50.000 Menschen mit Down-Syndrom leben in Deutschland. Eine beeindruckende Zahl – und trotzdem wissen die meisten von uns wenig darüber. Denn viele haben ihr Leben lang keinen Kontakt zu Menschen mit Down-Syndrom. Oder wir schauen weg und lassen die Persönlichkeiten, die da vor uns stehen, gar nicht an uns heran. Warum? Möglicherweise, weil wir Angst haben, unsicher sind, nicht wissen, wie wir uns verhalten sollen.
Was hilft da besser, als die Betroffenen selbst zu Wort kommen zu lassen? Also MIT ihnen zu sprechen und nicht über sie. Dieses Buch zeigt Interviews, die unverkrampft sind und in denen man den Betroffenen auf Augenhöhe begegnet. Dort, wo sie selbst noch zu jung sind, kommen ihre Eltern zu Wort. Diese Gespräche berühren – auch mich. Und sie machen deutlich, dass die Gemeinsamkeiten zwischen uns Menschen mit „Normal-Syndrom“ (eine Mutter prägte diese Bezeichnung) und den Gesprächspartnern mit Down-Syndrom natürlich überwiegen: Da ist ebenfalls das ganze Spektrum an unterschiedlichen Charakteren und Biografien dabei, ihr Leben unterscheidet sich nicht sehr von unserem. Bobby zum Beispiel liebt Fußball über alles und er nimmt kein Blatt vor den Mund. Theresa hingegen ist ein Mädchen, das aufblüht, wenn es Musik hört. Fabienne hat über die Schauspielerei einen Weg gefunden, ihre Gefühle zu transportieren und Christian ist glücklich, wenn er laufen kann – und zwar den Marathon!
Ich selbst kenne Menschen mit Down-Syndrom und viele meiner Freunde und Bekannten haben eine außergewöhnliche Geschichte. Zwei Mal durfte ich mit Schauspielern drehen, die das Down-Syndrom haben. Bobby Brederlow stand für einen gemeinsamen Film zum ersten Mal vor der Kamera. Und später spielte Juliana Götze, eine junge Frau mit Down-Syndrom, eine wichtige Rolle in einer Polizeiruf-Folge. Niemand zeigte mir gegenüber so eine warme Offenheit und keine Umarmung hat mich so berührt, wie jene von Bobby und Juliana. All die gesellschaftlichen Grenzen und Schranken, die wir schon als Kinder erlernen und die von uns erwartet werden, fallen hier weg. Menschen mit Down-Syndrom sind da viel ehrlicher, viel unmittelbarer, in ihrer Zuneigung ebenso wie in ihrer Ablehnung. Von ihnen kann man lernen, sie erziehen uns, unser Misstrauen, unsere Vorsicht und unseren vermeintlichen Anstand zu überdenken.
Das finde ich auch in diesem beeindruckenden Buch wieder. Die Gespräche sind von berückender Klarheit, die Gefühle und Gedanken, die die Gesprächspartner schildern, sind derart authentisch, dass man das so schnell nicht wieder vergisst. Grund dafür ist sicher, dass Klischees und vorgefertigte Meinungen hier keinen Platz haben. Die Menschen sprechen für sich, sie bekommen Raum und die Aufmerksamkeit und nutzen das auf wunderbare Weise. Sie stellen dem abstrakten Bild, das die meisten von uns vom Down-Syndrom und dem Leben damit haben, ihren persönlichen Blickwinkel entgegen. Sie nehmen uns mit in ihren Alltag, teilen ihre ganz individuellen Leidenschaften oder Ängste mit uns, laden uns ein, sie kennenzulernen.
Ein solches Buch ist eine Chance, gerade in Zeiten wie diesen, in denen beispielsweise in Dänemark die Geburtenrate von Kindern mit Down-Syndrom seit der Einführung flächendeckender, kostenloser Risiko-Screenings so niedrig ist wie niemals zuvor. Gerade jetzt, wo Optimierungstendenzen uns den Eindruck vermitteln, wir müssten lediglich die richtigen Entscheidungen treffen, um ein vermeintlich perfektes Leben zu führen. Wir alle sollten ein solches Angebot annehmen, um derartige Denkmuster aufzubrechen und zu hinterfragen.
Natürlich, ein Spaziergang ist es nicht, das Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom, in diesem Punkt waren sich alle Eltern einig. Aber mit welchem Kind ist es das schon? Menschen mit Down-Syndrom machen unser Leben bunter, sie bringen uns dazu, inne zu halten und nichts für selbstverständlich zu nehmen, kurz: Sie sind ein Geschenk!
Michaela May
Statistiken belegen, dass derzeit in Deutschland neun von zehn Frauen abtreiben, wenn sie wissen, dass sie ein Kind mit Trisomie 21 erwarten. Angesichts dieser Zahlen ist es besonders wichtig, jene zu zeigen, die wirklich wissen, was es heißt, ein Kind mit Down-Syndrom großzuziehen oder mit der Beeinträchtigung zu leben. Vor allem, weil wir alle diffuse Bilder und Informationen zum Thema im Kopf haben, aber viele von uns keinen Menschen mit Down-Syndrom persönlich kennen.
Statt über diese Menschen zu reden, wollen wir ihnen mit diesem Buch die Gelegenheit geben, selbst ihre Sicht der Dinge und ihre persönlichen Gedanken darzulegen: Wie ist das Leben mit Down-Syndrom für die Betroffenen? Wie ist es für ihre Eltern, die Geschwister, die Familie und die Freunde? Unser Ziel ist es, Vorurteile abzubauen und ein authentisches Bild zu zeichnen. Und das möglichst frei von Klischees und stereotypen Denkweisen. Wir wollen Persönlichkeiten zeigen, Individuen mit ihren ganz eigenen Geschichten.
19 Menschen haben sich mit uns unterhalten und uns ihre Geschichte erzählt. 19 vollkommen verschiedene Lebensgeschichten, die verbindet, dass in jeder das Down-Syndrom eine Rolle spielt. Aber es wird auch deutlich, dass es letztlich eben nur eine Nebenrolle ist.
Natürlich, der Schock war da bei manchen Eltern, als die Diagnose noch während der Schwangerschaft gestellt wurde, bei anderen kurz nach der Geburt. Aber dann wurden unsere Gesprächspartner vom Leben zum Weitermachen gezwungen.
