Freundlich war die Fachwelt zur ersten Auflage (Heussen, NJW 2013, 442; Höfling, JA 2013, S. IV, Heft 3; FAZ vom 21. Dezember 2012). Bei allem Lob, eine Schwäche hatte die erste Auflage. Es schrieb die Generation, über die Heidbrink (1. Auflage, S. 66) mutmaßte, „dass die Aussichten, in einer deutschen wirtschaftsberatenden Anwaltskanzlei Partner zu werden, nie vorher und nie nachher so gut waren wie etwa Mitte der neunziger Jahre“. Ob die Vermutung richtig ist? Ich weiß es nicht. In jedem Fall schreiben in der zweiten Auflage nun auch Autoren, die für die neunziger Jahre ein Alibi haben. Ich freue mich, für die zweite Auflage Gabrielle Nater-Bass, Vera Jungkind, Stefan Riegler, Michael Lagler, Johanna Kübler, Tanja Eisenblätter und Anke Meier als Autoren aus der Anwaltschaft gewonnen zu haben.
Mit anderen interessanten Blickwinkeln kommen hinzu: Nora Klug, mit dem Blickwinkel – wenn man so will – „von oben“ als „user“, und Olaf Hopp, mit dem Blickwinkel – wenn man ebenfalls so will – „von der Seite“ als professioneller Vermittler.
Die neuen Autoren beschäftigen sich unter anderem mit der Frage, wie sich die Ökonomisierung der anwaltlichen Arbeit auf die anwaltliche Leistung auswirkt. Solange Anwälte zusammen Gewissheiten verdrängen und Bestehendes neu verbinden, schaffen sie Neues und beweisen, dass die Partnerschaft die überlegene Organisationsform ist. Damit wird die Sottise des US-amerikanischen Ökonomen Gary Hamel, „Organisationsformen von heute sind als Ganzes weniger leistungsfähig als die Summe der Menschen in ihnen“, widerlegt. Einfach ist das Leben in dieser Organisationsform nicht. Es fordert jeden Akteur jeden Tag.
VIIIIst die absolute Unterordnung unter die Gewinnanhäufung die einzige Methode herauszufinden, ob eine Partnerschaft auf dem richtigen Weg ist? Zweifel sind erlaubt. Partnerschaften werden erfolgreich sein, wenn sie die Gemeinschaft betonen. „High-Context“- oder „face-to-face“-Kulturen schaffen den persönlichen Bezug, der für Erfolg notwendig ist. Die tägliche Teilnahme am Leben des anderen lässt sich in einer Partnerschaft am besten umsetzen. Eine Partnerschaft ist ein Schulbuchbeispiel einer „High-Context“-Kultur.
Leser wollen Griffiges. Deshalb will ich mit ähnlicher Fragwürdigkeit, wie sie die Kretschmersche Konstitutionspsychologie aufweist, versuchen, drei Partnertypen kantig herauszuarbeiten: Der erste ist mandatsbezogen. Er liebt den Fall, den Rechtsstreit oder die Transaktion. Er liebt ihn mehr als den Mandanten. Er ist der Ingenieur. Er hat sogar damit geliebäugelt, Maschinenbau zu studieren. In seiner besten Version bewahrt er den Mandanten – sogar gegen dessen anfänglichen Widerstand – vor Schaden und ist ewiger tiefer Dankbarkeit sicher. In seiner schlechtesten Version verliert er den Mandanten, der ihn als nicht serviceorientiert und als professoral empfindet.
Der zweite agiert mandantenbezogen. In seiner besten Version liebt ihn der Mandant und schwört auf ihn. In seiner schlechtesten Version handelt der Partner allzu gefällig, ja sogar unethisch.
Der dritte Typ ist kanzleibezogen. Er liebt Ranglisten, internes Marketing, Pitches und interne Besprechungen. In seiner besten Version formt er Teams und sorgt dafür, dass die Summe der Teile größer ist als sie es bei bloßer Addition wären. Im schlechtesten Fall ist er Funktionär.
Mir ist klar, dass die Wahrheit komplexer ist. Mischformen sind die Realität und der Typus ändert sich von Jahr zu Jahr. Alles was ich sage, ist, dass der (jüngere) Leser über die Aporetik nachdenken soll. Sehen soll, wo er am ehesten IXeinzuordnen wäre, um gegebenenfalls Stärken noch weiter zu stärken oder gegenzusteuern, wenn eine Schwäche als zu deutlich empfunden wird.
Eine Vielzahl der Leser der ersten Auflage schätzte die offenen Worte (auch über Zweifel und Irrwege) der Autoren über ihren eigenen Werdegang. Kritisiert wurde, dass ich mich diesbezüglich bedeckt hielt. Dem sei abgeholfen. Meine Eltern kamen beide aus der Hotellerie/Gastronomie. Ich erwähne dies deshalb, weil jeder aus dieser Branche über Arbeitsbelastung/Servicefokussierung/körperlichen Einsatz eines Anwalts (auch in einer Großkanzlei) nur milde lächeln kann. Diesen Einsatz sah ich mit Skepsis. Ich sah mich im Bekanntenkreis meiner Eltern um. Fragte ich nach denjenigen, die überdurchschnittlich wohlhabend waren, hieß es: „Er ist Fabrikant“. Für die jüngeren Leser: Das war in den siebziger Jahren der Begriff für „Unternehmer“. So war dann schnell klar, dass ich auch Fabrikant werden wollte. Insofern war die Entscheidung, Jura zu studieren, schon der erste Kompromiss, der erste „reality check“. Ich vermute, dass ich meine „Partnerwerdung“ einer Mischung von Mandatsbezogenheit und Mandantenbezogenheit verdanke. Ich bin Prozessanwalt und habe es immer gehasst zu verlieren. Ich denke, dass Kollegen und Mandanten diesen Ehrgeiz erkannten und schätzten. Reicht das heute noch? Ich denke, als Grundtugend, ja. Arrondierungen erlaubt.
