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Christof Mauch

Die 101 wichtigsten Fragen
Amerikanische Geschichte

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

 


 

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Zum Buch

Die 101 Fragen zur amerikanischen Geschichte sind kein herkömmliches Geschichtsbuch. Sie wollen nicht enzyklopädisch informieren, sondern Lust auf Amerikas Geschichte machen. Selbstverständlich widmen sich viele der 101 Fragen den großen Ereignissen der amerikanischen Geschichte – von der Entdeckung Amerikas über den Bürgerkrieg und die Wiedervereinigung bis zu George W. Bushs «Krieg gegen den Terrorismus». Neben den Aktionen auf Regierungsebene kommen aber auch Geschehnisse in den Blick, die sich scheinbar am Rande ereignen, für das kollektive Bewusstsein der Amerikaner aber oft wichtiger sind als die Politik so manches US-Präsidenten.

Über den Autor

Christof Mauch ist seit 2007 Professor für Amerikanische Kulturgeschichte und seit 2009 Gründungsdirektor des Rachel Carson Center for Environment and Society an der LMU München. Von 1999 bis 2007 war er Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Washington, D.C.

Inhalt

Vorbemerkung

Image Amerika

    1. Wer war der erste Amerikaner?

    2. Wer entdeckte Amerika?

    3. Wie kam Amerika zu seinem Namen?

    4. Warum wurde Amerika nicht spanisch oder französisch?

    5. Was geschah in Jamestown?

Image Birth of a Nation

    6. Wie deutsch sind die Amerikaner?

    7. Was machte Thomas Paines «Common Sense» so wichtig?

    8. Was und wie feiern die Amerikaner am 4. Juli?

    9. Wie revolutionär war die Amerikanische Revolution?

  10. Warum wurde Washington D.C. die Hauptstadt der USA?

  11. Der Krieg von 1812 – ein zweiter Unabhängigkeitskrieg?

  12. Wer war Uncle Sam?

  13. Was ist ein «Yankee»?

Image From Sea to Shining Sea

  14. Wie kam es zum «Louisiana Purchase»?

  15. Woher kommt der Schlachtruf «Remember the Alamo»?

  16. Was ist Manifest Destiny?

  17. Wie wild war der Wilde Westen?

  18. Wer waren die «49er»?

  19. Warum gab es den Pony-Express?

  20. Was war Custers letzte Schlacht?

  21. Wo sind all die Büffel hin?

  22. Wer erfand die Nationalparks?

  23. Wie «grün» sind die Indianer?

  24. Wie kam Alaska an die USA?

Image Geteilte und wiedervereinigte Nation

  25. Was war die «Underground Railroad»?

  26. Was machte «Onkel Toms Hütte» zum Bestseller?

  27. War das System der Sklaverei auch ohne den Bürgerkrieg zum Untergang bestimmt?

  28. Was war die Gettysburg Address?

  29. Warum hat der Norden den Bürgerkrieg gewonnen?

  30. Wer waren die Carpetbaggers und wo lagen die Probleme der amerikanischen Wiedervereinigung?

  31. Wie erklären sich Aufstieg und Niedergang des Ku-Klux-Klan?

  32. Wer war Muddy Waters und wie entstand der Blues?

Image Imperium und Moderne

  33. Warum gibt es die Freiheitsstatue?

  34. Woher kommt der Wolkenkratzer?

  35. Wie golden war das «Gilded Age»?

  36. Wer waren die Räuberbarone?

  37. Wer war Amerikas größter Erfinder?

  38. Worum ging es in Amerikas «glänzendem kleinen Krieg» gegen Spanien?

  39. Was war Präsident Roosevelts «Big Stick»?

  40. Woher kommt der Teddybär?

  41. Warum wollten die USA den Panamakanal?

  42. Was veranlasste die USA zum Eintritt in den Ersten Weltkrieg?

  43. Woran scheiterten Präsident Wilsons Friedensvisionen?

Image A New Era

  44. Wer steckte hinter dem rasanten Aufstieg des Automobils?

  45. Woran scheiterte das «noble Experiment» der Prohibition?

  46. Wie wurde Hollywood zum Zentrum der Weltfilmindustrie?

  47. Welche Bedeutung hatten die Flapper Girls für das Image der amerikanischen Frau?

  48. Was war der «New Deal»?

  49. Wer waren die Okies und was vertrieb sie aus der Dust Bowl?

  50. Waren die Amerikaner über den japanischen Angriff auf Pearl Harbor im Voraus informiert?

  51. Wer waren «Wild Bill» Donovan und das OSS?

  52. Welchen Einfluss hatte der Zweite Weltkrieg auf den amerikanischen Westen?

  53. Wer war Rosie the Riveter?

  54. Wer waren die «No-Nos»?

  55. Woher kommt der Jeep?

  56. Warum warfen die Amerikaner Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki?

Image Brüchiger Konsens

  57. Wie kam es zum Kreuzzug gegen die «Hollywood Ten»?

  58. Wie glücklich waren die 1950er Jahre?

  59. Was machte Frank Lloyd Wright so berühmt?

  60. Warum schlug der Fall Roe versus Wade so hohe Wellen?

  61. Wer war Betty Friedan und was verstand sie unter «Weiblichkeitswahn»?

  62. Wie wurde die Verhaftung einer Näherin in Alabama zum Motor von Reformen in Amerika?

  63. Was wollte Präsident Johnson mit seiner Great Society erreichen?

  64. Warum kam es 1965 zu einer Zäsur in der amerikanischen Einwanderungsgeschichte?

  65. Wie hat Woodstock die Welt verändert?

  66. Was bewirkte der «Stumme Frühling»?

  67. Was war der Watergate-Skandal?

Image Kalte und heiße Kriege

  68. Warum holten die USA den persischen Schah auf den Thron?

  69. Warum und wie führten die USA den Kalten Krieg?

  70. Was war der Sputnik-Schock?

