Merline Lovelace, Catherine Archer, Margaret Moore
HISTORICAL PLATIN BAND 10
IMPRESSUM
HISTORICAL PLATIN erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: kundenservice@cora.de |
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Redaktionsleitung: | Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.) |
Produktion: | Jennifer Galka |
Grafik: | Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto) |
Zweite Neuauflage by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg,
in der Reihe: HISTORICAL PLATIN, Band 10 – 2016
© 1996 by Merline Lovelace
Originaltitel: „Lady Of The Upper Kingdom“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Dr. Barbara Röhl
© 1996 by Catherine J. Archibald
Originaltitel: „Velvet Touch“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Deborah Hof-Klatt
© 2003 by Margaret Wilkins
Originaltitel: „In The King’s Service“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Günes Kale
Abbildungen: Aleksandar Jovkovic / 123RF, Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 07/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733762698
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Zuerst sah er die junge Frau.
Sie lief am Fuß der rötlich braunen Klippen entlang, die die Grenze zur Wüste bildeten, flink wie ein Ibis und ebenso anmutig. Der Wind presste ihr die kurze Tunika eng an den Körper und bot seinem Blick jede Linie und jede weibliche Rundung dar.
Philip hob die Hand, um den Kavallerietruppen Halt zu gebieten, die in disziplinierten Reihen hinter ihm hermarschierten, damit ihre Reittiere für den Kampf geschont wurden. Begehren stieg heiß in ihm auf, als er das Mädchen betrachtete. Nach einer Woche in diesem Land am Nil fühlte er sich immer wieder aufs Neue erregt von der Art der Frauen, sich zu kleiden. Schließlich war er auch nur ein Mann.
Die edlen Damen, die in ihren halbdurchsichtigen Leinengewändern mit ihren Gatten aus den Häusern getreten waren, um Alexanders Heere zu grüßen, hatten die Blicke der Mazedonier ebenso angezogen wie die barbusigen Sklavenmädchen. Ein solch faszinierender Anblick konnte seine erregende Wirkung auf Männer nicht verfehlen. Sie waren an Frauen gewöhnt, die sich in mehrere Lagen dicker Gewänder hüllten und sich hinter hohen Mauern verbargen. Aber keines jener exotischen Wesen hatte in Philip je so heftige Empfindungen wachgerufen wie jetzt dieses halbnackte Mädchen.
Beim Herakles, sie war ein geschmeidiges kleines Ding. Selbst aus dieser Entfernung sah er ihre festen Brüste, die lange Linie ihres Halses, die schlanken Beine. Nachtschwarzes Haar flatterte hinter ihr her, während sie über den harten Wüstenboden rannte.
Die Begierde, die Philip durchzuckte, als er das Mädchen betrachtete, war eine willkommene Abwechslung von dem bohrenden Schmerz, den er seit Issus an seiner Schulter spürte. Bei dieser Schlacht hatte ein persisches Schwert seine Rüstung durchschlagen, was ihm beinahe den Arm gekostet hätte. Statt dieses inzwischen vertrauten Schmerzes empfand er nun tief in seinem Körper eine wilde Lust, die ihn zu überwältigen drohte. Ich bin zu lange unterwegs gewesen, dachte er ironisch. Zu viele Tage, ohne dass er Befriedigung bei einer Frau hätte finden können, sonst hätte dieser kleine Leckerbissen ihn nicht so angerührt.
Aber weshalb rennt sie so? fragte er sich. Als sie den Kopf wandte, um über die Schulter zu blicken, bekam er seine Antwort.
Der schwarzhäutige Mann neben Philip erstarrte. „Ein Caracal, Herr! Eine Wüstenkatze ist hinter ihr her!“
„Ich sehe es.“
Philip kannte diese gefährlichen Raubtiere gut. Nur halb so groß wie Löwen, waren sie dennoch doppelt so gefährlich. Für gewöhnlich stellten sie Kleintieren nach, doch sie konnten einen Menschen zur Strecke bringen, wenn sie genügend gereizt wurden oder hungrig waren. Eines von dieser Größe konnte dem Mädchen leicht in den Rücken springen und ihm die Kehle durchbeißen.
Gewandt packte Philip die Mähne seines Pferdes und schwang sich auf dessen Rücken. Er riss seinem Waffenträger den Speer aus der Hand und trieb den Hengst zum Galopp.
Beim plötzlichen Hufgedonner des Hengstes fuhr der Kopf des Mädchens herum. Die abrupte Bewegung brachte sie aus dem Gleichgewicht. In dem verzweifelten Versuch, wieder in Tritt zu kommen, stolperte sie ein paar Schritte weiter, dann fiel sie über ihre eigenen Füße und stürzte mit dem Gesicht zu Boden.
Philip fluchte heftig und trieb sein Reittier zu noch schnellerem Galopp an. Schreiend und seinen Speer schwenkend, um die Raubkatze abzulenken, schloss er zu ihr auf. Das Tier erkannte sofort, dass es vom Jäger zum Gejagten geworden war. Es wirbelte auf einer Tatze herum, drehte von dem Mädchen ab und jagte auf die Klippen zu.
Philip donnerte an dem am Boden liegenden Opfer vorbei. Obwohl er die Zügel nur mit einer Hand hielt, reagierte der Hengst und verfolgte das fliehende Tier bald in diese, bald in jene Richtung. Unter Missachtung des heftigen Schmerzes in seiner Schulter nahm Philip den Arm zurück und wartete auf den Augenblick, in dem die Wildkatze sich mitten im Sprung befinden und am verwundbarsten sein würde. Seine Muskeln spannten sich vor dem Wurf an.
In dem Moment, als er seinen Speer vorwärts bewegte, erhaschte er einen Blick auf etwas, das aussah wie ein Kragen, der um den Hals der Katze lag. Einen Herzschlag lang, bevor er sein tödliches Wurfgeschoss losgelassen hätte, gebot er der Bewegung seines Arms Einhalt. In dem grellen Sonnenlicht und dem wirbelnden Sand kniff er die Augen zusammen und blickte blinzelnd auf das breite Band, das halb verborgen zwischen Falten goldbraunen Fells lag. Beim Barte des Zeus, es war tatsächlich ein Halsband! Breit, aus Leder, besetzt mit blauem Lapislazuli und schimmerndem Türkis. Und das andere da sah aus wie ein Goldring, den man durch eines der mit schwarzen Fellbüscheln besetzten Ohren gezogen hatte.
Ich war im Begriff, das Haustier irgendeines ägyptischen Edlen zu erlegen, dachte Philip angewidert. Alexanders Armee folgte ihm zu Lande und zu Wasser den Nil hinauf, und er jagte durch eine windgepeitschte Wüste, um eine juwelenbehängte Katze aufzuspießen.
