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Der Name ist zeitlos. Die Initialen »JFK« waren bereits zu John F. Kennedys Lebzeiten der Stoff von Legenden, und seit der 35. Präsident der Vereinigten Staaten am 22. November 1963 in Dallas auf so tragische Weise ums Leben kam, sind der Mythos und die Faszination um seine Person weiter gewachsen. Mehr als bei jedem anderen Politiker in den Annalen einer noch jungen Nation erscheint sein ebenso intensives wie widersprüchliches Leben als ideale Vorlage für Hollywood-Drehbücher. Die zahlreichen Affären, von blutjungen Praktikantinnen bis zu Superstars wie der Hollywood-Diva Marilyn Monroe, könnten Gegenstand eines melodramatischen Spielfilms sein. Die nachweislich engen Vebindungen der Kennedy-Familie zur Mafia und die unzähligen Theorien um das Attentat von Dallas, dessen Hintergründe ungeachtet der Befunde der sogenannten Warren-Kommission bis heute ungeklärt bleiben, liefern ein Material, das selbst die kreativsten Autoren von Kriminalromanen vor Neid erblassen lassen würde.
Der unbändige Ehrgeiz von Kennedys Vater Joe, der als Kompensation für die eigenen gescheiterten Ambitionen seinen zweitältesten Sohn buchstäblich zum Präsidentenamt heranzüchten wollte, rückt die Ära JFK wiederum in ein anderes Licht: »Jack«, wie Freunde und Familie ihn liebevoll nannten, hatte nämlich zunächst gar kein Interesse am Chefsessel an der 1600 Pennsylvania Avenue. Mehrfach sagte er während seiner Zeit als Abgeordneter des Repräsentantenhauses, dass er viel lieber an die renommierte Harvard-Universität zurückgekehrt wäre, »um Geschichte zu lehren und Mädchen hinterherzulaufen«. Johns schwieriges Verhältnis zu seinem Vater, dem Patriarchen, der mit eiserner Hand seine Familie regierte und mit unnachgiebigem Druck über die Karriere seines Sohnes wachte, ist der Stoff für ein politisches Drama, das sicherlich auch heute noch zum Kassenschlager werden würde.
Ich selbst kam als zweijähriger Sohn eines Auslandskorrespondenten im Frühjahr 1964, also ein halbes Jahr nach dem Attentat, in die USA. Bereits als Jugendlicher war ich den diversen Verschwörungstheorien und den Diskussionen um Amerikas politische Zukunft ohne John F. Kennedy ausgesetzt. Seither hat mich JFK nicht mehr losgelassen. Mir geht es darum, diese historisch bedeutsame Persönlichkeit in ihrer Vielschichtigkeit zu beleuchten und zu erklären – in ihren zahlreichen Widersprüchen, die nicht zuletzt auf jenen leichtsinnigen, geradezu tollkühnen und kompromisslosen Lebensstil zurückzuführen sind. Dieser Lebensstil zeichnete im Übrigen viele der Kennedys aus, brachte seinen jüngeren Bruder Teddy um jede Chance auf die US-Präsidentschaft und kostete JFKs Sohn John F. Kennedy Junior ebenso wie viele andere Mitglieder des Clans das Leben. Der Präsident und die Persönlichkeit John F. Kennedy haben auch 100 Jahre nach seiner Geburt nicht im Geringsten an Relevanz verloren. Im Gegenteil.
Um JFKs Werdegang, sein turbulentes Leben und seine steile politische Karriere zu verstehen, muss man die Vorgeschichte kennen. Sie beginnt mit einer dominanten Vaterfigur, die buchstäblich vor nichts zurückschreckte, um den eigenen Willen durchzusetzen. Joseph Patrick Kennedy, auch als »Joe« bekannt, wurde 1888 in Boston geboren. Er besuchte die besten Schulen und absolvierte sein Studium, wie später die eigenen Söhne, an der elitären Harvard-Universität. Schon in sehr jungem Alter verdiente Kennedy als Investmentbanker seine ersten Millionen. Der ehrgeizige Tausendsassa, den es nach eigener Darstellung gelangweilt hätte, nur in einer Branche tätig zu sein, legte sein Geld in Immobilien an, beteiligte sich an einem der größten Stahlkonzerne der USA und kaufte später mehrere Hollywood-Studios.