  71. Worum ging es im «vergessenen Krieg» in Korea?

  72. Was passierte 1961 in der Schweinebucht?

  73. Wie gefährlich war die Kubakrise?

  74. Warum gewannen die Amerikaner den «Wettlauf zum Mond»?

  75. Hätte Kennedy einen konventionellen Krieg in Vietnam verhindert?

  76. Wer ermordete Präsident Kennedy?

  77. Was waren die Pentagon Papers?

  78. Wer war der «Teflon-Präsident»?

  79. Was war das Evil Empire?

  80. Warum wurde der Golfkrieg für die Medien so bedeutend?

Image Ins 21. Jahrhundert

  81. Wie und warum entstand Hip-Hop?

  82. Welche Bedeutung hatte Lewinskys blaues Cocktailkleid?

  83. Wer gewann im Jahr 2000 die Präsidentschaftswahl?

  84. Was geschah am 11. September 2001?

  85. Welche innenpolitischen Auswirkungen hatte der «Krieg gegen den Terrorismus»?

  86. War die Hurrikan Katrina-Katastrophe vermeidbar?

  87. Was ist das Silicon Valley?

  88. Sind die USA die Nummer 1?

Image Die besondere Nation

  89. Wie heilig ist der Star Spangled Banner?

  90. Warum spricht man vom «Schmelztiegel» Amerika?

  91. Wer ist Amerikas größter Präsident?

  92. Welche Rolle spielte die «First Lady» in der amerikanischen Geschichte?

  93. Warum gibt es in den USA keinen Sozialismus?

  94. Wer sind Televangelists und worin liegt das Geheimnis ihres Erfolgs?

  95. Was ist für die Amerikaner an Superman so faszinierend?

  96. Was macht die USA zur Vorort-Nation?

  97. Woher kommt die amerikanische Leidenschaft für den perfekten Rasen?

  98. Warum geht in den USA niemand spazieren?

  99. Seit wann und warum essen die Amerikaner Hamburger bei McDonald’s?

100. Warum spielen die Amerikaner Baseball, nicht Fußball?

101. Wie frei sind die Amerikaner?

Vorbemerkung

Die 101 Fragen zur amerikanischen Geschichte sind kein herkömmliches Geschichtsbuch. Sie wollen nicht enzyklopädisch informieren, sondern Lust auf Amerikas Geschichte machen. In diesem Sinne ist beim Buchtitel «die wichtigsten Fragen» immer ein Augenzwinkern des Verfassers mitzudenken. Selbstverständlich widmen sich viele der 101 Fragen den großen Ereignissen der amerikanischen Geschichte – von der Entdeckung Amerikas über den Bürgerkrieg und die Wiedervereinigung bis zu George W. Bushs «Krieg gegen den Terrorismus». Neben den Aktionen auf Regierungsebene kommen aber auch Geschehnisse in den Blick, die sich scheinbar am Rande ereignen. Besonders unter die Lupe genommen werden die kulturellen Besonderheiten Amerikas, die sich nicht im bloßen Nacherzählen fassen lassen. Hinter der eher unkonventionellen Darstellungsart verbirgt sich die feste Überzeugung des Verfassers, dass auch das Nebensächliche und Kuriose, manchmal sogar das Erfundene wichtig sein können. Rosie the Riveter und Superman waren keine realen Personen, aber für das kollektive Bewusstsein der Amerikaner sind sie wichtiger als die Politik so manches US-Präsidenten. Die Erfindung des Wolkenkratzers oder der Bau der Freiheitsstatue waren keine zentralen politischen Ereignisse, aber für die Identität Amerikas und für die Außenwahrnehmung der USA sind sie von immenser Bedeutung.

Dieses Buch will keine langweilige «Schlossführung» durch das Haus der amerikanischen Geschichte sein. Vielmehr eröffnet jede Frage einen neuen Geschichtsraum. Das Buch lässt sich von Anfang bis Ende durchlesen, da die einzelnen Kapitel einer groben chronologischen Reihenfolge verpflichtet sind. Es lässt sich aber auch an jeder beliebigen Stelle aufschlagen. Man wird fündig, auch wenn man nichts gesucht hat. Spielend eignet man sich auf diese Weise das an, was die Amerikaner conversational knowledge nennen, ein Wissen, welches beiläufig, und ohne zu belehren, in den Small Talk einfließt. Einmal fällt der Blick voyeuristisch durchs Schlüsselloch und erhascht Privates, das zum Politikum wurde: wie Monika Lewinskys blaues Cocktailkleid. Ein anderes Mal fällt er auf Nischen oder vergessene Geschichtsräume: auf die Heimatfront im amerikanischen Westen zum Beispiel, statt auf die Schlachtfelder des Zweiten Weltkrieges. Immer wieder – und ganz besonders im letzten Kapitel – werden weite Räume ausgelotet und größere historische Zusammenhänge konstruiert. Aus der «Tocquevilleschen Sicht» über den Atlantik erscheint manches als merkwürdig, was die Amerikaner ihrerseits als selbstverständlich hinnehmen. Woher kommt zum Beispiel die amerikanische Faszination für Baseball, für Fast Food oder für den perfekten Rasen? Niemand kann diese Fragen besser beantworten als der Historiker, der die USA leidenschaftlich, aber aus der Distanz heraus analysiert.

In der Präsentation von Wesentlichem und Merkwürdigem will der vorliegende Band kompetent informieren und salopp unterhalten, Fakten präsentieren, aber auch Mythen und historische Fehlinterpretationen entlarven. Selbst derjenige, der glaubt, die amerikanische Geschichte bestens zu kennen, wird vermutlich in jedem Kapitel Neues entdecken. Der Band hat sein Ziel sicher dann am besten erfüllt, wenn er Leserinnen und Leser dazu verführen kann, selbst neue Fragen zur amerikanischen Geschichte zu stellen.

