Prolog
Isle of Skye,
Schottland
1508
Duncan MacDonald hätte jeden Krieger auf der Burg besiegen können – doch gegen die siebzehnjährige Tochter des Clanoberhaupts war er machtlos.
»Sobald mein Vater die Halle verlassen hat«, flüsterte Moira ihm zu und beugte sich so weit zu ihm herüber, dass ihm ganz schwindelig wurde, »treffen wir uns draußen bei der Esche.«
Duncan wusste, dass er nicht darauf eingehen sollte, aber das war ein Ding der Unmöglichkeit. Genauso gut hätte er versuchen können, sein Herz zu zwingen, nicht mehr zu schlagen.
»Habe ich dir nicht gesagt, dass du nicht mehr mit mir sprechen sollst«, murmelte er und blickte sich in dem lang gezogenen Saal um, in dem die Mitglieder des Clans und die aus Irland angereisten Gäste saßen. »Sonst merkt es am Ende noch jemand.«
Als Moira sich umdrehte und ihn mit ihren veilchenblauen Augen anblickte, fühlte Duncan sich, als hätte ihm jemand mit der Faust in die Magengrube geschlagen. Wie immer, wenn sie ihn so ansah. Gleich bei ihrer ersten Begegnung war es so gewesen.
»Warum sollte es irgendjemandem merkwürdig vorkommen, wenn ich mich mit dem besten Freund meines Bruders Connor unterhalte?«, fragte sie kokett.
Vielleicht weil sie ihn in den ersten siebzehn Jahren ihres Lebens vollkommen ignoriert hatte? Es war Duncan nach wie vor ein Rätsel, warum sich das plötzlich geändert hatte.
»Geh jetzt, Ragnall sieht zu uns herüber«, mahnte er, als er den Blick ihres älteren Bruders auf sich spürte.
Anders als Moira und Connor hatte Ragnall das blonde Haar, die hünenhafte Statur und die Unbeherrschtheit des Vaters geerbt. Außerdem war er der einzige Krieger des Clans, bei dem Duncan sich nicht sicher war, ob er ihn besiegen könnte.
»Ich werde erst gehen, wenn du mir versprochen hast, dass du dich später mit mir triffst.«
Moira verschränkte die Arme vor der Brust und zog die Mundwinkel leicht hoch. Für Duncan ein Zeichen, dass das alles hier nur ein Spiel für sie war.
Für ihren Vater, den Chief der MacDonalds, hingegen nicht.
Wenn der erfuhr, dass er sich mit seiner einzigen Tochter davonschlich, würde er ihn auf der Stelle umbringen. Duncan drehte sich um und verließ die Halle, ohne ihr zu antworten – Moira wusste ohnehin, dass er dort sein würde.
Während er in der Dunkelheit auf sie wartete, lauschte er dem sanften Plätschern der Wellen, das vom Strand zu ihm heraufdrang. Auf der Isle of Skye, der Insel des Nebels, war es an diesem Abend überhaupt nicht neblig. Dunscaith Castle sah wunderschön aus, wie es sich im Schein der Fackeln vom klaren Nachthimmel abhob. Obwohl Duncan in der Burg aufgewachsen war und dieses Bild schon unzählige Male gesehen hatte, faszinierte es ihn immer wieder aufs Neue.
Seine Mutter hatte als Kindermädchen in der Familie des Clanoberhaupts gedient. Er und Connor kannten sich von Kindesbeinen an und waren beste Freunde. Von dem Moment an, als sie Holzschwerter zu halten vermochten, waren sie gemeinsam mit Connors Cousins Alex und Ian in der Kriegskunst geschult worden. Und wenn sie nicht gerade mit ihren Waffen übten, waren sie auf der Suche nach Abenteuern gewesen, wobei sie mehr als einmal in Schwierigkeiten gerieten.
Moira hingegen hatte immer abseits gestanden, war für die vier Jungs nichts anderes als eine verhätschelte Prinzessin in hübschen Kleidchen und mit einem fröhlichen Lachen gewesen.
Als er das Rascheln eines Seidenkleids hörte, drehte er sich um und sah Moira entgegen. Obwohl es dunkel und sie von Kopf bis Fuß in einen Umhang gehüllt war, wusste er, dass sie es war – er hätte sie unter Tausenden Frauen erkannt. Ohne den Weg genau erkennen zu können, rannte sie auf ihn zu, kümmerte sich nicht um etwaige Hindernisse und stolperte nicht ein einziges Mal. Es schien, als wären selbst die launischen Feen mit ihr im Bunde.
Dann war sie bei ihm und warf sich in seine Arme.
Duncan schloss die Augen und verlor sich in ihr, atmete den Duft ihres Haares ein und glaubte beinahe, auf einer Wiese mit Wildblumen zu liegen.
