{4}Liberty Market Ltd. ist erfunden,
aber ähnliche Organisationen gibt es.
Niemand, der mir bei der Entstehung
dieses Buches behilflich war, möchte erwähnt
werden, aber gedankt sei ihnen trotzdem.
Verpflichtet bin ich auch ›Kidnap and Ransom:
The Response‹ von Richard Clutterbuck.
{5}Kidnapping ist eine Tatsache des Lebens. War es immer, wird es immer sein. Das Erpressen von Lösegeld ist ein uralter Zeitvertreib, weniger riskant und zugleich lukrativer als Banküberfälle.
Kidnapping im Stil des zwanzigsten Jahrhunderts zeigt uns Züge und Flugzeuge voll Geiseln, das gemeinsame Sterben von Sportlern in München, den einsamen Tod bedeutender Männer. Unstet sind alle Kidnapper, doch die politische Spielart, die nach Macht und Publizität ebenso dürstet wie nach Geld, läßt selbst Treibsand wie Fels erscheinen.
Mir geht nichts über den einfachen Kriminellen, den Schurken, der zugreift und sagt, Geld her oder … Bei ihm weiß man doch mehr oder weniger, woran man ist.
Kidnapping, sehen Sie, ist mein Fach.
Meine Aufgabe als Teilhaber der Firma Liberty Market Ltd. besteht sowohl darin, gefährdete Personen zu beraten, wie sie sich vor einer Entführung am besten schützen können, als auch in der Hilfe bei Verhandlungen mit den Entführern nach erfolgtem Coup – damit das Opfer zu den günstigsten Bedingungen lebend zurückkommt.
Jede Form des Verbrechens ruft eine Gegenwehr hervor. Den Betrugs-, Drogen- und Morddezernaten könnte man das Entführungsdezernat hinzufügen. Nur ist dieses Dezernat nicht amtlich. Es arbeitet äußerst diskret … und oft sind wir es.
In Bologna war alles zu spät.
Ich bemühte mich, so still wie möglich zu stehen, während Wellen kalter Wut und heißer Angst an mir zerrten, daß ich hätte durchdrehen können.
Ich stand still … während ein Menschenleben, das vielleicht von mir abhing, bedenkenlos von anderen aufs Spiel gesetzt wurde. Stand still inmitten der Trümmer eines fast errungenen Erfolges, einer fast erwirkten Freiheit, einer schon greifbaren Rettung.
Die gefährlichste, heikelste Phase einer jeden Entführung ist die Übergabe des Lösegelds. In dem Moment, da es den Besitzer wechselt, muß irgend jemand irgendwie aus dem Dunkel heraustreten … und ein Entführer nähert sich seinem Wasserloch mit größerer Vorsicht als jedes Tier des Dschungels.
Ein Verdacht, eine Spur, schon der leiseste Hinweis auf Beobachter reicht aus, daß er die Beine in die Hand nimmt und davonrennt. Danach, wenn die Angst in ihm gärt und seine Rachgier entbrennt, wird er am ehesten töten. Die Übergabe zu verpatzen heißt, die Gefahr für das Opfer hundertfach höherschrauben.
Alessia Cenci, dreiundzwanzig Jahre alt, war zu dem Zeitpunkt bereits seit fünf Wochen, drei Tagen, zehn Stunden in den Händen der Entführer, und nie war sie näher daran gewesen, ihr Leben zu verlieren.
{8}Enrico Pucinelli kletterte mit grimmigem Gesicht durch die Hecktür des Krankenwagens, in dem ich stand – ein Transporter, genauer gesagt, der von außen wie ein Krankenwagen aussah, dessen dunkel getönte Fenster jedoch eine Bank, einen Stuhl und eine Masse elektronischer Ausrüstung im Innern verbargen.
»Ich hatte dienstfrei«, sagte er. »Diese Befehle kamen nicht von mir.«
Er sprach italienisch, aber mir zuliebe langsam. Als Männer verstanden wir uns sehr gut. Als Dolmetscher, die wir beide die Sprache des anderen besser verstanden, als wir sie sprechen konnten, brauchten wir Zeit. Wir redeten sehr artikuliert miteinander, jeder in seiner Muttersprache, und hörten aufmerksam zu; wenn nötig, baten wir um Wiederholung.
Er war der Carabinieri-Offizier, der die amtlichen Ermittlungen leitete. Den Erfordernissen äußerster Vorsicht und minimalen sichtbaren Einsatzes hatte er durchweg zugestimmt. Vor der Villa Francese, in der Paolo Cenci bleich auf Nachricht von seiner Tochter wartete, war nie ein heraldisch geschmücktes Fahrzeug mit hektisch kreisendem Blaulicht erschienen. Nirgends war ein Uniformierter in das Blickfeld feindlicher Augen gerückt. Nicht, solange Pucinelli es hatte verhindern können.
Wir waren uns einig gewesen, daß es in erster Linie auf die Sicherheit des Mädchens ankam und erst in zweiter auf das Ergreifen der Kidnapper. Längst nicht jeder Polizeibeamte sah das in dieser Reihenfolge; die Jagdinstinkte vieler Gesetzeshüter werden allein durch das Aufbringen ihrer Beute befriedigt.
Leider hatte Pucinellis diensttuender Kollege an diesem verhängnisvollen Abend, als er plötzlich die Chance erkannte, relativ leicht über die Kidnapper herzufallen, wenn sie das Lösegeld abholten, keinen Grund gesehen, sich zurückzuhalten. In die sommerlich schwüle Dunkelheit, in den sorgfältig ausgehandelten, geduldig abgedämpften Moment der größten Ruhe {9}hatte er seinen Stoßtrupp preschen lassen: fuchtelnde Gummiknüppel, Stimmengewirr, blendende Scheinwerfer, ominös zum Nachthimmel erhobene Pistolen, Sirenengeheul … die ganze moralische Aggressivität einer gerechten Armee in wilder Verfolgung.
Von dem Krankenwagen aus, der weit entfernt auf der Straße stand, hatte ich ungläubig, mit ohnmächtigem Zorn zugesehen, wie es geschah. Mein Fahrer hatte fluchend den Motor angelassen und uns im Schleichtempo näher an den Tumult herangebracht, und wir hatten beide recht deutlich die Schüsse gehört.
»Man bedauert es«, sagte Pucinelli steif, mich beobachtend.
Darauf hätte ich wetten können. So viele Carabinieri waren auf der schlecht beleuchteten Seitenstraße in Aktion gewesen, daß sie in der Ungewißheit, wo sie genau suchen sollten, ihr Ziel vollends verfehlt hatten. Zwei dunkelgekleideten Männern war es gelungen, mit dem Koffer, der den Gegenwert von sechshundertfünfzigtausend Pfund enthielt, ein verstecktes Fahrzeug zu erreichen, es zu starten und davonzufahren. Zweifellos war die Aufmerksamkeit der Gesetzeshüter, wie auch die meine, zu sehr auf den Anblick des jungen Mannes konzentriert gewesen, der kopfüber aus dem anderen Wagen kippte. Es war der Wagen, den man die ganze Zeit über deutlich hatte sehen können; der Wagen, in dem das Lösegeld zu diesem verpfuschten Rendezvous gebracht worden war.