Und schnell wurde bei den meisten deutlich: Ein Kind mit Down-Syndrom in der Familie zu haben, heißt für die interviewten Eltern und Geschwister vor allem, es zu lieben und voller Bewunderung und Dankbarkeit mitzuerleben, wie es wächst, neue Dinge lernt und sich entwickelt. Ja, es geht langsamer und ja, manche dieser Kinder werden bestimmte Entwicklungsschritte nie vollziehen.
Aber die Sorge, die Angehörige von Kindern mit Down-Syndrom umtreibt, ist weniger die, dass sie vielleicht keinen Führerschein machen werden oder das Abitur nicht schaffen. Viel mehr geht es ihnen um ihre Zukunft. Um ihr Leben, wenn sie, die Eltern oder älteren Geschwister, nicht mehr in der Lage sein werden, sich um sie zu kümmern. Werden sie alleine zurechtkommen? Dürfen sie auf liebevolle Unterstützung hoffen? Wird die Gesellschaft sie so annehmen, wie sie sind? Werden sie ihren Platz finden und ein Leben führen können, das sie erfüllt?
Die Betroffenen selbst teilen diese Ängste und Sorgen meist nicht. Viele unserer erwachsenen Interviewpartner mit Down-Syndrom folgen ihren Leidenschaften: Sie stehen auf der Bühne, verfassen literarische Texte oder engagieren sich politisch. Sie stehen mitten im Leben und benötigen dafür weder Schubladen noch Kategorien.
Sie sind so verschieden, wie andere Menschen auch. Denn wir alle sind in irgendetwas eingeschränkt und werden auf unserem Lebensweg hartnäckig begleitet von den verschiedensten Macken und Schwächen. Wir wollen mit ihnen angenommen werden – und so geht es auch den Menschen in diesem Buch. Sie wollen nichts Besonderes. Keine Extra-Behandlung, kein Mitleid, keine Privilegien. Nur Offenheit, Unterstützung, wo sie notwendig ist – und vor allem eine faire Chance.
Alexander Heber: Das war ein sehr schwieriger Moment. Wir haben es in der zwölften Schwangerschaftswoche und eigentlich nur durch Zufall erfahren. Da gab es einen Verdacht bei der Nackenfaltenmessung. Meine Frau war damals alleine beim Arzt und er fragte sie während der Untersuchung, ob er denn überhaupt was sagen soll, wenn ihm etwas auffällt. Sie wollte es eigentlich nicht wissen, aber weil die Situation dann dementsprechend war, meinte sie halt doch zu ihm: „Ja, dann sagen Sie es jetzt!“. Und der Arzt erklärte dann eben, es gäbe Hinweise auf eine Trisomie 21, weil die Nackenfalte dicker sei als normal.
Alexander Heber: Es wurden weitere Untersuchungen durchgeführt und wir haben auch eine Fruchtwasseruntersuchung gemacht. Bis sicher feststand, dass unser Kind Down-Syndrom hat, sind etwa drei Wochen vergangen – und die waren grausam. Das war eben so mitten in der Schwangerschaft, wo man noch gar nicht richtig weiß, was alles auf einen zukommt. Da hat man sich eigentlich gerade erst mit dem Gedanken angefreundet, dass es Nachwuchs gibt und hat gewisse Vorstellungen. So war das auch bei uns und dann kam direkt diese große, schlimme Unsicherheit. Wir wurden da auch völlig ins kalte Wasser geworfen, weil wir uns vorher gar keine Gedanken über das Thema gemacht hatten.
Wir waren dann im Krankenhaus bei einer so genannten humangenetischen Beratung. Die sagten uns einfach mal so: „Ja, wir haben hier eine Trisomie 21 festgestellt, Ihr Kind wird wahrscheinlich nie sprechen können und das mit dem Beruf können Sie wahrscheinlich auch vergessen“, alles an meine schwangere Frau gerichtet. Dann verwiesen sie uns darauf, dass es im Nebenzimmer eine psychologische Beratung gäbe, die uns dann auch den Schein für die Abtreibung ausstellen könnte in den nächsten Tagen. Und das war echt eine ganz schöne Nummer für uns, muss ich sagen. Da waren wir erst mal von den Socken. Es war ja nicht so, dass die Ärztin uns per se nahelegen wollte, dass wir abtreiben müssen, sondern sie ging einfach davon aus, dass man das so möchte.
Außerdem sagten die im Krankenhaus uns auch noch, dass unser Kind nicht älter als 20 oder 30 Jahre werden würde. Wir hatten nach Informationen gefragt und dann diese total seltsamen Aussagen bekommen. Darüber waren wir vor allem im Nachhinein sehr erstaunt, denn das sind einfach komplett veraltete Informationen. Aber an sich waren die im Krankenhaus uns gegenüber wirklich nett und freundlich und die Ärzte waren bemüht, das gut rüberzubringen. Es war nur insgesamt eine sehr komische und irritierende Situation.
Alexander Heber: Wir haben uns einfach erst mal erkundigt, ob es jemanden gibt, der uns aus erster Hand etwas über das Down-Syndrom erzählen kann. Wie so der Alltag ist oder welche Erfahrungen sie gemacht haben, Leute, die auch Kinder mit dem Down-Syndrom haben. Daraufhin haben wir Kontakt zu einer Frau bekommen, die selbst eine Tochter mit Down-Syndrom hat und Familien- und Konfliktberatung macht. Sie kam dann zu uns nach Hause und das war wirklich hilfreich.
Von ihr haben wir wiederum Kontakt zu anderen Eltern bekommen. Und seit wir uns mit denen getroffen hatten, waren wir sehr beruhigt. Wir haben uns dann auch wirklich auf unser Kind freuen können, waren gespannt und haben Mut gefasst.
Alexander Heber: Naja, Nemo ist erst mal unheimlich süß. Er schafft es, dass ihn einfach alle, die mit ihm zu tun haben oder die in seiner näheren Umgebung sind, mögen. Und das ist wirklich etwas Besonderes. Er hat nicht viele Allüren, er ist sehr pflegeleicht. Er braucht eben nur für manche Sachen ein bisschen länger. Während andere Kinder schon laufen können, ist er eben noch am Rumrobben. Er nimmt sich einfach seine Zeit. Ansonsten ist er aber sehr humorvoll für sein Alter, was wir da so mitbekommen. (lacht)
Alexander Heber: Als er ganz frisch geschlüpft war, war es sehr emotional, weil wir ja auch von der Trisomie wussten. Es gab da eine Ärztin, die direkt nach der Geburt zu uns kam und sehr gerührt war, dass der Nemo zur Welt gekommen war. Sie sagte, sie habe es in ihren 30, fast 35 Jahren Berufserfahrung noch nicht erlebt, dass jemand vorher wusste, dass das Kind Down-Syndrom haben würde und das Baby dennoch geboren wurde. Das war dann schon sehr ergreifend.