Dass jemand sich so eine Kreatur als Haustier hielt, erstaunte ihn nicht. Als Alexander bei Issus den persischen König schlug, hatte er bei dem erbeuteten Tross eine ganze Menagerie exotischer Tiere mit juwelenbesetzten Halsbändern und Leinen vorgefunden, von denen einige handzahm waren und andere nicht. Eine kleine Armee von Sklaven kümmerte sich um die Bedürfnisse der Tiere und versorgte sie mit Futter. Wenn man die Katze gelehrt hatte, für seinen Herrn zu jagen, würde sie sicherlich einem nützlichen Zweck dienen.
Blitzartig kam es Philip zu Bewusstsein, dass das Mädchen vielleicht eine Sklavin war, die man in die Wüste hinausgejagt hatte, um die Katze mit einer Beute zu versorgen, die sie schlagen konnte. Solche Praktiken waren selbst in seinem eigenen Land nicht unbekannt, und auch nicht in den Ländern, durch die Alexanders Heere gezogen waren, seit sie vor zwei Jahren Mazedonien verlassen hatten.
Philip biss die Zähne zusammen. Er würde nicht zulassen, dass Klauen die zarte Haut des Mädchens aufrissen oder Fänge sich in diesen geschmeidigen jungen Leib schlugen. Er konnte sich einen weit besseren Nutzen dafür vorstellen. Mit der Überheblichkeit eines Mannes, der ein Eliteschwadron eines bisher ungeschlagenen Heeres kommandierte, beschloss er augenblicklich, dass er selbst das Mädchen bekommen würde. Und auch diese mit einem Ohrring geschmückte Katze.
Er behielt den Speer im Anschlag, änderte aber seine Taktik. Statt sich für einen direkten Wurf auf das Tier in Position zu bringen, begann er, es vor sich herzutreiben. Wie ein Hund, der in den hochgelegenen Hügeln seines heimatlichen Mazedonien eine Schafherde hütete, lenkte er sein Pferd bald hierhin, bald dorthin und drängte das Tier auf die steil aufragenden roten Klippen zu. Auf der Suche nach einem Ausweg jagte die Kreatur auf einen engen Felsspalt zu. Innerhalb von Sekunden saß sie in einem langen Sandsteinspalt in der Falle.
Während Philip sich vom Rücken seines Reittiers schwang, sprang das in die Enge getriebene Tier die senkrechten Wände an und schlug die Klauen hinein. Als es keinen Halt fand, wirbelte es herum. Mit entblößten Fängen stieß es ein furchtbares, anschwellendes Knurren hervor, auf das zur Antwort ein Grollen tief aus Philips Kehle aufstieg.
Eine Weile standen sie einander gegenüber, Mensch und Tier. Der Bauch der Katze strich über den Boden, als sie sich wachsam niederkauerte. Sie legte die Ohren an. Ihr Schwanz zischte einmal, zweimal hin und her und schlug jedes Mal mit einem dumpfen Geräusch auf die Erde.
Philip wollte das Tier lieber lebend fangen, und er würde es tun, wenn seine Männer rechtzeitig mit den Netzen eintrafen. Falls nicht, wäre dies nicht die erste Katze, die er mit dem Speer erlegte. Die Löwenjagd war in Mazedonien ein beliebter Zeitvertreib.
„Nein!“
Der Wind, der durch die Felsspalten heulte, trug den schrillen Schrei des Mädchens beinahe davon, aber Philip hörte deutlich das Geräusch ihrer nackten Füße auf dem harten Boden, als sie auf ihn zugerannt kam. Als die Katze das Mädchen näher kommen hörte, grub sie die Klauen in die von der Sonne hart gebrannte Erde, senkte ihre Hinterläufe noch tiefer und setzte zum Sprung an.
Philip umfasste seinen Speer fester.
Das Mädchen schrie noch einmal. Das Tier antwortete mit einem Fauchen und zog seine Lefzen in grotesker Weise zurück. Während es abzuwägen schien, welchen Menschen es zuerst angreifen sollte, bewegten sich seine schmalen Augen rasch hin und her.
„Bleib zurück!“, befahl Philip und streckte den linken Arm aus, um den überhasteten, tollkühnen Ansturm des Mädchens aufzuhalten.
Zu seiner Verblüffung tauchte es unter seinem Arm hindurch und hastete auf den Felsspalt zu. Sie nestelte an dem Gürtel, den sie um die Hüften geknotet trug, und zog einen kleinen verzierten Dolch hervor. Als sie herumfuhr, blitzten ihn ihre Augen warnend an. Ihre Brüste hoben und senkten sich unter der hauchdünnen Tunika. Der Anblick ihrer dunklen Brustspitzen, die sich unter dem zarten Gewebe deutlich abzeichneten, hätte Philip in höchstem Maße erfreut, wäre da nicht die Kreatur hinter ihr gewesen, die drauf und dran war, die Klauen in ihr üppiges Fleisch zu schlagen.
Sie schrie etwas in ihrer Muttersprache und warf einen Arm um das Tier.
Nein, dachte Philip. Sie ist dem Tier nicht als Beute bestimmt. Entweder wollte sie selbst Anspruch darauf erheben, es zu erlegen, was angesichts des lächerlichen Dolchs, mit dem sie herumfuchtelte, unwahrscheinlich war, oder das Mädchen beabsichtigte, die Kreatur vor seinem Speer zu retten.
Nein, sie ist kein Mädchen, verbesserte sich Philip und musterte mit zusammengekniffenen Augen ihr Gesicht unter der Staubschicht. Sie hatte die Züge einer Frau, einer erwachsenen Frau von heftigem Temperament.
Wenngleich sie nicht eigentlich schön war, so fesselte sie doch den Blick eines Mannes und brachte sein Blut in Wallung. Ihr üppiger Mund war wie zum Küssen geschaffen, ihre Nase saß kurz und gerade unter diesen herrlichen, ausdrucksvollen Augen, die gesäumt waren von den dichtesten Wimpern, die Philip je gesehen hatte, selbst in diesem Land, wo die hochgeborenen Frauen unglaublich geschickt in der Anwendung von Schminke waren.
Diese hier trug wenig davon und verströmte auch keinen süßen Duft, nur den durch die Anstrengung des Laufens hervorgerufenen. Trotz des einfachen Schnitts schien ihr Leinengewand von bester Qualität zu sein, so knapp es auch war. Bei den Göttern, er konnte jede Kurve und jeden Schatten durch dieses dünne Tuch entdecken, und das, was er sah, bestätigte seine vorherige Entscheidung. Er würde sie besitzen.
