1. Auflage 2016
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-025670-5
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-025671-2
epub: ISBN 978-3-17-025672-9
mobi: ISBN 978-3-17-025673-6
Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.
Zweifellos gehört das Haus Tudor zu einer der bedeutendsten Dynastien Großbritanniens, welche auch heute noch großes Interesse in der öffentlichen Kultur und in der historischen Wissenschaft findet. Dieses Faktum wurde jüngst in einer Umfrage der britischen Historical Writers’Association nach dem »schlechtesten« bzw. »besten König der Geschichte« von über 60 Autoren weitgehend bestätigt: Diese bewerteten Elisabeth I. mit Abstand als Best Monarch in History, d. h. in der Weltgeschichte (mit 36 % der Stimmen), während ihr Vater Heinrich VIII. als Worst Monarch (mit 20 % der Stimmen) – vor den englischen Königen Eduard VIII., Karl I. und Johann Ohneland – bezeichnet wurde.
Trotz dieses anhaltenden Interesses am Schicksal der Tudors ist die Zahl der Gesamtdarstellungen zu deren Historie in Relation zu den zahllosen biographischen Werken für einzelne Königinnen und Könige dieser Dynastie vergleichsweise überschaubar.1 Zudem ähnelten sich zahlreiche Gesamtstudien hinsichtlich Struktur bzw. Aufbau und beschränkten sich zumeist auf die weitgehend unverbundene Abhandlung der Regierung der sechs Monarchinnen und Monarchen in chronologischer Reihenfolge. Hierbei wurde nur im Ausnahmefall eine analytische Gesamtschau hinsichtlich des Wirkens bzw. der historischen Bedeutung dieser Dynastie in der englischen bzw. europäischen Geschichte vorgenommen. Weitergehende systematisch-strukturelle Analysen, die epochenübergreifend und problemorientiert angelegt sind, unterbleiben in diesen Werken oftmals. Auch die Bilder, die hierbei von den einzelnen Herrscherinnen und Herrschern entworfen werden, ähneln sich weitgehend. Es dominieren zum einen biografische Betrachtungsweisen, in welchen Familien- und Ehe-Probleme im Vordergrund standen und die mit der Entwicklung von Stereotypen bzw. der Verkündigung zeitgebundener Verdikte (insbesondere über Heinrich VIII. und seine Ehen) verbunden waren. Zum anderen wurde oft eine »anglozentrische Perspektive« bei der Analyse der politischen Ereignisgeschichte gewählt, in welcher die Berücksichtigung außenpolitischer Probleme nicht selten auf die Beziehungen Englands zu den »keltischen Reichen« (d. h. Irland, Schottland, Wales) beschränkt blieb.
Schon das erste Werk »wissenschaftlicher Geschichtsschreibung« im 19. Jahrhundert des viktorianischen Historikers J. A. Froude, das eine Gesamtdarstellung der Tudor-Dynastie bot, war von den ebengenannten Strukturen geprägt (1862–1870). In der 12-bändigen, auf Archivstudien beruhenden Untersuchung gab der Autor neben detaillierten biographischen Ausführungen eine materialreiche Darstellung der konstitutionellen Entwicklung des Landes, der Rolle des Parlamentes und der Veränderungen im englischen Verwaltungswesen. Hauptschwerpunkt der nützlichen Darstellung waren die Regierungen von Heinrich VIII. und Elisabeth I. Diese wurden in viktorianischer Manier als »gott-gesegnete Monarchen« verherrlicht, welche die »Ehre« des Commonwealth in existentiellen Krisen gerettet hätten.2
Noch vor dem Ersten Weltkrieg erschienen umfangreiche Darstellungen zur Political History of England in der Tudorzeit von H. A. L. Fisher und A. F. Pollard (21910, 41919). In diesen Werken wurde wieder ausführlich »politische Ereignisgeschichte« beschrieben, jedoch erweitert durch Hinweise auf Grundprobleme der Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie der Bildungshistorie. Erneut betrachtete man Heinrich VIII. und Elisabeth I. als Hauptprotagonisten, die als bedeutende Leiter ihres Landes erschienen und dieses zu einer frühen Blüte führten. Nach dem Zweiten Weltkrieg verfasste S. T. Bindoff (1950) für die bekannte Pelican History of England einen Band über »Tudor England«, in welchem er außer einer Historie der »Staatsaktionen« der Tudor-Herrscher einige stärker strukturell-systematisch angelegte Kapitel bot (u. a. über »The English«, das Parlament und religiöse Konflikte). Im Anschluss an dieses Erfolgswerk schrieben J. A. Williamson (1953) und C. Morris (1955) jeweils eine Überblicksdarstellung für die Tudors in traditionell verherrlichender Tendenz, gefolgt von G. R. Potter, G. R. Elton und R. B. Wernham (Eds.), die im Rahmen der »New Cambridge Modern History« (1957–1968) ebenso wie E. F. Jacob, J. D. Mackie, J. B. Black und G. Davies in der »Oxford History of England« (1959–1966) eine thematisch weiter gefasste und weniger »nationalistisch« geprägte Darstellung der Tudor-Epoche bzw. der Regierung Jakobs I. schufen. Zwar boten die Beiträge solide Informationen von der Politischen Geschichte bis zur Kulturgeschichte, dennoch war ihr Tenor grundsätzlich ähnlich, indem auch sie Heinrich VIII. und Elisabeth I. als Schöpfer der Grundlagen für das British Empire und für England als Weltmacht verklärten.3
Nachdem M. Levine die dynastischen Probleme der Tudors untersucht (1968) und D. M. Loades die Effizienz des Central Government unter den Tudors im Vergleich zu den kontinentalen Reichen gewürdigt hatte (1974), wählte G. R. Elton für seine Darstellung einen anderen Ansatz, indem er den Königshof sowie die Räte in den Mittelpunkt der Analyse stellte (21974). Gemäß seiner Hauptthese (von einer Revolution in Government unter Heinrich VIII.) behandelte er hierbei ausführlicher dessen Innovationen bzw. Cromwells in der Herrschaftsorganisation sowie im Finanz- und Verwaltungswesen. Diese Ansätze verfolgte er in der New History of England weiter, während sich die übrigen Autoren des Handbuchs (J. R. Lander, P. Collinson) auf eine eher »konventionelle« Darstellung (etwa von Government and Society bzw. Politics) beschränkten (1977–1980). Die nächst folgende Tudor-Geschichte von A. Plowden setzte diese Tendenzen mit einer stark auf die Herrscherpersönlichkeiten bezogenen Darstellung fort (1976), während dagegen J. A. F. Thomson und A. G. R. Smith in ihrer mehr strukturgeschichtlichen Analyse der Foundations of Modern Britain u. a. Probleme der Transformation des mittelalterlichen Englands, des Verwaltungswesens und der Tudor-Krisen behandelten (1983–1984).4
