Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. Was Schiller einst dachte, bestätigt heute die Hirnforschung: Im Spiel entfalten Menschen ihre Potenziale, beim Spiel erfahren sie Lebendigkeit. Doch gegenwärtig ist das Spiel bedroht – durch seine Kommerzialisierung ebenso wie durch suchterzeugende Online- und Glücksspiele. Der Hirnforscher Gerald Hüther und der Philosoph Christoph Quarch wollen sich damit nicht abfinden. Sie rufen dazu auf, die Bedeutung des Spiels wiederzuentdecken. Sie erläutern, warum unser Gehirn zu Hochform aufläuft, sobald wir es spielerisch zu nutzen beginnen, und weshalb Computerspiele nicht geeignet sind, um die in uns angelegten Potenziale zu entfalten. Sie erinnern an die hohe Wertschätzung des Spiels in früheren Kulturen und zeigen, welche Spiele dazu angetan sind, Freiräume für authentische Begegnung und Lebensfreude zu öffnen – damit wir in einer vom instrumentellen Denken beherrschten Welt unsere spielerische Kreativität nicht verlieren.

 

Hanser E-Book

 

Gerald Hüther

Christoph Quarch

 

RETTET DAS SPIEL!

 

Weil Leben mehr als Funktionieren ist

 

 

Carl Hanser Verlag

 

ISBN 978-3-446-44709-7

© Carl Hanser Verlag München 2016

Umschlag: Hauptmann & Kompanie, Zürich

Satz: Kösel Media GmbH, Krugzell

 

 

Unser gesamtes lieferbares Programm

und viele andere Informationen finden Sie unter:

www.hanser-literaturverlage.de

 

Erfahren Sie mehr über uns und unsere Autoren auf www.facebook.com/HanserLiteraturverlage oder folgen Sie uns auf Twitter: www.twitter.com/hanserliteratur

 

Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

INHALT

 

Vorspiel

Was wird aus uns, wenn wir aufhören zu spielen?

 

 

Feuerwerk für graue Zellen

Die Neurobiologie des Spielens

Die befreiende und verbindende Kraft des Spielens

Die Spielfreude der Gene

Das universelle Prinzip des Lebens

Die spielerische Entfaltung von Kreativität

Das Gehirn als Organ für spielerische Kokreativität

 

 

Das Lächeln des Weisen

Zur Philosophie des Spielens

Die Spielweisen der alten Mythen

Die Spielweisen der antiken Philosophie

Die Spielweisen der Neuzeit

 

 

Angriff der Spielverderber

Wenn das Spielfeld zum Marktplatz wird

Die Herkunft des Homo oeconomicus

Die Verwechselung von Gewinn machen und gewinnen

Das schleichende Gift der Spielsucht

Wie Spiele missbraucht werden

Die Entzauberung des Zuschauers

Der Fluch der Monokulturen

 

 

Inseln der Lebendigkeit

Zur Phänomenologie des Spielens

Wo das Spiel ursprünglich ist

Wo wir heute spielen können

 

 

Leinen los und auf in die Freiheit!

Von der spielerischen Lebenskunst

Warum wir eine Kultur spielerischer Lebenskunst brauchen

Wie eine spielerische Lebenskunst unseren Alltag schöner werden lässt

 

 

Nachspiel auf Erden

Was wird aus uns, wenn wir beginnen, den Zauber des Spiels wiederzuentdecken?

 

 

Nachspiel im Himmel

 

Literatur

 

Anmerkungen

VORSPIEL

WAS WIRD AUS UNS, WENN WIR AUFHÖREN ZU SPIELEN?

Wir Menschen sind wunderbare Wesen. Wir verfügen über eine Fähigkeit, die uns unglaubliche Möglichkeiten eröffnet: Wir können zeitlebens Neues hinzulernen. Ausgestattet mit lernfähigen Gehirnen sind wir in der Lage, die Welt, in der wir leben, nach unseren eigenen Vorstellungen zu gestalten. Das haben wir getan. Und wie wir das getan haben!