Der junge Student, Sohn eines Rechtsanwalts, war niedergeschossen worden. Ich sah das leuchtende Rot auf seinem Hemd, das schwache Flattern seiner Hand, und ich dachte daran, wie wach und zuversichtlich er bei unserem Gespräch war, ehe er aufbrach. Er sei sich über das Risiko im klaren, hatte er gesagt, er werde ihre Anweisungen unbedingt befolgen, und er werde mich über Funk direkt vom Wagen zur Ambulanz auf dem laufenden halten. Gemeinsam hatten wir den winzigen, im Griff des Lösegeldkoffers eingenähten Sender in Betrieb gesetzt. Wir {10}hatten uns vergewissert, daß er korrekt als Zielgeber funktionierte und seine Botschaften das Radargerät im Krankenwagen erreichten.
Im Innern des Krankenwagens zeigte eben dieses Suchgerät unverkennbar, daß der Koffer auf dem Marsch war und sich rasch entfernte. Ich hätte ohne Zweifel die Kidnapper entkommen lassen, denn das war für Alessia am sichersten, aber einer der Carabinieri hatte im Vorübergehen das Echozeichen erblickt. Aufgeregt lief er zu dem bulligen Mann mit der Trillerpfeife, der den Einsatz zu leiten schien. Durch den Lärm brüllte er ihm etwas zu und wies mit dem Finger auf unseren Wagen.
In unschlüssiger Verwirrung sah der Beamte gequält zu uns herüber und kam dann im Laufschritt auf mich zu. Den dicken Kopf im Fenster der Fahrerkabine, starrte er stumm auf den Radarschirm, wo er unfehlbar die schlechte Neuigkeit ablas. Der Schweiß brach ihm aus.
»Verfolgen!« sagte er heiser zu meinem Fahrer und wischte mein Bemühen, ihm auf italienisch mitzuteilen, warum er nichts dergleichen tun solle, beiseite.
Der Fahrer hatte resigniert die Achseln gezuckt. Mit einem Ruck waren wir unterwegs gewesen, begleitet von einem wahren Aufgebot jaulender Fahrzeuge, deren Gekreisch die leeren Straßen des von den Arbeitern längst verlassenen Industrieviertels erfüllte.
»Seit Mitternacht«, sagte Pucinelli, »tue ich Dienst. Ich führe wieder den Befehl.«
Düster sah ich ihn an. Der Krankenwagen stand jetzt mit abgestelltem Motor auf einer breiteren Straße. Das Peilgerät zeigte eine konstante Spur und lokalisierte den Koffer in einem modernen Wohnblock der unteren Einkommensklasse. Vor dem Gebäude stand im Winkel zur Straßenkante ein unscheinbarer schwarzer Wagen, dessen überhitzter Motor langsam abkühlte. Um ihn herum bildeten die Polizeiautos, mit offenen Türen und {11}flammenden Scheinwerfern, eine Art Schranke. Ihre Insassen lagen mit schußbereiter Waffe in Deckung.
»Wie Sie sehen, halten sich die Entführer in der vorderen Wohnung im dritten Stock auf«, sagte Pucinelli. »Sie haben die Wohnungsinhaber als Geiseln genommen und sagen, sie würden die Leute umbringen, wenn wir ihnen keinen freien Abzug geben, und auch Alessia Cenci würde mit Sicherheit sterben.«
Ich hatte sie das alles aus dem offenen Fenster schreien gehört, die Wiederholung war kaum notwendig.
»Binnen kurzem wird das Abhörgerät in Position sein.« Pucinelli sah unbehaglich in mein starres Gesicht. »Und bald können wir das Telefon mithören. Wir haben Leute oben auf der Treppe. Die nageln sie fest.«
Ich schwieg.
»Meine Männer behaupten, Sie hätten die Entführer laufenlassen wollen … mitsamt dem Geld.«
»Das stimmt.«
Wir sahen uns ohne Lächeln an, wie Feinde fast, dabei vor kurzem noch Verbündete. Er war dünn und so ungefähr um die Vierzig. Dunkel, leidenschaftlich und energisch. Als Kommunist in einer kommunistischen Stadt mißbilligte er den Kapitalisten, dessen Tochter in Gefahr war.
»Sie hatten auf den Jungen, der den Wagen fuhr, geschossen«, sagte er. »Wir konnten sie unmöglich entkommen lassen.«
»Der Junge hat sein Glück versucht. Das Mädchen muß noch immer gerettet werden.«
»Ihr Engländer«, meinte er. »Immer cool.«
Der Zorn in mir würde Asbest versengt haben. Wenn seine Männer nicht ihren mißlungenen Hinterhalt gelegt hätten, wäre auf den Jungen gar nicht erst geschossen worden. Er wäre unversehrt ausgestiegen und hätte, wie angewiesen, das Lösegeld im Auto zurückgelassen.
Pucinelli wandte seine Aufmerksamkeit der Bank mit den {12}Funkgeräten zu. »Ich lasse einen Mann für den Empfang kommen«, sagte er. »Ich werde auch hiersein. Sie können bleiben, wenn Sie wollen.«
Ich nickte. Es war zu spät, um sonst noch etwas zu tun.
Es hatte völlig meinem Instinkt und meiner Schulung widersprochen, mich auch nur in der Nähe des Übergabeortes für das Lösegeld aufzuhalten, doch Pucinelli hatte meine Anwesenheit dort verlangt, als Gegenleistung für die versprochene Abwesenheit seiner Truppe.
»Sie können unseren Wagen nehmen«, hatte er gesagt. »Unseren Funkwagen. Sieht aus wie eine Ambulanz. Sehr diskret. Das läßt sich machen. Ich schicke Ihnen einen Fahrer. Wenn die Entführer den Koffer haben, folgen Sie ihnen. Sie geben uns Bescheid, wo sie sich versteckt halten. Wenn das Mädchen dann frei ist, nehmen wir sie fest. Okay?«
»Wenn das Mädchen frei ist, werde ich Ihnen sagen, wohin sie das Geld gebracht haben.«
Er hatte leicht die Augen zusammengekniffen, mir aber auf die Schulter geklopft und zustimmend genickt. »Zuerst das Mädchen.«
Da man nie genau wußte, wann die Kidnapper die Übergabeprozedur ins Rollen bringen würden, hatte Pucinelli den Transporter vorsorglich in der Garage der Villa Francese abgestellt. Der Fahrer wohnte im Haus. Vier Tage nach unserem Signal an die Kidnapper, daß die vereinbarte Summe beschafft sei und für sie bereitliege, hatten sie ihre Lieferbedingungen übermittelt. Wie zwischen Pucinelli und mir abgesprochen, hatte ich seine Dienststelle wegen der bevorstehenden Auslösung angerufen.
Pucinelli war nicht da gewesen, wir hatten aber für diesen Fall vorgeplant. In Basis-Italienisch hatte ich gesagt: »Hier ist Andrew Douglas. Melden Sie bitte Enrico Pucinelli unverzüglich, daß der Krankenwagen losfährt.«
Die Stimme am anderen Ende hatte gesagt, sie verstehe.
{13}Jetzt wünschte ich von ganzem Herzen, ich hätte mein Versprechen, Pucinelli zu informieren, nicht gehalten; aber Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizei war einer der obersten Grundsätze der Firma.
