IMPRESSUM
Heiße Küsse – streng nach Protokoll erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
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Produktion: | Jennifer Galka |
Grafik: | Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto) |
© 2002 by Harlequin Books S. A.
Originaltitel: „Tall, Dark & Royal“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe COLLECTION BACCARA
Band 285 - 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Brigitte Marliani-Hörnlein
Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.
Veröffentlicht im ePub Format in 05/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733768904
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY
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Frohe Weihnachten. Du bist der neue Herrscher von Altaria.
Es schneite leicht, als Daniel Connelly aus dem Fenster seiner Eigentumswohnung in einem Wolkenkratzer in Chicago blickte und die Worte seiner Mutter zu begreifen versuchte. Welcher Amerikaner konnte schon von sich behaupten, eine Prinzessin zur Mutter zu haben, auch wenn Emma Rosemere Connelly für Daniel immer einfach seine Mom gewesen war.
Vor fünfunddreißig Jahren hatte sie auf ihren Titel verzichtet, um seinen Vater heiraten zu können. Doch die hoheitliche, würdevolle Haltung, die ihr in den Jahren als Prinzessin von Altaria anerzogen worden war, hatte sie nie abgelegt. Selbst jetzt, nachdem sie gerade die Nachricht ereilt hatte, dass ihr Vater und ihr Bruder bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen waren, saß sie völlig gefasst neben ihrem Mann auf der braunen Ledercouch.
„Sag das bitte noch einmal, Mom“, bat Daniel und sank auf seinen Lieblingssessel.
Seine Mutter ergriff seine Hände und beugte sich zu ihm. Ihre kalten Finger und der Schmerz in ihren blauen Augen verrieten ihre Gefühle. Sie lächelte traurig. „Ich habe dir viel von Altaria erzählt. Du bist sogar schon oft dort gewesen.“
Daniel nickte, als ihm vage die Kindheitserinnerungen durch den Kopf schossen. „Ich habe Altaria als eine wunderschöne Insel vor der italienischen Küste mit einem tollen Strand in Erinnerung. Aber wie kann ich der neue Herrscher werden?“
„Die Verfassung von Altaria sieht vor, dass nur ein männlicher Nachkomme die Regentschaft übernehmen kann. Mein Vater und mein Bruder sind tot“, sagte sie und drückte in einem verräterischen Moment tiefer Trauer seine Hand.
Aus den Augenwinkeln heraus sah Daniel, dass sein Vater tröstend den Arm um die Schultern seiner Mutter legte. Sie fuhr fort: „Mein Bruder hat nur ein Kind, eine Tochter. Catherine. Keine Söhne.“
Daniel erinnerte sich der Klatschgeschichten, die er im Laufe der Jahre über seinen Onkel Prinz Marc gehört hatte. „Ich will ja nicht schlecht über Tote sprechen, aber bist du wirklich sicher, dass Onkel Marc nicht noch weitere Kinder hat? Wenn es stimmt, was man so gehört hat, ließ er doch nichts anbrennen.“
Sein Vater hätte sich fast verschluckt.
Seine Mutter runzelte die Stirn. „Daniel“, wies sie ihren Sohn scharf zurecht. „Marc hatte vielleicht seine Fehler, aber er hätte nie ein eigenes Kind verleugnet. Du bist der alleinige Thronerbe.“
Daniels Gedanken wirbelten durcheinander. Nie hatte er einen Gedanken daran verschwendet, dass er einmal der Herrscher eines kleinen Fürstentums sein könnte. Er war jetzt vierunddreißig Jahre alt, in Chicago geboren und aufgewachsen, und war immer davon ausgegangen, dass er sein Leben in Amerika verbringen würde. Dann betrachtete er seinen Vater. Grant Connelly hatte die Textilfabrik der Familie übernommen und zu einem gigantischen Unternehmen ausgeweitet. Seine Leidenschaft hatte immer dem Geschäft gehört.
Daniels nicht.
Er war im College ein erfolgreicher Sportler gewesen, und als Leiter der Marketingabteilung von Connelly Corporation war er ebenfalls sehr ehrgeizig und erfolgsorientiert. Und doch hatte ihn das Gefühl gequält, dass seinem Leben irgendetwas fehlte. War dies die Antwort?
Fürst? Gott steh ihm bei.
Er blickte zu seinen Eltern und schüttelte den Kopf. „Fürst?“
Sein Vater nickte und beugte sich vor. „Du hast die besten Voraussetzungen, um ein Land zu regieren. Aber es ist deine
Entscheidung, ob du diesen Weg wirklich gehen willst.“
Seine Mutter drückte wieder seine Hand. Sie blickte ihn mit einer Mischung aus Stolz und Sorge an. „Überleg es dir gut. Mein Vater hatte weitreichende Planungen für Altaria. Als er das Rosemere Institut zur Erforschung neuer Möglichkeiten in der Krebsbekämpfung gründete, hat er nicht nur meiner Mutter ein wunderbares Denkmal gesetzt, sondern auch Altaria in das Zeitalter der Wissenschaft geführt. Es birgt eine große Verantwortung, das Fürstentum zu regieren. Und wenn du dieses Amt übernimmst, ändert sich dein Leben für immer.“
Ich komme zu spät, dachte sie, dabei kann ich doch es eigentlich nicht erwarten, meine Mission kennenzulernen. Erin Lawrence biss sich bei diesem Lapsus auf die Lippe. Meine Mission anzutreten, korrigierte sie sich im Geiste. Seine Hoheit schätzte es sicherlich nicht, als Mission betrachtet zu werden. Auch wenn es der Wahrheit entsprach.
Erin rückte ihren Hut zurecht und zeigte dem Wachmann im Erdgeschoss des Wolkenkratzers, in dem Daniel Connelly wohnte, ihren Ausweis. Trotz ihres Jetlags verspürte sie gespannte Vorfreude, als sie in den Fahrstuhl trat. Schon bei ihrer Ankunft war ihr trotz der Dunkelheit aufgefallen, wie sehr sich die Architektur in Chicago von den mediterran anmutenden Häusern in ihrem Heimatland Altaria unterschied.
Die Fahrstuhltüren glitten leise zur Seite, und Erin ging den Flur entlang zu Daniel Connellys Eigentumswohnung. Sie hob die Hand, um zu klingeln. Ihr Herz begann laut zu schlagen, und sie holte noch einmal tief Luft. Was für ein Moment! Gleich würde sie dem Thronfolger von Altaria gegenüberstehen.
Sie straffte die Schultern, drückte mit dem Zeigefinger die Klingel und wartete. Und wartete.
Ein Hund bellte im Hintergrund.
