Ammianus-Verlag
Hrsg. Michael Kuhn
Mittelmosel Bittersüß
Eine literarische Auslese von Trier bis Traben-Trarbach
Geschichten
Impressum
Erste Auflage August 2016
© 2016 Ammianus GbR Aachen
Alle Rechte vorbehalten. Der Druck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und Verbreitung des Werks in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf digitalem oder sonstigem Wege sowie die Verbreitung und Nutzung im Internet dürfen nur mit ausdrücklicher und schriftlicher Genehmigung des Verlags erfolgen. Jede unerlaubte Verwertung ist unzulässig und strafbar.
Copyright der Hintergrundfotos: Claudia Petry, Sven Finke, Mireille Göhlen, Tourist Information Römische Weinstraße, Michael Kuhn, Trier Tourismus, Gemeinde Graach, Ortsgemeinde Neumagen-Dhron, The nightfly project – Jörg Kinn (Piesport), Tourist-Information Ruwer
Umschlaggestaltung: Thomas Kuhn
Lektorat: Melanie Kaesler
Korrektorat: Judith Vogt, Jörg Stöver
Satz: Michael Mingers
Druck: tz-verlag
Printausgabe-ISBN: 978-3-945025-40-6
eBook-ISBN: 978-3-945025-55-0
www.ammianus.eu
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Vorwort
Die Idee für diese Anthologie entstand – wie kann es anders sein – bei einer Weinprobe: Ein Ammianus-Autorentreffen legte den Grundstein für das vorliegende Buch.
Obwohl viele Autoren sofort Feuer und Flamme waren und bereits ihre Lieblingsweinlage kannten, die Teil ihrer Erzählung werden sollte, dauerte es noch fast ein Jahr, bis das Projekt langsam Gestalt annahm.
Einem literarischen Wanderführer gleich besucht das Buch die zahlreichen Weinorte zwischen Trier und Traben-Trarbach. Fühlen Sie sich dazu eingeladen, abends bei einem Glas Wein noch ein wenig zu lesen und damit den Ort, seine Geschichte und seinen Wein kennenzulernen!
Es geht nicht um eine reine Sammlung bereits bekannter Mosel-Anekdoten oder Sagen und Legenden, vielmehr hat jeder Autor seine eigene Stimme, seine eigenen Vorlieben. Somit finden Sie hier Historisches und Zeitgenössisches, Kriminelles und Romantisches nah beieinander.
Verstärkung erhielten die Ammianus-Autoren von einer ganzen Reihe Mosel-Autoren, die sich ihrer Heimat bereits in Kurzgeschichten oder Romanen gewidmet haben.
Ich bin mir sicher, dass die »Literarische Auslese von Trier bis Traben-Trarbach« die Weinfreunde unter Ihnen ebenso begeistert wie die Bibliophilen, die Einheimischen ebenso wie die Touristen.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß mit »Mittelmosel Bittersüß«!
Michael Kuhn (Herausgeber)
Günter Krieger: Wenn das vierte Lichtlein brennt
Ich, ein Taugenichts? Wer hat Ihnen das geflüstert? Vergessen Sie’s, ich bin alles andere als ein Taugenichts. Ich habe immer daran geglaubt, dass meine Pechsträhne eines Tages ein Ende haben wird! Nein, gewusst habe ich es. In meinen Träumen habe ich im Geld gebadet wie Dagobert Duck. Und wenn man fest an seine Träume glaubt, dann gehen sie in Erfüllung. Ja, Maria hat schon recht, wenn sie mich einen Träumer nennt. Aber nicht einen Augenblick lang hat dieser Träumer daran gezweifelt, dass der Tag der Wende kommen wird.
Was schert mich jetzt noch mein Job, den ich verlor? Nie wieder werde ich mich über idiotische Vorgesetzte ärgern müssen. Sobald ich meinen Plan in die Tat umgesetzt habe, können wir leben wie die Maden im Speck. Und der Rest der Welt kann uns kreuzweise. Maria wird zweifellos wissen wollen, wie ich an das Geld gelangt bin. Da die Wahrheit für sie inakzeptabel wäre, werde ich einfach behaupten, die Kohle im Spielcasino gewonnen zu haben. Okay, ich habe ihr zwar hoch und heilig versprochen, nie wieder ein Spielcasino zu betreten, aber ihr Ärger wird sich angesichts der Scheine, mit denen ich vor ihrer hübschen Nase wedeln werde, in Grenzen halten. Der Tag der Wende ist da, glauben Sie mir.
