Cover
 Ayya Khema – Sei dir selbst eine Insel – Buddhas Weg zu innerem Glück und Frieden – JhanaVerlag

Inhalt

Vorwort

Zufluchtnahme

II In Einklang leben

III Miteinander sprechen

IV Steter Tropfen höhlt den Stein

Ansichten und Meinungen

VI Unwissenheit

VII Liebevolle Zuwendung

VIII Mit uns selbst leben

IX Das Unmögliche versuchen – den Geist bis zu seinen Grenzen spannen

Formbarer Geist

XI Das Herz leer machen

XII Befreiung hier und jetzt

Glossar

Vorwort

Wir leben in einer Zeit, in der Verunsicherung, Orientierungslosigkeit und Geschwindigkeit unaufhaltsam zunehmen. Die Menschen versuchen zwar mit allen Mitteln dieser Bewegung entgegenzuwirken, doch scheinen diese Bemühungen nur wenig oder gar nicht zu greifen. Sind es die Mittel, die nicht funktionieren, ist das Bemühen nicht ernsthaft genug, oder was stimmt sonst nicht mit unserem Versuch, ein glückliches und erfülltes Leben zu gestalten?

In dem Buch Sei dir selbst eine Insel gibt Ayya Khema klar und prägnant Antworten auf die wichtigsten Fragen des menschlichen Lebens. Sie erklärt anhand der Buddhalehre den zeitlosen Weg zu wahrem Glück und Frieden.

Es ist für mich immer wieder faszinierend zu sehen, dass die Lehre des Buddha auch nach 2.500 Jahren ihre Gültigkeit nicht verloren hat und dass Ayya Khemas Darlegung dieser Botschaft nach wie vor hochaktuell ist. Es war eine besondere Gabe von Ayya Khema, tiefgründigste Sachverhalte und Weisheiten so zu erklären, dass sie für alle Menschen verständlich und berührend sind.

Sei dir selbst eine Insel ist die Anweisung des Buddha, in uns selbst nach Glück, Sicherheit und Halt zu suchen und das aussichtslose Unterfangen, in der äußeren Welt Erfüllung zu finden, aufzugeben.

Es ist ein Weg der Liebe, der Hingabe und des Loslassens, der jeden Augenblick beschritten werden kann und ins Innerste unseres Seins führt. Ayya Khema hatte die Fähigkeit, mit ihren Worten nicht nur den Verstand zufriedenzustellen, sondern vor allem auch das Herz zu erreichen, und uns so die Verbindung mit dem Bereich zu ermöglichen, in dem Liebe, Mitgefühl und tiefer Frieden auf uns warten. Das ist der wahre Sinn des Lebens: diesen Bereich, diese Insel in uns, zu befreien und als sichere Zufluchtsstätte zugänglich zu machen. Eine Lebensaufgabe, die es wirklich lohnt, in Angriff zu nehmen.

Aus dieser inneren Arbeit entsteht dann nicht nur ein glücklicheres und zufriedenes Dasein für uns selbst – ein solches Dasein strahlt auch auf unsere Umwelt aus, sodass sich Innen und Außen zu einem wunderbaren Ganzen ergänzen.

Ayya Khema war ein Mensch, der nicht nur mit Worten glänzte, sondern vor allem auch mit Taten. Es ist fast nicht zu glauben, was in ihrer kurzen, nur achtjährigen Anwesenheit in Deutschland entstanden ist. Neben ihren vielen Büchern hat sie uns als Erbe auch einen großen Schatz an Vorträgen und Meditationskursen, das meiste auf Audio und Video, hinterlassen. Sie gründete das Buddha-Haus und die Metta Vihara, das erste Buddhistische Waldkloster in Deutschland. Und sie hat Tausende von Menschen inspiriert, dem Weg in die Freiheit zu folgen. Sei dir selbst eine Insel ist dafür Orientierung, Inspiration, Nahrung und Halt.