Mein Dank gilt den Praktikantinnen und Praktikanten am Deutschen Historischen Institut in Washington (DHI) und den Studentinnen und Studenten in München, die bei der Recherche behilflich waren und so manche Frage angestoßen oder erfunden haben. Ganz besonders aber meinen Kolleginnen Bärbel Thomas am DHI und Dr. Maren Roth sowie Karen Weilbrenner am Amerika-Institut München.

Für die Neuauflage hat meine Kollegin Pavla Šimková, M. A., sämtliche Einträge kritisch gelesen und überprüft, Fehler ausgemerzt und Unstimmigkeiten beseitigt. Dafür bin ich ihr überaus dankbar. Auch wenn keine zusätzlichen Kapitel aufgenommen wurden, liegt mit der hier vorliegenden zweiten Auflage eine vollständig durchgesehene und gründlich aktualisierte Ausgabe vor. Dem Cheflektor des Verlages C.H.Beck, Dr. Detlef Felken, und seiner Mitarbeiterin Janna Rösch gilt schließlich mein besonderer Dank für die stets angenehme Zusammenarbeit.

München, Februar 2016

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Amerika

1. Wer war der erste Amerikaner?

Die gängige Antwort auf diese Frage geht auf Ausgrabungen aus dem Jahr 1929 zurück. Damals hatten amerikanische Archäologen in Clovis im US-Bundesstaat New Mexico zahlreiche in Stein gehauene Speerspitzen gefunden, die mindestens 11.000 Jahre alt sind. Die Forschung ging jahrzehntelang davon aus, dass die «Clovis-Kultur» vor dem Ende der letzten Eiszeit, als die Polkappen noch nicht geschmolzen waren und der Meeresspiegel 100 Meter tiefer lag als heute, über die Beringstrasse – eine Landbrücke von Sibirien nach Alaska – gelangt war. Im Zuge der Nahrungssuche löschten die Clovis-Jäger mit ihren prähistorischen Vernichtungswaffen auf dem Weg durch das heutige Kanada in Richtung Süden vermeintlich 35 Tierarten aus. Erste Erschütterungen dieser Forschungsergebnisse gab es in den 1980er Jahren, als Archäologen in Nord- und Südamerika ältere Kulturen als die von Clovis entdeckten. Weitere Unstimmigkeiten ergaben sich aus der Erkenntnis von Linguisten, wonach sich die Abspaltung der Sprachen von asiatischen und nordamerikanischen Ureinwohnern eher vor 30.000 als vor 11.000 Jahren vollzogen haben muss. Ein Vergleich von Schädeln zeigt, dass die Ureinwohner Nord- und Südamerikas unterschiedliche Vorfahren haben. Neue Ausgrabungen in Nordostasien legen zudem nahe, dass keine Verwandtschaft zwischen den asiatischen Artefakten und denen der Clovis-Kultur besteht. Heute deutet vieles darauf hin, dass die Clovis-Kultur nicht die älteste auf dem amerikanischen Kontinent ist und dass sicher nicht alle frühen amerikanischen Einwanderer über die Beringstrasse nach Nordamerika eingewandert sind. Mittels genetischer Untersuchungen bei amerikanischen Indianern (native Americans) gelangten Forscher vor kurzem zu der Einsicht, dass es wenigstens vier, völlig voneinander getrennte Wellen prähistorischer Migration nach Amerika gegeben haben müsse und dass die älteste mindestens 20.000 Jahre zurückliegt.

Woher also kam der erste Amerikaner? Die radikalste Theorie weist auf die verblüffende Ähnlichkeit zwischen den Speerspitzen der Clovis-Kultur und älteren Ausgrabungen in Nordspanien und Südfrankreich hin und behauptet, dass die ersten Amerikaner aus Europa stammten und noch in der Steinzeit per Boot über den Nordatlantik nach Amerika eingewandert seien. Diese Hypothese hat eine neue Generation von Prähistorikern dazu inspiriert, archäologische Stätten in Pennsylvania, Virginia, South Carolina sowie in Venezuela und Brasilien auf Spuren transatlantischer Einflüsse hin zu untersuchen.

Eine wachsende Zahl von Vorgeschichtlern vertritt neben der Theorie von der Atlantikroute einerseits und der von der Beringstrasse andererseits die Ansicht, dass sich die Ureinwohner Nordamerikas mit kleinen Schiffen aus Tierhäuten entlang der asiatischen Pazifikküste und danach entlang der amerikanischen Westküste von Alaska immer weiter nach Süden vorgeschoben haben könnten. Demnach wären die ersten Amerikaner nicht die heroischen Mammutjäger aus Sibirien gewesen, sondern Fischer und Robbenfänger aus Südasien, die sich langsam, dem Rand des Pazifiks entlang, in Regionen, die heute längst vom Meer verschlungen sind, ausbreiteten und vor etwa 15.300 Jahren in Monte Verde (Chile) ankamen. Genau dort wurden die bisher frühesten Spuren menschlicher Kultur auf dem amerikanischen Doppelkontinent gefunden.

2. Wer entdeckte Amerika?

Dass Christopher Kolumbus im Oktober 1492 Amerika entdeckt hat, weiß in den USA jedes Kind. Alljährlich am zweiten Montag im Oktober feiern die Amerikaner den Columbus Day. Der amerikanische Regierungssitz wurde Kolumbus zu Ehren «District of Columbia» genannt, und in den 50 Staaten der USA stehen heute mehr als 200 Monumente des legendären «Entdeckers» der Neuen Welt. In Wirklichkeit hatte Kolumbus das amerikanische Festland nicht 1492, sondern erst 1498 – auf seiner dritten Reise – betreten; und bis zu seinem Tod hatte er keine Ahnung davon, dass er einen neuen Kontinent entdeckt hatte. 1506 starb der Entdecker in der festen Überzeugung, den Seeweg nach Indien gefunden zu haben.