Dass dieser Tag ausgerechnet der vierte Adventssonntag sein würde, haben mir meine Träume nicht verraten. Endlich gibt es einen Grund, sich auf das nahende Weihnachtsfest zu freuen, vor dem mir gestern noch graute. Zwei Jahre lang – so lange bin ich inzwischen ohne Job – waren wir nicht in der Lage, uns ordentlich zu beschenken. Zugegeben, Maria ertrug die Leere unter dem Tannenbaum recht tapfer. Vielmehr fuchste es sie, dass ich meinen Kummer im Wein ertränkte.
»Der Wein bringt dich eines Tages noch um!«, sagte sie.
»Sicher nicht«, erwiderte ich.
»Doch, der Wein ist dein Tod, lass es dir gesagt sein!«, beharrte Maria prophetisch. Nun ja, dachte ich, es gibt schlimmere Tode, als nach drei Flaschen besten Trierer Deutschherrenbergs den Löffel abzugeben. Wenngleich ich zugeben muss, dass der edle Riesling viel zu schade ist, um sich damit die Kante zu geben. Es ist, um ehrlich zu sein, sogar eine Schande, ja geradezu barbarisch. Zum Betrinken wäre Sangria im Tetrapak wesentlich geeigneter. Und preiswerter wäre es auch. Wie auch immer, den Heiligen Abend verbrachte ich besoffen auf dem Sofa. Maria behauptet, ich hätte unflätige Lieder gesungen, aber ich erinnere mich nicht.
Dieses Jahr wird alles anders sein. Maria zuliebe werde ich sogar nüchtern bleiben, auch wenn es diesmal einen guten Grund gäbe, sich den Hals volllaufen zu lassen.
Angefangen hat alles heute Nachmittag, als ich mich auf dem Sofa vor der Glotze räkelte und Maria die vierte Kerze des Adventskranzes mit einer Feierlichkeit entzündete, die ich für unangebracht hielt. Der tadelnde Blick meiner Frau war nur schwer zu ertragen, und ich überlegte fieberhaft, wie ich dieser Psycho-Hölle entkommen könnte, zumal Maria den guten Riesling vorsorglich versteckt hatte. Das Versteck in unserer übersichtlichen Sozialwohnung zu finden, wäre mir wohl gelungen – in ihrem Kleiderschrank, zwischen all den Klamotten, wie ich vermute –, aber das hätte Krieg bedeutet. Außerdem löste sich das Problem dann von selbst.
»Warum hockst du tagein, tagaus auf diesem blöden Sofa?«, sagte Maria. Das fragt sie jeden Tag.
»Was sollte ich sonst tun?«, gab ich zurück, obwohl ich ihre Antwort längst kannte.
»Du könntest an die frische Luft gehen und dich bewegen, das würde dir guttun!« Diesmal fiel ihr noch etwas ein: »Vor dem Aldi steht ein Tannenbaumverkäufer. Warum gehst du nicht hin und kaufst uns einen? Oder willst du Weihnachten ohne Christbaum feiern?«
Gerne hätte ich erwidert, dass es mir ziemlich wurscht sei, ob bei uns zu Weihnachten ein Christbaum in der Ecke stehe oder nicht, doch plötzlich hielt Maria einen 20-Euro-Schein in ihren Händen.
»Beweg deinen Hintern und tu zur Abwechslung mal was Sinnvolles. Aber lass dir bloß keinen Winzling andrehen!«
Ich starrte auf den Geldschein und wusste, was zu tun war.
Neuer Besitzer des 20-Euro-Scheines wurde nicht der Tannenbaumverkäufer, sondern der Wirt der »Glocke«. Mit 20 Euro lässt sich der größte Durst schon stillen. Blieb der Umstand, dass ich immer noch keinen Tannenbaum hatte, und ein Krach mit Maria ist kein Zuckerschlecken. Aber die Lösung für dieses Problem war bereits in meinem Kopf gereift, als ich den Geldschein in ihren Händen gesehen hatte.