Ihre Widmung, die sie mir in ein früheres Exemplar von Sei dir selbst eine Insel geschrieben hat, möchte ich gerne an euch weitergeben: »Mögest du dir immer selbst die Insel der Ruhe und des Friedens sein. Alles Liebe von Ayya.«

Nyanabodhi Bhikkhu,
Metta Vihara im Allgäu

I

Zufluchtnahme

Zuflucht zu nehmen zum Erleuchteten (Buddha), zur Lehre (Dhamma) und zur Gemeinschaft der erleuchteten Schüler (Sangha) hat tiefe Bedeutung. Eine Zuflucht ist ein Schutzraum, ein sicherer Ort, und davon gibt es auf dieser Welt nur wenige. Ja, eigentlich ist es sogar unmöglich, im weltlichen Leben irgendwo ein vollkommen sicheres Refugium zu finden. Äußere, materielle Zufluchtsorte brennen nieder, fallen der Verwüstung anheim, verschwinden vom Erdboden. Bei Buddha-Dhamma-Sangha hingegen handelt es sich nicht um eine äußere, materielle Zuflucht. Es ist eine spirituelle Zuflucht, und deswegen können und sollten Buddha-Dhamma-Sangha uns das Gefühl geben, dass wir schließlich doch noch einen Hafen gefunden haben, in dem der Sturm sich gelegt hat. Auf dem offenen Meer erschweren Sturm, Windböen und Wellen das Segeln. Erst wenn das Schiff den Hafen erreicht, sind die Wasser ruhig. Der Hafen ist eine Zuflucht. Dort sind alle Wellen und alle Stürme zur Ruhe gekommen. Wir können Anker werfen. Und das ist mit der Zuflucht zu Buddha-Dhamma-Sangha gemeint. Wer etwas anderes darunter versteht, hat vergebens Zuflucht genommen.

Zuflucht bedeutet, dass wir schließlich den Ort in uns gefunden haben, an dem wir zur Ruhe kommen können, und zwar in einer Lehre, die uns nicht im Geringsten darüber im Zweifel lässt, dass das Leiden ein Ende hat, dass alle Übel ein Ende haben, von denen die Menschheit befallen ist. Der große Lehrer hat das Dhamma, die Lehre, dargelegt und seine Sangha hat sie weitergegeben. So ist uns der Weg gewiesen. Sangha bezeichnet hier all jene, die über Buddhas Lehre Erleuchtung erlangt haben. Damit ist also nicht irgendwer gemeint, der irgendwelche Roben, irgendein besonderes Gewand trägt. Nur wer Glauben gefasst und der Wirkkraft des Dhamma vertrauen gelernt hat, begreift auch die Bedeutung der Zufluchtnahme, und zwar sogar dann, wenn er die Befreiung vom Leiden noch nicht an sich erfahren konnte. Wer diese Verheißung nicht unmittelbar erschauen kann, ihre Möglichkeit noch nicht erkannt hat, weiß eigentlich nicht, was er tut, wenn er Zuflucht nimmt.

Buddhaṃ Saraṇam Gacchāmi.

Ich nehme Zuflucht zum Buddha.

Dhammaṃ Saraṇam Gacchāmi.

Ich nehme Zuflucht zum Dhamma.

Sanghaṃ Saraṇam Gacchāmi.

Ich nehme Zuflucht zur Sangha.

Wir wiederholen dies dreimal, und wir sollten verstehen, was es heißt. Sonst sprechen wir einfach nur Worte in einer fremden Sprache nach, wie ein Papagei, der auch nicht weiß, was er nachplappert.

Fühlen wir, dass die Zufluchtnahme Realität wird, dann öffnet sich unser Herz in Hingabe, Dankbarkeit und Hochachtung für Buddha-Dhamma-Sangha, für den Lehrer, die Lehre und die Erleuchteten, die dem Lehrer folgten und die Lehre am Leben erhalten und weitergegeben haben. Wir müssen dankbar dafür sein, dass das Leiden tatsächlich ein Ende haben kann, uns dem hingeben, das uns eine vollständig andere, überweltliche Wirklichkeit verheißt; und wir müssen jene würdigen, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, diese Lehre zu verbreiten.