Sie zählte bis zwanzig. Dann klingelte sie noch einmal und wartete weiter.
Der Hund hörte nicht auf zu bellen.
Die Tür wurde geöffnet, und ein großer Mann mit zerzausten Haaren und grünen Augen starrte sie an. Seine Brust war nackt und muskulös, und das einzige Kleidungsstück, das er trug, war eine Pyjamahose, die tief auf seinen schmalen Hüften hing. „Sie haben geklingelt?“
„Vielleicht habe ich an der falschen Tür …“ Sie verstummte, total fixiert auf seine breiten Schultern und die nackte Haut. Die leichte Brustbehaarung verjüngte sich zur Hüfte hin und verschwand schließlich unter dem Hosenbund. Er lehnte lässig am Türrahmen und erweckte den Eindruck, als hätte er kein Problem damit, einer Frau halbnackt die Tür zu öffnen. Er gehörte zu den Männern, vor denen sie auf dem Mädchenpensionat eindringlich gewarnt worden war. Der Typ Mann, der die bösen Mädchen inspirierte, nachts aus den Fenstern zu klettern.
Erin riss sich von dem beeindruckenden Anblick los und prüfte die Wohnungsnummer. Nein, sie hatte sich nicht geirrt. Sie schluckte. „Hoheit?“, fragte sie leise.
Er nickte langsam, als ihm dämmerte, wer vor ihm stand. „Sie müssen Erin Lawrence sein, die Frau, die mir Manieren beibringen soll.“
„Höfische Etikette, Sir. Ich bin Ihre Beraterin in allen Dingen, die Förmlichkeit und Rituale des Hofs betreffen“, sagte sie leicht irritiert über seine flapsige Beschreibung ihrer Position. Sie verbeugte sich leicht. „Ich stehe zu Ihren Diensten, Sir.“
Er taxierte ihren Körper mit einem Blick, der eine ungeheure Sinnlichkeit ausstrahlte. Erin hielt den Atem an, bis er ihr wieder ins Gesicht sah. „Eigentlich hatte ich Sie früher erwartet.“
„Ja, natürlich, Sir. Tut mir leid. Mein Flug hat sich verspätet.“
„Das kann passieren“, sagte er großzügig und hielt ihr die Tür auf. „Kommen Sie herein. Entschuldigen Sie, dass ich nicht anständig angezogen bin. Ich hatte heute neun Meetings. Deshalb habe ich mich früh in die Falle gehauen.“
Bevor Erin eintrat, blickte sie sich vorsichtig nach dem Hund um, der immer noch bellte. „Keine Angst“, beruhigte Daniel sie. „Ich habe Jordan weggesperrt, bevor ich an die Tür gegangen bin.“
„Jordan, Sir?“
„Zu Ehren Michael Jordans, dem besten Basketballspieler, den die Chicago Bulls jemals hatten, bis er vor ein paar Jahren leider seinen Rücktritt erklärt hat.“
Erin würde sich später über American Basketball informieren; das nahm sie sich in diesem Moment vor. Sie hatte keine Ahnung von dem Sport. Kaum war sie durch die Tür gegangen, blieb sie stehen und blickte Daniel erwartungsvoll an. „Das Protokoll schreibt vor, dass der Fürst vorangeht, Sir. Niemand darf dem Herrscher den Rücken zudrehen.“
„Oh.“ Er musterte sie noch einmal. „Schade eigentlich.“ Erin merkte, dass sie rot wurde. Sie hoffte inständig, dass er es nicht bemerkte. „Bitte, gehen Sie vor, Sir. Ich folge Ihnen.“
Daniel nickte und führte sie durch ein geräumiges Wohnzimmer mit einer modernen schwarzen Ledergarnitur und Glastischen. Sie folgte ihm in eine makellos saubere, gut ausgestattete Küche. Er öffnete den Kühlschrank und nahm eine Tüte Milch heraus. „Möchten Sie etwas trinken? Oder etwas essen? Ein Sandwich vielleicht?“
Der Mann ist sich seiner Stellung gar nicht bewusst, dachte Erin und fragte sich, inwieweit er sich verändern würde, wenn er anfing, von seiner Macht als Herrscher Gebrauch zu machen. Falls es überhaupt dazu kam. Daniel Connelly wirkte nicht wie ein Mann, der einen Titel nötig hatte, um Befehle zu erteilen. Sie starrte auf seine breiten Schultern und erwischte sich dabei, dass ihre Gedanken in eine unerlaubte Richtung wanderten. Schnell dachte sie an etwas anderes. Der Fürst bot an, ihr einen Drink oder ein Sandwich zu bringen. Das ging nun gar nicht. „Nein, danke, Sir.“
Er zog eine Grimasse. „Darf ich fragen, wie alt Sie sind?“
„Zweiundzwanzig, Sir.“
„Sie sind zwar noch jung, aber wir sind beide erwachsen. Müssen Sie immer ‚Sir‘ sagen?“ „Es gehört sich so, Sir.“ „Okay, wenn’s denn sein muss.“ Er seufzte und trank einen Schluck direkt aus der Milchtüte.
Erin riss entsetzt die Augen auf.
Daniel musste es gesehen haben, denn er grinste breit. „Keine Angst. Das war der Rest“, sagte er und warf die leere Packung in den Abfalleimer. Erin tat das, was ihr in den Jahren auf den besten Schweizer Internaten eingetrichtert worden war: Sie hielt den Mund geschlossen. Vor ihr stand schließlich der neue Fürst von Altaria – ein attraktiver Amerikaner mit einem Körper, bei dem jede Frau ins Schwärmen geriet, aber ohne jede Ahnung von höfischer Etikette. Seine Vorfahren würden sich im Grab umdrehen.
Gott steh Altaria bei.
Gott steh mir bei, dachte sie.