Als ich die »Glocke« verließ, legte ich einen recht zügigen Fußmarsch Richtung Mattheiser Wald hin. Unter meinem Mantel trug ich einen Fuchsschwanz, den ich vorsorglich der heimischen Werkzeugkiste entnommen hatte. Schon dämmerte es, und das war gut so. Niemand sollte mitkriegen, dass ich mit einem geklauten Baum aus einem Naturschutzgebiet stolzierte.
Im Mattheiser Wald war ich mutterseelenallein – zunächst. Ich begann meine Suche nach einem geeigneten Baum, der Marias gehobenen Ansprüchen gerecht würde. Aber noch bevor ich fündig wurde, geschah etwas, das unser Leben völlig verändern wird: Ich wurde Zeuge eines Verbrechens, vielmehr der Vertuschung eines solchen.
Zuerst glaubte ich, es sei ein großes Tier, das dort durch das Unterholz stapfte. Aber schnell wurde mir klar, dass es sich in Wirklichkeit um einen äußerst kräftig gebauten, männlichen Homo sapiens handelte, der ein offensichtlich totes Exemplar seiner Gattung geschultert trug. Siedend heiß durchfuhr es mich: Da versucht jemand, eine lästige Leiche loszuwerden! Und dieser Jemand war logischerweise nicht daran interessiert, beobachtet zu werden. Also kauerte ich mich hinter ein Gebüsch. Die Gestalt des hünenhaften Mannes kam mir irgendwie bekannt vor.
Er blieb stehen und ließ die Leiche zu Boden gleiten, zog einen Klappspaten hervor und begann, ein Erdloch zu graben. Als es tief genug war, ließ er die Leiche darin verschwinden und schaufelte alles wieder zu. Mit Zweigen und Ästen bedeckte er die Stelle, warf verstohlene Blicke in alle Richtungen und machte sich daran, den Ort des verbrecherischen Begräbnisses zu verlassen. Ich hielt den Atem an: Er kam geradewegs auf mein Versteck zu.
Es wäre übertrieben zu behaupten, dass ich mir vor Angst in die Hosen machte, aber ein wenig bange war mir schon zumute. Immerhin war das ein Mörder, der da Schritt für Schritt näher kam. Was, wenn er mich erblickte? Vermutlich würde er nicht zögern, auch mich zu töten, so wie das in den Fernsehkrimis immer geschieht. Er war von kräftiger Statur; sicher bereitete es ihm keinerlei Mühe, einem Menschen mit bloßer Hand das Genick zu brechen. Meine Finger krampften sich um den Griff meines Fuchsschwanzes – eine lächerliche Waffe, wenn man einem skrupellosen Verbrecher gegenübersteht. Und dann – nun stockte mir ehrlicherweise doch der Atem – erkannte ich das Gesicht des Kerls.
Er ging vorüber, kaum fünf Schritte entfernt, ohne mich zu bemerken. Glück gehabt, Sie sagen es. Doch ich war mir sicher: Dieser Kriminelle war kein geringerer als Bert Gatzen, millionenschwerer Manager der hiesigen TREVERUM-Werke, jenem Laden, der mich vor zwei Jahren auf die Straße gesetzt hat. Bert Gatzen! Hinter vorgehaltener Hand wurde er von den Angestellten immer nur Bill Gates genannt, nicht etwa wegen der Initialen, sondern wegen seines Reichtums. Ein halbes Dutzend nobler Sportlimousinen, so munkelt man, nennt er sein Eigen, ebenso zahlreiche Villen im In- und Ausland, zudem Yachten in Monte Carlo und was weiß ich wo, einen Privatjet und zehn Weiber an jedem Finger. Ein millionenschwerer Junge eben, dessen Reichtum schwerlich von seinen Firmenbezügen allein herrühren dürfte. Das Rätsel, das schon so manchen beschäftigt hat, ist nun gelöst. Von mir. Auch wenn die Lösung keine echte Überraschung darstellt: Bill Gates ist in krumme Geschäfte verwickelt! Und krumme Geschäfte haben von Zeit zu Zeit nun mal die eine oder andere Leiche zur Folge.