Die Ägypter hatten sich beeilt, Alexanders Hauptleuten auf ihrem Eilmarsch durch das Delta des Unteren Reichs zu den rauen Wüsten und dem üppigen Flusstal des Oberen Reichs solche Frauen aufzudrängen. Überglücklich, die verhassten persischen Eroberer los zu sein, hatten sie Alexander als Befreier zugejubelt und seinen Hauptleuten unvorstellbare Geschenke als Dankesbezeugung dargeboten. Bisher hatte Philip weder Gelegenheit gehabt, ihre Schätze anzunehmen, noch die Zeit, sich eines ihrer Angebote zu erfreuen. Bis jetzt hatte er nicht zugelassen, dass Frauen, Marketenderinnen oder auch nur ein Tross die Beweglichkeit seiner Truppen beeinträchtigte, während sie Alexanders Westflanke sicherten.
Aber nun standen sie einen Tagesmarsch vor der großen Stadt Memphis, wo Alexander die Kapitulation des persischen Vize-Satrapen entgegennehmen würde. Vor den Mauern der ganz in der Nähe gelegenen Stadt Deneba würde Philip das Lager für die Nacht aufschlagen lassen. Zum ersten Mal, seit ich dieses Land am Nil betreten habe, dachte Philip, werde ich seine exotischen Früchte kosten.
Ein leises Fauchen lenkte seinen Blick von der Frau zu dem am Boden kauernden Tier. Er hob seinen Speer und sprach einen knappen Befehl.
„Geh beiseite.“
Der Befehl und die Geste, die ihn begleitete, trugen das Gewicht seiner unumstrittenen Autorität als Hauptmann einer von Alexanders Elite. Philip gebrauchte diesen Ton selten, doch wenn er es tat, erbleichten junge Soldaten, und erfahrene Veteranen überschlugen sich, um ihm zu gehorchen.
Die Frau blinzelte, aber – kaum zu glauben – sie wich nicht von der Stelle. Sie strich sich die schwarzen Haarsträhnen zurück und hob das Kinn.
Bei den Göttern, sie hatte es ebenso nötig wie das Tier, gezähmt zu werden. Eine wilde Erregung und Vorfreude durchzuckte Philip. Ein Mann mochte sich eine liebliche, sanftmütige Jungfrau zur Gattin wünschen, doch dies war die Art Frau, die ihn auf eine Weise erfreuen konnte, die im Ehebett nicht zu finden war. Jedenfalls nicht in seinem Ehebett. Das schüchterne Mädchen, das er vor einigen Jahren geheiratet und vor Kurzem zu Grabe getragen hatte, hatte selten mehr in ihm erweckt als Mitgefühl. Was diese dunkelhaarige, glutäugige Frau in ihm hervorrief, war ganz anderer Natur.
Sein Blut begann zu kochen, und er trat einen halben Schritt auf sie zu. Die Art, wie sie gebieterisch die Hand hochriss, gebot ihm ebenso Einhalt wie ihre gestammelten Worte.
„Du … du darfst nicht …“ Ihre dunklen Brauen zogen sich zusammen, als ihre Zunge mit den griechischen Worten rang. „Du darfst nicht …“
„Du sprichst die Sprache von Hellas?“, fragte Philip scharf, ohne die fauchende Katze aus dem Auge zu lassen.
„Ich … ich …“
„Rede, Frau! Sag mir, was du hier tust mit diesem Untier!“
Farah, durch ihre Geburt Sängerin des Tempels der Bast, Edle des Oberen Reichs und zukünftige Frau des Fürsten von Deneba, biss vor Wut die Zähne zusammen.
Dieser Dummkopf! Verstand er denn nicht? Am liebsten hätte sie ihn angespuckt, ihn angeschrien, seinen Speer zu senken, bevor er den Zorn Basts, der Katzengöttin, auf sich und sie selbst herabbeschwor.
Der Mann sollte verdammt sein und seine komplizierte Sprache ebenfalls. Sie hatte sie natürlich als Kind gelernt. Die meisten Ägypter taten das angesichts der großen Zahl von Hellenen, die sich im Lauf der Jahrhunderte in dem Land am Nil niedergelassen hatten. Aber in den letzten Jahren hatten Farahs Pflichten im Tempel ihre Zeit so in Anspruch genommen und ihr so wenig Kontakt mit Außenstehenden gestattet, dass sie nicht die richtigen Worte fand.
„Du darfst nicht …“ Hilflos wies sie auf die Katze und beendete den Satz zornig in ihrer eigenen Sprache.
Hinter ihr nahm die irdische Gestalt der Göttin den Aufruhr in ihrer Stimme wahr und fauchte.
Der Hellene spannte sich an, und sein Arm hob sich.
„Nein!“, schrie Farah, sie wusste nicht, an wen von beiden gewandt. Nicht, dass die Katze auf sie hören würde, wenn sie keine Lust dazu hatte, und erst recht nicht, vermutete sie, dieser Ochse von einem Krieger. Sie stand zwischen ihnen, während sie vor Wut bebte.
Sie konnte nicht glauben, dass sie erst vor einer Stunde aus dem Tempel getreten war. Niemand in den beiden Königreichen würde es wagen, der Sängerin des Tempels der Bast etwas zuleide zu tun, und auch nicht dem Tier, das die Göttin in einer ihrer vielen irdischen Manifestationen darstellte.
Niemand außer diesen Barbaren, dachte Farah zornig. Die Invasoren waren ganz plötzlich aus den Nebeln des Deltas aufgetaucht. Erst vor zwei Tagen hatten sie bei Heliopolis den Nil überschritten, und nun waren sie hier, fast vor den Toren von Deneba! Kein Wunder, dass der Hohepriester des Tempels ihre Ankunft mit einem gewissen Bangen erwartet hatte. Senmut hatte mit den Boten, die die Nachricht von der Invasion der Hellenen überbracht hatten, die Köpfe zusammengesteckt und danach Farah die Orakel nicht ein-, sondern zweimal singen lassen. Dabei war er grübelnd hin und her geschritten und hatte die dürren Hände gerungen.
Sie kämen als Befreier, hatte Senmut schließlich erklärt, diese Barbaren aus dem Norden, diese Griechen, oder besser gesagt Mazedonier. Es gab da einen Unterschied, obwohl sie nicht ganz sicher war, worin dieser bestand, und im Moment war ihr das auch gleich. Geführt wurden sie von ihrem König Alexander. Der junge Anführer trug mit seiner goldbraunen Mähne das Zeichen der löwenköpfigen Göttin Senmut. Er würde als Retter erscheinen, hatte der Priester verkündet, und das verhasste persische Joch von ihnen nehmen. Dieser Alexander würde die Unterdrücker vernichten, die das Land des Nils und seine Götter geschmäht hatten. Aber unter ihnen wohne ein starker böser Geist, eine Bedrohung, die Senmut nicht hatte benennen können, die ihm aber tiefe Sorge bereitete.
Farah vermochte jetzt, sie zu benennen! Das Verhalten des breitschultrigen, sonnengebräunten Mannes, der es wagte, seinen Speer gegen die heilige Katze von Deneba zu erheben, war schon ein klarer Hinweis auf die Absichten der Hellenen gegenüber Ägypten. Der alte Priester hatte also recht, wenn er sich sorgte und unruhig war.
