Über dieses Buch:
Raschelnde Mieder, eine verbotene Berührung, ein verstohlener Blick durchs Schlüsselloch … In der verzaubert-frivolen Atmosphäre eines abgelegenen französischen Landguts ist die strenge Moral des frühen 19. Jahrhunderts ganz weit entfernt. Nur hier kann sich die blutjunge Albertine ihren geheimsten Gelüsten hingeben – angefeuert von ihrer Busenfreundin Adele, die ihre Neugier ebenfalls bald nicht mehr bezähmen kann …
Verspielt, aufregend und zeitlos sinnlich – ein ganz besonderes Lesevergnügen für alle, die sich gerne verwöhnen lassen.
Über den Autor:
»Wir verschreiben diese Briefe besonders den jungen Leuten beiderlei Geschlechts, die den löblichen Ehrgeiz haben, die Genüsse durchzukosten, die ihnen Mutter Natur in ihrer Güte vorgesehen hat …«
Schon bald nach seinem Erscheinen im Jahr 1868 galt Ein Sommer auf dem Lande als Klassiker des lesbischen Erotikromans. Der Text wird dem in bürgerlichen Kreisen damals sehr bekannten französischen Autor Gustave Droz (1832-1895) zugeschrieben, der sich allerdings gerichtlich gegen diese Behauptung zur Wehr setzte. Auch wenn Droz’ Urheberschaft angezweifelt werden kann – der sinnlich-spielerische Ton, mit dem dieser Briefwechsel die erotischen Abenteuer zweier junger Freundinnen illustriert, ist ein Genuss, der immer wieder neue Lesegenerationen begeistert.
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eBook-Neuausgabe September 2016
Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.
Titel der Originalausgabe: Ein Sommer auf dem Lande. Briefwechsel zweier junger Pariserinnen
Copyright © der überarbeiteten Originalausgabe Helmut Werner
Copyright © der Neuausgabe 2016 venusbooks GmbH, München
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Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH
ISBN 978-3-95885-396-6
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Gustave Droz
Ein Sommer auf dem Lande – Die erotischen Abenteuer zweier Französinnen
Erotischer Roman
venusbooks
Der hier publizierte Briefwechsel zwischen zwei jungen Mädchen war, wie man sich leicht denken kann, nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Wie und durch welche Umstände er in unsere Hände gefallen ist, wird den Leser wenig interessieren: die Hauptsache ist, dass er ihm gefällt.
Wir wollen nicht zum Verderber werden und bitten deshalb alle Leute mit strengen Grundsätzen, die – wie wir wenigstens hoffen – auch ebenso keusche Sitten haben, die Unschuldigen, die Frömmler, die Prüden, mit einem Worte, alle die, die ihr Heil in der Kasteiung und Enthaltsamkeit suchen, sich ja davor zu hüten, dieses Buch auch nur zu öffnen, dessen Lektüre sie schwer kompromittieren würde. Wir machen sie auf die Folgen aufmerksam, die das betreffs der Aussicht auf einen nummerierten Sperrsitz im Paradiese für sie haben könnte.
Andererseits können wir diese Briefe nicht genug empfehlen denen, die im Leben nur das Angenehme und Anziehende suchen, den Greisen, die noch voller Einbildungskraft und Feuer sind, deren Kräfte aber, ach, im Weichen begriffen, eine kleine Aufstachelung nötig haben. Wir verschreiben diese Briefe besonders den jungen Leuten beiderlei Geschlechts, die, kaum an der Schwelle ihres Daseins angelangt, den löblichen Ehrgeiz haben, sich zu belehren und möglichst freigebig und leichtfertig die Genüsse durchzukosten, die ihnen Mutter Natur in ihrer Güte vorgesehen hat.
Mit dieser Empfehlung geben wir ohne weitere Umschweife den beiden liebenswürdigen Schreiberinnen das Wort.
Adele F… an Albertine B. Lehrerin am Pensionat V … in … bei Paris. {i})
Paris, den 23. April 18..
