Richard Schönborn
Tennis
Techniktraining
Meyer & Meyer Fachverlag & Buchhandel GmbH
© 1999 by Meyer & Meyer Verlag, Aachen
5. überarbeitete Auflage 2016
Auckland, Beirut, Budapest, Cairo, Cape Town, Dubai, Hägendorf, Indianapolis, Maidenhead, Singapore, Sydney, Teheran, Wien
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978-3-8403-3641-6
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ISBN 978-3-8403-3641-6
Der deutschsprachige Raum verfügt seit Jahrzehnten über sehr lesenswerte Publikationen zur allgemeinen Trainingslehre (z.B. Harre, Hollmann & Hettinger, Martin, Weineck, Grosser u.a.). Übersetzungen „bemerkenswerter” russischer Autoren (z.B. Medwejew, Zaciorskij, Werchoschansky) unterstützen diesen Fundus. Was man bisher jedoch nur vereinzelt antrifft, sind sportartspezifische Trainingslehren, die entweder die gesamte Sportart (oder auch Disziplin) oder nur einzelne leistungsbestimmende Komponenten (wie z.B. Technik, Kraft, Schnelligkeit) darstellen.
Richard Schönborn reiht sich mit dem vorliegenden Buch in letztere Rubrik ein. Endlich, muss man sagen, hat ein ehemaliger Spitzenspieler und hoch qualifizierter Trainer und anerkannter Dozent auf internationalem Parkett das geschrieben, worauf die Fachwelt lange gewartet hat.
Sie, verehrter Leser, sind der Nutznießer dieses „Techniktrainings“ – Sie werden einen großen Gewinn aus den reichhaltigen Erfahrungen des Autors und den mannigfachen, in die Praxis transferierten wissenschaftlichen Grundlagen sowie aus der großen Sammlung praktischer Übungen zum Bewegungslernen und Techniktraining im Tennis ziehen. Das Buch ist ein Gewinn für jeden Tennistrainer, Tennislehrer und Tennisspieler aller Kategorien.
Prof. Dr. Dr. h. c. Manfred Grosser
Technische Universität München
Wenn man sich in der neueren tennisspezifischen Weltliteratur umschaut, stellt man fest, dass es nach wie vor wesentlich mehr Bücher über die Tennistechnik gibt als über das Training derselben.
Dabei war gerade auf diesem Gebiet in der Mehrzahl der Sportarten im letzten Jahrzehnt eine bedeutende Entwicklung zu registrieren.
Sogar im Profitennis ähnelt noch viel zu oft das Training demjenigen, das die Väter der heutigen Spielergeneration praktiziert haben, was in anderen Sportarten kaum noch vorstellbar ist.
Der Autor dieses Buches maßt sich sicherlich nicht an, alle erwähnten Lücken zu schließen oder auf diesem Gebiet den Stein der Weisen gefunden zu haben. Er möchte aber sowohl auf der Grundlage eigener jahrzehntelanger Untersuchungen, praktischer Versuche und theoretischer Studien als auch auf Grund eines großen praktischen und theoretischen Erfahrungsschatzes auf nationalem wie auch auf internationalem Gebiet, den er durch Arbeit mit Spitzenathleten aller Altersstufen, Experten und Sportwissenschaftlern gesammelt hat, seine Ideen und Ansichten der interessierten Tennisöffentlichkeit präsentieren und somit einen bescheidenen Beitrag zum besseren Verständnis der ganzen Trainingsproblematik leisten. Gleichzeitig möchte er das Trainingsgeschehen erleichtern, populärer und motivierender sowohl für den Trainer/Lehrer als auch für den Schüler gestalten.