„Ich weiß nicht wirklich, in welcher Funktion Sie hier sind.“
„Ich soll Sie mit dem königlichen Protokoll vertraut machen und so viel wie möglich über Ihre Vorlieben erfahren, damit sich der Palast auf Ihre Ankunft vorbereiten kann, Sir.“
Er fuhr sich durch die Haare. „Was bedeutet ‚königliches Protokoll‘?“
„Traditionelle höfische Etikette, Sir. Es ist meine Aufgabe, Sie darin zu unterrichten, wie die Menschen von Altaria Ihnen begegnen werden, und welche Umgangsformen von Ihnen erwartet werden.“
Er seufzte wieder und rieb sich das Gesicht. „Benimmunterricht. Ich muss ihn irgendwo zwischen Flughafenerweiterungsplan und Budgetprüfung einbauen. Was halten Sie davon, wenn Sie sich erst einmal ein paar Tage von Ihrem Jetlag erholen? Und dann treffen wir uns.“
„Ich bin absolut in der Lage, meinen Pflichten sofort nachzukommen, Sir.“
„Ruhen Sie sich aus, und wir unterhalten uns morgen oder übermorgen.“
Erin hatte das Gefühl, dass er sie abwimmeln wollte. So ging es nicht. Ihr Vater, der Außenminister von Altaria, hatte ihr diese Aufgabe übertragen – trotz ihres nervösen Ticks, unter dem sie ihr Leben lang gelitten hatte. Sie durfte ihren Vater nicht enttäuschen. Dies war die Chance, eine engere Beziehung zu ihm aufzubauen. „Ich kann Ihnen sehr nützlich sein, Sir. Mein Vater ist der Außenminister von Altaria; ich bin also mit dem politischen Klima vertraut.“
Daniel Connelly betrachtete sie eingehend. „Okay. Ich rufe Sie an, sobald ich alle wichtigen Dinge erledigt habe.
Willkommen in Windy City. So wird Chicago im Volksmund genannt“, fügte er erklärend hinzu, als er ihren fragenden Blick sah.
„Danke, Sir.“
„Kann ich Ihnen wirklich nichts zu trinken anbieten?“
Seine Beharrlichkeit verwirrte sie. „Wirklich nicht, Sir. Danke.“
Er nickte und nahm das Telefon. „Dann bitte ich den Sicherheitsdienst, Ihnen ein Taxi zu rufen.“
„Das ist nicht nötig, Sir. Das kann ich allein.“
„Ich bin sicher, dass Sie das können, aber meine Erziehung lässt nicht zu, dass ich eine junge Dame auf die Straßen von Chicago schicke, ohne einen Wagen bestellt zu haben, der sie nach Hause bringt.“
Ein Gentleman? Gab es so etwas tatsächlich noch? Erin hatte so viele Männer kennengelernt, die hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt waren, dass sie kaum wusste, wie sie reagieren sollte. „Danke, Sir“, murmelte sie, als er dem Sicherheitsdienst telefonisch entsprechende Anweisungen gab.
Daniel führte sie zur Tür und hielt sie ihr auf. „Warum sprechen Sie mit britischem Akzent?“ „Ich war zwar auf einem Schweizer Internat, aber die Schulleiterin war Engländerin.“
„Ihr Auftreten ähnelt dem meiner Mutter.“
„Das nehme ich als großes Kompliment“, erwiderte sie. „Ich habe dasselbe Internat besucht wie sie. Prinzessin Emma ist bei den Menschen auf Altaria sehr beliebt und angesehen.“
„Obwohl sie auf ihren Titel verzichtet und einen derben amerikanischen Emporkömmling geheiratet hat?“
„Sie hat vielleicht offiziell auf ihren Titel verzichtet, aber in den Herzen der Altarianer ist sie immer eine Prinzessin geblieben.“
Daniel lachte. „Sie sind wirklich gut. Sind Sie sicher, dass Sie nicht PR-Expertin sind?“
„PR-Kenntnisse werden in meiner Position vorausgesetzt, Sir. Wie ich Ihnen jedoch schon sagte, gehört es auch zu meiner Aufgabe, herauszufinden, was Ihnen gefällt, damit Sie sich auf Altaria wohlfühlen.“
„Ich bin leicht zufriedenzustellen. Ein Basketballspiel mit den Chicago Bulls und ein Chicago Hotdog, und ich bin glücklich.“
Erin blinzelte und versuchte sich vorzustellen, wie der Palastkoch einen Chicagoer Hotdog zubereitete. Was auch immer das sein mochte. „Das werde ich mir merken, Sir.“
„Davon bin ich überzeugt. Gute Nacht.“
Daniel verzog das Gesicht, als er zwei Tage später seinen Anrufbeantworter abhörte. Drei Nachrichten kamen von Erin Lawrence, dieser gouvernantenhaften förmlichen Frau mit den tollen Kurven. Sie war so schrecklich anständig und korrekt, dass er sich in seiner Fantasie ausmalte, wie sie sein könnte, wenn sie ihre perfekten Manieren und ihre Kleidung ablegte. Daniel hatte jedoch auch bemerkt, dass Miss Lawrence zwar eine attraktive Frau war, aber auch den Eindruck von Unschuld, von einer verbotenen Frucht, erweckte.
Er hatte sie wirklich nicht abwimmeln wollen, doch bevor er sich auf sein Amt als Fürst von Altaria vorbereitete, musste er als Marketingleiter bei Connelly Corporation noch viel regeln.
Um die Kontinuität der Amtsgeschäfte zu sichern, trat der Nachfolger eines Herrschers normalerweise sofort die Regentschaft an. Doch der Außenminister hatte Daniel mitgeteilt, dass für seine Ankunft noch nicht alles vorbereitet war. Dieser wunderte sich zwar etwas, aber er stellte keine weiteren Fragen. Er hatte genug mit den Dingen zu tun, die in Chicago noch erledigt werden mussten. Insofern kam ihm die Verzögerung sehr gelegen.
Er blickte auf seinen randvollen Terminkalender, sah, dass er abends einen Termin frei hatte, und wählte die Nummer des Hotels, in dem Erin abgestiegen war. „Daniel Connelly“, sagte er, als sie sich meldete.
„Vielen Dank, dass Sie anrufen, Hoheit“, sagte sie förmlich, aber mit harmonisch modulierter Stimme.
Daniel fragte sich, was er anstellen musste, um sie aus dem Konzept zu bringen. Er überlegte auch, was für Dessous sie wohl trug, verdrängte den Gedanken aber sofort wieder.
„Entschuldigen Sie, dass ich mich erst jetzt melde. Aber ich hatte unzählige Termine, und heute sieht es auch nicht viel besser aus. Hätten Sie Zeit, mit mir zu Abend zu essen? Ich bestelle uns eine Pizza, und wir treffen uns bei mir.“
Es folgte eine lange Pause.
„Probleme?“
„Nein, Sir“, erwiderte sie zögernd.
„Ich höre Ihrer Stimme an, dass es ein Problem gibt, Miss Lawrence.“ Er wurde ungeduldig. „Was ist los?“
„Ich überlege nur gerade, ob es sich schickt, Ihnen in Ihren Privaträumen Unterricht in höfischer Etikette zu erteilen.“
„Haben Sie nicht gesagt, dass Sie Privatsphäre haben wollen?“
„Ja, Sir, aber …“
„Brauchen Sie eine Anstandsdame oder etwas in der Art?“
„Natürlich nicht, Sir“, erwiderte sie mit einer Spur Trotz in der Stimme. „Wir sehen uns also zum Dinner. Um wieviel Uhr?“
„Nicht so früh. Halb acht.“
„Sehr gut, Sir. Ich werde um halb acht bei Ihnen sein.“
>Daniel legte auf und seufzte laut, gerade als die Tür geöffnet wurde und sein Bruder Brad eintrat.