»Es ist zwei ganze Tage her«, sagte sie. »Ich habe dich so vermisst.«
Duncan staunte wieder einmal, wie unbekümmert Moira war. Das Mädchen sagte alles, was ihm in den Sinn kam – ohne Vorsicht, ohne Angst vor Zurückweisung. Doch wer konnte dieser jungen Frau schon einen Wunsch abschlagen?
Zusammen mit ihrem Bruder und den beiden Cousins war er in die Lowlands auf eine Universität geschickt worden, wo er von der schönen Helena gehört hatte. Seitdem verglich er Moira mit ihr. Sein Mädchen war genauso schön wie diese sagenumwobene Frau – und es ließ sich leicht vorstellen, dass ihretwegen Clankriege entbrennen konnten. Und was es seinem eifersüchtigen Herzen noch schwerer machte: Sie besaß weibliche Rundungen und eine angeborene Sinnlichkeit, die in jedem Mann Verlangen weckten.
Während die anderen Männer sie allerdings allein wegen ihrer Schönheit begehrten, war sie für Duncan der strahlende Mittelpunkt seiner Welt.
Moira zog seinen Kopf zu sich herunter, um ihn leidenschaftlich zu küssen. Der Kuss warf Duncan vollkommen aus der Bahn, und ohne sich dessen bewusst zu sein, begann er mit den Händen ihren Körper zu erkunden. Moira stöhnte leise auf, aber bevor sie womöglich ins Gras zu ihren Füßen sanken und ertappt wurden, unterbrach Duncan den Kuss. Einer von ihnen musste schließlich einen kühlen Kopf bewahren – und Moira war das ganz sicher nicht.
»Nicht hier, lass uns lieber in unsere Höhle gehen«, murmelte er, und ein erwartungsvoller Schauer durchlief ihn.
In den ersten Wochen hatten sie sich damit begnügt, einander Lust zu schenken, ohne den letzten Schritt zu tun – und die Sünde zu begehen, die Duncan das Leben kosten würde, falls der Clanchef davon erfuhr. Duncan fühlte sich schuldig, weil er sich genommen hatte, was rechtmäßig allein dem zukünftigen Ehemann von Moira zustand. Doch es war ein Wunder, dass er sich überhaupt so lange hatte zurückhalten können.
Zumindest würde Moira nicht dafür büßen müssen. Sie war ein kluges Mädchen – und wäre nicht die erste junge Frau, die nach der Hochzeitsnacht eine Phiole mit Schafsblut auf dem Laken ausschüttete. Zudem neigte Moira generell nicht zu Gewissensbissen.
Als sie in der Höhle ankamen, breiteten sie die Decke aus, die sie dort versteckt hatten, und Duncan zog Moira auf seinen Schoß.
»Der Sohn des irischen Chiefs ist wirklich sehr unterhaltsam«, sagte Moira und stieß Duncan den Finger in die Seite.
Ihr Vater hatte nach dem Tod von Connors und Moiras Mutter keine neue Frau mehr genommen. Wenn Besuch kam, saß also Moira an seiner Seite und unterhielt freundlich die Gäste, während ihr älterer Bruder Ragnall, ein Krieger von Kopf bis Fuß, dessen angestammter Platz auf der anderen Seite des Vaters war, eher einschüchternd wirkte.
»Der Bursche hat während des gesamten Essens in deinen Ausschnitt gestarrt«, erwiderte Duncan vorwurfsvoll. »Ich hätte ihm am liebsten mit bloßen Händen den Kopf abgerissen.«
Sein ganzes Leben lang hatte er sich darin üben müssen, nicht die Kontrolle zu verlieren – zum einen, weil er größer war als andere, und zum anderen, weil er sich als Sohn einer Bediensteten in einer untergeordneten Position befand. Deshalb hasste er es auch, dass Moira seine Selbstbeherrschung ständig ins Wanken brachte.
»Das ist süß.« Sie lachte und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Ich habe nur versucht, dich eifersüchtig zu machen.«
»Warum wolltest du das?«
»Um sicherzugehen, dass du dich mit mir treffen würdest. Wir müssen nämlich reden.« Ihre Stimme klang ernst. »Duncan, ich möchte, dass wir heiraten.«
Er schloss die Augen und gestattete sich für einen winzigen Moment den Gedanken, dass es möglich wäre. Stellte sich vor, der Glückliche zu sein, der jede Nacht mit dieser Frau in den Armen einschlafen und jeden Morgen mit ihr zusammen aufwachen und ihr strahlendes Lächeln sehen dürfte.
»Es wird nicht gehen«, antwortete er düster.
»Natürlich wird es das.«
Moira war es gewohnt, ihren Willen durchzusetzen. Ihr Vater hatte sie nach Strich und Faden verwöhnt, aber in dieser wichtigen Angelegenheit würde er bestimmt nicht nachgeben.
