Herausgegeben von
Horst Clages, Leitender Kriminaldirektor a.D.,
Wolfgang Gatzke, Direktor LKA NRW a.D.
Band 16
Grundlagen der
Kriminaltechnik I
von
Christoph Frings
Frank Rabe
E-Book
2. Auflage 2016
© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb; Hilden/Rhld., 2016
eISBN 978-3-8011-0777-2
Buch
2. Auflage 2016
© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb; Hilden/Rhld., 2016
ISBN 978-3-8011-07473-4
Alle Rechte vorbehalten
www.VDPolizei.de
Im Rahmen der Beweisführung in einem Strafverfahren kommt dem Personalbeweis eine große Bedeutung zu. Viele Urteile basierten in der Vergangenheit nur auf den Aussagen von Zeugen, als eine „Krone der Beweisführung“ wurde ein Geständnis des Angeklagten angesehen.
Sowohl Aussagen von Zeugen als auch von Angeklagten entsprechen aus vielerlei Gründen nicht immer den Tatsachen. Sei es, dass der Zeuge das Geschehen nicht richtig beobachtet hat oder sei es, dass er Erinnerungslücken hat, die er nicht gerne zugeben möchte – Gründe für eine geschönte Aussage gibt es viele.
Der wissenschaftliche Fortschritt der letzten Jahrzehnte führte zur Entwicklung neuer und zunehmend feinerer Untersuchungsmethoden, als Beispiel sei hier nur die DNA-Analyse angeführt. Die Bedeutung des Sachbeweises im Strafverfahren ist somit kontinuierlich gestiegen und hat heute einen Stellenwert erreicht, der sicherlich dem Personalbeweis ebenbürtig ist. Hierbei darf nicht vergessen werden, dass eine Interpretation der aufgefundenen Spuren vielfach erst anhand von Zeugenaussagen möglich ist. Aber aufgefundene und professionell gesicherte Spuren gestatten heute vielfach eine sehr weitgehende Möglichkeit, Zeugenaussagen oder Aussagen des Beschuldigten oder des Angeklagten auf ihre Glaubwürdigkeit hin abzuprüfen. Vielfach werden Ermittlungshinweise auch erst dadurch erlangt, dass Fingerabdrücke oder DNA mit entsprechenden Dateien von bereits einschlägig aufgetretenen Personen abgeglichen werden.
Dieses Buch richtet sich in erster Linie an Studierende der Polizeifachhochschulen des Bundes und der Länder sowie an Beamtinnen und Beamte des Wach- und Wechseldienstes und der kriminalpolizeilichen Ermittlungspraxis und deckt dabei das notwendige Fachwissen für das Fach Kriminaltechnik ab.
Zum besseren Verständnis haben wir die verwendeten Fachbegriffe durch griffige Beispiele und aussagekräftiges Bildmaterial erläutert. Zu Dank verpflichtet sind die Autoren hier den Mitarbeitern des Kriminaltechnischen Institutes des Landeskriminalamtes NRW für ihre freundliche und geduldige Unterstützung bei der Fertigung entsprechender Bilder in den Bereichen Brandspuren und Werkzeugspuren. Vorangestellt wurde ein Leitsachverhalt. Am Ende des zweiten Bandes finden Sie eine Komplettlösung zur Aufgabenstellung. In den jeweiligen Fachkapiteln wird zur Erläuterung der einzelnen Beispiele (kursiv geschrieben) immer Bezug auf den Leitsachverhalt genommen.
Als Autoren haben wir uns am fachlichen Sprachgebrauch der „Anleitung Tatortarbeit – Spuren“ (ATOS) orientiert, die durch das Bundeskriminalamt herausgegeben wurde.
Bei den Organisations- und Ablaufstrukturen sind die Gegebenheiten in Nordrhein-Westfalen zugrunde gelegt. Diese können sich im Hinblick auf andere Bundesländer unterscheiden.
