John Williams
Augustus
Roman
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Aus dem amerikanischen Englisch
von Bernhard Robben
und
mit einem Nachwort
von Daniel Mendelsohn
Nach dem posthumen Welterfolg von ›Stoner‹ widmet sich Williams in ›Augustus‹ ebenfalls der grundlegenden Frage, was es heißt, ein Mensch zu sein.
JOHN EDWARD WILLIAMS, geboren 1922 in Texas, gestorben 1994 in Fayetteville, Arkansas. Obwohl begabt, brach er sein Studium nach dem ersten Jahr ab, hatte Jobs als Rundfunk- und Zeitungsredakteur. Nur widerstrebend wurde er 1942 Mitglied des Army Air Corps, zweieinhalb Jahre Stationierung in Indien und Burma folgten. In dieser Zeit entstand sein erster Roman, ›Nichts als die Nacht‹ (dtv 28129). – Masterstudium an der University of Denver, Promotion in Englischer Literatur an der University of Missouri. 1954 Rückkehr nach Denver als Dozent. Bis zu seiner Emeritierung 1985 lehrte er im Rahmen des dortigen writing program. Williams veröffentlichte zwei Gedichtbände und drei weitere Romane, ›Butcher’s Crossing‹, ›Stoner‹ und ›Augustus‹, der 1973 mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde; ein fünfter blieb unvollendet.
Octavius ist neunzehn, sensibel und voller Wissbegierde. Er träumt davon, Schriftsteller und Gelehrter zu werden. Doch nach der Ermordung Cäsars fällt ihm als dessen Großneffe und Adoptivsohn ein gewaltiges politisches Erbe zu. Von schwächlicher Konstitution, aber enormer Willenskraft stellt sich Octavius der Herausforderung. Durch Glück, List, Intelligenz und Entschlossenheit wird es ihm gelingen, das riesige Römische Reich in eine Epoche des Wohlstands und Friedens zu führen.
Williams schildert das Wirken und Lebens dieses außergewöhnlichen Mannes, des späteren Kaisers Augustus, in dramatischen Szenen, so plastisch, so mitreißend, als würden die Geschehnisse sich ins unserer Zeit ereignen. Ein Mosaik aus fiktiven Briefen, Notizen, Erinnerungen und Senatsprotokollen formt sich langsam zu einem Bild, lassen diesen Herrscher, dem das Schicksal so vieles zuspielte, lebendig werden. Aber am Ende blickt auch »der Erhabene« dem Tod genauso ungeschützt entgegen wie jeder Mensch.
2017 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
© 1971 by John Williams
Die Neuausgabe erschien 2014 unter dem Titel ›Augustus‹
bei The New York Review Books Classics in New York
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2016 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Für das Nachwort: © 2015, Daniel Mendelsohn
aus dem amerik. Englisch von Sylvia Spatz
Umschlaggestaltung: Wildes Blut, Atelier für Gestaltung, Stephanie Weischer unter Verwendung eines Fotos von gettyimages/Allinari Archives
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eBook-Herstellung im Verlag (01)
eBook ISBN 978-3-423-43087-6 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-14612-8
Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website www.dtv.de/ebooks
ISBN (epub) 9783423430876
Für Nancy
Es heißt, ein berühmter römischer Geschichtsschreiber habe erklärt, der effektvollen Wirkung einer Wendung zuliebe würde er sogar Pompeius die Schlacht bei Pharsalos gewinnen lassen. Derlei Freiheiten habe ich mir zwar nicht erlaubt, dennoch sind manche sachlichen Fehler in diesem Buch durchaus beabsichtigt. Ich habe die Reihenfolge bestimmter Ereignisse geändert, habe erfunden, wo Berichte unvollständig oder ungewiss waren, und manchen Personen, die die Geschichte zu erwähnen vergaß, verlieh ich eine Identität. Gelegentlich habe ich Ortsnamen und die römische Nomenklatur modernisiert, wenn auch nicht in allen Fällen, da mir die Resonanz mancher Wörter wichtiger war als schematische Vereinheitlichung. Bis auf wenige Ausnahmen sind sämtliche Dokumente in diesem Roman von mir erfunden – allerdings habe ich einige Sätze aus Briefen Ciceros paraphrasiert, kurze Abschnitte aus den Res gestae divi Augusti gestohlen [diese sind im Roman kursiviert. Anm. d. Verlags] und mir ein Bruchstück aus einem verloren gegangenen Buch der Geschichte von Livius angeeignet, das sich bei Seneca dem Älteren findet.
Falls es aber Wahrheit in diesem Werk gibt, dann handelt es sich um literarische, nicht um historische Wahrheit. Und ich bin all jenen Lesern dankbar, die dieses Buch als das nehmen, als was es gedacht ist – ein Werk der Imagination.
Ich möchte an dieser Stelle der Rockefeller Foundation für ein Stipendium danken, das mir nicht nur zu reisen gestattete, sondern auch mit der Arbeit an diesem Roman zu beginnen; dem Smith College in Northampton, Massachusetts, das mir eine Auszeit gewährte, in der ich die Arbeit fortsetzen konnte, und der Universität von Denver für ihr manchmal amüsiertes, doch stets freundschaftliches Verständnis, das es mir erlaubte, dieses Buch zu beenden.
Schick den Jungen nach Apollonia.
Ich beginne so abrupt, meine liebe Nichte, damit Du gleich entwaffnet bist und jede Gegenwehr, zu der Du Dich womöglich aufraffst, zu schwach und dürftig ausfällt, als dass sie der Kraft meiner Argumente widerstehen könnte.
Dein Sohn hat mein Lager vor Karthago bei guter Gesundheit verlassen; Du wirst ihn noch diese Woche in Rom begrüßen können. Ich habe meine Männer angewiesen, die Reise geruhsam zu gestalten, sodass Dich dieser Brief vor seiner Ankunft erreichen sollte.
Gleichwohl wirst Du gewiss Einwände vorzubringen haben, die in Deinen Augen einiges Gewicht besitzen – Du bist eine Mutter und eine Julierin, also zwiefach störrisch. Ich vermute, ich kenne diese Einwände; wir erörtern diese Angelegenheiten ja nicht zum ersten Mal. Du wirst seine schwächliche Gesundheit anführen – doch dürftest Du bald bemerken, dass Gaius Octavius von meinem Feldzug in Spanien gesünder heimkehrt, als er aufgebrochen ist. Du wirst bezweifeln, dass man ihn im Ausland angemessen betreut – dabei sollte Dich ein wenig Nachdenken davon überzeugen, dass die Ärzte in Apollonia besser als die parfümierten Quacksalber in Rom geeignet sind, sich um seine Leiden zu kümmern. Ich habe sechs Legionen in und um Makedonien stehen, und Soldaten müssen in guter körperlicher Verfassung sein; Senatoren dagegen dürfen sterben. Der Schaden für die Welt hielte sich in Grenzen. Das makedonische Küstenwetter ist zudem mindestens so mild wie das römische Klima. Du bist eine gute Mutter, Atia, auch wenn Du an der Strenge und strikten Moral leidest, die unserem Geschlecht schon öfter zu schaffen machten. Du musst die Zügel ein wenig lockern und Deinen Sohn jenen Mann werden lassen, der er dem Gesetze nach ist. Er wird bald achtzehn, und Du erinnerst Dich an die Omen seiner Geburt – Omina, die ich, wie Du weißt, mir Mühe gab zu verbessern.
