Zum Buch
Er war ein Genie und Nobelpreisträger. Sie, eine geborene Wittelsbacherin, war Königin von Belgien. Er war Jude, Emigrant und glühender Pazifist. Sie war Kunstliebhaberin, Mäzenin und sorgende Landesmutter. Zwischen Albert Einstein und Elisabeth von Belgien entwickelte sich jenseits aller Konvention in gemeinsamer Freude an Musik und Musizieren eine tiefe Freundschaft. Diese blieb auch bestehen, als Einstein 1933 in die USA emigrierte und nie mehr nach Europa zurückkehrte.
Der Briefwechsel der beiden ist Zeugnis einer turbulenten Zeit – Drittes Reich, Zweiter Weltkrieg, Nachkriegszeit, Kalter Krieg – und Brücke zwischen dem „verrückten Genie“ und der „Roten“ Königin.
Eindrucksvoll beschreibt die Autorin zwei Lebensläufe im Kontext der Geschehnisse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Zur Autorin
Rosine De Dijn,
geb. 1941 in Flandern, ist freie Journalistin und Autorin zahlreicher historischer Bücher. Sie lebt in Bergisch Gladbach.
Rosine De Dijn
Albert Einstein
&
Elisabeth von Belgien
Verlag Friedrich Pustet
Regensburg
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
eISBN 978-3-7917-6096-4 (epub)
© 2016 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg
Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg
Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:
ISBN 978-3-7917-2799-8
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Übrigens ist das Segeln in den einsamen Buchten der hiesigen Küste auch nicht wenig verlockend. Wenn Sie zu jenen Sterblichen gehörten, auf die die Öffentlichkeit kein Recht zu haben sich einbildet, würde ich Sie zu ermuntern versuchen, einmal im Sommer dazu herüberzukommen. Ich hab jetzt sogar einen Kompass, der im Dunkeln leuchtet, wie ein ganz ernsthafter Seefahrer. Es ist aber nicht so weit her mit meiner Kunst, und ich bin schon zufrieden, wenn ich jeweilen von der Sandbank wieder loskomme, auf der ich stecken geblieben bin (so ähnlich wie beim Beethoven Quartett).
Princeton 16.II.35
Am 19. Februar 1955 schrieb Königin Elisabeth ihrem langjährigen Freund Albert Einstein nach Princeton:
Heute Abend habe ich am Pariser Radio mit Wonne zugehört, wie französische Gelehrte bei Gelegenheit der 50 Jahre Ihrer Kundgebung der Relativitäts-Theorie sich versammelt hatten. Lange wurde von Ihnen gesprochen, als Mensch, als Gelehrter und Genie. Verschiedene lustige Anekdoten wurden auch erzählt, unter anderen auch über Sie und mich. Ich hätte einiges dazu beitragen können (wenn man mich gefragt hätte). Anderthalb Stunden hörte ich voll Interesse und Glück diesen Gesprächen zu und dachte mit Sehnsucht und Liebe an den Freund in der weiten Ferne.
Im Alten Europa und andernorts auf der Welt gedachte man der im Jahr 1905 veröffentlichten Speziellen Relativitätstheorie. Mit der Feststellung, dass Raum und Zeit nicht absolute, sondern relative Begriffe seien, hatte der „Kopernikus des 20. Jahrhunderts“, wie der „Spiegel“ Einstein Ende April 1955 euphorisch hochleben ließ, „an den festen Mauern der klassischen Physik gerüttelt und sie zum Einsturz gebracht“.
Fünfzig Jahre war das nun her und der Fachwelt jede Menge Trubel wert.
Aber der gefeierte Jubilar im fernen Princeton haderte. In Europa erstarrte das Leben unter dem Kalten Krieg; Einstein antwortete seiner „verehrten Königin“ nach Brüssel:
Ihr Brief hat mich ausserordentlich gefreut. Er zeigt mir Übereinstimmung in den grundsätzlichen politischen Dingen. Trotzdem alle sehen, dass ein ernsthafter militärischer Konflikt unter den heutigen Bedingungen zur Vernichtung aller führen muss, ja schon die Vorbereitung auf einen möglichen militärischen Konflikt, kann man sich nicht dazu entschliessen, Schlauheit und gegenwärtige Bedrohung durch wohlwollendes Verständnis zu ersetzen. Ich muss gestehen, dass die mir entgegengebrachte übertriebene Wertschätzung meiner Lebensarbeit mir viel Unbehagen bereitet. Ich komme mir vor wie ein unfreiwilliger Hochstapler. Es ist aber schwierig, etwas dagegen zu thun, ohne das Übel noch zu vergrössern.