Aufgrund der stofflichen Fülle und des umfangreichen Bildmaterials haben wir uns entschieden, die Thematik in zwei Bänden darzustellen.
Frank RabeChristoph Frings
Im vorliegenden Band „Grundlagen der Kriminaltechnik I“ sind abgedruckt:
Im nachfolgenden Band „Grundlagen der Kriminaltechnik II“ sind abgedruckt:
Das Wort Polizei wird allgemein auf das griechische Wort „politeia“ zurückgeführt, womit in der Antike alle öffentlichen Angelegenheiten bezeichnet wurden, die mit der polis (der Stadt und ihrem Umland) zusammenhingen. „Cicero überträgt das griechische Wort ‚politeia‘ dann in das Lateinische ‚politia‘.“ 1
Bei der Verfolgung von Straftaten bedient sich die Polizei kriminalwissenschaftlicher Erkenntnisse. Die Kriminalwissenschaften lassen sich grundsätzlich in die juristischen und die nichtjuristischen Kriminalwissenschaften unterscheiden.
Der Bereich der nichtjuristischen Kriminalwissenschaften kann dann unterteilt werden in Kriminologie und Kriminalistik.
„Die Begriffe ‚Kriminalistik‘ und ‚Kriminologie‘ rühren von dem lateinischen Wortstamm ‚crimen‘ = das Verbrechen her.“ 2 Die Begriffsentstehung selbst wird auf den Grazer Kriminalwissenschaftler Hans Groß zurückgeführt.
„Der Begriff Kriminologie wiederum leitet sich vom lateinischen Wort ‚crimen‘ (Verbrechen) und dem griechischen Wort ‚logos‘ (Lehre) ab. Vom Wortsinn somit die Lehre vom Verbrechen.“ 3
Im Gegensatz hierzu kann die Kriminalistik kurz als die Lehre von der repressiven und der präventiven Verbrechensbekämpfung angesehen werden. Es gibt in der Literatur unterschiedliche Ansichten über die „Unterdisziplinen“ der Kriminalistik, zu denen auch die Kriminaltechnik gehört.
Im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Münster gibt es derzeit keine Sexualdelikte mit einem auffälligen Modus Operandi. Sexuelle Gewaltdelikte werden im Kriminalkommissariat 12 der Direktion Kriminalitätsbekämpfung bearbeitet.
Am 21.12.2014 geht gegen 18.30 Uhr auf der Leitstelle MORITZ der Notruf des
Herrn
Egon Müller
Münster-Hiltrup, Marktallee 15f 4
ein. In diesem Notruf berichtet er, dass versucht worden sei, eine junge Hausbewohnerin zu vergewaltigen. Er habe den Täter jedoch verscheucht.
Die erste Funkstreifenwagenbesatzung trifft gegen 18.35 Uhr am Tatort ein.
Durch die eingetroffenen Kräfte werden folgende Feststellungen getroffen:
Vor Ort hat offensichtlich ein versuchtes Sexualdelikt stattgefunden. Geschädigt ist die
Jale Peksoy
Geb. 02.11.1995/Sarkoy (Türkei)
Münster-Hiltrup, Marktallee 15f
Bankkauffrau
Das Wohn-/Geschäftshaus Marktallee 15f liegt an der Geschäftsstraße des Ortes Münster-Hiltrup. Es handelt sich hierbei um ein 5-geschossiges Wohn-/ Geschäftshaus. Das Gebäude macht einen gepflegten Gesamteindruck. Es liegt direkt an der Straße Marktallee, durch eine Hofdurchfahrt gelangt man zu Fuß oder mit dem Pkw auf einen hinter dem Haus gelegenen, gepflasterten Parkplatz (Größe für ca. 40 Pkw, Gelände ohne höhere Bepflanzung).
Sowohl von der Gebäudevorderseite als auch dem Parkplatz gelangt man in den Hausflur. In der Zeit von 7 – 19 Uhr ist die Haustüre nicht verschlossen. Das Ladenlokal im Erdgeschoss verfügt über einen separaten Eingang.