In den 1990er Jahren berücksichtigte der Elton-»Schüler« J. Guy in seiner materialreichen Darstellung (mit Schwerpunkten auf Heinrich VIII. und Elisabeth I.) ebenfalls die Rolle des Hofes bzw. der königlichen Berater sowie Aspekte der Political Culture eingehender und führte den politischen Erfolg der Tudors vor allem auf deren Einbeziehung von Adel bzw. Oberschicht in die Entscheidungsprozesse zurück (1990).5 Die folgenden Werke von J. Lotherington (1994) und P. Williams (1995) stellten wieder eher »konventionelle« Gesamtdarstellungen der Tudor-Epoche dar, wobei stärker Probleme der politischen Institutionengeschichte und Außenpolitik thematisiert wurden. Eine ähnliche Akzentuierung wiesen die Studien von M. Nicholls und D. L. Smith über die Geschichte der Modern British Isles auf, in welchen besonderes die Bedeutung der jeweiligen Monarchen für die Entwicklung der beiden regna England und Schottland bis 1603 als auch für die folgende Vereinigung beider Reiche unter den Stuarts verdeutlicht wurde (1998–1999).6
Während die wenigen Gesamtdarstellungen der Tudor-Historie von deutsch-sprachigen Autoren wie P. Wende und H. Haan bzw. G. Niedhart Probleme der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in den Vordergrund rückten (1985, 1993), wandte sich die Engländerin S. Brigden intensiver der Religions- und Kultur-Geschichte zu. Sie beschäftigte sich mit Lost worlds, die durch Renaissance und Reformation untergingen, und mit den New Worlds, welche durch dieselben Bewegungen sowie durch die Entdeckung der Neuen Welt erschlossen wurden (2000). Neue thematische Akzente setzte auch J. Ridley in seiner Historie des Tudor Age, indem er vorrangig die Geistes- und Sozialgeschichte und das Alltagesleben in dieser Epoche quellennah behandelte (2002).7
Zur gleichen Zeit legte R. Rex eine Studie über »Englands Aufbruch in die Neuzeit« vor, in welcher er die Politik der jeweiligen Tudor-Monarchinnen und -Monarchen aus deren Sicht ebenso darzustellen versuchte wie die politischen Konsequenzen ihres »persönlichen Charakters und [ihrer] Anschauungen« (2002).8 In der neuesten deutsch-sprachigen Studie zur Tudor- und Stuart-Herrschaft von R. Eßer (2004) wählte diese einen stärker problemorientierten Zugriff und behandelte für alle Tudor-Herrscherinnen und -Herrscher zentrale Probleme wie »außenpolitische Bemühungen«, »Ordnungen von Finanzen und Verwaltung«, die Gründung der Anglicana ecclesia etc. Zudem beschrieb sie (mit Skizze der englischen Forschungsdiskussion) die verschiedenen »Versatzstücke«, welche zur »Konstruktion einer englischen nationalen Identität« dienten.9 – Auch R. Hutton verwandte in seiner kurzen Geschichte der Tudor- und Stuart-Dynastien einen eher strukturgeschichtlichen Ansatz, indem er Kurzbiographien der sechs Tudor-Herrscherinnen und -Herrscher mit thematisch bezogenen Kapiteln (über Gesellschaft, Wirtschaft, Lebensverhältnisse etc.) verband (2010). G. J. Meyer hingegen stellte wieder eine Serie von Biographien der einzelnen Monarchinnen und Monarchen in den Mittelpunkt seiner Darstellung, wobei er bemüht war, große Entwicklungslinien zu verdeutlichen und die Tudor-Dynastie als a continuum, a unity zu verstehen (2010).10
Als wesentlich anspruchsvoller erwies sich die knappe Dynastie-Geschichte des ausgewiesenen Tudor-Forschers D. M. Loades, der in seiner Analyse biographische Skizzen für die einzelnen Herrscherinnen und Herrscher mit themenbezogenen Ausführungen (etwa zur Außenpolitik, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, zur Propaganda) verband. Souverän würdigte er die Leistungen der Tudors für ihr Land, ohne hierbei die Defizite zu übergehen (2012). – Stärker populärwissenschaftliche Züge wies die History of England im Zeitalter der Tudors von P. Ackroyd auf, der sich außer biografischen Skizzen zu den verschiedenen Monarchinnen und Monarchen um eine anekdotenreiche Berücksichtigung von sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Problemen der Zeit bemühte (2012). – Schließlich fasste L. de Lisle die Geschichte der Tudors primär als Family Story auf, indem das politische Geschehen besonders im Kontext familiärer Vorgänge (wie »mütterlicher Liebe für den Sohn«, des Gattenmordes, der reckless love affairs) behandelt wurde, wobei aber der Erkenntnisgewinn begrenzt blieb (2013).11
*
Aufgrund der beschriebenen Akzentuierungen und Schwerpunkte, welche in den bisherigen (vor allem englisch-sprachigen) Werken zur Geschichte der Tudor-Zeit feststellbar sind, vermag die vorliegende Gesamtdarstellung mit neuen Problemstellungen und veränderter Betrachtungsweise vielleicht eine Lücke in der Literatur des deutschsprachigen Raums zu füllen. Wie schon in der Monographie des Autors über Heinrich VIII. von England (2013) soll auch in diesem Werk nicht nur die (zumeist in der englisch-sprachigen Forschung) oftmals England-zentrierte Betrachtungsweise zugunsten einer europäischen Perspektive der Darstellung verlassen, sondern auch ein methodischer Neuansatz gewählt werden. Hierbei wird ein ereignisgeschichtlich-biographischer Zugang mit einem thematisch-systematischen Zugriff auf ausgewählte Problemfelder kombiniert. In den sieben Teilen des Werkes werden zuerst die Grundlagen skizziert, welche die politische, ökonomische und soziale Lage Englands und des Kontinents im ausgehenden 15. Jahrhundert bestimmten. So sind insbesondere die Auswirkungen der »Rosenkriege«, die dynastischen Wirren unter den letzten Plantagenets und schließlich der Endkampf zwischen Richard III. und Heinrich Tudor mit der Gründung der neuen Herrscherdynastie der Tudors zu beschreiben [Kap. 2].