Dieser Barbar war größer als alle ihresgleichen und schrecklich behaart. Farah jedenfalls war an die glatte Haut der ägyptischen Männer gewöhnt. Die gebräunte Haut an seinen Armen war wie bestäubt mit schimmerndem rötlichem Flaum. Seine Schenkel schienen stark und kräftig und wiesen über dem Rand seiner hohen Stiefel das gleiche gekräuselte Haar auf. In seinem wehenden purpurfarbenen Umhang und seinem Lederharnisch, der mit Plättchen aus gehämmertem Metall besetzt war, wirkte er wie eine riesige geschuppte Kreatur. Er hatte sie halb wahnsinnig vor Angst gemacht, als er so auf sie zugestürmt war, wobei die Rüstung in der Sonne geblitzt und sie, Farah, beinahe geblendet hatte. Kein Wunder, dass ich über meine eigenen Füße gefallen bin, dachte sie bitter.
„Rede, Frau! Wer bist du? Was tust du hier?“ Farah straffte die Schultern. Sie war es nicht gewöhnt, dass man in einem solchen Ton mit ihr sprach.
„Ich bin Farah“, begann sie. „Ich … ich bin …“
Ihre Worte gingen unter in einem plötzlichen Geklirr von Pferdegeschirren und dem Donnern von Hufen. Das Herz schlug ihr bis zum Halse, als sie sah, wie eine berittene Truppe die Klippen umrundete. Als sie den hoch gewachsenen Krieger bemerkten, rissen sie ihre Pferde herum und kamen auf ihn zu.
Farah wusste, dass keine Zeit mehr zum Reden war. Ihre Gegenwart hatte vielleicht die Katze bis zu diesem Augenblick zurückgehalten, doch angesichts dieser neuen Gefahr würde sie ihr keinen Einhalt gebieten können. In dem Wissen, dass ihr Schützling jeden Moment versuchen würde, mit einem Sprung in die Freiheit zu gelangen, warf sie sich auf den Mann, der vor ihr stand. Sie musste seinen Speer in eine andere Richtung lenken, damit er nicht Basts Schatten verletzte.
Philip war auf ihren Angriff vorbereitet. Er hatte Furcht in ihren Augen aufblitzen sehen, als sie die Geräusche wahrgenommen hatte, die das Kommen seiner Truppe ankündigten, und das plötzliche Anspannen ihres Körpers bemerkt. Worauf er nicht vorbereitet war, war der Schrei des Tiers, als es sprang. Der Laut hallte von den Wänden der Klippen wider und ließ Philip blitzartig in Aktion treten. Mit Leichtigkeit wich er dem Dolch aus, mit dem Farah nach ihm stieß, und zog sie mit sich zu Boden.
Er hatte daran gedacht, sie mit seinem gepanzerten Körper abzuschirmen, aber als die Katze über sie beide hinweg sprang, landete er auf ihr. Wie der Stoß von einem Speer durchzuckte der Schmerz seine Schulter, doch er wusste, sein Unbehagen war gering im Vergleich zu dem, was die Frau zu erleiden hatte. Sie stöhnte auf, als sie sein Gewicht auf sich spürte. Dann stieß sie einen Schrei aus, der beinahe unterging in dem Getöse aus Rufen und dem Stampfen der Pferde hinter ihm.
Philip rollte sich zur Seite und sprang mit einer Behändigkeit auf die Füße, die bei seiner Größe und dem Gewicht seines Harnischs erstaunlich war. Er konnte nur hoffen, dass er nicht jeden Knochen ihres zarten Körpers gebrochen hatte. Er wirbelte herum und hielt sich zwischen der Frau und der fauchenden Katze, die nun von allen Seiten durch einen Kreis von Reitern eingeschlossen war. Ein Dutzend langer Speere war erhoben, bereit, ihr ins Herz zu stoßen.
„Tötet es nicht!“, rief er über den Höllenlärm hinweg. „Ich will es lebendig! Nehmt die Netze.“
Als habe er nur auf einen solchen Befehl gewartet, bahnte der Nubier sich einen Weg durch die Menge. Der Söldner sprach Griechisch und Ägyptisch so fließend wie seine eigene Sprache und hatte Philips Kolonne geführt, seit sie vor drei Tagen Pelusium verlassen hatten und in die sumpfigen Marschen des Deltas eingedrungen waren. Durch sein bemerkenswertes Geschick mit dem schweren Jagdnetz hatte er etliche Stück Wassergeflügel und manches schilfbewohnende Tier für die Kochtöpfe erbeutet.
Seine geschmeidigen Muskeln spannten sich, als er wieder einmal das Netz durch die Luft segeln ließ. Es senkte sich wie eine graue Wolke über die Katze, und das Geheul des Tiers schwoll zu einem ohrenbetäubenden Kreischen an. Es warf sich herum, hieb mit den Tatzen und schrie seinen Unmut in den Himmel hinauf, doch es verfing sich nur immer fester in dem Hanfgewebe.
„Wir haben es, Herr“, sagte der Nubier, und Zufriedenheit schwang in seiner tiefen, klangvollen Stimme mit.
Philip, der schützend neben der Frau gestanden hatte, richtete sich auf und fasste seinen Speer lockerer.
„Ein guter Wurf, Sombassa.“
„Die Götter Äthiopiens führen meinen Arm“, erwiderte der dunkle Riese – wie immer nach einem zielsicheren Wurf mit seinem schweren Netz oder seinem Speer. „Die Götter in ihrer Gnade haben mir diese Beute gewährt.“
Er hielt inne, und seine Augen leuchteten, als er die ausgestreckte Gestalt hinter Philip erblickte. „Es scheint, du hast ebenfalls Beute gemacht, Herr.“
„Das habe ich. Ich hoffe nur, sie hat es überlebt.“
Philip wandte sich um, beugte ein Knie und rollte die schlaffe Gestalt herum.
Jetzt war unverkennbar, dass sie eine erwachsene Frau war. In tiefer Bewusstlosigkeit streckte sie ihre zarten Glieder von sich und zeigte reifere Kurven und sanftere Linien als zuvor, wo sie an den Klippen entlanggerannt war. Ihre Leinentunika war feucht vom Schweiß und schmiegte sich eng an jeden Hügel und jedes Tal ihres Körpers. Im Fallen war ihr Gewand herabgeglitten und hatte eine Brust entblößt. Der milchweiße Hügel war gekrönt von einer Spitze von der Farbe der Erde mit einem Grübchen darin.