In dem Gebäude befinden sich in jeder Etage insgesamt zwei Wohnungen. Die Wohnung der Geschädigten und ihrer Eltern liegt in der obersten Etage. Im Treppenhaus der jeweiligen Etage befinden sich die Sicherungskästen für die Stromversorgung. Diese sind in Stahlblechausführung gefertigt und mittels eines kleinen Rundzylinderschlosses gesichert. Die Wohnungseingangstüren sind Standardware mit Türspion und Sicherheitsbeschlägen.
Bei der Wohnung der Geschädigten und ihrer Eltern handelt es sich um eine ca. 90 qm große Vierzimmerwohnung mit Küche, Diele, Bad und separatem WC.
Die Geschädigte gibt in einer ersten Befragung gegenüber der Streifenwagenbesatzung an, dass sie gegen 18.20 Uhr plötzlich bemerkt habe, wie in der Wohnung das Licht ausgegangen sei. Zu diesem Zeitpunkt habe sie sich in ihrem Zimmer aufgehalten. Sie habe dann zunächst probiert, ob eventuell nur die Lampe defekt sei. Da in der Wohnung aber kein Licht mehr funktioniere, habe sie die Wohnungstüre geöffnet, um nach den Sicherungen zu schauen. Im Hausflur habe zu dieser Zeit kein Licht gebrannt.
Urplötzlich habe sie dann ein dunkel gekleideter Mann gepackt und in die Wohnung zurückgedrückt. Das Gesicht habe sie nicht erkennen können, da er mit einer schwarzen Skimaske mit Gesichtsausschnitt maskiert gewesen sei. Der Mann habe ihr dann ein Messer vors Gesicht gehalten und sie mit der anderen Hand vorne am Hals gepackt und ihr die Luft abgedrückt, sodass sie nicht schreien konnte. Er habe sie dann mit vorgehaltenem Messer in das erste Zimmer hinter der Wohnungstüre geschoben. Dies sei eigentlich das Zimmer ihres 11-jährigen Bruders.
Dort habe er sie auf die Jugendliege gedrückt und im gebrochenen Deutsch gefordert: „Ich will jetzt Sex mit dir, wenn du weiterleben willst, hältst du die Klappe!“ Anschließend habe er ihr den Rock hochgeschoben und den Slip heruntergerissen.
Bevor der Täter die Hand von ihrem Hals genommen habe, habe er gedroht: „Ich nehme jetzt die Hand von deinem Hals, wenn du schreist, bist du tot.“ Danach habe der Täter die Hand von ihrem Hals genommen. Im Wohnungsflur habe sie dann einen Lichtschein bemerkt. Sie habe im Treppenhaus gehört, dass ihr Nachbar, Herr Müller, aus seiner Wohnung ins Treppenhaus getreten sei. Sie habe die Chance genutzt, laut um Hilfe geschrien und mit den beschuhten Füßen nach dem Täter getreten. Daraufhin habe der Täter die Flucht ergriffen.
Bei einer ersten Inaugenscheinnahme des Tatortes, durch die Beamten des Streifendienstes, wird auf dem Fußboden des Tatzimmers ein sog. Ausbeinmesser (Küchenmesser mit ca. 15 cm langer Klinge/Standardware) gefunden. An dem Messer sind Blutanhaftungen feststellbar, obwohl die Geschädigte keine blutende Verletzung davongetragen hat. Vor der Jugendliege wird weiterhin ein Damenslip gefunden, der am rechten Beinausschnitt eingerissen ist. Weiter liegt vor der Jugendliege ein Päckchen original verpackter Präservative, die offenbar nicht der Geschädigten oder ihrem Bruder gehören. Erkennbar ist der Preisaufkleber der Kanal-Apotheke. Diese befindet sich ca. 500 m vom Tatort entfernt. Unter der Jugendliege findet sich ein schwarzes Smartphone der Marke HTC. Das Handy befindet sich offenbar im eingeschalteten Zustand. Die Geschädigte gibt an, dass es sich weder um ihr Handy, noch um das ihres Bruders handelt.