Ob ich zur Polizei gehe und meine Beobachtungen zu Protokoll gebe? Den Teufel werde ich tun! Warum soll ich eine Milchkuh töten, die mich nähren kann? Ich bin sicher, dass Bill Gates sich mein Schweigen gern erkaufen möchte. Ein bescheidenes Milliönchen – für ihn sind das nur Peanuts – muss er schon rausrücken, damit ich für immer meinen Mund halte. Noch heute Abend werde ich ihn in seiner noblen Villa auf dem Petrisberg aufsuchen. Er wird ganz schön blöd aus der Wäsche gucken, doch was bleibt ihm übrig, als meiner Forderung nachzukommen? Oh, Sie machen sich Sorgen um mein Genick? Das brauchen Sie nicht, ich passe gut auf mich auf. Ich werde Vaters alte Jagdpistole – endlich mal ein nützliches Erbstück – bei mir tragen, falls Billie auf dumme Gedanken kommen sollte.
Verstehen Sie nun, warum ich diesen vierten Advent als den Tag der glücklichen Wende bezeichnet habe? Der Erlöser ward mir geboren, halleluja! Auch Ihnen wünsche ich ein frohes Fest!
*
»Trierischer Volksfreund« vom 23.12.:
Tödlicher Einbruch –
TREVERUM-Manager tötet Dieb wohl in Notwehr
Trier. Das Drama ereignete sich in der Nacht zum Montag auf dem Petrisberg. Für einen 35-jährigen Arbeitslosen aus Trier war der Einbruch in die Villa des TREVERUM-Topmanagers Bert Gatzen sein letzter: Der Eigentümer ertappte den Dieb auf frischer Tat. Als es zum Handgemenge kam, zog der Einbrecher eine Schusswaffe. Gatzen gelang es nach eigener Aussage, ihn mit einer Weinflasche niederzustrecken. Der Schlag auf den Kopf verletzte ihn so schwer, dass er noch auf dem Weg ins Krankenhaus seiner Verletzung erlag. Gatzen, so heißt es von der Pressestelle der Polizei, erlitt einen Schock und musste ärztlich behandelt werden. Alles deute auf Notwehr hin.
War der Einbruch des arbeitslosen Trierers möglicherweise ein Racheakt? Vor zwei Jahren war dem leitenden kaufmännischen Angestellten von der TREVERUM-Geschäftsleitung fristlos gekündigt worden. »Er war unzuverlässig und trank während der Arbeitszeit«, hieß es dort auf Anfrage unserer Redaktion. Die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft dauern an.
Günter Krieger
Günter Krieger, Jahrgang 1965, lebt in Langerwehe-Schlich. Die ersten Lebensjahre verbrachte er auf Schloss Merode, wo sein Vater als Kastellan tätig war. Seit 1999 ist er freier Autor und verfasst unter anderem Historienromane, die in seiner Heimat spielen. Erstmals bekannt wurde er durch seine Merode-Trilogie. Im Ammianus-Verlag erschienen bisher sein Mittelalterepos »Die gefangenen Seelen« sowie die Trilogie um »Richarda von Gression«.
Moselwein – und ich
Schon als Zwölfjähriger war ich ein großer Weinkenner. Besonders angetan hatten es mir der Klöbener Krötenpfuhl, die Oberföhringer Vogelspinne und das Hupfheimer Jungferngärtchen. Nee, getrunken habe ich die nicht – hallo?! –, ich war doch erst zwölf.
Die nicht mehr ganz jungen Leser und Loriot-Fans werden sich an den Besuch des Weinvertreters Blümel bei Frau Hoppenstedt erinnern.
»Von deutschen Sonnenhügeln frisch auf den Tisch! Eine 77er Oberföhringer Vogelspinne, abgezapft und original verkorkt von Pahlgruber & Söhne: Was spüren sie auf der Zunge?« – »So ein pelziges Gefühl.« – »Falsch! Die Oberföhringer Vogelspinne ist blumig und überrascht durch ihre fruchtige Frische!« Für mich war das einprägsamer als die Binomischen Formeln.