Die Zufluchtnahme kann zum wichtigsten Ereignis des ganzen Lebens werden. Was ihr auch tut, ihr könnt es für Buddha-Dhamma-Sangha tun. Ich zum Beispiel kann Steine schleppen für Buddha-Dhamma-Sangha. Sie sind keine Last. Sie haben kein Gewicht. Aber wenn ich Steine schleppe, weil jemand mir sagt, ich soll Steine schleppen, werden sie ziemlich schwer werden. Sie werden mich müde machen. Aufgaben im Dienste des Höchsten, das eine andere Wirklichkeit verheißt, sind nicht beschwerlich, ja sind eine Kleinigkeit, wenn wir einmal erkannt haben, wie unbefriedigend die Wirklichkeit ist, in der die Menschheit jetzt lebt. Wir sind dann gern bereit und auch in der Lage, diese Wirklichkeit loszulassen.

Die Zufluchtnahme zu Buddha-Dhamma-Sangha geschieht häufig ohne jedes Verständnis. Viele beten sie herunter wie eine Formel. Aber viele nehmen auch hingebungsvoll Zuflucht, dankbar und voller Respekt. Sie haben Respekt vor dem Menschen, der die Kraft hatte, die höchste Seinsweise zu verwirklichen, die einem Menschen offen steht, und der darüber hinaus willens war, diese Seinsweise darzulegen, sodass andere ihm nachfolgen konnten – ja, der sie auf eine Weise dargelegt hat, dass gewöhnliche Wesen wie wir sie tatsächlich begreifen können. Das ist eine der großen Taten der Menschheitsgeschichte. Sie verdient den Respekt, den wir einer solchen Leistung zollen dürfen.

Mit Dankbarkeit, Hingabe und Respekt haben wir gleichzeitig die Liebe gewonnen. Diese drei haben sehr viel mit Liebe zu tun. Einem Menschen, den wir nicht lieben, können wir nicht wirklich dankbar sein; wir können uns ihm nicht hingeben, ihn nicht respektieren. Liebe und Respekt gehen auf dem geistigen Weg Hand in Hand. Sie sind allen Beziehungen im Leben förderlich, besonders jedoch dem geistigen Weg, weil dieser Weg eine sehr innige Beziehung ist, die innigste, die wir haben können – die Beziehung zu uns selbst. Herz und Geist müssen beteiligt sein. Der Geist versteht. Das Herz liebt. Solange dies nicht geschieht, stehen wir nur auf einem Bein. Wir hüpfen unsicher herum, anstatt stetig und fest auszuschreiten.

Unstetigkeit beim Üben macht uns unzufrieden, sät Zweifel ins Herz: »Tue ich überhaupt das Richtige?« Oder: »Was mache ich denn hier? Wie um alles in der Welt bin ich hierher gekommen? Was bringt mir das? Warum gehe ich nicht dorthin zurück, wo ich herkomme, und tue, was alle anderen auch tun?« Zweifel brauen sich zusammen, weil wir unsicher sind, wankelmütig. Aber das ist auch kein Wunder. Auf einem Bein zu gehen ist nun einmal eine sehr wacklige Angelegenheit. Wir brauchen festen Boden unter den Füßen. Zu diesem Zweck müssen wir Geist und Herz ernst und aufrichtig in all unser Tun einfließen lassen. Und dieser Ernst kann sich nur entfalten, wenn das Herz geöffnet wurde.

Was für eine seltene und kostbare Gelegenheit, in dieser Menschenwelt, heimgesucht von Sorgen, Schwierigkeiten und Ängsten um das eigene und um das Leben derer, die uns nahe stehen, in diesem kummervollen und höchst unruhigen Dasein eine Zuflucht zu finden, einen sicheren Ort in uns! Diese Gelegenheit ist tatsächlich so selten und so wertvoll, dass die meisten Menschen nicht einmal ihren Wert erkennen.

Wir sprechen von den Drei Juwelen oder Kostbarkeiten (Tirattana), weil diese drei – Buddha-Dhamma-Sangha – der höchste Wert des gesamten Kosmos sind. Wir meinen damit nicht den physischen Körper, in dem der Buddha in Erscheinung trat, und auch nicht die physische Erscheinung der Sanghas der Vergangenheit und Gegenwart, sondern vielmehr das, was sie repräsentieren: Transzendenz, die absolute Wirklichkeit, die Verbundenheit mit einem Bewusstsein, das alles andere außer Kraft setzt.