Das größte Problem im Tennistraining bisher ist die Tatsache, dass die meisten Trainingsmethoden oder Trainingsformen recht wenig oder in Einzelfällen sogar überhaupt nicht im Zusammenwirken, besonders der letzten Jahrzehnte des letzten Jahrhunderts zwischen Theorie und Praxis entstanden sind. Sie sind merkwürdigerweise sehr oft realitäts- und damit matchfremd, obwohl sie fast ausschließlich in der Praxis kreiert wurden, was uns zu denken geben sollte. Damit ist gemeint, dass man über Jahrzehnte hinweg neue Trainingsmethoden und Drills zu erfinden versuchte, ohne dabei darüber nachzudenken, ob diese auch dem Matchgeschehen, der Matchbelastung oder dem Matchziel entsprechen. Schlimmer noch, man hat physiologische Gesetzmäßigkeiten des Lern- und Trainingsvorgangs missachtet, die Belastbarkeit des Organismus kaum berücksichtigt und über vieles mehr überhaupt nicht oder zu wenig nachgedacht. Dabei hat man sich immer mehr in die Quantität verrannt mit dem Ergebnis, dass man weltweit tausende Drills oder Übungsformen auf die Beine gestellt hat, die gar nicht oder nur in Einzelfällen, unter besonderen Bedingungen, nur kurzfristig oder nur ab und zu zufällig funktionierten. Viele von uns wussten dabei zwar nicht, wo sie hinwollten, wollten dort aber als Erste sein. Mit anderen Worten, jeder hat versucht, den anderen mit neuen Ideen zu übertrumpfen; koste es, was es wolle.
Dabei war die Theorie viel zu oft sehr praxisfremd und die Praxis theorielos. Es wäre noch ganz schön gewesen, wenn man nach dem Bonmot „Theorie ist, wenn man alles weiß und nichts klappt; Praxis ist, wenn alles klappt, und man weiß nicht warum“ vorgegangen wäre, aber nicht einmal das ist gelungen, weil das logischerweise auch gar nicht gelingen kann.
Somit ist es an der Zeit, sich mit dem Lernen und dem Training ausgiebiger zu befassen und zu versuchen, ein System aufzustellen, auf dessen Basis man die tägliche praktische Arbeit viel produktiver und erfolgreicher gestalten kann.
Hoffentlich trägt dieses Buch dazu bei. Ein großer Schritt vorwärts wurde durch die neuen DTB-Lehrpläne getan; diese sind aber seit langer Zeit eingestellt worden, sie sind nicht nur inhaltlich veraltet, sondern sie werden als offizielle Lehrunterlagen nicht mehr angewendet.
„Gibt es für ein Problem keine Lösung, dann ändern wir eben das Problem.“
Der Schwerpunkt dieses Buches ist nicht die Beschreibung und Erklärung der modernen Technik, sondern das Erlernen und das Training derselben.
Um aber die trainingsorientierten Empfehlungen und Maßnahmen in allen Details zu verstehen, ist es notwendig, wenigstens einige wichtige Bereiche der Technik zu erwähnen, deren Kenntnis und Akzeptanz von entscheidender Bedeutung für das Training ist.
Bevor man sich mit dem Techniktraining befasst, ist es notwendig, klare Vorstellungen über den Begriff „Technik“ zu haben. Schließlich muss man wissen, was eigentlich gelernt und trainiert werden soll. Darüber hinaus gibt die moderne Analyse der Technik richtungsweisende Informationen über deren Training.
In der sportwissenschaftlichen Literatur gibt es eine große Zahl an Interpretationen des Begriffs „Technik“, und es ist wahrhaftig nicht einfach, die beste herauszusuchen. Der Einfachheit, Klarheit und vor allem der Praxisorientiertheit wegen bietet sich die Interpretation aus dem „Sportwissenschaftlichen Lexikon” (1983) an:
„Technik ist eine spezifische Abfolge von Bewegungen oder Teilbewegungen beim Lösen von Bewegungsaufgaben in Sportsituationen.“
Aus dieser Beschreibung gehen drei wichtige Hinweise hervor:
Die Technik wird mit Bewegung in Verbindung gebracht, was gerade beim Techniktraining moderner Prägung im Tennis von großer Bedeutung ist, wie wir später sehen werden.
Die sportliche Technik muss als ein Komplex von Bewegungen und Teilbewegungen betrachtet werden, womit wiederum angedeutet wird, dass man im Training den gesamten Körper mit allen konditionellen, koordinativen, anatomisch-funktionellen und physiologischen Faktoren als eine Einheit mit einbeziehen muss.
Schließlich wird in Verbindung mit der Technik die zugehörige situative Aufgabenlösung hervorgehoben, womit klar gesagt wird, dass Technik nie zum Selbstzweck, sondern immer als Mittel zum Zweck gelehrt werden muss, was wiederum hinreichende Hinweise auf die entsprechenden Trainingsmethoden gibt, denn erst eine zur Verfügung stehende, vielfältige Handlungsflexibilität garantiert ausreichende taktische Variabilitätsmöglichkeiten.