Allmählich jedoch beginnen wir zu erkennen, dass nicht alles, was uns und unseren Vorfahren einmal wünschenswert erschien, uns und unseren Kindern auch wirklich ein gutes und glückliches Leben und Zusammenleben ermöglicht. Manches, was vor wenigen Jahren noch als erstrebenswert galt, bereitet uns zunehmend größere und schwerer zu lösende Probleme. Aber langsam dämmert uns, dass die Fähigkeit, die Welt nach Maßgabe der eigenen Wünsche und Ideen zu gestalten, nicht zwangsläufig von Vorteil ist.

Denn dieses wunderbare Gehirn hat als nicht durch genetische Programme konstruiertes Denkorgan auch einen entscheidenden Nachteil: Bei dem, was wir uns damit ausdenken, können wir uns irren. Was wir gestern noch für richtig und wichtig hielten, kann sich morgen schon als fataler Irrtum erweisen. Und allzu oft haben wir in Form von Leid und Elend anschließend einen hohen Preis für diese Irrtümer gezahlt: Angst, Ohnmacht, der Verlust von Lebensfreude. Wir sollten also vorsichtig sein bei der Umsetzung dessen, was uns auf den ersten Blick als wünschenswert oder bisweilen auch alternativlos erscheint.

Gewiss ist es kein Fehler, bei dem, was wir tun, danach zu fragen, wie es sich am einfachsten, schnellsten und kostengünstigsten machen lässt, wie sich unser Handeln effektiver organisieren und unser gesamtes Leben ökonomischer und bequemer gestalten lässt. Dass solche Fragestellungen aber nicht auf alle Lebensbereiche ausgeweitet werden können, bemerken wir meistens erst dann, wenn uns bei aller Effektivität, Funktionalität, Produktivität und Profitabilität etwas verloren gegangen ist: etwas, das wir dringend brauchen, um unser Leben nicht nur möglichst angenehm, sicher und nutzbringend zu gestalten, sondern auch und vor allem so, dass es uns erfüllt und wir Lebendigkeit, Leichtigkeit und Lebenslust verspüren, ja, dass es uns glücklich macht. Genau das aber ist in unserer gegenwärtigen, vom ökonomischen Denken beherrschten Welt eher die Ausnahme. Viele Menschen fühlen sich einsam, unglücklich und ausgebrannt. Psychische Krankheiten greifen um sich und eine diffuse Unrast macht sich breit. Könnte es also sein, dass wir uns mit unserer Vorstellung davon, worauf es im Leben ankommt, geirrt haben?

Solche Gedanken zu denken, ist schmerzhaft, aber anders können wir nicht herausfinden, was uns hilft und was uns schadet. Nur aus den Fehlern, die wir machen, und aus den Fehlentwicklungen, die wir in Gang setzen, können wir lernen, was besser oder richtiger gewesen wäre: was uns glücklicher, kreativer, gesünder, entwicklungsfähiger gemacht hätte – und machen könnte. Doch was genau könnte das sein?

Es könnte etwas sein, das wir in den letzten Jahrzehnten über all unseren Anstrengungen, das Leben gewinnbringender, erfolgreicher, effektiver, sicherer und bequemer zu machen, aus dem Blick verloren haben: die Lust am Spielen. Was das bedeutet und welche Konsequenzen es für uns hat – für jede Einzelne und jeden Einzelnen ebenso wie für unsere Gesellschaft im Ganzen: Davon handelt dieses Buch.

Wir haben es geschrieben, weil wir um den Fortbestand unserer Kultur besorgt sind; weil wir der fortschreitenden Funktionalisierung und Ökonomisierung unseres Lebens Einhalt gebieten wollen; weil wir die Freiheit und Schönheit des Lebens bewahren wollen. Wir haben es geschrieben, weil uns die Hoffnung bewegt, in einer gemeinsamen Anstrengung die schönste Pflanze der abendländischen Kultur zu neuer Blüte zu bringen. – Deshalb werben wir für unseren zivilisatorischen Imperativ: Rettet das Spiel!

Dass es tatsächlich möglich ist, dem Ernst des Lebens spielerisch zu begegnen, können Sie sich womöglich nur schwer vorstellen – gerade angesichts all der Krisen, die unsere Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts erschüttern. Aber davon wollen wir uns nicht entmutigen lassen. Deshalb bieten wir Ihnen jetzt die Gelegenheit zu erleben, wie schnell Sie Ihre Meinung ändern und lieb gewonnene Denkgewohnheiten ablegen können. Sie brauchen dafür noch nicht einmal dieses Buch von der ersten bis zur letzten Seite durchzulesen: Wir kommen direkt auf den Punkt. Genauer gesagt: auf fünf Punkte.