Am Hals der Geschädigten ist im Kehlkopfbereich eine deutliche, ca. 10 x 15 cm große, ovale, ausgeprägte Hautrötung mit Unterblutungen erkennbar.
Die Blechtüre des Sicherungskastens für die Tatwohnung steht offen. Sowohl an der Seitenwand des Sicherungskastens als auch an dessen Blechtüre befinden sich mehrere, ca. 10 mm breite, Hebelmarken eines flachen Werkzeuges. Zur Zeit befindet sich die Geschädigte in der Wohnung des Zeugen Müller. Die Wohnung selbst und mögliche Spuren am Sicherungskasten werden durch eine Streifenwagenbesatzung abgesichert. Die Geschädigte war zum Tatzeitpunkt alleine in der Wohnung, ihre Eltern und ihr 11-jähriger Bruder waren für drei Wochen in die Türkei gereist.
Die Arbeitsstelle der Geschädigten befindet sich im Gebäude Marktallee 115 (Entfernung zur Wohnung ca. 1.000 m).
Im Rahmen der weiteren Ermittlungen kann durch das Kriminalkommissariat 12 der bereits wegen bewaffneten Raubes auf Tankstellen und wegen sexueller Nötigung in Erscheinung getretene
Horst Seemann
* 01.02.1961/Meerstadt
A-Stadt, Weseler Straße 363a
ermittelt werden.
Im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung wird bei dem Beschuldigten keine Tatbekleidung gefunden. In der oberen Schublade der Flurkommode kann durch die Durchsuchungskräfte eine halbautomatische Selbstladepistole
Walther PPK, Kaliber 7,65 mm,
Waffennummer 675 876
aufgefunden werden. Das Magazin der Waffe ist mit sieben Schuss gefüllt. Eine entsprechende Erlaubnis zum Besitz der Waffe hat Seemann nicht, daher werden die Schusswaffe und die Munition durch die Beamten beschlagnahmt.
Weiter werden in der Schublade eine schwarze Skimaske, mehrere Schraubendreher von unterschiedlicher Breite und eine Polygripzange gefunden.
„Spuren im kriminaltechnischen Sinn sind sichtbare oder latente materielle Veränderungen, die im Zusammenhang mit einem kriminalistisch relevanten Ereignis entstanden sind und zu dessen Aufklärung beitragen können.“ 5
Am Tatort einer Straftat werden oft eine Vielzahl von materiellen Veränderungen (= Spuren) festgestellt, wobei noch nicht klar ist, ob diese einen Bezug zu der zu untersuchenden Straftat haben. In welchem Umfang konkret Spuren am Tatort festgestellt werden, hängt stark von der begangenen Straftat ab, so sind z.B. Tötungsdelikte grundsätzlich mit einem hohen Spurenaufkommen am Tatort verbunden, andere Straftaten wiederum nicht.
Im Rahmen der polizeilichen Tatortarbeit ist häufig noch nicht differenzierbar, ob Spuren einen Bezug zu der untersuchten Tat haben oder nicht. Daher sind zunächst einmal sämtliche Spuren zu sichern. Nicht unmittelbar nach dem Tatgeschehen gesicherte Spuren sind oft unwiederbringlich verloren. Die Differenzierung in echte Spuren, Trugspuren und fingierte Spuren ist dann später Aufgabe der kriminalpolizeilichen Sachbearbeitung.