Aufrüstung war das allgemeine Credo. Seinen treuen Freund Max von Laue ließ Einstein anlässlich des Festrummels wissen: Alter und Krankheit machen es mir unmöglich, mich an solchen Gelegenheiten zu beteiligen, und ich muss auch gestehen, dass diese göttliche Fügung für mich auch etwas Befreiendes hat. Wenn ich in den Grübeleien eines langen Lebens etwas erkannt habe, so ist es dies, dass wir von einer tieferen Einsicht in die elementaren Vorgänge viel weiter entfernt sind, als die meisten unserer Zeitgenossen glauben, sodass geräuschvolle Feiern der tatsächlichen Sachlage wenig entsprechen.
Der sehnsüchtige Gruß der Königin aus Schloss Laeken an den „Freund in der weiten Ferne“ sollte der letzte sein. Am Montag, dem 18. April 1955, starb Albert Einstein. Margot, Einsteins Stieftochter, teilte der „Hochverehrten, lieben Königin“ am 30. April 1955 die traurige Nachricht vom Ableben ihres Stiefvaters mit.
Mein Vater hat immer mit so viel Wärme und Verehrung von Ihnen gesprochen. Ihr letzter Brief war für ihn eine große Freude. Er selbst hatte ihn mir vorgelesen. Nun ist das eingetreten, was wir seit Jahren gefürchtet hatten. Er selbst wusste ganz genau die Ursache seiner Erkrankung – und keiner hätte es gewagt ihn zu belügen! – die wenigen Male – es waren Minuten –, die ich ihn im Hospital sehen durfte, (ich war selbst Patientin dort) war er wach und voller Ruhe und Gelassenheit über den Tod. Er sagte, dass er seine Aufgabe hier erfüllt habe – und dass es Zeit wäre für ihn, zu gehen. So unerschrocken und frei, wie er immer war, so sah er seinem Ende entgegen – er wartete darauf wie auf ein „Naturereignis“, das kommen musste. Beim Versuch, sein Leben noch zu verlängern, (es wäre aber unmöglich gewesen) lehnte er glatt ab. Er fand das „geschmacklos“ und sagte zu mir mit voller Überzeugung: „Mein Leben verlängern? Fällt mir gar nicht ein! Ich gehe, wann ich will – auf „elegante Weise“. Seinen Humor hatte er nie verloren – obwohl er am Anfang große Schmerzen litt, zum Teil aus eigenem Verschulden, weil er die Injektionen verweigerte. Aber im Hospital hat er nicht mehr viel aushalten müssen – er war der rührendste, geduldigste, bescheidenste Patient!
Am Sonntag früh sah ich ihn zum letzten Mal. Er war lieb und freundlich wie immer – schien sogar sich besser zu fühlen. Aber wir wussten, dass es nicht für lange Zeit sein konnte. Am Sonntag Nachmittag unterhielt er sich mit seinem Sohn und nahen Freunden über Politik und wissenschaftliche Dinge. Er verlangte nach seiner Brille – seinem Manuskript. Er fühlte sich besser. An Sonntagnacht – 1 Uhr 15 – ist er im Schlaf von uns gegangen.
Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich auf unserer Veranda – vor seinem Studierzimmer und sehe hinunter in den blühenden Garten. Da fallen mir seine Worte ein, die er mir vor ein paar Jahren sagte, als seine Schwester von uns ging: „Margot – sieh in die Natur – dann verstehst Du’s besser.
Zwischen der Wittelsbacherin und späteren Königin Elisabeth, geb. Herzogin in Bayern, einer durchaus eigenwilligen und interessanten Persönlichkeit, und dem „Magier der modernen Physik“ hatte sich, jenseits der Konventionen und über turbulente Zeiten hinweg, eine tiefe Freundschaft entwickelt. Die „kleine Königin“ und der berühmte Physiker, beide unterschiedlichster Herkunft, haben sich bis Einsteins Tod in unregelmäßiger Regelmäßigkeit freundschaftlich ausgetauscht.
Am 28. Oktober 1911 bestieg Einstein in Prag den Nachtzug und fuhr über Köln nach Brüssel, wo er abends um sechs Uhr beschwingt eintraf, gerade noch rechtzeitig zum festlichen Empfang in der Nobelherberge Métropole. In der belgischen Hauptstadt hatte der umtriebige Mäzen Ernest Solvay zum ersten legendären Conseil Solvay geladen.