Die Zufluchtnahme stellt aber nicht nur eine seltene Gelegenheit dar, sie ist überdies ein Zeichen für hervorragendes Karma. Wir haben ganz ausgezeichnetes Karma angesammelt, dass wir Zuflucht nehmen können. Andererseits wird unser Zufluchtnehmen nur dann Früchte tragen, wenn wir es mit dem Herzen tun und nicht bloß mit dem Mund.

Ich bin sicher, ihr alle seid mindestens einmal in eurem Leben verliebt gewesen; vielleicht sogar mehr als einmal. Aber nehmen wir an, dass ihr einmal verliebt wart. Ihr werdet euch an dieses Gefühl erinnern, besonders wenn eure Liebe erwidert wurde. Das war doch herrlich, oder? Und dasselbe könnt ihr fühlen, wenn ihr Buddha-Dhamma-Sangha liebt, weil ihr den ganzen Tag in eurem Herzen mit Buddha-Dhamma-Sangha zusammentrefft. Es ist eine fortwährende Liebesbeziehung. Was könnte schöner sein?! Was ihr auch tut, ihr tut es für die, die ihr liebt. Und deswegen fällt euch alles ganz leicht.

Energie ist dann ganz natürlich. Ihr braucht sie nicht zum Leben zu erwecken. Sobald Gewissheit und Führung da sind, ist auch Energie da. Ihr braucht nicht danach zu suchen. Die Energie ist da, weil ihr mit dem Herzen bei dem seid, was ihr tut. Wir haben Zuflucht gefunden, etwas, das uns das Ende selbst des winzigsten Leidens verspricht, das unser Herz belastet hat oder jetzt noch belastet, das Ende aller Unsicherheit, aller Angst, aller Sorgen, ja auch der unbedeutendsten Nörgelei, mit der wir uns weismachen, dass irgendetwas nicht ganz so ist, wie es sein sollte. Das hat der Buddha uns verheißen! Sobald wir uns dieser Verheißung öffnen, erhält unsere Zufluchtnahme eine viel tiefere Bedeutung, denn wir haben uns mit ihr auf eine Beziehung eingelassen, die uns vollständig läutert und uns schließlich an der erleuchteten Sangha teilhaben lässt. Nur wenn wir sie in diesem Licht sehen, haben wir den vollen Nutzen von unserer Zufluchtnahme.

Wir rezitieren jeden Tag bestimmte Schriften, nicht weil wir uns die Zeit vertreiben, ein paar Pāli-Worte daherplappern oder unsere Lungen üben wollen. Nichts dergleichen. Vielmehr bringen wir mit den ersten drei Verehrungen Dankbarkeit, Hingabe und Respekt zum Ausdruck:

(1) Iti’pi so bhagavā;

(2) Svakkhāto bhagavatā dhammo;

(3) Supatipanno bhagavato sāvaka-sangho.

Der erste Gesang ist dem Buddha gewidmet, der zweite dem Dhamma und der dritte der Sangha. Aber wir bekunden mit dem Singen und Rezitieren nicht nur unsere Dankbarkeit, wir lernen damit auch die Worte der Lehre auswendig: Indem wir sie frei sprechen, können wir sie im Herzen besser verstehen. Wir können im Herzen verstehen, was der Buddha in der Lehrrede von der Liebenden Güte (Karaṇīya-Mettā-Sutta) über diese Güte und Liebe gesagt hat oder was die Worte »möge alle Feindseligkeit von mir abfallen« (aham avero homi) wirklich bedeuten. Und wir können im Herzen besser begreifen, was der Buddha über Körper, Gefühle, Wahrnehmung, Geistesformationen und Bewusstsein gesagt hat: Sankkhitena pāñcupadānakkhandhā dukkhā.

Kurz gesagt sind alle Fünf Anhäufungen leidhaft, an denen wir haften. Seyyathidam: Und diese fünf sind:

Rūpūpadānakkhando;

die Anhäufung des Anhaftens des Körpers;

Vedanupadānakkhando;

die Anhäufung des Anhaftens der Gefühle;

Saññupadānakkhando;

die Anhäufung des Anhaftens der Wahrnehmung;

Saṇkhārupadānakkhando;

die Anhäufung des Anhaftens der Geistesformationen;

Viññānupadānakkhando;

die Anhäufung des Anhaftens des Bewusstseins.

