Das Buch
Sie haben sich Ihr Leben lang vom inneren Schönredner erzählen lassen, das Naheliegendste und Bequemste sei auch das Beste für Sie. Nun sind Sie aufgewacht – durch einen runden Geburtstag, einen Blick in den Spiegel oder einen erfolgreichen Freund. Sie wollen Ihr Leben ändern. Aber wie?
Sören Sieg hat diese Phase selbst durchlebt. Heute weiß er: Gegen die Midlife-Crisis hilft kein Motorrad, keine Haartönung und kein Jammern, sondern nur die ehrliche Antwort auf die alles entscheidende Frage: Was, zum Teufel, will ich eigentlich? Anhand vieler Beispiele zeigt er auf, was man nun alles richtig oder aber gänzlich falsch machen kann, um noch ein paar tolle Jahrzehnte vor sich zu haben (oder eben nicht). Seine Botschaft: Entwerfen Sie Ihr Leben, und leben Sie diesen Entwurf. Denn es gibt kein größeres Abenteuer!
Der Autor
Sören Sieg, geboren 1966, wuchs in einem Provinznest in Schleswig-Holstein auf, studierte Sozialwissenschaften und Musik in Hamburg und Bielefeld und tourte 18 Jahre mit dem A-cappella-Quartett LaLeLu durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Nach circa zehn Jahren Midlife-Crisis lebt er heute glücklich als freier Komponist und Autor in Hamburg (www.soerensieg.de).
In unserem Hause sind von Sören Sieg bereits erschienen:
»Ich bin eine Dame, Sie Arschloch!« (mit Axel Krohn)
»Ich hab dich rein optisch nicht verstanden« (mit Axel Krohn)
Superdaddy
Sören Sieg
Die dünnen Jahre
sind vorbei
So übersteht Mann die zweite Lebenshälfte
Ullstein
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ISBN 978-3-8437-1338-2
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Titelabbildung: © FinePic®, München
E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
Alle Rechte vorbehalten
Über das Buch und den Autor
Titelseite
Impressum
Einleitung: Der Klaviertransporterwitz
I. Innehalten
1. Lesen Sie keine Glücksratgeber
2. Widersprechen Sie dem inneren Schönredner
3. Blicken Sie auf die Uhr
4. Schauen Sie in den Spiegel
5. Vergleichen Sie sich mit anderen
6. Hören Sie auf, Geber zu sein
7. Überwinden Sie Ihre Egoismus-Phobie
8. Bekämpfen Sie Ihr ADS
9. Besiegen Sie den inneren Oblomow
10. Hören Sie auf, das Scheitern zu fürchten
11. Fürchten Sie sich nicht vor Ablehnungen
12. Stellen Sie sich den Risiken
13. Schauen Sie in die Sonne
14. Bleiben Sie in der Kommandozentrale
15. Gönnen Sie sich nichts mehr
16. Holen Sie sich keine Ohrfeigen mehr ab
17. Machen Sie keine Therapie
18. Bleiben Sie der Philosophie treu
19. Bleiben Sie nicht, wie Sie sind
II. Losgehen
20. Räumen Sie Ihr Zimmer auf
21. Werden Sie sparsam
22. Hüten Sie Ihre Zeit
23. Geben Sie Ihrem Körper Vorrang
24. Erkennen Sie sich selbst
III. Das Richtige tun
25. Bauen Sie etwas auf
26. Gehen Sie auf den Markt
27. Bringen Sie Freude in die Welt
28. Erschaffen Sie etwas Schönes
29. Halten Sie Ihre Versprechen
30. Lernen Sie
31. Reisen Sie
32. Erfüllen Sie Ihren Kindertraum
IV. Sich entscheiden
33. Überlegen Sie gut
34. Entschließen Sie sich
35. Erklären Sie sich
36. Gehen Sie nicht in die Abwertungsfalle
37. Gehen Sie nicht in die Dramafalle
38. Lernen Sie, peinlich zu sein
39. Werden Sie Ihr eigener Verhaltenstherapeut
V. Besser leben
40. Verwenden Sie die einzig mögliche Methode
41. Werden Sie effizient
42. Verstehen Sie das Wort »Erfolg«
43. Begnügen Sie sich nur mit dem Besten
44. Tun Sie es
Quellennachweis
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Empfehlungen
Nur Menschen, die nicht in der Lage sind zu grübeln,
verschwenden ihr Leben an eine erfolgreiche Karriere.