Albert Einstein war zu der Zeit gerade einmal 32 Jahre alt. Seit er seine spezielle Relativitätstheorie im Jahre 1905 in den „Annalen der Physik“, der bedeutendsten deutschsprachigen physikalischen Fachzeitschrift, publiziert hatte, war der am 14. März 1879 in Ulm geborene Sohn einer liberalen deutsch-jüdischen Familie in Fachkreisen vom Außenseiter zum wissenschaftlichen Star geworden. Der gut aussehende junge Mann mit dem dicht gewellten schwarzen Haar und den großen braunen Augen hatte bereits einen bemerkenswerten Weg hinter sich.
Das Schwabenland blieb nicht seine Heimat, denn die Eltern, Hermann und Pauline Einstein, verließen Ulm. Die kleine Familie zog 1880 nach München. Der Vater wurde in der bayerischen Hauptstadt Teilhaber der Firma Jakob Einstein & Cie und erarbeitete mit kaufmännischem Geschick für Frau und Kind einen gewissen Wohlstand. In München besuchte der sechsjährige Knabe, von seiner schwäbischen Mutter zärtlich „Albertle“ gerufen, die Petersschule, eine große katholische Volksschule mit mehr als zweitausend Schülern. Unter siebzig Mitschülern war er der einzige Jude seiner Klasse, gleichwohl übte er fleißig die Lehre des Katechismus. Seine freidenkenden Eltern sahen darin kein Problem. Allerdings fehlte der obligatorische Unterricht in jüdischer Religionslehre nicht, den er zur selben Zeit durch einen Verwandten privat erhielt. Aber die Harmonie währte nicht lange. 1893 geriet die Firma Einsteins in unsicheres Fahrwasser. Die elektrotechnische Fabrik wurde liquidiert. Man suchte Fortune in Italien, die Familie zog nach Mailand. Nur Albert blieb zurück. Er sollte am Luitpold-Gymnasium, in das er am 1. Oktober 1888 aufgenommen worden war, sein Abitur machen. Der rebellische Gymnasiast fühlte sich dort alles andere als wohl. Der Drill und das Auswendiglernen waren ihm ein Graus. Später wird sein Biograf Moszkowski schreiben, Einstein habe gesagt: Die Lehrer in der Elementarschule kamen mir wie Feldwebel vor und die Lehrer am Gymnasium wie Leutnants.
Der Querkopf wusste sich zu befreien. Er besorgte sich ein ärztliches Attest, das ihm „nervöse Erschöpfung“ bescheinigte, und hoffte, dass sein Mathematiklehrer bestätigte, er beherrsche bereits den Stoff für das Abitur und sei ein hervorragender Mathematiker. Einsteins Biograf Rudolf Kayser schrieb, der Lehrer habe Einsteins mathematische Kenntnisse und Fähigkeiten lobend erwähnt und ihm ein Studium in diesem Fach empfohlen. Der Knabe war gerade mal fünfzehn Jahre alt, als er die Entlassung aus der Schule beantragte. Den Eltern war das suspekt. Der eigensinnige Schulabbrecher wollte nun an das Eidgenössische Polytechnikum nach Zürich. Dort brauchte man kein Abitur. Aber Albert bestand die Aufnahmeprüfung nicht. Es fehlte ihm der Schulstoff dreier deutscher und in manchen Fächern der Stoff von mindestens fünf Schweizer Schuljahren. Außerdem war er für die Aufnahme fast zwei Jahre zu jung. Schließlich holte er an der Kantonsschule in Aarau das Abitur nach. Keine schlechte Entscheidung, denn der damals widerspenstige Schüler wird später berichten: (…) durch Vergleich mit sechs Jahren Schulung an meinem deutschen, autoritär geführten Gymnasium wurde mir eindringlich bewusst, wie sehr die Erziehung zu freiem Handeln und Selbstverantwortlichkeit jener Erziehung überlegen ist, die sich auf Drill, äussere Autorität und Ehrgeiz stützt. Echte Demokratie ist kein leerer Wahn.