Tatsächlich waren es aller Wahrscheinlichkeit nach Wikinger, die mehrere Jahrhunderte vor Kolumbus als erste europäische Entdecker die Neue Welt sichteten. Vieles spricht dafür, dass der Isländer Leif Erikson um das Jahr 1000 mit einer Gruppe von 35 Seeleuten das heutige Neufundland (Kanada) entdeckte. Nach der «Grœnlendinga saga» führte ihn seine Schiffsreise nacheinander nach «Helluland» (vermutlich Baffin Island), «Markland» (Labrador) und «Vinland». In «Vinland», dem heutigen Neufundland, fand Erikson der Sage nach ein mildes Klima, Wein und Lachse vor. Archäologische Forschungen der 1950er und 1960er Jahre lassen kaum mehr Zweifel daran aufkommen, dass es sich bei den Ausgrabungen in L’Anse aux Meadows in Neufundland um die Kolonie Leif Eriksons handelt. Die Entdeckung Grönlands und Nordamerikas durch die Wikinger ist faszinierend, aber für die Geschichte der Neuen Welt blieb sie merkwürdig folgenlos. Die nordischen Entdecker wurden von den amerikanischen Ureinwohnern vertrieben; und im 15. Jahrhundert verschwanden ihre Kolonien völlig. Erst in der Folge von Kolumbus’ Reisen drängten jene europäischen Kräfte nach Amerika, die in der Neuzeit – als Abenteurer, Händler und Siedler – den neuen Kontinent unterwerfen sollten.

3. Wie kam Amerika zu seinem Namen?

Dass ein aus Freiburg im Breisgau stammender Kartograf (gegen seinen Willen) den amerikanischen Kontinent nach einem italienischen Kaufmann (ohne dessen Wissen) benannt hat, gehört zu den Eigentümlichkeiten der Entdeckungsgeschichte der Neuen Welt. Martin Waldseemüller hatte 1507 eine Beschreibung der Reisen des «Amerigo» unter dem Titel «Cosmographiae Introductio» herausgegeben. Amerigo Vespucci, der in den Diensten der florentinischen Bankiersfamilie Medici stand, war zwischen 1497 und 1504 mehrfach über den Atlantik nach Südamerika gereist. Seine Reisebeschreibungen trugen wesentlich zur Verbreitung der gelehrten Einsicht bei, dass sich zwischen Asien und Europa nicht nur einige Inseln, sondern eine «neue Welt» befinde («Mundus Novus» war der Titel von Vespuccis zweiter Reisebeschreibung). Zusammen mit dem humanistischen Poeten Matthias Ringmann veröffentlichte Waldseemüller im Jahr 1507 in Frankreich eine zwölfteilige Weltkarte. Diese Karte war ein drucktechnisches Meisterwerk von zweieinhalb Metern Länge und enthielt zudem eine «Einführung in die Weltbeschreibung», in der Waldseemüller vorschlug, das neu entdeckte Land (Südamerika, nicht Nordamerika!) nach dessen vermeintlichem Entdecker «Land des Americus» oder – in Analogie zu den «Frauennamen Europa und Asien» – «America» zu nennen. Die Veröffentlichung sorgte im frühen 16. Jahrhundert für enormen Aufruhr, da die Auffassung von Claudius Ptolemäus, dass es nur drei Kontinente gäbe, noch immer unbestritten war. Als Waldseemüller bald nach der Erstveröffentlichung der Karte erkannte, dass er die Entdeckung des neuen Kontinents fälschlich dem «Amerigo» zugeschrieben hatte, betitelte er den Kontinent in der Neuauflage der Weltkarte wieder mit «terra incognita». Die 1000-fach gedruckte Karte, von der nur ein einziges Exemplar überlebt hat (seit 2003 befindet sich dieses in der Kongressbibliothek in Washington D. C., seit 2005 ist es UNESCO-Weltkulturerbe), war in der Zwischenzeit schon so weit verbreitet, dass Amerika der Name für den neu entdeckten Kontinent blieb.

4. Warum wurde Amerika nicht spanisch oder französisch?

Lange vor den Briten waren die Spanier in Nordamerika präsent. Im Vergleich zur reichen Mayazivilisation erschienen ihnen die Küstengebiete Nordamerikas freilich wenig attraktiv, denn das Interesse der Spanier richtete sich primär auf Silber, Gold, Juwelen und Gewürze. Eine Reihe von Expeditionen von Mexiko nach Nordamerika – wie die des Hauptmanns Pánfilo de Narváez, der sich 1528 auf die Suche nach einem Appalachen-Königreich machte – wirkte eher ernüchternd. Die Alligatoren in Florida jagten den Spaniern große Schrecken ein; und während sie sich Fußverletzungen durch Austern zuzogen, überlebten sie ihre Erkundungsreise durch die fischreichen Sümpfe, Seen- und Küstenlandschaften Floridas ironischerweise nur durch die Notschlachtung der mitgebrachten Pferde. Auch andere spanische Reisende wie Hernando de Soto, der zwischen 1539 und 1543 den ganzen Süden der heutigen USA durchquerte (die 13 Wildschweine, die seiner Expedition angehörten, fungierten als effiziente Schlangentöter), konnten dem nordamerikanischen Kontinent keinen großen Reiz abgewinnen. Das Spanische Imperium benötigte Gold zur Unterhaltung der Armada, keine kultivierbaren Landschaften in den Subtropen.

