Ein Hellweg-Krimi
Herausgegeben von
Sascha Pranschke, Sarah Meyer-Dietrich
und Kathrin Oerters
Das Buch enthält die Erzählung Endstation Emscher, entstanden im Projekt Mord in der Hellweg-Bahn. Das Projekt versteht sich als Teil der Projektfamilie FlussLandStadt. Eure Heimat – euer Roman der Kooperationspartner jugendstil – das kinder- und jugendliteraturzentrum nrw, Friedrich-Bödecker-Kreis NRW und Emschergenossenschaft/ Lippeverband.
Mehr Informationen unter:
http://www.boedecker-kreis-nrw.de/flusslandstadt-eure-heimat-euer-roman
Mord in der Hellweg-Bahn
Das Projekt ist eine Kooperation zwischen dem Festival »Mord am Hellweg VII« (Kulturregion Hellweg, Westfälisches Literaturbüro in Unna e.V. und der Kreisstadt Unna, Bereich Kultur), der Gemeinschaftskampagne Busse & Bahnen NRW, dem Friedrich-Bödecker-Kreis NRW e.V. und der Emschergenossenschaft.
Hauptförderer und Medienpartner von »Mord am Hellweg VII« sind das Land Nord-rhein-Westfalen, die Stiftung RUHR.2010, die Gemeinschaftskampagne Busse & Bahnen NRW, die Sparkasse UnnaKamen, der WDR 5 und die WELT am SONNTAG.
Projektteam
Mord in der Hellweg-Bahn
Sarah Meyer-Dietrich (Projektleitung, Werkstattleitung)
Martina Oldengott (wissenschaftliche Leitung)
Sascha Pranschke (Werkstattleiter)
Lektorat | Sascha Pranschke, Sarah Meyer-Dietrich |
Coverfoto | Frank Vinken, Motiv: Die Emscher in Castrop-Rauxel an der Industriestraße. Vielen Dank an Gerrit, die für das Foto Modell stand |
Fotos | Baoquan Song, Sarah Meyer-Dietrich |
Zeichnung | Benjamin Bäder |
Impressum
1. Auflage Mai 2015
Satz und Gestaltung | Heike Amthor | Klartext Verlag |
ISBN 978-3-8375-1425-4
ISBN ePUB 978-3-8375-1602-9
Alle Rechte der Verbreitung, einschließlich der Bearbeitung für Film, Funk, Fernsehen, CD-ROM, der Übersetzung, Fotokopie und des auszugsweisen Nachdrucks und Gebrauchs im In- und Ausland sind geschützt.
© Klartext Verlag, Essen 2015
www.klartext-verlag.de
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://www.dnb.de abrufbar.
Zugfahrten haftet meistens ein Hauch von Abenteuer an. Sei es, weil die Reisen in die weite Ferne führen oder auch einfach nur, weil sie selten wie geplant verlaufen. Man begegnet vielen fremden Menschen im Bahnhof, auf dem Bahnsteig und in der Bahn. Zufallsbekanntschaften erwachsen daraus, meistens nur für den Moment, flüchtig und dennoch oft sehr intensiv. Aber auch Freundschaften und Verbindungen für ein ganzes Leben.
Die Züge selbst, die Strecke, das Bahnpersonal, die Fahrgäste und nicht zuletzt Ereignisse rund um die Bahnreisen halten jeden Tag Überraschungen für uns bereit. Fährt man häufig oder sogar täglich mit der Bahn, ist man überzeugt davon, dass nicht eine einzige Fahrt normal beginnt und endet.
Es gibt die schönen Seiten, nämlich Bekannte oder Kollegen zu treffen, die immer zur selben Zeit an derselben Stelle auf den Zug warten. Zugfahrten verbinden Menschen und Orte miteinander. Die Kehrseiten des Reisens mit der Bahn sind alltägliche Unpünktlichkeit, technische Störungen und Funktionsbehinderungen durch Menschen. Eine normale Zugfahrt ohne besondere Vorkommnisse ist im Ruhrgebiet so wahrscheinlich wie das Auffinden der viel zitierten Stecknadel im Heuhaufen. Das Zugfahren hier im Revier lässt auch bei eher sanftmütigen Charakteren die Emotionen hochkochen. Man erkennt sich selbst und die anderen nicht wieder …
Wie oft habe ich selbst schon daran gedacht, einen Roman über mein tägliches Desaster im Regionalverkehr des Ruhrgebiets zu schreiben. Was lag also näher, als Jugendliche zu gewinnen, nach Romanen am Fluss entlang (»Stromabwärts«) und quer durch die Städte (»Grenzgänger«) nun eine Erzählung dem Zugfahren im Ruhrgebiet zu widmen. Die Begeisterung dafür war ungeheuer groß! Nun ist die Hellweg-Bahn nicht auf einer der Hauptschlagadern des Ruhrgebiets unterwegs. Die vorliegende Erzählung spielt zwischen Dortmund und Unna. Auf dieser Strecke scheint die Bahn störungsfrei zu funktionieren, stelle ich neidisch beim Lesen fest. Ich dagegen kann mich an keinen einzigen Tag innerhalb der letzten 10 Jahre erinnern, an dem ich reibungslos zur Arbeit und zurück gelangt wäre. Aber ich pendle eben auch zwischen Bochum und Essen.