1896 wurde Albert Einstein am Polytechnikum in Zürich immatrikuliert. Er war inzwischen staatenlos, denn ab dem 28. Januar 1896 hatte die deutsche Behörde ihn aus der Staatsbürgerschaft entlassen. Sein Vater hatte den Antrag bereits Monate vorher in Württemberg gestellt. Ob Einstein der verhassten Wehrplicht zu entkommen versuchte? Erst am 21. Februar 1901, nach fünf langen Jahren, bekam er das Bürgerrecht der Stadt Zürich und wurde damit Schweizer. Die achtsemestrige Ausbildung zum Fachlehrer für Physik schloss der Studiosus 1900 mit einer Diplomarbeit ab.
Die Entlassung in die Selbstständigkeit gestaltete sich mühsam, denn Einsteins erste Versuche, eine Anstellung zu finden, schlugen fehl, deprimierend für den wissbegierigen Physiker. Anfang Juni 1902 wurde eine Stelle als „Experte III. Klasse“ am Berner Patentamt ausgeschrieben. Mitte Juni wurde Einsteins Bewerbung angenommen und eine Woche später trat er die feste Anstellung an. Jetzt war er endlich finanziell abgesichert, konnte seinen physikalischen Interessen nachgehen und seine Kommilitonin, die Physikstudentin Mileva Maric, heiraten. Das lernbegierige Mädchen aus der Vojvodina, damals zum ungarischen Teil der k.u.k-Monarchie gehörend, war drei Jahre älter als sein Verehrer und nicht gerade eine Schönheit. Die klein gewachsene junge Frau war wegen einer angeborenen Hüftluxation oder -dysplasie stark gehbehindert. Ihre Mutter stammte aus einer biederen aber wohlhabenden serbischen Bauernfamilie. Ihr Vater war ein ehrgeiziger und erfolgreicher Aufsteiger, der seine Kinder von Anfang an stark förderte, aber auch ihr Leben in die ihm passend erscheinende Richtung regelrecht zwang. Aber sie wollte unbedingt studieren. Ihr Studium musste Mileva in Zürich machen, da damals Studieren für Frauen nur in der Schweiz möglich war. …wie stolz werd ich sein, wenn ich gar vielleicht ein kleines Dokterlin zum Schatz hab & selbst noch ein ganz gewöhnlicher Mensch bin, schrieb der verliebte Albert.
Aber Mileva fand bei Familie Einstein kein Gefallen. Alberts Mutter meinte: „Sie ist ein Buch wie Du – Du solltest aber eine Frau haben“, und gab sich unversöhnlich bis zum Schluss. Noch vor der Eheschließung bekamen Albert und Mileva 1902 eine Tochter, die in den Briefen ihres Vaters „Lieserl“ genannt wird. Nur aus den Briefen weiß man überhaupt von dem Kind. Die junge Mutter blieb zunächst bei ihren Eltern in Novi Sad. So nahm die Geschichte ihren unseligen Lauf. Warum dieses Töchterchen verleugnet wurde, bleibt bis heute ungeklärt. War es, weil es in den biederen Vorstellungen der damaligen Zeit ein Kind der „Schande“ war? Einstein hat dieses Töchterchen nie gesehen, „Lieserls“ Schicksal verliert sich im Ungewissen. Sie soll bereits 1903 gestorben oder zur Adoption freigegeben worden sein.
Trotz schwerer Bedenken und heftiger Proteste seitens Einsteins Mutter wurde geheiratet, wenn auch die Euphorie zwischen den Beiden inzwischen verflogen war. Nach der Heirat wurde 1904 Hans Albert geboren, 1910 folgte Eduard. Die Ehe stand unter keinem guten Stern. Mileva litt an Schwermut und beklagte sich, dass ihr Alberts Liebe abhandengekommen sei. In „Mein Glaubensbekenntnis“, verfasst 1929–1930, notierte Einstein: Ich hatte da mit innerem Wiederstreben etwas unternommen, was eben über meine Kräfte ging. Er habe vornehmlich nur aus Pflichtgefühl geheiratet. Mileva war keine Jüdin. Ob diese Tatsache, Assimilation und Emanzipation hin oder her, eine Rolle gespielt haben mag, sei dahin gestellt.