Drei Männer schleppen ächzend ein Klavier die Treppen eines alten Mietshauses hoch. »Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht«, sagt der Chef nach einiger Zeit. »Die Gute: Wir sind schon im achten Stock.« »Und die schlechte?«, fragt ein Mitschlepper. Der Chef seufzt. »Wir sind im falschen Haus.«
Für alle, die sich so fühlen, habe ich dieses Buch geschrieben. Genau so verhält es sich mit der Midlife-Crisis. Es wäre der Witz Ihres Lebens – wenn es nicht Ihr eigenes Leben wäre. Sie haben jede Menge Zeit, Energie und Liebe darauf verwendet, Ihren Job zu bekommen, Ihre Partnerin, Ihre Wohnung, Ihren Verein. Doch jetzt ahnen Sie: Es ist der falsche Job, die falsche Frau, das falsche Hobby. Es ist nicht nur die falsche Wohnung, sondern auch die falsche Stadt. Vielleicht sogar der falsche Kontinent. Und Sie erkennen: Nein, es ist nicht alles relativ. Es gibt richtig und falsch. Und Sie haben sich in der Tür geirrt.
Allerdings gibt es einen feinen Unterschied, der alles noch schwieriger macht: Sie befinden sich in der Lage des Chefs, bevor er anfängt zu sprechen. Sie haben den furchtbaren Verdacht, dass es das falsche Haus sein könnte. Sie müssten jetzt anhalten, klingeln und einen Nachbarn fragen. Aber nun tritt der innere Schönredner auf den Plan. Er verfolgt Sie schon Ihr ganzes Leben, er hat Sie in das ganze Schlamassel hier gebracht. Trotzdem hört er nicht auf, sich einzumischen. Am besten sei es, so rät er, einfach weiterzuschleppen. Denn:
1. Vielleicht ist es doch das richtige Haus.
2. Ihr habt schon acht Stockwerke geschleppt. Das wäre sonst völlig umsonst gewesen.
3. Es ist viel schwieriger, ein Klavier nach unten zu schleppen als nach oben.
4. Um das Klavier hier herunter- und im nächsten Haus wieder hochzuschleppen, dafür reichen weder Kraft noch Zeit.
5. Die anderen werden auch gar nicht bereit sein, dabei mitzumachen.
6. Wenn du andeutest, ihr könntet im falschen Haus sein, werden sie nie wieder mit dir reden oder dich an Ort und Stelle erschlagen.
7. Es gibt keine »richtigen« oder »falschen« Häuser. Alle Häuser sind gleich, keines ist schlechter als ein anderes.
8. Vielleicht schlägt ein Blitz ein, bevor ihr oben seid, oder es kommt zu einem Erdbeben. Dann ist es egal, ob es das falsche Haus war.
9. Vielleicht ist der Klaviereigentümer gerade ums Leben gekommen oder will sich von seinem weltlichen Besitz trennen. Oder das Klavierspielen aufgeben. Dann wird er heilfroh sein, dass das Klavier nicht ankommt.
10. Der Weg ist das Ziel. Gemeinsam schleppen ist eine sinnstiftende Erfahrung, egal, ob es am Ende das »richtige Haus« war oder nicht.
11. Gibt es nichts Wichtigeres auf der Welt als Klaviertransporte? Flüchtlinge, die Klimakatastrophe, der geringe Anteil von Frauen in Führungspositionen? Darum sollten wir uns kümmern, nicht um irgendwelche Tasteninstrumente.