Und heute gibt es unterschiedliche Reaktionen. Als wir eine Tagesmutter für Nemo engagieren wollten, hatten wir erst Probleme. Die Tagesmutter, die bei uns war, hatte davor noch kein anderes Kind mit Down-Syndrom betreut und war uns gegenüber ziemlich reserviert. Sie hat dann sehr gezögert und meinte, das wäre so viel mehr Aufwand für sie. Das war ein großes Vorurteil, mit dem wir da konfrontiert wurden und das ist, denke ich, nicht wirklich begründet gewesen.
Alexander Heber: Naja, also aus der Nachbarschaft wissen zum Beispiel ganz viele einfach nicht, dass Nemo anders ist, weil es ja bisher als Baby auch nicht so offensichtlich ist. Da ist es vielleicht interessanter, wie in der Familie damit umgegangen wurde. Ich habe immer das Gefühl, dass die Nahestehenden sehr unsicher waren, vor allem meine Schwiegereltern und auch meine Mutter. Die waren ja natürlich vorher noch nie in einer solchen Situation.
Es gab aber wiederum auch Freunde oder meinen Vater, die mir von Anfang an erst mal Mut gemacht haben. Und heute haben eigentlich die meisten aus der Familie ein ganz enges und einfach normales Verhältnis zu Nemo, wie zu einem Baby eben. Und die Personen, die uns ein bisschen besser kennen, kennen natürlich auch Nemo besser und die mögen ihn auch. Er ist ja nun auch erst ein Jahr alt und die haben einfach ein Baby vor sich, das sie unheimlich süß finden.
Alexander Heber: Nemo hat einfach Charme, er ist wahnsinnig bezaubernd. Und für sein Alter hat er wirklich schon Humor. Das muss man erst mal schaffen. Er findet so viele Dinge lustig. Wenn eine Murmel auf dem Tisch dreimal von links nach rechts rollt und dann nach vorne runterfällt, fängt er total an zu lachen. Und das ist für uns das Tollste! Als Elternteil freut man sich in solchen Situationen vielleicht einfach nochmal so ein kleines bisschen mehr irgendwie. Weil es einfach nicht so selbstverständlich ist, dass Nemo da ist.
Alexander Heber: Manche Sachen lernt er nicht so schnell, wie eben vielleicht Krabbeln oder Robben, das hat auch ein bisschen gedauert. Und wenn er da dann einen Fortschritt macht, bin ich schon sehr stolz. Also vor allem im Vergleich zu unserem Großen, der hat das alles immer so im Alleingang gemacht und auch schon mit zweieinhalb Jahren ohne unser Zutun irgendwie 18 Automarken bestimmen können. (lacht) Bei Nemo dauert es halt ein bisschen. Da versuchen wir ihm einfach Hilfestellungen zu geben, damit er krabbeln kann. Dann klappt es erst nicht so richtig, aber irgendwann geht es eben doch mal. Und diese Momente sind einfach ganz toll, da merkt man wirklich, dass es losgeht.
Ich erinnere mich auch noch an eine Situation so im zweiten oder dritten Lebensmonat. Da hat er angefangen, uns anzugrinsen. Das war für uns so eine Zeit, wo die Unsicherheit schlagartig geendet hat. Als er seinen Charme rausgeholt hat, waren der ganze Ärger und die ganzen Sorgen, vor allem auch aus der Schwangerschaft, einfach vergessen. Er bereitet uns so viel Freude.
Alexander Heber: Nemo ist total anhänglich oder sagen wir mal: Er ist ein Schmusebär. Es macht ihn einfach glücklich, wenn man ihn auf den Arm nimmt. Man merkt manchmal, dass er gerne schon etwas mehr unterwegs sein würde, gerne mehr können würde. Er setzt sich dann in seinen Kopf, dass er da und dort hin möchte, hat aber die Bewegungsfähigkeit noch nicht. Er kann das noch nicht richtig artikulieren, aber er äußert sich dann lautstark. Da merken wir richtig, dass da ein ordentlicher Wille ist. Und wenn wir ihn dann auf den Arm nehmen, ist er ganz begeistert.
Nemo lacht meistens auch, wenn sein Bruder mit ihm spielt. Er ist dann hin und weg. Aber Emil ist mit seinen viereinhalb Jahren halt sehr wild. Der springt dann auch manchmal auf ihm rum und so. Da ist man die ganze Zeit nur hinterher. (lacht) Und wenn Nemo mal was abkriegt, beschwert er sich auch ordentlich. Letztens hat er von seinem großen Bruder einen Fußball ins Gesicht geschossen bekommen, da war was los. Für den Großen ist es natürlich oft ein bisschen schwierig, weil er einfach der große Bruder ist und dann natürlich auch mal zurechtgewiesen wird, dass er vorsichtig sein muss. Aber er liebt ihn schon sehr – der Große den Kleinen und der Kleine den Großen natürlich auch.
Alexander Heber: Naja, zum einen war Nemos Start nicht so einfach, weil er nach der Geburt in ein anderes Krankenhaus verlegt wurde und da hat er wohl Sauerstoffsättigungsprobleme gehabt. Er hing dann an einem Sensor, es wurde mal besser, dann mal wieder schlechter und wir hatten dann auch so Geräte zu Hause stehen, die immerzu piepten. Das war schon eine sehr belastende Zeit. Die ist zwar im Prinzip jetzt vorbei, aber wenn Nemo mal krank ist oder so, haben wir diesen Sensor wieder dran. Das ist einfach so eine Schwachstelle bei ihm, dass er eine kleine Anomalie am Herzen hat. Wir hoffen einfach, dass sich das noch gibt. Bisher sieht es aber so aus, als würde alles zuwachsen. Das sind eben so diese medizinischen Sorgen, aber das entwickelt sich ja gerade ganz positiv.
Und ansonsten bin ich gespannt, wie es mit anderen Kindern ist: Wie er sozial aufgenommen wird, wie er Freunde findet. Und da hoffe ich natürlich, dass das gut klappt und er Anschluss findet.