Nach wie vor liegt die Betonung der Beiträge auf dem Prozess, dem „werden“, und nicht dem „Partner sein“. Das Buch mit dem letztgenannten Titel mag ein anderer herausgeben. Ob sich diese Autoren mit dem Phänomen der hedonistischen Adaption beschäftigen müssen, bleibt abzuwarten. Alle Autoren dieses Buches erkennen, welches Privileg, geradezu welcher Luxus, es ist, ihren Beruf in dem beschriebenen Umfeld auszuüben. Das ist nicht selbstverständlich. Die Probleme der „Partnerwerdung“ sind letztlich schöne Probleme. Es gibt Xschlimmere Probleme. Eben weil sie es erkannt haben, haben alle Autoren den Verlag C.H. BECK gebeten, das Autorenhonorar der Stiftung „Ambulantes Kinderhospiz München – AKM“ (www.kinderhospiz-muenchen.de) zu spenden.
München, Mai 2016 |
Stephan J. Spehl |
Dr. Stephan J. Spehl
Jeder Autor stellt sich seinen Leser vor. Ich stelle ihn mir als 30jährigen Associate in einer größeren (nicht unbedingt Groß-) Kanzlei vor1. Es führen viele Wege zum Erfolg = nach Athen2. Laufbahnratgeber laufen Gefahr, Korrelation und Kausalität zu verwechseln3. Lesen Sie daher meinen Beitrag mit Skepsis. Er ist nur meine persönliche Sicht und nicht die meiner Kanzlei (Baker & McKenzie). Meine Sicht ist wahrscheinlich auch eine, die von Etlichen nicht geteilt wird.
Lesen Sie die Beiträge der anderen Autoren nicht mit Skepsis, sondern mit Begeisterung. Es sind bekannte und erfolgreiche Anwälte. Jeder hat einen originellen und authentischen Beitrag verfasst. Ob es noch mehr Wege nach Athen gibt? Wahrscheinlich. Jedenfalls führten die beschriebenen Wege zum Ziel. Bei allen Schwierigkeiten: Von den juristischen Berufen ist der des Anwalts – bei allem Respekt für Richter, Mitarbeiter in Rechtsabteilungen, Staatsanwälten etc. – der Schönste. Ihn in einer funktionierenden Gemeinschaft auszuüben, ist ein Privileg.
Partner werden wird mit Großkanzleien und mittelständischen Kanzleien assoziiert. Es ist ein Karriereschritt, insofern vergleichbar mit der Karriere in einem Unternehmen. Zwei Unterschiede, die dieses Buch wie ein roter Faden durchziehen: In keinem Unternehmen wählen Mitarbeiter/Eigentümer ihre neuen Mitarbeiter/Eigentümer. In keinem Unternehmen wird der Mitarbeiter zum gleichberechtigten Gesellschafter des Unternehmens (= Partner), ohne für viel Geld die Gesellschaftsanteile kaufen zu müssen. Folgende verfremdete Geschichte zeigt anhand der kleinsten Einheit der anwaltlichen Zusammenarbeit, nämlich zwei, was die größten Kanzleien der Welt umtreibt:
Zwei Freunde von mir sinnierten nach dem bestandenen zweiten Staatsexamen über ihre berufliche Zukunft. Staatsdienst und Großkanzlei schieden aufgrund ihres Freiheitsdranges, vielleicht auch aufgrund der Examensnoten, aus. Nicht überraschend: Sie eröffneten zusammen eine Anwaltskanzlei. Alles wurde hälftig geteilt, die Kosten und Einnahmen. Beide arbeiteten viel. Neben ihrer Freundschaft verband sie eine Leidenschaft – Autos. Autos in jeder Form. Autorennen passiv zu verfolgen (Formel 1), selbst Amateurrennen zu fahren, Autos zu reparieren sowie schnelle und schöne Autos zu kaufen. Schon bald verband sich das Angenehme mit dem Nützlichen. Mehr und mehr wurde das Auto auch der Gegenstand der anwaltlichen Beratung und Vertretung. Während der eine sich um die zivilrechtliche Seite kümmerte (Verkehrsunfälle, Leasing), konzentrierte sich der andere auf die strafrechtliche Seite (Paradebeispiel: der Entzug der Fahrerlaubnis). Ihre persönliche Begeisterung mit dem Sujet „Auto“ trug Früchte. Der Umsatz wuchs wider Erwarten gut. Durch ihren Kontakt in den Motorsport erhielten sie weitere Mandate aus dem Sportbereich von professionellen Bundesligaspielern, 3denen Straßenverkehrsdelikte vorgeworfen wurden. Erfolg generiert Erfolg. Schon bald konnten die beiden die Arbeit nicht mehr alleine bewältigen. Sie stellten einen jungen Berufsanfänger ein. Diesem Berufsanfänger zahlten sie ein bescheidenes Salär. Schon nach wenigen Monaten erwies sich der Berufsanfänger als profitabel. Er entwickelte sich hervorragend. In den ersten zwei Jahren unterstützte er die beiden in ihren Arbeitsgebieten. Daneben arbeitete er alles andere ab, was so anfiel. Einer der Mandanten der beiden Partner, ein bekannter Fußballtrainer, war in eine heikle Verkehrssache (Unfallflucht) verwickelt. Sie halfen ihm.