Darüber hinaus wird hier nicht mehr von einer sogenannten „anzustrebenden Idealbewegung“ gesprochen, die es aus verschiedenen Gründen im Tennis im Gegensatz zu manchen anderen Sportarten gar nicht geben kann, womit die individuelle Ausprägung und die situative Lösungsvariation respektiert wird.
Siehe auch das neue Buch Die grundlegende Philosophie für ein progressives Training im Tennis – Bewegungslehre im Tennis. Die Wichtigkeit der motorischen Entwicklung
(R. Schönborn 2015)
Mit der individuellen Ausprägung ist selbstverständlich nicht eine völlige Beliebigkeit des Bewegungsablaufs gemeint, sondern der Bewegungsablauf unterliegt „wissenschaftlichen Erkenntnissen, theoretischen Überlegungen und praktischen Erfahrungen“, die wiederum „von funktionell-anatomischen Gegebenheiten, sportmechanischen (biomechanischen) Gesetzmäßigkeiten, psychischen Merkmalen, konditionellen und koordinativen Fähigkeiten und Fertigkeiten, motorischem Entwicklungs- und Lehrstand, den Steuerungsmechanismen des ZNS und den sensorisch-kognitiven Fähigkeiten“ geprägt sind, (Daugs, Mechling, Bischke & Olivier, 1989).
Im Tennis ist eine hohe Komplexität der geforderten Bewegungen erforderlich. Es gibt relativ wenige Sportarten, die so hohe Ansprüche an diesen Bereich stellen.
Nicht nur die Komplexität verschiedenartiger Bewegungen innerhalb eines Schlags, sondern die Komplexität und die Zusammenhänge sowie die gegenseitige Beeinflussung von verschiedenen konditionellen, koordinativen, mentalen und funktionellen Faktoren innerhalb des Lern- bzw. Trainingsprozesses sind für den optimalen Lern- bzw. Trainingserfolg von höchster Bedeutung.
Deswegen kann die Technik nur dann optimal entwickelt werden, wenn man diese als einen Teil eines ganzen Systems versteht; das bedeutet, dass vor allem das System entwickelt werden muss!
Der menschliche Organismus bildet eine Einheit, und er kann optimal eben nur als eine Einheit funktionieren, oder aber er funktioniert gar nicht oder unzureichend, nur im Rahmen der vorhandenen Mängel und Schwachstellen. Dazu später mehr.
Die Qualität der Technik hat selbstverständlich einen entscheidenden Einfluss auf jegliche Art der sportlichen Leistung im Tennis, denn die Technik ist sozusagen die persönliche Handschrift des Tennisspielers, über die er sowohl alle seine konditionellen und mentalen Fähigkeiten als auch taktische Absichten auf den Ball und damit auf den Gegner überträgt. Umso mehr muss deren optimaler Entwicklung große Aufmerksamkeit gewidmet werden.
Im Gegensatz zur früher benutzten Ablaufanalyse wird heutzutage bei der Beschreibung und der Begründung von Techniken die funktionale Bewegungsanalyse verwendet, was nicht nur einen maßgebenden Einfluss auf den Lernvorgang hat, sondern was später auch in den Trainingsprozess einfließen muss.
Das Einführen dieser Art des Studiums und der Beschreibung der Technik hat einen großen Fortschritt auf dem Wege des Verständnisses sowohl der einzelnen Technikteile als auch vor allem der eigentlichen Zielfunktion der Technik gebracht.
Bei der üblichen Ablaufanalyse hat man zuerst nach einem Modell (z.B. Spitzenspieler) gesucht. Die Bewegung dieses ausgesuchten Modells wurde dann als die ideale beschrieben, und zum Schluss wurde der Bewegungsablauf als der optimale oder richtige festgelegt und gelehrt.