„Wie läuft’s, IM?“, fragte Brad und grinste breit. „Geht dir die ganze Geschichte schon auf die Nerven?“
Daniel warf seinem Bruder einen mürrischen Blick zu. „IM?“
„Abkürzung für Ihre Majestät“, erklärte Brad. „Die Presse macht Druck. Alle wollen ein Interview, aber ich müsste es eigentlich schaffen, dir die Journalisten noch etwas vom Hals zu halten.“
Brad war ein begnadeter Rhetoriker und damit die Idealbesetzung für den Job des PR-Chefs bei Connelly Corporation. Er besaß die Fähigkeit, die Presse so zu manipulieren, dass es dem Unternehmen zum Vorteil gereichte. Doch Brad war nicht nur wortgewandt, sondern auch ein Charmeur, der sein Singledasein im höchsten Maße genoss – eine Lebensweise, die für Daniel im Laufe der letzten Jahre immer mehr an Reiz verloren hatte.
„Glaubst du, dass Justin für die Welt des Marketings bereit ist?“, fragte Brad.
Ihr Bruder Justin war ruhig und verantwortungsbewusst und mehr als bereit, die Karriereleiter bei Connelly Corporation hinaufzuklettern. „Justin wird seine Sache hervorragend machen“, sagte Daniel voller Überzeugung.
„Wir werden dich alle vermissen, aber …“
„… aber ihr könnt es trotzdem nicht abwarten, bis ich endlich weg bin.“ Daniel lachte. Ob beim Sport oder im Geschäft, die Connelly-Brüder hatte immer eine Mischung aus Kameradschaft und Rivalität verbunden.
„Du hast fantastische Arbeit geleistet“, sagte Brad. „Versteh mich nicht falsch. Aber ich hatte immer den Eindruck, dass du etwas anderes willst. Glaubst du, das ist jetzt deine wahre Berufung?“
Daniel nickte, überrascht über die Erkenntnis seines Bruders. „Das muss es wohl sein. Ich will einfach daran glauben, dass es Schicksal ist. Solange ich zurückdenken kann, wollte ich immer etwas bewirken, und das nicht unbedingt in der Textilbranche.“
„Diese Altarianer haben verdammtes Glück, dass sie dich bekommen“, sagte Brad.
„Ich weiß nicht. Ehrlich gesagt habe ich nicht das Gefühl, dass der Außenminister meine Ankunft herbeisehnt. Er sendet die Informationen, um die ich gebeten habe, nur sehr zögerlich, aber dafür hat er seine Tochter geschickt.“ Daniel verzog leicht das Gesicht.
„Tochter? Warum?“
„Höfische Etikette.“
Brad blinzelte kurz und brach dann in Gelächter aus. „Sie soll dir all die Dinge beibringen, die du nicht von Mom lernen wolltest.“
„Und noch mehr, fürchte ich.“ Daniel stöhnte. „Ich habe im Moment wirklich keine Zeit für solche Dinge, aber ich will auch nicht unhöflich sein.“
„Wie ist sie?“
„Ziemlich etepetete …“, sagte Daniel, „… aber mit einer Wahnsinnsfigur.“
„Dann bleibt es vielleicht nicht beim Unterricht …“
Obwohl ihn der Gedanke reizte, Erins Körper zu erforschen, schüttelte Daniel den Kopf. „Das wird wohl nichts.
Ich habe noch nie eine Frau gesehen, die so entschlossen war, mich zu kultivieren.“
Erin balancierte den großen Pizzakarton, zwei dicke Bücher über höfische Etikette und einem Bildband mit Uniformen auf den Armen. Mit dem Ellenbogen drückte sie den Klingelknopf zur Wohnung Seiner Hoheit. Da der Pizzabote gleichzeitig mit ihr eingetroffen war, hatte sie ihm die Pizza abgenommen.
Daniel öffnete die Tür, und Erin war einmal mehr beeindruckt von seiner Körpergröße.
„Warten Sie, ich helfe Ihnen …“
Gerade als er nach den schweren Büchern greifen wollte, schoss etwas Großes, Braunes quer durch den Raum und sprang an Erin hoch. Erin kam ins Stolpern und stürzte.
„Jordan, bei Fuß!“, brüllte Daniel.
Der Hund gehorchte sofort.
Erin schlug mit den Knien auf dem harten Boden auf, und ein stechender Schmerz durchfuhr ihren Körper. Unwillkürlich klammerte sie die Finger um die Pizzaschachtel. Entweder falle ich mit dem Gesicht auf den Boden oder auf den Pizzakarton, dachte sie gerade verzweifelt, als zwei starke Hände nach ihren Schultern griffen.
Daniel fluchte. „Tut mir leid. Jordan hat die Pizza gerochen und ist verrückt geworden. Die vielen Besucher in den letzten Tagen haben ihn verängstigt.“
Er hob sie hoch, als wäre sie leicht wie eine Feder, und trug sie zur Couch.
Erin spürte seine muskulöse Brust, die gegen ihre drückte. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal getragen worden war, nicht einmal von ihrem Vater. Diese freundliche Geste brachte eine versteckte Saite in ihrem Inneren zum Schwingen und verwirrte Erin. Sie merkte, dass Daniel ihr den Pizzakarton aus der Hand nehmen wollte.
„Sie können die Pizza jetzt loslassen“, sagte er lächelnd.
Erin wurde bis über beide Ohren rot. „Oh, tut mir leid, Hoheit.“
„Ich wundere mich nur, dass Sie nicht alles fallen gelassen haben, als Jordan an Ihnen hochgesprungen ist.“
„Alles Übungssache, Sir. Egal, was passiert, lass niemals das Tablett fallen, wurde uns eingetrichtert.“
Daniel musste lachen. „Ihre Lehrer können stolz auf Sie sein.“ Er stellte den Pizzakarton hoch auf die Musikanlage und drehte sich zu dem Hund. „Du bekommst heute Abend zur Strafe keine Pizza. So behandelt man eine Dame nicht“, schimpfte er.
Erin betrachtete den zerknirscht wirkenden Hund. Das Tier war groß, hatte dunkle Augen, einen seelenvollen Blick und große Pfoten. „Was ist das für eine Rasse, Sir?“, fragte Erin neugierig. Der Hund sah aus wie eine Mischung aus Braunbär und Bulldogge.
Daniel kraulte Jordan. „Ein Mischling.“ Er lachte verschmitzt und strahlte dabei ungeheuren Sexappeal aus. „Genau wie ich. Halb altarianisches Adelsgeschlecht, halb amerikanischer Rebell“, sagte er und führte den Hund in einen anderen Raum.
Stimmt, dachte Erin, mit dem Unterschied, dass Daniel viel besser aussah als sein Hund. Was hatte sie eigentlich mehr durcheinandergebracht? Der Hund, der an ihr hochgesprungen war, oder Daniel, der sie zur Couch getragen hatte? Sie holte tief Luft. Konzentrier dich auf deine Aufgabe und nicht auf den tollen Körper Seiner Hoheit, ermahnte sie sich. Wo waren die Bücher abgeblieben? Sie blickte zur Tür und sah sie auf dem Boden liegen. Daniel hatte sie offensichtlich fallen lassen, um Erin aufzufangen.
Erin wollte aufstehen, doch sie verspürte einen stechenden Schmerz. Sie blickte auf ihre Strumpfhose. Diese war zerrissen, und ein Knie war zerkratzt und blutete leicht.
Genau in dem Moment kehrte Daniel zurück. Als er ihr zerschundenes Knie sah, eilte er zu ihr, ging in die Hocke und berührte sanft ihr Bein. „Verdammt. Ich hole etwas zum Desinfizieren und einen Verband.“
Verlegen schüttelte Erin den Kopf. „Das ist nicht nötig!“, rief sie ihm nach, als er den Raum verließ. Sie sprang auf und folgte ihm. „Sir, das schickt sich nicht!“, protestierte sie, aber sie hätte genauso gut gegen die Wand reden können.
Daniel hörte überhaupt nicht auf sie. Als er das Badezimmer betrat, blieb sie in der Tür stehen, unsicher, was sie jetzt tun sollte.
Sie beobachtete, wie er einige Dinge aus dem Arzneischrank nahm und einen Waschlappen unters Wasser hielt. Dann drehte er sich zu ihr um. „Setzen Sie sich wieder auf die Couch.“ Sein Blick ließ keinen Widerspruch zu.
„Aber, Sir …“
„Kein Aber“, unterbrach er sie und ging an ihr vorbei.
„Mein Hund ist schuld, also bin ich verantwortlich.“
Bekümmert folgte sie ihm ins Wohnzimmer und setzte sich wieder auf das Sofa. „Sir, das schickt sich wirklich nicht.“
„Und was wäre schicklich? Einen Bediensteten zu holen, der sich dann um die Wunde kümmert?“
„Ja, Sir, oder ich könnte es auch allein tun.“
Er schüttelte den Kopf und kniete vor ihr nieder. „Das ist für mich beides nicht in Ordnung. Ich bin der Fürst, und ich habe das Sagen.“ Er blickte auf ihr Bein und dann in ihre Augen. „Sie müssen die Strumpfhose ausziehen.“
Erin schlug das Herz bis zum Hals, und sie hielt den Atem an, als sie die Entschlossenheit in seinen Augen sah. Sie öffnete den Mund, schloss ihn wieder und räusperte sich. „Könnten Sie sich bitte umdrehen, Sir?“ Selbst in ihren eigenen Ohren klang ihre Stimme schrill.
Er zuckte nur mit den Schultern. „Natürlich. Sagen Sie Bescheid, wenn Sie fertig sind.“
Mit zittrigen Händen schob sie die Strumpfhose über ihre Beine und sah plötzlich das entsetzte Gesicht ihrer Lehrerin im Mädchenpensionat vor sich. Erin hatte gewusst, dass dieser Auftrag eine Herausforderung darstellte, doch nie wäre ihr in den Sinn gekommen, dass sie sich in eine derart peinliche Situation manövrieren könnte. Sie trat aus ihren Pumps und zog die Strumpfhose über die Füße.
„Fertig?“, fragte Daniel, als hätte er die Augen hinten im Kopf.
„Ja, Sir“, erwiderte sie zögernd.
Er drehte sich um und legte die Hand direkt oberhalb ihres Knies. Als sie zusammenzuckte, blickte er zu ihr auf. „Tut das weh?“
„Ein bisschen, Sir“, stieß sie hervor. Die Tatsache, dass Seine Hoheit vor ihr kniete, war ihr mehr als peinlich, und ihre Nerven waren aufs Äußerste angespannt. Schon spürte sie, dass sich der verhasste nervöse Tick ankündigte. Sie schloss die Augen, holte tief Luft und stellte sich eine friedliche, verschneite Schweizer Landschaft vor.
Eine seltsame Intimität entstand zwischen ihnen, als Daniel ihren Schenkel berührte. Mit sanften Händen reinigte er die Wunde und desinfizierte sie. Er legte den Verband an, und Erin öffnete wieder die Augen.
Sie erwischte ihn dabei, wie er auf ihre lackierten Fußnägel sah. Unwillkürlich krallte sie die Zehen in den Teppich.
Er strich über ihr Bein bis hinunter zu ihren Füßen. Ein Prickeln ging durch ihren Körper. „Ihre Füße werden ganz kalt. Ich gebe Ihnen ein Paar Socken.“ Er stand auf und blickte auf Erin hinab.
Ihre Blicke trafen sich, und einen Moment lang schien die Zeit stehen zu bleiben. Erin hielt den Atem an, als sein Blick zu ihren Lippen wanderte.
Dann sah Daniel weg. Er schüttelte kaum merklich den Kopf, fast, als wäre er einen Moment lang versucht gewesen, sie zu küssen, dann aber zur Vernunft gekommen.
Erin fragte sich, wann sie wohl endlich wieder zur Vernunft kam.
„Socken“, murmelte er. „Sie entsprechen vielleicht nicht Ihren Modevorstellungen, aber damit haben Sie es etwas gemütlicher.“ Er kniff die Augen zusammen. „Wahrscheinlich wollen Sie in der Kälte auch nicht mit nackten Beinen zurück ins Hotel. Ich hole Ihnen eine Jogginghose und ein Sweatshirt.“
Erin merkte, dass sie langsam in Panik geriet. Sie sollte Kleidung von Seiner Hoheit tragen? Wie war es nur möglich, dass ihr die Situation so sehr entglitten war? „Vielen Dank, Sir, aber das ist wirklich nicht nötig.“
„Natürlich ist es das. Es ist Januar, und wir sind in Chicago. Kein vernünftiger Mensch läuft um diese Jahreszeit mit nackten Beinen herum.“ Er hatte plötzlich ein teuflisches Leuchten in den Augen. „Auch wenn es eine Schande ist, so schöne Beine unter einer Jogginghose zu verstecken.“
Erins Herz schlug Purzelbäume, und ihr wurde heiß. Wie sollte sie ihren Job erfolgreich ausführen, angemessene Distanz wahren und – so die ausdrückliche Order ihres Vaters – Daniel davon abhalten, die Thronfolge anzutreten, wenn er sie wie eine begehrenswerte Frau behandelte und nicht wie seine Beraterin in allen Fragen der Etikette? Wie um alles in der Welt sollte sie Haltung bewahren in der Nähe eines Mannes, der so viel Sexappeal hatte?
Erin stellte fest, dass es äußerst schwierig war, in einem Jogginganzug, in dem sie fast versank, förmlich und korrekt zu bleiben. Sie setzte sich kerzengerade hin.
„Ich habe Ihnen einige Bücher mitgebracht, Sir“, sagte sie. „Diese beiden handeln von höfischer Etikette, und in diesem finden Sie Abbildungen der Gala-Uniformen, die Sie bei den unterschiedlichsten Anlässen tragen werden. Manche Menschen nehmen Informationen besser auf, wenn sie Bilder dazu sehen können.“
Daniel blätterte durch eines der Bücher und sah Erin fragend an. „Sie haben gedacht, dass ich vielleicht ein Bilderbuch brauche?“
Ups. Erin hoffte, dass sie ihn mit ihrer Bemerkung nicht beleidigt hatte. „Bei der Fülle an Informationen, die Sie bekommen werden, Sir, dachte ich, es wäre vielleicht anschaulicher, wenn sie nicht ganz so trocken übermittelt werden.“
Daniel zog spöttisch einen Mundwinkel hoch. „Ich bin wirklich neugierig, was man Ihnen von mir erzählt hat.“
Erin schossen die vielen Dinge durch den Kopf, die ihr Vater ihr gesagt hatte, die sie jedoch nicht wiederholen konnte. „Ich weiß, dass Sie vierunddreißig Jahre alt sind und Chef der Marketingabteilung bei Connelly Corporation, Sir. Sie haben das College besucht und hatten ein Football-Stipendium. Und Sie sind durch und durch Amerikaner.“
Er grinste breit.
„Das Wichtigste ist aber, Sir, dass Sie der älteste Sohn von Prinzessin Emma sind und damit der Thronfolger. Und Sie haben eingewilligt, Ihr Leben als Amerikaner aufzugeben und Altaria als Fürst zu dienen.“
Er nickte. „Ergänzen möchte ich noch, dass ich meinen Abschluss in Betriebswirtschaft und Philosophie an der Northwestern University gemacht habe. Haben Sie einen Laptop im Hotel?“
Erin bejahte.
„Dann können Sie sich ja mal die Website der Universität ansehen, falls es Sie interessiert. Sie ist sehr informativ.“
Erin hatte das ungute Gefühl, dass es noch so manches gab, was man ihr über Daniel nicht gesagt hatte. „Das werde ich tun, Sir.“
Daniel sah wieder auf das Buch. „Nur damit ich Sie richtig verstehe, zu meinem Job gehört es doch, bei diversen Events in Gala-Uniformen zu erscheinen, oder?“
„So ist es, Sir. Die Wahrung der Traditionen gibt den Menschen eine gewisse Sicherheit.“
„Okay. Gibt es jemanden im Palast, der weiß, welche Uniform ich zu welcher Gelegenheit tragen muss?“ „Selbstverständlich, Sir. Dafür stehen Ihnen mindestens zwei Bedienstete zur Verfügung.“
„In dem Fall kann ich die Entscheidung, ob ich rot oder blau trage, mit gutem Gewissen den Bediensteten überlassen, richtig?“
„Ich vermute es, Sir. Ich dachte nur, dass Sie informiert sein möchten, da es einen signifikanten Unterschied geben wird zu Ihrer jetzigen Art, sich zu kleiden.“
Daniel schloss lächelnd das Buch. „Solange mich niemand in ein pinkfarbenes Ballettröckchen steckt, ist mir das eigentlich vollkommen egal. Erzählen Sie mir lieber von den Menschen auf Altaria.“
Erin blinzelte. Ihr Gespräch mit Daniel verlief völlig anders als geplant. Ihr Vater hatte sie angewiesen, Daniel davon zu überzeugen, dass der Fürst hauptsächlich Repräsentationspflichten zu übernehmen hatte, falls sie ihn nicht davon abhalten könnte, die Thronfolge anzutreten. „Die Menschen auf Altaria, Sir?“
„Ja. Sie sind Altarianerin. Wie würden Sie Ihre Landsleute beschreiben?“
„Als warmherzig und engagiert, Sir.“ Sie dachte an die Menschen, die den Touristen ihre Dienste, frisches Obst und Gemüse anboten. „Familienorientiert. Aufgrund der Inselsituation ist den jungen Leuten der Zugang zu höherer Bildung erschwert.“
„Erklären Sie mir das bitte genauer.“
„Wir haben auf der Insel keine Universität.“
„Warum nicht?“
„Es hat dort noch nie eine gegeben. Junge Menschen, die studieren sollen, müssen aufs Festland.“
Daniel runzelte die Stirn. „Wenn also jemand intelligent und motiviert ist, die Familie aber nicht die finanziellen Mittel hat, um das Kind an die Universität nach Europa zu schicken, dann bleibt es auf der Insel?“
Erin nickte. „Korrekt, Sir. Diese jungen Leute treten dann meist in die Fußstapfen ihrer Eltern.“
„Und wie steht das Parlament dazu?“
„Das Parlament steht Veränderungen träge gegenüber, solange es keinen massiven Druck gibt.“
Seinem Gesichtsausdruck sah sie an, dass ihm die Antwort nicht gefiel. „Was glauben Sie, erwarten die Menschen von ihrem Fürsten?“
Erin fühlte sich hin- und hergerissen. Einerseits faszinierte sie Daniels Interesse an ihren Landsleuten, gleichzeitig aber konnte sie die Wünsche ihres Vaters nicht ignorieren. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ehrlich zu antworten. „Sir, ich glaube, die Bürger von Altaria wünschen sich einen Fürsten, der eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft schlägt. Auch Amerikaner wissen, dass die Tradition in schweren Zeiten eine Quelle der Zuversicht sein kann. Altaria ist stolz auf die ununterbrochene Thronfolge, die die Rosemeres gesichert haben. Die Altarianer wollen einen Herrscher, der die Vergangenheit schätzt und weiß, wo die Zukunft hinführen muss.“
Daniel nickte. „Das heißt also, dass ich die Geschichte Altarias büffeln muss. Sie haben gesagt, dass Sie mit dem politischen Klima vertraut sind. Wie steht das Parlament zu einem Amerikaner als Thronfolger?“
Erin sah weg. „Die offizielle Haltung ist, dass das Parlament hocherfreut ist, dass es einen gesunden Thronfolger gibt, der bereit ist, das Erbe anzutreten, Sir. Viele Menschen waren überrascht, dass Sie zugestimmt haben, Ihr Privatleben und Ihre Freiheit aufzugeben, um den Thron zu besteigen.“
Daniel seufzte und stand auf. Er trat an das große Panoramafenster und sah hinaus. „Ich gehöre nicht zu den Menschen, die sich vor Pflichten drücken. Unsere Eltern haben uns dazu erzogen, Verantwortung zu übernehmen. Ich könnte nicht mehr in den Spiegel sehen, wenn ich mich vor der Verantwortung drücken würde, aber …“
Er machte eine kurze Pause und drehte sich zu Erin um. „Aber ich hatte immer das Gefühl, dass ich nicht mein Leben lang bei Connelly Corporation bleiben würde. Zugegeben, ich hätte nicht gerade einen Job als Fürst ausgewählt, aber offensichtlich hat der Job mich auserkoren.“ Er sah ihr in die Augen, und sie spürte die Intensität seines Blickes bis in die Zehenspitzen. „Ich bin ein Connelly, und ich werde mein Bestes geben.“
Seine Worte hingen zwischen ihnen, und Erin spürte langsam, dass mehr hinter Daniel Connelly steckte, als sie oder ihr Vater gedacht hatten.
Langsam näherte er sich Erin. „Das war die offizielle Haltung des Parlaments. Wie sieht die inoffizielle aus?“
Erin geriet in Panik. Sie musste ihrem Vater gehorchen und seine Wünsche befolgen, aber sie versuchte einen Weg zu finden, seinen Erwartungen gerecht zu werden, ohne ihr eigenes ausgeprägtes Gespür für Integrität zu verletzen. „Inoffiziell und offiziell gilt, dass unsere Politiker auf Traditionen setzen und Veränderungen skeptisch gegenüberstehen, Sir.“
„Eine geschickte Art auszudrücken, dass ich sie nervös mache.“
„Das habe ich nicht gesagt, Sir.“
„Das war auch nicht nötig.“ Er neigte den Kopf zur Seite. „Ich mache auch Sie nervös.“
Verlegen wäre treffender, dachte sie. „Nein, Sir. Natürlich nicht“, sagte sie, was allerdings nicht ganz der Wahrheit entsprach.
„Überhaupt nicht?“ Er setzte sich neben sie auf die Couch.
Seine Nähe irritierte sie. „Nun, vielleicht ein bisschen, Sir.
Sie sind ganz anders, als ich erwartet hatte.“
„Inwiefern?“, fragte er. Sein Blick war so durchdringend, dass sie sich fragte, ob er durch sie hindurchblicken konnte.
Erin fühlte sich ausgesprochen unbehaglich. „Es steht mir nicht zu, das zu sagen, Sir.“
„Und wenn ich es gern wissen möchte? Ich bin der Fürst.“
„Ist das ein Befehl, Sir?“
„Ist denn einer nötig?“
„Ja, Sir.“
„Okay, dann ist es einer. Also, sagen Sie mir, inwiefern ich anders bin, als Sie dachten.“
Erin holte tief Luft und wäre am liebsten im Boden versunken. „Sie sind intelligenter, als ich erwartet habe, Sir“, gestand sie mit leiser Stimme. Erklärend fügte sie hinzu: „Football-Stipendium, Sie wissen schon.“
„Die akademischen Anforderungen an der Northwestern University sind für alle Absolventen sehr hoch, auch für das Footballteam.“
„Oh.“
„Was sonst noch?“
„Sie haben ein Ehrgefühl, das mich überrascht, Sir. Ihr Interesse an den Altarianern kommt unerwartet. Sie sind freundlicher und weniger von sich eingenommen, als ich dachte“, fuhr sie fort. „Sie sehen mich an, wenn Sie mit mir sprechen. Sie hören mir wirklich zu.“
„Das überrascht Sie?“
Sie erwiderte seinen Blick und nickte schweigend.
„Warum sollte ich Ihnen nicht zuhören?“
Sie zuckte mit den Schultern und dachte daran, wie oft sie das Gefühl gehabt hatte, ihr Vater würde an ihr vorbeiblicken, statt sie wirklich anzusehen. „Ich weiß nicht, Sir. Vermutlich bin ich einfach nicht daran gewöhnt.“
Daniel runzelte nachdenklich die Stirn. Dann sah er Erin wieder an. „Was noch?“
Nervös faltete sie die Hände im Schoß. „Sie sind größer, Sir.“ Und sehen besser aus, fügte sie in Gedanken hinzu.
„Wie groß ist der Durchschnittsaltarianer?“
„Ich weiß es nicht, Sir. Kleiner als Sie.“
Er lachte. „Gibt es auch Dinge an mir, die Sie nicht überrascht haben?“
„Sie sind sehr amerikanisch, sehr locker und absolut desinteressiert an höfischer Etikette.“ Erin entspannte sich. Sie war fertig. Noch mehr ehrliche und peinliche Enthüllungen gab es nicht.
„Damit haben Sie recht“, sagte er. „So, und jetzt werde ich Ihnen sagen, inwiefern Sie anders sind, als ich erwartet habe. Das ist nur fair.“
Erin hatte sofort einen Knoten im Magen.
„Obwohl ich wusste, dass Sie die Tochter des Außenministers sind, habe ich Sie mir älter vorgestellt.“
„Älter, Sir?“
„Um die fünfzig, mit orthopädischen Schuhen und furchtbar brav und anständig.“
Seine Worte ärgerten sie. Brav und anständig drückte genau das aus, was sie zu Hause sein musste.
„Stattdessen sind Sie eine Blondine mit tollen blauen Augen und fantastischen Beinen, die furchtbar brav und anständig ist.“ Er schwächte seine Einschätzung mit einem unwiderstehlichen Lächeln ab. „Aber vielleicht gehört es zu Ihrem Job, so zu sein. Ich stelle mir immer wieder vor, wie Sie wohl als Privatmensch sind.“ Er legte seine Hand auf ihre. „Vielleicht finde ich das ja irgendwann heraus.“
Nicht, wenn ich es verhindern kann, dachte Erin.
Anderthalb Stunden später lief Erin nachdenklich in ihrem Hotelzimmer auf und ab. Gleich nach ihrer Rückkehr hatte sie die Website der Northwestern University aufgerufen.
Ihr Telefon klingelte, und sie wusste sofort, wer es war. Ihr Vater.
„Hast du diesen Amerikaner getroffen?“, fragte er ohne Einleitung.
„Ja, heute Abend.“
„Machst du Fortschritte?“
Eigentlich nicht, dachte sie und strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Ich habe das Gefühl, ich habe nicht die richtigen Informationen über unseren neuen Fürsten bekommen.“ Die Verärgerung war ihrer Stimme deutlich anzuhören.
„Welche Information?“
„Man hat mich glauben lassen, dass er nicht besonders intelligent ist.“
„Ist er auch nicht. Er ist ein Football-Spieler.“
„Vater, dieser Mann hat an einer Eliteuniversität seinen Abschluss mit Auszeichnung gemacht.“
„Das qualifiziert ihn nicht für seine Aufgabe als Herrscher von Altaria.“
„Nein, das Einzige, was ihn qualifiziert, ist die Tatsache, dass er der älteste männliche Rosemere ist. Es hätte also auch ein achtzehnjähriges Milchgesicht sein können. Stattdessen ist der Thronfolger ein intelligenter, erfahrener vierunddreißigjähriger Mann.“
„Ein Achtzehnjähriger wäre leichter zu manipulieren“, murmelte ihr Vater. „Glaubst du, dass du ihn davon abhalten kannst, die Thronfolge anzutreten?“
Erin befand sich in einer zwiespältigen Situation. Sie hatte Verständnis für die Vorbehalte ihres Vaters Daniel gegenüber. Schließlich war er Amerikaner, der die Geschichte Altarias weder kannte noch schätzte. Ihr Vater fürchtete, Daniel könnte sich wie ein Elefant im Porzellanladen verhalten und den Frieden und die Ruhe in dem Fürstentum stören.
Erin erinnerte sich an Daniels entschlossenen Gesichtsausdruck, als er darüber sprach, die Thronfolge anzutreten. „Ich weiß nicht, Vater. Ich habe das Gefühl, Seine Hoheit sieht es als seine Pflicht und auch als Ehre an, die Rolle des Fürsten zu übernehmen.“
Das missbilligende Schweigen ihres Vaters dauerte an.
Erin schloss die Augen.
„Du wechselst doch nicht etwa die Seiten?“, fragte er misstrauisch.
„Nein.“ Trotzdem fragte sie sich, wie sie den Konflikt lösen sollte. „Du bist mein Vater, und Altaria ist mein Heimatland.“
„Denk daran, Erin: Ein guter Mann muss noch lange nicht ein guter Fürst für Altaria sein. Schlaf jetzt etwas, Kind. Ich rufe dich wieder an.“ Damit beendete er das Gespräch.
Erin legte den Hörer auf und starrte aus dem Fenster auf die beleuchtete Skyline von Chicago. Sie schlang die Arme um sich. Ihr Vater hatte sie „Kind“ genannt. Seit Jahren hatte sie sich nicht mehr wie ein Kind gefühlt. Sie war noch sehr klein gewesen, als ihre Mutter starb, und so hatte sie nur vage Erinnerungen an das sanfte, freundliche Lachen, ihre liebevollen Berührungen und ihr Parfum.
Die Jahre in den Internaten hatten sie früh erwachsen werden lassen. Von klein auf war sie auf sich allein gestellt gewesen. Sie hatte unter Einsamkeit gelitten, doch sie hatte sich nie etwas anmerken lassen. Jetzt bekam sie endlich die Chance, ihrem Vater näherzukommen, und sie war überhaupt nicht sicher, dass sie es schaffen würde.
Geistesabwesend strich sie über das weiche Fleeceshirt und blickte an sich hinunter auf die viel zu große Jogginghose, die sie immer noch trug. Es war merkwürdig, doch in Daniels Jogginganzug hatte sie das Gefühl, von ihm umarmt zu werden. Sie fragte sich, wie es wäre, in Daniels Armen zu liegen und von ihm geküsst und gestreichelt zu werden. Der Gedanke erregte sie.
Lächerlich, dachte sie und verdrehte die Augen. Sie ging ins Bad, um sich die Zähne zu putzen, und versuchte, die aufregenden Gedanken an Seine Hoheit zu verdrängen. „Seine Hoheit, Seine Hoheit, Seine Hoheit.“ Laut murmelte sie seinen Titel vor sich hin, um sich einzuprägen, dass dieser Mann absolut tabu war. Dann holte sie sich ein Nachthemd und zog sich um.
Sofort war das warme, tröstliche Gefühl einer Umarmung verschwunden. Erin krabbelte unter die Decke und zog sie über den Kopf, so wie sie es unzählige Male als Kind getan hatte. Sie bemühte sich, nicht an Daniel zu denken, doch sie konnte nicht vergessen, wie zärtlich er ihren Schenkel berührt hatte, und wie er darauf bestanden hatte, dass sie seinen Jogginganzug anzog. Und sie konnte nicht vergessen, dass er ihr ins Gesicht gesehen hatte, als sie mit ihm sprach, und nicht an ihr vorbei. Sie konnte ihn nicht vergessen.
„Ich weiß, es ist sehr kurzfristig“, sagte Daniel am folgenden Morgen. „Aber wenn Sie heute Abend nichts anderes vorhaben, hätten Sie dann Lust, mich zu einem Wohltätigkeitsball zu begleiten?“
Seit Erin in Chicago angekommen war, hatte sie mehr Zeit denn je in ihrem Leben. Aber ließ sich die Einladung mit ihrem Job vereinbaren? „Ein Wohltätigkeitsball?“, wiederholte sie.
„Es ist einer der Lieblingsbälle meiner Familie, und ich habe versprochen, daran teilzunehmen, bevor die Nachricht von der Thronfolge kam. Ich habe meiner Mutter gesagt, dass ich trotzdem kommen werde, solange ich im Hintergrund bleiben kann. Mit anderen Worten, wir kommen spät und gehen früh. Sind Sie dabei?“
Erin wickelte sich nervös das Telefonkabel um den Finger. „Warum gerade ich, Sir?“
„Natürlich könnte ich mit anderen Frauen hingehen, aber ich würde den ganzen Abend damit verbringen, Diskussionen über meine Zukunft auszuweichen. Ich verlasse diese Welt und betrete eine andere. Sie sind die Frau, die das am besten versteht.“
Erin fühlte sich gegen ihren Willen geschmeichelt.