Der Mandant war so angetan, dass er sie mit einer fast noch heikleren Angelegenheit mandatierte – mit seiner Ehescheidung. Beide verstanden vom Scheidungsrecht nicht viel. Sie gaben den Fall ihrem jungen angestellten Kollegen. Er arbeitete sich in die Materie (komplizierte IPR-Fragen und Probleme aus dem Bereich Ehevertragsrecht) ein. Auch dieser Fall wurde zur Zufriedenheit des Mandanten gelöst. Der Mandant empfahl die Kanzlei anderen (prominenten) Scheidungswilligen. Über die nächsten drei Jahre entwickelte sich Familienrecht neben dem Autorecht zu einem weiteren Standbein. Nachdem der junge Kollege insgesamt sechs Jahre in der Kanzlei (unter stetiger aber mäßiger Gehaltserhöhung) gearbeitet hatte, wandte er sich an seine beiden Kollegen. Er wolle Partner werden. Die Kollegen wussten nicht recht mit dem Wunsch umzugehen. Schließlich setzten sie sich eines Abends in ihrer Stammkneipe zusammen und überlegten, was zu tun sei. Rasch stellte sich heraus, dass der eine Partner die Aufnahme eines dritten Partners eher befürwortete, während der andere skeptisch war. Sie erstellten eine Liste, die wie folgt aussah:
4 Pro:
Kontra:
In dieser Pattsituation wandten sich die beiden an mich: „Ihr wählt doch jedes Jahr neue Partner. Wie macht Ihr das?“
Fast zur gleichen Zeit hatte ich ein längeres Gespräch mit einem jüngeren Kollegen aus der eigenen Kanzlei. Er war nicht zum Partner gewählt worden. Er verstand die Welt nicht mehr: „Ich komme mir vor wie beim magischen Viereck.“4
5„Wie ich es mache, mache ich es falsch. Arbeite ich 2.500 Stunden pro Jahr, heißt es, ich sei ein Egoist oder ‚Time Sheet-Autist‘, der nicht an die Belange der Kanzlei denke. Arbeite ich weniger und kümmere mich mehr um Sozialbelange, bin ich ein ‚Gschaftlhuber‘, der ‚nicht die PS auf die Straße bringt‘ und es versäumt, einen höheren Gewinn zu erwirtschaften. Bemühe ich mich darum, Mandate zu akquirieren, wird mir die Mentalität eines Gebrauchtwagenhändlers vorgeworfen, der wissenschaftlichen Ansprüchen nicht gerecht werde. Konzentriere ich mich auf qualitativ hochwertige Arbeit, bin ich ein technischer ‚Service Lawyer‘ ohne eigene Mandate.“
Lamento eines Gescheiterten? Etwas Wahres dran? Warum wird der eine Partner, der andere nicht? Ist Partner werden eine Karriere wie jede andere auch, wie beispielsweise der Vorstand eines Unternehmens zu werden? Gibt es wiederholbare Rezepte? Vor dem Hintergrund dieser Fragen entstand dieses Buch.
Der Frage „Wie werde ich Partner?“ geht die Frage voraus, „Wie und warum machen mich andere zum Partner?“. Dieser Frage wiederum geht die Frage voraus, was macht Erfolg/Karriere im Allgemeinen aus. Man kann sich dieser Frage wissenschaftlich/laienhaft nähern. Nähert man sich ihr wissenschaftlich, stößt man auf die Kompetenzforschung5. Womit befasst sich Kompetenzforschung? Zunächst mit der Definition von Kompetenz. Kompetenz soll das „Ergebnis von Entwicklung grundlegender Fähigkeiten“ sein6. Diese Fähigkeiten sollen aber nicht genetisch angelegt sein. Wenn ein Manager also blendend aussieht, ist dies irrelevant7. Es geht ausschließlich um „selbstorganisierte“8 Ergebnisse. Diese münden in „Performanz“. So weit, so offensichtlich. Interessant ist, dass die Motivationspsychologen Qualifikation und Kompetenz exakt trennen9. Qualifikationen sind Ergebnisse von Prüfungen. Sie seien nichts anderes als Wissenspositionen. Erpenbeck/von Rosenstiel nennen das Beispiel des gelernten Multimediadesigners mit guten Noten, dem in der Praxis nichts einfalle. Wasser auf die Mühlen derjenigen, die die Notenhörigkeit der Juristen (insbesondere der Partner in größeren Kanzleien) kritisieren? Vielleicht. In diesem Buch geht es darum, dass eine Gruppe jemanden aufnimmt (ihn zum Partner wählt) und sich dabei auf seine Disposition – auch in der Zukunft Leistungen zu erbringen – verlässt. Wie wird 7diese Eignung zum Partner festgestellt? Durch das Betrachten der Vergangenheit, also durch Betrachtung der bisherigen Resultate.
Ein Großteil der Partnerwahl hat mit der Betrachtung der Vergangenheit zu tun, mit bisherigen Resultaten. Welche Resultate werden verlangt, müssen also in der Vergangenheit bereits vorliegen? Soweit sie nicht vorliegen, wie können die Betrachter (= wählende Partner) davon überzeugt werden, dass die Disposition vorhanden ist? Die Betriebspsychologen unterscheiden folgende Schlüsselkompetenzen10:
Wie findet der Wissenschaftler heraus, ob und wie weit diese Kompetenzen vorhanden sind?
Die Antwort: mit allem, was die Wissenschaft zu bieten hat. Erpenbeck/von Rosenstiel formulieren11 „alle Mess-, Charakterisier- und Beschreibungsverfahren“ aller Disziplinen. Soweit ersichtlich haben die Wissenschaftsdisziplinen12 keine Untersuchung zu der Frage „Wer ist kompetent, in einer Kanzlei Partner zu werden?“ angestellt. Die folgenden Gedankensplitter 8sind nicht einmal ansatzweise eine solche Untersuchung. Im besten Fall sind sie eine rudimentäre Checkliste: Punkte, die man selbst komplettieren und adaptieren muss.
Die meisten mir bekannten Kanzleien definieren eine Reihe von sachlichen und persönlichen Anforderungen an einen zu wählenden Partner und bewerten den Partner im Vorfeld auf eine solche Partnerwahl anhand dieser Kriterien (häufig durch ein Komitee), um derart vorbereitet dann die Partnerentscheidung treffen zu lassen.
1989 wurde ich in meinem Vorstellungsgespräch bei Baker & McKenzie gefragt. „Welche Tätigkeit streben Sie an?“ Gerade von dem LL.M-Studium in den USA zurückgekehrt hatte ich gelernt, „If you cannot answer a question, ask it back“. „Was gibt es denn so?“ Die Antwort war: „Es gibt zwei Spezialisierungen. Beratung und Prozessführung.“
Diese Zeiten sind vorbei. Selbst Spezialisierungen wie Gesellschaftsrecht, Kartellrecht, Arbeitsrecht, gewerblicher Rechtsschutz, Steuerrecht sind inzwischen zu grobkörnig. Die heutigen Fachgebietsgruppen in Kanzleien (nicht nur in Großkanzleien) sind wesentlich ziselierter. Fachgebiete wie Schiedsrecht, Private Equity, Akquisitionsfinanzierung, Umsatzsteuerrecht, Betriebsrentenrecht, Kapitalmarktrecht, Compliance, IT, IP zeigen, wie weit die Spezialisierung geht.