»Der Chief erlaubt nie im Leben, dass seine einzige Tochter den unehelichen Sohn des Kindermädchens heiratet«, wandte er ein. »Er wird eine Hochzeit arrangieren, die ihm ein lohnendes Bündnis für den Clan sichert.«
Duncan griff nach seiner Whiskyflasche und nahm einen großen Schluck. In Anbetracht des unsinnigen Zeugs, das Moira von sich gab, brauchte er den Alkohol.
»Mein Vater hat mir bislang am Ende immer meinen Willen gelassen. Und was ich will, das bist du, Duncan Ruadh MacDonald«, flüsterte sie, und ihr warmer Atem strich über sein Ohr, während sie mit den Fingern über seinen Bauch nach unten fuhr.
Sein Blut rauschte, Hitze stieg in seine Lenden, und er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Er zog sie in seine Arme, und sie sanken auf die Decke, die Beine verschlungen.
»Ich sehne mich nach dir«, hörte er sie zwischen ihren leidenschaftlichen Küssen murmeln.
Nach wie vor vermochte er es kaum zu glauben, dass Moira ausgerechnet ihn wollte, doch als er ihre Hand auf seinem Schwanz spürte, war er überzeugt. Und solange sie ihn begehrte, gehörte er ihr.
Duncan strich mit den Fingern durch Moiras Haar. Sie hatte den Kopf auf seine Brust gelegt. Er würde sich jeden Moment, den sie gemeinsam verbrachten, möglichst genau einprägen, um sich später immer daran erinnern zu können.
»Ich liebe dich so sehr«, hörte er ihre leise Stimme.
Eine unbekannte Empfindung erfüllte ihn mit einem Mal – es war, trotz aller Probleme, pure Freude.
»Sag mir, dass du mich liebst«, drängte sie.
»Weißt du das nicht?«, entgegnete er. »Ich werde nie aufhören, dich zu lieben.«
Und das meinte er ernst, obwohl es nichts daran änderte, dass sie nie zusammenkommen konnten.
Seine Gefühle waren nicht unstet wie ihre. In einer Woche bevorzugte Moira ihr braunes Pferd, in der nächsten Woche das gescheckte, und in der Woche darauf wollte sie überhaupt nicht reiten. Von klein auf war sie so gewesen. Sie waren völlig unterschiedlich.
Duncan setzte sich auf und blickte durch den Höhleneingang zum nächtlichen Himmel.
»Es ist schon fast Morgen«, mahnte er und verfluchte sich selbst. »Ich muss dich schleunigst zurück in die Burg bringen.«
»Ich werde meinen Vater überzeugen«, versicherte Moira, während sie sich anzog. »Er ist nicht dumm und weiß genau, dass du eines Tages ein berühmter Krieger sein wirst, den jeder auf den Inseln kennen wird.«
»Wenn du ihm von uns erzählst«, entgegnete er und nahm ihr Gesicht in beide Hände, »wird das das Ende unserer Beziehung sein.«
Erneut fragte er sich, ob Moira wirklich so blauäugig war, an eine Zustimmung des gestrengen Familienoberhaupts zu glauben.
»Er würde einer Heirat zumindest dann zustimmen, falls ich schwanger wäre«, wandte sie leise ein.
Duncans Herz setzte einen Schlag lang aus. »Sag mir, dass du diesen Trank nimmst, der eine Empfängnis verhindert.«
»Ja«, entgegnete sie und klang verärgert. »Und ich hatte auch meine Blutung.«
Mit dem Daumen strich er über ihre Wange. Er hätte gerne ein Kind mit ihr – ein kleines Mädchen mit ihren lachenden Augen. Bloß stand es ihm nicht zu, solche Gedanken zu hegen. Es würde noch Jahre dauern, bis er eine Frau und ein Kind überhaupt ernähren konnte – Moira indes den gewohnten Lebensstandard mit schönen Kleidern und Dienstboten zu ermöglichen, dazu würde er vermutlich nie in der Lage sein. Die Angst, die sie ihm mit der Erwähnung eines Kindes eingejagt hatte, bestärkte ihn in dem Entschluss, die Sache zu beenden. Der Verlust ihrer Jungfräulichkeit ließ sich vielleicht vertuschen, eine Schwangerschaft nicht.
»Wenn mein Vater nicht zustimmt, könnten wir zusammen davonlaufen«, schlug sie vor.
