eBook to Go Reihe
LOVE & ROMANCE
Handicap und Liebe
Kelvin Waiden
© 2016 Kelvin Waiden
Illustration: S. Verlag JG
Verlag: S. Verlag JG, 35767 Breitscheid,
Alle Rechte vorbehalten
Erschienen in: Ticende Sehnsucht von Kelvin Waiden
2.Auflage
ISBN: 978-3-95745-527-7
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Inhalt (Kapitel):
Frankreich
Carcassonne
Als ich den Bus endlich verlassen konnte, fiel mir als Erstes der Mangel an jedweden Pflanzen auf. Soweit das Auge reichte, keine Grünanlagen, keine Bäume, keine Büsche. Es fehlte die Farbe Grün fast gänzlich in der Landschaft.
Man sah nur Sandfarben, Beige, Ocker und Weiß. Das Neubaugebiet Port Leucate war eine von staatlichen Planern in den 1960er Jahren entworfene Stadt für preisbewusste Reisende, die fast vollständig von Wasser umgeben war. Im kleinen „Ortskern“ am Rande eines der beiden Hafenbecken waren einfache Restaurants und Schnellimbisse platziert.
In einem weitläufigen Kranz rund um den „Ortskern“ waren ebenfalls überwiegend gleichförmige Feriensiedlungen und Appartementhäuser gebaut. Die Appartements waren ein bis zweistöckig, ineinander verschachtelt und mit einem Flachdach versehen. Neben ihm stand mein Freund Georg oder besser gesagt, Freund, war etwas übertrieben. Wir wohnten im gleichen Ort und trafen uns auf dem gemeinsamen Weg zur Schule. Ab und an gingen wir auch in die gleiche Diskothek. Jedenfalls hatten wir uns dann doch zusammengefunden, um eine gemeinsame Sommerferienreise zu unternehmen. Zwei Wochen Südfrankreich.
Jetzt standen wir hier, wie hingestellt und nicht abgeholt, so kam es mir jedenfalls vor. Mein Kopf zuckte leicht. Ich unterdrückte den Zwang, anstatt ihm nachzugeben. Das führte meist zu noch stärkeren Tics.
Wir teilten uns ein Appartement. Die meisten Räumlichkeiten bestanden aus Zweibettappartements. Sie standen entweder in einer Reihe oder waren im Winkel verbaut.
An diesem Abend trafen sich alle Jugendliche, die an dieser Reise teilnahmen, zum Abendbrot. Man lernte sich langsam kennen, ging aber noch eigenen Beschäftigungen nach.
Georg und ich richteten uns in unseren zugewiesenen Räumlichkeiten ein. Den Sonnenuntergang über dem Meer bestaunte ich von einem kreisförmigen Atrium, das an seiner, dem Meer zugekehrte Seite, offen war.
Als ich die Augen am nächsten Morgen öffnete, war der Raum hell erleuchtet. Die Sonne strahlte bereits und der Himmel war wolkenlos. Mein Mitbewohner Georg war nicht mehr in seinem Bett. Ich hatte die Nacht schlecht geschlafen. Die neue Umgebung und das Nichtwissen, was in den nächsten Tagen auf mich zukam, machte mir schon zu schaffen. Es war angenehm warm im Zimmer.
Das kleine, angrenzende Bad war nur mit einem kleinen Waschbecken, einer Toilette und Dusche ausgestattet. Mehr passte auch nicht in den Raum.
Nachdem ich mich ausgiebig erfrischt hatte, machte ich mich auf den Weg zum Gemeinschaftsraum. Die Appartements, rechteckige und quadratische Räume, mit bis zu zwei Etagen übereinander, ließ ich links liegen und kam an ein zentrales, einstöckiges Gebäude. Hier wurde das Frühstück eingenommen.
Ein Vieleck aus Holz –und Steinbänken war vor dem Eingange im Boden eingelassen und konnte als Versammlungsort genutzt werden.
Überall war als Bodenbelag feiner Sand vorhanden. Sand, der in der gleichen Form sich bis zu dem 200 Meter entfernten Strand ausbreitete.
Auf dem Weg zum Frühstück begegneten mir zwei Mädchen und ein anderer Junge. Anstatt zusammen in den Gemeinschaftsraum zu gehen, gingen sie ohne Begrüßung oder sonst ein Wort miteinander zu reden, getrennt weiter.
Georg erwartete mich bereits am Tisch. Aber was war das für ein Tisch. Der ganze Raum bestand quasi nur aus einem Tisch. Die Tischplatte war gerundet und auf zwei Seiten offen. Man saß beidseitig im Halbkreis. Georg hatte sich rechts außen platziert. Viele Plätze waren noch frei. Man konnte direkt durch die ganz verglaste Wand nach außen sehen.
Vor der Wand war eine Art überdachte Veranda mit weiteren Sitzmöglichkeiten. Etwas weiter draußen schloss sich dann das Vieleck aus Holz –und Steinbänken an. Ich bediente mich am kalten Buffet und nahm mir Croissant, Baguette, Käse und Café au Lait, also ein richtiges französisches Frühstück.
„Hört mal alle her. Nach dem Frühstück treffen wir uns vor dem Gebäude. Dort bei den Holzbänken. Wir besprechen dann den weiteren Tagesablauf.“
„Das war einer der Betreuer“, Georg war immer bestens informiert. „Bin ja mal gespannt, was sie für ein Programm für uns haben.“
Als wir beide am Versammlungsort eintrafen, war schon kein Sitzplatz mehr frei. So mussten wir in der zweiten Reihe stehen.