Im Kontext der Überschrift zu diesem Artikel stellt sich für einen jungen Anwalt die Frage, ob in einem Gebiet die Chancen, Partner zu werden, höher sind als in einem anderen. Ja, das sind sie:
9Jeder weiß, dass ein Fußballspieler als professioneller Spieler viel Geld verdienen kann, während ein Feldhockeyspieler in Deutschland seinen Lebensunterhalt kaum mit seinem Sport bestreiten kann. Ist der M&A-Anwalt der Fußballspieler (mit der Aussicht in der 1. Bundesliga zu spielen), während der Markenrechtler/Arbeitsrechtler der hochbegabte Feldhockeyspieler ohne Aussicht auf Partnerstatus ist? Mitunter wird dem jungen Anwalt geraten, er solle sich nach Neigung und Begeisterung entscheiden, die zwangsläufig zum Erfolg führen. Ich fürchte, dieser Rat ist zu platt. Auch der weltbeste Feldhockeyspieler kann kaum von seinem Sport leben.
Aber auf den Schweinezyklus13 achten. Es werden alle Anwälte Transaktionsanwälte, es können nicht alle Transaktionsanwälte Partner werden. Richtig. Ebenfalls richtig ist, dass die Chancen eines Anwalts, der sich auf Ausländerrecht (für die Geschäftsführer der ausländischen Vertriebstöchter) spezialisiert – Schweinezyklus hin, Schweinezyklus her – chancenlos sein dürfte. Was bleibt? Der zugegebenermaßen banale Rat ist, das Equilibrium zwischen Neigung/Begeisterung und der wirtschaftlichen Ausrichtung der konkreten Kanzlei zu suchen. In einem „Schweinezyklus“ setzen sich nur die allerbesten durch (alle guten Anwälte gehen in den Transaktionsbereich, von diesen wird nur der beste Partner), während sich in Randbereichen auch ein schlechterer Jurist durchsetzen kann.
Die wirtschaftliche Ausrichtung von Industrien und Kanzleien ändert sich. Wer hätte vor 20 Jahren an einen Boom der Datenschützer („privacy lawyer“) gedacht? Wer hätte vor 20 Jahren an „Compliance-Anwälte“ geglaubt?
Welcher Zeitpunkt ist richtig? Nicht der erste „mover“, sondern der erste „prover“ zählt. Einen jungen Anwalt, der im Bestreben ist, Neues und Eigenes für sich zu entdecken 10(beispielsweise Compliance zu Beginn der 90er Jahre), trifft vielleicht das Verdikt „Märtyrer des Optimismus“. Anschaulich heißt es hierzu14: „Man nennt sie auch Märtyrer des Optimismus, weil sie so tapfer ausschwärmen in die Minenfelder der Ungewissheit. Nachfolgende haben ihren Nutzen. Wo der naive Pionier in die Luft geflogen ist, wird der skeptisch gewitzte Konkurrent doppelt vorsichtig auftreten.“ Die Konsequenz: Mit wachen Augen durchs Anwaltsleben gehen und schauen, was die anderen machen! Als Bild bietet sich das Segeln an: Die Regatta gewinnt häufig der, der im Windschatten des Ersten segelt und aus dessen Fehlern lernen kann.
Fast jede Kanzlei ordnet einem Berufsanfänger einen Mentor15 zu. Landläufig wird in Unternehmen unter „Mentoring“ eine Eins-zu-eins-Beziehung zwischen einem Berater (Mentor) und einem Ratsuchenden/Beratenen verstanden. Üblicherweise läuft dieses Mentorenverhältnis außerhalb der Vorgesetzten-Mitarbeiter-Beziehung ab.
In vielen Kanzleien ist das anders. Der Mentor ist gleichzeitig der die Arbeit vergebende und überwachende Partner. Warum ist das Institut der Mentorenschaft für den Partneraspiranten wichtig? Es hat sich in vielen Kanzleien gezeigt, dass der Mentor nicht – wie im Unternehmen – ein Instrument unter vielen in der Personalentwicklung ist, sondern das Wichtigste. Die Partnerschaftschancen des Aspiranten werden maßgeblich vom Mentor beeinflusst. Die Bandbreite reicht von „der Mentor versagt Unterstützung und der Kandidat wird deshalb nicht gewählt“ über „der Mentor bereitet seinem Schützling den Weg“ bis zu „der Mentor drückt seinen Schützling 11gegen Widerstand durch“. Was heißt das konkret für den jungen Kandidaten? Selten kann ein Kandidat seinen Mentor in einer Anwaltskanzlei selbst wählen. Falls doch, etwa nach einigen Jahren, liegt der Rat auf der Hand. Es ist vorteilhaft, wenn der den Kandidaten unterstützende Mentor umsatzstark und einflussreich ist. Wie weiß der Kandidat, ob sein Mentor über diese Eigenschaften verfügt? Es gilt der Satz16: „I [you] know it when I [you] see it.” Ist dieses Alphatier einmal identifiziert, gilt unbedingte Gefolgschaft oder Imitation? Vorsicht. In der Personalplanung ist das Phänomen des „self cloning“ seit etlichen Jahrzehnten bekannt. Führungskräfte fördern Mitarbeiter, die ihnen ähnlich sind. Kanzleien sind keine Ausnahme und letztlich „gleich und gleich gesellt sich gern“. Das hat Vorteile. Partner, die die gleichen Wertvorstellungen haben, sind effizienter. Der Nachteil für die Kanzlei: Anforderungen ändern sich. So kann ein Imitieren des Alten hinderlich sein. Auch für den Kandidaten. Letztlich wird ein behutsames Beobachten und Austarieren zwischen gewählter Gefolgschaft zum Mentor und dem Ausbilden eigener originärer Merkmale das Beste sein.
Ein hässliches Wort geht um: „Das Boot ist voll.“17
Egal, was der Aspirant leistet (auch wenn er dem magischen Viereck nahe kommt): Die existierende Partnerpopulation möchte keine weiteren Teiler des Gewinns. Ist etwas dran an diesem Malmot? Die Bandbreite der Antworten ist groß. Unfug sagen die einen. Seit Jahrzehnten geistere unter den Studenten, die in der Vorbereitung auf das erste Staatsexamen sind, das (ebenso unsinnige) Gerücht von der Justizverwaltung, die auf eine Quote von Durchfallern fixiert sei, 12weil nicht ausreichend Referendarsstellen vorhanden seien. Ähnlich wie hier, handele es sich bei der Behauptung, es gäbe keine Partnerstellen mehr, um ein „urban myth“. Es gelte: „You cannot keep a good man down.“ Eine Population, die sich der Fortpflanzung verweigere, sterbe aus.