Trotzdem startet der Roman in der Kategorie Kriminalgeschichte und endet mit einer überraschenden Erkenntnis auf dem Emscherquellhof in Holzwickede. Neben der Hellweg-Bahn zieht sich die Emscher nämlich wieder einmal als blauer Faden durch die Geschichten. Der Fluss zeigt sich mit seinen unterschiedlichen Gesichtern, einmal als kleines, friedlich dahin fließendes Flüsschen, ein anderes Mal als starker, reißender, bedrohlich anmutender Strom nach Starkregen-Ereignissen. Der lateinische Name für die Emscher, Ambiscara, weist auf diese zwei Facetten der Emscher hin. Die jungen Autoren der Erzählung »Endstation Emscher« hat dieser Charakter des Flusses fasziniert. In allen bisher erschienenen Romanen sammelt die Emscher mit ihren wechselhaften Gesichtern zunehmend Pluspunkte. Sie ist ein mystischer Rückzugs- und Sehnsuchtsort.
Eine Person hat es bisher geschafft, in allen Erzählungen eine Rolle zu ergattern: Der anfangs etwas trottelhaft daher kommende Privat-Detektiv Roman Malakoff wird von Band zu Band sympathischer und menschlicher.
Jede der Textwerkstätten ist mit großem organisatorischem Aufwand verbunden. Die Betreuung der Schreibprozesse, die Durchführung der Exkursionen, kostenlose Räume und Orte zum Schreiben, der Produktionsprozess des Buches bis hin zur Book Release Party: All das ist nur mit großem persönlichem Einsatz Vieler zu leisten. Zum Glück wird der Kreis der Förderer immer größer und das Netzwerk wächst mit jedem Projekt. Dafür gebührt allen unterstützenden Personen und Institutionen unser herzlicher Dank!
Sie, liebe Leserinnen und Leser, leisten Ihren Beitrag, indem Sie die Bücher lesen, und dabei wünschen wir Ihnen auch dieses Mal wieder viel Freude!
Dr. Martina Oldengott
Emschergenossenschaft
Als wir 2012 unsere Pläne für »Am Fluss entlang schreiben«, das erste Kind der Projektfamilie »FlussLandStadt. Eure Heimat – euer Roman«, entwickelten, hatten wir keine Ahnung, wie nachhaltig uns dieses Projekt beschäftigen würde. Noch weniger ahnten wir, dass eine ganze Projektfamilie daraus erwachsen würde. Erst 2014, als wir mit »Quer durch die Städte schreiben« schon das zweite Projekt abgeschlossen hatten, in dessen Rahmen wieder rund 70 Jugendliche zu Buchautoren wurden, und als unverhofft noch eine Bonuserzählung aus dem Projekt »Picknick im Park« Teil dieses zweiten Bandes wurde, dämmerte uns, dass uns die Grundidee noch durch viele andere Projekte begleiten würde.
»Endstation Emscher« ist ein waschechter Hellweg-Krimi: Denn das Projekt, in dem die Erzählung entstand, war 2014 Programmbestandteil des renommierten »Mord am Hellweg«-Festivals. 11 Jugendliche brüteten in den Herbstferien gemeinsam über der Geschichte. Inspiriert wurden sie durch eine Exkursion: Zwischen Dortmund und Unna erkundeten sie die Region per Hellweg-Bahn und machten Zwischenstopp in Holzwickede an der Emscherquelle. Am ersten Workshoptag im Nicolaihaus in Unna beschlossen die Teilnehmer, darunter auch Stromabwärts- und Grenzgänger-Autoren, dass Detektiv Roman Malakoff, der in den ersten beiden Bänden eine Nebenrolle gespielt hatte, nun die tragende Rolle bekommen sollte – passend zum Krimi-Genre. Im Gespräch entwickelten sie gemeinsam den Plot der Geschichte, um an den weiteren Workshoptagen einzeln an Textfragmenten zu schreiben, die zusammengesetzt eine Erzählung ergeben, die genauso vielstimmig ist wie ihre Autoren. Vom Umfang her ist sie fast schon ein kleiner Roman geworden. Und so konnten die Jugendlichen das entstandene Werk bei der ExtraFahrt des »Mord am Hellweg«-Festivals dem Publikum auch nur in Auszügen präsentieren.
