eBook to Go Reihe
LOVE & ROMANCE
Zerstörte Liebe
Kelvin Waiden
© 2016 Kelvin Waiden
Illustration: S. Verlag JG
Verlag: S. Verlag JG, 35767 Breitscheid,
Alle Rechte vorbehalten
Erschienen in der eBook to Go Reihe
2.Auflage
ISBN: 978-3-95745-528-4
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Inhalt (Kapitel):
Die Trennung
Nayas Gefühle
„Ich kann nicht mehr“, hatte sie gesagt. „Du wirst immer anstrengender.“
Birger schaut ihr in die Augen. Ihr rechter Augapfel hatte eine leichte Muskelgleichgewichtsstörung. Immer wenn sie aufgeregt war, verstellte sich ihr Blickfeld leicht. Birger liebte diesen Blick. Er gab ihr so einen hingebungsvollen Gesichtsausdruck, eine gewisse erotische Ausstrahlung.
Jetzt war jedoch nicht der Zeitpunkt, darüber nachzudenken. Bianca meinte es ernst.
„Tu mir leid, aber wir müssen uns trennen.“ Jetzt war es heraus. „Deine Tics und Zuckungen, die Schimpfwörter; ich ertrage das alles nicht mehr.“
Birgers Gesichtsausdruck wurde immer düsterer.
„Sei mir nicht böse. Wir können ja gute Freunde bleiben.“
Das klang wie in einem billigen Film. Aber es war tödliche Realität. Birgers Augen wurden feucht. Was sollte er erwidern. Sein Tourette war wirklich sehr anstrengend, nicht nur für ihn. Auch für seine Umwelt und insbesondere natürlich für Bianca. In seinem Kopf war mit einem Mal nur Leere.
Und so ein watteartiges Gefühl. Selbst seine Tics und Zwänge meldeten sich nicht. Als ob sie wussten, was sie da angerichtet hatten.
Bianca hatte ihren Stuhl direkt vor ihn gezogen und saß ihm jetzt gegenüber. Als er ihr seine Hand auf das Knie legen wollte, zuckte sie zurück.
„Lass das, ich mag das nicht mehr. Fass mich bitte nicht an!“
Das war deutlich. „Ich möchte dich bitten, deine Sachen zu packen und auszuziehen.“
Als sie weitersprechen wollte, klingelte das Telefon. Sie nahm den Hörer ab und drehte sich mit dem Rücken zu Birger, als sie sprach.
In seinem Kopf flogen Erinnerungsfetzen der neun Jahre bestehenden Freundschaft mit Bianca wie Rasierklingen. Sie hatten sich damals in Frankreich kennengelernt. Er war gerade Achtzehn geworden. Es war eine abenteuerliche Zeit gewesen.
„Ich dich auch“, Bianca drehte sich wieder zu Birger um und legt den Hörer auf. In ihren Augen blitzte es. Birger hatte sie in den letzten Monaten nicht so aufgedreht gesehen.
„So, das war es wohl.“ Sie stand auf und rückte den Stuhl wieder zurecht. Birger blieb sitzen.
Als Bianca das Zimmer verlassen hatte, fingen seine vokalen Tics an. „Fuuuughmuut.“ Und die ersten Tränen liefen.
Was sollte er jetzt machen? Um sie kämpfen. Sie hatte ja augenscheinlich schon Ersatz für ihn gefunden. Aber wie kämpfen, wenn sein Tourette nicht abänderbar war.
Birger wollte liebend gern etwas ändern, nur es ging ja nicht. „Fuuuudbbuurh.“ Er schlug mit der rechten Hand mehrmals auf die Tischplatte, dass es nur so schepperte. Der Schmerz klärte etwas seinen Verstand.
Sein Selbstmitleid jedoch versuchte ihn zu überschwemmen. „Aus und vorbei“, murmelte er vor sich hin.
In seiner Verzweiflung dachte er an seine Eltern. Sein Vater war schon früh gestorben. Aber seine Mutter lebte und wohnte immer noch in der alten Wohnung.
Ohne Hast stand Birger auf und schleppte sich ins Schlafzimmer. Als sein Blick auf das Bett fiel, versank er weiter in noch tiefere Trauer. Er hörte im Bad das Wasser rauschen. Bianca war am Duschen.
Er fing an, seine Koffer zu packen. Das meiste in der Wohnung hatte Bianca gekauft. Sie hatte auch das höhere Einkommen. Birger arbeitete in einer Baumschule in der Nähe für einen eher geringen Stundenlohn.