Hieran schließt sich der große, ereignisgeschichtlich-biographisch angelegte Hauptteil an, in welchem alle sechs Tudor-Monarchinnen und -Monarchen in chronologischer Reihenfolge in ihrem politischen Wirken charakterisiert werden [Kap. 3]. Beginnend mit dem Dynastie-Gründer Heinrich VII. werden dessen Maßnahmen zur Herrschaftsstabilisierung (u. a. gegen Umsturzversuche) ebenso beschrieben wie seine innenpolitischen Reformmaßnahmen. Zudem erfolgt eine Skizzierung der außenpolitischen Unternehmungen, welche die Akzeptanz seines Königtums durch ausländische Monarchen und die Königsherrschaft für seinen Sohn Heinrich VIII. sicherten. Dessen Aktivitäten werden wegen ihrer »weltpolitischen Bedeutung« ausführlicher gewürdigt, wobei sein problematisches Verhältnis zu Frauen bzw. sein Ehe- und Liebesleben (im Gegensatz zu den gängigen Biographien) eher am Rande und unter dem Gesichtspunkt »Dynastie und Herrschaft« Berücksichtigung erfährt. Größere Bedeutung wird hingegen den innenpolitischen Reformen, die er mit Cromwell realisierte, und seiner kontinentalen Rekuperationspolitik beigemessen. Hinzu kommen Analysen bezüglich seiner Konzeption eines imperialen englischen Königtums sowie der wechselvollen Beziehungen zu Adel und Parlament, welches eine zentrale Rolle bei der Trennung Heinrichs von Rom spielte. Schließlich finden die Konstituierung der Anglicana ecclesia ebenso Berücksichtigung wie die Bemühungen des Königs um Sicherung der Thronfolge.
Die Regierung der beiden folgenden Herrscher (Mid-Tudors) wird infolge ihres »Übergangscharakters« knapper behandelt, wobei – nach Skizze der kirchenpolitischen Reformen unter Eduard VI. – nicht nur die Versuche Marias I. zur Restauration der »alten Religion«, sondern auch ihre finanz- und wirtschaftspolitischen Initiativen gewürdigt werden. Zudem wird im Kontext ihrer Heirat mit Philipp II. von Spanien das gängige Bild der verbohrten Ideologin und Protestantenverfolgerin (Bloody Mary) überprüft bzw. revidiert. – Den zweiten Schwerpunkt des Hauptteils bildet eine Darstellung der Regierung Elisabeths I., deren fast 50-jährige Herrschaft höchste Blütezeit und das Ende der Dynastie bedeutete. Hauptakzente der Darstellung liegen zum einen auf den zahlreichen außenpolitischen Aktivitäten der Monarchin, die – erstmals nach ihrem Vater Heinrich VIII. – eine interventionistische Politik auf dem Kontinent betrieb, in mitunter existentielle Konflikte insbesondere mit Schottland und Spanien geriet und schließlich die Expansion englischer Herrschaft in die Neue Welt forcierte. Zum anderen werden neben ihren Bemühungen um eine Reform des Finanz- und Steuerwesens sowie um eine staatliche Sozialpolitik vor allem ihre religionspolitischen Regelungen (Elizabethan Settlement) gewürdigt, welche die Anglicana ecclesia gegen alle Opposition zur Staatskirche machten und zudem das Inselreich zur Schutzmacht des Protestantismus in Europa werden ließen. In diesem Kontext wird auch die Rolle von Parlament und »staatlichem Apparat« (insbesondere des »Geheimdienstes«) gewürdigt, welche die Herrschaft Elisabeths sicherten und vielfach ihre physische Existenz bei zahlreichen Anschlägen retteten.
Im folgenden zweiten, systematisch-strukturell angelegten Teil des vorliegenden Werkes sollen einige ausgewählte Problembereiche, die für die Tudor-Dynastie von besonderer Wichtigkeit waren, in zeitlich übergreifender Weise behandelt werden. So etwa die Herrschaft des Thronfolgers Jakob I. mit einer Realisierung der Union of the Crowns (d. h. die Vereinigung des englischen und schottischen Reiches), den retardierenden außenpolitischen Maßnahmen des Stuarts sowie seinem problematischen herrscherlichen Selbstverständnis, das mit einer fragwürdigen Innenpolitik zur Entstehung des Bürgerkrieges unter seinem Sohn Karl beitrug (Dynastie und Wandel) [Kap. 4]. Hieran schließen sich vergleichende Analysen der Beziehungen Englands (mit seinem Oberherrschaftsanspruch) zu den sog. »keltischen Reichen« (Wales, Irland, Schottland) an, wobei den konfliktreichen Entwicklungen auf der Grünen Insel mit ihren Auswirkungen bis in die Zeit der Stuarts besondere Beachtung geschenkt wird (Dynastie und Suzeränität) [Kap. 5]. Diese Überlegungen werden ergänzt durch problemorientierte Ausführungen über Dynastie und System, d. h. sowohl über die Entwicklung von Gesellschaft und Wirtschaft unter den Tudors als auch über die Förderung von Architektur, Malerei und Literatur durch diese Dynastie. Deren Mäzenatentum erwies sich in solchem Maß als nachhaltig, dass etwa die Epoche der Herrschaft der letzten Tudor als »Elisabethanisches Zeitalter« bezeichnet wird [Kap. 6]. Diese Analysen werden abgeschlossen durch ein Kapitel über Dynastie und Rezeption, in welchem das Bild der Tudors in der Nachwelt, d. h. in modernen Medien (wie TV- und Kino-Filmen) und in Romanen, untersucht wird [Kap. 7].