Wie nah sich die Fantasie unserer jungen Autoren dabei immer wieder an der Realität bewegt, zeigt sich in dieser Erzählung mit besonderer Traurigkeit. Im Januar diesen Jahres, Wochen also nachdem die Erzählung fertig gestellt war, berichtet die Presse von einem Toten, der in der Emscher in Castrop-Rauxel entdeckt wurde. Mord? Unfall? Suizid? Das sind die Fragen, die die Polizei bei ihren Ermittlungen stellt. Als unsere Jugendlichen diese Fragen dem Detektiv Malakoff in den Mund legten, konnten sie nicht ahnen, dass ihre Erzählung schon bald eine traurige Analogie im wahren Leben finden würde.
Sascha Pranschke und Sarah Meyer-Dietrich
Wehmütig blickte Roman Malakoff auf das Opfer. Es spiegelte das Grauen der vergangenen Nacht wider.
Seine Frau Sonja legte ihm die Hand auf die Schulter: »Ach, Roman! Ich weiß, wie viel er dir bedeutet hat. Komm, wir fahren nach Hause und ich mach uns dein Lieblingsessen, ein paar Kohlrouladen. Und danach gibt es ein schönes Stück Kuchen! Klingt doch gut, oder?«
Malakoff legte seine Hand auf ihre, die immer noch auf seiner Schulter lag, ließ Sonja einen traurigen Blick zukommen und sagte: »Keine Kohlrouladen.«
Sonja blickte ihren Mann, der sonst ein leidenschaftlicher Esser war, erstaunt an. »Keine Kohlrouladen?«, fragte sie. »Aber du willst doch Kuchen, richtig?«
Wieder blickte Malakoff sie mit traurigen Augen an: »Kein Kuchen.«
Sonjas Schock war nicht zu übersehen. Weder Kohlrouladen noch Kuchen? In der Hoffnung, sich verhört zu haben, fragte sie noch einmal: »Kein Kuchen?«
Malakoff schüttelte den Kopf: »Kein Kuchen.«
Diese ganze Sache schien ihn wirklich schwer mitgenommen zu haben. Sonja nahm ihre Hand von seiner Schulter, blieb aber neben ihm stehen. Vielleicht konnte sie ja doch noch etwas tun, das seinen Verlust mildern würde.
Malakoff wusste, dass er nicht stundenlang herumstehen konnte, und so tat er das einzig Richtige. Er nahm seine Kettensäge, um endlich aufzuräumen. Schließlich sah sein Schrebergarten nach der gestrigen Sturmnacht so entstellt aus wie die Kohlrouladen, die er einmal selbst zubereitet hatte.
Sonja ging zurück in die Gartenlaube, um eine Kuchenrezeptkollektion des Trauerns herzustellen, über die sie später mit Roman debattieren wollte. Wie im Bundestag. Allerdings würden sie diesen Stil nicht lange aufrechterhalten können, wenn sie noch heute zu einem Ergebnis kommen wollten.
Roman wollte sich zunächst an den Apfelbaum ranmachen – also, sich mit der Kettensäge ranmachen. Denn der Sturm letzte Nacht hatte ihn bis zu den Wurzeln herausgerissen und Roman ertrug den Anblick dieses Baums, der ihm so viel bedeutet hatte, einfach nicht mehr länger.
Doch gerade als er die Spuren dieses unfreiwillig bezahlten Tributs für den Sturm beseitigen und seinem Baum die letzte Ehre erweisen wollte, meinte das Handy sich wichtig machen zu müssen. Es lag auf dem Gartentisch. Erleichtert registrierte Roman, dass Sonja dran ging. Kaum hatte sie das Handy an ihr Ohr gelegt, rief sie auch schon: »Roman, deine Schwester will mit dir sprechen!«
»Sag ihr, ich rufe später zurück«, sagte Malakoff entnervt.
Sonja trat ein paar Schritte auf ihn zu und sagte: »Sie weint aber.«
»Warum?«, fragte Malakoff unwirsch. »Hat sie etwa auch einen Baum zu beerdigen?«
Sonja antwortete, indem sie ihm wortlos das Telefon reichte.
»Hey, Alexa, wie geht’s dir denn?«, fragte Malakoff betont fröhlich.
Im selben Moment nahm Sonja ihm wieder das Handy ab. Malakoff sah sie verstört an.
»Sie weint. Wie wird es ihr wohl gehen?«, fragte Sonja.
Da begriff er, dass seine Frage etwas unüberlegt gewesen war. Er nahm erneut das Telefon und versuchte es noch einmal. »Hey, was ist denn los?«, fragte er, diesmal mit bemüht ernster Stimme. Das Telefonat dauerte nur etwa eine Minute. Diese reichte aber vollkommen aus, um Malakoffs Miene in wahre Ernsthaftigkeit zu verwandeln und schließlich auch zu verfestigen.
»Ich komme, so schnell ich kann«, sagte Malakoff.
»Was ist denn los?«, fragte Sonja.
»Miroslav ist tot«, antwortete er.
Sonja sah ihn entsetzt an, atmete tief ein und sagte: »Beeil dich!«