Aktion des Modells > Bewegungsbeschreibung > Bewegungsfestlegung
Der große Nachteil dieser Vorgehensweise war der, dass man nicht nach der Funktion, nach den Absichten und Zielen der Technik gefragt hat und dass man die Individualität, die individuellen Variationsmöglichkeiten von vornherein ausgeschlossen hat. Man benutzte somit eine Schablone, die allerdings uneinheitlich und dadurch unbrauchbar war, weil die Festlegung der Richtigkeit des Bewegungsablaufs vom benutzten Modell und von der subjektiven Interpretation des jeweiligen Fachmanns abhängig war. Somit wurde die „richtige“ Technik von Trainer zu Trainer oder von Autor zu Autor unterschiedlich ausgelegt, was nicht nur zum Chaos in der Techniklehre, sondern auch zu falschen Trainingsmethoden geführt hat, weil man die Technik als Selbstzweck geschult und nicht die beabsichtigte Funktion bzw. deren Aufgabe und Ziel berücksichtigt hat. Darüber hinaus besteht dabei eine große Gefahr. Die Bewegungsmuster der Vorbilder sind nämlich auf Grund anatomisch-physiologischer Unterschiede zwischen dem Modell und dem Lernenden nicht übertragbar, sie können deswegen niemals zum individuellen Bewegungsoptimum führen. Leider findet man diese Methoden im Training heute noch, sie werden nach wie vor in vielen Tennis Magazinen publiziert.
Die funktionale Bewegungsanalyse geht genau den umgekehrten Weg. Sie wird nach wie vor in vielen Tennismagazinen publiziert. Sie prüft zuerst, welche Ziele und Aufgaben durch die einzelnen Teile der Bewegung verfolgt werden und welche Voraussetzungen für das Erreichen dieser Ziele geschaffen werden müssen, und auch, welche bewegungstheoretischen Begründungen dafür vorliegen.
Auf Grund der Ergebnisse dieser Prüfungen und Untersuchungen wird dann der optimale Bewegungsablauf entworfen und beschrieben und zum Schluss analysiert man auf Grund dieser Tatsachen die Weltspitzenspieler, um festzustellen, zu bestätigen und zu fixieren, in welchen Teilen der erfolgreichen Bewegungsabläufe alle das Gleiche tun bzw. tun müssen und in welchen Teilen die Individualität bzw. die Variationsmöglichkeiten einen großen Spielraum erlauben.
Bewegungsfestlegung > Bewegungsbeschreibung > Analyse des Modells
Für die Bewegungsfestlegung bedient man sich verschiedener wissenschaftlicher und sportwissenschaftlicher Disziplinen und Verfahren, wie z.B. der Biomechanik, der Physik, der morphologischen Bewegungsmerkmale, der biologischen Grundlagen, der Kinematografie und vieles mehr.
Der große Vorteil dieses Verfahrens besteht darin, dass man ohne unterschiedliche subjektive Auslegungsmöglichkeiten den objektiven, wahren Kern des richtigen Bewegungsablaufes herausfinden kann. Das bedeutet, dass man diejenigen Teile des Bewegungsablaufs feststellen kann, die in ihrem Ablauf auf Grund der schon erwähnten sportwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten genau festgelegt sind, die man also als vorgeschrieben betrachten kann und die im Lern- bzw. Trainingsprogramm auch einheitlich verankert werden müssen, dass man darüber hinaus aber individuelle Spielräume und Alternativen zulässt, die von Spieler zu Spieler unterschiedlich wahrgenommen und umgesetzt werden können.
Die Frage, die sich allerdings in diesem Zusammenhang stellt, ist die, wie wichtig sind die Zusammenhänge und die gegenseitigen Ergänzungen zwischen den festgelegten Teilen und den individuellen Alternativen oder aber, wie weit darf man die individuellen Spielräume akzeptieren, damit sie keinen negativen Einfluss auf die festgelegten Teile des Bewegungsablaufs ausüben. Spätestens hier kommt die Wichtigkeit der Zusammenhänge zwischen der Technik und dem modernen Lern- bzw. Trainingsinhalt zum Vorschein.
Dort, wo die Technik von Anfang an vor allem aufgaben- bzw. zielorientiert (spielorientierte Konzeption – Lernen am Erfolg) und nicht nur oder überwiegend bewegungsorientiert (technikorientierte Konzeption – Lernen am Modell) gelehrt und trainiert wird, ist eine Kontrolle und Beurteilung der Zusammenhänge und der gegenseitigen positiven oder negativen Beeinflussung zwischen den vorgeschriebenen Teilen und den Bewegungsspielräumen erleichtert, denn das erfolgreiche Bewältigen der gestellten Aufgabe zeugt automatisch von einem optimalen gegenseitigen Ausgleich bzw. Harmonie zwischen diesen zwei Bereichen.