Die andere Sache ist, dass wir uns so sehr um ihn sorgen, dass es irgendwie auch zu so einer Sorge um uns selbst wird. Wenn man am Anfang steht, sind da so viele Fragen und Unsicherheiten: „Was wird mit unserem Leben? Was wird aus uns? Wie kann man den Alltag oder vielleicht auch den Beruf oder die Dinge, die man erreichen und machen möchte, weiter verfolgen? Geht das?“
Und im Moment merken wir erst mal, da ist ein zweites Kind und zwei kleine Kinder sind einfach ordentlich viel Arbeit. Die berufliche Sorge relativiert sich gerade ein wenig, da ich mich selbständig mache und das geht ganz gut. Meine Frau arbeitet auch. Es ist nicht immer leicht, das alles unter einen Hut zu kriegen, aber es geht. Man kann das machen.
Alexander Heber: Nemo steht früh auf, vielleicht so gegen halb sechs. Also wir würden gerne auch bis um acht oder so weiterschlafen, aber meistens geht das nicht. Gestern war er sehr gnädig und hat noch mal bis um neun geschlafen, das war traumhaft. Und der Große hat einfach mal zwei Stunden alleine in seinem Zimmer gemalt. Einfach ein perfekter Vormittag. (lacht)
Aber normalerweise läuft das natürlich nicht so. Nemo wacht früh auf, dann kommt Emil dazu und die beiden machen Terror, bis wir aufstehen. Meistens bleibt dann einer von uns noch liegen und schläft ein wenig. Gegen neun bringen wir die beiden dann bis zum Mittag in den Kindergarten bzw. die Krippe. Die Krippe ist glücklicherweise in der Nähe der Arbeitsstelle meiner Frau, so kann sie Nemo abholen und dann holen wir noch zusammen Emil aus dem Kindergarten ab. Ich selber bin gerade in Elternzeit, da habe ich etwas mehr Zeit und wir spielen dann zu Hause ein bisschen oder gehen vielleicht noch mal an den Fluss.
Alexander Heber: Wir haben einmal pro Woche so eine Art Frühförderung für Nemo. Da kommt eine Frau zu uns nach Hause, die sich eine Stunde lang mit Nemo beschäftigt. Sie ist meistens ziemlich früh da, so gegen sieben oder acht Uhr morgens, wenn er gut drauf ist. Wir sind das dann zwar nicht so unbedingt, aber er eben. (lacht)
Einmal die Woche hat er dann auch noch Physiotherapie, das ist aber in einer Praxis, nicht bei uns zu Hause. Dann kommen eben noch die ganz normalen Arzttermine dazu, die jeder kennt, zum Beispiel die U-Untersuchungen. Und ein- oder zweimal im Jahr stehen Untersuchungen im Sozialpädiatrischen Zentrum an, da wird dann so eine medizinische Gesamteinschätzung gemacht, wobei der Mehraufwand da für uns jetzt eher gering ist.
Alexander Heber: Bei uns hier in Dresden gibt es keine Integrativkrippen. Also es wird versucht, das anzuleiern gerade, aber ist eben noch nicht vorhanden. Deswegen geht Nemo in eine ganz normale Krippe von einem städtischen Träger. Da ist noch ein Kindergarten angeschlossen mit einem Heilpädagogen und ein paar wenigen Integrationsplätzen. Er ist ja jetzt erst recht frisch in der Krippe, deswegen gibt es da noch nicht so viel zu sagen. Meine Frau hat da etwas mehr Einblick, weil sie ihn meistens abholt, und sie ist bisher sehr zufrieden.
Wir waren zwar erst unsicher, ob die Krippe so das Richtige für ihn ist und dachten daher ja zuerst über eine Tagesmutter nach, die dann auch näher an unserer Wohnung wäre. Wir hatten die Sorge, dass er in der Krippe möglicherweise ein bisschen überfahren wird und dass ihn das mit den anderen Kindern einfach überfordert.
Ganz zu Beginn hatten wir so anderthalb bis zwei Wochen Vorstellungs- oder Eingewöhnungszeit, wo ich immer mal einen Nachmittag mit ihm in der Krippe war. Damals konnte er noch nicht robben oder sich überhaupt alleine fortbewegen, das war schon ein großer Unterschied zu den anderen Kindern. Aber jetzt kann er das ja alles und die Bedenken haben sich eigentlich zerstreut, denn er kommt gut zurecht. Die anderen Kinder lieben ihn, er ist halt der Kleinste. Die betüddeln ihn voll, weil er ja noch nicht laufen kann, und das ist ganz gut für ihn. Er guckt dann immer den ganzen Kindern hinterher und kommt nachgerobbt. Das ist sein Ding.
Alexander Heber: Im Moment sind die Auswirkungen eher gering. Es gibt natürlich diese Frühförderung und die Physiotherapie. Ansonsten hat Nemo ein paar Probleme mit der Muskelspannung. Er kann schwer selber sitzen. Inzwischen geht das schon gut, aber das kam eben später als bei anderen Kindern. Da haben wir dann so eine Sitzhilfe bekommen. Das ist ein bestimmter Kinderstuhl, der orthopädisch angepasst wurde, damit Nemo besser sitzen kann und seine Wirbelsäule auch kein Problem bekommt. Aber für uns hält sich der Mehraufwand in Hinblick auf seine Behinderung bisher tatsächlich in Grenzen.
Alexander Heber: Klar, es gibt schon ab und zu Streit, aber das liegt eher daran, dass wir eigentlich alle vier Dickköpfe sind. Manchmal gibt’s auch Streit mit Emil, weil er eifersüchtig ist. Da müssen wir dann schon ein bisschen gucken, dass Nemo, weil er einfach richtig süß ist, jetzt nicht bevorzugt wird. Aber da kann man sich kaum gegen wehren. Ein Kind, das viereinhalb Jahre alt ist, einen Dickkopf hat und dazu noch Ausraster, ist dagegen in dem Moment eben auch mal nicht so süß. Darum bin ich ein bisschen unsicher, inwieweit das jetzt mit der Behinderung zu tun hat. Aber wahrscheinlich hat Nemo deswegen schon noch ein bisschen Extracharme.