Erstens: Sie spielen öfter, als Sie denken. Schon wenn Sie denken, spielen Sie. Zumindest dann, wenn Sie in Gedanken alle vorstellbaren Möglichkeiten zur Lösung eines Problems, zum Erreichen eines Ziels oder zur Realisierung einer Absicht durchspielen: Bevor Sie handeln, überlegen Sie erst einmal, wahrscheinlich sogar sehr sorgfältig, wie Sie das, was Sie vorhaben, verwirklichen könnten. Sie tun erst einmal noch nichts (jedenfalls dann, wenn Sie einigermaßen bei Verstand sind). Erst einmal probieren Sie gedanklich aus, was alles denkbar und dann vielleicht auch umsetzbar ist.

Genau dasselbe taten Sie auch schon als kleines Kind, wenn Sie in Mutters Küche alle möglichen Kochutensilien herauskramten und sich fragten, was sich wohl damit alles machen lässt. Weil Ihre Vorstellungskraft damals noch nicht ganz so gut entwickelt war wie heute, werden Sie das Mögliche weniger gedacht, dafür aber praktisch ausprobiert haben. Wenn Kinder so etwas tun, sagen wir: Sie spielen.

Als denkender Erwachsener haben Sie genau genommen nur die Spielweise verändert: Gedankenspiele statt Kinderspiele. So oder so aber Spiele. Herzlich willkommen in der Welt, in der der Mensch nur dort ganz Mensch ist, wo er spielt. Denn was wären wir, wenn wir aufhörten zu spielen? Wir würden dann genauso reagieren wie ein Computer. Die können, weil sie nicht die Fähigkeit haben, in Gedanken zu spielen, auch immer nur das hervorbringen, wofür jemand sie programmiert hat. Ein Leben ganz ohne Gedankenspiele wäre ein Leben ohne Lebendigkeit.

Wir machen weiter.

Zweitens: Das spielerische Erproben dessen, was alles geht, ist nicht nur die entscheidende Voraussetzung dafür, dass Sie sich selbst als denkendes Wesen erleben können. Es ist auch das, was unseren äffischen Vorfahren den Weg zur Menschwerdung ermöglicht hat. Nichts von all dem, was im Verlauf dieses langen Prozesses erreicht worden ist, hätten Menschen erfinden, entdecken, bauen und nutzen können, wenn diese Fähigkeit in ihrem Gehirn nicht von Anfang an als Potenzial angelegt gewesen wäre. Zeugnisse dieses frühen Spielens finden wir noch heute in Höhlenzeichnungen. Auch die Mythen unserer Ahnen sind voller spielerischer Eleganz.

Nach allem, was wir wissen, spielen Menschen schon so lange, wie es Menschen gibt. Das kann auch gar nicht anders sein: Hätten sie nicht gespielt, wären sie nie in der Lage gewesen, den gesamten Erdball zu bevölkern und all das zu erfinden und zu entdecken, was uns als Menschen heute so selbstverständlich geworden ist. Ohne die immer neue spielerische Erkundung der in uns angelegten Potenziale hätten wir Menschen uns gar nicht weiterentwickeln können. Dass wir die Herausforderungen einer sich ständig verändernden Lebenswelt überhaupt zu meistern vermochten, uns an neue Gelegenheiten anpassen, neue Möglichkeiten erschließen konnten – und nicht irgendwann im Zuge der Evolution ausgestorben sind –, verdanken wir unserer Fähigkeit zu spielen.

Aber das ist noch nicht alles.

Drittens: Das Spielen haben wir Menschen gar nicht selbst erfunden. Auch Tiere spielen. Nicht alle, aber all jene, die mit einem lernfähigen, nicht durch genetische Programme fest verkabelten Gehirn zur Welt kommen. Krähenvögel zum Beispiel oder kleine Kätzchen und Hunde. Je lernfähiger ihr Gehirn ist, umso häufiger und umso intensiver spielen sie. Das Spiel ist also von Anfang an alles andere als eine nutzlose Beschäftigung zum Zeitvertreib: Es ermöglicht schon den Tieren und erst recht uns Menschen das Ausprobieren all dessen, was dem betreffenden Tier- oder Menschenkind möglich ist. Spielerisch finden sie heraus, was sie mit ihrem Körper, den Armen und Beinen, den Händen oder – im Fall der kleinen Kätzchen – mit dem Schwanz alles machen können.