Am 14. Februar 1919 wurde die Ehe am Bezirksgericht Zürich geschieden. Einstein lebte zu der Zeit bereits in Berlin. Dort hatte er mit seiner Cousine, der geschiedenen Elsa Löwenthal, eine Beziehung. Sie sollte seine zweite Frau werden. Ob das Verhältnis zu Mileva und den Söhnen ein Leben lang angespannt blieb? Die Beziehung zwischen Albert und seiner Familie kannte Höhen und Tiefen. Albert blieb ihr verbunden und erfüllte seine Verpflichtungen. Mileva machte sich abhängig von ihm und war es auch de facto, zumindest materiell. Der älteste Sohn Hans Albert machte sich selbständig und unabhängig, haderte aber in jugendlicher Trotzhaltung mit dem Vater, auch als er längst selbst Familienvater und Universitätsprofessor ist. Eduard machte es seinem Vater am leichtesten und zog sich später in seine eigene, „ver-rückte“ Welt zurück. Nach Einsteins Abschied von Europa gibt es keine Hinweise auf ein „angespanntes“ Verhältnis zwischen Vater und Sohn.
Nach der Habilitation im Jahr 1908 begann Einstein seine akademische Laufbahn an der Universität Bern.
In Prag verkehrte Albert Einstein 1911 – auch wenn es dafür keine exakten Belege gibt – wahrscheinlich mit Franz Kafka, der mit dem Zionismus und der Assimilation der westlichen Juden haderte, und mit dem deutschsprachigen Schriftsteller Max Brod, dessen Werke zur Zeit des Nationalsozialismus auf der Liste der verbotenen Autoren standen. Die Juden waren in der deutschen Minderheit der tschechischen Hauptstadt stark repräsentiert. Kafka, Brod und Einstein waren gern gesehene Gäste im Salon der geistreichen Bertha Fanta, einer Apothekerin, wo sich ein Kreis überzeugter Zionisten traf. Dort wurde genüsslich über Philosophie und Literatur debattiert und Einstein griff gelegentlich zu seiner Geige. Max Brod begleitete ihn am Klavier.
Abb. 1: Mileva und Albert Einstein
Abb. 2: Mileva Einstein mit den beiden Söhnen Eduard (links) und Hans Albert (rechts) im Jahr 1914.
Für den frisch gebackenen Ordinarius aus der Schweiz spielte es keine Rolle Jude zu sein. Seine Eltern, Hermann und Pauline Einstein, waren schwäbisch-bodenständige Bürger. Sie bekannten sich zwar zum Judentum; eine Konversion zum Christentum wäre für sie nicht infrage gekommen. Sie waren überhaupt nicht fromm, selbst jüdisch-traditionsbewusst waren sie nur in sehr begrenztem Maß. Zu Hause wurde nicht gebetet, auch nicht koscher gegessen. Selbstverständlich kam Schweinefleisch auf dem Tisch. „Die Schriften der Propheten wurden kaum noch gelesen, der Talmud überhaupt nicht mehr. Stattdessen rezitierte Hermann Einstein im Kreise der Familie Schiller und Heine“, schrieb Rudolf Kayser, Einsteins Schwiegersohn, in seiner 1930 veröffentlichten Einstein-Biografie unter dem Pseudonym Anton Reiser.
Als der junge Physiker 1911 an die Universität von Prag berufen wurde, sollte er zum ersten Mal eine weitreichende Entscheidung treffen. In den Fragebogen, den jeder Professor beim Antreten seines Amtes ausfüllen musste, trug Einstein als Religion zunächst „konfessionslos“ ein. So sah er sich. Aber im k.u.k. Prag musste der Amtseid auf einen k.u.k anerkannten Gott abgelegt werden. So bekannte er sich schließlich als „mosaisch“, für ihn eine rein administrative Geste. Nicht nur in Deutschland, auch wenn eine Mehrzahl der Deutschen jüdischer Herkunft sich zu einem liberalen Reformjudentum bekannte, auch in Österreich und in Prag herrschte ein latenter Antisemitismus. Erst recht an den Universitäten. Doch Einstein ließ sich nicht umstimmen. Auch noch im Jahr 1900 hatte Einstein in so manches Dokument der Stadt Zürich „konfessionslos“ eingetragen. Er wurde übrigens an seinem 13. Geburtstag kein „Sohn der Verpflichtung“, ein „Bar-Mizwa“ und nicht wie ein jüdischer Knabe nach rabbinischen Kriterien als vollwertiges Mitglied in die jüdische Gemeinschaft aufgenommen. Er war halt ein Freigeist.
Im Oktober 1917 wird Einstein die Stelle des Direktors des physikalischen Instituts der neu geschaffenen Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Berlin in Aussicht gestellt. Er wird zum ordentlichen Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften berufen, ein prestigeträchtiger Posten. Anderthalb Jahrzehnte später in der Rückschau wird er eine bittere Bilanz ziehen: Als ich vor 15 Jahren nach Deutschland kam, entdeckte ich erst, dass ich Jude sei, und diese Entdeckung wurde mehr durch Nichtjuden als durch Juden vermittelt.