Man kann sagen, dass die Technik dann einen hohen Standard erreicht hat, wenn sie auf der einen Seite ein biomechanisches Optimum beinhaltet, auf der anderen Seite aber die Individualität des Einzelnen respektiert und vor allem erfolgreich ist.
Ein optimaler Schlag muss auf Grund all dieser Tatsachen drei Eigenschaften besitzen.
Er ist:
einfach (der ganze Bewegungsablauf enthält keinerlei überflüssige und sich gegenseitig störende Bewegungen);
ökonomisch (Kraft soll so wenig wie nur möglich und nötig eingesetzt werden; die gesamte kinematische Kette soll vor allem zu einer optimalen Schwungerzeugung und erforderlichen optimalen Energieanwendung ausgenutzt werden);
wirkungsvoll (man kann den Ball aus jeder Position und Situation mit Erfolg, das bedeutet zielgenau und mit der erwünschten Geschwindigkeit, in jede Position des gegnerichen Feldes zurückspielen).
Diese Ziele sollen auch während der ganzen Ausbildungszeit verfolgt werden, und deswegen soll sowohl das Technikerwerbstraining als auch das Technikanwendungstraining auf das Erreichen dieser Ziele hin orientiert sein.
Der Funktion und Funktionalität der Technik in allen Situationen muss das Hauptaugenmerk im gesamten Trainingsprozess gewidmet werden!
Vorerst ist es nötig, den Unterschied zwischen Gesetzen und Prinzipien sowie auch den Begriff „Biomechanik“ zu erklären.
Gesetze sind Regeln für einen Sachverhalt, die nicht verändert werden können.
Prinzipien sind Erklärungen oder Aussagen von hohem Wert, welche einen direkten Zusammenhang zu Gesetzen haben. (Gerade dieses Gebiet ist das weite Feld für Untersuchungen und Forschungen.)
Mechanik ist ein grundlegendes Teilgebiet der Physik. Sie ist die Wissenschaft vom Einfluss der Kräfte auf die Bewegung von Körpern und von der Beschreibung dieser Bewegung.
Biomechanik ist das Studium der Struktur und der Funktion des biologischen Systems durch Methoden der Mechanik. Im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen Bewegung und Belastung des menschlichen Körpers, die man mit biomechanischen Technikmodellen zu erklären versucht. „Biomechanische Technikmodelle füllen die mechanischen Modelle mit Leben, indem sie die biologischen Gegebenheiten als begrenzte Faktoren der Mechanik berücksichtigen“ (Lehnertz, 1996).
Biomechanische Prinzipien sollen deswegen die Beurteilung der Zweckmäßigkeit von Bewegungen erlauben. Sie stellen z.T. bereits bekannte, allgemeingültige Gesetze dar, z.T. sind sie nur unter bestimmten Voraussetzungen anwendbare Leitlinien für die vorteilhafte Gestaltung der Bewegungstechnik.
Sicherlich ist es nicht sinnvoll, an dieser Stelle alle bekannten biomechanischen Prinzipien aufzuführen und zu beschreiben. Es wird deswegen auf die einschlägige Fachliteratur verwiesen. Allerdings werden die wichtigsten Prinzipien, die für die Erklärung der modernen Tennistechnik und somit für die später aufgeführten Trainingsinhalte und -methoden von Bedeutung sind, beschrieben.
Der Einfachheit und des Verständnisses wegen werden die einzelnen Prinzipien innerhalb des Schlagablaufs vom Anfang der Ausholbewegung bis zum Ausschwung aneinandergereiht, womit auch die Reihenfolge der Anwendung und die Zusammenhänge deutlich werden.
Um in einem Muskel während des Arbeitsvorgangs (z.B. Schlagbewegung) eine gewünschte optimale Kontraktion erzeugen zu können, muss dieser Muskel während der Ausholbewegung optimal vorgedehnt (vorgespannt) werden. Dabei soll der aktive Muskel über seine Ruhelänge hinaus verlängert werden. Bei der absoluten Mehrzahl der sportlichen Bewegungen und bei fast allen Bewegungsabläufen im Tennis ist es allerdings nicht sinnvoll und nicht notwendig, den Muskel maximal zu dehnen. Im Gegenteil, dadurch würde man die Kontraktionskraft und Kontraktionsschnelligkeit einschränken. Den maximalen Kraftwert erreicht man bei einer 20 %igen Dehnung über die Ruhelänge hinaus.