Am anderen Ende des Spektrums finden sich Beobachter, die wegen der numerischen Übermacht der Aspiranten ein überlebensnotwendiges Abschotten der bestehenden Population behaupten/fordern. Was heißt das? Etwa: Bei gleichbleibendem Umsatz darf die Zahl der Partner nicht steigen, weil sonst das Einkommen sinkt. Und obwohl das Einkommen vieler Partner beträchtlich ist, grassiert die Verlustangst.
Zwischen diesen beiden Extremen tummelt sich eine Meinungsindustrie (beispielsweise JUVE, www.abovethelaw.com, American Lawyer, www.law.com), die die Parameter kommentiert. Schlagworte:
„In der Kanzlei Alpha ist die Partner-/Nicht-Partnerratio 1:4. Diese Ratio wird nicht verwässert.“
„Die US-Kanzlei Beta macht außerhalb der USA ohnehin niemanden zum Partner.“
„Die Kanzlei Alpha verteilt ihren Gewinn nach dem Profitcentersystem. Sie macht daher eher Partner als eine Kanzlei, die nach dem Lockstepsystem ihren Gewinn verteilt.“
„Die Kanzlei Alpha hat eine günstige/ungünstige Alterspyramide. Sie wird deshalb demnächst viele/nicht viele Partner wählen.“
„Die Kanzlei Beta ist hoch profitabel. Sie wird diese Profitabilität nicht durch weitere Partner verwässern.“
Kürzlich hat Steven J. Harper18 in seinem Blog19 „The Big Law Partner Lottery“ folgende (düstere) Überlegung angestellt: Steven D. Levitt und Stephen J. Dubner amüsieren sich 13in ihrem bekannten Buch „Freakonomics“20 über Straßendrogenhändler, die ein hohes Risiko eingehen und letztlich nie reich werden. Sie konstatieren irrationales, ökonomisches Verhalten. Associates in großen Anwaltskanzleien verhielten sich ähnlich. So hättes es 2011 nur 45 Harvard-Absolventen geschafft, Partner in großen Anwaltskanzleien zu werden, obgleich fünf Jahre zuvor 383 Harvard-Absolventen als Associates bei großen Anwaltskanzleien zu arbeiten angefangen hätten. Er setzt diese Betrachtung mit einer Reihe von anderen bekannten Law Schools (Columbia, The University of Pennsylvania) fort. Harper präsentiert keine Lösung; deshalb formulierte ich eingangs „düster“. Harper warnt die Kanzleien nur, das Heil nicht im Heuern von lateralen Partnern („the lateral bubble“) zu suchen.
Jetzt kommt die vielleicht heikelste Passage dieser Einführung. Der Leser, insbesondere der Aspirant, erhofft sich Insidertipps oder eine Ausrechenbarkeit anhand von Parametern. Die folgende Frage ist berechtigt: Welche Kanzlei bietet mir per saldo die besten Partnerchancen? Ich hielte es für unseriös, dieser Hoffnung nachzugeben und ein objektives Raster von Chancen zu behaupten. Letztlich reduziert sich für jede bestehende Partnerschaft die Partnerwahl auf die Frage „Sind wir mit dem neuen Partner besser dran als ohne ihn?“.
Partnerschaften sind deutschlandweit/weltweit zu amorph und ändern sich zu schnell, um sich ausrechnen zu lassen. Deswegen lese jeder die – trotz aller Vorrede erstellte – Übersicht misstrauisch und hinterfrage er sie für seine konkrete Situation.
14 Höhere Partnerchancen
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Geringere Partnerchancen
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Nochmals, dieses Diagramm ist mit großer Vorsicht zu lesen. Der Vorwurf, das Diagramm komme dem Versuch gleich, den künftigen deutschen Fußballmeister anhand von Stadiengrößen und Besucherzahlen (aus der Vergangenheit) voraus zu sagen, könnte gemacht werden. Der Aspirant muss eine Entscheidung treffen: Je leichter es ist, in eine Partnerschaft zu kommen, desto unprofitabler in finanzieller Hinsicht wird es sein, dieser Partnerschaft anzugehören. Und umgekehrt: Wo kaum jemand Partner wird, ist es in der Regel am profitabelsten, 15diese Hürde zu nehmen. There is no such thing like a free lunch.
Nun geht es um persönliche Leistungsparameter. Welche Leistungen werden in dem Gratifikationsritual der Partnerwahl erwartet?
Lassen wir den Aspiranten zwischen 35 und 40 Jahre sein, einen Anwalt, der seit zehn Jahren sehr gute juristische Arbeit leistet, sich einen eigenen Mandantenstamm erarbeitet hat und großen wirtschaftlichen Erfolg genießt.
Kann es sein, dass eine Leistung (= Abitur), die vor 20 Jahren erbracht wurde, zur Sprache kommt21? Nicht ausgeschlossen. Jedenfalls als positiver Verstärker ist in Beurteilungen von Partneraspiranten zu hören: „Die exzellenten juristischen Kenntnisse überraschen nicht. Waren sie doch schon in seinem Abitur mit der Note von 1,2 angelegt.“ Ungerecht? Ungerecht insbesondere angesichts der zumindest in meiner Schulzeit von (vermeintlich wohlwollenden) Älteren geäußerten Floskel: „Nach der Abiturnote fragt später kein Mensch.“ Diese Alltagsweisheit wird heute verstärkt durch stereotype Hinweise auf wirkliche oder vermeintliche schlechte Schüler oder Schulabbrecher (Einstein, Gates oder Zuckerberg). Für die 16hier in Frage stehende Kaste ist diese Nonchalance leider nicht zutreffend. Ein gutes Abitur nützt.
Eng verbunden – und noch wichtiger – ist damit die Frage nach den Noten in den beiden Staatsexamen. Wie können diese (insbesondere zum Nachteil) eine Rolle spielen? Waren sie doch gut genug, um den Aspiranten einzustellen. Sind sie nicht irgendwann einmal „verbraucht“22? Sollte wohl so sein. Sie sind es aber nicht. Warum nicht? Weil sie immer noch das einfachste und vermeintlich beste Bewertungsschema für juristische Leistungsfähigkeit darstellen. Merkmale, die noch unwichtiger sind und sich jeder individuellen Beeinflussung entziehen, sind es auch nicht. Man denke an die viel zitierte Körpergröße von Vorstandsmitgliedern23.