Du musst den Hintergrund für die Anweisung verstehen, mit der ich diesen Brief begann. Sein Griechisch ist erbärmlich; in Rhetorik ist er schwach, seine Fähigkeiten in Philosophie sind passabel, seine Kenntnisse der Literatur aber exzentrisch, um es milde auszudrücken. Sind die Lehrer in Rom so träge und sorglos wie die Bürger der Stadt? In Apollonia wird er jedenfalls mit Athenodorus Philosophie studieren sowie sein Griechisch verbessern, mit Apollodorus seine Literaturkenntnisse vertiefen und an seiner Rhetorik feilen. Die nötigen Vorkehrungen habe ich bereits getroffen.
In seinem Alter muss er zudem fort aus Rom; er ist ein junger, wohlhabender Mann aus gutem Haus und von beträchtlicher Attraktivität. Wenn ihn die Bewunderung der Jungen und Mädchen nicht verdirbt, wird es dem Ehrgeiz der Schmeichler gelingen. (Dir fällt gewiss auf, wie geschickt ich hier das Thema Deiner ländlich geprägten Moralvorstellungen streife.) In einer so disziplinierten wie spartanischen Umgebung wird er die Vormittage mit den klügsten Gelehrten unserer Zeit verbringen und seine Verstandeskünste schärfen; an den Nachmittagen vervollkommnet er dann mit den Offizieren meiner Legionen jene andere Kunst, ohne die kein Mann vollständig ist.
Du kennst meine Gefühle für den Jungen und auch die Pläne, die ich für ihn hege; längst wäre er vor den Augen des Gesetzes mein Sohn, wie er es bereits in meinem Herzen ist, wäre seine Adoption nicht von diesem Marcus Antonius verhindert worden, der sich einbildet, mein Nachfolger zu werden und dabei im Kreise meiner Feinde so geschickt vorgeht wie ein Elefant, der durch den Tempel der Vestalischen Jungfrauen trampelt. Dein Gaius steht mir zur Rechten, aber wenn er dort wohlbehalten bleiben und meine Macht übernehmen soll, muss ihm Gelegenheit gegeben werden, meine Stärken kennenzulernen. In Rom geht das nicht, da ich die wichtigste dieser Stärken in Makedonien zurückgelassen habe – meine Legionen, die Gaius und ich im nächsten Sommer gegen die Parther oder die Germanen führen und die wir vielleicht auch gegen verräterische Machenschaften aus Rom benötigen … Übrigens, wie geht es Marcius Philippus, den Deinen Gatten zu nennen Du das Vergnügen hast? Er ist ein solcher Narr, dass ich ihn fast schon wieder mag. Jedenfalls bin ich ihm dankbar, denn wäre er in Rom nicht so eifrig damit beschäftigt, den Gecken zu spielen und auf dilettantische Weise mit seinem Freund Cicero Pläne gegen mich zu schmieden, würde er sich vielleicht als Stiefvater Deines Sohnes gebärden. Dein verstorbener Gatte war, wenn auch in der eigenen Familie gewiss keine Leuchte, immerhin so vernünftig, einen Sohn zu zeugen und seinen Aufstieg im Namen der Julier voranzutreiben, während Dein jetziger Gatte sich gegen mich verschwört und eben diesen Namen in den Schmutz ziehen will, der doch der einzige Trumpf ist, den er gegenüber der Welt besitzt. Dennoch wünschte ich mir, alle meine Feinde wären so unfähig. Ich würde sie zwar weniger bewundern, wäre dafür aber sicherer.
Ich habe Gaius gebeten, zwei Freunde nach Apollonia mitzubringen, die in Spanien an unserer Seite gekämpft haben und jetzt gemeinsam mit ihm nach Rom zurückkehren – Marcus Vipsanius Agrippa und Quintus Salvidienus Rufus, Du kennst sie beide –, zudem noch einen, den Du nicht kennst, einen gewissen Gaius Cilnius Maecenas. Deinem Gatten wird gewiss nicht entgehen, dass Letzterer einer alten etruskischen Familie angehört, in der ein Tropfen königlichen Blutes fließt; das wird ihm gefallen, auch wenn es bei alldem vielleicht das Einzige ist.
Du hast gewiss bemerkt, meine liebe Atia, dass Dein Onkel es zu Beginn dieses Briefes aussehen ließ, als hättest Du eine Wahl hinsichtlich der Zukunft Deines Sohnes. Nun muss Cäsar es jedoch deutlich machen, dass dem nicht so ist. Noch in diesem Monat werde ich nach Rom zurückreisen, und wie Du gerüchteweise vielleicht schon vernommen hast, werde ich als Diktator auf Lebenszeit heimkehren, und zwar aufgrund eines Beschlusses, den der Senat noch nicht verkündet hat. Folglich steht es in meinem Ermessen, einen Oberbefehlshaber der Kavallerie zu ernennen, der zum mächtigsten Mann im Land werden wird und allein mir unterstellt ist. Dies habe ich bereits getan, und, Du wirst es bereits ahnen, es ist Dein Sohn, den ich ernannt habe. An dieser Tatsache ist nicht zu rütteln. Solltest Du oder Dein Gatte also dagegen vorgehen, zöge Euer Haus den öffentlichen Zorn in solchem Maß auf sich, dass meine eigenen Skandale dagegen geradezu lachhaft wirkten.
Ich hoffe, Du hattest einen angenehmen Sommer in Puteoli, und ich nehme an, dass Du zur Saison in die Stadt zurückgekehrt bist. Ruhelos wie ich bin, sehne ich mich nach Italien. Nach meiner Rückkehr und sobald ich meine Angelegenheiten in Rom erledigt habe, finden wir vielleicht Zeit für einige beschauliche Tage in Tivoli. Du darfst sogar Deinen Gatten mitbringen und auch Cicero, sofern er denn kommen mag. Trotz meiner Worte habe ich sie beide nämlich wirklich gern. Ebenso wie Dich natürlich auch.
