Klaus-Peter Hufer
Argumente am Stammtisch
Erfolgreich gegen Parolen, Palaver und Populismus
Klaus-Peter Hufer
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©WOCHENSCHAU Verlag
Dr. Kurt Debus GmbH
Schwalbach/Ts., 7. Aufl. 2016
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Gesamtherstellung: Wochenschau Verlag
Umschlagillustration: Heike Drewelow, www.heikedrewelow.de
ISBN 978-3-7344-0279-1 (epub)
ISBN 978-3-8997-4245-9 (Buch)
Vorwort
1.Szenen aus dem Alltag
2.Worum geht es bei den Stammtischparolen?
2.1Wie Stammtischparolen beschrieben werden
2.2Streit um die Stammtischparolen
2.3Die Sprüche unter der Lupe
3.Was tun?
3.1Kaputte Gespräche
3.2Was vielleicht doch geht
3.3Manchmal hilft Ironie
4.Die veröffentlichte Meinung: Die Parolen hinter den Schlagzeilen
5.Wie gefährlich sind Stammtischparolen?
5.1Menschenfeindlichkeit – Populismus – Rechtsextremismus
5.2Auf „Bauernfang“: die politischen Demagogen
5.3Stammtischparolen anschaulich gemacht
6.Wo kommen die Stammtischparolen her?
6.1Ein Experiment wirft Fragen auf
6.2Vorurteile sind alte Bekannte
6.3Von der Natur des Vorurteils
6.4Natur erzeugt keine Vorurteile
6.5Warum gegenteilige Informationen vermieden werden
7.Wo soll der Mut herkommen? – Zivilcourage gehört dazu
7.1Was ist Zivilcourage?
7.2Eigenschaften und Persönlichkeitsmerkmale
7.3Zivilcourage gegen Autoritätsgläubigkeit
8.Contra geben mit Argumenten
8.1Trotz der Gegenargumente – ein Plädoyer für das Argumentieren am Stammtisch
8.2Argumente und Informationen gegen die Stammtischparolen
8.2.1„Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg“
8.2.2„Wir haben zu viele Ausländer hier“
8.2.3„Wir sind nicht mehr Herr im eigenen Land“
8.2.4„Ausländer sind kriminell“
8.2.5„Asylbewerber sind Wirtschaftsfl üchtlinge“
8.2.6„Ihre Armut haben die Entwicklungsländer selbst verschuldet“
8.2.7„Die meisten Deutschen wussten nichts von der Judenvernichtung“
8.2.8„Im Nationalsozialismus konnte man wenigstens ohne Angst auf die Straßen gehen“
9.Noch ein paar Worte zum Schluss
Personenregister
Den Stammtischen gilt schon lange mein Interesse – nicht nur der Geselligkeit und des Bieres wegen. Ich möchte wissen, was da warum gesagt wird. Denn ich bin der Meinung, dass sich an diesen „Tischen“ – die nicht nur in Wirtshäusern stehen müssen – die alltägliche Befindlichkeit der Menschen erkennen lässt. Dort lassen sie Dampf ab, schaffen sich ein Forum, suchen Gesinnungsgenossen und entwickeln starke Phantasien. Das kann mitunter ganz lustig sein – ist es aber nicht immer. Denn mit den Parolen an den Stammtischen äußern sich auch Vorurteile, Ressentiments, Aggressionen und stramme Ansichten. Ich weiß, dass das viele ärgert. Sie wollen das nicht unwidersprochen stehen lassen, sondern etwas entgegensetzen. Aber oft stehen sie überrumpelt und hilflos den Tiraden gegenüber.
So ist vor Jahren mein erstes Buch zu diesem Thema entstanden, ein „Argumentationstraining gegen Stammtischparolen“1. Zu meiner Überraschung war es ein großer Erfolg und Grundlage für eine weitreichende Vortrags- und Seminararbeit in ganz Deutschland und später auch Österreich. Ich redete mit Hörern in Volkshochschulen und Familienbildungsstätten, Gewerkschaftlern, Polizisten, Soldaten, Mitgliedern von Dritte-Welt-Gruppen, Betriebsräten, Pfarrern, Kirchengemeinden, Lehrern, Schülern, Studenten, Schwulen und Lesben, Ortsvereinen von Parteien, Journalisten, Hausfrauen und Betreuern von Strafgefangenen ... Immer ging es um die Stammtischparolen.