Die Jahre in Hollywood waren besonders prägend. Kennedy Senior war der erste Katholik aus dem amerikanischen Ostküsten-Establishment, dem es gelungen war, in der Traumfabrik Fuß zu fassen. Häufig mockierte sich der kühl berechnende Unternehmer über die Blauäugigkeit in der Filmindustrie und darüber, wie leicht er mit Geld, Charisma und blendendem Auftreten Geschäftspartnern das Fell über die Ohren ziehen konnte. Auch lernte Joe in Hollywood eine wichtige Lektion, die später den politischen Karrieren seiner Söhne zugute kommen würde: »Image ist alles.« Er verstand es wie ein echter Filmproduzent, mit der richtigen Inszenierung Illusionen zu schaffen und diese im politischen Geschäft zum eigenen Vorteil zu nutzen. So heuerte er Jahrzehnte später die besten Hollywood-Fotografen für Johns und Jackies »Hochzeit des Jahrhunderts« an und ließ sie auch danach die Bilder von der jungen Familie machen. Damit sollte sichergestellt werden, dass der Öffentlichkeit das Bild eines unwiderstehlichen Traumpaars vermittelt wurde, das einfach perfekt war fürs Weiße Haus. Zu den Shootings wurden die besten Visagisten eingeflogen, die dafür sorgen sollten, dass John bei jedem öffentlichen Auftrittt perfekt geschminkt war. Sein blendendes Aussehen sicherte ihm im Präsidentschaftswahlkampf 1960, insbesondere bei der ersten Fernsehdebatte, einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem republikanischen Kandidaten Richard Nixon.
Als Manager einer Schiffswerft knüpfte Johns Vater 1917 seinen bis dahin wichtigsten politischen Kontakt. Er freundete sich mit dem späteren Präsidenten Franklin Delano Roosevelt an, der zu dieser Zeit Staatssekretär im Marineministerium war. 1932 unterstützte Joe dann Roosevelt bei dessen Präsidentschaftskampagne, der ihn als Belohnung dafür anschließend zum ersten Vorsitzenden der Börsenaufsichtsbehörde Securities and Exchange Commission (SEC) ernannte. Nach dem Ende der Prohibition importierte Kennedy Whiskey aus Schottland und gründete mit der Unterstützung von Roosevelts Sohn ein Handelsunternehmen, das das Exklusivrecht für den Verkauf weltberühmter Marken wie Gordons Gin und Dewar Scotch in den USA erwarb.
Sein Vermögen machte Joe mit seiner Kreativität und Geschäftstüchtigkeit als Unternehmer, doch seine große Leidenschaft galt der Politik. Sichtlich genoss er als US-Botschafter in London – zu dem ihn Präsident Roosevelt 1938 ernannt hatte – sein Leben als gefeiertes Mitglied der britischen »High Society«. Diskretion und Selbstbeherrschung zählten dagegen nicht zu seinen Stärken. Regelmäßig trotzte der selbstwusste Multimillionär den Anweisungen aus Washington, schoss aus der Hüfte und setzte sich bei seinen englischen Gastgebern in die Nesseln. So unterstützte er entgegen den Vorgaben des Außenministeriums die »Appeasement-Politik« des damaligen britischen Premierministers Neville Chamberlain, der meinte, dass man mit Hitler »verhandeln« und »Kompromisse schließen könne«, um den Krieg noch in letzter Minute abzuwenden. In seinem wohl krassesten Verstoß gegen das Protokoll bemühte sich Botschafter Kennedy gleich zwei Mal um ein persönliches Treffen mit Hitler. Das hinterhältige und nassforsche Vorpreschen hätte schon damals zu seiner prompten Entlassung geführt, wenn man in Washington davon gewusst hätte. Doch erfuhr man dort erst später von den geheimen Eskapaden des Diplomaten.
Zu Konsequenzen kam es infolge einer Beleidigung jener Nation, die Kennedy Senior als Spitzendiplomaten mit offenen Armen empfangen hatte. In Großbritannien sei »die Demokratie am Ende«, schimpfte er und plädierte auch nach Kriegsbeginn vehement gegen amerikanische Militärhilfe für England. Die unentschuldbare Entgleisung über das angebliche Ende der Demokratie in einem Land, zu dem die USA seit langem eine »special relationship« unterhielten, führte dazu, dass der zornige Präsident Kennedy mit sofortiger Wirkung aus London zurückpfiff. Damit waren zugleich alle Ambitionen des damals 52-Jährigen, sich eines Tages selbst um die Präsidentschaft zu bewerben, begraben.