Birger entschied sich, erst einmal zurück zu seiner Mutter zu ziehen. Dort gab es noch sein Jugendzimmer. Obwohl er mit seinen jetzt 27 Jahren lieber alleine gewohnt hätte, war es nicht der Zeitpunkt, um überstürzt zu handeln.
Als er mit den beiden Koffern aus dem Schlafzimmer kam, sah er durch die offene Badezimmertür Bianca nackt vor dem Spiegel stehen, wie sie sich die Haare trocken rieb.
Der Anblick warf ihn zurück in die Depression, in das schwarze Loch, das seine Psyche zerreiben wollte.
„Muss das sein, dass du so dastehst und die Tür offen steht?“
Bianca drehte sich zu ihm um. „Oh, entschuldige.“ Sie gab der Tür mit dem Ellbogen einen Schubs, sodass sie langsam zu glitt.
Als sie gegen das Schloss stieß und ein kleiner Spalt offenblieb, wusste Birger, dass er sie nun endgültig verloren hatte. Niemals mehr ihren Duft riechen würde; niemals ihre sanfte Berührungen genießen würde; niemals mehr ihre zarte Haut berühren durfte.
Sein Kopf zuckte stark und Schweiß lief zwischen den Tränen von seinem Gesicht und tropfte auf die Fliesen im Flur.
So saß er auf dem Küchenstuhl, als sie frisch geduscht und frisiert nach einer halben Stunde aus dem Bad kam.
„Fährst du mich bitte zum Bahnhof“, brachte er gerade noch so heraus. Er wollte nicht, dass sie seinen Zustand noch seine Tränen erkennen konnte.
„Ja, natürlich, kein Problem. Jetzt gleich?“
Er schaute sie verwirrt an. Was ging jetzt nur in ihrem Kopf vor. „Ja, jetzt gleich!“
Im Wagen sprachen sie kein Wort mehr miteinander. Birger lud die Koffer aus dem Kofferraum und stellte sie neben dem Bordstein ab.
Sie war ebenfalls ausgestiegen und stand jetzt vor ihm. „Also dann, mach’s gut. Wir können ja mal telefonieren.“
Er wollte auf sie zugehen und sie noch einmal umarmen. Sie streckte ihm jedoch nur ihre rechte Hand entgegen, sodass Birger diese ergriff. Sie zu umarmen traute er sich nicht mehr.
„Ja, dann Tschüss.“ Sie drehte sich abrupt um, stieg zurück in den Wagen und fuhr los.
Birger sah ihr noch hinterher, bis der Wagen nicht mehr zu erkennen war. In jeder Hand einen Koffer, so marschierte Birger zum nächsten Kartenschalter.
Als Birger im Zug saß, konnte er es immer noch nicht glauben, was er in den letzten Stunden alles durchgestanden hatte. Das Wattegefühl in seinem Kopf war dem Gefühl von Leere gewichen. Er war wieder alleine. Niemand, mit dem man sich besprechen konnte. Mit dem man scherzen und streiten und danach wieder versöhnen konnte. Jemanden, der verstand, wenn man sich elend fühlte. Und mit dem man seine Bedürfnisse nach Zärtlichkeit und Liebe teilen konnte. Aus und vorbei.
Diese beiden Begriffe gingen immer wieder durch Birgers Gedankenwelt. Wieso war er eigentlich ohne viele Widerworte einfach so gegangen.
Hätte er ihr nicht auch Vorhaltungen machen müssen? Oder Argumente vorbringen müssen, die gegen eine Trennung sprachen. Nein, wahrscheinlich nicht. Sie hatte ja bereits einen anderen. Sie hatte sich bereits innerlich von ihm getrennt. Und ihm war das nicht aufgefallen. Und irgendwie hatte sie ja auch recht. Mit ihm zusammenleben war wirklich nicht einfach. Mit einem Tourettekranken zusammenleben, ist überhaupt nicht einfach.
Ich hatte es mir in meinem alten Zimmer so gut wie möglich bequem gemacht. An das kleine Bett von knapp einmal zwei Metern musste ich mich aber erst einmal wieder gewöhnen. Und die Regale seitlich vom Bett, die voll mit vergilbten Taschenbüchern waren.
Meine Mutter war nicht so begeistert gewesen, mich wieder aufnehmen zu müssen. Das heißt, sie musste ja nicht. Aber sie hatte auch nicht Nein gesagt. Sie hatte meine Krankheit immer versucht zu ignorieren. Ich glaube, sie wusste auch nicht einmal, dass es Tourette ist. Ich muss aber auch gestehen, ich habe niemals über die Tics und Zwänge mit ihr gesprochen. Ebenso wenig mit meinem Vater, als er noch lebte.
