Sagen aus der Schweiz
Herausgegeben von Berndt Schulz
FISCHER Digital
Berndt Schulz, Jahrgang 1942, war Buchhändler, machte im zweiten Bildungsweg Abitur und studierte Neuere und Ältere deutsche Philologie, Soziologie und Publizistik; Spezialgebiete Volksdichtung/Volkskunde und Film in Geschichte und Theorie. Herausgeber mehrerer Sagen- und Märchensammlungen.
Schweizer Sagen erzählen mit einer Fülle von Stoff in überraschenden Varianten von der reizvollen Landschaft, ihren Bewohnern und den Städten. Geschichtliche Figuranten aus den Befreiungskriegen treten ebenso auf wie Zauberer und Teufel, Riesen und wandernde Seelen, die wilde Jagd, singende Alpgespenster und Mittelwesen, Gletscherjungfrauen und Untiere aus den dunklen Tälern. Der Hexenkult wird noch einmal lebendig.
Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Erschienen bei FISCHER Digital
© 2016 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: Stefan Gelberg
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ISBN dieser E-Book-Ausgabe: 978-3-10-561329-0
HEIDRUN und ROSA gewidmet
Die Schweiz, eigentümlich durch Geschichte, Naturbeschaffenheit und geografische Lage, ist ein Boden, auf dem die Volksdichtung üppig blüht. Mitte des 19. Jahrhunderts war es, als eine jäh einsetzende Leidenschaft des Sammelns von Sagen- und Märchenstoffen sich der Volkserzählungen bemächtigte, wie sie in der Bevölkerung lebendig waren und z.T. auch noch immer sind. Die vorliegenden Sagen, sämtlich in dieser Zeit erzählt und aufgeschrieben, können als authentisch im Sinne unverfälschter Erfahrungs- und Erlebnisweisen betrachtet werden. Sie verraten in Mehrheit eine Erzählkunst, wie sie sonst nur bei Märchen anzutreffen ist, verbunden mit dem spezifischen Realismus von Naturwahrheiten der Schweizer Hochwälder, Berge, Gewässer, Almen. Der Standard phantasievoller Wahrnehmung von Natur und Gesellschaft und deren Umsetzung in teils poetische, teils chronikartige, in jedem Fall aber nach dramaturgischen Prinzipien gebaute Schilderungen ist so nicht mehr erreicht worden: denn in diesen Überlieferungen sprechen die »einfachen Leute« in ihrer eigenen Sprache. Einfach sind sie ja nur dadurch, daß ihnen die klassischen Bildungsgüter vorenthalten wurden. Zu ihrem Vorteil, möchte man sagen, wenn man die Ergebnisse der Phantasiearbeit überblickt. Denn ist auch die »niedere« Abkunft nichts Natürliches, sondern gesellschaftlich-kulturelle Konstruktion, so bewahrt sie doch offensichtlich elementare Zugänge zu Formen und Bedeutungen des Lebens, die dem hochkomplizierten, geschulten Verstand verschüttet scheinen. Die Volksliteratur jedenfalls ist das Haus geworden, mit dem sich die »gemeinen Leute« in der Mitte des 19. Jahrhunderts innerhalb der Städtemauern der literarisch gebildeten Bürger heimisch machten.
In den ausgedehnten ländlichen Gebieten der Schweiz, vor allem auch in ihren nicht ohne weiteres zugänglichen Gebirgsregionen, haben sich Bräuche erhalten, die sämtlich an den natürlichen Zweikampf des Sommers, der in den Volksfesten bereits am 1. März beginnt, mit dem Winter erinnern wollen. Die Fastnachtsrituale sind nur das populärste Symbol, deren verschlüsselte und oft auch erotische Handlungen im Buhlen um schönste Mädchen, in martialischen Konkurrenzen tüchtiger Männer oder einfach im Schützenfest, dem Überbleibsel waffenstarrender Kriege gegen die kalte Jahreszeit, ihren Ausdruck finden. An einigen Orten taucht noch der gefürchtete Wilde Mann auf, groteskes, haariges Ungetüm, das Angst und Unheil verbreitet, gejagt und unter Jammern und Stöhnen ins Gefängnis verbracht wird – welches sich allerdings zur Freude aller Beteiligten recht schnell als Wirtshaus erweist.