Philip nahm seinen Helm ab und warf ihn beiseite. Mit erfahrenem Blick nahm er sie von Kopf bis Fuß in Augenschein und suchte nach gebrochenen oder vorstehenden Knochen. Als er keine sichtbaren Anzeichen für eine Verletzung fand, ließ er vorsichtig die Hand über ihre Rippen gleiten. Sie hoben und senkten sich so unter seiner Handfläche, als hätten ihre Lungen die Luft, die er mit seinem Gewicht herausgepresst hatte, noch nicht wieder eingesogen, aber er spürte keine gebrochenen Knochen.
Stirnrunzelnd untersuchte Philip das rote Mal, das an ihrer Schläfe leuchtete. Als sie zu Boden gegangen war, musste sie mit dem Kopf auf die harte Erde aufgeschlagen sein. Er strich ihr die seidigen schwarzen Strähnen aus der Stirn und ließ seinen Daumen über die böse Schwellung gleiten. Wenn sie aufwachte, würde sie schlimme Kopfschmerzen haben.
Philip war augenblicklich klar, dass er sie mitnehmen würde. Selbst wenn er sie nicht begehrt hätte, hätte er sie nicht bewusstlos in der gleißenden, unbarmherzigen Sonne liegen lassen können. Er würde einige Läufer aussenden, um herauszufinden, wessen Eigentum sie und die Katze waren. Nein, gewesen waren. Denn jetzt gehörten die beiden ihm bereits. Doch um den Frieden zu wahren, würde er eine angemessene Summe für beide anbieten, sobald er herausfand, wer ihr Besitzer war.
Doch jetzt musste er eilig weiterziehen, um Deneba zu sichern, und zwar schnell. Die Stadt lag zu beiden Seiten der Straße nach Memphis, wo Alexander morgen einziehen wollte. Philip rechnete nicht damit, dass Deneba den vorrückenden Heeren mehr Widerstand entgegensetzen würde als die anderen Städte, die sich Alexander auf seinem Vormarsch nilaufwärts freudig ergeben hatten, aber er war ein zu erfahrener Hauptmann, um ein Risiko einzugehen.
Er beugte sich nieder und hob die Frau auf. Schlaff hing sie in seinen Armen, leichter als ein mazedonisches Kind und doch schwer, wie es nur die Bewusstlosen sein können. Da seine Kolonne keine Gepäckkarren mitführte, hatte er die Wahl, sie über den Rücken eines Pferdes zu werfen oder …
„Ajax!“
Ein großer, goldblonder Bursche trat aus der wild durcheinander laufenden Truppe heraus. „Ja, Herr?“
„Nimm diese Frau und trage sie vorsichtig.“
Sein Waffenträger blickte ein wenig verwirrt drein, als ihm eine solche Last übergeben wurde, doch er war jung und stark, und er konnte die Frau transportieren, ohne sie über Gebühr durchzuschütteln.
Behutsam zog Ajax sie in seine Arme und versuchte, ihren halbnackten Körper nicht zu offensichtlich anzustarren. „Was soll ich mit ihr tun, wenn sie aufwacht?“
„Wenn sie erwacht, bevor wir kampieren, setz sie auf dein Pferd. Wenn nicht, bring sie in mein Zelt, und ich kümmere mich später um sie.“
Auf ein paar schnelle Worte hin machten Sklaven sich daran, lange, stabile Speere durch das Netz zu bugsieren, das die Katze festhielt. Sie hielten sich wohlweislich außer Reichweite ihrer Krallen und hoben das sich windende Tier.
Philip war mit seinen unerwarteten Beutestücken zufrieden und setzte sich an die Spitze der Kolonne.
Er würde die Stadt sichern. Danach, wenn die Ägypterin sich genügend erholt und er sie gezähmt hatte, würde er sich sein Vergnügen bei ihr holen.
Ein flotter Marsch von weniger als einer Stunde führte die mazedonische Vorhut auf eine Erhebung, von der aus man auf eine Reihe ummauerter Einfriedungen blickte. Philip und einer seiner Männer gingen zum Kamm des Hügels, um das Ziel ihres Unternehmens in Augenschein zu nehmen. Der Wind blies jetzt stärker, und die Schatten ragten wie Speere über die Felsen der Stadt. Die Brise ergriff die Ränder ihrer goldbestickten Umhänge und schlug sie zurück. Sand wirbelte auf und stach Philip in die Haut.
Lautlos wie die Nacht kam der nubische Führer heran und stellte sich neben sie. Er stand bequem, eine Hand um seinen langen Speer gelegt und die andere in die Kordel gehakt, die seinen Lendenschurz aus geflecktem Gazellenfell an seinem Platz hielt. Philip wusste, diese Hülle wurde nicht aus Schamhaftigkeit getragen. Die zahlreichen nubischen Söldner, die in Alexanders Heeren dienten, waren noch weniger geneigt, sich in Kleidung zu hüllen, als das Volk am Nil. Einen Lendenschurz trugen sie nur, um ihre Männlichkeit vor den sengenden Strahlen der Sonne zu schützen, genau wie die ägyptischen Männer eine zusätzliche Stofffalte über die Vorderseite ihrer gefältelten Leinenröcke legten.
Als er jetzt hier stand und die volle Kraft der spätnachmittäglichen Sonne im Rücken spürte, verstand Philip, warum solch zusätzlicher Schutz notwendig war. Die Hitze war allgegenwärtig. Sie drang ihm bis in die Knochen und brachte sein Blut fast zum Sieden. Zum ersten Mal gestand er zu, dass vielleicht Klugheit darin lag, wie die Frauen dieses Landes sich kleideten. In dieser zermürbenden Hitze machten ihre leichten, durchscheinenden Gewänder weit mehr Sinn als dicke Schichten aus Wollstoff. Dennoch war es schwer für einen Mann, sich der Verlockung ihrer entblößten Körper zu entziehen … besonders, wenn er so zart war wie der der Frau, die er gefangen hatte.
Sofort verbannte Philip jeden Gedanken an sie aus seinem Bewusstsein. Während des Marsches war er einmal zurückgegangen, um nach ihr zu sehen, und hatte festgestellt, dass sie noch immer schlaff und benommen war, aber langsam das Bewusstsein wiedererlangte. Er würde sich um sie kümmern, wenn seine Pflicht es zuließ. Jetzt galt seine ungeteilte Aufmerksamkeit der Stadt, die vor ihm unter der Sonne schimmerte.
„Es ist Deneba, Herr“, sagte Sombassa mit seiner tiefen Stimme.
„So ist es.“
Deneba im Oberen Reich. Zwei Tagesmärsche vom Delta des Unteren Reichs entfernt. Und einen weiteren von Memphis, wo Alexander zum König beider Reiche gekrönt werden würde.
Verglichen mit anderen Städten, die sich den Mazedoniern ergeben hatten, seit sie das Land am Nil betreten hatten, war diese weder unüberschaubar groß noch besonders Furcht einflößend. Sie lag auf halbem Weg zwischen dem grünen, blühenden Flusstal und den roten Klippen, die der Wüste Einhalt geboten. Innerhalb der Stadtmauern breiteten sich weiß getünchte Gebäude aus, die jetzt von der tief stehenden Sonne ockerfarben überhaucht wurden. Keine großen Pyramiden ragten über der Reihe flacher Dächer auf wie in Abusir. Kein Ehrfurcht gebietender Marmorobelisk reckte sich himmelwärts wie in Bubastis.