Der menschliche Körper ist ein mehrgliedriges System; das bedeutet, dass einzelne Glieder dieses Systems nacheinander in der Form einer Kettenreaktion in eine Richtung vorgedehnt und in der entgegengesetzten Richtung innerviert werden. Dazu aber später mehr.
Die Vordehnung muss deswegen in einer zeitlichen Verschiebung, und zwar von oben nach unten, erfolgen. Die Ausholbewegung (Vordehnung) beginnt man mit der rückwärtigen Rotation des Schultergürtels (nicht mit der Rückführung des Arms!). Sie wird dann über die Rückwärtsrotation der Hüften (schräge Bauchmuskulatur, Rückenmuskulatur und Gesäßmuskulatur), weiter über die Oberschenkelmuskulatur bis zu den Unterschenkelmuskeln, die für die Sprunggelenke zuständig sind, fortgesetzt. Etwa im letzten Drittel dieses rückwärtigen Rotationsvorgangs wird auch der Schlagarm in die Ausholbewegung mit einbezogen (siehe Abb. 1).
Am Ende der Ausholbewegung soll der Spieler fast mit dem ganzen Rücken zum Netz zeigen. Selbstverständlich kommt es in der Ausprägung der Vordehnung zu schlagspezifischen (Aufschlag kontra Flugball), situativen (Schlag weit hinter der Grundlinie kontra Schlag auf der T-Linie) oder individuellen Variationen und Unterschieden. Die Reihenfolge soll aber immer eingehalten werden, und die Rückwärtsrotation muss stattfinden.
Durch diesen Vordehnungsprozess in Form der Rotation um die Körperachse wird in der ganzen kinematischen Kette von oben nach unten eine Spannung und gleichzeitige Energiespeicherung erzielt, die für eine ökonomische und biomechanisch optimale Schlagbewegung (siehe Kapitel 1.4.3) unerlässlich ist.
Die Vordehnung soll unmittelbar in die Muskelkontraktion (Schlagbewegung) übergehen. Bei einer längeren Pause zwischen der Vordehnung und der Kontraktion kommt es zu einem steigenden Verlust der gespeicherten potenziellen Energie, die in dieser Zeit für die durch die Bewegungspause entstandene Haltearbeit verbraucht wird. Dadurch wird das eigentliche Ziel der Vordehnung verfehlt und das für die anschließende Schlagbewegung benötigte und noch zu erzeugende Potenzial an kinetischer Energie vermindert.
Für eine optimale Funktionalität der Muskulatur innerhalb der Vordehnungsprozesse ist eine hervorragende Muskelelastizität notwendig.
Serena Williams in einer optimalen Muskelvorspannung am Ende der Ausholbewegung
U. a. sollen auch schon deswegen Dehnungsübungen für die gesamte Körpermuskulatur täglich auf dem Programm stehen, allerdings entsprechend den modernsten Theorien, die sich zum Teil wesentlich von dem Konventionellen unterscheiden.
Für das Erreichen einer optimalen, u.U. sogar einer maximalen Schlägerbeschleunigung während der Schlagbewegung ist offensichtlich nicht bloß die Tatsache verantwortlich, dass eine Ausholbewegung ausgeführt wird.
Vielmehr muss man annehmen, dass die zeitliche Zuordnung und das dynamische Verhältnis von Ausholbewegung und Schlagbewegung eine entscheidende Wirkung auf die Schlägergeschwindigkeit ausüben.
Was die zeitliche Zuordnung betrifft, kann man behaupten, dass die Ausholbewegung fließend (d.h. ohne eine längere Pause an ihrem Ende) in die Schlagbewegung übergehen muss.
Hinsichtlich des dynamischen Verhältnisses bzw. der Dynamik der Ausholbewegung muss angenommen werden, dass die Schlagkraft nicht proportional mit der Intensität der Ausholbewegung steigt.
Wenn die Muskeln eine Beschleunigungsarbeit verrichten sollen, so können sie nicht sofort mit maximaler Kraft die Arbeit beginnen, denn es bedarf einiger Zeit, bevor die beschleunigenden Muskelkräfte ihren maximalen oder optimalen Wert erreichen.