Pucinellis Vertrauen zu mir, stellte sich nun heraus, war nicht gar so groß gewesen. Vielleicht hatte er geahnt, daß ich lieber die Fährte des Koffers verlieren würde, als meine Gegenwart am Ort der Übergabe zu verraten. Jedenfalls konnte von seinem Dienstfahrzeug aus sowohl der Peilsender im Koffer wie auch ein weiterer in dem Transporter verfolgt werden. Der diensttuende Kollege hatte aber auf meine Nachricht hin Pucinelli nicht verständigt. Er war einfach blind mit einem schweren Überfallkommando und Pucinellis Dienstwagen ausgerückt, um sich mit Ruhm zu bedecken. Dummer Eigensinn, menschliches Versagen, die Folgen konnten tödlich sein.
Wie, in Gottes Namen, sollte ich es Paolo Cenci sagen? Und wer würde es dem Rechtsanwalt beibringen, daß es seinen Sohn erwischt hatte?
»Der Junge, der den Wagen fuhr, lebt er?« fragte ich Pucinelli.
»Er wurde ins Krankenhaus überführt. Als sie ihn abholten, lebte er noch. Mehr weiß ich nicht.«
»Man muß seinen Vater benachrichtigen.«
Pucinelli sagte grimmig: »Das ist veranlaßt. Ich habe jemand hingeschickt.«
Dieser Schlamassel, dachte ich, wird dem Ruf der Firma gar nicht guttun. Es war unbedingt meine Aufgabe, eine Entführung möglichst still und leise bereinigen zu helfen, mit dem geringsten Aufsehen und minimalem Aufwand. Mein Job war es, Ruhe zu schaffen, zu planen, abzutasten, mit wie wenig sich ein Kidnapper begnügen würde. Die Verhandlungen mußten in einem ruhigen, geschäftsmäßigen Klima erfolgen, man mußte feilschen ohne Zorn; das Timing mußte stimmen. Mein oberstes Ziel war es, das Opfer heil nach Hause zu bringen.
{14}Bisher war ich bei fünfzehn Entführungen der Berater vor Ort gewesen. Manchmal hatte es nur Tage, manchmal Wochen, manchmal Monate gedauert. Hauptsächlich weil Entführer ihre Opfer in der Regel unversehrt freilassen, wenn erst das Lösegeld in ihren Händen ist, hatte ich bislang keine Katastrophe miterlebt. Bei Alessia Cenci, die als eine der besten Rennreiterinnen der Welt galt, sah es ganz danach aus, als bahnte sich die erste an.
»Enrico«, sagte ich, »sprechen Sie nicht selbst mit den Entführern. Holen Sie jemand anders, der Entscheidungen mit Ihnen absprechen muß.«
»Weshalb?« fragte er.
»Das bringt Ruhe in die Sache. Nimmt Zeit in Anspruch. Je länger Sie reden, desto weniger wahrscheinlich ist es, daß sie die Leute in der Wohnung umbringen.«
Er betrachtete mich kurz. »Also gut. Beraten Sie mich. Es ist ja Ihr Job.«
Wir waren allein in dem Transporter. Wahrscheinlich schämte er sich sehr wegen des Fehlschlags seiner Mannschaft, sonst hätte er einen solchen Prestigeverlust nicht stillschweigend zugegeben. Schon bald nach meiner Ankunft in der Villa war mir klargeworden, daß er es als leitender Beamter noch nie mit einer wirklichen Entführung zu tun gehabt hatte, obwohl, wie er betonte, alle Carabinieri theoretisch im Umgang mit Entführungen geschult wurden, da es ein in Italien bedauerlich häufig verübtes Verbrechen war. Bis zu dieser Nacht hatten sich seine Theorie und meine Erfahrung ganz gut vertragen, und er wollte offenbar, daß das Bündnis bestehen blieb.
Ich sagte: »Rufen Sie direkt von hier aus in der Wohnung an. Erklären Sie den Entführern, daß Sie Verhandlungen in die Wege leiten. Daß es noch dauern kann. Wenn ihnen die Zeit zu lang wird, sollen sie Sie anrufen. Geben Sie ihnen die Nummer … Es ist doch ein Anschluß hier im Wagen?«
{15}Er nickte. »Wir werden gerade verbunden.«
»Wenn sich ihr Puls erst mal beruhigt hat, stabilisiert sich auch die Lage. Setzt man sie von vornherein zu sehr unter Druck, könnten sie noch einmal schießen.«
»Und meine Männer würden feuern …« Er kniff halb die Augen zu und ging hinaus. Dann konnte ich hören, wie er durch ein Megaphon zu seinen Leuten sprach. »Nicht schießen. Ich wiederhole, nicht schießen. Warten Sie auf meine Befehle.«
Wenig später kam er in Begleitung eines Mannes zurück, der ein Kabel ausrollte. »Techniker«, sagte er knapp.
Der Techniker schloß das Kabel an einen der Schaltkästen an und reichte Pucinelli ein Gerät, das aussah wie ein Mittelding zwischen Hörer und Mikrophon. Es hatte eine Direktverbindung zu dem Telefon in der Wohnung, denn nach einer kurzen Pause unterhielt sich Pucinelli offensichtlich mit einem der Entführer. Der Techniker schnitt jedes Wort mit.
Das Italienisch war zu idiomatisch für meine Ohren, aber ich bekam zumindest den Tonfall mit. Das fast hysterische Gebrüll des Kidnappers ließ dank der entschlossenen Ruhe Pucinellis allmählich nach und endete in einer leichter zu meisternden Erregung. Auf die letzte, ungestüme Frage erwiderte Pucinelli nach einer Pause langsam und deutlich: »Dazu bin ich nicht ermächtigt. Ich muß mich an meine Vorgesetzten wenden. Bitte warten Sie auf deren Antwort.«
Eine drohend gebrummte Zustimmung folgte, dann wurde mit einem Klicken aufgelegt.
Pucinelli fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und warf mir ein winziges Lächeln zu. Belagerungen konnten sich über Tage hinziehen. Das wußte er wohl, aber immerhin hatte er die Verbindung hergestellt, den ersten wichtigen Schritt getan.
Er warf einen Blick auf den Techniker. Ich erriet, daß er mich fragen wollte: Was nun? Wegen des Technikers und seiner Aufzeichnungen konnte er nicht.
{16}Ich sagte: »Sicher werden Sie bald Scheinwerfer auf diese Fenster richten, damit sich die Entführer ausgeliefert fühlen.«
»Sicher.«
»Und wenn sie sich in ein, zwei Stunden nicht ergeben, holen Sie bestimmt jemand her, der sich im Verhandeln auskennt. Der mit ihnen reden soll. Einen Gewerkschaftler vielleicht. Und danach einen Psychiater, der die geistige Verfassung der Entführer abschätzt und Ihnen sagt, wann der geeignetste Moment da ist, sie massiv unter Druck zu setzen, damit sie herauskommen.« Ich zuckte mißbilligend die Achseln. »Es ist Ihnen natürlich bekannt, daß diese Methoden bei anderen Geiselnahmen gute Erfolge gebracht haben.«
»Natürlich.«
»Außerdem könnten Sie ihnen freilich auch sagen, daß sie, falls Alessia Cenci stirbt, nie wieder aus dem Gefängnis herauskommen.«
»Der Student … sie werden wissen, daß sie ihn erwischt haben …«
»Wenn man Sie fragt, werden Sie doch sicher sagen, daß er noch lebt. Dabei werden Sie auf jeden Fall bleiben, auch wenn er stirbt. Die sollen ja nicht glauben, sie hätten nichts zu verlieren.«
Plötzlich sprudelte eine Stimme aus einem der bisher stummen Empfangsgeräte. Der Techniker und Pucinelli fuhren herum und hörten angespannt hin. Es war eine Frauenstimme, brabbelnd, weinend, für mich fast unverständlich, aber im Kern wiederum klar genug.