Ein Gebäude nahm Philips Interesse besonders gefangen. Es stand prächtig da, aber anscheinend planlos errichtet inmitten einer eigenen Einfriedung, eine rechteckige Halle, an die man im Lauf der Jahre wahllos hohe Säulentore angebaut hatte, zuerst an die Vorderseite und danach an die Seiten und Ecken, bis die Haupthalle damit gespickt war wie ein Igelfisch mit Stacheln.
„Das muss der Tempel sein“, sagte er.
Der Nubier schaute blinzelnd in die Ferne. „Das ist er, Herr, obwohl ich nicht weiß, welchem Gott er geweiht ist. Ich bin noch nie in den Mauern dieser Stadt gewesen.“
„Bald wirst du es sein.“
Philip wandte sich zu dem anderen Mann um, einem ergrauten Krieger, der stolz seine Narben aus vielen Schlachten trug. „Du wirst als Herold fungieren. Stell eine Schwadron auf und reite zur Stadt. Nimm den Nubier zum Übersetzen mit, falls es nötig sein sollte.“
Der ältere Krieger nickte. Wie der Rest der Truppe brachte er dem kräftig gebauten Riesen nicht wenig Ehrfurcht entgegen.
„Geh kein Risiko ein“, warnte Philip, während sie zurückgingen. „Bleib vor den Stadtmauern und lass sie zu dir kommen.“
„Das werde ich tun.“
„Die Bedingungen bleiben dieselben, die der König aufgestellt hat, als wir nach Ägypten übergesetzt sind. Alle, die sich innerhalb der Stadtmauern aufhalten, sollen ihre Waffen vor den Toren niederlegen. Der Herr der Stadt soll seine Söhne als Geiseln herausgeben. Die genaue Höhe des zu zahlenden Tributs werden wir entscheiden, sobald wir sehen, wie groß ihre Schätze sind. Sie haben bis zum Morgengrauen Zeit, diese Bedingungen zu erfüllen, sonst werden wir die Stadt schleifen.“
„Ich hoffe fast, dass sie sich weigern“, meinte der ergraute Krieger mit einem Grinsen und nahm von dem Sklaven, der ihm aufwartete, die Zügel seines Pferdes entgegen. „Ich hätte überhaupt nichts gegen ein bisschen Wirbel. Seit Gaza ist nichts mehr los gewesen, und mein Schwert wird schon stumpf vom ungewohnt langen Nichtgebrauch.“
Er ergriff die Mähne seines Hengstes und schwang sich auf dessen Rücken. Als er saß, nahm er die Lanze von seinem Diener entgegen und senkte sie grüßend vor Philip.
Er erwiderte den Gruß und trat zurück, als die Männer mit ihren purpurnen Umhängen in Zweierreihen den langen Abhang zur Stadt hinunterritten. Der riesenhafte Sombassa lief nebenher und hielt leicht Schritt mit ihnen. Philip hatte keinen Zweifel, dass es dem Oberherrn der Stadt nicht gefallen würde, wenn die Übergabebedingungen ihm von einem Krieger niedrigen Rangs übermittelt wurden. Alexander selbst verhandelte nur mit Königen, und seine Hauptleute verhandelten nur mit Kriegern, die sie auf dem Schlachtfeld ehrenvoll geschlagen hatten.
Obwohl er mit einer weiteren bereitwilligen Kapitulation rechnete, ging Philip kein Risiko ein. Er schickte Schwadronen aus, um jedes Kommen und Gehen durch die Seitentore der Stadt zu verhindern. Erst, als die Wachen an ihrem Platz standen, die Pferde getränkt, die Zelte errichtet und die Sklaven beschäftigt waren, sah Philip nach dem Wohlergehen seiner Beute.
Die eine zumindest war am Leben und immer noch wütend über ihre Lage. Als Philip sich näherte, wand sich die Wüstenkatze in ihrem Netz und fauchte böse. Die Träger hatten eine Eisenkette durch das Netz manövriert und sie am Halsband der Katze befestigt, während eine weitere Kette um eines ihrer Hinterbeine lag. Das Ende der Ketten war mit Zeltstangen festgepflockt, die man in die Erde getrieben hatte. Selbst wenn das Tier es fertig brachte, das Netz durchzubeißen, würde es nicht entkommen.
„Gebt ihr Wasser, aber kein Fleisch“, wies Philip die nervösen Diener an. „Ich will, dass sie ordentlichen Hunger bekommt. Später werde ich sie selbst füttern.“
Die Sklaven waren nur zu froh, dem Hauptmann diese Pflicht abzutreten. Sie standen in respektvoller Entfernung von dem Tier, während er es eingehend betrachtete. Als erkenne sie in Philip die Quelle ihres gegenwärtigen Unbehagens, brachte die Katze ihr Missfallen laut zum Ausdruck. Sie entblößte ihre Fänge und stieß ein leises, grollendes Knurren aus, das immer lauter und immer schriller wurde, bis es zu einem Kreischen ungezügelten Zorns anschwoll.
Der ohrenbetäubende Lärm ließ die angepflockten Pferde tänzeln, und in Philips Zelt schrie eine Frau. Er runzelte die Stirn, ging hinüber zu dem quadratisch gebauten Zelt und schlug die Klappe zurück. Drinnen blieb er wie angewurzelt stehen angesichts seines muskulösen jungen Waffenträgers, der mit einer wild um sich schlagenden Frau rang.
„Hör auf damit … Au!“
Ajax blinzelte wütend, als eine kleine Faust auf seinem Nasenrücken landete.
„Was, im Namen der Götter, geht hier vor?“, fragte Philip mit donnernder Stimme.
Beide wirbelten herum. Stöhnend taumelte sie zur Seite und hob eine Hand an den Kopf. Sie verdrehte die Augen, und bevor Ajax oder Philip sie auffangen konnten, sank sie auf der dünnen, gewebten Matte zusammen.
„Das hat sie schon zweimal getan“, erklärte sein Leibdiener und rieb sich den Nasenrücken. „Wenn die Katze faucht, wacht sie auf und fährt hoch wie ein Dämon, nur um ein paar Augenblicke später zusammenzubrechen. Für so ein kleines Ding hat sie die Kraft der Furien. Das letzte Mal, als sie aufgestanden ist, musste ich sie an die Zeltstange fesseln, um sie drinnen zu halten.“
Missbilligend zog Philip die Brauen zusammen. Er fand es unglaublich, dass sein Leibdiener zu solchen extremen Mitteln greifen musste, um die Oberhand über eine schmächtige Frau zu behalten. Daraufhin stieß die Katze einen weiteren zornigen Schrei aus, und im nächsten Moment verstand er, warum es nötig war, die Frau zu zügeln.