Angestrebt wird mit dem vorliegenden Band eine Überprüfung bzw. gegebenenfalls eine Revision der »traditionellen Bilder«, die vor allem in der englisch-sprachigen Literatur sowohl von der gesamten Tudor-Dynastie als auch von einzelnen Tudor-Herrscherinnen und -Herrschern oftmals in panegyrischer Verehrung gezeichnet wurden bzw. werden. Wie bereits erwähnt, soll bei der Darstellung der Herrschaft der einzelnen Monarchinnen und Monarchen – insbesondere bei Heinrich VIII. und Elisabeth I. – auf deren bislang in der Literatur oftmals erfolgte Reduzierung auf biographisch-familiäre Probleme (wie Liebes- und Ehe-Leben, angebliche »Virginität« und Eheverweigerung etc.) vermieden werden. Als weiterführender erscheint hingegen der Versuch, das Handeln dieser Königinnen und Könige in gesamteuropäischen Zusammenhängen darzustellen und hierbei zu untersuchen, unter welchen sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen diese handeln mussten und welche Handlungsspielräume sie besaßen bzw. nutzten. Im Gegensatz zur gängigen englisch-sprachigen Forschung soll dies im europäischen Kontext geschehen und zugleich die Stellung bzw. die Rolle Englands im Kreise der abendländischen Reiche verdeutlichen. Zudem soll in Abkehr von einer ausschließlich »Herrscher«-fixierten Betrachtungsweise deren Aktivitäten im Rahmen eines aufzuzeigenden, komplexen »Kommunikationsgeflechtes« dargestellt werden, das innen- und außenpolitische Akteure (Höflinge, Adlige, auswärtige Monarchen etc.) und Handlungspartner umfasste und das nachhaltig das politische Handeln der Tudor-Königinnen und -Könige beeinflusste. Diese »Kommunikationspartner« spielten zudem beim Aufbau wichtiger Herrschaftsinstitutionen des Inselreiches (etwa des Parlamentes), aber auch bei der Ausbildung der Englischen Staatskirche sowie bei der Konstituierung eines englischen »Nationalstaates« bzw. später des British Empire eine bedeutende Rolle, die zumindest ansatzweise aufzuzeigen ist. Abschließend ist die (vor allem in England) häufig gestellte Frage zu beantworten, welche Bedeutung die Tudors für die englische und europäische Geschichte besessen haben (What Did The Tudors Do For Us? – D. W. Loades) [Kap. 8].
*
Schließlich ist vom Verfasser zahlreichen Institutionen und Personen zu danken, die zum Entstehen des vorliegenden Bandes beigetragen haben. Der größte Dank gebührt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in The National Archives (Kew) für ihre Hilfe sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der British Library (London) sowie der Universitätsbibliothek der Ruhr-Universität (Bochum), die kenntnisreich bei der Beschaffung umfangreicher Spezialliteratur behilflich waren.
Zudem ist der Autor Herrn Dr. Daniel Kuhn (Kohlhammer Verlag) auch bei diesem Werk für seine Betreuung zu großem Dank verpflichtet.
Als eine der Hauptursachen für die jahrzehntelangen Bürgerkriege und den Dynastiewechsel (durch die Tudors) wird man sowohl die Absetzung Richards II. (1399) bzw. die Usurpation des englischen Throns durch Heinrich IV. aus dem Hause Lancaster als auch die Herrschaftskrise nach der englischen Niederlage im Hundertjährigen Krieg (1453) betrachten dürfen. Hinzu kamen Revolten englischer Großer wegen des Verlustes ihrer Kontinentalbesitzungen sowie – nach Ausbruch einer Geisteskrankheit Heinrichs VI. – wachsende Spannungen zwischen den rivalisierenden Zweigen des Hauses Plantagenêt – den Lancasters (Symbol rote Rose) und den Yorks (weiße Rose).1 Als einflussreich erwies sich hierbei die walisische Familie Tudor mit ihrem Oberhaupt Owen Tudor, dessen Söhne – Edmund, Earl von Richmond (* 1430), und Jasper, Earl von Pembroke (* 1431) – Lancaster-Parteigänger waren. Der Ältere wurde mit der 12-jährigen Margarete Beaufort verheiratet, einer Nachfahrin des Johann von Gent (des dritten Sohnes von Eduard III.), die jedoch wegen der angeblichen Illegitimität der Ehe ihrer Eltern von der Thronfolge ausgeschlossen wurde.2 Dennoch versuchten die Tudors später, über Beaufort erbrechtlich eigene Thronansprüche geltend zu machen.
Die Rivalitäten im Hause Plantagenêt führten zum Ausbruch der »Rosenkriege« (1455–1485/87),3 die von den »Privatarmeen« (Affinities) mächtiger Adliger geprägt wurden (Bastard Feudalism), jedoch auf wenige Regionen des Landes beschränkt blieben und nur selten die »einfache« Bevölkerung beeinträchtigten. Erst später wurden benachbarte geopolitische Räume – wie Schottland, Irland, Calais – in die Auseinandersetzungen involviert. Die Kämpfe begannen mit der ersten Schlacht bei St. Albans (22. Mai 1455), in der zahlreiche Lancaster-Lords getötet wurden, York den König in seine Gewalt brachte und anschließend Zugriff auf die Regierungsgewalt erlangte. Auch Edmund Tudor, der für Heinrich VI. walisische Burgen sicherte, unterlag Yorkisten um William Herbert, der ihn in Carmarthen Castle inhaftierte, wo er starb († 1. November 1456). Seine 13-jährige Witwe Margarete Beaufort floh zu ihrem Schwager Jasper Tudor nach Pembroke Castle, wo sie am 28. Januar 1457 den Sohn Heinrich (VII.) gebar. Dessen Erziehung und Schutz übernahmen vorerst Jasper, da Heinrichs Mutter nach ihrer dritten Heirat (1459) von diesem getrennt im Haushalt ihres Gatten Henry Stafford lebte.4
In den zahlreichen folgenden Scharmützeln konnte keine Seite einen entscheidenden Sieg verzeichnen, wobei Richard Plantagenêt in ermüdende Kämpfe mit Königin Margarete verwickelt wurde und zeitweise nach Irland bzw. Calais fliehen musste. Zwar erhoben die Yorkisten nach erfolgreicher Invasion und Sieg in der Schlacht bei Northampton (mit erneuter Gefangennahme des Königs, 10. Juli 1460) nunmehr Thronansprüche; doch nach weiteren Kämpfen gelang den Lancaster-Truppen ein entscheidender Sieg (Wakefield, 30. Dezember) gegen York, der mit seinem Sohn Edmund fiel. Doch sein ältester Sohn, Eduard (IV.), setzte den Krieg fort und erhob seinerseits Thronansprüche. Nach wechselvollen Kämpfen, in deren Verlauf auch Owen Tudor getötet wurde (2./3. Februar 1461) und Jasper nach Frankreich fliehen musste, konnte Eduard das Königspaar entscheidend schlagen (Towton, 29. März) und sich mit Unterstützung Richard Nevilles (»des Königsmachers«) in London zum König krönen lassen (28. Juni).5
Mit der Herrschaft einer neuen Dynastie (des Hauses York) hatte zwar die erste Phase der »Rosenkriege« ein Ende gefunden, doch setzten die Lancastrians (unter Führung der Königin und Jasper Tudors) ihren Widerstand – zunehmend mit auswärtiger Unterstützung – fort. So floh Margarete zum neuen Herrscher Frankreichs, Ludwig XI. (le prudent),6 und suchte Hilfe, während Jasper Tudor rastlos diplomatische Bemühungen u. a. in der Bretagne und in Schottland unternahm; dennoch konnte er Besitzverluste in Wales ebenso wenig verhindern wie die Übergabe seines Neffen Heinrich zur Erziehung im Hause William Herberts. König Eduard IV., der heimlich und unstandesgemäß Elizabeth Woodville geheiratet hatte (1. Mai 1464), versuchte seinerseits, den Lancaster-Revolten durch außenpolitische Bündnisse entgegen zu wirken (mit Burgund, Bretagne). Dennoch gelang es Margarete und Warwick, nach militärischen Erfolgen Eduard zur Flucht in die Niederlande zu zwingen und Heinrich VI. zeitweise wieder auf den Thron zu setzen. Doch nach einer erfolgreichen Invasion Yorks (mit flämischer und burgundischer Hilfe) vermochte Eduard das Blatt erneut zu wenden, Warwick und Margaret militärisch zu besiegen und wieder die Macht in London zu erobern; um seine Herrschaft dauerhaft zu sichern, ließ er den im Tower inhaftierten Heinrich VI. ermorden († 21. Mai 1471).