Großartig, oder? Der innere Schönredner ist ein verdammt guter Redner, der Obama unter den inneren Stimmen. Aber es nützt alles nichts: Sie müssen jetzt an einer Tür klingeln und fragen, ob Sie hier richtig sind. Und notfalls umkehren. Und Sie wissen das auch.
Ich kenne diese Situation ziemlich gut. Ich bin oft genug die Treppen hoch- und wieder heruntergelaufen. Ich bin geradezu ein Experte für Neuanfänge. Ich habe Politik, Geschichte, Soziologie, Philosophie, Ökonomie, Pädagogik und Musik studiert, also sieben Fächer. Um das noch zu toppen, habe ich später in 14 Berufen gearbeitet, nämlich als Journalist, Klavierlehrer, Klavierbegleiter, Chorleiter, Übersetzer, wissenschaftlicher Assistent, Fotograf, Sänger, Moderator, Schauspieler, Zimmervermieter, Regisseur, Komponist und Schriftsteller.
Mein Leben ist also nicht gerade arm an überraschenden Wendungen (man könnte auch sagen, an guten Pointen): Ich habe schon mit 17 Abi gemacht – um dann volle zehn Jahre zu studieren. Ich habe mit meinen ultralinken Totalverweigerergenossen gegen die Wehrpflicht gekämpft – die dann von einem ultrareichen CSU-Adligen aus Franken abgeschafft wurde. Ich habe sehr viel Zeit und Mühe in einen Summa-cum-laude-Abschluss gesteckt, um dann lauter Berufe auszuüben, für die ich nicht mal einen Hauptschulabschluss gebraucht hätte. Ich habe Blockflöte, Geige, Gitarre, Klavier, Saxophon, Schlagzeug und Trompete gelernt, um dann 18 Jahre lang als Sänger zu arbeiten. Das Leben hat mehr zu bieten als eine Beamtenlaufbahn.
Dieses Buch hält einige Überraschungen für Sie bereit. Ich werde zeigen, warum Helfen, Aufmerksamkeit, Geld, Alkohol, Sicherheit, Urlaub, Künstler, Popkultur und soziale Berufe überschätzt werden, während Ordnung, Sparsamkeit, Abenteuer, Gymnastik, Experimente, Fehler, Freiwilligkeit, Gewissenhaftigkeit und Kinderkriegen unterschätzt werden. Ich werde erläutern, was es mit dem Pubertismus, der Zeitillusion, dem Abilene-Paradox, dem Happy-End-Prinzip und der Buñuel-Liste auf sich hat und warum Selbstwirksamkeit so wichtig ist. Ich werde argumentieren, dass es tatsächlich so etwas wie ein richtiges Leben gibt, dass der Kapitalismus nicht als Ausrede taugt, es nicht zu leben, und dass Moral und Egoismus sich nicht ausschließen.
Und so wie der Chef des Klaviertransporterunternehmens habe auch ich eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie. Die gute: Dieses Buch ist garantiert frei von therapeutischem Pathos, esoterischer Spiritualität und Frauenzeitschriftentipps – Sie kommen also auch weiterhin ohne Frischkornmüsli und Herzquantenyoga durchs Leben. Die schlechte Nachricht: Sie sind im falschen Stock! Und es wird alles noch viel schlimmer kommen. Der Weg ist lang und mühsam. Es gibt keine Abkürzung, keinen göttlichen Beistand und kein GPS. Sie sind kurzsichtig und unerfahren. Das Einzige, was Sie zu diesem Zeitpunkt wissen, ist, dass Rilke recht hatte: Du musst dein Leben ändern. Und dass es keinen Weg zurück gibt. Alles, was jetzt noch hilft, sind Selbstironie und Selbsthypnose. Flüstern Sie sich ruhig immer wieder Lichtenbergs berühmten Satz ein: »Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muss anders werden, wenn es gut werden soll.«1
Sie sind in der Midlife-Crisis. Sie werden sich zum Horst machen. Sie werden Sirenen lauschen, Sümpfe ohne Gummistiefel durchwaten, in Abgründe blicken, Stürme in einem kleinen Ruderboot überstehen, sich im Dschungel verirren, sich Feinde machen und Reden vor Ihren Freunden halten. Aber Sie können es schaffen: das richtige Haus finden; das Leben führen, das Sie immer schon führen wollten. Und wenn Sie am Ziel sind, werden Sie stolz auf sich sein – und viele gute Geschichten erzählen können. Und das ist genau das, was zählt.