… Ich war bei ihm in Actium, als Schwerter gegen Schwerter Funken hieben, das Blut der Soldaten die Decks überflutete und das blaue Ionische Meer verfärbte, als Speere durch die Luft pfiffen und brennende Buge durchs Wasser zischten, als der Tag von den Schreien der Männer erfüllt war, deren Fleisch in Rüstungen garte, die sie nicht ablegen konnten; und davor war ich bei ihm in Mutina, wo eben jener Marcus Antonius unser Lager überrannte und sein Schwert in das leere Bett stieß, in dem Cäsar Augustus gelegen hatte, dort, wo wir durchhielten und uns die erste Macht verdienten, die uns die Welt geben sollte; und bei Philippi, wohin er so krank reiste, dass er sich nicht auf den Beinen halten konnte und sich auf einer Trage zu den Truppen bringen ließ, wo er durch die Mörder seines Vaters erneut dem Tode nahe kam und kämpfte, bis er die Mörder des sterblichen Julius, der ein Gott wurde, von eigener Hand erledigte.
Ich bin Marcus Agrippa, gelegentlich auch Vipsanius genannt, Tribun des Volkes und Konsul des Senats, Soldat und General des römischen Imperiums, Freund von Gaius Octavius Cäsar, heute Augustus geheißen. Ich schreibe diese Memoiren im fünfzigsten Jahr meines Lebens, um der Nachwelt von jener Zeit zu berichten, da Octavius ein in den Fängen von Splittergruppen blutendes Rom vorfand, in der Octavius Cäsar dieses rebellische Biest erschlug und sich des nahezu leblosen Körpers annahm; in der Augustus die Wunden der Stadt heilte und Rom wieder erstarken ließ, auf dass es erneut energisch die Grenzen der Welt abschritt. Zu diesem Triumph habe ich meinen Teil entsprechend meinen Fähigkeiten beigetragen, und von diesem Anteil werden meine Memoiren berichten, auf dass die Historiker künftiger Zeiten ihr Staunen über Augustus und Rom begreifen.
Unter dem Kommando von Cäsar Augustus erledigte ich mehrere Aufgaben für das Wiedererstarken Roms, Pflichten, für deren Erfüllung ich reich belohnt wurde. Dreimal war ich Konsul, einmal Ädil und Tribun, zweimal Statthalter Syriens, und zweimal erhielt ich das Siegel der Sphinx von Augustus höchstpersönlich, während dieser schwerkrank daniederlag. Bei Perusia führte ich die Legionen Roms siegreich gegen Lucius Antonius, in Gallien gegen die Aquitanier und am Rhein gegen die germanischen Stämme, Dienste, für die ich einen Triumphzug in Rom ablehnte; auch in Spanien und Pannonien wurden aufständische Stämme und Machtgruppen niedergeschlagen. Von Augustus bekam ich den Titel des obersten Kriegsherrn unserer Flotte verliehen, und wir brachten unsere Schiffe vor dem Piraten Sextus Pompeius in Sicherheit, indem wir einen Hafen westlich der Bucht von Neapel anlegen ließen und Schiffe bauten, die Pompeius später vor der Küste Siziliens bei Mylae und Naulochus besiegten, wofür mich der Senat mit der Corona navalis belohnte. Bei Actium schlugen wir den Verräter Marcus Antonius und hauchten so der siechen Stadt Rom neues Leben ein.
Um die Errettung Roms vor ägyptischem Verrat zu feiern, ließ ich jenen Tempel errichten, den man heute Pantheon nennt, aber auch andere öffentliche Gebäude. Als Oberhaupt der Verwaltung unter Augustus und dem Senat habe ich die alten Aquädukte der Stadt instand setzen und neue bauen lassen, damit es für die Bürger und das Volk Roms stets genügend Wasser gibt und sie frei von Krankheiten bleiben; als der Friede kam, half ich, die Welt zu vermessen und Karten anzulegen, ein Projekt, das zur Zeit der Diktatur von Julius Cäsar begonnen worden war, unter seinem Adoptivsohn aber endlich vollendet werden konnte.
Von all diesen Dingen werde ich im Fortgang meiner Memoiren ausführlicher berichten. Nun aber will ich von jener Zeit erzählen, in der dies seinen Anfang nahm, von dem Jahr der triumphalen Rückkehr des Julius Cäsar aus Spanien, jenem Feldzug also, an dem auch Gaius Octavius, Salvidienus Rufus und ich teilgenommen haben.
Denn ich war bei ihm in Apollonia, als er die Nachricht vom Tode Cäsars erhielt …
Du musst mir verzeihen, mein lieber Livius, dass ich erst jetzt antworte. Die üblichen Klagen: Der Ruhestand scheint meine gesundheitliche Verfassung nicht im Mindesten verbessert zu haben. Die Ärzte schütteln ihre weisen Häupter, brummeln geheimnisvoll und streichen ihre Honorare ein. Nichts will helfen – nicht die eklige Medizin, die sie mir einflößen, und sogar meine Abstinenz von Vergnügungen nicht, an denen ich mich (wie Du weißt) früher erfreut habe. Die Gicht hat es mir in den letzten Tagen unmöglich gemacht, eine Feder zu halten, dabei weiß ich, wie sorgfältig Du Deiner Arbeit nachgehst und wie dringend Du meiner Hilfe in jenen Angelegenheiten bedarfst, von denen Du mir geschrieben hast. Zu all den Gebrechen gesellte sich in den letzten Wochen auch noch Schlaflosigkeit, weshalb ich bei Tage müde und kraftlos bin. Meine Freunde aber haben mich nicht im Stich gelassen, und mir bleibt das Leben, für beides muss ich dankbar sein.
Du hast mich nach den frühen Tagen meiner Verbundenheit mit unserem Herrscher gefragt. Vielleicht solltest Du also wissen, dass er die Güte besaß, mich erst vor drei Tagen in meinem Haus aufzusuchen und sich nach meinem Befinden zu erkundigen, weshalb ich es für angebracht hielt, ihn über Deine Anfrage in Kenntnis zu setzen. Er hat gelächelt und mich gefragt, ob ich es denn für geboten halte, einem so hartnäckigen Republikaner wie Dir unter die Arme zu greifen, was dazu führte, dass wir über alte Zeiten redeten, wie Männer es nun einmal tun, für die der Herbst des Lebens angebrochen ist. Er erinnert sich noch lebhafter – auch an Kleinigkeiten – als ich selbst, dessen Beruf es doch war, nichts zu vergessen. Schließlich habe ich ihn gefragt, ob er es nicht vorziehe, Dir seinen eigenen Bericht über jene Zeit zu schicken. Einen Moment schaute er in die Ferne, dann lächelte er und sagte: »Nein – noch eher als Dichter und Historiker sollten Herrscher ihre Erinnerungen ruhen lassen.« Er bat mich nur, Dich herzlich zu grüßen und gab mir die Erlaubnis, Dir in aller Unvoreingenommenheit zu schreiben.