Die für mich erfreuliche Erkenntnis aus diesen Begegnungen ist, dass es in der Bundesrepublik sehr viele Menschen gibt, die nicht schweigend dabei sitzen, sondern Partei ergreifen wollen für die Menschenrechte, für eine demokratische Kultur und gegen Verunglimpfung, Diskriminierung und Gewalt. Die Stammtischparolen sind ein Signal für derartige Fehlentwicklungen. Wer beizeiten darauf reagiert, der muss vielleicht später nicht bestürzt feststellen, dass es zu spät sein könnte.
Die Botschaft kam auch bei der „anderen Seite“ an. Eine Zeit lang reiste eine Gruppe von Rechtsextremisten mit und versuchte, die Veranstaltungen zu stören. Sie hatten erkannt, dass ihre vermeintliche „Lufthoheit“ gefährdet werden könnte.
Auch die Medien widmeten dem „Argumentationstraining gegen Stammtischparolen“ eine große Beachtung (was für Veröffentlichungen zur politischen Bildung nicht immer selbstverständlich ist). An einigen Orten wurde es zum Modellprojekt gegen Rechtsextremismus – wohl deswegen, weil es von jedem und jeder im eigenen Alltag eingesetzt werden kann.
Dieses erste Buch zu dem Thema war zu einem großen Teil didaktisch orientiert: Es sollte Trainern und Trainerinnen, aber auch Selbstlernern eine Hilfe sein, sich in Gruppen oder alleine mit dem Thema auseinander zu setzen und gegen die Parolen zu wappnen.
Nach fünf Jahren lege ich nun ein Folgebuch vor. Es basiert auf meinen Begegnungen und Erfahrungen und berücksichtigt meine hinzugewonnenen Erkenntnisse. Es ist jetzt nicht mehr „didaktisiert“ (das heißt als Anleitung für die Seminararbeit verfasst), sondern soll ein – hoffentlich eingängig zu lesendes – Sachbuch sein, das möglichst viele ermuntert, aufmerksam im Alltag zu sein, auf Zwischentöne und martialische Sprüche zu achten, vor ihnen nicht in Deckung zu gehen, sondern selbstbewusst zu widersprechen. Dass dieses möglich ist, soll das Buch zeigen.
Mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus Nordrhein-Westfalen Monika Engel, Regina Hunke, Manfred Nousch und Doris Sandbrink und vielen anderen konnte ich zahlreiche Gespräche über ihre Erfahrungen mit den Argumentationstrainings führen. Das hat mir viele Anstöße gegeben. Marion Wisinger hat das Training und damit auch mich nach Österreich gebracht. So konnte ich mit den Seminaren auch jenseits der Alpen „hackeln“ (arbeiten). Sie hat dort selbst eine Reihe von Trainings durchgeführt, Teile ihrer umfassenden Kenntnisse sind hier mit eingeflossen. Ulla Buch und Bernward Debus haben als gute Freunde und engagierte Verleger die Produktion dieses Buches unterstützt; ohne ihre Ermunterungen wäre es nicht zustande gekommen.
Der Grund dafür, dass ich dieses Buch in guten Zeiten schreiben konnte, heißt Monika Keil – dafür danke ich ihr sehr.
Ich widme das Buch der denkbar besten Tochter, Anke. Sie hat schon als Kind meine Beschäftigung mit den Stammtischparolen aufmerksam verfolgt. Jetzt als Jugendliche weist sie mich darauf hin, wann und wo ich selbst statt Argumenten Parolen benutze.
1Klaus-Peter Hufer: Argumentationstraining gegen Stammtischparolen. Materialien und Anleitungen für Bildungsarbeit und Selbstlernen, Schwalbach/ Ts. 2000 (7. Aufl. 2005)
Eigentlich verläuft die Plauderei mit dem Nachbarn wie immer friedlich: der Garten, die Renovierungsarbeiten am Haus, die Kinder ... Doch dann kommt überraschend der heftig vorgetragene Hinweis, dass die Renten nicht mehr sicher seien, und dass Politiker sowieso nur in die eigenen Taschen wirtschaften würden. Überhaupt sei Politik ein schmutziges Geschäft.