Der „Einspänner“ ging seinen eigenen Weg. In frühen Jahren vermisste er in seinen Kollegen den intellektuellen Counterpart. Aber spätestens beim 1. Conseil Solvay war er auf den Geschmack gekommen. (…) aber das Bewusstsein, der unsichtbaren Gemeinschaft derjenigen anzugehören, die nach Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit streben, hat das Gefühl der Vereinsamung nicht aufkommen lassen, erwähnte er in „Mein Glaubensbekenntnis“. Er habe dem Staat, der Heimat, dem Freundeskreis, ja, selbst der engeren Familie nie mit ganzem Herzen angehört, wird er später betonen, und all diesen Bindungen gegenüber ein nie endendes Gefühl der Fremdheit und des Bedürfnisses nach Einsamkeit empfunden. Antonina Vallentin, Biografin und gute Freundin von Elsa Einstein, schrieb „Er hat in Wirklichkeit niemals andere Wesen gebraucht, hat sich im Gegenteil mehr und mehr von aller gefühlsmäßigen Abhängigkeit befreit, um sich selbst zu genügen, als wäre er durch eine dichte Mauer von der Umwelt abgetrennt.“
Einstein schaffte sich ohne Rücksicht auf andere seinen wissenschaftlichen Freiraum. Emotionale Bindungen und ihre Konsequenzen waren nicht sein Ding. Bei einem späteren Interview wird sein Architekt, Konrad Wachsmann, sagen: „Einstein war – wie wohl in den meisten Fällen – der Gebende. Auch wenn er sich mit feiner Ironie auf Distanz hielt. Das machte Einstein mit den meisten seiner Mitmenschen. Fast immer lebte er hinter einer Mauer, die auch dann nicht abgebaut wurde, wenn man ihn näher kannte. Es ist auch schwer, das Klima und die Atmosphäre zu beschreiben, die Einstein um sich verbreitete, seine Art, auf Menschen einzugehen, sie zu behandeln. Selbst wenn man die größten Probleme hatte, fühlte man sich in seiner Umgebung gelöst, glücklich und zufrieden. Das ist kaum zu erklären, und ich glaube, daß es selbst jenen Biographen, die in seiner Nähe gelebt haben, nicht wirklich gelungen ist.“
Dieser vielbeschworene Einzelgänger fuhr am besagten Oktobertag 1911 beschwingt nach Brüssel. Dort wurde er in den Kreis der führenden Physiker Europas aufgenommen. Das war ihm wichtig, sehr wichtig. Die Forschung war sein Lebenselixier.
Als Albert Einstein Ende Oktober 1911 die Fin-de-Siècle-Welt der belgischen Hauptstadt betrat und die Schwelle des Hotels Métropole überschritt, war die katholische Elisabeth, geborene Herzogin in Bayern und inzwischen belgische Königin, fünfunddreißig Jahre alt, drei Jahre älter als der junge Physiker. Sie gehörten der gleichen Generation an, aber ihre Erziehung und Herkunft konnten unterschiedlicher nicht sein: Einstein entstammte einem bürgerlich jüdischen Milieu. Die im Schloss Possenhofen aufgewachsene Elisabeth Gabriele war dagegen in eine uralte Dynastie hineingeboren, deren Regentschaft und Leistungen bis ins 20. Jahrhundert Geschichte schrieben. Das Haus Wittelsbach herrschte siebenhundert Jahre lang, länger als jede andere Dynastie in Europa. Diese Herrscher in Bayern, seit 1871 ein Bundesstaat im Deutschen Reich, ließen nichts ungeschehen, um die Gemüter ihrer Landsleute zu erhitzen. König Ludwig I. baute zwar die bayerische Hauptstadt München zur Kunst- und Universitätsstadt aus, musste aber wegen einer Affäre mit der Tänzerin Lola Montez abdanken. Sein Enkel Ludwig II., der Märchenkönig, verschwendete als notorisch-leidenschaftlicher Bauherr ein Vermögen mit den Schlössern Linderhof, Neuschwanstein und Herrenchiemsee, wofür ihm der Preuße Bismarck aus taktisch-politischen Überlegungen geheime Geldzahlungen zusicherte. Auch löste Ludwig II., dem homophile Neigungen nachgesagt wurden, die Verlobung mit seiner Cousine Sophie in Bayern, der jüngeren Schwester Kaiserin Elisabeths von Österreich. Der Hochadel stand Kopf. Sowohl Ludwig II. als auch seinem jüngeren Bruder Otto I. wurde Geisteskrankheit nachgesagt, „Schwermut“ nannte man das damals oder auch Neurasthenie.