Weitaus mehr Interesse an der Neuen Welt als die Spanier hatten die Franzosen. Dass sie sich mit den natürlichen Gegebenheiten besser arrangierten als ihre europäischen Nachbarn, lag im engen Verhältnis der Franzosen zu den Indianern begründet. Militärisch wären die Franzosen in der Lage gewesen, die amerikanische Urbevölkerung zu unterdrücken; stattdessen schlossen sie – oft gegen die kolonialen Vorgaben aus Versailles – Verträge mit Huronen, Irokesen und Algonkin-Indianern. Anders als später die Briten, die auf Eroberung aus waren und unmittelbar nach ihrer Ankunft die Wälder rodeten und die Indianer vertrieben (oder gar niedermetzelten), ließen die Franzosen die Wildnis Nordamerikas weitgehend intakt. Sie bauten nur wenige größere Ansiedlungen oder Städte und lebten stattdessen verstreut an den Flüssen und den Großen Seen Nordamerikas. Den Indianern überließen sie die Jagd und die Bestellung des Landes, während sie sich selbst dem Transport und Verkauf von Pelzen widmeten.

Die Franzosen waren mit der Geografie und den Umweltbedingungen Nordamerikas weitaus besser vertraut als die Engländer. Auf dem Wasserweg hatten sie einen Großteil des Landesinneren erkundet und für den Handel erschlossen. Hätten die Franzosen und nicht die Briten die Geschicke der heutigen USA bestimmt, wären die Ressourcen Nordamerikas sicherlich nicht so schnell verbraucht, der Kontinent nicht so rapide besiedelt und die Indianer wohl kaum so systematisch dezimiert worden. Dass am Ende die Engländer und nicht die Franzosen oder Spanier zur dominierenden Macht in der Neuen Welt werden sollten, war nicht zuletzt ein Spiegel der europäischen Machtverhältnisse und Wirtschaftsinteressen. Seit der militärischen Niederlage gegen die Engländer im Jahr 1588 hatten die Spanier zunehmend an Macht verloren. Auch die Franzosen waren durch Kriege geschwächt. 1757 lebten 70.000 Franzosen in Nordamerika und standen damit nicht weniger als 1,5 Millionen Engländern gegenüber.

5. Was geschah in Jamestown?

Die Gründung Jamestowns war das Werk von Kaufleuten und adligen Investoren, die sich in der Londoner Virginia Company zusammengeschlossen hatten. Im Jahr 1607 erreichten etwa 100 Männer der Company mit drei Schiffen die amerikanische Küste in der Nähe der Chesapeake Bay. Dort wählten sie, in der Hoffnung, eine Durchfahrt in Richtung Asien zu finden, einen Flusslauf mit nordwestlicher Ausrichtung. 70 Kilometer vom Atlantik und damit von den notorisch plündernden Spaniern entfernt, ließen sie sich an einer Flussmündung nieder. Den Fluss nannten sie James River, die Stadt, in einem Anfall blühender Fantasie, Jamestown. Die Siedler, die auf der Suche nach Glück und Gold unterwegs waren, aber von Land- und Forstwirtschaft so gut wie nichts verstanden, hätten wohl kaum überlebt, wenn sie nicht Captain John Smith zu ihrem Anführer bestimmt hätten. Smith war ein skrupelloser Abenteurer und Militär, der einst auf Seiten der Österreicher gegen die Türken gekämpft hatte, gefangengenommen wurde und auf einem Piratenschiff entfloh. «Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen», lautete die Devise John Smiths, der den Kolonisten in soldatischer Manier Disziplin verordnete, während er sich mit den Indianern arrangierte und in den Anbau von Mais und Süßkartoffeln einweisen ließ.

Dass Smith einst von Pocahontas, der Tochter eines Indianerhäuptlings, in letzter Minute vor der Hinrichtung durch deren Vater errettet wurde, gehört zu den großen Mythen der amerikanischen Geschichte, die auch von Hollywood verfilmt wurden. In Wirklichkeit waren die vermeintliche Hinrichtung des Captains und die darauffolgende Begnadigung Teil eines indianischen Initiationsritus, der die Freundschaft zwischen den Kolonisten und den amerikanischen Ureinwohnern besiegeln sollte. Das friedliche Zusammenleben von Indianern und Engländern entpuppte sich freilich schon bald als Illusion. Nachdem aus London die Anweisung gekommen war, die amerikanischen «Wilden» zu unterwerfen und von ihnen Tribut zu fordern, attackierten englische Soldaten die Dörfer der Ureinwohner. Die Indianer schlugen zurück und ein Zirkel der Gewalt setzte ein. Am Ende waren alle Indianer, die das Gebiet der Jamestown-Kolonie bewohnt hatten, arglistig getötet, im Kampf niedergemetzelt oder vertrieben worden.

Dass die englischen Siedler in Virginia Fuß fassten, hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass sie im Jahr 1612 mit der Entdeckung des Tabaks, der sich überall – selbst zwischen Baumstümpfen – anbauen ließ, einen Daseinsgrund fanden. Von den Indianern hatten die Engländer gelernt, dass man die Tabakblätter trocknen und rauchen konnte. 1616 wurde eine schmackhafte, spanische Variante der Tabakpflanze erstmals nach England ausgeführt; danach wurde das «stinkende Kraut», wie der englische König es nannte, schon bald zum Exportschlager. Da die Tabakpflanze dem Boden wichtige Nährstoffe entzog und sich optimale Anbauresultate nur in den ersten drei oder vier Jahren erzielen ließen, schoben die Farmer die frontier, das heißt die Grenze zwischen kultiviertem Land und Wildnis, schnell Richtung Westen vor. In der Tat konnte man in Amerika, wie Thomas Jefferson noch im ausgehenden 18. Jahrhundert über seine eigene Farm in Virginia sagte, «neues Land billiger kaufen als altes Land düngen».