Doch wie unvoreingenommen kann ich sein, wenn ich Dir von jenen Tagen erzähle? Wir waren jung, und auch wenn Gaius Octavius, wie er damals noch genannt wurde, gewusst hat, dass er vom Schicksal begünstigt war und Julius Cäsar beabsichtigte, ihn zu seinem Adoptivsohn zu erklären, hatten weder er noch ich, weder Marcus Agrippa noch Salvidienus Rufus, die wir seine Freunde waren, eine klare Vorstellung davon, wohin uns dies führen würde. Mir mangelt es an der Unvoreingenommenheit des Historikers, mein Freund; Du magst von Menschen und Armeen berichten können, vom komplizierten Verlauf staatlicher Intrigen, magst Siege und Niederlagen gegeneinander abwägen, Geburten und Tode vermelden – und in der schlichten Weisheit Deiner Aufgabe doch frei von der schrecklichen Last jener Art des Wissens bleiben, die ich zwar nicht benennen kann, die ich aber im Verlauf der Jahre immer deutlicher zu verstehen glaube. Ich weiß, was Du von mir willst; und Du verlierst zweifellos bald die Geduld mit mir, weil ich nicht zur Sache komme und Dir die Fakten liefere, die Du brauchst. Doch vergiss nicht, dass ich trotz meiner Dienste für den Staat ein Dichter bin und daher unfähig, mich irgendeiner Sache auf direktem Wege zu nähern.
Es mag Dich überraschen zu erfahren, dass ich Octavius erstmals begegnete, als ich ihn in Brundisium traf, wohin man mich gesandt hatte, damit ich mich ihm und einigen Freunden auf ihrem Weg nach Apollonia anschließe. Die Gründe, warum man mich dorthin schickte, sind mir noch immer unbekannt, allerdings bin ich mir sicher, dass es auf Veranlassung von Julius Cäsar geschah. Lucius, mein Vater, hatte ihm einmal einen Gefallen getan; und wenige Jahre zuvor hatte Julius uns in unserem Landhaus in Arezzo besucht. Ich stritt mich mit ihm wegen irgendetwas (ich glaube, ich beharrte darauf, dass Kallimachos’ Gedichte denen von Catullus überlegen seien) und wurde arrogant, gar ausfallend, hielt mich aber für überaus witzig. Ich war jung. Jedenfalls fand er mich wohl amüsant, und wir unterhielten uns eine Weile. Zwei Jahre später befahl er meinem Vater, mich zur Gesellschaft seines Neffen nach Apollonia zu schicken.
Mein Freund, ich muss Dir gestehen (auch wenn Du vielleicht nichts damit anzufangen weißt), dass Octavius bei unserer ersten Begegnung keinen großen Eindruck auf mich machte. Ich hatte gerade den Weg von Arezzo nach Brundisium zurückgelegt, war also zehn Tage auf Reisen gewesen, müde bis auf die Knochen, dreckig vom Staub der Straße und ziemlich gereizt. Ich traf die Gruppe an der Pier, an der wir ausstiegen. Agrippa und Salvidienus unterhielten sich, Octavius stand ein wenig abseits und betrachtete ein kleines, in der Nähe ankerndes Schiff. Sie gaben nicht zu erkennen, dass sie mich kommen sahen. Ich sagte – ein wenig zu laut, wie ich fürchte: »Ich bin Maecenas, der hier zu euch stoßen soll. Also wer ist wer?«
Agrippa und Salvidienus betrachteten mich amüsiert und sagten mir ihre Namen; Octavius drehte sich nicht um, weshalb ich seinem Rücken Arroganz und Geringschätzung anzumerken meinte. »Dann musst du der andere sein, den man Octavius nennt«, rief ich.
Da drehte er sich um, und ich wusste, wie falsch ich gelegen hatte, denn sein Gesichtsausdruck verriet eine fast verzweifelte Schüchternheit. Er sagte: »Ja, ich bin Gaius Octavius. Mein Onkel hat mir von dir erzählt.« Dann lächelte er, hielt mir die Hand hin, hob den Blick und sah mich zum ersten Mal an.
Wie Du weißt, ist schon viel über diese Augen geschrieben worden, meist in schlechten Versen und in noch schlechterer Prosa; ich fürchte, er hat die Metaphern oder was auch immer längst satt, die sie zu beschreiben versuchen, auch wenn es einmal eine Zeit gegeben haben mag, in der er eitel Gefallen daran fand. Aber sie waren, selbst damals, wirklich ungewöhnlich klar, durchdringend und markant, mehr blau als grau, obwohl man eher an Licht als an Farbe dachte … Siehst Du? Jetzt fange ich auch noch damit an; ich habe zu viele von den Gedichten meiner Freunde gelesen.
Vielleicht bin ich einen Schritt zurückgewichen; ich weiß es nicht. Jedenfalls war ich verblüfft, also wandte ich mich ab, und mein Blick fiel auf das Schiff, das Octavius betrachtet hatte.
»Ist das der Kahn, der uns rüberbringen soll?«, fragte ich und spürte, wie sich meine Laune ein wenig besserte. Es war ein kleines Handelsschiff, gut fünfzehn Meter lang, mit faulendem Bugholz und geflickten Segeln, von dem Gestank aufstieg.
Agrippa wandte sich an mich. »Etwas anderes gibt es nicht, wurde uns gesagt.« Er deutete ein Lächeln an; ich vermute, er fand mich snobistisch, denn ich trug meine Toga und an den Fingern mehrere Ringe, während sie nur ihre Tunika anhatten, frei von allem Schmuck.
»Der Gestank ist unerträglich«, sagte ich.
Ernst setzte Octavius hinzu: »Ich glaube, der Kahn soll eine Ladung Pökelfisch nach Apollonia bringen.«
Einen Moment lang blieb ich still, dann musste ich lachen; wir alle lachten, und wir waren Freunde.
Vielleicht sind wir klüger, wenn wir jung sind, auch wenn die Philosophen dies gewiss bestreiten. Aber ich schwöre Dir, von diesem Augenblick an waren wir Freunde; und dieser Moment närrischen Lachens knüpfte ein Band, das stärker als alles war, was uns später verbinden sollte – Siege oder Niederlagen, Treue und Verrat, Trauer oder Freude. Doch die Tage der Jugend vergehen, und ein Teil von uns vergeht mit ihnen, um niemals wiederzukehren.
Auf unserem Weg zu einem Schicksal, das wir uns damals nicht vorzustellen vermochten, setzten wir also nach Apollonia in einem stinkenden Fischkutter über, der bei der kleinsten Welle ächzte und sich so schief legte, dass wir uns festhalten mussten, um nicht übers Deck zu rollen …
Nach einer Unterbrechung von zwei Tagen setze ich diesen Brief nun fort; ich werde Dich nicht mit einer Auflistung der Malaisen behelligen, die hierfür verantwortlich waren; das wäre zu deprimierend.