Du wirst mich der Gleichgültigkeit oder der Faulheit beschuldigen, liebe kleine Freundin, aber ich versichere Dich, das wäre unrecht. Wenn ich auf Deinen letzten Brief noch nicht geantwortet habe, so ist das wahrlich nicht meine Schuld, ich hatte zuviel zu tun.
Denke Dir, dass mein Onkel in diesem Monat zum Obersten eines Regimentes in Algier ernannt worden ist, und dass er vor seiner Abreise meine Tante mit einer entzückenden Villa auf dem Lande überrascht hat, wo sie die Zeit ihrer Witwenschaft – höchstens zwei oder drei Monate, und welcher Witwenschaft! – verleben soll. Der gute Onkel hat uns ausdrücklich befohlen, recht viel Gesellschaft zu empfangen und uns so gut wie möglich zu amüsieren.
Ich überlasse es Deiner Einbildungskraft zu raten, ob wir den Befehlen eines so liebenswürdigen Tyrannen aufs Wort nachkommen werden.
So habe ich auch seit 14 Tagen keine Minute für mich: Toiletten zu kaufen, Kleider anzuprobieren, tausend Einkäufe zu machen, meine Tante zu begleiten bei allen ihren Besuchen, dem einen Lebewohl zu sagen, den andern zum Sommer einzuladen; dazu füge noch die Vorbereitungen für die Abreise meines Onkels und Du wirst sehen, ob mir viel Zeit blieb, an meine liebe Albertine zu schreiben.
Wenn ich auch nicht geschrieben habe, habe ich doch oft an Dich gedacht, sicher! Wie oft habe ich mich bedauert, ganz allein in meinem Zimmer, ganz allein in meinem Bette! Die süßen Nächte, die wir zusammen verbrachten, die eine im Arme der andern! Wie oft bin ich erwacht und habe Dich an meiner Seite gesucht, um Dich um ein Vergnügen zu bitten, das ich mir, ach, nun ganz allein verschaffen musste.
Und Du, Böse, denkst Du an mich? Zweifellos hast Du mich vergessen irgend einer anderen wegen…. Oh, wenn ich das wüsste!… Ich zeigte Dich Madame an, wahrhaftig, ich würde ihr sagen, dass ihre strenge und gelehrte Lehrerin, die ihre Schülerinnen während des Tages so gut unterrichtet in den Geheimnissen der Geschichte, den Feinheiten der französischen Sprache, den Schönheiten der Literatur, dass diese ihnen noch etwas lehrt, während der Nacht… die entzückendsten Dinge der Welt!
Aber das ist gleich! Nur habe ich in den zwei Monaten, seit denen ich die Pension verlassen habe, genug geweint, in Gedanken an Dich. Schließlich muss man sich trösten, und ich hoffe, dass mir der Aufenthalt auf dem Lande helfen wird.
Wir fahren in zwei Stunden ab; ich wollte Paris nicht verlassen, ohne Dir wenigstens zu sagen, wohin wir gehen. Wenn Du mir zuerst schreibst, richte Deinen Brief nach B …, Post Meulan.
Lebe wohl, mein liebes Herz, ich küsse Dich tausendmal auf Deinen rosigen Mund, denke manchmal an Deine
Adele.
Albertine an Adele.
Paris, den 27 April 18..
Du siehst, meine liebe Adele, dass ich Dich nicht lange auf meine Antwort warten lasse; ich vermute, Du bist in Deinem Schlosse eingerichtet, weshalb ich nach B. geschrieben habe, wie Du mir empfohlen hast. Du denkst an mich, sagst Du, liebe Kleine. Ah, ich versichere Dich, ich vergelte Dir das! Schon zwei Monate der Trennung, ohne Hoffnung, sich jemals wiederzusehen! Und das mir, die ich mein ganzes Leben mit Dir zusammen verbringen wollte!