Mit dessen Tode war die direkte Linie des Hauses Lancaster erloschen, so dass künftig nur die Nebenlinie des Hauses Tudor Thronansprüche erheben konnte. Hierbei mussten Margarete Beaufort und ihrem Sohn Heinrich eine wichtige Rolle zukommen, der 1471 zu seinem Schutz von Onkel Jasper ins Exil in die Bretagne gebracht wurde, wo er 14 Jahre blieb. Dort lebte er in ständiger Bedrohung durch Anschläge und Verrat in Abhängigkeit von französischen Fürsten, insbesondere von Herzog Franz II. von der Bretagne, der den Tudor – wie König Ludwig XI. – gleichsam als Geisel und als politisches Instrument gegenüber dem englischen Monarchen benutzte.7 Diese Erfahrungen von Gefahr und Existenzangst prägten Heinrich, der sich zu einem kräftigen jungen Mann – von hohem Wuchs mit schmalen blauen oder grauen Augen und dünnen, braunen Haaren – mit tiefem Misstrauen gegenüber seiner Umwelt entwickelte.8
Nachdem die Lancastrians vorerst ausgeschaltet waren, konnte König Eduard seine zweite Regierungszeit ohne größere Revolten gestalten und seine Gefolgsleute (u. a. Bruder Richard [III.]) mit reichen Güterschenkungen (besonders im Norden) versorgen. Innenpolitisch vermochte sich der König – abgesehen von der Unterdrückung einzelner Verschwörungen (u. a. des Bruders Clarence) – der Wiederherstellung von Law and Order und der Sanierung der zerrütteten Staatsfinanzen zu widmen. Hierbei konnte er den Grundbesitz und die Einnahmen der Krone u. a. durch Benevolences der reichen Oberschicht vergrößern sowie den Woll- und Tuch-Export durch intensive Wirtschafts- und Handels-Förderung unterstützen. Trotz der Versuche einer Reform des Haushalts- und Verwaltungswesens blieb aber der Geldmangel des Königs notorisch, der zudem einen Hang zum Luxus besaß und aufwändige Baumaßnahmen unternahm. Auch außenpolitisch ergriff Eduard die Initiative, indem er bei den Konflikten zwischen Ludwig XI., Karl dem Kühnen und Franz von der Bretagne intervenierte, zumal der Bretone unverändert die exilierten Tudors schützte. Doch sein Bündnis mit Karl und Franz sowie seine Invasion in Frankreich (Juli 1475) schlugen fehl, so dass sich der König umgehend zu einem Friedensvertrag mit dem Valois veranlasst sah (Picquigny, 29. August).9 Hierbei konnte Eduard zwar von diesem beträchtliche finanzielle Leistungen erzwingen, doch blieb die Tudor-Frage (nach dem Tode Karls des Kühnen [1477] bzw. dem Ende des Hauses Burgund) weiterhin ungeklärt.
Die Streitigkeiten um Burgund nach der Heirat der Erbtochter Herzog Karls, Maria, mit Erzherzog Maximilian von Habsburg (1477) beeinflussten auch das außenpolitische Handeln Eduards in der Folgezeit. Er versuchte zwar, als möglicher Bündnispartner der Kontrahenten die Konflikte zum eigenen Vorteil in jahrelangen Verhandlungen zu nutzen, jedoch scheiterte Eduard an der diplomatischen Raffinesse des Valois. Dieser konnte den Engländer phasenweise außenpolitisch isolieren und sogar unter Druck setzen, indem er oppositionelle Kräfte in Schottland – insbesondere den Königsbruder Alexander – unterstützte. Es gelang dem Valois zudem, Jakob III. – trotz eines Heiratsbündnisses mit York – zu einem Frontwechsel und zu Angriffen auf englische Grenzräume zu veranlassen (ab 1480).10 Als Reaktion befahl Eduard eine Invasion Schottlands durch den Thronprätendenten Albany und Richard (III.) Gloucester (1482), die zwar den kurzfristigen Sturz Jakobs erreichen, aber keine größeren militärischen Erfolge erringen konnten und sich nach England zurückzogen. Jakob konnte bald auf den Thron zurückkehren, dennoch blieben die Beziehungen zum englischen Hof auf Dauer angespannt. Eduard musste somit ein weitgehendes Scheitern seiner Außenpolitik gewärtigen, als er überraschend erkrankte und bald darauf starb († 9. April 1483). Als Nachfolger hinterließ er seinen 12-jährigen Sohn Eduard, dem Gloucester später als Lord Protector zur Seite gestellt wurde.
Bereits unmittelbar nach dem Tode Eduards begannen Machtkämpfe zwischen konkurrierenden Gruppierungen, insbesondere zwischen dem künftigen Lord Protector und der Familie Woodville. Da sich der designierte Monarch Eduard V. in Ludlow aufhielt, versuchten die Konkurrenten, sich so schnell wie möglich in den Besitz seiner Person zu setzen. So reiste Richard,11 der sich bei York befand, rasch Richtung London, während sich die Königinwitwe Elisabeth des Thronschatzes und der Flotte bemächtigte. Gloucester gelang es mit Unterstützung Buckinghams, Eduard in Stony Stratford abzupassen und in den Tower zu geleiten (9.–19. Mai), während die Königsmutter floh und mit Töchtern sowie Sohn in Westminster Abbey Kirchenasyl erbat. Anschließend wurde Richard zum Lord Protector ernannt und die Krönung Eduards bzw. die Einberufung des ersten Parlamentes vorbereitet.