Wie dem auch sei; ich habe jedenfalls bemerkt, dass ich Dir nichts liefere, womit Du etwas anfangen kannst, daher bat ich meinen Sekretär, meine Schriften durchzugehen und Unterlagen zu suchen, die Dir für Dein Vorhaben von Nutzen sein können. Du weißt vielleicht noch, dass ich vor gut zehn Jahren eine Rede zur Einweihung jenes Tempels unseres Freundes Marcus Agrippa hielt, den man Venus und Mars widmete und der heute gewöhnlich Pantheon genannt wird. Anfangs wollte ich einen ziemlich ausgefallenen Vortrag halten, ein Gedicht, wenn Du so willst, das einige auffällige Verbindungen zwischen jenem Rom herstellte, das wir als junge Männer kennenlernten und dem, wie es dieser Tempel heute repräsentiert; diesen Einfall habe ich später verworfen. Gleichsam als Grundlage zur Lösung meines Problems, also der Rede in jener Form, machte ich mir einige Notizen über jene frühen Tage, die ich nun zu Rate ziehe, auf dass sie Dir bei Deiner Abfassung der Geschichte unserer Welt helfen mögen.
Stell Dir, sofern Du es vermagst, vier Jugendliche vor (die mir längst fremd geworden sind), ohne Kenntnis von ihrer Zukunft und sich selbst, auch ohne Kenntnis über eben jene Welt, in der sie leben sollten. Einer von ihnen (Marcus Agrippa) ist hochgewachsen und muskulös, sein Gesicht fast das eines Bauern – kräftige Nase, schwere Knochen, eine Haut wie neues Leder, sprödes, dunkelblondes Haar und raue, beinahe rötliche Bartstoppeln. Sein Gang ist so ungeschlacht wie der eines Ochsen, und er ist neunzehn Jahre alt, dennoch nicht frei von einer gewissen Anmut. Er spricht geradheraus, langsam und bedächtig, ohne zu zeigen, was er fühlt. Wäre nicht der Bart, man sähe ihm nicht an, wie jung er noch ist.
Der nächste (Salvidienus Rufus) ist so dürr und flink, wie Agrippa stämmig und solide, so schnell und leichtfüßig wie Agrippa langsam und zurückhaltend. Das Gesicht hager, die Haut hell, die Augen dunkel; er lacht gern und lindert die Schwermut, die uns anderen zusetzt. Er ist der Älteste, aber wir lieben ihn, als wäre er unser jüngerer Bruder.
Und den dritten (bin ich das?) sehe ich noch undeutlicher als die anderen. Kein Mensch kennt sich selbst, noch weiß er, wie er auch nur auf seine Freunde wirkt, doch stelle ich mir vor, dass sie mich ein wenig albern fanden, damals, an jenem Tag, und wohl auch noch etwas später. Ich gebe zu, ich trug damals gern ein bisschen zu dick auf, aber ich fand, einem Dichter stehe das zu. Ich kleidete mich prunkvoll, tat affektiert und hatte aus Arezzo einen Diener mitgebracht, dessen einzige Aufgabe darin bestand, sich um meine Frisur zu kümmern – bis meine Freunde sich so gnadenlos darüber lustig machten, dass ich ihn nach Italien zurücksandte.
Und der Letzte war jener, der damals Gaius Octavius hieß. Wie soll ich von ihm erzählen? Ich kenne die Wahrheit nicht, nur meine Erinnerungen, und kann daher bloß wiederholen, dass ich ihn für deutlich jünger hielt, obwohl ich selbst kaum zwei Jahre älter war. Du weißt, wie er jetzt aussieht, und im Grunde hat er sich nicht verändert, nur ist er heute der Herrscher der Welt, und davon muss ich absehen, wenn ich erkennen will, wie er damals war. Ich schwöre Dir, ich, dessen Dienst für ihn darin bestand, in die Herzen seiner Freunde wie seiner Feinde zu schauen, ich habe nicht geahnt, was aus ihm werden würde. Ich hielt ihn für einen unbedarften Jüngling, mehr nicht, die Züge zu zart für Schicksalsschläge, die Stimme zu sanft, um jene harschen Worte auszusprechen, die ein Anführer sagen muss. Ich fand, aus ihm könne ein müßiger Gelehrter werden, ein Literat; ich nahm nicht einmal an, dass er die Energie besäße, Senator zu werden, worauf ihm Name und Wohlstand ein Anrecht gaben.
Dies waren jedenfalls die Jugendlichen, die an jenem frühen Herbsttag an Makedoniens adriatischer Küste in Apollonia an Land gingen, damals im Jahr des fünften Konsulats von Julius Cäsar. Fischerboote schaukelten im Hafen, Menschen winkten, Netze lagen zum Trocknen über Felsen gespannt, und Holzhütten säumten die Straße zur Stadt, die erhöht nahe einer Ebene lag, die sich weit ausdehnte, ehe abrupt die Berge anstiegen.
Den Morgen verbrachten wir mit Lernen. Wir standen vor der Dämmerung auf und hörten die erste Vorlesung bei Lampenlicht. Sobald die Sonne sich über den Bergen im Osten blicken ließ, gab es ein einfaches Frühstück; wir unterhielten uns auf Griechisch, ausgerechnet, (ein Brauch, der, fürchte ich, allmählich ausstirbt) und lasen laut jene Passagen aus Homer vor, die wir uns am Abend zuvor angesehen hatten, erklärten ihre Bedeutung und deklamierten kurze, entsprechend den Maßgaben von Apollodorus vorbereitete Stücke (ein Mann von großer Weisheit und ausgeglichenem Gemüt, der schon damals uralt war).
Nachmittags brachte man uns vor die Stadt zu dem Lager, in dem Cäsars Legionen trainierten und wo wir für einen Großteil des restlichen Tages an den Übungen teilnahmen. Ich muss gestehen, dass mir damals zum ersten Mal die Ahnung kam, ich könnte mich in Bezug auf Octavius getäuscht haben. Um seine Gesundheit ist es, wie Du sicher weißt, schon immer schlecht bestellt gewesen, auch wenn seine Anfälligkeit stets augenfälliger als meine war, dessen Schicksal, mein lieber Livius, es zu sein scheint, selbst während meiner schlimmsten Krankheiten kerngesund auszusehen. Ich selbst nahm an dem Drill und den Manövern nur selten teil, Octavius aber war jedes Mal dabei und zog es, wie sein Onkel, meist vor, seine Zeit mit den Zenturionen, statt mit höhergestellten Offizieren der Legion zu verbringen. Ich weiß noch, wie während einer Schlachtübung einmal sein Pferd stolperte und Octavius zu Boden stürzte. Agrippa und Salvidienus standen in der Nähe, und Salvidienus wollte schon zur Hilfe eilen, als Agrippa ihn am Arm zurückhielt und nicht wieder losließ. Nach einigen Augenblicken regte sich Octavius, erhob sich umständlich und rief nach einem frischen Pferd. Es wurde ihm gebracht; er saß auf, ritt bis zum Abend und beendete seinen Teil der Übung. Als wir an jenem Abend im Zelt lagen, hörten wir ihn nach Luft ringen und riefen den Legionsarzt. Octavius hatte sich zwei Rippen gebrochen. Er ließ sich den Brustkorb fest verbinden, saß am nächsten Morgen mit uns im Unterricht und nahm an jenem Nachmittag auch an einem Eilmarsch teil.