Es wurde vereinbart, sich in einer halben Stunde hier in zwei Gruppen zu treffen. Die eine Gruppe sollte die nahegelegene City erkunden und Gruppe Zwei wollte schwimmen gehen.
Georg und ich waren Gruppe Zwei zugeteilt. Obwohl ich liebend gerne mit der ersten Gruppe gegangen wäre. Die Einteilung war jedoch auch personenabhängig und diese wurden von den Betreuern bestimmt.
Am kommenden Tag sollte dann getauscht werden. Mit offenem Hemd und nur mit der Badehose bekleidet trafen Georg und ich am vereinbarten Treffpunkt ein.
„Kommt ihr endlich. Es ist schon bald Mittag und wir stehen hier immer noch dumm herum.“
„Immer sachte Svenja.“ Jens, einer der Betreuer übernahm die Führung. „Wir haben den ganzen Tag Zeit. Und schließlich sind Ferien.“
„Du kannst noch früh genug deinen Luxuskörper zur Schau stellen“, Vanessa stichelte.
Neben mir liefen zwei andere Jungs. Beide grinsten still vor sich hin.
„Melanie und Ronald, kommt ihr endlich.“ Sven rief den beiden hinterher. Sie standen einige Meter abseits und hielten sich in den Armen. Der kilometerlange Strand war bis auf wenige Ausnahmen menschenleer. Die Gruppe hatte viel Platz, um sich auszubreiten. Die Sonne stand schon ziemlich hoch und es gab keinen wirklichen Schatten, in dem man sich legen und sich schützen konnte. Überhaupt gab es keine Dünen, noch jedwede Art von Gras oder Büschen war vorhanden. Ich stand erst etwas ratlos zwischen den andern. Georg hatte ein Handtuch auf den heißen Sand gelegt und war im Begriff sich darauf zu legen. Die meisten jedoch liefen zum Meer und stürzten sich schreiend hinein. Mike und Marcel, unsere Zimmernachbarn, winkten ihnen zu.
Ein blondes Mädchen lief an mir vorbei. „Was schaust du so dumm. Hast du Angst vor dem Wasser?“ Und schon stürzte sie sich in die Fluten und schwamm nach draußen.
„Svenja meint es nicht so.“
„Rebecca, kommst du“, erklang ein Ruf aus dem Wasser. „Wir spielen Wasserball. Hast du Lust mitzumachen?“ Sie wartete nicht erst auf meine Antwort, sondern war schon auf dem Weg zum Wasser.
Ich blickte kurz zu Georg. „Ich bleib hier liegen. Das Meerwasser stinkt mir zu sehr nach Fisch.“
Ich musste grinsen, dann folgte ich Rebecca. Sie stand bereits einige Meter im Meer und warf den Wasserball in meine Richtung.
Das Ballspiel ging so lange gut, bis mehrere Jungs Wasser spritzend auf die Mädchen zustürmten und versuchten, sie unter Wasser zu drücken. Es gab eine wüste Rangelei und die Gruppe bewegte sich mit mir in der Mitte immer weiter zum Meer hinaus
Als wir schon keinen Grund mehr unter den Füßen hatten, drückte mich Svenja von hinten unter Wasser. Ich Er schnaufte kurz und verlor völlig die Orientierung.
Seit ich auf dem einen Ohr ein Loch im Trommelfell hatte, versuchte ich es zu vermeiden, unter Wasser zu kommen. Jetzt war es zu spät.
Gleichzeitig baute sich ein Druck in meinem Kopf auf; die verbalen Tics wollten ausgestoßen werden.
Mein Kopf ruckte hin und hier. Eine nie gekannte Angst erfüllte mein ganzes Innere aus.
Ich ruderte wie wild mit Armen und Beinen, bekam aber keine Bodenhaftung.
Erst als mir bereits die Luft auszugehen drohte, fühlte ich mit den Händen den Meeresboden. Das war die falsche Richtung. Mit aller noch vorhandenen Kraft stieß ich mich wieder in die vermeintliche Gegenrichtung ab, durchbrach die Wasseroberfläche und holte sofort tief Luft.
Da war bereits eine Welle über mir und ich schluckt Salzwasser. Hustend und mit den Armen um mich schlagend, versuchte ich mich zu orientieren.
Ein paar Meter weiter tollten die anderen ohne Schwierigkeiten im Wasser. Ihnen machte es nichts aus, dass sie keinen festen Grund unter den Füßen hatten. Sie schwammen und tauchten gleichzeitig.
„Fuuudschiimii, muudiieh.“ Meine Tics kamen lautstark durch. Man hörte meine Koprolalie und wurde auf mich aufmerksam. Mein Kopf ticte unaufhaltsam.
Die ersten Witze wurden bereits gemacht, aber das störte mich erst einmal nicht.
Mein einziges Verlangen war, wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen. Dann war ich endlich aus dem Wasser.
Von hinten kamen laute Rufe.
„Schlappschwanz“, war das einzige Wort, das ich noch vernahm, da war ich bereits bei Georg angekommen und ließ mich neben ihn in den Sand fallen und schaute kurz aufs Meer.
Georg öffnete gerade die Augen. „Na, hat es Spaß gemacht?“
Ich blickte ihn erschrocken an. „Wie man es nimmt.“ Mehr wollte ich dazu nicht sagen.