichnen, bedeutet eine unnötige Dramatisierung und ist bei der Suche nach der richtigen Behandlung wenig hilfreich. Wenn allerdings nur eine Bandscheibe dunkler ist als die anderen, ist sie wahrscheinlich aufgrund einer Verletzung zusammengedrückt. Lässt man sie in Ruhe (anstatt bei unnatürlichen Verrenkungen wie beim Yoga weiter daran zu zerren), so versteift sie mit der Zeit, und der Schmerz vergeht. Während dieses natürlichen Heilungsprozesses erscheint die Bandscheibe auf der MRT-Aufnahme dunkler als die anderen.
Trugschluss: Bettruhe ist bei Rückenschmerzen genau das Richtige.
Fakt: Umgekehrt – zu langes Liegen erzeugt Rückenschmerzen. Gehen wir der Sache einmal auf den Grund. Jeder Mensch ist morgens nach dem Aufstehen ein wenig größer als abends vor dem Schlafengehen. In jeder Bandscheibe zwischen unseren Wirbeln stecken jede Menge hochkonzentrierte Proteinketten. Diese Proteine sind hydrophil, das heißt, sie lieben Wasser. In Horizontallage füllen sie sich mit Flüssigkeit und schieben dabei die Wirbel leicht auseinander, wodurch die Wirbelsäule etwas länger wird. Dass wir morgens oft etwas steif sind, liegt daran, dass die Bandscheiben bis zum Bersten voller Wasser stecken. Sobald wir wieder aufrecht stehen, sickert die Flüssigkeit allmählich aus den Bandscheiben heraus, und nach ein bis zwei Stunden sind wir wieder normal groß. Dieses natürliche Auf und Ab ist gesund und trägt zur Nährstoffversorgung der Bandscheiben bei. Bei zu langem Liegen – mehr als etwa acht Stunden – wird es jedoch eher problematisch. Die Bandscheiben schwellen nämlich weiter an, und das bereitet schließlich Schmerzen. Weniger Zeit im Bett kann ebenso hilfreich sein wie die Wahl der richtigen Matratze, auf die wir später noch zu sprechen kommen.
Trugschluss: Wenn ich jeden Tag trainiere, gehen auch die Rückenschmerzen weg.
Fakt: Beim Training kommt es auf das richtige Workout an, das den Rücken stärkt und ihm nicht schadet. Meine Patienten beschweren sich immer wieder, dass sie doch schließlich an sich arbeiten, während völlig inaktive Bekannte schmerzfrei durchs Leben kommen. Wer jedoch täglich trainiert, ohne dabei auf seine Wirbelsäule zu achten, setzt seine Bandscheiben kumulativen Traumata aus. Wenn Sie beim Sport immer wieder den Rücken krümmen, dann bei der Arbeit lange sitzen und zwischendurch falsche Bewegungsabläufe beim Anziehen oder bei der Gartenarbeit einfügen, kommen genügend Faktoren zusammen, die den Bandscheibenfasern zusetzen. Beim Sportmuffel von nebenan kommen nämlich nicht noch die kleinen Schäden durch den Sport hinzu – deshalb ist seine Wirbelsäule besser dran. Das heißt nicht, dass Sie keinen Sport treiben sollen! Sie müssen nur Ihre Bewegungsabläufe prüfen und ändern – dann können Sie fit sein, ohne Ihrem Rücken zu schaden.
Trugschluss: Yoga und Pilates sind gut gegen Rückenschmerzen.
Fakt: Auch wenn viele Ärzte und Therapeuten ihren Patienten ausdrücklich zu solchen Sportarten raten, können unsere Studienergebnisse dies nicht untermauern, sondern deuten eher auf das Gegenteil hin. Manche Positionen und Bewegungen mögen zwar momentan guttun, aber beide Übungssysteme enthalten Elemente, die Rückenschmerzen verschlimmern können. Es gibt keine Bewegungsform, die uneingeschränkt für alle Rückenschmerzpatienten empfehlenswert ist. Patienten mit unklaren Rückenbeschwerden pauschal Yoga oder Pilates ans Herz zu legen, ist in meinen Augen unverantwortlich. Vielmehr sollte jede einzelne Übung begründet und in der Ausführung gegebenenfalls an die individuellen Umstände angepasst werden.
Mein Hauptkritikpunkt an Pilates ist, dass im Liegen regelmäßig geübt wird, die Wirbelsäule zu strecken und den Lendenwirbelbereich an den Boden zu drücken. Dieser bewusste Versuch, eine natürliche Biegung der Wirbelsäule von ihrer neutralen Position abzubringen, ist ungesund und entspricht einem typischen Verletzungsschema. Manche Menschen empfinden dabei tatsächlich ein Gefühl der Entlastung, weil die Streckrezeptoren am Rücken angeregt werden. Diese Linderung ist jedoch nur vorübergehend, und wegen des Drucks auf die Bandscheiben kehren die Schmerzen normalerweise noch stärker zurück.
Eine andere fragwürdige Übung bei Pilates ist der Roll-up. Er ist eine Sonderform des klassischen Sit-ups, bei dem die Wirbelsäule Wirbel für Wirbel auf- und abgerollt wird. Die Wissenschaft rät zugunsten einer gesunden Wirbelsäule zu Recht von regelmäßigen Sit-ups ab. Der Roll-up ist eine noch schlimmere Version dieser veralteten Übung, denn er setzt die Bandscheiben im Namen der Beweglichkeit gezielt unnötigen Belastungen aus. Unser eigentliches Ziel sollte eine Minimierung der Wirbelsäulenbewegung sein – Bewegungen sollten in erster Linie aus den Hüften stammen. Wenn wir dies beherzigen, lassen auch die Rückenschmerzen nach.
