Die New York Times illustriert den Aufstieg rechter Kräfte in den Ländern der EU graphisch: Den kräftigsten roten Balken erhält Österreich. Im Mai erhielt der Kandidat einer Partei, die fundamentale europäische Werte in Frage stellt, fast die Hälfte der abgegebenen Stimmen. Besorgt blicken die Staaten Europas auf das österreichische Beispiel: Ist es Orbánisierung? Jörg Haiders Erbe? Oder nur ein besonderer Fall von Verkommenheit? Es ist, als spürte die krisengeschüttelte EU, dass Österreich wieder einmal die kleine Welt ist, in der die große ihre Probe hält.

In seinem fulminanten Essay zeigt Armin Thurnher, jahrzehntelanger Chefredakteur und Herausgeber der Wiener Wochenzeitung Falter, was es mit der Europaverdrossenheit auf sich hat und was man der Rechten politisch entgegensetzen sollte.

 

Zsolnay E-Book

 

Armin Thurnher

 

Ach, Österreich!

 

Europäische Lektionen

aus der Alpenrepublik

 

 

Paul Zsolnay Verlag

 

ISBN 978-3-552-05833-0

Alle Rechte vorbehalten

© Paul Zsolnay Verlag Wien 2016

Umschlag: Sonja Scheungrab, München

Satz: Eva Kaltenbrunner-Dorfinger, Wien

 

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Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

Inhalt

I. Prolog

 

II. Außen und innen

Was ist los bei euch in Österreich?

Achtung, Österreich!

Selbsterklärung, Fremderklärung. Etwas uber Wut

 

III. Wahl und Wahn

Erste Runde. Gute Unterhaltung!

Amt und Aufregung

Schauen Sie her da! Die Zerstörung des Gesprächs durch Gespräch

Wie geht man mit Rechtsextremen und Faschisten um?

Eine Wahl ist keine Wahl

Viel Aufhebens

 

IV. Politik

Faschistische Partei Österreichs? Zur FPÖ

Das Rätsel ÖVP

SPÖ – Deal oder Stil?

Grüne, Neos, Zivilgesellschaft

 

V. Austriaca

Doppelelegie auf zwei große Österreicher

Austrian Airlines. Operette nach Nestroy

Museum der Grausamkeiten

 

VI. Perspektiven

I. Prolog

Nie mehr wieder! Ich glaube, in jedem meiner Österreich-Bücher habe ich das Versprechen abgegeben, nie mehr ein Österreich-Buch zu schreiben. Immer folgte ein nächstes, und ich hörte nicht auf zu versprechen, aufzuhören. Das Repetitive nervt, vor allem weil es die Vergeblichkeit aller Besserungsversuche zeigt. Österreich-Essays sind allesamt Besserungsversuche, so auch dieser. Weil jede angesagte letzte und jede allerletzte Chance unergriffen verstreicht, kann die Reihe der Österreich-Essays nicht enden.

Wie könnte das ins Gerede geratene Gemeinwesen Österreich verbessert werden? Die politische Klasse meint, ihre Botschaften nur besser verpacken zu müssen. Besser wäre es, sie würde, statt Botschaften zu versenden, Tatsachen sprechen lassen. Die Verbesserung von Mitteleuropa war einmal ein höchst ironisch gemeinter Romantitel. Vielleicht sollten wir uns mit unserer Unverbesserlichkeit und der Unverbesserlichkeit dieses Landstrichs einfach abfinden. Das fiele leichter, wäre nicht gerade die Resignation eine der hervorstechenden Eigenschaften seiner Bevölkerungen.

Nur hier konnte einem Dichter der Satz einfallen, die edelste aller Nationen sei die Resignation, was in Bezug auf die Nation wahr ist und in Bezug auf die Resignation in österreichischer Hinsicht bezweifelt werden muss. Vorbehaltlose Zustimmung zu Nestroys Satz würde mich um mein Einkommen bringen und kommt schon aus diesem Grund nicht in Frage. Unsereiner bringt ja allerhand und bringt auch allerhand gern um, aber er bringt nicht gern sich selbst um etwas.

Die Verbesserung von Österreich dient also auch der Selbsterhaltung des Publizisten Armin Thurnher. Genaugenommen profitiert er mehr von der Verschlechterung Österreichs, aber er leidet auch unter ihr. Er hat, wie man früher sagte, noch Ideale. Von jüngeren Publizisten wird er übrigens gern aufgefordert, nicht so oft »ich« zu sagen, worauf er antwortet, der Gebrauch der dritten Person, wie in diesem Absatz vorgeführt, diene erst recht der Entrückung und Selbstüberhöhung des drittpersönlich auftretenden Subjekts, dieses Heiligen Geists der Selbstverleugnung, der vor allem im Sinn hat, dass man noch verehrbarer werde, weswegen rechte Politiker sich gern dieses Tricks bedienen.