Wenn man nämlich einem Muskel eine hohe Spannung erteilen will, dann muss man versuchen, die Dehnbewegung (Ausholbewegung) zu bremsen. Man nennt diesen Vorgang negative oder auch nachgebende, bremsende, am häufigsten aber exzentrische Muskelarbeit. Bei dieser Arbeitsweise entsteht die höchste Kraftarbeitsvoraussetzung.
Durch exzentrische Muskelarbeit, die am Ende der Ausholbewegung ihren Höhepunkt erreicht, wird eine hohe Muskelspannung und große Energiespeicherung (Kumulation der Energie) in der benötigten Muskulatur erreicht. Konzentrische Muskelarbeit, die man auch als positive, überwindende oder beschleunigende Muskelarbeit bezeichnet, wird für die anschließende Schlägerbeschleunigung benötigt.
Die Kombination von exzentrischer und konzentrischer Muskelarbeit nennt man Reaktivkraft. Diese generiert innerhalb eines Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus einen höheren Kraftstoß, jedoch nur innerhalb von 200 Millisekunden.
Bei der Ausholbewegung ist die synergistische Muskulatur bereits innerviert und angespannt, sie wirkt wie Gummibänder. In der Umkehrphase wird die Muskulatur gedehnt und bremst den Schläger ab. Die kinetische Energie des rückwärts geführten Schlägers wird durch das Abbremsen in Verformungsenergie des Sehnen-Muskel-Systems umgewandelt und kurzfristig gespeichert. Während der anschließenden konzentrischen Arbeit erfolgt wieder eine Umwandlung in kinetische Energie, was eine Erhöhung des konzentrisch gebildeten Kraftstoßes ermöglicht.
Somit kann man sagen, dass bei einer Ausholbewegung, die mit einem exzentrischen Bremsvorgang abgeschlossen wird, die Muskelenergie kumuliert, womit die Freisetzung der Energie für die anschließende konzentrische Muskelarbeit während der Schlagbewegung erleichtert und verstärkt wird. Die Muskulatur hat vor dem Beginn der Schlagbewegung höhere Anspannungskraft, weil ihre zentrale Innervation und die reflektorische Verstärkung dieser Innervation mit dem Abbremsen der Ausholbewegung eingesetzt hat.
Diese Tatsachen beweisen, dass die alte Theorie, die besagt, dass die Aushol- und Schlagbewegung vom Anfang bis zum Treffpunkt eine geschlossene, ununterbrochene, in ihrer Beschleunigung kontinuierlich steigende Bewegung sei, nicht stimmt!
Die eigentliche Schlag- und dadurch Schlägerbeschleunigung fängt erst kurz vor der Bewegungsumkehr am Ende der Ausholbewegung an (siehe Abb. 2).
Diese Erkenntnisse sind wichtig für die Bestimmung der Dynamik der Ausholbewegung. Am Anfang der Ausholbewegung wird der Schläger beschleunigt und zum Ende der Ausholbewegung wird er abgebremst. Erst danach wird er wieder zum Treffpunkt hin beschleunigt. Die Muskeln können während der Beschleunigungsarbeit nicht sofort mit maximaler Kraft arbeiten. Es bedarf einiger Zeit, bevor die beschleunigenden Muskelkräfte ihren maximalen Wert erreichen, der im Treffpunkt notwendig ist. Umso wichtiger ist es, dass davor ein Maximum an Energie in den zuständigen Muskeln vorhanden ist, was eben durch die exzentrische Muskelarbeit am Ende der Ausholbewegung erreicht wird.
Bei manchen Spitzenspielern kann man am Ende der Ausholbewegung (Grundlinienschläge, Aufschlag) sogar eine kurze Pause beobachten.
So weit diese Unterbrechung unter 200 ms liegt, wirkt sie sich kaum negativ auf die folgende Beschleunigung aus. Sie soll allerdings nicht länger werden. Bei einer längeren Unterbrechung zwischen der exzentrischen und der konzentrischen Phase geht ein Teil der gespeichrten Energie verloren.
Eine wesentliche Begründung der Schwungbewegung und Schwungübertragung ist in diesem biomechanischen Prinzip zu suchen.
Rafael Nadal am Ende der Ausholbewegung bei einer doppelhändigen Rückhand