Die rauhe Stimme des Kidnappers durchschnitt das Gebrabbel, viel zu wütend, um irgendwen in Sicherheit zu wiegen. Eine Kinderstimme heulte auf, und eine andere rief: »Mama! Papa! Mama!«
»Herrgott«, sagte Pucinelli, »Kinder! Es sind auch Kinder dabei.« Der Gedanke entsetzte ihn. In diesem einen Augenblick sorgte er sich mehr um sie als in den ganzen fünf Wochen um das {17}entführte Mädchen. Zum erstenmal sah ich wirkliche Betroffenheit in seinem olivfarbenen Gesicht. Er lauschte gebannt dem Durcheinander der Stimmen, die jetzt aus dem Abhörgerät vor der Wohnung zu uns drangen. Schließlich, herausgelöst aus dem Stimmengewirr, schrie ein Kidnapper die Frau an, sie solle den Kindern ein paar Kekse geben, damit sie still seien, sonst würde er sie eigenhändig aus dem Fenster werfen.
Die Drohung wirkte. Relative Stille trat ein. Pucinelli nutzte die Gelegenheit, über Funk rasche Order an seine Zentrale zu geben. Er forderte Suchscheinwerfer, Unterhändler und Psychiater an. Dabei sah er abwechselnd zu den Fenstern im dritten Stock hinauf und auf die vollgestopfte Straße. Beides erschien durch das abgetönte Glas des Transporters unwirklich trüb. Allerdings nicht so trüb, daß er etwas übersehen hätte, das ihm gehörig mißfiel. Mit einem Fluch stürzte er aus dem Wagen. Ich entdeckte den Grund seiner Aufregung und hätte ebenfalls fluchen können. Ein Fotograf mit Blitzlicht war aufgetaucht, das erste Kontingent der Presse.
Die nächste Stunde hindurch lauschte ich den Stimmen aus der Wohnung, die ich nach und nach in Vater, Mutter, zwei Kinder, ein Baby und zwei Kidnapper sortierte; der eine, der am Telefon gesprochen hatte, ein brummender Baß, der andere ein eher ängstlicher Tenor.
Der Tenor, dachte ich, würde sich eher ergeben, der Baß würde eher zum Killer. Bewaffnet waren sie beide, wie sich herausstellte.
Der Techniker sprach zwischendurch rasch mit Pucinelli, der mir zuliebe alles noch einmal langsam wiederholte: Die Kidnapper hatten die Mutter mit den drei Kindern in ein Zimmer gesperrt und davon gesprochen, daß der Vater gefesselt war. Der Vater stöhnte ab und zu und wurde barsch aufgefordert, dies zu lassen.
Auf der Straße wuchs die Menschenmenge von Minute zu {18}Minute an. Es schien, als hätten alle Mietshäuser in der Nachbarschaft sich geleert, um die Reihen der nicht zahlenden Zuschauer zu füllen. Noch um zwei Uhr morgens durchkreuzten Scharen von Kindern jeden Versuch der Carabinieri, sie zurückzuhalten. Immer mehr Fotoapparate tauchten auf und fingen die jetzt geschlossenen Fenster ein, hinter denen dramatischerweise der Entführer mit dem Tenor sich soeben bereit erklärte, die Flasche für das Baby in der Küche aufzuwärmen.
Ich knirschte mit den Zähnen, als nun auch noch ein Ü-Wagen des Fernsehens anrollte. Mit Lampen, Kameras und Mikrophon bewaffnet, sprangen die Insassen ins Freie, nahmen sofort erste Interviews auf und posaunten hinaus, was sie nur wußten.
Die Entführung Alessia Cencis war bis dahin eine leise Angelegenheit gewesen. Die erste Schocknachricht über ihr Verschwinden hatte zwar Schlagzeilen gemacht, aber nur kurz, denn die meisten Zeitungsredakteure sehen ein, daß es todbringend sein kann, Reporter auf derartige Stories anzusetzen. Eine Belagerung auf offener Straße hingegen ist dem einen recht, dem anderen billig. Zynisch fragte ich mich, wie lange es wohl dauern würde, bis einer der rehbraun uniformierten Gesetzeshüter sich die Auskunft vergüten ließ, wessen Lösegeld da oben im dritten Stock eigentlich verbarrikadiert war.
Ich merkte, wie ich mechanisch eine Art Gedächtnisfoto aufnahm, ein deutliches Standfoto von der bewegten Szene draußen. Das war eine später bewußt weiterentwickelte Angewohnheit aus meiner Kinderzeit. Ein Spiel, um mir die Langeweile zu vertreiben, wenn meine Mutter mich im Auto hatte sitzen lassen, während sie einkaufen ging. Besonders beliebtes Objekt meiner Beobachtung war immer die Sparkasse. Auf Breitband hielt ich alles fest, damit ich, falls irgendwelche Bankräuber herausgestürmt wären, in der Lage gewesen wäre, der Polizei jedes Auto, das in der Nähe geparkt hatte, samt Marke, Farbe und Kennzeichen zu beschreiben, und alle Leute, die {19}gerade auf der Straße gewesen waren, gleich mit. Fluchtwagen und ihre Fahrer wären dem Adlerauge des zehnjährigen Andrew D. unmöglich entgangen.
Nie tat ein Bankräuber mir den Gefallen, auch nie ein flinker Juwelendieb. Ich ertappte keine Kindesräuberin bei den Kinderwagen vor der Bäckerei, keinen Rowdy, der alten Leutchen ihren Geldbeutel entriß, nicht einen Autodieb, der an verschlossenen Wagentüren herumprobierte. Viele unschuldige Menschen hatte ich dem strengen Argwohn meines Blickes unterworfen – und obwohl ich die Hoffnung, wirklich einmal ein Verbrechen zu beobachten, schließlich fahren ließ, war die Fähigkeit der Erinnerung anhand von Standfotos mir geblieben.
So hatte ich jetzt, nach einigen Augenblicken der Konzentration, ein absolut klares Bild im Kopf. Die Zahl der Fenster im gegenüberliegenden Wohnblock hätte ich angeben können, die Position jedes einzelnen Polizeiwagens, die Bekleidung der Fernsehcrew, den Standort jedes Zivilisten innerhalb des Polizeikordons, sogar das Profil des nächsten Pressefotografen, der zwei Kameras umhängen hatte, im Moment aber nichts aufnahm. Sein Kopf war ziemlich rund, mit glattem schwarzem Haar, und er trug eine braune Lederjacke mit goldenen Schnallen an den Ärmelaufschlägen.