Reflexe des Sommer-Winter-Dualismus finden wir in den Schweizer Sagen überall. Besonders dann, wenn von Hirten und Sennen erzählt wird, deren Naturerfahrung ja besonders intensiv ist, materialisieren sich die Jahreszeiten zu leibhaftigen Gestalten, Tieren und Untieren, seltsamen Mittelwesen, die in einen Austausch eintreten, der immer die Existenz gefährdet. Von der Erzählung »Die Schmuggler« an, habe ich einmal eine Reihe Alpgeschichten aus dem Unter- und Oberwallis aufeinander folgen lassen, um den Variantenreichtum aus diesem Milieu zu zeigen.
Feuer spielt bei der Austreibung immer eine Rolle. Verbrannt werden in symbolischen Akten die nächtlichen, dunklen, unwirtlichen Elemente. Feuer ist Licht, es reinigt. Diese Aufgabe hat es in der Sage, wenn es aus den Körpern Lebender herausschlägt, die eine Schuld auf sich geladen haben (»Der brennende Bräutigam«, »Die beiden Wartburger«), es verzehrt sie. Als Strafe hat die Höllenqual des Feuers darüber hinaus mannigfache Varianten, davon soll hier nicht weiter gesprochen werden.
Sage als Volksdichtung ist knappe, schlichte Versinnbildlichung, ausdrucksstark wie sonst nur Kunstwerke. Sage ist Inhalt, weniger Form. Sie will unmittelbar wirken, weniger gefallen als belehren. Manchmal hat sie sich verbündet mit dem Kampf um fortschrittliche Staatsformen. Sie zeigte geschichtliches und politisches Interesse, und das bekam ihr nicht schlecht. In Ausdrucksform und Stil wurde sie rank und schlank, gleichermaßen phantasievoll wie vernünftig, ihre Imagination vergesellschaftete sich (»Drei schlafende Befreier«). Der Schweizer Republik hat sie einiges abgelauscht.
Dem Leser wird eine Erzählung auffallen, die auch als aetiologisches Märchen gelten kann: »Das gelbe Vögelein und das arme Margritli« von Jeremias Gotthelf. Der Märchenton sollte über den sagenhaften Kern nicht hinwegtäuschen. Wie alle aetiologischen Texte erklärt auch dieser in didaktischer Absicht aus einem einmaligen Ereignis ein Gesetz im Verhalten bestimmter Tiere. Diese belehrende Haltung nähert sich der Sage an. Der Text ist nicht zuletzt deshalb hier aufgenommen, weil sich bei Gotthelf die poetische Kraft der Erzählweise deckt mit einer Geschichte, die typisch für viele Stoffe der vorliegenden Sammlung ist. Ihre Moral besagt: Die Armen sind tatsächlich arm dran, aber das ist nicht zu ändern. Daß die Reichen nicht etwa gut wegkommen, versteht sich von selbst.
Diese Sicht der Dinge teilen andere Erzähler. Das »die-da-oben-wir-hier-unten« verführt sie aber nicht zu harmonisierenden Blicken: die Reichen sind meist böse, und die Bösen holt der Teufel. Der unbestechliche Gerechtigkeitssinn des Volkes mißt jeder Untat den angemessenen Lohn zu, und sollte er erst nach dem Tod verabreicht werden. So tröstet sich der Benachteiligte (»Der Gang zu Luzifer«, »Jetzt hast du deinen Lohn und ich den meinen« usw.). Ein interessantes Beispiel für diese Wertung ist »Der Untergang von Plurs«. Die Sage geht auf die historisch verbürgte Katastrophe vom 4. 9. 1618 zurück, als ein herabstürzender Berg die reiche Stadt verschüttete. 2430 Menschen fanden den Tod bei diesem Unglück, das den Zeitgenossen tiefen Eindruck machte und die Ursachenerklärungen munter hervortrieb. In unserer Fassung spricht die Interpretation von der Willkür der Reichen gegen die Armen und die wehrlose Kreatur; die wertende Richtung ist die der moralischen Linie von »unten« nach »oben«. In »Die Vergletscherung des Saanetsch« findet das Urteil ein besonders imposantes Bild. Durch die Hartherzigkeit eines Reichen vereist ein ganzer Berg.