Eine Trugspur ist eine „materielle Veränderung, die vor oder nach der Tat von Tatbeteiligten, von unbeteiligten Dritten oder durch Natureinflüsse verursacht wurde und zu falschen Schlussfolgerungen über ein kriminalistisch relevantes Ereignis führen kann, wenn sie als Tatspur, Täterspur oder Tatortspur fehlgedeutet wird“ 6. Die Spurenverursachung erfolgte also in Abgrenzung zur fingierten Spur unbeabsichtigt. Eine fingierte Spur ist eine „durch den Täter absichtlich verursachte materielle Veränderung [...], um ein nicht stattgefundenes Ergebnis (Vortäuschung) oder ein anderes als das tatsächliche Geschehen (Verschleierung) zu simulieren“ 7. Beispielsweise werden durch einen Tatbeteiligten an einer Bushaltestelle zwei Zigarettenkippen aufgesammelt und später bewusst zur Irreführung der Polizei am Tatort zurückgelassen. Genauso könnten gezielte Veränderungen durch das Tatopfer vorgenommen werden, um beispielsweise das eigene Verhalten besser oder das Tatgeschehen glaubwürdiger darzustellen (so z.B. nachträgliches Ausweiten der Beschädigungen an der Bekleidung eines Vergewaltigungsopfers).
Eine systematische Differenzierung lässt sich wie folgt darstellen:
Im Leitsachverhalt könnte eine Vielzahl von Schuhabdruckspuren im Treppenhaus des Mehrfamilienhauses vorhanden sein, unter diesen dürften sich auch die Schuhabdruckspuren des bislang unbekannten Täters befinden. Weiter könnte im Treppenhaus ein benutztes Tempotaschentuch, im Rahmen der Tatortaufnahme, gefunden werden. Während der Tatortaufnahme durch die Kräfte der Kriminalwache ist aber zunächst unklar, welche Spuren tatrelevant und welche Spuren nicht tatrelevant sind. Eine bloße Beschränkung der Spurensicherung auf zweifelsfrei tatrelevante Spuren würde hier zu kurz greifen, denn nicht unmittelbar gesicherte Spuren wären nach der nächsten Reinigung des Treppenhauses unwiederbringlich verloren.
Befinden sich mehrere unterschiedliche Spuren an einem Spurenträger, so wird von einem Spurenkomplex gesprochen.
Einen solchen Spurenkomplex stellt das am Tatort verbliebene Messer des Täters dar. Obwohl die Geschädigte keine blutende Verletzung erlitten hat, sind an dem Griff des Messers Blutanhaftungen erkennbar. Aus dem Sachverhalt geht nicht hervor, ob es sich um frische Blutanhaftungen handelt. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich hierbei um Blutanhaftungen des Tatverdächtigen handeln könnte. Weiter sind an dem Messer Fingerspuren zu erwarten.
„Spurenverursacher sind alle Subjekte und Objekte (Mensch, Tier, Gegenstand) sowie die Umwelt, die kriminalistisch verwertbare Veränderungen bewirkt haben. Spurenträger sind in der Regel Subjekte und Objekte, an denen sich eine Spur befindet.“ 8
Als Spurenverursacher kommen also nicht nur der Täter als „Produzent“ tatrelevanter Spuren, sondern auch andere Personen als Verursacher von Trugspuren in Betracht.
Der bislang unbekannte Täter hat am Tatort u.a. die Tatwaffe und offenbar ein Päckchen Präservative zurückgelassen. An dem Messer und der Verpackung der Präservative dürften sich Fingerspuren des Täters befinden, an dem Messer u.U. auch Blut des Täters. Durch den vermutlich engen körperlichen Kontakt zum Opfer dürfte es zu einer Faserspurenübertragung von der Täterbekleidung auf die Opferbekleidung gekommen sein. Bezüglich dieser Spuren ist der bislang unbekannte Täter als Spurenverursacher anzusehen.
Das Messer ist hier als Spurenträger von Fingerspuren und einer Blutspur anzusehen. Das Opfer ist hier gleichfalls als Träger tatrelevanter Spuren anzusehen, so u.a. von Faserspuren und grifftypischer Verletzungsspuren im Halsbereich.
Da sich am Griff der Tatwaffe eine Blutanhaftung befindet, das Opfer jedoch keine blutende Verletzung erlitten hat, könnte sich der Täter bei der Tatausführung verletzt haben. Durch den vermutlich engen Kontakt zum Tatopfer dürfte eine Faserspurenübertragung von der Opferbekleidung auf die Täterbekleidung erfolgt sein. In diesen Punkten ist der Täter als Spurenträger anzusehen.