Dass Elisabeth Gabriele eine ähnliche Veranlagung haben könnte, wird ihre Tochter Marie José später vehement verneinen. „Mein Großvater, Karl Theodor, stammte aus der Linie der Herzöge in Bayern. Nicht ein einziger Tropfen Blut König Ludwigs II. oder seines Bruders Otto floss durch seine Adern. Diese beiden Könige, von Geisteskrankheit heimgesucht, sind Gott sei Dank ohne Nachfahren gestorben. Sie erbten die geistige Umnachtung von ihrer Mutter, der schönen Marie von Preußen. (Eine üble Nachrede gewisser bayerischer Gesellschafts- und Adelskreise; medizinisch nie erwiesen. Anm. d. Verl.) Wie oft aber hat man den Wahnsinn der beiden „verrückten Könige“ dem Hause Wittelsbach angedichtet. In der Linie meiner Mutter gibt es keine Wahnsinnigen, sondern Originale, Träumer und Musikliebhaber.“
Der Vater der 1876 geborenen Elisabeth Gabriele, Karl Theodor, war zweiter Sohn von Herzog Max in Bayern, Bruder Kaiserin Elisabeths von Österreich und seit 1888 Haupt der herzoglichen Linie des bayerischen Hauses. Er war ein intellektueller, musisch interessierter und karitativ engagierter Zeitgenosse. Er studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München zunächst Philosophie und Jura, entschied sich aber schließlich für die Medizin, trotz erheblicher Widerstände der akademischen Welt, die den Adel eher in die Kategorie der Jäger und Kunstsammler verbannte. 1880 bestand der ehrgeizige Herzog an derselben Universität sein Staatsexamen, inzwischen bereits 41 Jahre alt, und promovierte anschließend zum Dr. med. 1895 gründete er eine Augenklinik in München und behandelte dort vor allem mittellose Kranke. Die Klinik finanzierte der Philanthrop aus eigener Tasche. Heute ist die „Stiftung Augenklinik Herzog Carl Theodor“ eine der modernsten und am besten ausgestatteten Augenkliniken Deutschlands.
Im friedlichen Possenhofen, am Westufer des Starnberger Sees, wuchs die Prinzessin mit ihren Geschwistern Sophie, Marie-Gabriele, Ludwig Wilhelm und Franz-Joseph auf. Die Kinder sollten sich entfalten können und ein Gespür für Verantwortung entwickeln. „Goethes liberaler Geist wanderte durchs Haus“, so Marie José später, „und der Antiklerikalismus eines Carbonari.“
Musik wurde sehr gepflegt. Die dem musischen Vater eng verbundene Tochter Elisabeth bekam Geigen- und Klavierunterricht und zeigte Begabung. „Die Wittelsbacher aus der Linie in Bayern, unabhängig und wild, legten keinen großen Wert auf die damals üblichen Konventionen. Die eigene Freiheit war Gesetz und grenzte an Unverfrorenheit. Mein Vater erzählte mir des Öfteren von seinen Besuchen in Possenhofen und seinem Erstaunen über das Verhalten des Herzogs Karl Theodor, seines Schwiegervaters, der mit dem Pferd ausritt, während der Besuch der Kaiserin Elisabeth von Österreich angesagt war, ohne sie vorher zu begrüßen, obwohl er sie seit Monaten nicht mehr gesehen hatte.“ Und Marie José, Gattin von Umberto II. und letzte Königin von Italien, Elisabeths einzige Tochter, fügte hinzu „Ich glaube, im großen Ganzen hatte meine Mutter ihren Intellekt, ihr Gespür für die Kunst, ihre Kreativität, ihre Liebe für das Überraschende, ihre manchmal tollkühne Furchtlosigkeit, den Mut zur eigenen Meinung, den weitgehenden Geist des Widerspruchs sowie eine große Portion Humor von ihrem Vater geerbt. Man könnte aber auch behaupten, sie war eine glückliche Mischung der beiden Stämme, der deutschen Wittelsbacher und der portugiesischen Braganzas.“
Auch die Patentante, Kaiserin Elisabeth von Österreich, soll ihre junge Nichte beeinflusst haben. Von ihr stammte wohl die Vorliebe der späteren belgischen Königin, unerschrocken ins eiskalte Wasser der Bergseen zu springen und bei Wind und Wetter durch die Natur zu streifen. Auch die fast penetrante Gehorsamsverweigerung gegenüber der starren Hofetikette hatte sie sich wohl von ihrer Tante abgeguckt. „In unserer Situation müssen wir vermeiden, dass man uns einen Stempel verpasst, den man sich nie wieder abstreifen kann.“