Sind in diesen Beispielen die moralischen Bemessungen sozial motiviert, so verlieren sie sich bei anderen Sagen eher im Zufall der Genese des Erzählstoffes oder werden individualistisch stumpf. In der Sage »Riborrey und seine Tochter« aus dem romanischen Teil der Schweiz, gilt die erzählerische Prüderie einer jungen Frau, die sich gegen den Willen ihres Vaters einen Liebhaber sucht. Sie wird in eine Schlange (sic!) verwandelt und damit eindeutig stigmatisiert. Daß sie am Ende durch drei Küsse doch wieder erlöst werden kann, zeigt in seiner inhaltlichen Inkonsequenz wohl nur das schlechte Gewissen eines Erzählers, dessen Moral sich von gesellschaftlichen Zusammenhängen entfernt hat und rückwärts geht.
Um Wiederholungen zu vermeiden, wurden die Sagen dieses Bändchens nach Motiven zusammengestellt. Gleiche Motive treten gerade in Märchen und Sagen immer wieder auf, sowohl innerhalb einer volkskundlichen Region, wie im internationalen völkerkundlichen Rahmen. Motivgleichheit und Variantenreihen sind jedoch kein Merkmal ausschließlich der Volksliteratur. Auch die Hochliteratur lebt auf der Basis immer wiederkehrender Themen und Motive, darin finden beide Genres zueinander.
Die hier versammelten Einzelmotive und Themen sollen sich durch ihre Anschlüsse im glücklichen Fall auch gegeneinander kommentieren. So wechseln Schatzmotive mit geschichtlichen Motiven, Elben erscheinen neben der Wilden Jagd, Räubererzählungen folgen auf Hirtengeschichten, Seelenwanderung auf Wanderungen von Teufeln oder Hexen, Schwankhaftes geht Erklärungssagen aus Stadt oder Natur voraus, usw. Einer wird »hinters Licht geführt« (»Die Schloßmusik«), ein anderer erleuchtet (»Belohnte Treue«). Der argloseste Schweineverkäufer wird genasführt (»Wie etliche Schweine auf ungewöhnliche Art bachabwärts schwimmen«), ein gestohlener Knabe befreit die geraubte Jungfrau, die nicht flieht, weil sie nackt ist (»Das Räuberschloß«); ein Student ist des Teufels, denn er ist sehr fett – hat er wenig studiert? (»Der fette Student«); Fluchthilfe wird noch nach 25 Jahren belohnt und ein Glücklicher wird zu Tode gefoltert (»Die Folter«). Ein Gespenst singt (»Der singende Geist«), eine Amtsperson wird närrisch (»Der Narr und die Räuber«), ein Priester muß sich kritischem Kreuzverhör von Teuflischen stellen (»Der Graben von Leytron«) und der Krieg entblößt seine Fratze (»Das Oerkentier«). Wo der böse Dietrich aus Dünkel mordet (»Dietrich jagt im Jura«), der »Mörder im Pfynwald«, wenn ihn »der Rasende anfällt«, morden die schönen Blumatter Mädchen in »Der Mädchenmörder« aus schierer Friedensliebe. In all diesen Geschichten geht das rohe Gesetz des Stärkeren um. Die Zeiten sind grausam, alle Menschen egoistisch. Auch die Natur bietet keinen Trost. Da erscheinen die abgründigen Quälgeister aus der Zwischenwelt noch wie vernunftbegabte Haustiere. Sie folgen ihrem Impuls und geben wieder Ruhe. Währenddessen schlagen die Menschen allein oder in Heerscharen aufeinander ein.