„Spuren können nach ihrer jeweiligen Bedeutung unterschieden werden in folgende Spurenarten:
– Gegenstandsspuren,
– Materialspuren,
– Situationsspuren,
– Formspuren.“ 9
Digitale Aufzeichnungen werden von den o.a. Spurenarten nicht erfasst. sie sind als eine weitere Spurenart zu klassifizieren.
„Formspuren können erscheinen als
– Abdrücke,
– Eindrücke,
– Passspuren
sowie Gleitriefen, Schnitte, Brüche oder Risse und Formspuren besonderer Art.“ 10
Eine systematische Darstellung dieser Differenzierung könnte wie folgt aussehen:
Die räumliche Lage von Spuren oder Gegenständen am Tatort wird als Situationsspur bezeichnet.
Situationsspuren gestatten u.a. Rückschlüsse auf die Entstehung der Spur und das Tatgeschehen. So gesehen stellt die Lage eines Gegenstandes oder die Position einer jeden am Tatort gefundenen Spur zugleich eine Situationsspur da.
Die Lage des am Tatort gefundenen Messers stellt zunächst eine Situationsspur dar. Aus der Lage des Messers in Kombination mit der Zeugenaussage der Geschädigten können Rückschlüsse auf das Tatgeschehen gezogen werden. Anhand der Spurenlage kann die Glaubwürdigkeit der Zeugenaussage der Geschädigten überprüft werden.
Gegenstandsspuren sind am Tatort aufgefundene beweiserhebliche Gegenstände.
Je nach Verbreitungsgrad des Gegenstandes kann eine Herkunftsermittlung oder Verkaufswegfeststellung durchgeführt werden bzw. der Eigentümer des Gegenstandes ermittelt werden.
Das am Tatort aufgefundene Messer ist als Gegenstandsspur anzusehen. Auf der Klinge des Messers sind sowohl der Herstellungsort als auch der Name der Herstellungsfirma vermerkt. Je nach individuellem Verbreitungsgrad des Messers ist eine Verkaufswegfeststellung oder Herkunftsermittlung möglich. Hier wäre eine Anfrage beim Hersteller des Gegenstandes möglich. Weiter käme die Veröffentlichung eines Bildes der Tatwaffe in der örtlichen Tagespresse in Betracht.
„Materialspuren sind Substanzen (fest, flüssig oder gasförmig), deren stoffliche Eigenschaften und Zusammensetzungen kriminalistische Schlüsse zulassen. Materialspuren sind insbesondere
– Schussspuren,
– Glas-, Lack-, Metall- und Kunststoffspuren,
– körperzellenhaltige Spuren,
– Haare,
– Boden-, Schmutz- und Pflanzenspuren sowie mikrobiologische Spuren,
– textile Spuren,
– toxikologische Spuren,
– Mineralölprodukte.“ 11
Die an dem Messer befindlichen Blutanhaftungen sind als Materialspuren anzusehen, es handelt sich hierbei um eine Substanzübertragung, die kriminalistische Schlüsse zulässt. Die Blutanhaftung kann, was ihre äußere Form betrifft, auch noch als Formspur besonderer Art angesehen werden. Die Form der Blutspur gestattet je nach ihrer Ausgestaltung einen Rückschluss auf die Art und Weise der Spurenentstehung bzw. der Übertragung auf den Spurenträger. Die Blutspur am Messer stellt hinsichtlich ihrer Lage und Ausgestaltung letztendlich wiederum auch eine Situationsspur dar.
„Formspuren sind die durch Einwirkung eines Spurenverursachers entstandenen Formveränderungen an einem Objekt. Aus der formmäßigen Beschaffenheit der Spur sind kriminalistische Schlüsse zu ziehen.“ 12
AbdruckspurEindruckspur.