Alexander Heber: Naja, also ... wenn er uns einfach anlacht. Oder auch wenn er aus dem Wohnzimmer raus um die Ecke angerobbt kommt. Er legt keine großen Strecken einfach so zurück, muss man dazu sagen. Aber wenn er das dann doch macht, dauert es eine Weile und er beschwert sich dabei so ganz leicht. Er meckert dann. (imitiert die Meckergeräusche) Er kann natürlich noch nichts sagen, aber man erkennt das am Tonfall. Und wenn man zum Beispiel gerade im Flur ist und er kommt langsam an, hört man dieses leichte Gemecker, das ist echt süß. Dann sieht er einen an und setzt ein riesen Grinsen auf. (grinst, macht Geräusche, lacht)
Alexander Heber: Wir gehen gerne an die Elbe. Da sind direkt so große Wiesen, wo wir in letzter Zeit gerne zusammen Fußball gespielt haben. Da ist natürlich vor allem Emil scharf drauf. Aber Nemo interessiert das auch automatisch, wenn der Emil es spannend findet. Nemo ist dann immer der „Torwart“ und muss die Bälle fangen, was er natürlich auch macht, wenn er sie zugespielt kriegt.
Wenn wir an den See fahren, schwimmt er auch gerne. Besonders mag er es aber, wenn er in der Trage ist, während wir unterwegs sind. Dann ist alles gut für ihn und er macht alles gerne mit.
Alexander Heber: Neben uns ist da noch meine Großmutter, also Nemos Urgroßmutter, eng mit dabei. Sie ist öfter bei uns und hilft uns, sie ist noch sehr fit. Und dann gibt’s noch Nemos Patentante, die jetzt leider in eine andere Stadt gezogen ist. Sie war auch eine Mitbewohnerin von uns und deswegen kennen die beiden sich gut. Da ist eine enge Beziehung, ja eigentlich zu unseren alten Mitbewohnern aus der WG insgesamt.
Alexander Heber: Dass er ein glückliches Leben führen kann und dass er Freunde hat. Ich muss sagen, dass ich nicht so viel daran denke, weil ich einfach zuversichtlich bin. Er hat so einen Charme und er kriegt das irgendwie hin, denk’ ich.
Alexander Heber: Ja, wir haben da sogar schon in der Schwangerschaft drüber nachgedacht, wo man sich so alle möglichen Gedanken macht. Als man uns ja auch sagte, dass er wahrscheinlich nur 20 oder 30 Jahre alt wird. Da überlegt man dann auch, dass er wohl keine Kinder haben kann. Aber Kinder sind ja eigentlich gerade das Schöne, oder? Von daher würde ich es ihm schon wünschen. Wobei es natürlich darauf ankäme, ob er das irgendwie handhaben kann und ob er Menschen hat, die ihm helfen. Aber vielleicht ist er ja dann später auch Onkel oder hat Patenkinder oder so. Also, dass er mit Babys und mit Kindern zu tun hat, das würde ich ihm schon sehr wünschen. Denn das ist eine große Bereicherung.
Aber soweit ich weiß und gehört habe, sind Männer mit Down-Syndrom meistens auch gar nicht zeugungsfähig. Ob das wirklich so ist, weiß ich nicht. Aber das ist noch so ein Punkt und dann kommt es auch sehr auf ihn an, ob er natürlich eine Frau oder einen Partner dazu hat und wie sie das dann möchten und hinbekommen.
Alexander Heber: Zumindest erst mal, dass es im Prinzip Menschen sind wie viele andere auch – mit den verschiedensten Charaktereigenschaften. Man kann nicht pauschal sagen, Menschen mit Down-Syndrom sind so oder so.
Ich würde allen außerdem wünschen, dass sie möglichst offen auf Menschen mit Down-Syndrom zugehen, weil sie dann viel zurückbekommen können. Ich habe damals während der unsicheren drei Wochen der Schwangerschaft, wo wir gar nicht wussten, was wir machen sollten und wie es weitergeht, nicht gewusst, ob ich möchte, dass die Schwangerschaft weitergeht oder nicht. Der entscheidende Punkt war dann, dass ich einfach so gespannt darauf war, zu wissen, was für eine Persönlichkeit er ist. Ich dachte: Und wenn er nicht auf die Welt kommt, dann frage ich mich ja mein Leben lang: Wer wäre das gewesen und wie wäre er gewesen? Ich wäre nicht mehr froh geworden.
Und in dem Sinne möchte ich auch anderen Leuten wünschen, dass sie sich im Umgang mit Menschen mit dem Down-Syndrom mal fragen, wer das ist und ein bisschen offen auf den Menschen zugehen können und dann vielleicht auch eine schöne Überraschung erleben.
Alexander Heber: Dass sie sich versuchen von dem Bild des „mongoloiden Idioten“ oder sonst wie, das sie möglicherweise im Kopf haben, freizumachen. Sie sollten offen sein für das, was da kommt. Das klingt so erst mal relativ platt, aber das trifft es eigentlich.
Für uns persönlich war ein wichtiger Punkt auch die Frage, ob wir unser Leben so weiterleben können. Oder was heißt weiterleben, aber, ob wir zumindest die Dinge tun können, die wir gerne machen, vielleicht Hobbies nachgehen können und so weiter. Meine Frau schreibt eine Doktorarbeit und das will sie auch gerne machen. Und aus meiner bisherigen Erfahrung kann ich sagen, dass das kein Problem ist.
Viele Leute haben Angst, so nach dem Motto „Schaff ich das?“ oder es kommen immer solche Äußerungen wie „Oh je, das ist was Großes!“. Aber ein Kind kann natürlich sowieso immer alles Mögliche haben. Bei einer Geburt kann immer alles passieren, es kann auch der Mutter etwas passieren. Das kann immer so sein – auch wenn man ein vermeintlich „gesundes Kind“ erwartet. Ich bin einfach froh, dass Nemo da ist und ich kann und will mir gar keine andere Entscheidung vorstellen.
Karina Müller: Das war zwei Monate vor ihrer Geburt, man konnte das zuerst gar nicht sehen. Als bei ihr die Nackenfalte gemessen wurde, war im Ultraschall alles in Ordnung. Auffällig war allerdings ihr Darm. Wir wurden weiter zur Feindiagnostik geschickt und dort hat man festgestellt, dass sie einen schweren Herzfehler hat und dass ihr Darm etwas verwachsen war.
Karina Müller: Ja, bei Sophie lautete die Diagnose „Duodenalatresie“, eine angeborene Entwicklungsstörung des Zwölffingerdarms. Und dann wurde uns gesagt, dass es auch ein Trisomie-Kind ist.