Und später setzt sich dieser spielerische Erkundungsprozess des Möglichen in der Beziehung zu Eltern, Geschwistern und anderen Lebewesen fort. Bis jede und jeder herausgefunden hat, was alles geht und was nicht funktioniert. »Selbstorganisiertes, intrinsisch gesteuertes Lernen« nennen das die Lernpsychologen und haben inzwischen verstanden, dass diese Art des Lernens entscheidend dafür ist, wie gut sich ein Tier- oder Menschenkind später in der Welt zurechtfindet. Und was ist die Ursache für dieses Lernen? Das Spiel. Und wann kann ein Kind all das nicht mehr selbst lernen? Wenn es ständig unterrichtet und »frühgefördert« wird, sodass ihm keine Zeit zum Spielen mehr bleibt.

Immer noch nicht überzeugt? Okay, dann eben auch das noch, aber nur ganz kurz, denn es steht im Mittelpunkt unseres Buches.

Viertens: Ohne die Möglichkeit des spielerischen Ausprobierens gäbe es gar keine Kreativität. Einfach nur weiterdenken, was schon gedacht worden ist, können wir alle. Manche sogar besonders gut, wenn sie dazu gezwungen oder dafür belohnt werden. Aber dadurch, dass jemand das bereits Vorhandene ergänzt, umbaut oder verbessert, kommt nichts wirklich Neues in die Welt. Ein Fenster bleibt ein Fenster, auch wenn es nun eine Vakuum-Doppelverglasung und einen Plastikrahmen hat. Im Englischen heißt so etwas linear innovation, also die bloße Verbesserung des Bestehenden. Wirklich interessant sind die sogenannten breakthrough innovations, also tatsächlich neue, kreative Lösungen. Die Entdeckung der α-Helix-Struktur der DNA war so etwas – oder die Relativitätstheorie oder der Düsenantrieb oder der Verbrennungsmotor.

Fragt man danach, was es möglich gemacht hat, dass jemand eine völlig neue, bisher noch nicht gedachte oder auch nicht für möglich gehaltene Lösung finden konnte, dann stößt man immer wieder auf das gleiche Phänomen: Die entscheidende Idee kam nicht am Schreibtisch und auch nicht kurz vor der Deadline oder der angedrohten Kündigung, sondern morgens, noch im Halbschlaf, oder nachmittags bei einem Spaziergang oder abends unter der Dusche. Also immer dann, wenn kein Druck herrschte, wenn im Hirn mal das eine, mal das andere durchgespielt werden konnte, bis sich plötzlich etwas zu einem stimmigen Bild zusammenfügte. Der Durchbruch in das Neue entstand ganz von allein, hervorgegangen aus dem Spiel der Gedanken.

Einen fünften und letzten wichtigen Pflock für das Spiel möchten wir noch einschlagen: Ohne das Spiel gäbe es keine Schönheit. Maler spielen mit ihren Farben, Musiker spielen ihre Instrumente, Dichter spielen mit Worten, Tänzer mit Schritten und Bildhauer mit Ton und Marmor. Bei Lichte besehen sind alle Künste große Spielarrangements, mit denen wir spielerisch unsere Welt so einrichten, dass wir uns in ihr zu Hause fühlen, sie bejahen und gutheißen können, ja glücklich sind. Denn, wo uns solche Erfahrungen zuteilwerden, erfahren wir uns und die Welt nicht nur als sinnvoll, sondern erleben auch das Glück – das Glück, von dem Hermann Hesse einst sagte, es sei nichts anderes als ein »Mitsingen im Chor der Sphären, Mittanzen im Reigen der Welt, Mitlachen im ewigen Lachen Gottes«1: Mitspielen im Spiel des Lebens, um es auf den Punkt zu bringen. Denn seien wir ehrlich: Nutzen hin oder her – sind es nicht gerade Schönheit und Poesie, Anmut und Eleganz, die unsere Seele vibrieren lassen? Und erleben wir diese Qualitäten nicht gerade dann, wenn wir spielen? Steht dann nicht oft die Zeit still? Und fühlt sich das Leben nicht lebendiger an, wenn wir den großen Spielen unserer Künstler beiwohnen? Und besonders, wenn wir selbst im Spiel sind und spielend Schönheit schaffen, wenn wir die Grenzen der Wirklichkeit überwinden, indem wir sie in leuchtende Farben tauchen, Geschichten von anderen Welten erzählen oder eine Tonfolge finden, die uns selbst zum Klingen bringt? Nicht nur die Erfindung brauchbarer Gegenstände und technische Innovationen verdanken sich dem Spiel, sondern auch das ganze weite Feld der Kunst.