Ein englischer Juraprofessor sagte mir einmal voller Überzeugung: „Keinen Haftpflichtfall zu verursachen, kann nicht der Maßstab für die Qualität eines Anwalts sein.“
Der englische Professor kannte die deutsche Rechtsprechung zur Anwaltshaftung nicht. Bekanntlich muss der Anwalt klüger als das Gericht sein24 und die aktuelle höchst richterliche Rechtsprechung kennen25 und immer den sichersten Weg wählen. Aber ich konzediere, ich verstehe, was der Professor meinte.
Für mich zeigt sich hervorragende juristische Arbeit in der Fähigkeit, Schwieriges einfach darzustellen. Reinhard Pöllath, 17wohl einem der besten deutschen Steuerrechtler, hörte ich einmal zu, wie er ein schwieriges steuerrechtliches Thema schilderte. Ich verstand es, obgleich mich Steuerrecht weder interessiert, noch ich davon etwas verstehe. Lassen Sie mich, statt langer Ausführungen zur Wechselwirkung zwischen juristischer Fachkunde und sprachlicher Kompetenz, folgendes Schaubild entwerfen.
werden einfach und richtig erklärt/dargestellt |
werden kompliziert und richtig erklärt/dargestellt |
werden kompliziert und falsch erklärt/dargestellt |
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sehr schwieriger Sachverhalt und sehr schwierige Rechtsfragen |
Spitzenanwalt |
Mittelmäßiger Anwalt |
schlechter Anwalt |
mittelschwieriger Sachverhalt und mittelschwierige Rechtsfragen |
Spitzenanwalt |
schlechter Anwalt |
schlechter Anwalt |
einfacher Sachverhalt und einfache Rechtsfragen |
Spitzenanwalt |
schlechter Anwalt |
schlechter Anwalt |
Ich denke, die Überraschung liegt in dem Verdikt, das ich kursiv abgedruckt habe: Richtige juristische Analyse und Empfehlung machen noch keinen guten Anwalt aus. Hier komme ich zu einer schlechten Note. Mehr ist zu dem Thema nicht zu sagen.
Mein Mentor, Franz Waltermann, einer der ersten und besten „Litigators“ in Deutschland, sagte mir einmal26 zu später Stunde: „Ich verkaufe meine Lebenszeit“. Wie viel Lebenszeit muss denn der Aspirant pro Jahr verkauft haben/in Zukunft verkaufen können? Soviel wie möglich, 1.800 Stunden, 2.500 Stunden oder gar 3.200 Stunden? Die Frage ist falsch gestellt. Nicht aufgrund des vielfach verkündeten Abschieds von der billable hour. Der Abschied beträfe nur die externe Abrechnung. Er ändert nichts daran, dass jede andere Abrechnung (Wert, Erfolg, „Milestones“) immer den gleichen Inhalt hat – Lebenszeit.
Auch nicht aufgrund der unterschiedlichen Erwartungen der Kanzleien oder der damit entstehenden trügerischen Scheingenauigkeit. Der Grund ist ein anderer. Ich habe in der letzten Dekade keinen Aspiraten gesehen, der nicht alles gibt, mitunter sogar zuviel. Die bange, früher in Bewerbungsgesprächen gestellte Frage nach Wochenendarbeit wird nicht mehr gestellt. Aus zwei Gründen. Erstens wird es inzwischen als Privileg angesehen, überhaupt über so viel Arbeit zu verfügen, dass damit auch das Wochenende gefüllt werden kann. Zum zweiten, alle arbeiten immer. Seit Jahren beobachte ich dieses durch Blackberry befeuerte Gefühl des 24/7-Einsatzes. Nirgendwo habe ich dieses Phänomen so anschaulich beschrieben gesehen, wie bei Svenja Flaßpöhler, Wir Genussarbeiter, Über Freiheit und Zwang in der Leistungsgesellschaft. Ich will gar nicht versuchen, ihre Ausführungen zu paraphrasieren, sondern zitiere die Seiten 9 und 10:
„Arbeit ist für uns heute nicht mehr nur Mühsal. Wir, die wir unsere Arbeit gern tun und uns in ihr verausgaben, auch über das erforderliche Maß hinaus, sind keine Pflichtarbeiter 19im herkömmlichen Sinne mehr, sondern Genussarbeiter. Diese Wortschöpfung bringt eine Entwicklung auf den Punkt, die sich verstärkt seit einigen Jahrzehnten, im Grunde aber schon seit zwei Jahrhunderten, nämlich seit Beginn des bürgerlichen Zeitalters vollzieht. Seitdem der Mensch körperlich ruinöse Arbeit von Maschinen erledigen lässt, Zugang zu Bildung hat, seine Tätigkeit neigungsorientiert wählen kann und sich vornehmlich durch Leistung definiert, birgt die Arbeit ein Glücksversprechen, das andere Quellen der Lust in immer stärkerem Maße verdrängt. […] Für uns Genussarbeiter ist der Genuss Arbeit und die Arbeit umgekehrt Genuss. In unserer Arbeit gehen wir auf wie eine Knospe im Frühling. Jede neue Herausforderung lässt uns wachsen, überborden vor Energie, so wie ein Blümlein sich begierig zur Sonne reckt, damit es gedeiht, verlangen wir unentwegt nach neuen Möglichkeiten, um das eigene Können unter Beweis zu stellen. Als Genussarbeiter und Genussarbeiterinnen lieben wir unsere Arbeit, wir brauchen die Anerkennung, die wir durch sie erfahren oder doch zumindest zu erfahren hoffen, denn das Gefühl, tatsächlich ausreichend Anerkennung zu erfahren, stellt sich fast nie und wenn, dann nur flüchtig ein. Und so arbeiten und arbeiten wir, sind ehrgeizig und hochmotiviert, und verlieren dabei nicht selten jedes Maß.“
Auf den Seiten 110 und 111 schreibt sie über einen Journalisten:
„‚Im Nachhinein kamen mir solche Tage vor, als hätte ich in der staubtrockenen Luft eines Kopierladens fortwährend nur leere Blätter in die Luft geworfen, bleiche, zerfaserte Zeit.‘ So schildert der Journalist Alex Rühle seinen internetbedingten Alltagsstress in dem Buch Ohne Netz, das von seinem halbjährigen Offline-Selbstversuch handelt. ‚Als würde da einer hinter meinem Rücken, während ich in den Bildschirm starre, mit dem Tintentod über den Tag drübergehen: Kaum vergangen, ist alles verblasst.‘“
20Ob Journalisten oder Anwalterei – gleiche Phänomene. Was bleibt für den Aspiranten? Konzentration auf die „Big Points“. Was heißt das konkret? Nicht jede E-Mail beantworten, nicht alles kommentieren, nicht überall dabei sein. Statt vielen Beiträgen in Kanzlei-Newslettern („Das neue xyz-Gesetz“) ein Buch schreiben. Statt vieler untergeordneter (also neben einem älteren Partner) Mandantenkontakte eigene wenige Wertvolle27. Mein Studienfreund Martin Vorderwülbecke, ein erfolgreicher Unternehmer, sagte mir einmal: „Auf einer Party lerne ich lieber eine Person gut kennen als zehn oberflächlich.“ Recht hat er.