Karina Müller: Das war ein Schock ... (kämpft mit den Tränen) Ich konnte, glaube ich, zwei Wochen lang mit niemandem sprechen ... Wir haben ziemlich viel Zeit gebraucht, selbst damit klarzukommen. Aber sobald wir uns damit abgefunden hatten, war es schon okay. Dann haben wir es auch unseren Eltern gesagt. Die haben uns alle unterstützt. Und man hat einfach gemacht, was zu tun war. Aber es war, wie man so sagt, ein Stopp im Leben.
Das Schlimmste war eigentlich dieser Moment, in dem man festgestellt hat: Es läuft nicht so, wie man es geplant oder sich vorgestellt hat. Dieser Prozess im Kopf, wenn man nicht weiß, was man machen soll. Naja, was heißt „machen soll“? Es war sowieso schon zu spät, um sich Gedanken über eine Abtreibung oder was auch immer zu machen.
Nach der Feindiagnostik war ja auch noch nicht klar, welche Art von Trisomie Sophie hat. Das wussten wir damals auch nicht, dass es unterschiedliche Arten gibt, 14, 18 und 21. Falls es nicht 21 gewesen wäre, hätte die Situation mit dem Herzen ganz schlecht ausgesehen. Insofern hatten wir Glück.
Für uns war es gut, dass wir das alles schon vor der Geburt wussten, weil wir uns vorbereiten konnten. Das betrifft auch den Herzfehler, da wussten wir, dass wir gleich nach Leipzig gehen sollten, weil dort die Klinik besser ausgestattet ist, falls bei der Geburt etwas schiefgehen sollte. Wir haben uns dann in Leipzig informiert, wie das alles mit der Herz-OP läuft, wie die Abläufe sind, welche Gefahren es gibt – einfach, damit man Bescheid weiß.
Ja, und dann kam die Sophie zur Welt. Sie kam einen Monat früher als geplant, also etwas unerwartet. Es war eine schwierige Zeit: Wir waren gerade umgezogen und hatten unsere Sachen noch nicht alle ausgepackt. Mit allem Rundherum hatten wir nicht gerechnet. (lacht)
Dann waren wir einen Monat lang in Leipzig, weil Sophies Darm operiert werden musste. Mit dem Herzen sah alles stabil aus, da konnte man noch warten. Wir waren für diese Zeit in einem McDonald-Haus, in dem Eltern in Kliniknähe wohnen können. Dass es eine solche Möglichkeit gab, war sehr schön für uns. Und als wir wieder zu Hause waren, hat uns ein Brückenprojekt sehr gut geholfen, das Eltern bei der Suche nach Ärzten und Spezialisten unterstützt. Dafür sind wir sehr dankbar. So haben wir gleich einen guten Kardiologen gefunden.
Schon in Leipzig hatte man festgestellt, dass Sophie schlecht hört, also dass sie nicht wie andere Kinder reagiert. Nach und nach hat sich herausgestellt, dass sie eine mittelgradige Schwerhörigkeit hat. Daher trägt sie Hörgeräte. Es kann sein, dass es etwas besser wird, aber das weiß man nicht.
Karina Müller: Relativ oft, ja. Und mit der Zeit – da war sie noch nicht ein Jahr alt – haben wir auch festgestellt, dass sie nicht so gut sieht. Später konnte man messen, dass sie minus 6 und minus 3 Dioptrien hatte. Inzwischen hat es sich auf minus 7 und minus 3,6 verschlechtert.
Karina Müller: Sie trägt eine Brille und Hörgeräte, genau.
Mit einem Jahr wurde im Herzzentrum Leipzig Sophies Herz operiert. Da waren wir wieder fast einen Monat lang nicht zu Hause. Momentan sieht es ganz gut aus, die OP war aber sehr schwierig, da gab es mehrere Probleme auf einmal.
Karina Müller: Ja, die Ärzte haben sieben Stunden operiert. Und momentan haben wir immer noch viele verschiedene Arztbesuche: Physiotherapie, Logopädie, Frühförderung, HNO- und Augenarzt.
Karina Müller: Ja, darüber sind wir sehr froh.
Karina Müller: Momentan, also in ihrem Alter, gibt es noch keine allzu großen Unterschiede. Sie ist ja noch klein. Sie ist einfach langsamer, ihr Entwicklungsstand ist etwas niedriger. Andere zweijährige Kinder können schon laufen, die sprechen schon – nicht alle, aber einige können sprachlich was sagen –, die Sophie macht das anders. Sie läuft noch nicht, sie krabbelt. Sie versucht aber jetzt zu laufen. Statt zu sprechen, kommuniziert sie mit ihrer Mimik. Ihre Mimik ist sehr lebendig. Mein Mann sagt immer, sie ist ein „Clown“. (lacht) Sie zeigt aber auf jeden Fall, was sie will! Und sie hat noch eine andere Ausdrucksweise: mit Gesten. Jetzt haben wir mit Zeichensprache angefangen. Sie kann sagen, sie ist müde, sie möchte schlafen und für „iPad“ hat sie auch schon ein Zeichen. (lacht) Auf dem iPad hat sie Märchen und Musik, das mag sie.
Sophie ist außerdem ein soziales Kind. Andere Kinder möchten Sachen ja für sich behalten und so, sie guckt dagegen schon auf andere. Aber es gibt natürlich immer solche und solche Kinder, das liegt nicht unbedingt an der Trisomie, sondern einfach am Charakter.
Karina Müller: Eigentlich normal. Ich muss sagen, bei Sophie sieht man nicht sofort, dass sie Trisomie 21 hat. Bei einigen Kindern sieht man gleich, dass etwas nicht stimmt, aber bei Sophie nicht. Erst wenn man gefragt wird: „Wie alt ist das Kind?“ und man sagt „zwei Jahre“, kann man sehen, dass der andere irritiert ist und dass es im Kopf arbeitet. In dem Zusammenhang habe ich eine lustige Geschichte erlebt: Ich stand mit Sophie an der Bushaltestelle und kam mit einer Frau ins Gespräch. Ihr Sohn hatte auch eine Behinderung oder so, ich weiß nicht, wie wir dazu kamen. Ich sagte: „Mein Kind ist auch behindert, es hat Trisomie 21“ und die sagte: „Ach, das ist gut, dass es Trisomie 21 ist. Gut, dass es kein Down-Syndrom ist.“ Ich habe geantwortet: „Naja, das ist eigentlich das gleiche.“ Da wusste sie nicht, was sie sagen soll. Dann hat sie nochmal geguckt: „Ach wirklich, das sieht man gar nicht!“
Dass Sophie das Down-Syndrom hat, merken die meisten Leute also gar nicht. Sie merken eher, dass sie ... etwas lustig ist. Sophie macht immer Gesichter, wenn wir zusammen unterwegs sind. Sie staunt – „oh oh“ –, sie guckt, sie lacht, sie macht ihre Spielchen. Oder als sie noch ganz klein war, da lag sie im Kinderwagen und hatte ihren Zeh im Mund. Kleine Kinder sind ja sehr elastisch.