Sein Einsatz ging daher von nun an auf seinen ältesten Sohn, Joseph Junior, über. Doch den jungen Navy-Piloten ereilte 1944 ein tragischer Tod. Joe Junior war gerade auf dem Weg zu einem streng geheimen Kampfeinsatz gegen deutsche Raketenstellungen in Frankreich, als sein Kampfjet durch eine Fehlzündung über dem Ärmelkanal explodierte. Damit war der Weg für die politische Karriere des zweiten Sohnes vorgezeichnet.
Dass der ehrgeizige Vater nun alle seine Hoffnungen auf den damals gerade 27-jährigen John Fitzgerald Kennedy setzte, wurzelte nicht nur in seinem unbändigen politischen Ehrgeiz, sondern auch in einer tiefen Verunsicherung. Als gläubiges Mitglied einer streng katholischen Gemeinde fühlte er sich in den gehobenen gesellschaftlichen Kreisen Bostons diskriminiert. Umso unverständlicher war für viele seine geringe Toleranz für andere religiöse Minderheiten, insbesondere für Juden. »Mach niemals Geschäfte mit Juden, Du kannst ihnen nicht vertrauen«, hatte der Patriarch seinen Söhnen eingetrichtert – ein Grundsatz, den die beiden aufgeklärten und weltoffenen Jungen glücklicherweise nicht beherzigten. Und als Sohn irischer Einwanderer, dessen Vorfahren in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen waren, wollte Joe beweisen, dass auch Immigranten es im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu höchsten politischen Ehren bringen konnten. »Als erster Mick wird ein Kennedy amerikanischer Präsident«, prägte er seinem Sohn bereits als jungem Mann ein. Dass er seine eigenen Landsleute als »Micks« bezeichnete, ein abschätziger Begriff für eingwanderte Iren, deren Nachname häufig mit den Buchstaben »Mc« beginnt, ist zugleich ein deutliches Anzeichen für einen gewissen Minderwertigkeitskomplex. Klar war zugleich, dass der resolute Patriarch seinen Willen gegenüber seinem Sohn durchsetzen würde. Ab sofort setzte er alles daran, dem Filius den Weg zu bereiten – über das Repräsentantenhaus und den Senat bis hin zum Weißen Haus.
Geboren wurde John Fitzgerald Kennedy am 29. Mai 1917 in Brookline, einem Vorort von Boston. Benannt hatten Joseph und Rose Kennedy ihr zweitältestes von neun Kindern, vier Jungen und fünf Mädchen, nach Roses Vater, dem populären ehemaligen Bürgermeister von Boston, John »Honey Fitz« Fitzgerald. Joes Ehrgeiz bekamen die beiden Söhne schon in sehr jungen Jahren zu spüren. Joseph Junior und John besuchten ausschließlich die besten Privatschulen. Dem Vater ging es dabei um mehr als eine erstklassige Schulausbildung. Für ihn war die Aufnahme seiner Söhne in die prestigeträchtigsten Schulen auch ein Ausdruck des gesellschaftlichen Aufstiegs. Zugleich bot sich dort die Möglichkeit, ein Netzwerk an einflussreichen Kontakten aufzubauen. Die Mitschüler der Kennedy-Söhne waren fast ausschließlich die Kinder wohlhabender, protestantischer Eltern – also eben jener Leute, die jahrelang verhindert hatten, dass die römisch-katholische Kennedy-Familie in die »Country Clubs« von Bostons pikfeinen Vororten aufgenommen wurde. In den Clubs traf sich die gesellschaftliche Elite, es wurde Golf und Tennis gespielt, es wurden geschäftliche Kontakte geknüpft und gepflegt. Wer dort aufgenommen wurde, war ein arriviertes Mitglied der gehobenen Gesellschaft, und eben danach hatte sich der ambitionierte Sohn eines Kneipenbesitzers schon immer gesehnt.
Die Kennedy-Familie 1937. Links: Vater Joseph, John F. Kennedy und seine Schwestern Patricia, Jean Anne und Eunice; rechts: Mutter Rose, Edward, Robert, Kathleen, Rosemary und Joseph Junior.