So geschah es, dass ich während jener ersten Tage und Wochen den Augustus kennenlernte, der heute die römische Welt regiert. Vielleicht wirst Du daraus ein paar Sätze für Dein großartiges Geschichtswerk machen, das zu bewundern ich die Ehre habe. Doch gibt es vieles, was nicht in Büchern festgehalten werden kann, ein Verlust, der mir zunehmend zu schaffen macht.
Ich erinnerte mich an jenen Morgen, mein lieber Octavius, an den Tag im letzten Winter in Spanien, an dem Du mich in Munda während unserer Belagerung der Festung angetroffen hast, in die Gnaeus Pompeius mit seinen Legionen geflohen war. Wir waren mutlos und kampfesmüde, die Lebensmittel aufgebraucht, und wir belagerten einen Feind, der sich ausruhen und den Bauch vollschlagen konnte, während wir vorgaben, ihn auszuhungern. In meinem Ärger angesichts einer anscheinend unabwendbaren Niederlage befahl ich Dir, nach Rom zurückzukehren, woher Du gerade erst offenbar in aller Bequemlichkeit angereist warst. Ich könne, sagte ich, mich nicht mit einem Jungen abgeben, der Krieg spielen will. Dabei war ich nur auf mich selbst wütend, was Du sicher auch damals schon erkannt hast, denn Du hast nichts gesagt, mich nur seelenruhig angeschaut. Das hat mich ein wenig besänftigt, und dann habe ich von Herzen zu Dir gesprochen (wie ich es seither immer tat) und Dir gesagt, dass dieser spanische Feldzug gegen Pompeius den inneren Unruhen und Flügelkämpfen, die unserer Republik seit meiner Jugend auf die eine oder andere Weise schwer zu schaffen machten, für immer ein Ende bereiten sollte, dass aber das, was ich für einen Sieg gehalten hatte, nun scheinbar ausweglos auf eine Niederlage hinauslief.
»Also«, hast Du gesagt, »kämpfen wir nicht länger um den Sieg, sondern um unser Leben.«
Und mir war, als würde mir eine große Bürde von den Schultern genommen; ich fühlte mich fast wieder jung, denn ich erinnerte mich, dass ich mir vor mehr als dreißig Jahren dasselbe gesagt hatte, damals, ehe mich sechs von Sullas Soldaten allein in den Bergen überraschten und ich mir meinen Weg an ihnen vorbei zu ihrem Kommandanten erkämpfen musste, den ich bestach, damit er mich lebend zurück nach Rom brachte. In jenem Augenblick wusste ich, dass ich der werden könnte, der ich heute bin.
Als Du vor mir standst und ich an diese lang vergangene Zeit zurückdachte, sah ich mich selbst wieder als jungen Mann, sog ein wenig von Deiner Jugend in mich auf und gab Dir dafür ein wenig von meinem Alter, sodass wir beide jenes seltsame Glücksgefühl von Kraft empfanden, die Kraft, allem zu widerstehen, was da kommen mochte; und wir nahmen die Leichen unserer gefallenen Kameraden auf und trugen sie vor uns her, damit unsere Schilde nicht schwer von feindlichen Speeren wurden, und so rückten wir gegen die Mauern vor und nahmen die Feste Cordoba ein, dort draußen in der Ebene von Munda.
Und ich erinnerte mich an jenem Morgen auch daran, wie wir Gnaeus Pompeius durch Spanien jagten, die Mägen voll, die Muskeln müde, und nachts an den Lagerfeuern Gespräche, wie Soldaten sie nur führen, wenn der Sieg gewiss ist. Ich erinnerte mich, wie sich alle Qual, Sorgen und Freuden vereinten, bis sogar die hässlichen Toten schön wirkten und uns selbst die Angst vor Tod und Niederlage bloß wie Züge in einem Spiel vorkamen! Hier, in Rom, sehne ich mich nun danach, dass der Sommer kommt, auf dass wir gegen die Parther und die Germanen marschieren, um die letzte wichtige Reichsgrenze zu sichern … Du wirst meine wehmütigen Reminiszenzen an vergangene und die Vorfreude auf kommende Feldzüge vielleicht besser verstehen, wenn ich Dir etwas mehr von jenem Morgen erzähle, der diese Erinnerungen ausgelöst hat.
An meiner Tür erwartete mich an besagtem Morgen um die siebente Stunde dieser Narr (will sagen Marcus Aemilius Lepidus – dem ich, wie du gewiss amüsiert zur Kenntnis nehmen wirst, unter meinem Kommando nominell die gleiche Macht wie Dir einräumen musste) mit einer Beschwerde über Marcus Antonius. Offenbar hatte einer von Antonius’ Kämmerern Steuern von Leuten eingetrieben, die laut einem alten Gesetz, aus dem er mir in ermüdender Länge zitierte, von Lepidus’ eigenen Kämmerern eingetrieben werden sollten. Wohl in der Annahme, weitschweifige Redseligkeit käme sprachlicher Raffinesse gleich, gab er mir eine weitere Stunde lang zu verstehen, dass Antonius ehrgeizig sei – eine Erkenntnis, die mich fast so erstaunte, als hätte er mich wissen lassen, dass die Vestalischen Jungfrauen keusch lebten. Ich dankte ihm, und wir wechselten weitere Plattitüden über das Verständnis von Treue, ehe er ging, um (daran zweifle ich nicht) Antonius zu berichten, er habe an mir ein übertriebenes Misstrauen selbst gegenüber meinen engsten Freunden wahrgenommen. Zur achten Stunde kamen dann drei Senatoren, einer nach dem anderen, und jeder beschuldigte die anderen beiden, eine identische Bestechungssumme angenommen zu haben; ich begriff gleich, dass alle drei schuldig waren, dass sie aber das, wofür sie bestochen worden waren, nicht ausführen konnten, weshalb ihr Auftraggeber drohte, die Angelegenheit öffentlich zu machen, was einen Prozess vor der Volksversammlung nach sich zöge – einen Prozess, den sie vermeiden wollten, da man sie womöglich ins Exil verbannte, falls sie nicht genügend Mitglieder der Jury schmieren und so ihre Sicherheit gewährleisten konnten. Ich ging davon aus, dass sie in ihrem Versuch, sich Gerechtigkeit zu kaufen, erfolgreich sein würden, verdreifachte folglich die Höhe der Bestechungssumme, legte sie ihnen als Strafe auf und beschloss, in gleicher Weise gegen jenen vorzugehen, der versucht hatte, die Senatoren zu bestechen. Sie waren es allesamt zufrieden; und ich habe von ihnen nichts weiter zu befürchten; ich weiß, sie sind korrupt, und sie nehmen an, ich wäre es auch … So ging der Vormittag dahin.