Zuerst geht es nur darum, dies alles im Gedächtnis zu behalten. Das heißt nicht unbedingt, dass wir sofort erfahren, was wir nachsprechen. Aber zumindest lernen wir es kennen. Weisheit entsteht über drei Entwicklungsschritte. Der erste Schritt ist Wissen. Dieses Wissen müssen wir uns in tieferem Sinne aneignen, indem wir es uns zu Herzen nehmen und versuchen, es zu verwirklichen. Damit geht es uns in Fleisch und Blut über. Wenn wir dann rezitieren, sprechen wir nicht einfach nur die Worte Buddhas oder eines Andachtsrituals nach. Vielmehr benutzen wir nun Worte, die wir uns vollkommen zu Eigen gemacht haben. Und daraus erwächst Weisheit.

Das Rezitieren hilft uns sehr, die Lehre im Gedächtnis zu behalten und Hingabe und Dankbarkeit zu erwecken. Darüber hinaus beruhigt es und stellt natürlich eine gemeinsame Bemühung dar. Wir sollten uns mit ganzem Herzen hineingeben. Ob wir eine gute oder eine scheußliche Stimme haben, spielt dabei weiter keine Rolle. Es ist egal. Einzig und allein das Herz zählt. Wir können eine Menge darüber lernen, wie wir uns in Fühlen und Denken nach Buddha-Dhamma-Sangha richten können. Dazu müssen wir nur genau auf die Worte achten, die wir rezitieren, was uns umso leichter fällt, je klarer wir sie in unserem Gedächtnis präsent haben.

Ihr alle habt schon einmal Buddhabilder oder -statuen gesehen. Man findet sie überall. Vielleicht habt ihr selbst auch eines oder mehrere Bilder vom Buddha. Dabei weiß niemand, wie der Buddha wirklich ausgesehen hat. Zu seiner Zeit gab es noch keine Kameras, und soviel ich weiß, hat auch niemand den Buddha in einem Bild oder einer Zeichnung porträtiert. Die Statuen und Bilder vermitteln also den Schönheitsbegriff des jeweiligen Künstlers. Jedes Land, jede Kultur hat in dieser Hinsicht eine andere Idealvorstellung. Jeder Künstler versucht die Vollkommenheit Buddhas auf seine Weise darzustellen, und diese Vorstellung bekommt ihr in den Bildnissen zu Gesicht. Ihr selbst habt euch vielleicht wiederum ein anderes Bild von dieser Vollkommenheit gemacht.

Nun gut, dann stellt euch in eurem Geist eure eigene Buddhastatue vor, so wie ihr sie für vollkommen haltet. Macht sie so schön wie möglich. Lasst sie goldene Lichtstrahlen aussenden. Seht, fühlt, was immer ihr für besonders schön haltet. Macht dieses Bild zu der schönsten Sache, die ihr visualisieren oder euch vorstellen könnt, und tragt es dann stets im Herzen. Es ist viel sinnvoller und hilfreicher, dieses Bild als irgendetwas anderes in eurem Herzen zu tragen. Es wird euch befähigen, andere Menschen zu lieben. Dazu braucht ihr nur zu bedenken, dass auch die anderen ein ähnlich schönes Bild in ihrem Herzen tragen. Sie reden vielleicht anders als wir oder sagen nicht die Dinge, die wir gern von ihnen hören möchten. Aber sie tragen dasselbe Bild im Herzen.

Wir verschließen uns den freudigsten Seiten unseres Lebens, solange wir nicht Liebe für alle Menschen fühlen können, denen wir Tag für Tag begegnen. Können wir uns jedoch wirklich öffnen, wird es uns nicht mehr schwerfallen, glücklich zu sein. Verliebte laufen im Allgemeinen mit einem seligen Lächeln durch die Welt. So einfach ist das.

Aber wir sind sogar noch in einer besseren Lage als gewöhnliche Verliebte, denn wir sind eine Liebesbeziehung eingegangen, die niemanden jemals enttäuschen wird. Unser Geliebter wird nicht mit einer anderen davonlaufen. Unsere Liebe wird uns nicht enttäuschen, weil wir die Tiefe dieses Geliebten noch gar nicht ermessen können. Die Tiefe von Buddha-Dhamma-Sangha hat sich uns noch nicht aufgetan. Sie wird sich uns erst mit der Erleuchtung vollkommen eröffnen. Es wird keine Enttäuschung geben, etwa weil wir auf den Falschen gesetzt hätten oder weil er sich nicht als so makellos erweist, wie wir vorher geglaubt hatten.