Anschließend gelang Gloucester ein neuer coup d’état, indem er seinen Gefolgsmann William Hastings wegen Hochverrats verhaften und ohne Prozess hinrichten ließ (13. Juni). Während die innenpolitische Unruhe wuchs, erklärte plötzlich ein Geistlicher in St. Paul’s Cross, Ralph Shaw, in einer Predigt die Prinzen für Bastarde und erhob für Gloucester Thronansprüche (22. Juni); Buckingham bestärkte daraufhin das Recht Richards auf die Krone. Später trat eine Versammlung von Notablen und Lords (wahrscheinlich kein reguläres Parlament) in London unter Vorsitz Buckinghams zusammen und erstellte eine Petition, in der Gloucester um Annahme der Krone gebeten wurde (25. Juni). Nach kurzem Zögern akzeptierte Richard dieses Angebot, das später vom Parlament ausführlich begründet bzw. legitimiert wurde (Act Titulus Regius – Januar 1484). Nachdem er mit seiner Gattin12 Anna Neville in Westminster Abbey gekrönt worden war (6. Juli 1493), verschwanden Eduard V. und sein Bruder Richard auf Dauer im Tower, wo sie wahrscheinlich getötet wurden.13
Der Herrschaftsübernahme Richards III. folgten bald Revolten in verschiedenen Regionen des Reiches, deren gefährlichste im Herbst 1483 vom Herzog von Buckingham, Henry Stafford, veranlasst wurde. Dieser stand in enger Verbindung zu exilierten englischen Oppositionellen in der Bretagne, insbesondere zu Jasper Tudor und Margarete Beaufort, die mit York-Gegnern und Lancaster-Anhängern Heinrich Tudor zum Thronprätendenten aufzubauen suchten.14 Herzog Franz II. unterstützte diese Pläne, doch ein erster Versuch Tudors, mit einer Flotten-Invasion in Kooperation mit Buckingham Richard zu stürzen, endete im Desaster. Der Herzog wurde hingerichtet (2. November), während Heinrich wieder in die Bretagne fliehen musste. Die Exilierten gaben jedoch nicht auf; vielmehr vereinbarte Beaufort mit den Lancastrians, oppositionellen Yorkisten und in Absprache mit Elisabeth Woodville die Vereinigung von Lancaster und York im neuen Herrscherhaus Tudor durch die künftige Ehe Heinrichs mit Elisabeth von York, der Tochter Eduards IV.Zu Weihnachten 1483 verpflichtete sich der potenzielle Bräutigam in Rennes öffentlich zur Durchführung des Eheprojektes.15 Doch diese Planungen waren nur schwer zu realisieren, da der junge Tudor infolge seiner jahrelangen Exil-Existenz weder über eine Machtbasis im Inselreich noch über Herrschafts- und Kriegs-Erfahrung verfügte. Insofern blieb er weitgehend auf die Hilfe ausländischer Großer (vor allem in Frankreich und Schottland) angewiesen, die ihn zu instrumentalisieren und für eine Einflussnahme auf die politischen Entwicklungen im Inselreich zu nutzen suchten. Dies galt auch für Franz II., der den Pressionen König Richards, Heinrich an ihn auszuliefern, zeitweise nachzugeben schien, so dass sich der Tudor zur Flucht nach Frankreich veranlasst sah (September 1484). Hier erfuhr er nach dem Tode Ludwigs XI. († 30. August 1483) durch die Regentin Anna von Beaujeu Schutz und Hilfe.
Der englische König sah sich auch nach der Niederschlagung der Buckingham-Revolte weiterer Opposition im Lande ausgesetzt. So bemühte er sich, Woodville-Anhänger aus einflussreichen Stellungen im Lande zu entfernen und durch eigene Gefolgsleute zu ersetzen. Zudem baute er seine Machtbasis im Norden des Landes aus und platzierte ergebene Anhänger im Süden der Insel – Maßnahmen, die weiteren Widerstand provozierten. Im Januar 1484 berief Richard sein einziges Parlament ein, das außer der Legitimierung seiner Herrschaft (im Titulus Regius) und der Ächtung von Königsgegnern zahlreiche Statutes (18 private, 15 public Statutes) erließ.16 Hierbei wurden weitere Benevolences abgeschafft und Maßnahmen zum Schutz von Landkäufern etc. getroffen (Land Tenure Act). Hinzu kamen Statuten zur Reform des Justizwesens, wodurch Korruption verhindert und der »einfachen Bevölkerung« gerechte Justizverfahren ermöglicht werden sollten. Schließlich bemühte sich der Monarch um den Schutz englischer Kaufleute vor ausländischer Konkurrenz, wobei insbesondere italienische Händler Restriktionen unterworfen wurden. Insgesamt zeigte sich Richard als Gesetzgeber reformfreudig und weitblickend; die Kürze seiner Regierung und die ständigen Revolten machten es ihm jedoch unmöglich, seine herrscherlichen Qualitäten hinreichend zur Geltung zu bringen.