Scharf ertönte ein Summer im Innern des Transporters. Pucinelli griff nach dem Hörer, der ihn mit dem Telefon in der Wohnung verband. Der Entführer mit der Baßstimme, durch das Warten gereizt, forderte Taten; forderte im besonderen den freien Abzug zum Flughafen und eine leichte Maschine, die ihn und seinen Kollegen mitsamt dem Lösegeld ausfliegen sollte.
Pucinelli bat ihn wiederum zu warten, da dies nur seine Vorgesetzten in die Wege leiten könnten. Sie sollten sich verdammt beeilen, erwiderte der Baß. Man würde sonst am Morgen Alessia Cencis Leiche finden.
{20}Pucinelli hängte mit zusammengepreßten Lippen den Hörer ein.
»Ein Flugzeug gibt es nicht«, erklärte er mir rundheraus. »Das ist unmöglich.«
»Tun Sie, was sie verlangen«, drängte ich. »Einfangen können Sie sie später wieder, wenn das Mädchen frei ist.«
Er schüttelte den Kopf. »Diese Entscheidung kann ich nicht treffen. Nur die höchsten Stellen …«
»Dann fragen Sie sie!«
Der Techniker blickte bei meinen drängenden Worten neugierig auf. Pucinelli indessen überlegte und sah ein, daß es verlockende Vorteile hatte, wenn er die Entscheidung abwälzte. Starb das Mädchen, konnte man ihm daraus keine Schlinge drehen. Die Gedanken liefen sichtbar hinter seinen Augen ab und klärten sich. Er nickte.
Ich wußte nicht, ob seine Vorgesetzten die Kidnapper herauslassen würden oder nicht; ich wußte nur, daß Enrico es nicht konnte. Es war tatsächlich etwas für die hohen Tiere.
»Ich fahre mal zur Villa Francese zurück«, sagte ich.
»Aber wieso denn?«
»Hier werde ich nicht gebraucht, aber dort … vielleicht.« Ich zögerte einen Moment. »Ich bin mit dem Transporter hierhergekommen. Woher kriege ich um diese Zeit einen Wagen, der mich unauffällig zurückbringt?«
Zerstreut sah Enrico auf die Dienstwagen draußen. Ich schüttelte den Kopf. »Keinen davon.«
»Noch immer die Anonymität …?«
»Ja«, sagte ich.
Er schrieb etwas für mich auf eine Karte und gab mir Anweisungen. »Ein Nachttaxi, hauptsächlich für späte Zecher und untreue Ehemänner. Wenn es nicht da ist, warten Sie einfach.«
Ich stieg durch die Fahrkabine auf der dem Licht und dem Trubel der Straße abgewandten Seite aus. Drückte mich um die {21}Gaffer herum, löste mich vom Schauplatz, suchte die unbemerkten Schatten, den für meine Arbeit so normalen Bereich.
Eine Ecke weiter war der ganze Alptraum verschwunden. Schnell und aus langer Gewohnheit leise schritt ich durch die schlafenden, noch sommerlich warmen Straßen, ohne die Stille zu stören. Der Taxistand befand sich jenseits des alten Marktplatzes, wo ich, beeindruckt von der eigentümlichen Atmosphäre, ein wenig langsamer ging.
Irgendwo in dieser uralten Stadt oder ihrer Umgebung war eine wehrlose junge Frau höchster Gefahr ausgesetzt. Es schien mir, als verkörperten die turmhohen Mauern mit ihren glatten, undurchdringlichen Fassaden die ganze Härte und Unerbittlichkeit derer, die Alessia Cenci gefangenhielten.
Die beiden jetzt belagerten Kidnapper waren lediglich die Kassierer. Es gab noch andere. Zumindest waren noch Wachen bei ihr. Und dazu, ahnte ich, kam der Mann, dessen Stimme fünf lange Wochen hindurch Anweisungen erteilt hatte, der Mann, den ich mir als IHN dachte.
Ich fragte mich, ob er wußte, was bei der Übergabe geschehen war. Ob er schon von der Belagerung gehört hatte und wußte, wo sich das Lösegeld befand.
Vor allem fragte ich mich, ob er in Panik geraten würde.
Alessia hatte dann keine Zukunft mehr.
Paolo Cenci tat, was ich mir versagt hatte: Er lief auf den Fliesen zwischen den Säulen seiner Eingangshalle auf und ab, getrieben von unerträglicher Spannung. Als er mich von der Küche über den Flur kommen sah, unterbrach er seine automatenhaften Schritte, hob den Kopf und eilte auf mich zu.
»Andrew!« Sein Gesicht war grau in der elektrischen Beleuchtung. »Was in Gottes Namen ist passiert? Giorgio Traventi rief an, man habe auf seinen Sohn geschossen. Sein Anruf kam aus der Klinik. Lorenzo wird gerade operiert.«
»Haben die Carabinieri Sie nicht …?«
»Kein Mensch hat mir einen Ton gesagt! Ich drehe schon durch vor Angst. Vor fünf Stunden sind Sie und Lorenzo aufgebrochen. Seit fünf Stunden warte ich.« Seine rauhe Stimme bebte bei dem anmutig ausgesprochenen Englisch, die Erregung klang roh und ohne Scham durch. Er war sechsundfünfzig, ein starker Mann auf der Höhe seiner geschäftlichen Fähigkeiten, aber die letzten Wochen hatten entsetzliche Anforderungen an seine seelische Widerstandskraft gestellt. Oft zitterten ihm jetzt sogar die Hände. Ich sah so viel von dieser Verzweiflung in meinem Beruf. Ganz gleich wie vermögend, ganz gleich wie mächtig, die Familie des Opfers litt einfach im direkten Verhältnis zum Ausmaß ihrer Liebe. Alessias Mutter war tot: Alessias Vater stand Ängste aus für zwei. Mitfühlend zog ich ihn hinüber in die Bibliothek, wo er meistens abends saß. Mein Zorn muß deutlich gewesen sein, als ich ihm die Einzelheiten des Fiaskos schilderte. Er saß da mit dem Kopf in den Händen, als ich schloß, und nie hatte ich ihn den Tränen so nah gesehen.
{23}»Sie werden sie umbringen …«
»Nein«, sagte ich.
»Es sind Tiere.«
An bestialischen Drohungen hatte es in den vergangenen Wochen kaum gefehlt, so daß ich nicht widersprach. Die Körperverletzungen, die die Entführer in Aussicht gestellt hatten, falls Cenci ihren Anweisungen nicht nachkam, waren brutal darauf berechnet gewesen, den Willen eines jeden Vaters zu brechen. Dabei hatte ihn mein Hinweis, daß Drohungen gebräuchlicher waren als ihre Ausführung, nicht nennenswert getröstet. Seine Phantasie war zu rege, seine Furcht zu unbarmherzig wach.
Meine Beziehung zu den Familien der Opfer glich in etwa der eines Arztes – im Notfall gerufen, in einer erschreckenden, kritischen Situation befragt. Wunder wurden erhofft, Beistand ersehnt. Zu meiner ersten Soloberatung war ich ohne jede klare Vorstellung angetreten, wieviel Stahl in meinem Innern ich nötig haben würde, und auch nach vier Jahren noch brachten die Anforderungen, die man an meine Kräfte stellte, mich zum Schaudern. Nie gefühlsmäßig auf etwas einlassen, hatte man mir immer wieder während meiner Ausbildung gesagt; sonst gehst du aus dem Leim.