Als ich 1987 Rechtsreferendar im Badischen war, erzählte der Leiter der Arbeitsgemeinschaft von einem Anwalt, der bei diversen kleineren Bürgermeisterwahlen kandidierte – wissend, dass er nicht gewählt werden würde. Er wollte nicht einmal gewählt werden. Er suchte nur die Werbung durch den tausendfachen Druck des Stimmzettels. Amüsiert dachte ich seinerzeit, dass große Kanzleien derlei nicht notwendig haben. Haben sie auch nicht. Auch den oft zitierten Jäger29 21von Ambulanzen30 in den USA gibt es seltener als gedacht. Aber machen wir uns nichts vor: Verkaufen und Akquirieren ist eine Fähigkeit, die jeder Selbstständige beherrschen muss. Ohne jetzt gezielt ein Werk empfehlen zu wollen, jeder Aspirant sollte einige Bücher über Verkauf (ob klassisch31 oder populärwissenschaftlich32) gelesen haben. „Man akquiriert Mandanten im eigenen Alter“, hieß es früher. Das ist richtig. Nachdem Vorstände, Minister und Milliardäre immer jünger werden, sind dem Aspiranten weniger Grenzen gezogen als vor zehn oder 15 Jahren.
Mein Frankfurter Partner Jörg Risse hält seit Jahren ausgezeichnete Seminare über Verhandlungstechniken. Er begegnet mitunter Zweiflern. „Verhandeln kann man oder man kann es nicht.“ Es sei nicht notwendig, nicht einmal möglich, Verhandlungsführung zu lernen. Jörg Risse widerlegt diese These jedes Mal. So ähnlich verhält es sich bei den „Soft Skills“. Welche immer man darunter fassen mag. Es lohnt sich, sie und sich zu studieren. An dieser Stelle offenbart sich tatsächlich ein Unterschied zwischen dem anwaltlichen Berater und dem Unternehmer. Viele Unternehmer, viele Manager lesen jährlich ein/zwei Neuerscheinungen auf diesem Gebiet. Es gibt gestandene Partner und bestens ausgebildete Aspiranten, die diese Buchgattung ignorieren. Erst nach der Lektüre kann eine informierte Entscheidung getroffen werden, ob die Lektüre nützt und was der Aspirant lernen kann. Das Angebot ist riesig. Wem gar nichts einfällt, soll anfangen mit: Goldsmith, Reiter, What Got You Here Won’t Get You There: How Successful People Become Even More Successful.
In fünf Jahren werden alle Aspiranten einen Laufbahncoach engagieren, der sie (privat) berät. In fünf Jahren werden Aspiranten einen Publizisten33 heuern, der sich um ihre Öffentlichkeitsarbeit kümmert. In fünf Jahren kommt die Frauenquote.
In zehn Jahren gibt es keine Partner mehr. Große Anwaltskanzleien werden börsennotierte Gesellschaften sein mit Fremdgesellschaftern34. Dieses Buch hat sich dann erledigt. Bis dahin gelten die Tipps in dem letzten Abschnitt dieser Einführung.
Zum Abschluss zehn konkrete Tipps: Tipps bewegen sich zwischen zwei Polen. Sind sie vage, stimmen sie und nützen oft nichts. Sind sie konkret, nützen sie nur, wenn sie stimmen. Meistens stimmen sie nicht. Ich riskiere, Tipps der zweiten Art zu geben.
► Goldstein, Martin, Cialdini, Yes! 50 Scientifically Proven Ways to be Persuasive.
1 Diesen Einleitungssatz habe ich abgeschaut von Daniel Kahneman, Thinking, Fast and Slow, S. 3: „Every author, I suppose, has in mind a setting in which readers of his or her work could benefit from having read it.“
2 Ursprünglich galt Athen als Ziel der Gebildeten. Erst später entstand das geflügelte Wort „Es führen viele Wege nach Rom“.
3 Klinke, Pape, Knotz, Silbernagel, Physiologie, 6. Auflage 2010, S. 3, schildern folgenden (vielen Naturwissenschaftlern geläufigen) Fall: Im Elsass ging die Geburtenrate zurück. Gleichzeitig gab es weniger Störche. Sie werden lächeln. Bei der Beobachtung nicht erforschter Phänomene sollen wir nicht lächeln. Anwälte – insbesondere in eigener Sache – verwechseln mitunter Korrelation und Kausalität. Lesen Sie alles (insbesondere meinen Teil) als Hypothese. Überprüfen müssen Sie sie.
4 Sie werden sich erinnern. Die vier wirtschaftspolitischen Ziele: hoher Beschäftigungsgrad, stabiles Preisniveau, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und angemessenes und stetiges Wirtschaftswachstum.
5 John Erpenbeck/Lutz von Rosenstiel, Handbuch Kompetenzmessung. Der erste Satz des Buches lautet „Die deutsche Kompetenzforschung ist heute führend in Europa.“
6 Erpenbeck/von Rosenstiel, S. XVIII.
7 Das mag im Rahmen der Kompetenzforschung zutreffend sein, jedoch ist es bei der Erfolgsforschung an sich relevant.
8 Erpenbeck/von Rosenstiel, S. XVIII.
9 Erpenbeck/von Rosenstiel, S. XIX.
10 Erpenbeck/von Rosenstiel, S. XXIV.
11 S. XXIX.
12 Persönlichkeitssoziologie, Performanzanalyse, Arbeitspsychologie, Sozialpsychologie, Qualifikationsforschung, Sprachwissenschaften und Pädagogik.