Trotz dieser Reformen verschlechterte sich die innenpolitische Lage weiter, wozu die intensive Woodville- und später die Tudor-Propaganda beitrug, die Richard vor allem des Mordes an den Prinzen beschuldigte.17 Hinzu kam, dass der Thronfolger und Prinz von Wales, Eduard, verstarb († ca. 9. April 1484), gefolgt von Königin Anna († 16. März 1485), wodurch die dynastische Position des Monarchen nachhaltig geschwächt wurde. Diese Situation nutzten die exilierten Oppositionellen um Heinrich (VII.) Tudor, der mit Geld und Schiffen des französischen Hofes zusammen mit englischen Adligen bzw. Anhängern des Hauses Lancaster im August 1485 einen erneuten, nunmehr erfolgreichen Invasionsversuch in England wagte. Nach seiner Landung in Milford Haven (Wales) erhielt er bei seinem Marsch ins englische regnum die Unterstützung durch walisische Anhänger des Hauses Tudor, durch seinen Onkel Jasper sowie von walisischen Gefolgsleuten der Stanleys. Auch bei der folgenden Entscheidungsschlacht bei Bosworth (22. August),18 von der sich zahlreiche englische Große fernhielten, gaben nicht die militärischen Qualitäten Heinrichs, sondern der Abfall ehemals königstreuer Barone von Richard und insbesondere das Verhalten kriegserfahrener Großer (wie Henry Percy und den Stanleys) gegenüber dem König den Ausschlag. Während sich der Tudor in den Kämpfen weitgehend inaktiv verhielt, suchte Richard die Entscheidung durch mutigen Einsatz im persönlichen Kampf gegen Heinrich. Hieran wurde der König jedoch durch den verräterischen Einsatz von William Stanley gehindert, dessen Truppen zugunsten Tudors eingriffen und Richard mit seiner Leibgarde töteten; entgegen den Behauptungen der Tudor-Propaganda und Shakespeares entschied sich der Monarch gegen eine mögliche Flucht und für den Tod auf dem Schlachtfeld. Seine entblößte Leiche wurde anschließend geschändet, nackt auf einem Pferd nach Leicester transportiert, dort öffentlich ausgestellt und schließlich bei barmherzigen Franziskanern beigesetzt.19 Mit dem Tod Richards III. in der Schlacht von Bosworth hatten sowohl die Herrschaft des Hauses York als auch die »Rosenkriege« ein Ende gefunden.
Heinrich VII. 1457–1509
Der Tudor hatte zwar in Bosworth einen großen Sieg errungen; doch ebenso wichtig waren die anschließenden Bemühungen, seine königliche Herrschaft zu legitimieren und zu stabilisieren.1 Hierfür belohnte er nicht nur seine Gefolgsleute mit Ämtern und Besitzungen, sondern bemühte sich auch, führende Aristokraten, die sich bislang indifferent verhalten hatten, für sich zu gewinnen. Klugerweise hielt er sich mit Verfolgungen innenpolitischer Gegner vorerst zurück, so dass nur wenigen mächtigen Yorkisten-Familien Titel und Besitzungen entzogen wurden. Vorrangig blieb jedoch die Legitimierung seines Königtums: Hierzu ließ er zum einen den Beginn seiner Herrschaft auf den Tag vor der Schlacht bei Bosworth datieren, so dass die Aktionen Richards III. und seiner Gefolgsleute als »Rebellionen« gegen den legitimen König verurteilt werden konnten. Zum anderen funktionalisierte Heinrich – nach der Krönung in der Westminster Abbey (30. Oktober 1485) – das Parlament (konstituiert am 7. November), das wunschgemäß Richard III. bzw. die Yorkisten ächtete und Heinrich als neuen König von England (und Frankreich) anerkannte, » weil er sich tatsächlich auf dem Thron« befände. Ferner bestätige das Parlament die eheliche Geburt der künftigen Königin Elisabeth sowie das Thronfolgerecht für die erwarteten Nachkommen des Tudors (Act of Settlement) und räumte ihm finanziell nutzbare Rechte ein (Act of Resumptions).2 Ungeachtet der parlamentarischen Herrschaftsbestätigung betonte Heinrich jedoch das Gottesgnadentum seiner Herrschaft, die ihm aufgrund des »Gottesurteils« in Bosworth zuteil geworden sei.
Obwohl der König vereinbarungsgemäß Elisabeth von York geheiratet (18. Januar 1486) und hierdurch die Vereinigung der rivalisierenden Zweige der Plantagenêts (Lancaster und York) im Haus Tudor herbeigeführt hatte, sah er sich in der Folgezeit mit zahlreichen Revolten, insbesondere von Yorkisten, konfrontiert. Nachdem ein erster Umsturzversuch (von Lovell und Stafford) gescheitert war (Frühjahr 1486), erwiesen sich Bestrebungen, fiktive Prätendenten (als Earl Eduard von Warwick bzw. Herzog Richard von York) Thronansprüche des Hauses York durchsetzen zu lassen, als gefährlicher. In Wirklichkeit handelte es sich bei den Hochstaplern um den 10-jährigen Bürgersohn Lambert Simnel aus Oxford (1486/87) und um den 17-jährigen Perkin Warbeck aus Tournai (1491–1499). Diese fungierten als Instrumente für echte yorkistische Prätendenten (wie John de la Pole) und für ausländische Herrscher. So versuchten etwa Margarete von York, Kaiser Maximilian I. und die Könige von Frankreich und Schottland, durch Thronwirren die Herrschaft Heinrichs zu schwächen. Dessen Gegner veranlassten sogar militärische Aktionen (zumeist aus Irland), indem Simnel – nach seiner Krönung als Eduard VI. in Dublin – mit irischer und yorkistischer Hilfe einen Invasionsversuch unternahm, der aber in der Schlacht bei Stoke (16. Juni 1487) scheiterte und zur Gefangennahme des Prätendenten führte.3
Schwieriger zu bekämpfen waren hingegen die Umsturzversuche, die Perkin Warbeck (seit 1491) zumeist mit auswärtiger Hilfe unternahm.4 Nach vergeblichen Invasionsversuchen von Irland aus begab er sich u. a. nach Frankreich und in die Niederlande, wo er – als angeblicher König Richard IV. – die Förderung durch Margarete von York, Karl VIII. von Frankreich und Kaiser Friedrich III. fand. Doch trotz deren Unterstützung schlug ein neuerlicher Invasionsversuch (1495) ebenso fehl wie das Unternehmen Warbecks, mit Hilfe König Jakobs IV. von Schottland englische Grenzprovinzen anzugreifen (September 1496). Trotz dieses Misserfolgs gab der Prätendent nicht auf, sondern betrieb eine weitere Invasion, nun von Irland aus (September 1497). Nach der Landung in Cornwall und dem Marsch nach Exeter musste sich Warbeck aber wegen fehlender Unterstützung dem König unterwerfen, der ihn im Tower inhaftieren und später wegen Hochverrats anklagen bzw. hinrichten ließ († 23. November 1499).
Nachdem zwischenzeitlich weitere Rebellionen gegen den Tudor – zumeist wegen Steuerforderungen wie in Yorkshire (1489) und Cornwall (1497) – erfolgreich niedergeschlagen worden waren, schien dessen Herrschaft weitgehend stabilisiert zu sein. Dennoch blieb die Bedrohung durch yorkistische Prätendenten bestehen (sogar über den Tod Heinrichs hinaus) – etwa durch die Brüder Edmund und Richard de la Pole sowie später durch Edward Stafford. Vor allem die Familie De la Pole setzte ihre Umsturzversuche zumeist vom Kontinent aus fort, oftmals mit Unterstützung durch Flandern bzw. Burgund. Erst mit der Auslieferung Edmund de la Poles an den Tudor (1506) konnte dieser von der Beruhigung der Lage ausgehen. Doch noch sein Sohn wurde von der Angst vor Rebellionen durch Angehörige des Hauses York umgetrieben.