Jamestown brachte den Großgrundbesitzern enormen Reichtum ein. Mit keinem anderen landwirtschaftlichen Produkt konnte man in der frühen Neuzeit ähnlich hohe Gewinne erzielen wie mit Tabak. Als im Jahr 1619 die ersten «zwanzig Neger» aus Afrika in Amerika eintrafen sowie neunzig junge Frauen aus England (die Kolonisten suchten unter ihnen Ehefrauen aus und bezahlten dafür lediglich die Kosten für deren Überfahrt sowie 125 Pfund Tabak), zeichnete sich die Zukunft der britischen Kolonie bereits in Umrissen ab. Jamestown wuchs rasch: Mitte des 17. Jahrhunderts hatte die Kolonie nicht weniger als 15.000 Einwohner, darunter viele schwarze Sklaven aus Afrika. Im Gegensatz zu den «Pilgervätern», die 13 Jahre nach John Smith im Nordosten Amerikas ankamen, waren die Siedler von Jamestown keine Gemeinde von Gläubigen, sondern Unternehmer und Abenteurer. Sie führten das englische Rechtssystem und das common law ein und stellten durch ihre alltäglichen Entscheidungen unwillkürlich die Weichen für die weitere politische und wirtschaftliche Entwicklung auf dem nordamerikanischen Kontinent. Die Vertreibung der Indianer, die Einführung der Sklaverei, die Privilegierung der Großgrundbesitzer und die unternehmerische Ausrichtung der Kolonien gehörten ebenso zum Erbe von Jamestown wie die Einführung «ordentlicher» kultureller Praktiken (wie Heirat) und die graduelle Unabhängigkeit von England durch die Einrichtung einer politischen Selbstverwaltung.

Seit 1934 ist Jamestown, zusammen mit dem benachbarten Yorktown und Williamsburg, ein riesiges Freilichtmuseum. John D. Rockefeller, Jr., der die Einrichtung des Kulturdenkmals großzügig finanziell unterstützte, sah in der Kolonie einen historischen Ort, der an den «Patriotismus, die hohen Werte und die selbstlose Hingabe unserer Vorväter» erinnern sollte. 400 Jahre nach der Ankunft von John Smith in der Neuen Welt setzt sich Jamestown, das Vielen als die «Wiege Amerikas» gilt, nun zunehmend auch kritisch mit seiner eigenen Geschichte, insbesondere der Haltung gegenüber den nichteuropäischen Minderheiten, auseinander.

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Birth of a Nation

6. Wie deutsch sind die Amerikaner?

Kaum eine Legende über die Anfänge der USA hat sich unter Deutsch-Amerikanern und Deutschen hartnäckiger gehalten als diejenige, wonach Deutsch im 18. Jahrhundert beinahe zur offiziellen Landessprache der Vereinigten Staaten geworden wäre. Der Mythos hatte seinen Ursprung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, trat dann in den Hintergrund, flammte aber in der NS-Zeit wieder auf, da die Nationalsozialisten ihn systematisch für Propagandazwecke ausnutzten. So weit verbreitet war die Legende nach dem Zweiten Weltkrieg, dass die Kongressbibliothek in Washington in den 1960er Jahren aufgrund einer Flut von Anfragen eigens ein Informationsblatt drucken ließ, das die historischen Wurzeln des Gerüchts dokumentierte.

Eine gängige Version der Legende besagte, dass Ende der 1780er Jahre im Parlament des Staates Pennsylvania über Deutsch als Landessprache abgestimmt worden war. Der Deutsch-Amerikaner Frederick A. Muhlenberg habe die ausschlaggebende Stimme für Englisch abgegeben. Nach einer anderen Version sollte Deutsch zwar nicht erste, aber zweite Landessprache werden. Beide Geschichtsversionen gehören freilich in den Bereich der Fiktion. Ihren Ursprung hat die Legende in einer Eingabe aus dem Jahre 1794. Eine Gruppe deutscher Einwanderer aus dem Bundesstaat Virginia wollte damals «einen gewissen Anteil» der Gesetze der USA sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch gedruckt sehen. Ein Jahr später wurde die Petition vom US-Kongress mit 42 zu 41 Stimmen abgelehnt. Frederick A. Muhlenberg, der Sprecher im Kongress, hatte die entscheidende Stimme gegen den Antrag abgegeben. Im Nachhinein wurden ihm die Worte in den Mund gelegt: «Je schneller die Deutschen Amerikaner werden, desto besser.»

Deutsch war im ausgehenden 18. Jahrhundert in den USA weit verbreitet. Selbst die amerikanische Unabhängigkeitserklärung kam – am 5. Juli 1776 im Pennsylvanischen Staatsboten – in deutscher Übersetzung heraus, bevor sie einen Tag später erstmals auf Englisch publiziert wurde. Bis etwa 1880 gab es zahlreiche Städte und Dörfer in den Vereinigten Staaten, in denen überwiegend Deutsch gesprochen wurde. Das Nachlassen der deutschen Einwanderung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und das antideutsche Sentiment, das sich mit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg ausbreitete, führte dazu, dass die deutsche Sprache nahezu völlig zurückgedrängt wurde. Zahlreiche Deutsch-Amerikaner «amerikanisierten» während des Weltkriegs aus Loyalität gegenüber ihrem neuen Heimatland ihre Nachnamen: Aus Schmidt wurde damals Smith, aus Müller Miller, aus Eisenhauer Eisenhower. Im offiziellen Sprachgebrauch wurde Sauerkraut durch liberty cabbage ersetzt, Frankfurter wurden zu hot dogs, der deutsche Schäferhund hieß fortan Alsatian (Elsässer). Obwohl die Einwanderung aus Deutschland im 20. Jahrhundert weitgehend versiegte, stellen die Deutsch-Amerikaner nach der Volkszählung von 2010 mit mehr als 14 Prozent der Bevölkerung noch immer die stärkste Einwanderergruppe.