Duncan legte ihr den Umhang um. »Sei vernünftig. Er würde uns ein halbes Dutzend Kriegsgaleeren hinterherschicken. Und selbst wenn es uns gelingen sollte zu entkommen, was praktisch ausgeschlossen ist – ich glaube nicht, dass du getrennt von deinem Clan und in einem bescheidenen Häuschen glücklich würdest. Ich liebe dich viel zu sehr, um dir das anzutun.«
»Zweifle nicht an mir«, gab sie heftig zurück und packte ihn am Hemd. »Ich würde überall mit dir leben.«
Duncan seufzte. Sie bildete sich das ein, weil sie noch nie in ihrem Leben Not und Entbehrung erfahren hatte. Ihm war immer klar gewesen, dass er sie nicht halten konnte. Moira war wie ein bunter Schmetterling, der für einen atemlosen Moment auf seiner Hand gelandet war.
Der Himmel wurde langsam hell, als sie den Eingang zur Küche hinter dem Wehrturm erreichten.
»Ich liebe dich wirklich«, beteuerte Moira erneut. »Und ich verspreche dir, dass ich dich heiraten werde, so oder so.«
Überglücklich, dass sie ihn liebte, selbst wenn es lediglich für eine kurze Zeit war, zog Duncan sie zu einem letzten Kuss in seine Arme und fragte sich, wie er es bis zum nächsten Mal aushalten sollte.
Irgendwie lebte er ständig am Abgrund, immer einen Schritt von der Katastrophe entfernt. Er wusste nicht, was zuerst geschehen würde: dass sie erwischt wurden oder dass Moira trotz ihrer Liebesschwüre aus einer Laune heraus die Beziehung beendete. Dennoch war er noch nie in seinem Leben so glücklich gewesen. Am liebsten hätte er fröhlich vor sich hin gepfiffen, während er über den Hof zum Haus seiner Mutter ging.
Verdammt, drinnen brannte eine Kerze.
Zwar war er ein erwachsener Mann von fast zwanzig Jahren und musste sich vor seiner Mutter nicht rechtfertigen, aber dennoch wäre es ihm lieber gewesen, sie hätte geschlafen und würde nicht mitbekommen, dass er erst im Morgengrauen nach Hause kam. Bestimmt stellte sie Fragen, und er log sie nicht gerne an.
Als Duncan die Tür öffnete, krampfte sich sein Magen schmerzhaft zusammen.
Sein Clanchef und Ragnall saßen am Tisch. Ihre langen Zweihandschwerter, die sie aus der Scheide gezogen hatten, ruhten auf ihren Oberschenkeln. Aus ihren Mienen sprach eindeutig Zorn. Mit ihren blonden Haaren und den wilden goldbraunen Augen sahen sie wie Löwen aus.
Duncan hoffte nur, dass sie ihn nicht vor den Augen seiner Mutter und seiner Schwester umbrachten. Obwohl er den Blick nicht von den beiden Männern wandte, deren Größe die Kate noch kleiner erscheinen ließ, als sie sowieso schon war, entging ihm nicht, dass seine Mutter weinend in einer Ecke auf dem Boden kauerte und seine Schwester sie tröstend umarmte.
»Die alte Seherin hat prophezeit, dass du eines Tages das Leben meines Sohnes Connor retten wirst.« In der Stimme des Chiefs schwang so viel Bedrohliches mit, dass ihm ein Schauer über den Rücken rieselte. »Das ist der einzige Grund, warum ich dich nicht in dem Moment umgebracht habe, als du durch diese Tür getreten bist.«
Was dann, überlegte Duncan blitzschnell. Würde er Prügel beziehen? Egal, das machte ihm nichts aus – er war stark und würde es ertragen. Was ihn viel mehr belastete, war die Gewissheit, Moira nie wieder in den Armen zu halten. Was ihr Vater ansonsten vorbrachte, rauschte an ihm vorbei. Zu groß war der Schmerz, der sich in seinem Innern ausbreitete.
»Ich nehme an, Connor und meine Neffen wissen Bescheid, dass du meine Tochter entehrt hast.«
Als das Familienoberhaupt des Clans MacDonald sich von seinem Stuhl erheben wollte, hielt Ragnall ihn zurück und wandte sich an Duncan.
»Wir werden heute noch gegen die MacKinnons um Knock Castle kämpfen, also hol dein Schwert und deinen Schild. Sobald die Schlacht vorüber ist, werdet ihr, du, Alex und Ian mit Connor nach Frankreich segeln. Dort kannst du im Kampf gegen die Engländer deine Fähigkeiten trainieren und verfeinern.«
»Und wenn du mit Glück irgendwann zurückkehrst«, fügte der Chief hinzu, »wird Moira nicht mehr auf Skye sein, sondern mit einem passenden Ehemann und Kindern woanders leben.«
Obwohl er von Anfang an gewusst hatte, dass seine Liebe ohne Zukunft war, schmerzte ihn der Verlust so stark, als hätte man sie ihm in der Hochzeitsnacht aus den Armen gerissen.
Der strahlende Mittelpunkt seiner Welt – das Licht, das sein Leben erhellte – war für immer verschwunden.