In meiner Familie wurde das Ganze immer nur totgeschwiegen. Ja nicht auffällig werden. Meine Eltern waren damals schon froh, als ich zu Bianca gezogen bin. Wie auch immer, jetzt war ich wieder zurück.
Die beiden Koffer waren ausgepackt und die Kleidung in dem kleinen Schrank verstaut.
Als ich mit meiner Mutter zusammen beim Abendbrot in der Küche saß, kamen wieder alte Erinnerungen aus der Jugendzeit in mir auf. Aber die Familie, wie sie einst bestanden hatte, war unwiderruflich zerstört.
Ich hatte immer gedacht, dass ich irgendwann mit Bianca eine neue Familie gründen könnte. Jetzt war das auch vorbei. Schweigsam saßen meine Mutter und ich nebeneinander. Jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.
Für heute hatte ich genug. Nach dem Abendessen ging ich auf mein Zimmer.
Obwohl ich wusste, dass ich erst einmal nicht schlafen konnte, wollte ich alleine sein und nachdenken.
Bei meinem Arbeitgeber in der Baumschule hatte ich erst einmal Urlaub genommen. Wie es hier weitergehen sollte, wusste ich nicht. Schließlich lag sie mehr als 30 Kilometer von hier entfernt. Und ich hatte ja kein Auto. Auch die Bahnverbindung war von hier aus sehr schlecht.
Was wohl meine alten Schulkameraden so machten? Ich hatte schon lange keinen Kontakt mehr. Michael, Andreas, Sven und die anderen. Hier in dem kleinen Dorf war die Zeit sogar noch etwas stehen geblieben. Es kam mir jedenfalls so vor. Ob es die alte Diskothek noch gab?
Irgendwie muss ich dann doch eingeschlafen sein. Am nächsten Morgen war es schon relativ spät, als ich zum Frühstück in die Küche ging. Meine Mutter war nicht da. Auf dem Tisch lag ein Zettel.
„Kaffee ist gemacht. Abräumen brauchst du nicht. Bin gegen Mittag wieder zurück.“
Na dann. Beim Frühstücken sah ich mich in der Küche etwas genauer um. Es sah wirklich noch genau so aus, wie ich damals ausgezogen war. Einzelne Küchenschränke in Weiß. Die Spüle extra gestellt. Der Tisch und die Stühle mit gelber Schaumstoffpolsterung und Stahlrohrgestell.
Alles etwas mehr abgegriffen, aber sauber. Es war schon fast wie eine kleine Zeitreise. Nur dass ich jetzt neun Jahre älter war. Und dass mein Vater nicht mehr lebte.
Als meine Mutter gegen Mittag zurückkam, saß ich an meinem alten Schreibtisch und sinnierte so vor mich hin. Ich hatte mir eines der vielen Taschenbücher genommen. Lesen konnte ich aber nicht richtig. Die Gedanken schweiften immer noch ab.
„Birger, komme bitte mal in die Küche. Ich hab da etwas für dich.“ Meine Mutter klang etwas aufgeregt.
„Setz dich, ich habe eine gute Nachricht!“ Ich war noch nicht ganz im Raum, da fing sie bereits an zu sprechen.
„Du glaubst es nicht, aber ich habe mit Frau Paschke gesprochen, du kennst sie doch. Sie wohnt im dritten Haus rechts, gleich wenn du in unsere Straße fährst. Also, wir treffen uns öfters beim Einkaufen. Sie arbeitet doch als Chefsekretärin bei der Estroni GmbH hier am Ort. Die wurde verkauft an einen großen Elektronik Konzern. Und dieser sucht jetzt einen Disponenten für die Vertriebsplanung. Du solltest dich unbedingt auf die Stelle bewerben. Sie wird Ihren Chef Klaus Stein entsprechen ansprechen. Was sagst du nun?“
Ich war erst einmal baff. „Wieso suchen die denn jetzt einen neuen Disponenten, der Konzern wird doch genügend andere Mitarbeiter haben.“
„Sie hat mir berichtet, dass der eine Mitarbeiter einen Nervenzusammenbruch erlitt und der andere vom Baum gefallen ist und seit einigen Wochen im Krankenhaus liegt.“
Ich musste lachen. „Lach nicht, genau das hat sie mir gesagt.“
Auch gut, dachte ich. Wenn man eine Chance bekommt, sollte man sie auch nutzen.
„