7. Was machte Thomas Paines «Common Sense» so wichtig?

Die Flugschrift «Common Sense: Addressed to the Inhabitants of America» («Gesunder Menschenverstand: An die Einwohner von Amerika gerichtet»), die 1776 anonym «von einem Engländer» veröffentlicht wurde, war einer der größten Veröffentlichungserfolge des 18. Jahrhunderts und eines der erfolgreichsten Pamphlete der Weltgeschichte. Ihr Autor, ein Steuerbeamter, Lehrer und Korsettmacher, der einfachen Verhältnissen entstammte, war erst 1774 von London nach Philadelphia eingewandert, wo er zunächst als Buchverkäufer arbeitete. Seine Schrift griff den bis dahin weitgehend verschonten König Georg III. in beispielloser Weise als unfähigen und tyrannischen «Pharao» an und ging mit dem «göttlichen Recht» der Könige Englands in aller Schärfe ins Gericht. William den Eroberer nannte Paine einen französischen Bastard, der sich mit Unterstützung bewaffneter Banditen und gegen den ausdrücklichen Willen der einheimischen Bevölkerung auf den Thron gesetzt habe. In simplen, kraftvoll-drastischen Formulierungen sprach der Autor von «Common Sense» öffentlich aus, was viele Amerikaner insgeheim dachten: «’Tis Time to Part.» «Wir haben es in unserer Hand, die Welt von Neuem zu beginnen.» Nur die Unabhängigkeit könne verhindern, dass die Amerikaner nicht dem Schicksal der Engländer verfielen, das sich durch politische Korruption, moralischen Verfall und die Verstrickung in eine Kette von Kriegen auszeichne. Paines Stil und der günstige Preis des Pamphlets machten «Common Sense» bald zum amerikanischen Bestseller. Innerhalb von kürzester Zeit wurden etwa 500.000 Exemplare der Flugschrift gedruckt und verbreitet. Umgerechnet auf die Bevölkerung müsste ein Buch in der Bundesrepublik wenigstens 13 Millionen Mal verkauft werden, um einen vergleichbar phänomenalen Verkaufserfolg zu erzielen.

8. Was und wie feiern die Amerikaner am 4. Juli?

Der 4. Juli ist der Unabhängigkeitstag der USA. An diesem Tag feiern die Amerikaner die 1776 vollzogene und durch die Proklamation der Unabhängigkeit besiegelte Trennung von Großbritannien. In der «Declaration of Independence», die aus der Feder des (mit 33 Jahren noch recht jungen) Schriftstellers, Farmers, Erfinders und Naturwissenschaftlers Thomas Jefferson stammte, erklärten die Amerikaner, dass alle Menschen von Natur aus «gleich» seien und «unveräußerliche Rechte besitzen, darunter Leben, Freiheit und das Streben nach Glück». Dass die Erklärung der Unabhängigkeit der «united [!] States of America» in Wirklichkeit nicht am 4. Juli, sondern bereits am 2. Juli 1776 von der Abgeordnetenversammlung der Kolonien, dem Kontinentalkongress, verabschiedet worden war, ist heute fast völlig in Vergessenheit geraten. Am 4. Juli wurde die Unabhängigkeit allerdings gegenüber der ganzen Welt proklamiert. (Streng genommen, so argumentieren einige konservative Historiker, erfolgte die Gründung der USA allerdings weder am 2. noch am 4. Juli 1776, sondern erst mit der Verabschiedung der ersten Verfassung der USA 1781 oder gar mit der Verabschiedung der heute gültigen zweiten Verfassung im Jahr 1788.)

In der Neuen Welt mit ihrer kurzen Geschichte und einem Mangel an nationalen Geschichtsereignissen, wurde der 4. Juli bald zum überragenden Feiertag der jungen Nation. Von Anfang an wurde der Unabhängigkeitstag im ganzen Land mit Paraden, Militärumzügen und Feuerwerken zelebriert. Zu Gefängnisstrafen verurteilte Verbrecher wurden notorisch zum 4. Juli wieder auf freien Fuß gesetzt. Dass der große amerikanische Romanschriftsteller Nathaniel Hawthorne am 4. Juli 1804 geboren wurde, und dass die beiden Ex-Präsidenten John Adams und Thomas Jefferson in einer erstaunlichen Koinzidenz am 4. Juli 1826, exakt fünfzig Jahre nach der Erklärung der Unabhängigkeit, starben, galt vielen Zeitgenossen als Zeichen der göttlichen Bestätigung des «amerikanischen Experiments». Selbst Henry David Thoreau wählte 1845 ostentativ den Unabhängigkeitstag, um sich zwei Jahre lang in eine selbstgebaute Hütte bei Concord, Massachusetts, zurückzuziehen. (Dort entstand mit «Walden oder Leben in den Wäldern» eines der berühmtesten Werke der amerikanischen Philosophiegeschichte.)

Neben den spektakulären Feuerwerken auf der National Mall gehören Picknicks und Baseballspiele, Bier- und Grillfeste – die Amerikaner konsumieren alljährlich am 4. Juli mehr als 150 Millionen Hot Dogs! – zu den legendären Veranstaltungen am Tag der amerikanischen Unabhängigkeit.

9. Wie revolutionär war die Amerikanische Revolution?

Die amerikanische Revolution ist eines der einschneidendsten Ereignisse in der Geschichte des nordamerikanischen Kontinents. Innerhalb von nur zwanzig Jahren, zwischen 1763 und 1783, kämpften die Amerikaner erfolgreich um ihre Unabhängigkeit, machten die Kolonien zu Bundesstaaten und schufen eine Nation, für die es in der Alten Welt kein Vorbild gab. Allein schon die Geschwindigkeit der Ereignisse erscheint im Rückblick als revolutionär. Im Gegensatz zur französischen oder russischen Revolution war die amerikanische freilich in erster Linie eine Protestbewegung gegen die Intervention der fernen Zentralgewalt der britischen Krone. Die starken Worte der von Thomas Jefferson verfassten Unabhängigkeitserklärung waren ausdrücklich gegen den englischen «Tyrannen», nicht gegen die gesellschaftlichen Zustände in Amerika oder die «Kolonialaristokratie» gerichtet.