Meine Geschichte ist die Deine. Diese entzückenden Vergnügen, die wir zusammen genossen, heißt es jetzt entbehren, was recht hart ist, oder sie allein zu genießen, was ihnen fast jeden Reiz nimmt. Aber schließlich! …
Was haben Sie übrigens gesagt, mein Fräulein! Wenn Sie wüssten, dass ich für meine Zuneigung einen Ersatz gefunden hätte, würden Sie mich bei Madame anzeigen? Vorerst erfahren Sie, dass Madame und infolgedessen auch Monsieur derart von mir eingenommen sind, dass nichts von dem, was Sie diesbezüglich etwa sagen könnten, die hohe Meinung zu zerstören imstande wäre, die sie von meiner keuschen Tugend haben. Sie würden ganz einfach Ihre Aussagen als schreckliche Lügen und Verleumdungen ansehen. Sodann wissen Sie, böse Klatschbase, dass nach Ihrer Abreise alle Großen, die geblieben oder die neu gekommen sind, so hässlich sind, so platt, so mager, so schlecht gewachsen, oder so unangenehm, dass ich, selbst wenn ich den verbrecherischen Gedanken gefasst hätte, Sie durch irgendeine zu ersetzen, wohl oder übel darauf hätte verzichten müssen.
Scherz bei Seite, mein schöner, kleiner, angebeteter Engel, diesen Gedanken, Dich zu ersetzen, hatte ich wirklich. Du kennst mein Temperament und meine Grundsätze; das eine befiehlt mir gebieterisch den Genuss, die andern lassen mir in dieser Beziehung kein Bedenken, keine Gewissensbisse, und wenn ich jemanden gefunden hätte, der würdig wäre, Deinen Platz einzunehmen, so hätte ich sofort versucht, ihn an mich zu reißen. Aber ich muss Dir sagen, dass ich von dem Beobachtungsposten, den ich mir gemacht habe, um die Schlafsäle zu erblicken, einige Male unbemerkt dem Zubettegehen der Damen zugeschaut habe, und dass ich dabei denken musste, ich sei nicht zur Erziehung junger Mädchen berufen, sondern ich hätte ein Regiment Feuerzangen unter meiner Leitung.
Ich bin also gezwungen, Dir treu zu bleiben, und an Stelle der ganzen Mahlzeit mich mit der Erinnerung an Dich zu begnügen, wenn ich Deine kleine, niedliche Gestalt so gerne einmal in meine Arme schließen möchte.
Weißt Du auch, liebe Adele, dass Du Dich schön langweilen wirst, einen ganzen Sommer lang fern von Paris? Gerade Du, die so viel Lust hatte zu lernen, die mir so komische Fragen stellte, die ich nicht beantworten konnte, aus dem einfachen Grunde, weil ich selber nicht mehr wusste, als Du, Du, der ich meine ganze Wissenschaft eingepfropft habe, weißt Du, dass das Land, der Aufenthaltsort der Unschuld, wie man sagt, ein schlecht gewählter Ort ist, um die Kenntnisse, zu erwerben, die Dir fehlen?
Auf jeden Fall sage mir, was Du dort treibst und womit Du Dich beschäftigst; schreibe mir oft, das wird Dir die Langeweile vertreiben; ich selbst werde Dich bestimmt benachrichtigen, falls ich doch noch irgendeinen Ersatzmann für Dich finden sollte. In der Erwartung Deiner Antwort schicke ich Dir als Gegenleistung für die tausend Küsse, die Du mir in Deinem letzten Schreiben großmütig gesandt hast, die doppelte Anzahl, zur Hälfte auf Deinen köstlichen Mund, zur Hälfte auf Deinen göttlichen, kleinen Busen. Deine
Albertine.
Adele an Albertine.
B …, den 8. Mai 18..
Liebe Albertine, Du glaubst, dass ich mich auf dem Lande langweile? Nun Du täuschst Dich sehr! Nicht nur, dass ich mich jetzt nicht langweile – das wäre nicht erstaunlich, weil ich Paris erst vor vierzehn Tagen verlassen habe – aber ich glaube sogar, dass ich mich hier sehr amüsieren werde, und dass der »Aufenthaltsort der Unschuld«, wie Du ihn nennst, nicht wenig Gelegenheit dazu bieten wird, an dem Weihnachtsbaume zu naschen, worauf ich einen so wütenden Appetit habe.