Ich war dreißig. Ich fühlte mich manchmal wie hundert.
Paolo Cencis hilflose Reaktion auf die Art und die Tragweite der Katastrophe schlug vor meinen Augen in Zorn um und, nicht unerwartet, in Groll gegen mich.
»Wenn Sie den Carabinieri nicht gesagt hätten, daß wir das Lösegeld übergeben wollen, wäre das nicht passiert. Es ist Ihre Schuld. Ihre! Wie erbärmlich! Ich hätte Sie niemals hinzuziehen sollen. Diese Leute haben mich ja von Anfang an gewarnt, sie würden, wenn ich die Carabinieri einschalte, Unaussprechliches anstellen mit Alessia. Aber ich habe mich von Ihnen überreden lassen, und das hätte ich nicht tun sollen. Ich hätte sofort das {24}Lösegeld bezahlen sollen, als sie es verlangten, dann wäre Alessia seit Wochen wieder frei.«
Ich widersprach ihm nicht. In seinem Kummer zog er es zwar vor, sich nicht daran zu erinnern, aber er wußte, daß es unmöglich gewesen war, die anfangs erhobene Lösegeldforderung zu erfüllen. So reich er sein mochte, ein Betrag von umgerechnet sechs Millionen Pfund Sterling entsprach dem Wert nicht nur seines gesamten Grundbesitzes, sondern außerdem eines Großteils seiner Geschäftsunternehmen. Auch hatten die Entführer, wie ich ihm eindringlich erklärt hatte, niemals erwartet, daß er soviel bezahlte. Sie wollten ihn einfach mit einem Riesenbetrag knüppeln, damit jedes bißchen weniger wie eine Erleichterung erschien.
»Alles, was Alessia zu leiden hat, ist Ihre Schuld.«
Ausgenommen vermutlich die Entführung selbst.
»Wenn Sie nicht wären, hätte ich sie zurückgeholt. Ich hätte bezahlt. Alles hätte ich bezahlt …«
Wer zuviel und zu früh zahlt, bringt Kidnapper auf den Gedanken, sie hätten die Mittel der Angehörigen unterschätzt. Das kann zur Folge haben, daß für das gleiche Opfer noch ein zweites Lösegeld erpreßt wird. Davor hatte ich ihn gewarnt, und er hatte es verstanden.
»Alessia ist mir mehr wert als alles, was ich besitze. Ich wollte bezahlen … Sie ließen es nicht zu. Ich hätte tun sollen, was ich für das beste hielt. Ich hätte alles darum gegeben …«
Sein Zorn sprudelte weiter, und verdenken konnte ich es ihm nicht. Die Angehörigen hatten oft das Gefühl, für die sichere Rückkehr desjenigen, den sie liebten, wäre buchstäblich kein Preis zu hoch. Aber ich hatte in den letzten vier Jahren eine ganze Menge über die unverhofften Seiten des Stresses gelernt. Ich hatte erkannt, wie wichtig es für den künftigen Bestand familiärer Beziehungen war, daß ein Mitglied die anderen nicht praktisch alles kostete. Nach der Anfangseuphorie und wenn {25}sich der finanzielle Verlust auszuwirken begann, wurde sonst die Last der Schuldgefühle für das freigekaufte Opfer zu groß und der Groll der Befreier zu stark. Sie bekamen dann ihrerseits Schuldgefühle wegen ihres Grolls, und schließlich konnten sie das Opfer, für das sie sich aus Liebe an den Bettelstab gebracht hatten, sogar hassen.
Das zukünftige Gleichgewicht eines Opfers zu retten war mir nach und nach ebenso wichtig geworden wie seine physische Freiheit, aber ich erwartete nicht, daß Paolo Cenci dieses Ziel im Augenblick zu schätzen wußte.
Das Telefon an seiner Seite klingelte. Es ließ ihn zusammenfahren. Er streckte die Hand aus, zögerte erst, nahm dann sichtlich allen Mut zusammen und hielt den Hörer an sein Ohr.
»Ricardo! … Ja … jawohl … ich verstehe. Sofort, ich bin gleich weg.« Er legte auf und erhob sich wie elektrisiert.
»Ricardo Traventi?« fragte ich, ebenfalls aufstehend. »Lorenzos Bruder?«
»Ich muß allein hin«, sagte er, aber ohne Nachdruck.
»Das kommt gar nicht in Frage. Ich werde Sie fahren.«
Schon seit meiner Ankunft vertrat ich Cencis Chauffeur, zünftig in dessen Mütze und marineblauem Anzug, während dieser dankbare Mann Urlaub machte. Es verlieh mir eine Unsichtbarkeit der Art, wie die Firma sie am geeignetsten fand. Kidnapper waren über einen Haushalt, den sie heimgesucht hatten, immer genau im Bilde, und ein neuer, allzu aufdringlicher Besucher hätte sie alarmiert. Ein Entführer war nervös wie ein pirschender Fuchs. Er sah schon Gefahren, wo es keine gab, geschweige denn, wo welche waren. Ich kam und ging durch den Dienstboteneingang in die Villa. Alles andere wäre zweifellos aufgefallen.
Cencis Zorn war so schnell verraucht, wie er aufgekommen war. Wir hatten noch eine Vertrauensbasis. Ich war auch um seinetwillen froh, daß er meine Anwesenheit weiter dulden {26}würde, fragte aber doch eher zurückhaltend: »Was hat Ricardo denn gesagt?«
»Sie haben angerufen …« Unnötig zu fragen, wer »sie« waren. »Sie« hatten die ganze Zeit über bei Traventi angerufen, um Nachrichten zu hinterlassen, denn daß die Gespräche in der Villa Francese abgehört wurden, verstand sich für sie von selbst. Daß auch das Telefon der Traventis mit der widerstrebenden Erlaubnis dieser Familie angezapft worden war, wußten sie offenbar nicht so genau.
»Ricardo sagt, wir müßten uns am gewohnten Ort mit ihm treffen. Er hat die Nachricht entgegengenommen, weil seine Eltern noch in der Klinik sind. Er möchte sie nicht damit behelligen. Er sagt, er kommt mit dem Motorroller.«
Cenci strebte bereits zur Tür hin, überzeugt, daß ich ihm folgen würde.
Ricardo, der jüngere Bruder Lorenzos, war erst achtzehn, und niemand hatte ursprünglich vorgehabt, die beiden Jungen mit hineinzuziehen. Giorgio Traventi als Rechtsanwalt hatte sich bereit erklärt, als Vermittler zwischen Paolo Cenci und den Entführern zu dienen. Er nahm Nachrichten entgegen, gab sie weiter und überbrachte zu gegebener Zeit die Antworten. Auch die Kidnapper hatten einen Unterhändler … IHN … mit dem Giorgio Traventi sprach.