An der Ladentheke: Die Schlange der Wartenden wird etwas länger, weil eine dunkelhäutige junge Frau umständlich nach ihrem Einkaufsschein kramt. Sie hat ihn endlich gefunden, die Kassiererin prüft und zeichnet gegen. Am hinteren Ende der Schlange macht sich Unmut breit: „Typisch, Asylbewerber – und dann alles auf unsere Kosten!“ Es gibt Zustimmung.
Zur Geburtstagsfeier von Tante Hedwig hat sich wieder die gesamte Familie versammelt. Unter Vermeidung von Konfliktthemen geht der Abend seinem Ende entgegen. Erleichterung macht sich breit. Aber dann kommt Onkel Heriberts befürchtete Einlassung doch noch: „Ich bin kein Nazi, aber unter Hitler gab es nicht so viele Arbeitslose.“
Im Fußballstadion: Der Stürmer aus Nigeria wird vom Verteidiger der heimischen Mannschaft gefoult. Hohngelächter unter den Fans und Rufe: „Bimbo, Bimbo.“
Und am Stammtisch findet die Runde nach vorgerückter Stunde eine breite Übereinstimmung in der Behauptung, dass wir viel zu laue Strafgesetze hätten und es in den Gefängnissen eindeutig zu human zugehen würde.
Szenen dieser Art kennt jeder. Sie kommen aus der Tiefe und Mitte des Alltags, oft überraschend, sie überrumpeln uns. Bei vielen unfreiwilligen Zuhörern und Zuhörerinnen macht sich Ratlosigkeit breit. Sprachhemmungen treten auch bei ansonsten redegewandten Menschen auf, Blockaden sind da, Verunsicherung, mitunter sogar Angst. Hinterher kommt das schale Gefühl, versagt zu haben. Jetzt fallen uns auch prompt die besten Antworten ein – aber zu spät, die Situation ist vorbei.
Wohl dem Zeitgenossen, der in der Straßenbahn Zeuge eines Gesprächs zwischen zwei Frauen wird, die lauthals ausländerfeindliche Parolen von sich geben. Auch er ist zunächst irritiert, sucht krampfhaft nach einer zündenden Erwiderung. Doch dann, als die Bahn hält und er aussteigen muss, fällt ihm etwas ein. Er spricht die Frauen an: „Sie haben einen Preis gewonnen.“ Die beiden fragen erstaunt: „Warum denn?“ Seine Antwort: „Sie haben den Preis dafür gewonnen, dass man zwischen zwei Haltestellen derart viel Blödsinn erzählen kann.“ Befreiender Applaus von den übrigen, ansonsten schweigenden Mitreisenden. Und zu beneiden ist der schlagfertige Mensch, der beim lauten Lamento seines Kollegen, dass uns die Ausländer die Arbeitsplätze wegnähmen, erwiderte: „Ich wusste gar nicht, dass du früher eine Döner-Bude hattest.“
Aber nicht jedem fällt immer etwas ein und nur die wenigsten haben auch gleich eine witzige und treffende Antwort bereit. Doch lernen kann man den Umgang mit solchen Sprüchen und Parolen schon. Man kann auch begreifen, was hinter ihnen steckt, welche Bedürfnisse mit diesen Äußerungen zum Ausdruck kommen und auf welchem Menschenbild und Verständnis von Politik sie beruhen. Das ist wichtig, denn immer noch gilt Kurt Tucholskys Feststellung: „Die tiefe Unkenntnis von der Psychologie des provinziellen Stammtisches ist ganz erstaunlich.“1
1Kurt Tucholsky: Die zufällige Republik (1922), in: Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in 10 Bänden, Bd. 3, hrsg. von Mary Gerold-Tucholsky u. Fritz Raddatz, Reinbek b. Hamburg 1975, S. 220