Wir sind eine transzendente, eine überweltliche Beziehung eingegangen. Diese Beziehung baut nicht auf einen Menschen, der mit Sicherheit sterben, der zweifellos unvollkommen sein wird. Nein, unsere Beziehung ist auf etwas ausgerichtet, das vollkommen ist. Etwas Vergleichbares ist im menschlichen oder in irgendeinem anderen Bereich nur sehr schwer zu finden. Dass wir es gefunden haben, stellt ein außergewöhnliches Privileg dar.

Einige von uns verfügen nicht über eine ererbte Beziehung zu Buddha-Dhamma-Sangha, weil sie nicht in einem buddhistischen Land geboren und aufgewachsen sind. Das ist kein großer Nachteil, weil wir diese Beziehung leicht für gegeben hinnehmen, wenn sie zu unserem kulturellen Erbe gehört und wir von Kindheit an dran gewöhnt sind. Was wir für gegeben hinnehmen, hinterlässt zumeist keinen großen Eindruck in uns. Andererseits haben wir hier jetzt die Gelegenheit, diese Beziehung als das zu erkennen, was sie eigentlich ist. Darum müssen wir uns bemühen. Mit Bemühen meine ich allerdings nicht, dass wir mit aller Gewalt versuchen müssten zu lieben. Bemühen heißt, dass wir sehen, dass wir versuchen sollen, unsere gesamte Wahrnehmung dem zu öffnen, was in unserem Leben gerade geschieht. Sobald wir es fertig bringen, unsere Wahrnehmung dafür zu öffnen und klar zu sehen, was geschieht, wird daraus liebevolle Hingabe erwachsen. Wir müssen uns nicht künstlich darum bemühen, hingegeben, dankbar oder respektvoll zu sein. Wir werden uns ganz natürlich so verhalten, wenn wir einmal klar erkennen, welche Gelegenheit die Drei Juwelen uns bieten.

Wer Schönheit, Reinheit und Weisheit in ihrer höchsten Form sieht, wer sie tatsächlich vor Augen hat, der hat keine andere Wahl: Er muss sie einfach lieben. Jedermann, der dies nicht täte, wäre ein Narr. Wir können und sollen keinen solchen Narren aus uns machen. Wenn wir dies getan hätten, wären wir gar nicht hier.

Wir müssen für vieles dankbar sein. Unser eigenes gutes Karma hat uns die Möglichkeit gegeben, hier zu sein. Das ist aber kein Grund, uns anerkennend auf die Schultern zu klopfen, denn wir wissen ja nicht einmal, ob wir dieses positive Karma im jetzigen Leben geschaffen haben. Es mag viele Leben zurückliegen. Die Person, die dieses Karma angesammelt hat, ist mit Sicherheit nicht identisch mit der Person, die jetzt die positiven Ergebnisse davon erntet. Allerdings sind es auch nicht zwei ganz voneinander gesonderte Wesen, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen: in der Mitte. So hat der Buddha es gesagt. Aber wir können immerhin dem Karma dankbar sein, den nicht an irgendeinen Wesenskern gebundenen Ergebnissen positiver Handlungen. Und wir können unser Herz der Zuflucht öffnen, die wir genommen haben. Wir können uns dem Refugium anvertrauen, in dem wir in Ruhe vor Anker liegen und in geschützter Umgebung mit uns und an uns arbeiten können.

Das Dhamma beschützt jeden, der das Dhamma praktiziert. Wer das Dhamma wirklich übt, genießt vollkommenen Schutz. Der Schutz besteht nicht darin, dass andere uns nicht länger zu nahe kommen. Unser eigenes Verhalten, unsere Reaktionen sind unser Schutz, weil sie keinen Schaden mehr anrichten. Eine andere Sicherheit gibt es nicht.

Wann immer ihr Buddhaṃ Saraṇam Gacchāmi singt oder rezitiert, stellt euch in eurem Herzen einen wunderschönen Buddha vor. Ihr werdet dann von einer Verbundenheit wie zu einem geliebten Menschen durchdrungen sein. Ihr werdet das Gefühl haben, dass ihr kommuniziert wie mit einem geliebten Menschen. Das wird euch sehr helfen.