Die Aristokratie besaß für den Tudor nicht nur bei der Niederschlagung der erwähnten zahlreichen Revolten, sondern vor allem bei der Herrschaftsausübung auf zentraler wie regionaler Ebene große Bedeutung. Da Heinrich keinerlei Regierungserfahrung besaß, war er umso mehr auf Ratgeber und Kuriale angewiesen. So begann er umgehend, seinen Council sowie einen engeren Beraterkreis (Privy Council) zu konstituieren, der ihn bei der »politischen Alltagsarbeit« unterstützen sollte. Hierbei griff er weniger auf die Nobilität und den Adel,5 sondern mehr auf Angehörige der Gentry und des Bürgertums zurück (neue Middle Class). Sogar ehemalige York-Anhänger, sofern sie sich als loyal und fachlich kompetent erwiesen, fanden Verwendung. Hinzu kamen langjährige Vertraute (wie Henry Wyatt, Edward Poynings), die als Justices of the Peace, Finanzadministratoren und Steuereintreiber eingesetzt wurden. Phasenweise erlangten auch einige der New Men starken Einfluss auf den Monarchen – anfangs Richard Fox und Reginald Bray, später Richard Empson und Edmund Dudley.
Sicherlich betrieb der Tudor keine anti-noble policy, da er nur mit Hilfe von Nobilität und Adel Herrschaft auszuüben vermochte. Dennoch war er im Bewusstsein, als »Renaissance-Monarch« das Zentrum der Macht zu bilden, bestrebt, mächtige Adlige zu kontrollieren und gegebenenfalls an seinen Hof zu ziehen. Dies bedeutete für die Großen, zur Sicherung der eigenen Stellung möglichst oft bei Hofe persönlich präsent sein zu müssen. Während Adlige, die fern vom Hofe auf ihren Gütern lebten, an Einfluss verloren, veränderte sich bei den Baronen bei Hofe ihre Stellung bzw. ihr Selbstverständnis – sie wurden zunehmend zu »Höflingen« in Abhängigkeit vom Monarchen.6 Zum Befremden dieser Personengruppe vertraute Heinrich jedoch bei wichtigen politischen Entscheidungen außer dem Rat adliger Höflinge verstärkt den Empfehlungen der königlichen Officials. Hinzu kam, dass der Tudor nach den Erfahrungen in den »Rosenkriegen« bestrebt war, die Machtgrundlagen der dominanten Adelsfamilien (wie Gloucester, Percy, Warwick) durch Verkleinerung deren Territorialbesitzes zu schmälern und den Unterhalt adliger »Privatarmeen« zu verbieten (Statute of Livery and Maintenance). Um Law and Order durchzusetzen, intensivierte Heinrich die Rechtspflege auch gegenüber den Adligen durch Attainders bzw. bei Vergehen durch Prozesse am Court of Star Chamber. Schließlich war er bestrebt, sich das Wohlverhalten des Adels durch politische und finanzielle Druckmittel zu sichern (Bonds and Recognisances). Mit Hilfe dieser adligen Selbstverpflichtungen konnte Heinrich bei Verstößen beträchtliche Einnahmen für die Krone verbuchen und die betroffenen Großen aufgrund der Höhe der fälligen Bußen nahezu finanziell ruinieren und politisch ausschalten – ein Repressionsinstrument, das der Monarch immer intensiver gegen Ende seiner Herrschaft einsetzte.7
Im Streben nach Wiederherstellung königlicher Macht und Autorität nach den »Rosenkriegen« bemühte sich Heinrich auch um eine Sanierung der Finanzen der Krone. Hierbei versuchte er zur Wahrung seiner Unabhängigkeit weniger, Sondereinnahmen oder zusätzliche Steuern mit Hilfe des Parlamentes zu requirieren, das ihm zwischen 1487 und 1497 verschiedene Sondersteuern gewährte. Vielmehr konzentrierte er sich auf den konsequenten Einzug der regulären Abgaben und Steuern, die der Krone zustanden. Hierzu zählten außer den Einkünften aus den königlichen Ländereien feudale Abgaben, die dem Monarchen aufgrund seiner Prärogativen gehörten.8 Hinzu kamen Einnahmen aus dem Verkauf von Ämtern sowie »freiwillige Zuwendungen« (Benevolentiae), die Adlige, Kaufleute sowie andere Wohlhabende auf Druck des Monarchen diesem zur Verfügung stellen mussten. Schließlich entwickelten sich die erwähnten Bonds and Recognisances zu einer lukrativen Einnahmequelle der Krone.
Persönlich widmete sich Heinrich der Überprüfung der königlichen Einnahmen und Ausgaben durch tägliche Kontrolle der Bücher; im Laufe der Zeit entwickelte er jedoch geradezu eine Geldgier, die mit wachsendem Geiz verbunden war. Zur Verbesserung seiner wirtschaftlichen Lage setzte er in der Finanzpolitik neben dem Exchequer verstärkt die Chamber ein, so dass diese zum eigentlichen finanziellen Machtzentrum des Reiches wurde. Dennoch war Heinrich nicht in der Lage, institutionelle Innovationen in der Finanzverwaltung zu veranlassen. Vielmehr beschränkte er sich darauf, das Finanzmanagement der Krone zu verbessern und überkommene Herrschaftsformen zeitgemäß zu transformieren. Die Reformen erwiesen sich als effizient, da der König nach dem finanziellen Einbruch infolge der »Rosenkriege« seine jährlichen Einkünfte auf ca. 113 000 £ steigern konnte.9 Im Vergleich zu kontinentalen Herrschern waren aber diese Einnahmen des Tudors dürftig, da etwa Ludwig XII. von Frankreich über ca. 800 000 £ und Kaiser Karl V. sogar über 1 100 000 £ jährlich verfügen konnten.
Besondere Beachtung schenkte Heinrich schließlich der Wirtschaft und dem Handel des Landes [Kap. 6.1]. Im Blick auf potenzielle Steuereinnahmen bemühte er sich zum einen um Förderung der Landwirtschaft, wobei er dem Problem der Einhegungen (EnclosuresMalus IntercursusBureaucrat’s paradise