Zudem konnte mir nicht entgehen, dass die Kritik an meinem Gebrauch des Personalpronomens vornehmlich von Leuten geäußert wird, die in den Social Media am Tage ein paar dutzend Mal nichts anderes tun, als in dem ihnen zu Gebote stehenden Formenrepertoire »ich« zu sagen: Ich finde, ich meine, ich lobe, ich mag nicht, schaut mal, was ich mies und was ich prima finde und so weiter – am besten unter Vermeidung von Verben.

Ich dagegen so: Wenn Narzissten bei anderen die Narzissmusbremse zu ziehen versuchen, geht sich bei mir eine Portion Prosa-Ich justament noch aus. Gewiss gehört zur Verbesserung Österreichs nicht nur die Hervorbringung politischer Ich-Prosa, sondern auch eine Rekonstruktion der Öffentlichkeit und, um bescheiden zu bleiben, eine Neuerfindung der Europäischen Union, die diese tragfähiger und politisch akzeptabler machte. Dazu hätte Österreich einiges beizusteuern, es weiß es nur selber nicht.

Österreich 2016, das ist ein Land, in dem sich die Probleme der Welt brennpunktartig wiederfinden, manche von ihnen sogar verschärft. Der Aufstieg der extremen Rechten, der hausgemachten gewinnenden Faschisten, verläuft in keinem europäischen Land so nachhaltig, so ausdauernd, so bizarr und scheinbar unaufhaltsam wie hier. Er dauert inzwischen schon dreißig Jahre an.

Österreich 2016 ist ein Land, dessen wählende Bevölkerung bei der Wahl zum Bundespräsidenten zu fünfzig Prozent den Kandidaten der FPÖ wählte, ein Land, in dem die FPÖ den Umfragen zufolge auch die Wahlen zum Nationalrat hoch gewinnen würde. Österreich 2016 ist ein Land, dessen Wirtschaft trotz vielfältiger Klagegesänge gut dasteht, dessen Sozialsystem einigermaßen verteidigt werden konnte, wenngleich der defensive Charakter seiner Befürworter längst ein Hauptproblem darstellt.

Österreich 2016 ist ein Land mit einer Hauptstadt, die man als milde sozialistisch bezeichnen kann (vielleicht gilt das für das Land insgesamt), ein Sozialstaat, der im Großen und Ganzen noch vorbildlich funktioniert. Die Symptome dieses anschwellenden »Noch«, die Erscheinungen seiner beginnenden Krise sind nicht zu verbergen: Zweiklassenmedizin, zerstörte Universitäten, privilegierte, aber moralisch ungefestigte Eliten; und die Einkommensschere öffnet sich auch hierzulande immer weiter.

Österreich 2016 ist ein Land, in dem langsam und mit Verspätung das Gift der neoliberalen Denkungsart seine Wirkung entfaltet. Die traditionell dysfunktionale Öffentlichkeit hat sich durch Digitalisierung nicht verbessert; ihre Untiefen werden nur neu vermessen.

Seine geopolitische Lage macht Österreich 2016 besonders interessant, gleichsam als Scharnier zwischen den Visegrád- und den Balkan-Staaten der EU, als kleines Muster des großen Nachbarn Deutschland und mit dem Brennpunkt Brennergrenze als Satyrspiel der großen Südtirol-Krise der Nachkriegszeit. Umso brisanter war es, als Österreich in der Flüchtlingskrise und den Fragen von Migration und Asylpolitik die deutsche Hegemonie attackierte.

Österreichs Rechte fordert vorläufig keinen Brexit, nicht einmal ein Referendum. Sie hat Zeit, und möglicherweise hat sie einen Partner in der Regierung, einen, der die Außenpolitik bestimmt. Bruno Kreisky tobte, als die SPÖ einst das Außenministerium aus der Hand gab; nicht erst 2016 zeigen sich die innenpolitischen Konsequenzen.

Österreich 2016 reizt ausländische Betrachter zu allerhand Mutmaßungen, denen man sich als Inländer gern widersetzt; auch das ist ein Thema dieses Essays. Unser eigener Blick ist durch Selbstimmunisierung getrübt. Durch die Fragen der anderen können wir mehr über uns lernen als durch unsere eigenen; umgekehrt müssen wir uns davor hüten zu meinen, es sei das reine Erkenntnisinteresse der anderen, das sich auf uns richte. Vieles von dem, was sie fragen, fragen sie in eigener Mission. Man muss wissen, wozu die Antworten dienen, die man ihnen gibt, und man sollte versuchen, die anderen nicht mit jenen Klischees zu beliefern, nach denen sie gieren. Deswegen setzen sich Teile dieses Essays auch mit der Dialektik von Fremd- und Selbstwahrnehmung auseinander, einer Wechselwirkung, die zum Wesen einer offenbar wenigstens teilweise existierenden übernationalen Öffentlichkeit gehört.

Bisher habe ich in jedem meiner Österreich-Bücher das Versprechen abgegeben, nie wieder ein Österreich-Buch zu schreiben. Immer folgte ein nächstes, und ich hörte nicht auf zu versprechen, aufzuhören. Vielleicht funktioniert es umgekehrt. Ich garantiere hiermit eine Fortsetzung. Vielleicht unterbleibt sie dann. Ich wünsche es mir, für Österreich und ein bisschen auch für mich.