II

In Einklang leben

Wir haben gerade zusammen unsere Texte gesungen. Das geht nur mit einem gewissen Feingefühl für die Gemeinschaft. Es gehört Harmonie dazu. Wir müssen auf das Tempo der anderen achten. Tun wir das nicht, klingt unsere Rezitation falsch, irgendwie verstimmt. Dasselbe gilt auch für unser Zusammenleben. Wir müssen den Lebensrhythmus der anderen berücksichtigen. Wir brauchen Harmonie, ein bestimmtes Zusammengehörigkeitsgefühl. Ohne dies ist kein menschliches Zusammenleben möglich.

Aber dieses Zusammengehörigkeitsgefühl bricht häufig schon im ersten Moment in sich zusammen, weil der Einzelne nicht mit sich in Einklang lebt, mit sich selbst nicht im Reinen ist, nicht bei seinem eigenen Lebensrhythmus. Wir sehen in der Welt nur, was wir in uns und an uns sehen. Die Welt und wir sind ein und dasselbe. Es gibt da absolut keinen Unterschied.

Der erste Schritt zum Leben in Einklang liegt also in uns selbst. Ihn zu tun ist für jeden von uns die dringlichste Aufgabe. Ja, es gibt eigentlich keine andere Aufgabe, als innere Harmonie zu erzeugen. Dazu sind keine besonderen Umstände nötig. Es ist gleich, ob wir in der Meditationshalle sitzen, in einem Boot paddeln, das Mittagessen kochen, ein Buch lesen, im Garten arbeiten oder irgendetwas anderes tun. Allerdings werden wir nur dann zu innerer Harmonie gelangen, wenn wir zufrieden sind. Unzufriedenheit erzeugt Missklänge. Daran ist nichts zu ändern. Das ist nur folgerichtig.

Innere Zufriedenheit wiederum kann nicht von äußeren Faktoren abhängen. Diese sind niemals fehlerlos. Und das wäre auch völlig unmöglich. Zwei Monate lang war es hier viel zu heiß. Also hat sich jede darüber beklagt, dass sie zu viele Pflanzen zu bewässern hatte. Jetzt hat sich die Trockenheit in ihr Gegenteil verkehrt: Es regnet zu viel. Alles ist schmutzig, schlammig, matschig. Wo nur, wo, könnten wir die Idealsituation finden, den vollkommenen Augenblick? Es gibt ihn nicht.

Wir werden vergeblich nach den äußeren Voraussetzungen suchen, die uns vollkommen zufriedenstellen. Wir suchen am falschen Ort. Wir müssen die innere Voraussetzung entdecken, die uns zufrieden macht, und diese innere Voraussetzung benötigt zu ihrer Erfüllung mehrere Faktoren, zum Beispiel Unabhängigkeit. Ich meine hier nicht finanzielle Unabhängigkeit, die vielleicht andere Unabwägbarkeiten mit sich bringt. Nein, ich spreche von emotionaler Unabhängigkeit, die wir nur gewinnen, wenn wir nicht mehr auf äußere Zustimmung angewiesen sind.

Wir wissen einfach, dass wir immer unser Bestes zu geben versuchen, und wenn uns dann irgendwer seine Zustimmung oder Anerkennung verweigert und uns kritisiert, lässt sich daran auch nichts ändern. Schade zwar, aber so ist es nun einmal. Der Buddha ist auch nicht überall nur auf Zustimmung gestoßen. Aber er hat gesagt: »Ich hadere nicht mit der Welt, die Welt hadert mit mir.« Er hat es akzeptiert, wenn Menschen mit ihm oder mit seiner Lehre uneins waren. Er hat gewusst, dass nicht jeder einverstanden sein kann.

Zufriedenheit ist eine innere Qualität, die uns in einer Weise unabhängig macht, dass wir nun nicht mehr nach Unterstützung von außen Ausschau halten. Wir tun unser Bestes. Manchmal ist das Beste mehr als genug, manchmal nicht genug. Manchmal will es einfach nicht klappen. Auch damit müssen wir uns abfinden, ganz gleich ob die anderen dies gutheißen oder nicht.