Das Land vor allem gefällt mir, vielleicht weil ich bis jetzt stets zwischen vier Mauern eingeschlossen war; sodann ist das Haus meines Onkels – ich sage nicht wie Du, Schmeichlerin, Schloss – wirklich sehr angenehm und birgt zu allem Überflusse – ein Vorteil, den Du begreifen wirst – eine große Bibliothek, die ich mit Diskretion benützen kann, mit Indiskretion sogar, nach einigen Werken zu schließen, die ich durchflogen habe. Für eine Leserin wie mich ist das kein kleiner Gewinn; so könntest Du denn auch jeden Morgen von 6 Uhr an – denn es ist hier ein herrliches Wetter – Deine kleine Adele sich durch den Garten schlängeln sehen, ein Buch in der Hand und sich berauschend an der reinen Luft, an Versen und dem Dufte des Flieders! Bevor ich nach B … gekommen bin, kannte ich den Frühling noch nicht:
Süßer, entzückender Gast, Bruder der blühenden Blumen,
Der Du die Früchte anhauchst und die Rose zum Blühen zwingst!
Sage mir, ob mir meine Lektüre nicht von Nutzen ist, ich bin schon beim Zitieren!
Nach dem Lesen treibe ich Musik, in die ich vernarrt bin; mein Onkel hat mir ein ausgezeichnetes Piano geschenkt! Und meine Zeichnungen! Und meine Malerei! Es gibt hier eine Menge verschiedenartiger, schöner Aussichtspunkte, die ich zeichnen will. Da hast Du, wie Du mir zugeben wirst, genug, um die Langeweile zu verjagen.
Aber darum handelt es sich schließlich ja nicht. Ich habe Dir eben gesagt, dass mein Aufenthalt in B … nicht ohne Nutzen für meine Belehrung sein würde; ich will mich näher erklären: unser Gärtner, der Papa V …, hat zwei Söhne und zwei Töchter; meine Tante hat aus Paris einen Kutscher, einen Bedienten, ein Zimmermädchen und eine Köchin mitgebracht; nun wohl, diese ganze Gesellschaft ist jung, nicht allzu übel gebaut und kennt sich schon aufs beste aus, soweit ich nach dem urteilen kann, was ich so im Fluge erschaut habe.
Am Ende des Gartens ist ein kleines Gehölz, dessen dunkle Tiefen, fürchte ich, der bäuerlichen Unschuld gefährlich sind. Bis jetzt ist noch nichts Großes vorgefallen, aber es wird ernsthaft werden, und ich hoffe recht sehr, dass ich dann keine Einzelheiten verliere.
Denke Dir, dass mir niemand misstraut, man nimmt mich für ein Kind. Ich bin bald 18 Jahre alt und man hält mich für kaum eine Fünfzehnjährige; Du kennst meine unschuldige, zurückhaltende Kindermiene; wer ließe sich dadurch nicht täuschen? Hast Du selbst nicht lange genug gezögert, bis Du eine Erklärung wagtest? Und selbst dann hast Du Dich nur mit Zittern getraut.
Niemand geniert sich also vor mir, man betrachtet mich wie eine Null, und Du kannst Dir denken, dass ich mein möglichstes tue, um diese gute Meinung zu rechtfertigen.
Noch etwas, meine Studien werden in ganz besonderer Weise durch die Lage meiner Zimmer begünstigt. Denke Dir ein liebes, kleines Schlafzimmer mit zwei niedlichen Kabinetts, das eine enthält mein Piano und dient mir zum Atelier, das andere habe ich zu meinem Toilettekabinett gemacht. An der einen Seite befindet sich das Schlafzimmer meiner Tante, an der anderen das schönste Zimmer des ganzen Hauses, das man den besten Freunden oder den angesehensten Persönlichkeiten gibt.
Jetzt wirst du mich fragen, liebe Albertine, wieso mir dies meine fehlenden Kenntnisse verschaffen soll. Gestern abends spürte ich überall herum und bemerkte, dass man von meinem Atelier aus durch eine Spalte, die kaum bemerkbar ist, alles beobachten kann, was im Zimmer meiner Tante vor sich geht.