Je unwirtlicher die Naturregionen, desto weniger poetisch sind ihre Sagen. Wo die Menschen mit widrigen Lebensbedingungen kämpfen müssen, bleibt die Phantasie am Boden. Ihre Flügel beginnen in milderen Zonen zu schlagen. Für beide Phänomene liefert der vorliegende Band Beispiele. Erzähltechnisch gesehen, gibt es in der Sage oft den eigentümlichen Gestus des Zerzählens; dem Berichtenden geht gegen Ende gewissermaßen die Luft aus, die Geschichte zerfällt dramaturgisch. Auf solche Sagen habe ich aus Gründen der Lesefreude verzichtet. Sie waren in den Quellen ohnehin erstaunlich selten, und das zeigt – neben den obenerwähnten Gründen – auch –, wie sehr trotz aller ausdrücklichen Vorsicht von Sammlern wie dem Freund Jakob Grimms Theodor Vernaleken (1812–77), dessen Programm treue Wiedergabe ohne Rotstift des Gebildeten war, Volkserzählungen durch die Niederschrift »bearbeitet« werden. Denn gerade in mündlicher, spontaner Rede, und die liegt den verwendeten Quellen erklärtermaßen zugrunde, tritt Erzählverfall häufig auf.
Die Sagen aus dem Unterwallis sind durch frühere Sammler aus dem Patois ins Deutsche des 19. Jahrhunderts übersetzt worden. Mancher ursprüngliche Zug ist dadurch sicher verlorengegangen. Diesen Verlust konnte ich nicht ausgleichen. Mein Bemühen war aber, die Sagen nicht noch einmal durch übermäßiges Bearbeiten zu verfälschen. Ich beließ es bei vorsichtigen Korrekturen, wo unser heutiges Sprachgefühl es erforderte.
Noch einige Auffälligkeiten der Schweizer Sagen:
– Geister haben grüne Farbe. Im Gegensatz zum Wilden Jäger, dessen rote Tracht heftige Bewegung, Feuerlohe, Hitze assoziiert, ist das Grün der Untoten von giftiger, amphibischer Konsistenz, es bringt eher stilles, untergründiges Unheil.
– Venezianer werden, trotz ihres noblen Herkunftsortes nur als verkappte Gauner vorgeführt, die darüber hinaus als die Fremden, Geheimnisvollen, Dunklen über anrüchige Kontakte zu Zaubermächten verfügen (»Der Venezianer«). Ihnen stehen die Einheimischen zwar bieder und leicht zu übertölpeln, aber als das gute, ordentliche Element in naivem Chauvinismus gegenüber.
– Zwergen muß man Gutes zutrauen, dann tun sie Gutes. Die Schweizer Berge sind besonders dicht besiedelt von den Mittelwesen, die auf Du und Du mit Hirten und Herden stehen. Allerdings darf keiner sie belauschen oder befehden, dann geraten sie in Harnisch, die Bergmännchen, Eiben, Schrate. Läßt man sie dagegen, sind sie wohltätig, die behütenden Geister der Alp (»Das Rücken der Kühe«). Um so trauriger ist dann die Chronik ihres blutigen Endes (»Der Tod der sieben Zwerge«). Erotische Neider machen in dieser Sage aus dem Aargau der friedlichen Wohngemeinschaft den Garaus, sie zerreißen die idyllischen Bande zwischen der ersten und der zweiten Welt.
Der Leser wird noch mehr solcher eigentümlicher Details entdecken.
Vielleicht ist die Sage wirklich, wie behauptet wurde, der Ursprung aller poetischen Produktion. Am Anfang war die bloße sprachliche Fixierung, dann wurden die einzelnen Elemente immer kunstvoller und verselbständigten sich. Der Wahrheitsanspruch der Sage ist jedenfalls, gerade auch gegenüber dem Märchen, das poetische Unterhaltung bieten will, enorm. Sie soll auch so gelesen werden, obwohl erzählerische Phantasie diesen Anspruch oft schalkhaft unterläuft. Wortwörtliche Geschichtsschreibung ist die Sage natürlich sowenig wie eine »Schlangenlinie eine Schlange ist« (Samuel Singer). Sie bildet aber ab und bespricht, was im Innern der reinen Fakten lebt und mit allen Sinnen zu fassen ist. Auch steinalte Sagen sprechen uns deshalb heute noch unmittelbar an, sie sind nicht verbraucht. Was sich so nicht begeben hat, kann nicht veralten.
Skirö, Juni 1980
Berndt Schulz
Einst lebte ein Mann namens Niklaus Eggel mit seiner Familie arm in einem kleinen Häuschen. Es träumte ihm eines Nachts, in Uri »auf der Brücke« werde er sein Glück finden. In zwei weiteren Nächten wiederholte sich der Traum – das Glück wartete in Göschenen, dem Eingangsort des künftigen Gotthard-Tunnels.