Johan Huizinga, ein niederländischer Kulturwissenschaftler, hat gezeigt, dass unsere ganze Kultur bei Lichte besehen nichts anderes ist als ein grandioses Spielergebnis – und dass sich die Kulturentwicklung der Menschheit als Folge immer komplexerer, schönerer Spiele begreifen lässt; dass sie jedoch gefährdet ist, wenn andere, dem Spiel zuweilen feindlich gesonnene Mächte wie die Wirtschaft und auch die Wissenschaft die Spielräume für Kunst und Kultur verdrängen oder kolonialisieren.2 Auch die großen Religionen haben sich wiederholt als Spielverderber erwiesen. Dabei war das Feld der Spiritualität ursprünglich vom Geist des Spiels durchdrungen, der erst später von jenem unerbittlichen Ernst religiöser Eiferer überlagert wurde, der uns auch heute wieder so große Sorgen bereitet. Ein griechischer Philosoph wie Platon hingegen konnte noch ganz im Geiste seiner von der olympischen Mythologie des alten Hellas inspirierten Spiritualität sagen, der Mensch könne sein Leben nicht besser zubringen denn als unablässige Folge schöner Spiele zu Ehren der Götter.

 

***

 

Götter hin oder her: Wer nun noch immer davon überzeugt ist, es wäre Unsinn, dem gewichtigen Ernst des Lebens mit dem heiteren Ernst des Spielens zu begegnen, den bitten wir um Nachsicht dafür, dass wir seine kostbare Zeit so lange in Anspruch genommen – um nicht zu sagen: aufs Spiel gesetzt – haben. Wer aber Lust hat mitzuspielen und sich unserer Entdeckungsreise in die große weite Welt der unbegrenzten Möglichkeiten anzuschließen, die sich dem Menschen dort eröffnet, wo er Zeit und Raum zum Spielen findet, sei zum Weiterlesen und Weiterdenken herzlich eingeladen.

Was Sie erwartet? Im ersten Kapitel dieses Buches kommt die Naturwissenschaft zu Wort. Wir werden Sie mitnehmen in die Tiefenstrukturen des Lebens und des Universums. Wir werden dort erstaunliche Entdeckungen machen und uns vor Augen führen, dass die Welt nicht falsch beschrieben ist, wenn man sie als ein großes Spielgeschehen deutet.

Das lehrten bereits die alten Philosophen, die wir im zweiten Kapitel des Buches konsultieren werden. Es ist erstaunlich, in welch hohem Maße alte Weisheit und neues Wissen passgenau zusammenfinden, wo es um das Spiel geht. Zumindest gilt das für die Denker, die sich intensiv dem Spiel gewidmet haben. Es lohnt sich, diese Magistri ludi – Spielmeister – ins Gespräch zu bringen: Sie zeigen uns, warum wir Menschen gut beraten sind, das Spiel zu retten, wenn es in Gefahr ist.