Wir können nicht darauf warten. Im Übrigen: Wie sollten wir darauf auch warten können? Sie werden niemals alle beisammen sein. Und im Allgemeinen sind die Menschen auch niemals alle einer Meinung. Wenn wir also gelegentlich nicht so viel zustande bringen, wie wir gedacht hatten, ist dies nicht weiter schlimm; kein Grund, unzufrieden zu sein. Wahrscheinlich ist es nur eine gute Lernerfahrung: »Dieses Mal habe ich nicht so viel geschafft, wie ich dachte, schaffen zu können.«

Ohne Liebe gibt es keine innere Zufriedenheit. Wer sich nach Liebe sehnt, ist emotional abhängig und unzufrieden, denn er hat nicht, was er gern haben möchte. Und wenn er dann bekommt, was er sich ersehnt, ist er wahrscheinlich immer noch unzufrieden, weil es ja eigentlich mehr sein sollte oder weniger. Aber selbst wenn es denn endlich genau die richtige Menge Liebe ist, ist sie doch immer noch nicht dauerhaft genug, sondern eben wechselhaft. Sich nach Liebe zu sehnen ist eine schrecklich unbefriedigende Sache und wird niemals das Gefühl letztlicher Befriedigung schenken. Manchmal gelingt der Versuch, manchmal aber auch nicht. Was allerdings immer gelingt, ist Lieben. Lieben führt immer zu emotionaler Unabhängigkeit und Zufriedenheit. Wir können einen anderen Menschen lieben, ganz gleich, ob er diese Liebe annimmt oder nicht. Wenn wir andere Menschen lieben, hat das noch nicht einmal unbedingt etwas mit ihnen zu tun: Es ist eine Eigenschaft unseres Herzens.

Zufriedenheit beruht also auf Liebe, darauf, dass wir in unserem Herzen ein Feld der Harmonie hervorbringen. Dieses Feld der Harmonie sollte viele verschiedene Blumen tragen: Liebe, emotionale Unabhängigkeit, Zufriedenheit mit uns selbst, mit dem Menschen also, der wir nun einmal sind. Die Harmonie beruht nicht darauf, dass wir uns nach Liebe und Anerkennung verzehren. Im Gegenteil: Wir schenken Anerkennung und Liebe. Das ist so simpel. Und es funktioniert, weil es einfach funktionieren muss. Was könnte funktionieren, wenn nicht dies? Es macht uns großzügig. Und es funktioniert, weil es bedeutet, dass wir geben.

Sobald jemand an uns herantritt und etwas von uns will, fühlen wir uns bedroht. Das »Ich« fühlt sich bedroht: »Wenn ich jetzt gebe, was man von mir will, werde ich mich eingeschränkt und kleiner fühlen.« Daraus entsteht Disharmonie. Stellt euch einmal vor, es steht jemand mit einer Pistole in der Hand vor uns und fordert unser Hab und Gut. Wir würden uns doch bedroht fühlen, oder etwa nicht? Und so ähnlich fühlen wir uns auch, wenn jemand auf uns zukommt und unsere Liebe von uns haben will. Verschenken wir dagegen Liebe und Anerkennung, bedrohen wir erstens die anderen nicht und müssen zweitens auch nicht auf der ständigen Suche danach durch die Gegend irren. Diese innere Zufriedenheit im eigenen Herzen ist der einzige Weg zu einem harmonischen Leben. Wie könnten wir überhaupt mit irgendeinem Menschen friedlich und harmonisch zusammenleben, wenn wir nicht einmal mit uns selbst dazu in der Lage sind? Wir müssen mit uns selbst in Einklang leben. Mit wem sonst?

Gelegentlich fühlen wir uns physisch nicht ganz wohl. Das ist kein Grund, unzufrieden zu sein. »Ich bin der Krankheit unterworfen.« Wir rezitieren diesen Satz jeden Abend. Das heißt aber nicht, dass ich darüber unglücklich und unzufrieden werden muss. Die Natur des Körpers macht Krankheit unvermeidlich. Also, der Körper fühlt sich nicht wohl – mehr nicht. Der Körper hat Schwierigkeiten. Das ist nicht ungewöhnlich. Der Körper hat immer irgendwelche Schwierigkeiten.