Einige Male war Traventi aufgefordert worden, an einer bestimmten Stelle Päckchen abzuholen. Meistens, aber nicht immer, war es derselbe Ort, und dahin fuhren wir jetzt. Es war nicht nur der Briefkasten geworden für die Beweise, daß Alessia noch lebte, und für ihre flehentlichen Bitten und SEINE Forderungen oder schließlich, am frühen Abend dieses Tages, für die Anweisungen, wohin das Lösegeld zu bringen sei. Es war auch der Ort, wo sich Giorgio Traventi mit Paolo Cenci traf, damit sie unter vier Augen sprechen konnten. Sie waren beide nicht allzu glücklich darüber gewesen, daß die Carabinieri am Telefon jedes {27}Wort mithörten. Im nachhinein mußte ich ihrem Instinkt recht geben.
Ironischerweise war Giorgio Traventi von Cenci und seinem Hausanwalt zu Beginn einfach deshalb hinzugezogen worden, weil Traventi mit der Familie Cenci nicht gut bekannt war und daher ruhig in ihrem Namen handeln konnte. Seitdem hatte es sich die ganze Familie Traventi in den Kopf gesetzt, Alessia herauszuholen, und zuletzt hätte nichts mehr Lorenzo davon abbringen können, selbst zu fahren und das Lösegeld zu übergeben. Ich hatte ihre zunehmende emotionelle Beteiligung – eben das, wovor man mich selbst gewarnt hatte, nicht gutgeheißen, sie aber auch nicht verhindern können. Die Traventis waren resolute Leute und starke Verbündete für Cenci, der sie so dringend brauchte.
Tatsächlich waren die Verhandlungen bis zu dem Hinterhalt der Carabinieri, soweit das bei einer Entführung möglich ist, glatt verlaufen. Die Forderung von sechs Millionen war heruntergeschraubt worden auf ein Zehntel der Summe. Und Alessia hatte – wenigstens an diesem Nachmittag – noch gelebt. Sie war unversehrt und gesund gewesen, hatte aus der Zeitung vom Tage auf Band vorgelesen und gesagt, es gehe ihr gut.
Der einzige Trost, dachte ich, als ich Cenci in seinem Mercedes zu dem Treffen mit Ricardo fuhr, war jetzt, daß die Entführer noch redeten. Jede Nachricht war besser als eine Leiche im Graben.
Der Treffpunkt war sorgfältig ausgewählt – von IHM. Selbst wenn die Carabinieri genügend Zivilfahnder gehabt hätten, um dort wochenlang Tag und Nacht zu observieren, hätten sie die Übermittlung der Nachricht noch verpassen können. Und es lag auf der Hand, daß dies auch mindestens einmal geschehen war. Um in der Phase der schärfsten Überwachung Verwirrung zu stiften, waren die Nachrichten woanders übermittelt worden.
Unser Ziel war ein Autobahnrestaurant einige Meilen {28}außerhalb Bolognas, wo selbst nachts Leute kamen und gingen, anonyme Reisende, die man gleich wieder vergaß, zu jeder Stunde jedes Tages andere. Carabinieri, die zu lange bei einem Kaffee saßen, waren leicht herauszugreifen.
Nachrichten von IHM wurden in der Tasche eines billigen grauen Plastik-Regencapes hinterlassen, das an einem Garderobenhaken der Gaststätte hing. Jeder, der das Selbstbedienungsrestaurant betrat oder hinausging, kam an der Garderobe vorbei, und wir nahmen an, daß sich das unscheinbare Kleidungsstück jeweils schon an seinem Platz befand, ehe der Anruf kam, daß eine Nachricht abzuholen sei.
Traventi hatte jedesmal das Cape mitgenommen, aber es hatte nie einen nützlichen Hinweis erbracht. Die Marke gab es überall in der Gegend zu kaufen als handlichen, im Taschenformat verpackten Schutz gegen plötzliches Unwetter. Die Carabinieri hatten bisher vier aus dem Restaurant geholte Regenmäntel bekommen, dazu den einen vom Flughafen und den von der Bushaltestelle. Alle waren neu gewesen, geknittert, frisch ausgepackt – sie hatten nach den Chemikalien gerochen, aus denen sie hergestellt wurden.
Die Nachrichten waren alle auf Tonband gesprochen. Normale Kassetten, wie es sie überall zu kaufen gab. Nirgendwo Fingerabdrücke. Alles überaus vorsichtig; alles eben professionell.
Jedes Band hatte einen Beweis dafür enthalten, daß Alessia noch lebte. Jedes Band enthielt Drohungen. Jedes Band war eine Antwort auf Traventis jüngstes Angebot. Ich hatte ihm geraten, zuerst nur zweihunderttausend anzubieten, eine Summe, die IHN zu echtem oder vorgetäuschtem Zorn hinriß. In harten Verhandlungen war die Kluft zwischen Forderung und Glaubwürdigkeit allmählich geschlossen worden. Das Lösegeld mußte hoch genug sein, daß es SEINE Mühe lohnte, durfte Cenci aber nicht völlig lahmlegen. Als in dieser Hinsicht beide {29}einigermaßen zufrieden sein konnten, hatte man sich auf den Betrag geeinigt.
Das Geld war abgehoben worden: italienische Währung in gebrauchten Scheinen, mit Gummi gebündelt und in einen Koffer verpackt. Wenn es sicher abgeliefert war, sollte Alessia die Freiheit erlangen.
Sicher abgeliefert … Ihr Götter.
Das Autobahnrestaurant lag etwa auf halber Strecke zwischen Bologna und der Villa Francese, die mit ihren Türmchen in ländlichidyllischem Glanz an einem kleinen Südhang stand. Tagsüber war die Straße stark befahren, aber jetzt, um vier Uhr früh, trafen nur wenige vereinzelte Lichtkegel auf unseren Wagen. Cenci saß schweigend neben mir, den Blick auf der Straße und in Gedanken Gott weiß wo.
Ricardo war mit seinem Motorroller vor uns auf dem Parkplatz angelangt, obwohl er einen eher weiteren Weg hatte. Wie sein Bruder war er selbstbewußt und intelligent. Die Angriffslust wegen der Schüsse, die gefallen waren, stand in seinen Augen, sprach aus seinem ganzen Körper. Mit vorspringendem Kinn und zusammengepreßten Lippen kam er zum Mercedes herüber, als wir eintrafen, und kletterte auf den Rücksitz.
»Diese Schweine«, stieß er hervor. »Lorenzos Zustand ist kritisch, sagt Papa.« Er sprach italienisch, aber deutlich wie seine ganze Familie, die ich fast immer verstand.
Paolo Cenci machte im Gedanken an das Kind anderer Eltern eine bekümmerte Geste mit den Händen. »Wie lautet die Nachricht?« fragte er.
»Sie sollen hier an den Telefonzellen warten. Er sagte, ich solle Sie holen, damit er Sie selbst sprechen kann. Keinen Vermittler, sagte er. Er hörte sich böse an, sehr böse.«
»War es wieder der gleiche Mann?« fragte ich.
»Scheint so. Ich kenne zwar seine Stimme von den Tonbändern, aber ich habe noch nie mit ihm direkt gesprochen. Papa {30}verhandelte ja immer mit ihm. Bis heute nacht wollte er mit niemandem sprechen außer mit Papa, ich sagte ihm aber, der sei im Krankenhaus bei Lorenzo und würde bis zum Morgen dableiben. Zu spät, meinte er. Ich müßte die Nachricht selbst weitergeben. Er sagte, daß Sie, Signor Cenci, allein sein müßten. Noch mal Carabinieri, und Sie würden Alessia nicht wiedersehen. Sie bekämen nicht einmal ihren Leichnam zurück.«
Cenci zitterte neben mir. »Ich bleibe im Wagen«, sagte ich. »Mit meiner Mütze. Das wird man akzeptieren. Haben Sie keine Angst.«
»Ich gehe mit Ihnen«, sagte Ricardo.