Meistens kommen die Leute in Verlegenheit, wenn ich im Gespräch sage: „Ja, mein Kind hat das Down-Syndrom“ und wissen dann nicht, wie sie da reagieren sollen. Ich wüsste das auch nicht, wenn ich nicht in der Situation wäre. Wenn man nicht selbst betroffen ist, weiß man meistens nicht viel darüber. Das war bei mir früher genauso. Das ist ähnlich wie mit Alzheimer, denke ich. Ich habe auch keine Ahnung, wie diese Leute sein können.
Viele Menschen sind über Trisomie 21 schlecht informiert. Das heißt, sie haben im Kopf ein Stereotyp, das sich nicht verändert, sich nicht entwickelt. Ich denke, es ist unsere Aufgabe, dieses Bild in der Gesellschaft weiter zu verschieben.
Karina Müller: Da muss ich jetzt überlegen. Also, es ist wirklich nicht so ausgeprägt. Ein Vorurteil, das ich selber schon erlebt habe, ist, dass manche das Down-Syndrom mit Idiotismus verbinden. Das heißt, die Kinder werden automatisch als minderwertig betrachtet, ganz unterbewusst. Aber das kommt nur bei Leuten vor, die nicht informiert sind.
Die mangelnde Kenntnis kommt wahrscheinlich daher, dass die Leute keinen Kontakt zu Menschen mit Down-Syndrom haben. Ich habe früher auch nie so jemanden kennengelernt. Dann habe ich ein paar Monate in Amerika verbracht und war dort in einem Feriencamp als Betreuerin. Ein Kind aus meiner Gruppe hatte Down-Syndrom. Mir wurde vorher aber nur gesagt: „Ja, das Mädchen hat Down-Syndrom und bitte auf die ganze Gruppe aufpassen.“ Man wollte von uns also keine besonderen Kenntnisse und ich dachte: „Oh, das wird schwierig, oh, das wird anstrengend ...“ Ich glaube, in Amerika ist es normaler, wenn Kinder Down-Syndrom haben.
Aber in Europa behandelt man die Kinder anders, viel mehr als Besonderheit. Und das bedeutet dann meist, dass man „besondere“ Kinder auch anderswo unterbringen muss. Das kann mal positiv und mal negativ sein. Es ist bestimmt gut, wenn diese Kinder einen heilpädagogischen Kindergarten besuchen. Aber wenn jemand sagt: „Ja, willst du sie nicht in eine spezielle Einrichtung geben?“, dann denkt man „hmm, vielleicht gibt es doch keinen Grund ...“
Ja, die meisten Menschen sind schlecht informiert und hier würden sich sicher viele Leute, die beim Test die Diagnose „Down-Syndrom“ bekommen, für eine Abtreibung entscheiden, auch wenn sie nicht genau wissen, was das bedeutet. Denn sie denken vielleicht: „So ein Kind will ich nicht.“ Ich habe sogar schon gelesen, dass jemand geschrieben hat: „So ein Kind könnte ich nicht lieben“. (kämpft mit den Tränen) Ich denke, diese Menschen könnten auch normale Kinder nicht lieben!
Karina Müller: Mmm ... (überlegt) sie ist ein Sonnenschein – und einfach mein eigenes, normales Kind eigentlich, alles ist da. (lacht)
Karina Müller: Wenn man zum Sandkasten kommt, hört man von anderen Eltern immer: „Oh, mein Kind kann das noch nicht und mein Kind kann das nicht“. Aber wenn Sophie einen Fortschritt macht, denke ich eigentlich immer: „Oh, wie toll!“ (lacht)
Karina Müller: Sie ist glücklich, wenn sie ihre Musik hat, sie liebt Musik! (lacht) Und sie mag Essen sehr gerne. Wenn sie zeigt, dass sie Hunger hat, und man setzt sie hin, dann ist sie zufrieden. Und wenn sie mit anderen Kindern zusammen sein kann. Sie liebt es, andere Kinder zu beobachten. Ja, einiges eigentlich, wenn man so überlegt. Aber Musik, das ist wirklich ihre Leidenschaft. Außerdem mag sie Bücher und sie liebt es, Geschichten vorgelesen zu bekommen.
Karina Müller: Eigentlich haben wir uns gesagt, wir machen einen Schritt nach dem anderen. Momentan gucken wir, dass sie in den Kindergarten kommt. Jetzt geht sie zwar zu einer Tagesmutter, aber das ist nicht das Gleiche: Es sind weniger Kinder und wir müssen eben auch in die Stadt fahren. Wir wohnen am Stadtrand und die Tagesmutter fast im Zentrum, man muss schon mit dem Auto fahren und Stau einkalkulieren und so. Aber das war die einzige Möglichkeit damals. Die Tagesmutter war die einzige, die Platz hatte und die ein behindertes Kind angenommen hat. Jetzt schauen wir, dass sie in den Kindergarten kommt. Das ist unsere erste Sorge – dass sie da akzeptiert wird und klarkommt. Auch mit ihren Hörgeräten und dem Ganzen. Ich weiß, dass später die Sorge um die Schule kommen wird, aber momentan ist der Kindergarten unsere erste Sorge. Wir machen keine langfristigen Pläne, das hat keinen Sinn, sondern konzentrieren uns auf das nächste Wichtige.
Eine weitere Sorge ist ihr Herz. Im Moment sieht alles gut aus, aber uns wurde gesagt, wenn sie ungefähr sieben ist, also wenn sie in die Schule kommt, muss man nochmal eine Herz-OP machen. Es kann auch früher notwendig sein, man muss das Ganze beobachten, damit es nicht zu Verschlimmerungen kommt. Das ist oft so, denn das Herz wächst und man muss das neu anpassen.
Karina Müller: Insgesamt sind sie zu fünft.