Sie fuhr hoch wie von einem Dolch gestochen, und ihre Lider hoben sich flatternd. Scharf sog Philip die Luft ein, als er bemerkte, dass ihre dunklen Pupillen so geweitet waren, dass man die Iris nur noch als schmalen, goldfarbenen Rand erkennen konnte. Es war offensichtlich, dass sie nichts sah außer ihren inneren Visionen, doch sie kämpfte sich mühsam auf die Knie und dann auf die Füße. Sie murmelte einen Singsang, der sich wie eine Beschwörung anhörte, und taumelte in die Richtung, wo die Katze war.
Als Philip sie an den Oberarmen packte, um sie aufzuhalten, begann sie, sich ernstlich zu wehren. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn. Sie war blass, totenbleich, bis auf die Stelle, wo die Beule an ihrer Schläfe sich bläulich gefärbt hatte. Sie fing an, heftig zu zittern.
„Hol Wasser“, befahl Philip scharf, streifte seinen Umhang ab und legte ihn um ihre schlanke Gestalt. „Und bring den Arzt her.“
Einen Augenblick kämpfte sie in Philips Armen, dann erschlaffte sie plötzlich.
So begann eine lange, höllische Nacht für den Mann, die Frau und die Katze. Während Philip auf Nachricht von den Abgesandten wartete, die er in die Stadt geschickt hatte, stellte er fest, dass er eine äußerst widerspenstige Person pflegte. Lange Zeit lag sie ruhig in seinen Armen, aber bei jedem Schrei der verfluchten Katze kämpfte sie darum, sich aus der Dunkelheit zu befreien, die sie in den Klauen hielt.
Manchmal strapazierte sie selbst Philips Kraft. Mehr als einmal brachte sie es fertig, dass sie ihm an seiner immer noch empfindlichen Schulter Schmerz zufügte. Finster hatte er sie in seinen Umhang gewickelt, um sie warm zu halten, aber auch, um sie zu bändigen. Mit dem Einbruch der Dunkelheit war die Kälte so durchdringend geworden wie die Hitze nur wenige Stunden zuvor.
Wenn sie aufschrie, barg er sie an seiner gesunden Schulter und zwang ihr ein paar Tropfen von der Mixtur des Arztes aus mit gemahlenen Mohnsamen versetztem Wein zwischen die Lippen. Philip wusste, das Gebräu war wirkungsvoll. Man hatte es ihm für seine Wunde verordnet, aber nach der ersten Dosis hatte er sich geweigert, es wieder zu nehmen. Mit abgestumpften Sinnen war ein Krieger zu nichts nütze.
Als Farah den Wein schmeckte, verzog sie das Gesicht zu einer Grimasse und wandte den Kopf ab. Philip rief nach feuchten Tüchern, um ihr die roten Flecken aus dem Gesicht und vom Hals zu wischen.
Natürlich gab es Sklaven, die sie hätten pflegen können. Jedem mazedonischen Reiter stand ein Sklave zu, der sich um ihn kümmerte. Philips persönlicher Diener, ein im Kampf gefangen genommener Syrer, wartete in der Nähe, aber Philip entschied, seine Last niemand anderem aufzubürden. Abgesehen von der Tatsache, dass diese Frau ihn sehr faszinierte, bezweifelte er, dass der kleine, drahtige Syrer sie festhalten könnte.
Ihr immer wieder heftiges Aufbäumen versetzte ihn in Erstaunen. Bei jedem Gekreisch der Katze wand sie sich in seinen Armen. Jedes Mal, wenn sie zurücksank, war sie schwächer als zuvor. Nach mehreren solcher Anfälle hätte Philip der Katze beinahe die Kehle durchschneiden lassen, um sie für immer zum Schweigen zu bringen. Im letzten Augenblick entschied er stattdessen, sie ins Zelt zerren zu lassen. Was immer diese Frau an das Tier band und das Tier an sie, schien außerordentlich machtvoll zu sein.
Als die Kreatur hereingeschleppt und an zwei Stangen am anderen Ende des Zeltes angekettet worden war, war die Veränderung bei beiden, der Frau und dem Tier, verblüffend. Sobald sie den Duft der Frau in die Nase bekam, fauchte die Katze nur noch gelegentlich. Farah flüsterte ihr mit einer halb singenden, halb murmelnden Stimme etwas zu. Nach einer Weile schienen sich beide zu entspannen. Die Katze lag zusammengekauert in dem Halbdunkel, immer noch gefangen in ihrem Netz. Die Frau rollte sich in Philips Armen zusammen, um sich an ihm zu wärmen, und glitt allmählich in den Schlaf.
Was für ein Land der Gegensätze, überlegte Philip, während er auf das Bündel hinabsah, das an seine Brust geschmiegt dalag. Tage, die so heiß waren, dass sie einem das Gehirn zum Kochen brachten, und Nächte so kalt, dass man einen warmen Umhang gut gebrauchen konnte. Eine scheinbar endlose Wüste, durch die sich ein schmales Tal mit schwarzem Schwemmland und üppigen grünen Feldern zog. Männer, die einen Eroberer mit offenen Armen empfingen, und Frauen wie diese, die es wagten, den Eindringling herauszufordern.
Sanft wiegte er seine Last, lehnte sich gegen die Zeltstange und streckte die Beine aus. Er wartete darauf, dass die Stadt sich ergab. Wenn es soweit war, würde er auch die Kapitulation dieser Frau annehmen.
Farah kämpfte sich durch den Schmerz, der sie umfing. Bast rief nach ihr. Wie aus weiter Ferne hörte sie, wie die irdische Gestalt der Göttin fauchte und so ihr Unbehagen laut werden ließ. Doch sosehr ihre Pflicht es ihr auch gebot, Farah vermochte die Lider nicht zu heben.
„Trink das.“
Die Worte durchdrangen den Nebel, der ihr Bewusstsein umgab. Die Stimme war tief und barsch. Ihr seltsamer Akzent bereitete ihr Sorge. Sie versuchte, ihre Arme zu bewegen, doch sie waren von der Schulter bis zum Handgelenk an ihren Körper gebunden. Irgendwo im Hintergrund ihres umnebelten Bewusstseins tauchte der Gedanke auf, dass sie in ein Leichentuch gehüllt war wie eine Tote, die von den Einbalsamierern behandelt wurde.
War sie gestorben? War dieser Zwischenzustand, in dem sie hörte, aber nicht sah, sich sorgte und nicht zur Ruhe kam, ein Merkmal jener siebzig Tage nach dem Tod, während derer die Seele umherwanderte, bis der Geist sich wieder mit dem gereinigten Körper vereinen konnte?