Joe impfte den Jungen jedenfalls dieselben Werte und Prinzipien ein, mit denen seine Eltern auch ihn großgezogen hatten: Joe Junior und John sollten in der Schule glänzen, miteinander um die besten Noten konkurrieren und versuchen, sich mit sportlichen Leistungen gegenseitig auszustechen. Doch auch wenn Joe Senior die Konkurrenz zwischen seinen beiden Söhnen ausdrücklich förderte, so galt für ihn doch der unerschütterliche Grundsatz, dass der Kennedy-Clan nach außen bedingungslos zusammenhalten sollte. Erwartet wurde von den jungen Männern außerdem, dass sie ein Interesse an politischen Themen entwickelten, wobei ihr Vater es keinewegs dem Zufall überließ, welcher Partei sie eines Tages angehören würden. Schließlich war Joe Senior ein energischer Befürworter von Roosevelts sozialstaatlichem Liberalismus, der vor allem im »New Deal« des demokratischen Präsidenten seinen Niederschlag fand. »Den Namen Kennedy zu tragen, bedeutet, ein Demokrat zu sein«, hieß es im Elternhaus von Joseph und JFK.
Bald nachdem der junge John seinen zehnten Geburtstag gefeiert hatte, siedelte die Familie nach New York über und bezog ein Haus in dem noblen Vorort Riverdale. Obwohl die Kennedys ihre Wurzeln in Boston hatten, verbrachte Joe Senior beruflich die meiste Zeit in New York und wollte die Familie in seiner Nähe haben. Ihren Hauptwohnsitz behielten die Kennedys gleichwohl in Brookline, außerdem hatten sie Anwesen in Hyannis Port, Massachusetts, und in Florida, wo sich während der Urlaubsmonate auch heute noch mehrere Generationen des Kennedy-Clans versammeln.
Wo immer die Familie hinzog, besuchten die Brüder nur die teuersten und exklusivsten Schulen. Mit 14 wurde John wie zuvor bereits sein älterer Bruder in das elitäre Internat Choate im benachbarten Connecticut aufgenommen. Die Institution hatte sich nicht nur dadurch einen Namen gemacht, dass ihre Absolventen später die besten Universitäten besuchten, sondern war auch für ihre dreiste Diskriminierungspraxis bekannt. So wurde unter anderem jüdischen Schülern die Aufnahme verweigert, und als Katholiken hatten die Kennedy-Söhne auch nur wegen des Vermögens und der politischen Beziehungen ihres Vaters eine Chance. Joseph Senior spielte diese Attribute eiskalt aus, wenn es darum ging, seinen Söhnen Vorteile zu verschaffen.
John stand vom ersten Tag an im Schatten seines älteren Bruders. Joe Junior war außerordentlich beliebt, gutaussehend, ein begnadeter Sportler und eine akademische Koryphäe. John dagegen, bei dem bereits als kleiner Junge Colitis, eine Entzündung des Dickdarms, festgestellt wurde, war kränklich und glänzte als Athlet nicht durch besondere Leistungen. Sein damals noch langes, schmales Gesicht mit den tiefliegenden Augen stand in Kontrast zu dem blendenden Aussehen des älteren Bruders. Ständig war John zu Lausbubenstreichen aufgelegt und hatte Ärger mit seinen Lehrern. Seine Noten waren nur mittelmäßig. Doch sein angeschlagener Gesundheitszustand, der sich in späteren Jahren noch deutlich verschlechterte, und die Minderwertigkeitsgefühle gegenüber Joe entfachten im jungen JFK gleichzeitig einen glühenden Ehrgeiz, der ihn sein Leben lang begleiten sollte. Aus Protest gegen den Vater, der darauf bestand, dass seine Söhne genau wie er selbst die Universität Harvard besuchen sollten, bewarb sich John mit Erfolg bei der Konkurrenz in Princeton. Während des ersten Semesters erkrankte er jedoch an Gelbsucht und musste das Studium abbrechen. Nachdem er sich erholt hatte, gab er schließlich dem Druck des Vaters nach und ging nach Harvard.
Das Studium in Harvard prägte den jungen John F. Kennedy entscheidend und stellte zugleich die Weichen für seinen Einstieg in die Politik. Leicht hatte er es am Anfang nicht. Unerbittlich setzte sich die familieninterne Rivalität mit seinem älteren Bruder fort. Komplexbeladen im Verhältnis zu Joe Junior, den der Patriarch allgemein den »intelligenten Sohn« nannte, suchte John unermüdlich nach Wegen, um dem Vater zu imponieren. Die unterdurchschnittlichen Noten waren dazu wenig geeignet, und so entschloss er sich, stattdessen die eigenen Stärken auszuspielen. Unreifer als die meisten seiner 20