Der Blick zurück schärft den auf die Gegenwart. Für ihn stellen wir im dritten Teil unseres Buches fest: Nicht alles, was heutzutage als Spiel bezeichnet und vermarktet wird, ist auch tatsächlich ein Spiel. Wie alles, was wir Menschen erfinden, kann auch das Spiel missbraucht und für bestimmte Zwecke und zur Verfolgung bestimmter Absichten instrumentalisiert und verdorben werden. Nicht zufällig tadeln die Kinder beim Würfelspiel diejenigen als Spielverderber, die ihre eigenen Interessen und Ziele dem Spiel unterjubeln und meinen, die Regeln zu ihren Gunsten anpassen zu dürfen. Wenn es heute bei dem, was wir Spiel nennen, in manchen Fällen nicht mehr ums Gewinnen oder Verlieren, sondern um Gewinn und Verlust geht, wenn der Homo oeconomicus (der wirtschaftende Mensch) den Homo ludens (den spielenden Menschen) verdrängt, wenn also ökonomische Interessen unsere Spielwelten kolonialisieren, indem sie – wie bei großen Sportveranstaltungen oder auch in den zahllosen Kasinos an den Ausfallstraßen unserer Städte – das Spiel zum Konsumartikel umformatieren, dann handelt es sich nicht mehr um wirkliche Spiele, denn dann hat jemand das Spiel zu einem Geschäft gemacht und in bitteren Ernst verwandelt. Hier wird deutlich, wie sehr es an der Zeit ist, das Spiel zu retten. Ohne zu übertreiben, lässt sich sagen: Es geht dabei um unser Leben, um unsere Lebendigkeit und unsere Kultur. Es geht ums Ganze.

Und deshalb ist es wichtig, sehr genau zu prüfen, welche Spiele echte sind und uns Menschen guttun – und welche schon durch spielfremde Aspekte korrumpiert sind. Darum geht es im vierten Teil. Hier helfen freilich keine moralischen Kriterien, sondern nur ein klares Verständnis dessen, was das Spiel seinem Wesen nach ist. Wie aber erschließt sich das Wesen des Spiels? Indem wir die weite, bunte Welt der Spiele daraufhin befragen, welche immer wiederkehrenden Grundsignaturen des Spielens sich erkennen lassen. Mit ihnen gewinnen wir die Maßstäbe, anhand derer wir anschließend Empfehlungen aussprechen können, welche Spiele uns geeignet dazu erscheinen, Menschen bei der Entfaltung ihrer Potenziale zu unterstützen und erfüllte Lebendigkeit zu erfahren.

Bei der Rettung des Spiels geht es ums große Ganze, aber es sind die kleinen Gelegenheiten, bei denen sich zur Rettung ansetzen lässt – denn schließlich geht es immer auch um uns und unser eigenes Leben. Zuletzt gilt unser Blick deshalb der Frage, ob und wie es möglich ist, dem guten Geist des Spiels in unserem Alltag mehr Raum zu geben. Wir schlagen im fünften Kapitel darum eine Kultur spielerischer Lebenskunst vor, die sich in unterschiedlichen Bereichen für unser aller Leben als heilsam und lebendigkeitsfördernd erweisen wird: in Familie und Partnerschaft, in Schule und Spiritualität, in Politik und Wirtschaft. So bleibt die von uns geforderte Rettung des Spiels keine abstrakte Angelegenheit, sondern ein höchst konkretes und alltagstaugliches Programm – für jeden Einzelnen wie auch für unsere Gesellschaft im Ganzen. Die Forderung nach einer Rettung des Spiels ist, wie Sie sehen werden, ein politisches, ja, vielleicht sogar ein visionäres Projekt.

Wer spielt, konsumiert nicht. Wer spielt, benutzt nicht. Wer spielt, begegnet dem anderen als einem Gegenüber auf Augenhöhe. Deshalb ist das Spiel in einer von der instrumentellen Vernunft des Ökonomismus beherrschten Welt eine subversive Kraft. Spielen öffnet Räume unbedingter Sinnhaftigkeit, auch wenn kein Zweck dabei verfolgt und kein Nutzen avisiert wird. Spiele öffnen Räume für Kreativität, genauer: für Kokreativität, denn Möglichkeiten werden da am besten erprobt und Potenziale da am besten entfaltet, wo Menschen miteinander spielen. Gemeinsames Spielen ermöglicht Entwicklung und Innovation. Spielplätze sind Landeplätze, auf denen das Neue in die Welt kommen kann.

Wenn wir zu spielen aufhören, hören wir auf, das Leben in all seinen Möglichkeiten zu erkunden. Und damit verspielen wir die Potenziale, die in uns stecken. Wer dem Leben nicht spielerisch begegnet, den erstickt es mit seinem Ernst. Das Leben ist kein Spiel, aber wenn wir nicht mehr spielen können, dann können wir auch nicht mehr leben.