Das, was der Zufall in meinem Atelier geschaffen hatte, gelang mir mit dem nämlichen Glücke in meinem Toilettekabinett selbst herzustellen, derart, dass ich an einem Tage nicht weniger indiskret bin als an dem anderen und mich zur Herrin der Geheimnisse meiner Nachbarn mache; auf beiden Seiten fällt mein Blick direkt auf die Betten; es kann da nichts passieren, was ich nicht sehe.
Begreifst Du jetzt? Mein Onkel wird nicht ewig in Algier bleiben, er wird nach B … kommen, und ich hätte wirklich Unglück, wenn der verhüllende Vorhang, der die Geheimnisse seines Ehebettes verbirgt, sich nicht zu meinen Gunsten ein wenig verschieben ließe: dies zu meiner Linken. Von meiner Rechten hoffe ich ebenfalls, dass sich da irgendein leckeres Geheimnis finden wird, aus dem ich Nutzen ziehen kann.
Füge zu diesen Vorteilen noch hinzu, dass man nichts hören kann von dem, was bei mir vorgeht, wenn ich mein Atelier und mein Toilettekabinett geschlossen habe. Für den Fall, dass ich, zur Vervollständigung meiner Erziehung, von der Theorie zur Praxis übergehen sollte, bin ich sicher, dass meine Wände weder Augen noch Ohren haben; das kann nicht jeder von sich sagen.
Zu aller Vorsicht habe ich meine Schlösser geölt, sie sind jetzt von einer wunderbaren Schweigsamkeit. Ich habe mich daran gewöhnt, in einer Weise zu öffnen, zu schließen, einzutreten oder hinauszugehen, ohne dass das feinste Ohr den geringsten Verdacht schöpfen könnte. Kommt die Gelegenheit, so soll sie nicht durch meine Schuld entwischen, ich habe alles getan, was ein guter Feldherr tun kann, um den Erfolg zu sichern.
Da unsere beiden Beobachtungsposten instand gesetzt sind, wächst unsere Zuversicht; wir werden sicher weder an Abwechslung noch an Pikanterien Mangel leiden. Meine Tante rechnet für diesen Sommer auf eine große Zahl von Besuchern, so rechne auch Du auf eine interessante Berichterstattung; bemühe Du Dich Deinerseits, andere Sachen zu betrachten als Feuerzangen, das ist doch zu öde. Ich schreibe Dir grade heute, weil ich vergangene Nacht von Dir geträumt habe. Rate, was ich beim Erwachen getan habe.
Wenn Du es errätst, mache es ebenso wie ich, mein Liebling, in Gedanken an Deine
Adele.
Albertine an Adele.
Paris, den 11. Mai 18..
Liebe, kleine Adele, ohne Anspruch zu machen auf die Weisheit des Ödipus habe ich das Rätsel gelöst, das Du mir in Deinem letzten Briefe aufgegeben hast, und Du kannst versichert sein, dass ich Deinen Rat getreulich befolgt habe.
Ich kann das Glück nicht genug bewundern, das Dich so vorteilhaft platziert hat, dass Du über alles unterrichtet bist, was im Hause Deines Onkels vor sich. geht. Wenn ich meinen Ahnungen glauben darf, wirst Du in kurzer Zeit wissend werden, und diese Weisheit, die Du erwirbst, wird nicht verfehlen, auch mich etwas zu erleuchten; ich erröte ordentlich darüber, dass ich, um drei ganze Jahre älter als Du, Belehrung erwarte von einem Grünschnäbelchen wie Dir. Aber Du weißt ja, es ist nicht Mangel an Bildungstrieb oder an Arbeitsfreude, was mir fehlt; was willst Du also? Es ist die Gelegenheit! Alles in allem, was kann man in einem Pensionate junger Mädchen lernen? Nichts als das, was wir beide so gut kennen. Das ist auch schon etwas, zweifellos, aber wie viel Geheimnisse bleiben uns noch zu enthüllen!