Unser Niggi Eggel lachte über den Traum; doch erzählte er ihn seiner Frau. Die hatte mehr Vertrauen zu dem sonderbaren Traum und riet ihrem Mann, nach Einsiedeln eine Wallfahrt zu machen, er werde Gelegenheit haben, die Brücke in Uri zu sehen, und so sei die Reise jedenfalls nicht umsonst.
Niggi kam ihrem Rat nach und gelangte nach Einsiedeln, ohne bei der bezeichneten Brücke etwas Außergewöhnliches anzutreffen. Auf der Heimreise fand er die Brücke wieder leer, wie bei der Hinreise, doch hielt er jetzt, etwas mißgestimmt, an und begann sich die Brücke der Länge und Breite nach näher anzuschauen. Da kam ein Mann zu ihm und fragte, ob er was verloren habe. »Nein«, antwortete unser Niggi, »es hat mir was Dummes von dieser Brücke geträumt, dem ich zwar nicht glaube; doch kann ich bei der Gelegenheit nicht unterlassen, hier nach der Erfüllung des Traums mich umzusehen.«
Der Unbekannte lachte und sagte, er solle sich doch um Träume nicht kümmern, auch ihm hätte geträumt, zu Weingarten in einem alten Häuschen sei im Keller ein Hafen voll Geld vergraben. Er wisse nun weder von Weingarten noch von besagtem Häuschen, wo die in der Welt seien, das mache aber nichts, er kehre sich nicht um Träume.
Niggi Eggel wurde nachdenklich, verabschiedete sich scheinbar gleichgültig von dem Fremden und, zu Hause angekommen, fand er schon am ersten Abend im Keller bei der Stütze unter einer Steinplatte den verborgenen Schatz. Denn das Dorf, in dem er lebte, das hieß Weingarten.
Der glückliche Finder wandte das Geld gut an. Erst riß er sein altes, schadhaftes Häuschen ein und führte ein neues ein, das heute noch stehen soll. Dann erweiterte er seine Liegenschaften und jeder merkte, daß unser armer Niggi Eggel ein wohlhabender Mann geworden war.
Das Reichwerden eines armen Mannes war der Obrigkeit verdächtig. Sie vermutete bei unserem Niggi Eggel Diebstahl oder Zauberei. Beide Verbrechen wurden damals mit dem Tod bestraft, und das um so viel leichter, wenn der Angeschuldigte reich war. Nach damaligem Recht erbten die Richter zum Teil das Vermögen der Verurteilten. Reichtum empfahl sich demnach nicht unbedingt der Gnade der Richter, wie es heute zuweilen ist. Davon kann man noch viele traurige Beispiele erzählen. Niggi Eggel jedenfalls wurde eingezogen und beim Richter der Hexenkünste oder des Diebstahls angeklagt. In einer Schrift war zu lesen, daß 30 beeidete Zeugen gegen ihn im Gericht angeführt wurden.
Natürlich konnte der Unschuldige ein Verbrechen nicht gestehen. Er erzählte freilich, wie er zu dem Vermögen gekommen war; aber die Richter glaubten ihm nicht und wollten ihn durchaus verurteilen, weshalb er durch Tortur und Folter zum Geständnis gezwungen werden sollte. Das Gesetz verlangte den peinlich genauen Gang der Dinge. Erst wurden leichtere, dann immer schwerere und zuletzt unerträgliche Qualen angewendet. Zwischen diesen Torturen wurde den Angeschuldigten Zeit gelassen, sich eines Besseren zu besinnen; sie hatten es auch nötig neue Kräfte zu sammeln, bevor der neue Gang ansetzte. Es ist klar und geschichtlich wahr, daß viele Unschuldige für Verbrechen gestraft wurden, die sie nie begangen hatten. Mancher wollte lieber schuldig sein, als sich den grausamen Folterqualen zu unterwerfen; oder er bekannte auf der Folter, woran er nie im Leben gedacht hatte. Leider galt nur das als Wahrheit, was sein Mund, von Schmerzen übermannt, oft ohne alle Geistesgegenwart hervorstöhnte.