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Auch Ricardo könnte man für einen Carabiniere halten. Bleib besser bei mir.« Ich wandte mich an Cenci. »Wir werden warten. Haben Sie gettoni bei sich, falls er verlangt, daß Sie ihn zurückrufen?«
Er kramte geistesabwesend in seinen Taschen, und Ricardo und ich gaben ihm einige der erforderlichen Telefonmünzen. Dann mühte er sich mit dem Türgriff ab und trat auf den Parkplatz, wo er stehenblieb, als hätte er die Orientierung verloren.
»Die Zellen sind vor der Gaststube«, sagte Ricardo. »Direkt draußen im Flur. Ich habe da schon oft telefoniert.«
Cenci nickte, überwand sein Grausen und ging einigermaßen festen Schrittes auf den Eingang zu.
»Glauben Sie, es sind Beobachter da?« fragte Ricardo.
»Ich weiß nicht. Wir können jedenfalls kein Risiko eingehen.« Ich benutzte das italienische Wort für Gefahr, nicht Risiko, aber er nickte verstehend. Es war das dritte Mal, daß ich in Italien arbeitete: Ich sollte die Sprache eigentlich besser beherrschen.
Wir warteten lange und redeten nicht viel. Wir warteten so lange, daß ich schon befürchtete, Cenci würde überhaupt keinen Anruf bekommen. Die Nachricht sei nur ein grausames Vergeltungsspiel gewesen, oder schlimmer noch, es habe sich {31}um eine List gehandelt, um Cenci von seinem Haus wegzulocken, während dort etwas Furchtbares stattfand. Alessias ältere Schwester Ilaria und Paolo Cencis Schwester Luisa schliefen beide in einem oberen Stockwerk der Villa.
Vielleicht hätte ich dort bleiben sollen … aber Cenci war nicht in der Verfassung gewesen zu fahren. Vielleicht hätte ich seinen Gärtner im Dorf wecken sollen, der an den freien Tagen des Chauffeurs manchmal fuhr … Vielleicht, vielleicht.
Der Morgen graute bereits am Himmel, als Cenci zurückkam. Er ging mit weichen Knien, sein Gesicht war starr, als er den Wagen erreichte. Ich öffnete ihm von innen die Tür; er ließ sich schwer auf den Beifahrersitz fallen.
»Er hat zweimal angerufen.« Unwillkürlich sprach er italienisch. »Beim erstenmal sagte er: warten. Ich habe gewartet …« Er hielt inne und schluckte. Räusperte sich. Begann von neuem, diesmal schon gefaßter. »Ich habe lange gewartet. Eine Stunde. Länger. Endlich rief er wieder an. Er sagte, Alessia lebe noch, aber der Preis sei gestiegen. Er sagt, ich muß innerhalb von zwei Tagen zwei Milliarden Lire bezahlen.«
Mit deutlicher Verzweiflung in der Stimme brach er ab. Zwei Milliarden Lire, das war annähernd eine Million Pfund.
»Was hat er noch gesagt?« fragte ich.
»Er sagte, wenn irgendwer den Carabinieri von der neuen Forderung erzählt, wird Alessia sofort sterben.« Er schien sich plötzlich zu erinnern, daß Ricardo im Wagen saß und drehte sich erschrocken zu ihm um. »Kein Wort von dieser Zusammenkunft, zu niemandem. Versprich mir das, Ricardo. Bei deiner Seele.«
Ricardo versprach es mit ernstem Gesicht. Ebenso ernst sagte er, er werde nun in die Klinik fahren, um bei seinen Eltern zu sein und zu hören, wie es um Lorenzo stand, und nachdem er nochmals leidenschaftlich sein Stillschweigen zugesichert hatte, ging er zu seinem Motorroller hinüber und tuckerte davon.
{32}Ich ließ den Wagen an und fuhr vom Parkplatz herunter.
Cenci sagte dumpf: »So viel kann ich nicht aufbringen. Nicht noch mal.«
»Nun«, sagte ich, »das Geld in dem Koffer müßten Sie schließlich zurückbekommen. Bei einigem Glück. Das heißt, der eigentliche Mehrbetrag sind … hm … siebenhundert Millionen Lire.«
Dreihunderttausend Pfund. Schnell ausgesprochen, klang es nach weniger.
»Aber in zwei Tagen …«
»Die Banken leihen es Ihnen. Sie haben die Vermögenswerte.«
Er antwortete nicht. So kurz nach der Beschaffung der anderen gebrauchten Scheine würde die Sache technisch schwieriger sein. Mehr Geld, viel schneller. Allerdings würden die Banken auch die Morgenzeitungen lesen – und Lösegeldbeschaffung war für sie kaum ein unbekannter Vorgang.
»Was sollen Sie tun, wenn Sie es zusammenhaben?« fragte ich.
Cenci schüttelte den Kopf. »Er hat es mir gesagt … Aber diesmal kann ich Sie nicht einweihen. Diesmal bringe ich selbst das Geld … allein.«
»Das ist unklug.«
»Ich muß es tun.«
Das klang verzweifelt und entschlossen, und ich widersprach nicht. Ich sagte nur: »Werden wir Zeit haben, die Scheine zu fotografieren und zu kennzeichnen?«
Ungeduldig schüttelte er den Kopf. »Was spielt das noch für eine Rolle? Nur Alessia zählt jetzt. Ich habe eine zweite Chance erhalten … Dieses Mal tue ich, was er sagt. Diesmal handle ich allein.«
War Alessia in Sicherheit – falls ihr das Glück so hold sein sollte –, dann würde er bereuen, daß er die beste Möglichkeit, {33}wenigstens einen Teil des Lösegeldes wiederzuerlangen und die Kidnapper zu stellen, vergeben hatte. Die Gefühle verdrängten, wie so oft bei Entführungen, die Vernunft. Man konnte es ihm wohl nicht verdenken.
Fotos von Alessia Cenci, dem Mädchen, das ich nie gesehen hatte, schmückten die meisten Räume in der Villa Francese.
Alessia Cenci auf Pferden, bei Rennveranstaltungen rings um die Welt. Alessia, das reiche Mädchen mit den Seidenhänden und einem Temperament wie die Sonne (hatte ein Zeitungsbericht geschwärmt), klar und warm, gelegentlich auch sengend.
Ich wußte wenig vom Rennsport, aber von ihr, dem Glamourgirl der europäischen Rennbahnen, die nichtsdestoweniger wirklich reiten konnte, hatte ich gehört. Man hätte andernfalls auch kaum eine Zeitung anrühren dürfen. Es schien etwas an ihr zu sein, das die Berichterstatter fesselte, besonders in England, wo sie oft an Rennen teilnahm; und in Italien hörte ich echte Zuneigung in jeder Stimme, die von ihr sprach. Oder vielmehr in jeder Stimme außer der ihrer Schwester Ilaria, deren Reaktion auf die Entführung widersprüchlich und aufschlußreich gewesen war.