Eine Hand legte sich um ihren Nacken. Jemand hob ihren Kopf an. Sie verspürte einen stechenden Schmerz. Obwohl sie aufstöhnte, war sie froh über den Schmerz. Gewiss empfand man im Tod keine solche Qual.
„Trink. Der Mohnsaft wird dir gut tun.“
Ein Schluck Wein schwappte ihr in den Mund. Zu süß. Zu dick. Halb erstickt versuchte sie, ihn auszuspucken.
Eine starke Hand ergriff ihr Kinn und zwang sie, den Mund zu öffnen. Noch mehr Wein floss über ihre Lippen. Trotz des betäubenden Schmerzes war Farah empört über diese Behandlung. Sie drehte das Kinn zu Seite, doch die Anstrengung ließ Feuerbälle hinter ihren Augenlidern tanzen. Im nächsten Moment hüllte die Finsternis sie ein.
Als schließlich die Dunkelheit abermals von ihr wich, hörte sie eine andere Stimme, sanfter, weniger barsch, aber immer noch fremd.
Vorsichtig öffnete sie die Augen. Zuerst sah sie nur Schatten, dann ein Lichtpünktchen, das nach und nach zu einer Öllampe wuchs, die auf einem Klappschemel stand. Jetzt drehte sie langsam den Kopf herum.
Das Gesicht, das über ihr schwebte, ließ Farahs Atem stocken. Es war bei Weitem das schönste, das sie je gesehen hatte. Nicht von der Hautfarbe her, nicht einmal von den Zügen. Es war zu bleich für ihren Geschmack, zu fremd. Sie hatte noch nie viel von den Männern aus dem Norden gehalten, die in ihr Land kamen, als Kaufleute, als Wissensdurstige, um an den berühmten Stätten der Heilkunst zu lernen. Sie waren so riesig, so knochig und grob, verglichen mit den schmal gebauten Männern vom Nil mit ihrer dunklen Hautfarbe. Aber dieser Fremdling, dieser bleichhäutige Hellene mit dem goldblonden Haar und dem lockenden Mund, ließ sie Schönheit in einem neuen Licht sehen.
Aus seinen azurblauen Augen leuchtete eine ungezügelte Lebensfreude. Dazu schien die gezackte Narbe auf der einen Wange nicht zu passen. Er war einige Jahre jünger als sie und bereits vom Kampf gezeichnet, und doch hatte dies seine Lebensenergie nicht dämpfen können.
Ein beglücktes Lächeln huschte jetzt über sein Gesicht, als er sah, dass sie ihn anschaute. „So, du bist also wieder bei uns!“
Farah zog die Brauen zusammen und versuchte, die unvertrauten griechischen Worte zu erfassen. Selbst dieses leichte Stirnrunzeln rief eine Welle des Schmerzes hervor, und sie biss sich auf die Lippen, um ein Stöhnen zu unterdrücken.
Bei den Göttern, was war mit ihr geschehen? Wo war sie? Und wo war ihr heiliger Schützling? Panik wallte heftig und unvermittelt in ihr auf. Sie ignorierte den heftigen Schmerz, der sie bei jeder Bewegung durchzuckte, und wand sich, um sich von den Stoffschichten zu befreien, in die sie eingewickelt war.
„Nein! Rühr dich nicht. Du tust dir nur wieder weh.“
Sie verstand die dringende Bitte des Jungen nur halb und hätte sie völlig ignoriert, hätte sie nicht hinter sich einen leisen, grollenden Ton gehört. Die Katze war hier, wahrscheinlich angekettet, aber sie lebte und war bei ihr. Farah sank zurück und zitterte vor Erleichterung. Ihr Kopf fiel auf die Matte, und diesmal konnte sie ein leises Stöhnen nicht unterdrücken.
„Hier, trink das.“
Der Junge hielt ihr eine Schale an die Lippen. Farah verzog das Gesicht, als Ekel erregend süßer Wein ihr die Kehle hinabrann. Großer Horus, selbst die niedrigsten Sklaven, die im Tempel dienten, bekamen Besseres zu trinken.
„Nein.“ Schwach drehte sie den Kopf zur Seite. „Nein.“
Der Junge stieß erfreut aus: „Du sprichst die Sprache von Hellas!“
Sie suchte nach den fast vergessenen griechischen Worten. „Etwas. Wer …? Wer …?“
„Ich bin Ajax, Waffenträger des Philippos, den der König Tauron nennt.“
Er sprach so schnell, dass sie nur die Namen erfasste. Dieser Junge hieß Ajax, so viel verstand sie, aber das, was er über jemanden namens Philippos sagte, entging ihr.
„Mein Herr wird wissen wollen, dass du wach bist. Lieg still und mach es dir bequem. Ich bin sofort zurück.“
Er ging, während sie immer noch über seine Worte nachgrübelte. Zusammengekauert lag sie da und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Sie schluckte, schloss die Augen und konzentrierte ihre Willenskraft darauf, dass der Schmerz nachließ.
Augenblicke, oder vielleicht Stunden später holte die Stimme des Jungen sie wieder vom Rand der Dunkelheit zurück.
„Sie war eben wach, Herr. Und sie hat gesprochen.“
Mühsam öffnete Farah ihre Lider. Zu ihrer Erleichterung spürte sie nur noch ein Pochen.
Der junge Mann kniete neben ihr nieder und lächelte aufmunternd. „Sie kommt zu sich.“
„Allerdings.“
Eine andere Stimme erklang im Zelt, tief und gebieterisch. Jetzt ging eine große Gestalt auf sie zu. Langsam enthüllte das Licht der Lampe den Umriss eines breitschultrigen Mannes. Farah keuchte, denn sie erkannte ihn augenblicklich.
„Du?“
Es war der Barbar, der beinahe die heilige Katze mit seinem Speer durchbohrt hatte. Selbst mit dem schweren Helm, der den größten Teil seines Gesichts verdeckte, hatte sie ihn erkannt.
Lebhafte Erinnerungen an diesen Hünen stiegen in ihr hoch: Mit erhobenem Speer jagte er auf einem Hengst durch die Wüste, verfolgte ihren Schützling, der schließlich in einem engen Felsspalt gefangen war. Sie erinnerte sich auch, wie sie sich zwischen ihren Schützling und diesen Eindringling gestellt hatte.
Sie ignorierte das Pochen in ihren Schläfen und ging in ihrer Muttersprache auf ihn los. „Du besudelst die Götter! Lass mich sofort frei und auch die heilige Katze!“
Hinter ihr reagierte Basts Schatten auf ihren Zorn. Ein leises Fauchen, das Farah nur allzu gut kannte, erklang. Jeder im Tempel hätte bei diesem Laut gezittert. Der breitschultrige Krieger jedoch schenkte ihm keine Beachtung und trat neben sie.
„Ich beherrsche deine Sprache nicht. Rede in meiner, Frau.“