Wie lang leben wir bereits diese römische Lüge? Sicherlich seit ich mich erinnern kann, vielleicht auch schon viele Jahre länger. Und aus welcher Quelle zieht diese Lüge ihre Kraft, die sie stärker als die Wahrheit werden lässt? Im Namen der Republik haben wir Mord, Raub und Plünderungen erlebt – und nannten es den notwendigen Preis, den wir für die Freiheit zu zahlen hätten. Cicero beklagt die verderbte römische Moral, die dazu führe, dass wir den Reichtum verehren – und ist selbst vielfacher Millionär, der mit aberhundert Sklaven von einer Villa zur nächsten reist. Ein Konsul redet von Ruhe und Frieden – und hebt Armeen aus, die seinen Amtskollegen ermorden sollen, da dieser seine Interessen gefährdet. Der Senat redet von Freiheit – und überhäuft mich mit Vollmachten, die ich nicht haben will, aber annehmen und anwenden muss, wenn Rom bestehen bleiben soll. Gibt es denn keine Antwort auf diese Lüge?
Ich habe die Welt erobert, und nirgendwo ist man sicher; ich habe den Menschen die Freiheit gezeigt, und sie fliehen sie wie eine Krankheit; ich verachte jene, denen ich trauen kann und liebe die am meisten, die mich am ehesten verraten würden. Und ich weiß nicht, wohin wir gehen, dabei bin ich es, der eine Nation ihrem Schicksal entgegenführt.
Solcher Art, mein lieber Neffe, der ich Dich meinen Sohn nenne, sind die Zweifel, die jenen Mann heimsuchen, den sie zu ihrem Kaiser machen wollen. Ich beneide Dich um Deinen Winter in Apollonia; ich bin zufrieden mit den Berichten über Deine Studien, und es freut mich, dass Du drüben so gut mit den Offizieren meiner Legionen zurechtkommst. Nur vermisse ich unsere abendlichen Gespräche und tröste mich allein mit dem Gedanken, dass wir sie diesen Sommer auf unserem Feldzug gen Osten wieder aufnehmen werden. Wir wollen durchs Land marschieren, uns davon ernähren und töten, wen es zu töten gilt. Für einen Mann gibt es kein besseres Leben. Und es kommt, was kommen muss.
Nachmittag. Die Sonne strahlt, es ist warm; zehn, zwölf Offiziere und wir selbst auf einem Hügel mit Blick hinab auf die Manöver der Kavallerie im Gelände. Staub steigt in Wolken auf, wenn die Pferde galoppieren und wenden; Rufe, Gelächter und Flüche schallen aus der Ferne heran, übertönen das Donnern der Hufe. Bis auf Maecenas sind wir alle auf dem Exerzierfeld und ruhen uns nun aus. Ich habe die Rüstung abgelegt, mein Kopf ruht darauf; Maecenas sitzt mit dem Rücken an einen schlanken Baumstamm gelehnt, in makelloser Tunika, die Frisur intakt; Agrippa steht an meiner Seite, schweißüberströmt, Beine wie Steinsäulen; Octavius neben ihm, der schmale Körper zittert noch von den Anstrengungen – man merkt immer erst, wie schmächtig er ist, wenn er neben jemandem wie Agrippa steht –, das Gesicht blass, das glatte, schweißdunkle Haar klebt an seiner Stirn; Octavius lächelt, zeigt auf etwas unterhalb von uns; Agrippa nickt. Wir alle fühlen uns wohl; es hat seit einer Woche nicht geregnet; es ist wärmer geworden; wir genießen unsere Fertigkeiten und bewundern das Geschick der Soldaten.
Ich schreibe diese Worte rasch, da ich nicht weiß, wann ich wieder Gelegenheit und Muße dazu finde. Ich will alles festhalten.
Die Reiter auf dem Feld verschnaufen; die Pferde grasen; Octavius sitzt neben mir und schubst im Spaß meinen Kopf von der Rüstung; wir lachen und genießen den Augenblick. Agrippa lächelt uns an und reckt sich; in der Stille knarzt das Leder seines Brustharnischs.
Hinter uns hören wir Maecenas’ Stimme – hoch, dünn, ein wenig affektiert, weibisch fast. »Jungen, die Soldaten spielen«, sagte er. »Wie unsäglich trist.«
Agrippa – die Stimme tief, bedächtig und mit jenem Ernst, der so viel verbirgt: »Wenn du es über dich bringen könntest, deinen voluminösen Allerwertesten von jenem behaglichen Ruheort zu erheben, auf welchen er sich gerade platziert hat, würdest du vielleicht feststellen, dass es noch andere Vergnügungen als jene gibt, denen du dich hingibst.«
Octavius: »Vielleicht könnten wir die Parther überreden, ihn zu ihrem General zu machen. Das würde unsere Aufgabe in diesem Sommer sehr vereinfachen.«
Maecenas seufzt schwer, steht auf und kommt zu uns herüber. Trotz seines Gewichts ist er überraschend leichtfüßig. Er sagt: »Während ihr euch diesen vulgären Darbietungen hingabt, habe ich an einem Gedicht gearbeitet, das ein aktives mit einem kontemplativen Leben vergleicht. Die Weisheit des einen kenne ich, die Narreteien des anderen habe ich beobachtet.«
Octavius, ernst: »Mein Onkel riet mir einmal, die Dichter zu lesen, ihre Werke zu lieben, sie zu nutzen – ihnen aber niemals zu trauen.«
»Dein Onkel«, sagte Maecenas, »ist ein weiser Mann.«
Weiteres Geplänkel. Wir verstummen. Das Feld hat sich nahezu geleert; die Pferde wurden in die Ställe am Rande des Platzes geführt. Jenseits des Feldes nähert sich aus Richtung der Stadt ein Reiter in vollem Galopp. Träge schauen wir ihm zu. Er erreicht das Feld, hält aber nicht, überquert es in rasender Eile, wankt im Sattel. Ich will etwas sagen, aber Octavius wirkt wie erstarrt. Da ist etwas in seinem Gesicht. Wir sehen, wie dem Pferd Schaum vom Maul fliegt. Octavius sagt: »Ich kenne den Mann. Er gehört zum Haushalt meiner Mutter.«
Er hat uns fast erreicht; sein Pferd wird langsamer; der Reiter gleitet aus dem Sattel, stolpert, taumelt auf uns zu, hält etwas in der Hand. Einige Soldaten sind aufmerksam geworden; mit halb gezogenen Schwertern rennen sie zu uns, sehen aber, wie erschöpft der Mann ist und dass ihn allein sein Wille antreibt. Er hält Octavius etwas hin und krächzt: »Hier … hier …« Ein Brief. Octavius nimmt ihn, hält ihn und bleibt einige Augenblicke lang reglos stehen. Der Bote sackt in sich zusammen, dann richtet er sich wieder auf, den Kopf zwischen den Beinen. Nur sein röchelnder Atem ist zu hören. Gedankenverloren mustere ich das Pferd und sage mir, dass es zuschanden geritten ist und noch vor dem nächsten Morgen sterben wird. Octavius hat sich nicht bewegt. Alle sind still. Langsam entrollt er schließlich den Brief und liest; sein Gesicht bleibt unbewegt. Er sagt noch immer nichts. Nach langem Schweigen hebt er den Kopf und dreht sich zu uns um. Sein Gesicht ist jetzt weiß wie Marmor. Er drückt mir den Brief in die Hand; ich werfe keinen Blick darauf. In dumpfem, flachem Ton sagt er: »Mein Onkel ist tot.«
Wir begreifen nicht, was er sagt und sehen ihn nur blöd an. Seine Miene ändert sich nicht, aber er spricht erneut, und die Stimme, die aus ihm dringt, ist laut, heiser und voll verständnislosem Schmerz, wie das Blöken eines Ochsen, dessen Kehle am Opferaltar durchschnitten wird: »Julius Cäsar ist tot.«
»Nein«, sagt Agrippa. »Nein.«
Maecenas’ Gesicht hat sich gestrafft; wie ein Falke schaut er Octavius an.