Im Laufe der Geschichte haben Historiker – je nach Standpunkt – behauptet, die Revolution habe in gesellschaftlicher Hinsicht den Status quo aufrechterhalten oder sie habe sogar einen Konflikt zwischen den Klassen ausgelöst. Die Frage, ob die amerikanische Revolution wirklich revolutionär war, wurde, mit jeweils guten Gründen, einmal absolut verneint, ein anderes Mal bejaht. So stand etwa für die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts der «radikale Charakter» (George Bancroft) der Revolution völlig außer Frage. Amerika galt als die Kraft, die für Fortschritt, Freiheit und «anhaltenden Frieden» stand, während das verfeindete Großbritannien Tyrannei und Reaktion verkörperte. Anders sahen die Historiker die Revolution, als sich England und die USA im ausgehenden 19. Jahrhundert einander annäherten. Damals wurde der Umbruch nicht als kolonialer Konflikt, sondern als Auseinandersetzung um die politische Verfassung und um soziale Gerechtigkeit gesehen. Eine Reihe von Historikern, allen voran Charles Beard und J. Franklin Jameson, betonten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die amerikanische Gesellschaft habe sich aufgrund der Revolution sozial wie wirtschaftlich erneuert. Diese eher progressiven Historiker betonten den revolutionären Charakter, der mit der Unabhängigkeit einher gegangen sei und das Erstarken des gemeinen Mannes (common man) mit sich gebracht habe. Die Abschaffung der Erbprivilegien für Erstgeborene, die Übertragung monarchischen Landbesitzes in die Gewalt der Bundesstaaten, die Abschaffung der Sklaverei und des Sklavenhandels in einigen, wenn auch nicht in allen Staaten sowie die Auflösung der anglikanischen Kirche mit dem königlichen Oberhaupt – all dies deutete auf den großen Umbruch hin, der sich im ausgehenden 18. Jahrhundert vollzogen hatte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg schwang das Pendel indes wieder in die entgegengesetzte Richtung um. Die konservative Geschichtsschreibung des Kalten Krieges stand ganz im Zeichen des westlichen (angloamerikanischen) Konsenses. Die Revolution – so hieß es zu einer Zeit, in der man revolutionär mit kommunistisch identifizierte – sei eine im Wesentlichen konservative Bewegung gewesen. Die Amerikaner hätten nicht gekämpft, um die Gesellschaft radikal umzubauen, sondern um die von den Engländern etablierten Freiheiten zu verteidigen.

Heute fällt das Urteil weitaus differenzierter aus. Die Amerikaner, die sich mit Aktionen und dem Slogan «No taxation without representation» gegen eine Besteuerung durch die Briten wehrten, hatten im Ansatz durchaus Umstürzlerisches im Sinn. Auch das Gleichheitspostulat und die Verkündigung des «unveräußerlichen Rechts» der Menschen auf «Leben, Freiheit und das Streben nach Glück» zielten auf eine neue Ordnung. Von sozialen Umwälzungen oder einer umfassenden Revolution kann jedoch keinesfalls die Rede sein. Schwarze, Indianer und Frauen blieben von der Teilnahme an der Demokratie weitgehend ausgeschlossen, und viele Privilegien aus der alten Ordnung blieben auch in den USA bis weit ins 19. Jahrhundert hinein bestehen.

10. Warum wurde Washington D. C. die Hauptstadt der USA?

Im ausgehenden 18. Jahrhundert war die Gegend, in der sich heute die amerikanische Hauptstadt befindet, fast völlig unbesiedelt. Es gab Tabak- und Maisfelder, Obstgärten, kleine Wälder und Sümpfe. Im November des Jahres 1800, als Washington zum Regierungssitz der USA wurde, existierten im rautenförmigen Plan der neuen Hauptstadt, der immerhin 259 Quadratkilometer umfasste, ganze 109 bewohnbare Häuser aus Stein und 263 Holzgebäude. Nicht Demografie oder Geografie, sondern politisches Feilschen bestimmte den Standort der neuen Stadt. Zwischen 1783 und 1790 tagte der Kongress in sechs verschiedenen Städten zwischen New York City im Norden und Annapolis, Maryland, im Süden. In den Debatten um einen permanenten Regierungssitz favorisierten die Südstaaten, angesichts der beginnenden Westexpansion, einen weiter im Landesinneren gelegenen Ort. Die Neuenglandstaaten, die die Zukunft Amerikas im Handel mit Europa sahen, wollten eine Stadt an der Ostküste. Zentralisten wünschten sich eine Metropole wie Philadelphia; ihre Gegner warben dagegen für einen einfachen Regierungssitz: für eine Art Bundesdorf, nicht für eine Hauptstadt. Mehrfach kamen die Abgeordneten einem Kompromiss nahe – einmal war sogar eine Doppelhauptstadt (Trenton, New Jersey, im Norden und Georgetown, Maryland, im Süden) vorgesehen; doch erst 1790 bestimmte Präsident George Washington, der sich anfangs zurückgehalten hatte, den Standort 16 Kilometer nördlich von seinem Wohnsitz am Potomac in Virginia. Er führte die Schönheit der Natur als Argument ins Feld (und profitierte im Übrigen vom Verkauf seiner Ländereien). 1791 wurde die neue Stadt nach Washington benannt; er selbst nannte sie immer nur die Bundesstadt – «the Federal City».

11. Der Krieg von 1812 – ein zweiter Unabhängigkeitskrieg?