Karina Müller: Wir sind froh, dass wir jemanden gefunden haben und insgesamt sind wir zufrieden.
Karina Müller: An manchen Tagen haben wir eine Tagesmutter und an manchen Tagen nicht. Deshalb unterscheiden sich die Tage stark.
Wenn ich Sophie zur Tagesmutter bringe, steht sie um sechs oder sieben Uhr auf, dann gibt es Frühstück und Medikamente. Sie kriegt dreimal täglich ihr Medikament fürs Herz. Nach dem Essen kann Mama mal frühstücken und dann spielen wir noch ein bisschen. Wir haben mit der Tagesmutter vereinbart, dass wir Sophie erst um neun bringen, wenn die anderen Kinder schon da sind, damit sie sich nicht so allein fühlt. Wenn nicht gerade richtig schlechtes Wetter ist, gehen sie jeden Tag von zehn bis zwölf raus. Danach gibt es Essen und dann wird geschlafen. Wenn die Kinder dann wieder wach sind, können sie spielen und noch mal was essen und zwischen drei und vier Uhr hole ich Sophie wieder ab.
Zu Hause gehen wir auf dem Weg vom Parkplatz in die Wohnung über einen Spielplatz und bleiben dort meistens noch eine bis eineinhalb Stunden. Irgendwann gehen wir hoch und es wird entweder gemalt oder einfach gespielt. Nach dem Abendessen wird noch mal gespielt, Sandmännchen geguckt oder wir schauen Lieder auf dem iPad an und dann geht es schlafen.
So sieht ein entspannter Tagesmutter-Tag aus. Wenn wir Termine haben, ist der Zeitplan natürlich ein bisschen enger.
Karina Müller: Dreimal wöchentlich haben wir feste Termine: Sophie bekommt Logopädie, Physiotherapie und Frühförderung. Dazu kommen einige bewegliche Arzttermine:
Wir müssen einmal im Vierteljahr zum HNO-Arzt nach Dresden zum Ohrenputzen und zur Ohrenuntersuchung und dann haben wir noch unseren Haupt-HNO-Krankenhausarzt in Leipzig. Der schaut unter anderem, ob die Einstellung der Hörgeräte in Ordnung ist. Einmal im Monat gehen wir zum Hörgeräte-Akustiker, weil die Ohren so schnell wachsen, dass man wieder einen neuen Abdruck machen muss. Das dauert meistens nicht lange – vielleicht eine halbe Stunde, plus ein Termin zum Abholen und Anpassen, damit das richtig sitzt –, aber es ist immer wieder ein Termin.
Dann gehen wir einmal im halben Jahr zur Seh-Schule und dazu kam am Anfang noch der Optiker. Sophie hat schon ihre zweite Brille. Zum Kardiologen müssen wir momentan einmal im halben Jahr. Als sie klein war, waren wir ungefähr einmal im Monat dort.
Und in letzter Zeit waren wir öfters bei der Kinderärztin. Sophie war oft krank, jetzt im Winter hatte sie dreimal eine Augenentzündung. Und Ende dieses Monats haben wir einen Termin im Krankenhaus für eine Nasenmandel-OP, weil Sophie in beiden Ohren Ergüsse hat.
Karina Müller: Einige, ja. Mein Mann musste im ersten Jahr für die Versicherung eine Auflistung aller Arztbesuche erstellen. Er hat gemeint, als Sophie ganz klein war, waren wir wirklich jeden Tag unterwegs. Manchmal auch zweimal am Tag.
Im Nachhinein fragt man sich, wie man das alles geschafft hat, oder?
Karina Müller: Ja, das erste Jahr war ganz, ganz verrückt. Meine Eltern wohnen in Tschechien und kommen nur alle vier Monate vorbei. Die Eltern meines Mannes wohnen in Süddeutschland, die kommen auch nicht so oft, sie sind auch nicht mehr die Jüngsten. Unsere Freunde aus dem Studium und so sind auf ganz Deutschland verteilt. Direkt hier haben wir also keine nahestehende Person, die uns helfen würde.
Wir waren mit Sophie bei der Versicherung und haben gefragt, ob es eine Hilfe gibt, aber die haben gesagt: „Nein, es gibt nichts.“ Das nehmen wir der Versicherung wirklich übel. Erst später haben wir über andere Eltern erfahren, dass es die Möglichkeit gibt, einen „familienentlastenden Dienst“ in Anspruch zu nehmen. Inzwischen machen wir das, aber das erste Jahr, wo es am schlimmsten war – ich selbst hatte auch noch einen verstauchten Fuß – war es richtig anstrengend.
Wir können das nicht beweisen, aber wir glauben, dass man uns absichtlich verschwiegen hat, dass es diese Möglichkeit gibt. Auch beim Behindertenausweis mussten wir einmal Widerspruch einlegen: Trotz Herzfehler, Trisomie und Schwerhörigkeit haben sie uns nur 50 Prozent gegeben und kein „B“. Dabei ist das wichtig, damit man als Schwerbehinderter beispielsweise in der Straßenbahn nichts zahlen muss. Solche Sachen machen das Leben richtig schwierig. Was ich schlimm finde, ist, dass es in jedem Bundesland anders gehandhabt wird. In den Ämtern gibt es in jedem Land unterschiedliche Regelungen – anders kann ich mir nicht erklären, wieso man da so ungleich bewertet wird.
Am besten finde ich ja, dass bei der Versicherung immer noch die Frage kommt: „Hat es sich bei Ihrem Kind verbessert?“ Trisomie bleibt, das ist nicht heilbar, das ist keine Krankheit, sondern einfach der Stand. Auch beim Herzen ist es so, denn auch wenn die Operation erfolgt ist, wird es nicht besser.
Das raubt wirklich ganz viel Kraft. Zum Glück gibt es die Möglichkeit, sich untereinander auszutauschen.
Karina Müller: Genau. Hier in Dresden gibt es eine „Upside Down“-Gruppe, die sich ungefähr einmal im Monat trifft. Es ist wirklich hilfreich, man kann Tipps austauschen und sich gegenseitig unterstützen.
Karina Müller: Ja. Das würde ich jedem empfehlen, der nicht weiß, ob er das Kind behalten möchte, auch wenn das Kind noch klein ist und man keine ethischen Bedenken hat, das Kind abzutreiben. Ich glaube, das lohnt sich, mir hat es jedenfalls sehr geholfen.