13 Der Agrarwissenschaftler Arthur Hanau soll in seiner Dissertation 1927 über Schweinepreise diesen Begriff geprägt haben.
14 Spiegel 2012, S. 124 (Heft 1/2).
15 Schön ist der mitunter in Schweizer Kanzleien gebrauchte Ausdruck des „Götti“, also eines Paten.
16 Richter Potter Stewart in Jacobellis vs. Ohio (1964).
17 Schweizer Bundesrat Eduard von Steiger, geäußert 1942.
18 Autor und vormals Partner bei Kirkland & Ellis.
19 www.thebellyofthebeast.wordpress.com (Blog vom 29. Februar 2012)
20 S. 79: „Why Do Drug Dealers Still Live with Their Moms?“
21 Die Elitesoziologie hat, soweit ersichtlich, bisher die Funktionselite, Partnerschaft bestehend aus Anwälten, nicht separat untersucht. Es könnte reizvoll sein. Michael Hartmann, Der Mythos von dem Leistungseliten, Spitzenkarrieren und soziale Herkunft in Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft, 2002, untersucht Freiberufler, aber nicht separat Partnerschaften von Anwälten als besonders herausragende Gratifikationsgesellschaften.
22 Für Nichtjuristen: Ist ein Strafurteil rechtskräftig geworden, kann der Täter wegen derselben Tat nicht erneut angeklagt werden; Strafklageverbrauch als Prozesshindernis.
23 Oechsler, Schmidt, Paul, Charakteristika von Vorstandsmitgliedern – Humankapitalsignale bei der Besetzung von Positionen im Top-Management, Zeitschrift für Management 2008, S. 199.
24 BGH NJW-RR 1990, 1241, 1242, „Fehler des Gerichts muss [der Anwalt] erforderlichenfalls zu verhindern suchen“.
25 BGH NJW 2001, 675, 678.
26 Viele Jahre bevor Harald Weinrich, Knappe Zeit, Kunst und Ökonomie des befristeten Lebens, 2004, erschien.
27 Die Gegenposition wird nicht verkannt. Scherer, Glückskinder (S. 99) vertritt wohl eine höhere Quantität von Kontakten. Ebenso, Jens Braak, Zufallstreffer, Vom erfolgreichen Umgang mit dem Unplanbaren, S. 53: „Sammeln Sie Begegnungen!“ Lesen und für sich selbst entscheiden.
28 Jeffrex Fox, How to Become a Rainmaker.
29 Überraschend konservativ:
Rule 7.3a der ABA rules: Information About Legal Services
(a) A lawyer shall not by in-person, live telephone or real-time electronic contact solicit professional employment from a prospective client when a significant motive for the lawyer's doing so is the lawyer's pecuniary gain, unless the person contacted:
(1) is a lawyer; or
(2) has a family, close personal, or prior professional relationship with the lawyer.“
30 Ambulance chaser.
31 Philip Kotter, Kotter on Marketing.
32 Tom Hopkins, Sales Prospecting for Dummies.
33 Christoph Bartmann, Süddeutsche Zeitung vom 25. Januar 2012, S. 12 „Die Performance-Falle, In der modernen Bürowelt reicht es nicht, Leistungen zu erbringen – wir alle müssen zu Darstellern unserer Leistung werden.“
34 Vgl. Matthias Kilian, Anwaltsgesellschaften mit berufsfremder Kapitalbeteiligung, Anwaltsblatt 2011, 800 zum progressiven Regulierungsansatz in Australien und England.
35 Tali Sharot, The Optimism Bias (lesenswert), A Tour of the Irrationally Positive Brain, schildert auf den S. 42ff. unter „Prophecy or Cause?“ anschaulich, wie „self-fulfilling prophecy“ funktioniert.
36 Im Sinne einer Kleistschen Lebensplanung. Matthew Kelly, Off Balance, Getting Beyond the Work-Life Balance Myth to Personal and Professional Satisfaction, begründet (S. 109) mit überlegenswerten Argumenten zweierlei: Pläne sollten nicht zwischen beruflichen und privaten Zielen unterscheiden. Pläne sollten einen Zeitraum von zehn Jahren umfassen.
37 Landläufig wird der extrovertierte gut kommunizierende Teamplayer favorisiert. Die Verhandlungstrainerin Susan Cain, The Quiet: The Power of Introverts in a World That Can't Stop Talking, 2012 stellt das mit guten Gründen in Frage.
Dr. Marius Berenbrok
Nach dreieinhalbjähriger Tätigkeit als angestellter Anwalt bei Bruckhaus Westrick Heller Löber (damals die größte Anwaltskanzlei in Deutschland) wurde ich im Herbst 1994 auf einer Partnerversammlung am Frankfurter Flughafen zum Partner gewählt. Auf der Versammlung hatte einer der Partner etwa eine halbe Stunde lang über mich berichtet, und am Ende wurde ich zusammen mit einigen anderen Kandidaten durch Handaufheben in die Partnerschaft aufgenommen. Dieser kurze, oft emotional geprägte und aus heutiger Sicht wenig fundierte Prozess war damals nicht nur bei Bruckhaus üblich. Dagegen steht die Partneraufnahme heute am Ende eines sich über Jahre erstreckenden, ebenso wohlstrukturierten wie transparenten Verfahrens, in dem die Anforderungen an die Associates in ihren verschiedenen Entwicklungsstadien klar definiert sind, neben laufendem „Feedback“ ein mindestens jährlicher formeller Review Prozess mit den Leitpartnern unter Beteiligung des HR-Partners stattfindet und die Leistungen, Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten des Associates im Einzelnen analysiert und erörtert werden. Das eigentliche Partnerwahlverfahren kann mit allen Vorbereitungen leicht 18 Monate dauern und besteht aus einer ganzen Reihe von Untersuchungen und Berichten „neutraler“ Partner, Development Workshops und schließlich einem Interview vor dem Partnerwahlausschuss.
Abgesehen davon, dass man in den 90er Jahren noch aufgrund einer mehr oder weniger glücklichen Konstellation (wie etwa einer besonders fruchtbringenden Zusammenarbeit mit einem einzigen Partner oder der Arbeit auf einem besonders herausragenden Mandat) in eine große Sozietät aufgenommen 49