Der Mensch ist ein Tier,
das jedes Jahr ein Kilo zunimmt.
Am Anfang ist uns nur etwas mulmig. Aber wir haben keine Ahnung, was los ist. Wir stellen nur fest, dass wir nicht mehr schlafen können, ohne Anlass schlecht gelaunt sind, nervös, ungeduldig, überreizt. Wir bekommen diesen merkwürdigen juckenden Ausschlag zwischen den Fingern, gegen den nur Kortison hilft, oder den großflächigen am Rücken, gegen den auch Kortison nichts mehr ausrichtet. Wir sind nicht mehr in der Lage, uns in einen Roman zu vertiefen oder auf ein Gespräch zu konzentrieren. Wir trinken, rauchen und essen zu viel, melden uns in einem Seitensprungportal an und verlegen andauernd Dinge. Ich habe es einmal fertiggebracht, binnen vier Monaten mein Smartphone, meine Handschuhe, meinen Schlüsselbund, meine EC-Karte, meinen Stadtplan, meine Mütze, meinen Schal, meinen Reisepass und meinen Personalausweis zu verlieren. Daraufhin beschloss ich, dieses Buch zu schreiben.
Wir sind komplett ratlos, wie eine Lösung aussehen könnte, weil wir nicht einmal wissen, worin überhaupt das Problem besteht. Oder wir wissen es sehr genau – weil nämlich unser vierzigster Geburtstag bevorsteht und uns mit einem Schlag bewusst wird, dass wir unser bisheriges Leben zu 99 Prozent vertändelt und verschwendet haben. Und zwar nicht, weil wir beim Versuch gescheitert wären, uns unseren Lebenstraum zu erfüllen, sondern weil wir diesen Versuch gar nicht unternommen haben. Wir haben nicht mal darüber nachgedacht, was unser Lebenstraum eigentlich sein könnte. Bis zu diesem Moment, kurz vor dem Vierzigsten, hielten wir uns für klug – und mit einem Schlag kommen wir uns unsagbar dämlich vor.
Ob Unbehagen, Entsetzen oder Schock: Leider gibt es auch an diesem Punkt noch jede Menge Methoden, um vor dem eigentlichen Problem die Augen zu verschließen und so noch mehr Zeit zu verlieren. Sie können sich vom inneren Schönredner einlullen lassen, Stimmungsaufheller schlucken oder Ihre freie Zeit auf Twitter, Facebook und Instagram vertrödeln. Sie können auf dem Sofa liegend von großen Plänen erzählen, die Sie niemals zu verwirklichen gedenken, sich permanent von Freunden einspannen lassen, die ihrerseits nie etwas für Sie tun werden, in diffusen Zukunftsängsten festfrieren oder beim Dauerkiffen das mentale Niveau einer Topfpflanze erklimmen. Sie können mit großem Aufwand Schlachten schlagen in Kriegen, die Sie längst verloren haben, ihr letztes Geld dafür verwenden, sich etwas zu gönnen, das Sie nicht brauchen, oder eine Psychoanalyse beginnen, die Ihnen praktischerweise verbietet, während ihrer Dauer irgendetwas an Ihrem Leben zu verändern (Die Dauer beträgt ab zwei Jahren aufwärts.) Oder Sie beruhigen sich mit der Theorie, die Verwirklichung und Vervollkommnung der eigenen Natur sei ein perfider Trick des von Ihnen verachteten Neoliberalismus (demnach waren Aristoteles und Goethe schon neoliberal).
Dagegen hilft einzig, sich immer wieder die Wahrheit der Situation zu vergegenwärtigen: Die Zeit läuft ab, der Körper ist ein immer fragileres Gebilde, und Ziele erreicht man nur, indem man sie ansteuert.