Ich schaue mich um, weiß nicht, was ich fühle. Eine Leere? Die Offiziere haben einen Ring um uns gebildet. Ich blicke einem der Männer in die Augen, er verliert die Fassung, und ich höre ein Schluchzen; ich denke daran, dass dies eine der wichtigsten Legionen Cäsars ist und er für die Veteranen wie ein Vater war.
Der Bote sagt: »Nein, Herr« und will sich erheben, aber Octavius legt ihm eine Hand auf die Schulter und sagt: »Ruh dich aus!«, richtet sich dann wieder auf und spricht einen der Offiziere an: »Sorgt dafür, dass man sich um diesen Mann kümmert und ihm ein anständiges Quartier gibt.« Dann wendet er sich an uns drei, die wir eng zusammengerückt sind. »Wir unterhalten uns später. Erst muss ich darüber nachdenken, was das hier bedeutet.« Er streckt eine Hand nach mir aus, und ich verstehe, dass er den Brief haben will. Sobald er ihn hat, wendet er sich von uns ab. Der Ring der Offiziere öffnet sich für ihn, und er geht den Hügel hinunter. Lange sehen wir ihm nach, eine schlanke, jungenhafte Gestalt, die über das verlassene Feld geht, langsam, mal hierhin, mal dorthin, als versuchte sie, den richtigen Weg zu finden.
Später. Große Verwirrung im Lager, als die Kunde von Cäsars Tod sich verbreitet. Wilde Gerüchte, die man kaum glauben mag. Streit brandet auf, der rasch geschlichtet wird; ein paar Faustkämpfe, die zügig unterbunden werden. Einige Veteranen, die ihr Leben lang in der einen oder anderen Legion gekämpft haben, manchmal auch gegen Männer, die jetzt ihre Kameraden sind, blicken voll Verachtung auf dieses Chaos und gehen ihrer Arbeit nach. Octavius ist immer noch nicht von seiner einsamen Wacht auf dem Feld zurück. Es wird dunkel.
Nacht. Lugdunius höchstpersönlich, der Kommandant der Legion, hat vor unseren Zelten eine Wache aufgestellt, da niemand weiß, was nun geschieht oder wen wir zum Feind haben. Zu viert haben wir uns in Octavius’ Zelt versammelt, sitzen oder liegen halb auf den Pritschen rund um Laternen, die in der Mitte auf dem Boden flackern. Manchmal steht Octavius auf und setzt sich auf einen Schemel, fort aus dem Licht, das Gesicht im Schatten. Aus Apollonia sind viele Leute gekommen, wollen Genaueres wissen, ihren Rat geben, ihre Hilfe anbieten; Lugdunius hat uns die Legion, falls nötig, zur Verfügung gestellt. Dann hat Octavius darum gebeten, dass wir nicht gestört werden, und erzählt von denen, die zu ihm gekommen sind.
Maecenas spricht; seine Stimme klingt tiefer, keine Spur mehr von dem schrillen, weibischen Ton, in den er manchmal verfällt: »Trau nicht einmal uns, die wir dich lieben. Verlass dich von diesem Moment an nur noch insoweit auf uns, wie du es für unbedingt nötig hältst.«
Und wir bereden, was zu tun ist.
Octavius, leise: »Mein Onkel hat einmal gesagt, zu viel Vorsicht könne ebenso gewiss zum Tod führen wie übereiltes Handeln.«
Octavius schaut mich an; der Gedanke war ihm offenbar noch nicht gekommen. »Dafür ist es noch zu früh«, sagt er ruhig, »aber ich werde nie vergessen, dass es Salvidienus war, der mich als Erster so nannte.«
Octavius: »Und dann? Wir wissen nicht, wie es um diese Macht bestellt ist; wir wissen nicht, wer gegen uns ist. Wir wissen nicht einmal, wer Cäsar ermordet hat.«
Octavius, ruhig: »Wir wissen nicht einmal, wer ihn ermordet hat. Wir kennen seine Feinde nicht, also können wir auch unsere Feinde nicht kennen.«
Einen Moment lang sagt Octavius kein Wort. Dann sieht er uns der Reihe nach eindringlich an. »Euch allen und bei den Göttern schwöre ich hier und jetzt: Sofern es denn mein Schicksal will, dass ich lebe, werde ich Rache an den Mördern meines Onkels nehmen, wer immer sie auch sein mögen.«
Wir alle haben unsere Meinung gesagt, Octavius aber schweigt, und mir fällt auf, wie seltsam es doch ist, dass wir uns plötzlich alle seinem Urteil beugen, wie wir es zuvor nicht getan haben. Steckt eine Macht in ihm, die wir zuvor nicht gespürt und erkannt haben? Liegt es am Augenblick? Mangelt es uns selbst an etwas? Ich werde später genauer drüber nachdenken.
»Otranto«, sagt Agrippa. »Ist ohnehin näher.«
Maecenas gähnt, er ist wieder ganz der Alte. »Wir sind mit dir auf einem stinkenden Fischerboot hergekommen; wenn wir das aushalten konnten, werden wir auch alles andere ertragen.«
Wir reden nichts weiter, wünschen uns nur noch eine gute Nacht.
Ich bin allein in meinem Zelt; auf dem Tisch, an dem ich diese Worte schreibe, flackert das Licht der Lampe, und durch den Zelteingang blicke ich nach Osten ins fahle Licht der Dämmerung über den Bergen. Ich konnte nicht schlafen.
Wissen sie, dass ein Weg vor uns liegt, an dessen Ende uns Größe oder der Tod erwartet? Diese beiden Worte gehen mir im Kopf herum, um und um, bis sie dasselbe zu bedeuten scheinen.