Schloss Possenhofen und die damals dazugehörenden beiden Hofmarken waren seit 1834 Besitz Herzog Maximilian Josephs in Bayern. Elisabeth, die spätere Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn, sowie ihre Nichte, die spätere Königin von Belgien, verbrachten in „Possi“ ihre Kindheit, angeblich eine sehr glückliche, mit einem exzentrischen Vater und Großvater, Herzog Maximilian, der lieber unter Künstlern und dem gemeinen Volk weilte als im „Schlangennest“ am Hof. Der virtuose Zitherspieler erreichte, dass das zuvor als „Lumpeninstrument“ angesehene Instrument auch in die höfischen Kreise Einzug fand, und wurde vom Volk liebevoll „Zither-Maxl“ genannt. Er starb 1888. Die 1876 geborene Enkelin Elisabeth hat ihren volksnahen Großvater noch bestens gekannt. Vielleicht hat die später doch recht eigenwillige belgische Königin öfter an diesen Großvater Max gedacht, der als „Königliche Hoheit“ ohne jeden Standesdünkel Wert legte auf ein Treffen mit Gelehrten und Künstlern „zu ausschweifenden Gelagen, wo viel gesungen, gedichtet und heftig diskutiert wurde“. War sie ihm doch ähnlich. Auch seine republikanische Gesinnung wird ihr nicht fremd gewesen sein.
Wer heute von Starnberg aus die Possenhofener Straße fährt, merkt, dass sich hier nach wie vor die happy few versteckt. Prachtvillen lugen hinter altem Baumbestand hervor, hier und dort kann man zwischen dichtem Grün den See entdecken. Alles recht incognito. Im 380 Seelen-Nest Possenhofen scheinen die kleine Kirche und das Gasthaus zum Hirschmeister – Karl Schauer an der Karl-Theodor-Straße wie aus der Zeit gefallen, und man versteht sofort, dass in diesem stillen Winkel am Seeufer und seinem Schloss jegliches Zeremoniell gleichgültig war. Fast hundert Jahre blieb das Anwesen in Familienbesitz, doch nach dem Ersten Weltkrieg kamen die Wittelsbacher nur noch sporadisch zu Besuch. Das Schloss verwaiste. 1940 wurde es an die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt verkauft, von der Luftwaffe zur Sanitätsausbildung genutzt, später Lazarett und schließlich zur Fabrik für Fahrrad-Hilfsmotoren und einem Schafstall degradiert, nicht gerade förderlich für den baulichen Zustand des Anwesens. Der Verfall war unaufhaltbar. Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege nahm sich schließlich in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts des zum Hühner-, Hasen- und Ziegenstall verkommenen „Possi“ an und unterstützte die Sanierung und Umwandlung in eine Eigentumswohnanlage. Das umgebaute Schloss ist inzwischen in privater Hand und nicht mehr zu besichtigen. Aber der weitläufige Schlosspark, der sich bis zum Seeufer erstreckt, ist einen Spaziergang wert. Wo sich einst nur die herzogliche Familie tummelte, schlendert seit 1985 Otto Normalverbraucher durch die Anlage und kann weit über den „Fürstensee“ in die Ferne blicken.
Abb. 3: Elisabeth mit ihren Eltern, Herzog Karl Theodor in Bayern und Marie José von Portugal (beide am Tisch sitzend), und Geschwistern. Elisabeth steht rechts hinter ihrem Vater.
Wie war die Erziehung einer Prinzessin Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts in Bayern, in Europa? Das Gros des Adels genoss die eigene Vormachtstellung in der Gesellschaft und war seinem „Kokon verhaftet“, rückwärtsgewandt, antidemokratisch, elitär und militant. Auch wenn die Industrialisierung alte Sozialstrukturen aufgebrochen hatte, auch wenn sich der „Geist eines Carbonari“ in so manch dickes Gemäuer eingeschlichen hatte, man blieb unter sich.