Wie bereits angesprochen, muss jede therapeutische Übung die Ergebnisse einer eingehenden Untersuchung einbeziehen. Wenn Ärzte einfach pauschal Pilates empfehlen, gehen sie dabei von der nicht überprüften Prämisse aus, Pilates sei »gut für den Rücken«. Das muss aufhören! Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich kenne viele Pilates- und Yogalehrer, die meine Fortbildungen besuchen und ihre Übungen ausgezeichnet auf individuelle Patientenbedürfnisse zuschneiden können. Diese Übungsleiter wissen, wie wichtig es ist, bestimmte Schmerzauslöser zu vermeiden, damit der Schmerz nicht noch schlimmer wird. Yoga und Pilates können Menschen mit Rückenschmerzen durchaus helfen, wenn die jeweiligen Bausteine persönlich ausgewählt und angepasst sind. Keines dieser Übungssysteme sollte jedoch pauschal allen Rückenschmerzpatienten als Allheilmittel empfohlen werden.
Aus der Praxis: Einmal saß in meiner Sprechstunde eine Yogalehrerin. Auf meine Frage, was ihre Schmerzen schlimmer machen würde, nahm sie auf dem Boden eine bestimmte Haltung ein, verdrehte extrem die Wirbelsäule und verharrte mehrere Minuten in dieser Position. Danach dauerte es einige Minuten, bis die Schmerzen so weit nachgelassen hatten, dass sie aufstehen konnte. Ich sagte: »Ich glaube, ich kenne die Ursache Ihrer Schmerzen – es ist diese Übung.« Ungläubig starrte sie mich an. Sie hatte geglaubt, sie müsste einfach mehr Mobilität erzwingen. Dann war sie am Boden zerstört, denn eigentlich geht es im Yoga darum, Spannungen im Körper abzubauen, um die geistige Transzendenz zu erleichtern. Ich erklärte ihr, dass ihr kräftiger Knochenbau die Wirbelsäule deutlich mehr unter Druck setzte als bei einer feingliedrigeren Person. Ein dicker Ast bricht deutlich schneller als ein feiner Zweig, wenn beide gleich stark verdreht oder gebogen werden. Ich glaube, sie hatte von mir erwartet, dass ich sie in ihrer Form des Yoga bestärke. Sie konnte jedoch nur gesund werden, indem sie ihre schmerzenden, überempfindlichen Gelenke nicht mehr bis zum Anschlag belastete. Emotional war das für sie sehr schwer zu verarbeiten.
Trugschluss: Dehnen ist gut gegen Rückenschmerzen.
Fakt: Dehnung wird bei Rückenschmerzen immer wieder gern empfohlen, aber auch diese Ansicht muss differenziert betrachtet werden.
Da es keine Standardursache für Rückenschmerzen gibt, existiert auch keine Dehnübung, die für alle Patienten gleich gut ist. Jeder Fall ist individuell unterschiedlich. Deshalb muss jede Dehnübung mit größter Sorgfalt ausgewählt und auf den Patienten zugeschnitten werden. Viel zu häufig empfehlen Therapeuten Dehnübungen, die für einen Patienten absolut schädlich sind, meist mit dem Ziel, die Beweglichkeit der Wirbelsäule zu verbessern. Beim Großteil der Patienten mit Rückenschmerzen wäre genau das Gegenteil angemessen.
Wenn Sie die Knie an die Brust ziehen oder ähnliche Übungen ausführen, wird aus physiologischer Sicht ein Dehnreflex ausgelöst. Dieses neurologische Phänomen reduziert die Schmerzempfindlichkeit und verschafft als kurzfristige Gegenmaßnahme 15 bis 20 Minuten Linderung. Das Problem daran ist, dass die Wirbelsäule dabei in eine Haltung gebracht wird, die für die Bandscheiben noch schädlicher ist. Deshalb kehrt der Schmerz nach einer Weile zurück und ist dann häufig noch schlimmer. So beginnt ein Teufelskreis, denn als Patient denkt man natürlich, die einzige Lösung bestünde in regelmäßigem Dehnen – obwohl genau diese Übung die Sache letztlich verschlimmert. Dieser Teufelskreis muss unterbrochen werden.
Konzentrieren Sie sich bitte nicht auf Dehnübungen für die Wirbelsäule, sondern setzen Sie alles daran, diese zu stabilisieren und zu kontrollieren. Dazu gehört eine Anpassung des Alltagsverhaltens mit dem Ziel, die Wirbelsäule immer möglichst »neutral« zu halten. Solche Maßnahmen entlasten die Bandscheiben, der Schmerz geht zurück, und das erleichtert eine zunehmende Mobilität.
Bei Dehnübungen sollten insbesondere alle Übungen vermieden werden, bei denen die Knie in Richtung der Brust gezogen werden. Das Dehnen bestimmter anderer Bereiche des Körpers hingegen kann durchaus Ihre Schmerzen lindern. Dazu kommen wir später.
Trugschluss: Mein Freund wurde durch eine XYZ-Therapie geheilt. Er schwört darauf. Das muss für mich doch auch gut sein.
Fakt: Wie bereits gesagt, gibt es für Rückenschmerzen weder einer universelle Ursache noch ein Universalheilmittel. Ob Sie von einer Methode profitieren, die einem Freund geholfen hat, hängt von der Ursache Ihrer Schmerzen ab. Für gewöhnlich unterscheiden sich die Ursachen von Mensch zu Mensch. In den folgenden Kapiteln erfahren Sie, wie man persönliche Schmerzauslöser ermittelt und auf dieser Basis individuelle Behandlungsansätze in der richtigen Dosierung entwickelt.
Trugschluss: Stärkere Muskeln können meine Rückenschmerzen beheben.
Fakt: