Tod und Tafelspitz

Ilona Mayer-Zach (Hrsg.)


ISBN: 978-3-95428-640-9
1. Auflage 2016
© 2016 Wellhöfer Verlag

Titelgestaltung: Uwe Schnieders, Fa. Pixelhall, Mühlhausen

All rights reserved – Alle Rechte vorbehalten

www.wellhoefer-verlag.de

Die Erzählungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit wirklichen Personen oder tatsächlichen Ereignissen sind nicht beabsichtigt und somit rein zufällig.
Das vorliegende Buch einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlages unzulässig.

Inhalt

Rezepte

Leberschöberl, Nierndln mit Hirn

Veltliner Brotsuppe

Steirischer Käferbohnensalat

Kärntner Maischalan

Martinigansl à la Trbala

Tiroler Leber

Steirische Forelle mit Kürbiskernkruste

Tafelspitz mit Semmelkren

Altwiener Krautfleckerl

Kärntner Lasagne mit Fleisch

Kärntner Lasagne vegan

Tofuschnitzel im Sesammantel auf Nudelbett mit Mandel-Kürbis-Crème und Kürbis-Rosmarin-Wedges

Bärlauchsuppe

Magenstriezel

Tiroler Speckknödelsuppe

Pongauer Fleischkrapfen

Bregenzerwälder Käsknöpfle

Roter Rübensalat, Gefülltes Hendl

Schoko-Tarte à la Katalin

Linzer Torte

Marillenknödel aus Topfenteig

Burgenlandkipferl

Vorarlberger Funkaküachle

Blut und Beuschel

(Wien)

Peter Hiess und Werner Skibar

 

Eine Kriminalgeschichte mit Bernd Waidmann und Dr. Trash

 

»Dr. Trash, wir werden gebraucht.«

»Sind Sie wahnsinnig, Waidmann?! Um die Uhrzeit darf mich nicht einmal die Emma Peel anrufen. Was ist denn, um Gottes willen?«

»Also, erstens einmal ist es drei viertel zwei am Nachmittag, und zweitens haben wir einen Fall. Mord. Vielmehr: mehrere Morde. Und ganz grausliche noch dazu, also genau nach Ihrem Gusto.«

»Dafür ist die Polizei zuständig. Lassen Sie mich schlafen.«

»Meine Exkollegen von der Heh sind total überfordert, deswegen haben sie ja mich angerufen. Und Geld gibt’s auch, wenn wir den Täter finden.«

»…«

»Hören Sie zu, Doc? Ich sagte GELD!«

»Wie bitte, wer? Ja, OK, gut, verstehe. Treffen wir uns in einer halben Stunde im Kaffeehaus bei mir unten. Sie können gleich drei große Mokka für mich bestellen.«

 

*

 

Trash nimmt schweigend Platz, stürzt die ersten zwei Kaffee herunter, raucht sich eine Marlboro an und gähnt. Dann nimmt er den dritten Mokka zur Hand und wirft über den Rand seiner Sonnenbrille einen ersten Blick auf Bernd Waidmann, der ihm gegenübersitzt und sich an einer Bierflasche festhält.

»Also, was ist?«

»Guten Morgen, Herr Doktor! Bestens gelaunt, wie ich sehe. Da steht alles drinnen, lesen Sie’s selber.«

Er schiebt ihm die aktuelle Ausgabe von täglich Alles über den Tisch.

 

Die letzte Schlachtplatte

 

Dritter Restaurantkritiker in Folge brutal ermordet!

 

Wien, 17. April 1993. Wie die Polizei der Bundeshauptstadt Dienstagabend bekannt gab, wurde der Gourmetpapst Axel Sirnitz in seiner Wohnung im 1. Bezirk Opfer eines grausamen Verbrechens. Der Leichnam des bekannten Journalisten wurde am Nachmittag von seiner Bedienerin Milica P. aufgefunden. »War furchtbar«, berichtete die vom Schock gezeichnete Frau dem täglich Alles-Reporter exklusiv. »Arme Herr Axel gelegen in viel Blut, wie Abstechen von Schwein.«

 

Da es in den vergangenen Wochen bereits zu ähnlichen Mordtaten an zwei bekannten Restaurantkritikern gekommen war, gehen die Behörden von einem Serientäter aus. »Wir verfolgen akribisch alle Spuren«, sagt Polizeisprecher Kurt Ludwig. »Derzeit überprüfen wir, ob die Ermordeten gemeinsame Bekannte gehabt haben könnten.«

 

Trash blickt schmunzelnd von der Lektüre auf. »Hervorragend!«, ruft er aus. »Ich hasse diese Kreaturen, die jeden Abend gratis fressen und saufen gehen, um sich am nächsten Tag verkatert an die Schreibmaschine zu setzen und irgendwelche Bosheiten abzusondern – oder einem Koch, den sie entdeckt haben, tief ins Gedärm zu kriechen. Kann ich gut verstehen, dass man solche Leute aus dem Verkehr ziehen will.«

»Sie hassen jeden, Doc«, erwidert Waidmann. »Und verstehen allein reicht nicht, wir sollen den Täter auch finden. Die Angehörigen der ersten beiden Opfer haben hohe Belohnungen ausgesetzt. Die gehören nur uns, wenn wir als Erste den Killer kassieren. Zum Tatort sind wir übrigens auch eingeladen, hat mein alter Freund, der Chefinspektor Gustl, gemeint. Damit wir uns selber ein Bild machen können.«

»Na, dann frisch ans Werk. Hoffentlich gibt’s dort was zum Frühstücken.«

 

*

 

»Na zack, da stinkts wie am hundertzehnten Tag von Sodom!«, gibt sich Bernd kulturbeflissen. »Pasolini, schau oba …«

»Servus, Waidmann, grüssie, Herr Doktor«, sagt ein gesetzter älterer Uniformierter zu den Herren und streckt ihnen die Hand entgegen. »Chefinspektor Gustav Horak. Ich hab ja schon viel gsehn in meiner Laufbahn, aber sowas …« Er deutet hinter sich in das Designerwohnzimmer, wo Blut, diverse Körperflüssigkeiten und Fleischfetzen die schöne schwarzweiße Chrom-, Stahlrohr- und Ledereinrichtung verzieren. »Jedenfalls bin ich froh, dass ihr da seids.«

»Mmmmmhhmmm«, antwortet ihm der Doc, der soeben von seiner mit dicken Blunzenradln gefüllten Semmel abbeißt, dass der Kremser Senf nur so herausquillt. »Mmmm … Tag. Wo is denn der Tote?«

»Den hamma doch schon längst abtransportiert, Herr Doktor. Aber ich hab unseren Gerichtsmediziner herbestellt, und Fotos haben wir auch da, von allen drei Fällen.«

Trash steigt über eine Blutlacke und bröselt sich auf die Weinvitrine des verstorbenen Hausherrn zu. Die ist zwar stilsicher mit Thermostat und Feuchtigkeitsregler versehen, aber sinnlos, weil die Frontscheibe offenbar schweren Kampfhandlungen zum Opfer gefallen ist. Der Doc greift geschickt zwischen den Glassplittern hindurch, holt eine Flasche Château Lafite heraus, Jahrgang extrem teuer, und drückt den Stoppel in die Flasche. Dann spült er mit einem gesunden Zug seine Blutwurst hinunter.

»Wunderbar!«, sagt er frisch und munter. »Also los. Was wissen wir?«

»Opfer Nummer eins: Christian Tannreich, Gourmetkritiker beim Kurier«, doziert Horak. »Im Hinterhof seiner Hietzinger Villa erschlagen, wie er grad den Mist rausgetragen hat. Der Täter – den Fußspuren nach war es nur einer, wahrscheinlich männlich – hat ihn dann ins Vorzimmer geschleift, entkleidet und ihm mit einem scharfen Messer die Leber entfernt. Da, schauen Sie sich die Sauerei selber an …«

Er schiebt den Privatermittlern die farbigen Hochglanzfotos hinüber. Bernd wird ein bisserl blass im Gesicht, der Doc isst ungerührt weiter und macht noch einen 400-Schilling-Schluck vom Roten.

»Schaut professionell aus, der Schnitt«, bemerkt Trash.

»Aber nur auf den ersten Blick«, mischt sich da der Gerichtsmediziner ein und borgt sich kurz die Flasche aus. »Gestatten, Wolfmann, Professor Wolfmann. So ein Weinderl wollte ich immer schon kosten … Jedenfalls: Der Mörder ist mit Sicherheit kein Chirurg, wahrscheinlich überhaupt keiner aus der ärztlichen Profession. Die Leber war nicht ganz sauber herausgeschnitten, eher hektisch und ein bissl unsicher. Fast so, als wäre ein Schlachter oder ein Koch am Werk gewesen, der naturgemäß noch nie einen Menschen zerlegt hat …«

»Weißt noch den Fall mit dem Chinesenrestaurant im Sechsten?«, wendet sich Bernd schmunzelnd an seinen früheren Kollegen.

»Ned jetzt«, gibt Horak zurück. »Du störst den Herrn Professor.«

»Kein Problem«, sagt der und rollt genießerisch einen Schluck Rotwein am Gaumen entlang. »Kommen wir zum zweiten Fall: Heinz Hammerl, Redaktion Leben im profil. Den haben wir im Badezimmer entdeckt, wahrscheinlich hat ihn der Täter in der Wanne ertränkt. Danach wurde das Wasser ausgelassen, und man hat den Hammerl auf den Rücken gedreht und operiert. Diesmal warens die Nieren, alle zwei. Wesentlich schnittsicherer als beim ersten Mal – das Licht war besser, und es bestand auch nicht die Gefahr, dass irgendein Passant oder Nachbar was gehört hat.«

Der Doc betrachtet das Foto des Ermordeten. »Was wächst ihm denn da beim Hintern heraus?«

»Ein Petersilsträußerl«, sagt Chefinspektor Horak. »Das muss ihm der Täter hineingesteckt haben.«

»Oder er war pervers«, gibt Bernd zu bedenken.

»Nein, unser Freund hinterlässt an jedem Tatort ein Geschenk. Dem ersten Opfer hat er ein Achtl Butter in den Mund gelegt. Dafür gibts weder Fingerabdrücke noch Blutspuren von ihm.«

»Und jetzt? Was ist mit dem Gourmetpapst da passiert?«, blickt sich Trash interessiert um.

»Mittlerweile scheint der Mörder auf den Geschmack gekommen zu sein«, erläutert Wolfmann. »Dem Sirnitz hat er zuerst bei lebendigem Leib die Hoden abgeschnitten und dann Essig in die Wunde geträufelt. Blutverlust und Schock dürften dafür gesorgt haben, dass der Mann das Bewusstsein verloren hat. Sein Glück – nachher wurde ihm nämlich der Schädel aufgesägt. Man hat ihn enthirnt.«

»Na ja, die Ausbeute kann nicht groß gewesen sein, bei der Profession«, sagt der Doc. »Danke, meine Herren. Wir schauen uns den Fall an und melden uns bei Ihnen.«

 

*

 

»Hier ist es ungefähr so gemütlich wie in einem Operationssaal«, sagt Bernd Waidmann, müht sich auf einen wackligen Barhocker mit Kunstledersitz und umklammert die Theke aus poliertem Stahl. »Was machen wir da, Doc? Und wo haben Sie sich die letzten fünf Tage herumgetrieben?«

»In den Archiven«, antwortet Trash. »Meinen eigenen und denen diverser Publikationen. Ich habe sämtliche Artikel der drei Ermordeten aus den vergangenen zehn Jahren gelesen. Eine schlimmere Qual kann man sich kaum vorstellen; man hätte mir nebenbei die Fußnägel ausreißen können, und es wäre erholsam gewesen, im Vergleich. Arroganz, gepaart mit schlechtem Stil und dem kulinarischen Verständnis einer ostdeutschen U-Boot-Mannschaft. Aber es hat sich ausgezahlt. Das hängt übrigens auch damit zusammen, warum wir uns in diesem Etablissement befinden. Aber dazu muss ich etwas weiter ausholen.«

»Oje«, seufzt Bernd und lässt den Kopf auf die Theke sinken. Der Doc trinkt ungeniert aus seinem Krügel Gin Tonic (»aber nicht mit zuviel Tonic!«) und schaut den Ermittlerkollegen von der Seite an. »Was ist? Soll ich berichten?«

»Wenns sein muss«, antwortet Bernd und bestellt sich ein Bier.

»Also, passen Sie auf. Die betreffenden Herren mussten ja naturgemäß öfter über dieselben Lokale schreiben, wenn grad irgendeine neue Schickimicki-Ausspeisung aufgemacht hat. Vor sechs Jahren allerdings haben sie alle innerhalb weniger Tage unglaublich böse Verrisse über ein Gasthaus namens Zum Schwarzen Hahn losgelassen, das die Beislkultur wieder aufleben lassen wollte. Sie wissen schon: Beuschel mit Knödel, Kalbsbries, solche Sachen. Die drei Schmieranten haben weder an der Ausstattung des Lokals noch an der Küche oder der Weinkarte ein gutes Haar gelassen. Vernichtende Kritiken, als ob sie sich’s miteinander ausgemacht hätten. Jedes einzelne Gericht des Eröffnungsabends total zerfetzt, wie Hyänen. Grausame Charaktere …«

»Journalisten halt, Doc.«

»Ja, genau. Aber jetzt kommt’s: Was glauben Sie, was es damals zu essen gegeben hat? Leberschöberlsuppe, gefolgt von Nierndln mit Hirn – übrigens ein Leibgericht meines Großvaters selig.«

»Eine einzige Innereienorgie. Mir treibt’s gleich das Bier wieder hinaus. Und warum ist das wichtig?«

»Sehen Sie denn das nicht? Unser Killer hat beim ersten Opfer die Leber extrahiert und dem dritten die Eier abgeschnitten. Braucht man beides zur Zubereitung der köstlichen Leberschöberln. Und das mit den Nieren und dem Hirn muss ich Ihnen hoffentlich nicht auch noch erklären, oder?«

»Asoooo!« Waidmann macht sein Heureka-Gesicht. »Das heißt, der Irre muss die Speisekarte von dem Abend gekannt haben. Aber warum die Kräuterspende beim Hammerl? Noch dazu an der markanten Stelle?«

»Weil der Herr Redakteur ein Oasch war. Außerdem: einmal Petersilie, das andere Mal Butter, im dritten Fall Essig – alles Zutaten zu den Gerichten. Der Mörder hat’s gegeben, der Mörder hat’s genommen.«

»Ihr Humor ist immer wieder erstaunlich, Herr Doktor. Und wie hilft uns das Ganze jetzt weiter?«

»Wenn Sie mich ausreden ließen, wüssten Sie’s jetzt schon. Nach dem Erscheinen der Kritiken hatte das Beisl trotz bester Lage praktisch keine Gäste mehr. Leer. Bankrott. Der Wirt hat sich in der Speisekammer erhängt, und sein Sohn hat ihn gefunden.«

»Aha, ein Racheakt! Und wo ist der Bub?«

»Da, hinter der Edelstahlbudl«, antwortet der Doc und deutet auf den Barkeeper mit der frisch geschorenen Glatze und dem Hans-Hass-Bärtchen. »Und wo wir jetzt grad sitzen, hat seinerzeit der schwarze Hahn gekräht.«

»Ein Wahnsinn! Das nenn ich Recherche. Herr Ober!«

»Bitte, Burschen, was kann ich für euch tun?«

»Wir sind keine Burschen, Herr Kranzbichler, wir sind Privatdetektive. Und wir möchten Sie ganz dringend was fragen.«

»Jössas, es wird doch nix passiert sein! Warts, i hol mir ein Achterl.«

Waidmann und Trash setzen sich mit dem Lokalbesitzer an einen Tisch, der ebenfalls so aussieht, als hätte man vor ein paar Stunden noch chirurgische Geräte auf ihm geputzt. Oder einen Lokalkritiker fachmännisch zerlegt.

»Alsdann, was haben Sie an den folgenden Abenden gemacht?« Der Doc zitiert aus dem Gedächtnis die Daten der Mordnächte.

»Na, glaubens leicht, des merk i ma? Aber für was hab i an Kalender? Also, wie war des … Dienst. Dienst. Und amoi die Kathi pudern.«

»Sowas schreibens Ihnen auf?!«, staunt Bernd.

»Na freilich. Ghört ja alles für die Nachwelt festghalten.«

»Und haben Sie Zeugen für Ihren Verbleib an den fraglichen Abenden?« versucht Trash wieder mehr Seriösität in die Diskussion zu bringen.

»Na ja, wenn Dienst war, circa zwanzig bis dreißig Stammgäste, bis in der Früh. Und die Kathi hat mi sicher a ned vergessen, wenns wissts, was i maan … Aber wieso interessiert euch des überhaupt alles?«

Waidmann legt die sorgsam ausgeschnittenen Zeitungsartikel über die Mordfälle vor seinem Gesprächspartner aus. »Diese Personen sind zur betreffenden Zeit ermordet worden«, versucht er sich wieder einmal im Amtsjargon aus seinem früheren Leben. »Das waren zufällig genau die Gourmetkritiker, die Ihren Vater unter die Erd bracht haben. Vielleicht wollten Sie sich ja an denen rächen …«

»Sads deppat, warum hätt i denn sowas machen solln?!«, lacht Kranzbichler und zaust sich den Kinnbart. »I hab die Hüttn und a halbe Million Schilling geerbt, dann hab i die ungmiatliche Szene-Cocktailbar draus gmacht, wo wir jetzt sitzen. Die rennt seit fünf Jahr wie die Hölle. Aber demnächst steig i wieder um – auf a Vinothek, mit Imbisse. Edle Tropfen und kleine Häppchen, wissts eh. Seit die ganzen alten Alternativen und Grünen besser situiert san, fahren die total auf den Bledsinn ab. Je teurer, desto lieber. Des hätts ned glaubt, gell? So, und jetzt miassts mi entschuldigen, i hab andere Gäst a no.«

»Wie gesagt, Doc: erstklassig recherchiert. Aber leider alles falsch. Was tun wir jetzt?«

Trash stürzt den letzten Schluck Gin herunter und räumt indigniert seine altmodische Aktentasche ein. »Ich geh mich hinlegen. Und Sie, Waidmann, könnten in der Zwischenzeit die Exkollegen der drei Ermordeten befragen. Vielleicht fällt denen noch was zu der Geschichte ein.«

 

*

 

»Für mei nächste Kolumne hab i an, der in Graz mit dem Cobain gwuzzelt hat«, prahlt Willi Reichlich, Promi-Starreporter des Rennbahn-Express, und merkt dann, dass er und seine Journalistenfreunde schon wieder auf dem Trockenen sitzen. »Geh, Carlo, bring ma no was zum Trinken!«

Die Bestellung geht in der angeregten Konversation der ebenfalls anwesenden Bank- und Geschäftsleute unter, die beim Mittagstisch in der Stadt Triest Pasta und Pizza mit kübelweise Chianti hinunterspülen, um so schnell wie möglich wieder im Büro Richtung Herzinfarkt weiterhackeln zu können. Statt dem Weißen Spritzer bekommt Willi immerhin einen waschechten Privatermittler an den Tisch, ganz klassisch mit Hut und speckigem Ledermantel.

Bernd Waidmann nimmt mit einem jovialen »Griaß eich!« in der Runde der Zeitungsleute Platz und macht sich umgehend Freunde, als er lauthals verkündet: »Die nächste Runde geht auf mich!«

Seine Mission ist simpel: Er klappert sämtliche Stammlokale der Ermordeten ab und hofft dort auf Schreiberlinge zu stoßen, die er ausfratscheln kann. Jetzt ist er fündig geworden. Ein Lifestyle-Experte namens Frank, den aber alle Rudi rufen und der aussieht (und riecht), als säße er seit zweiundsiebzig Stunden ohne Unterbrechung in der Pizzeria, gibt sich äußerst gesprächig.

»Des waren – mit Verlaub – alles Trotteln, die Herren Gourmetkritiker«, lallt er Bernd ins Ohr. »Die Einsteins des guten Geschmacks, so haben sie ihre Partie genannt. Sind immer beinander gehockt und haben übers Essen gestänkert. Der Hammerl war die größte Krätzn. Eigentlich war nur der Armin in Ordnung.«

»Wer is des?«

»Armin Grandegger. So a Riegel, fast zwei Meter groß. Hat für den Wiener gschrieben. Der war der Einzige, der dieses Neo-Beisl damals nicht verrissen hat, obwohl er sich das mit seinen Haberern ausgemacht hat. Aber dem hats dort richtig gschmeckt. Besonders die Nachspeise … Über die hat er dann mit dem Berger furchtbar gestritten, weil der in seiner Lokalrezension auch das Dessert vernichtet hat: Hat nicht nur ausgeschaut wie Gatschkuchen, sondern auch genauso geschmeckt, ist in dem Artikel gestanden. Jedenfalls, die zwei sind die Einzigen von der Runde, die heut noch leben.«

»Und wo sind die jetzt?«

»Der Berger – Wolfram Berger, glaub ich – sondert seinen Dreck jetzt im News ab. Und der Armin ist damals, wegen genau der positiven Kritik, nicht nur aus seinem Freundeskreis rausgeflogen, sondern auch beim Wiener. Unser Blatt steht immer noch für Zeitgeist, Sie Ewiggestriger! hat ihn der Geschäftsführer angebrüllt. Heute isst man Tapas oder Sushi und nicht mehr Cordon bleu und Leberknödelsuppe. Und jetzt schleichens Ihnen. Er ist dann irgendwo beim ORF untergekommen, Lokalredaktion Wien, was ich ghört hab.«

Na, typisch – im Staatsfunk, denkt Bernd. Wie alle, die nicht wirklich was können, aber sich supergscheit vorkommen. Ganz im Gegensatz zu Trash behält er seine Meinung aber für sich und kippt mit Frank-Rudi lieber noch sechs, sieben Obstler. Geht eh auf Spesen.

 

*

 

»Doc, ich hab was herausgefunden!«, grölt Waidmann Stunden später ins Telefon.

»Wo sind Sie? Am Mittelstreifen von der Süd-Ost-Tangente?«

»Nein, beim Italiener. Das Abendgschäft fangt grad an. Aber des is jetzt wurscht. Hören Sie zu: Es gibt noch einen vierten Restaurantkritiker, der den Schwarzen Hahn damals in den Ruin getrieben hat. Der könnt das nächste Opfer sein.«

»Warum sagen Sie das nicht gleich?«

»Wolfram Berger heißt die Kanaille. Ich hab schon im Telefonbuch geschaut, aber der steht ned drin. Wahrscheinlich a Geheimnummer. Doc? Doc?«

»Wipplingerstraße 18. Wir treffen uns in fünfundzwanzig Minuten dort. Trinken Sie einen großen Espresso, damit Sie wieder nüchtern werden.«

»Wie haben Sie das jetzt wieder … naja, egal. Bis gleich.«

 

*

 

Als Bernd vor dem Haus Wipplingerstraße 18 ankommt, steht Dr. Trash bereits im Eingang und wippt ungeduldig mit dem Fuß.

»Na endlich! Da ist soeben einer reingegangen. Teuer angezogen, hat aber nach hundert Wirtshäusern gestunken und eine Fahne gehabt wie die Sozialisten am ersten Mai vorm Rathaus. Könnte unser Mann sein.«

Bernd versteht wie so oft nur die Hälfte, zieht aber sofort seinen Generalschlüssel aus der Jackentasche und sperrt das Haustor auf. Von oben, aus dem zweiten oder dritten Stock vielleicht, sind schwere Schritte und gelegentliche Rülpser zu hören. Die Ermittler hetzen die Stiege hinauf.

»Herr Berger? Wolfram Berger?« fährt der Doc mit schneidender Stimme das Individuum an, das soeben seine Wohnungstür aufzubekommen versucht. »Wartens a bisserl.«

»Wieso, was is denn? Die Freunde und Helfer? Hab i falsch parkt?«

»Nein, aber wir haben Grund zu der Annahme, dass Sie sich in unmittelbarer Gefahr befinden.«

»Ruhig«, mischt sich Bernd auf einmal ein. »Horchts einmal.«

Hinter der Türe ist ein leises Scharren zu hören, dann Schritte und ein Keuchen.

»Kriminalpolizei!«, besinnt sich der Ex-Inspektor auf alte rhetorische Qualitäten. »Wir wissen, dass Sie da drin sind. Ihr Mordplan ist gescheitert. Kummens ausse, sonst holen mir Ihnen mit Gewalt.«

Trash verzieht bewundernd das Gesicht, Berger setzt sich müde auf die Stufen und holt einen Flachmann aus der Innentasche seines Sakkos, Waidmann wartet ab. Plötzlich erklingt ein lautes Krachen, Poltern und Stöhnen aus der Journalistenwohnung.

»Na bravo!« sagt der Doc und wendet sich an seinen Mitermittler. »Machen Sie das, ich hab das gute Schuhwerk an.«

Bernd rollt die Augen, hebt das rechte Bein und tritt zweimal gegen das klapprige Türschloss der Altbauwohnung. Dann zieht er seinen treuen Gummiknüttel aus der Tasche und wagt sich als Erster ins dunkle Vorzimmer, wo das Gestöhne jetzt immer lauter erklingt.

»Als Erstes dreht man das Licht auf«, sagt der Doc von hinten und kippt den Schalter. »Nicht so wie im Fernsehen, wo die Detektive immer im Dunkeln herumtaumeln.«

»Ja ja, is scho guat«, erwidert Bernd ziemlich unkonzentriert. Er ist abgelenkt von dem, was er im gelblichen Schein der Vorzimmerlampe vor sich sieht: Auf dem Boden liegt ein blutender, hochgewachsener Mann, fast vollständig begraben unter gut dreihundert Kilo Äpfeln. Granny Smith. Der Typ, so viel kann man sehen, ist locker zwei Meter groß. Und hinter ihm an der Wand lehnt ein … sargähnliches Gebilde aus einer Art Teig, mit dem Deckel gleich daneben.

»Bist du gelähmt!«, sagt Trash mit einem Anflug von Ehrfurcht und schüttelt den Kopf. »Die lassen sich schon was einfallen heutzutage, die Mörder.«

Bernd beugt sich einstweilen zu dem Mann hinunter, der schwer verletzt am Boden liegt.

»Herr Grandegger, nehme ich an.«

 

*

 

»Was machen wir eigentlich da?«, fragt Waidmann, der sich generell nicht gern in Intensivstationen aufhält. »Die Belohnung haben wir doch sowieso schon gekriegt.«

»Für mich ist der Fall nicht abgeschlossen«, antwortet der Doc. »Ich hatte noch keine Gelegenheit, mit dem Täter zu reden.«

»Von mir aus …«

Die Privatermittler betreten das Krankenzimmer, in dem ein fast vollständig eingegipster Mensch zwischen piepsenden Maschinen und Beatmungsgeräten liegt.

»Ah, da sind Sie ja«, röchelt es zwischen Bandagen hervor. »Ich darf Ihnen dazu gratulieren, dass Sie mich geschnappt haben. War sicher nicht ganz einfach, wie?«

Der Patient lässt ein dünnes, hohes Lachen hören, das wie der Luftzug im Keller einer verlassenen Nervenheilanstalt klingt. Bernd legt Dr. Trash eine Hand auf die Schulter: »Reicht scho wieder, Doc. Wissts was – i geh ane rauchen.«

»Ein Prolet«, lässt sich der Killer wieder vernehmen, als sich die Tür hinter Waidmann geschlossen hat. »Wahres Genie verstehen eben nur Gleichgesinnte, nicht wahr, Herr Doktor?«

Trash schweigt.

»Schon gut, schon gut. Ich kann Ihnen Ihren Unmut nachfühlen. Wahrscheinlich hätten Sie auch lieber abgewartet, bis ich meinen Feldzug vollendet habe. Immerhin ist es mir bei meinen Taten nicht um primitive Regungen wie Rache gegangen – nein, mein Ziel war es, die journalistische und gastronomische Qualität in diesem Land wiederherzustellen.«

»Und deswegen wollten Sie den Berger zu Äpfeln im Schlafrock verarbeiten. Mit einer selbstgebastelten Falle, in die nur ein Bsuff wie Ihr früherer Kumpan hineintappen konnte. Bis Ihnen das ganze Obst schließlich selber auf den Kopf gefallen ist.«

»Ja, leider. Weil Sie und dieser Ungustl mich gestört haben. Aber schauen Sie, mir kann ja sowieso nichts passieren. Wenn meine Verletzungen geheilt sind, habe ich Behindertenstatus, weil gehen werde ich nie wieder können. Für zurechnungsfähig wird mich garantiert kein Richter erklären. Und vom ORF kriege ich eine gute Pension, egal, was ich angestellt habe. Also …«

»Geh, gusch«, unterbricht der Doc den redseligen Mörder und zieht ihm den Luftschlauch aus der Nase. Dann dreht er ordnungsgemäß das Licht ab und verlässt das Krankenzimmer.

Leberschöberl

 

Zutaten:

 

10 dag Leber

 

etwas Majoran, Salz, Pfeffer

 

2 Semmeln

 

etwas Zwiebel

 

Petersiliengrün

 

5 dag Butter

 

3 Eier

 

1 EL griffiges Mehl

 

2 EL Semmelbrösel

 

Zubereitung:

 

Die Semmeln einweichen. Zwiebel und Petersiliengrün fein schneiden und in etwas Fett anschwitzen. Mit den ausgedrückten Semmeln vermengen. Alles zur ausgeschabten Leber dazugeben und passieren.

 

Butter und Eidotter schaumig rühren, die Lebermasse hinzugeben und mit dem Mehl und den Semmelbröseln vermengen. Danach den steif geschlagenen Schnee aus den drei Eiweiß unterheben.

 

Backpapier einfetten und die Masse darauf fingerdick ausstreichen. Nicht zu heiß backen, bis das Resultat goldgelbe Farbe annimmt. Nach dem Erkalten in gleichmäßige Stücke teilen. In der heißen Suppe gehen die Schöberl noch auf.

Nierndln mit Hirn

 

Zutaten:

 

Schweinsnieren

 

Zwiebel

 

Pfeffer, Salz

 

Kümmel

 

Prise Mehl

 

Essig

 

Zubereitung:

 

Die Schweinsnieren blättrig schneiden und danach rösten. Zwiebeln klein schneiden und in heißem Fett anrösten. Die Nierndln dazugeben. Salz, Pfeffer, feingehackten Kümmel und eine Prise Mehl beifügen. Sind die Nierndln fertig, gehacktes Kalbs- oder Schweinshirn dazugeben und weiter rösten. Mit Suppe und einigen Tropfen Essig aufgießen und mit grüner Petersilie bestreut anrichten.

Äpfel im Schlafrock

 

Zutaten:

 

20 dag Mehl

 

10 dag kalte Butter

 

eine Prise Salz

 

4 mittelgroße Äpfel

 

etwas Marmelade

 

1 Eidotter

 

Gewürznelke

 

Zubereitung:

 

Die Butter wird in das Mehl blättrig geschnitten, eine Prise Salz dazugegeben und alles mit dem Rollholz zu einem Teig verarbeitet, den man zu einem Laibchen formt und für die Dauer einer halben Stunde an einen sehr kalten Ort stellt. Aus dem dünn ausgerollten fertigen Butterteig Vierecke schneiden; auf jedes kommt ein geschälter und ausgehöhlter ganzer Apfel. Diesen mit einem Löffel Marmelade füllen. Den Teig fest um den Apfel herumlegen, sodass die Frucht komplett eingehüllt ist, und mit Eidotter bestreichen. Mit einer Gewürznelke bestecken und eine halbe Stunde heiß backen.