Die Kunst, Lust zu erzeugen
Band 2
The Feminist Porn Book
Die Kunst, Lust zu vermitteln
Band 2
Erste Auflage
© 2014 Louisoder Verlagsgesellschaft mbH
Müllerstraße 27, 80469 München
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten www.louisoder-verlag.de
Introduction copyright © 2012 by Tristan Taormino, Celine Parreñas Shimizu, Constance Penley and Mireille Miller-Young
Selection and compilation copyright © 2012 by Tristan Taormino, Celine Parreñas Shimizu, Constance Penley and Mireille Miller-Young
Individual copyright retained by contributors.
Published in 2013 by The Feminist Press at the City University of New York
Übersetzung: Roswit Kolla und Joachim Körber
Korrektorat: Ilona Buth
Covergestaltung: Zero Werbeagentur, München
unter Verwendung einer Vorlage von Herb Thornby, herbthornby.com
ISBN: 978-3-944153-09-04
eISBN: 978-3-94415-32-23
LAURA MÈRITT
CONSTANCE PENLEY
LORELEI LEE
ARIANE CRUZ
NINA HARTLEY
KEVIN HEFFERNAN
TRISTAN TAORMINO
C. D. ZEISCHEGG
JIZ LEE
APRIL FLORES
BUCK ANGEL
CELINE P. SHIMIZU
BOBBY NOBLE
LOREE ERICKSON
LAURA MÈRITT
Dr. Laura Méritt, Kommunikationswissenschaftlerin, Sex-Aktivistin und Autorin, betreibt seit über zwanzig Jahren Sexclusivitäten und führt Aufklärungskampagnen durch. Sie hält freitäglich den Freudensalon in Berlin ab, um Austausch und Kommunikation über Sexualität zu fördern. Sie ist Initiatorin von PorYes, Feminist Porn Award Europe und Herausgeberin u. a. von „Frauenkörper neu gesehen“, „Mehr als eine Liebe“ und „Alltägliche Ekstase“.
Spätestens seit der 2. Jahrtausendwende wird der sexpositive Feminismus in Europa öffentlich thematisiert. Die Hinwendung zu einer anderen, respektvolleren und „authentischeren“ Darstellung von expliziter Sexualität, die auch als Paradigmenwechsel in der Pornografie bezeichnet wird, basiert auf vielfältiger feministischer Vorarbeit. Vor allem junge Leute, Frauen und viele Männer haben von PorNo-Filmen den Kanal voll und suchen oder erstellen selbst explizite Alternativen. Um auf sexpositive Filme hinzuweisen und auch die Werke früherer Filmschaffender bekannt zu machen, wird seit 2009 in Berlin der Poryes-Award, der Feministische Pornfilmpreis Europa, verliehen. Mit der Prämierung von Personen und Produktionen verschiedener Generationen und Kulturen nach bestimmten Kriterien wird auch feministische Film- und Sexgeschichte geschrieben.1 Festivals wie der Porna Award in den Niederlanden, das Pornfilmfest Berlin oder das Cinema Sex Barcelona in Spanien beachten zunehmend stärker feministisch orientierte Sexfilme und tragen somit zu einer größeren Sichtbarkeit der Bewegung bei.
Im Folgenden stelle ich einige herausragende Persönlichkeiten und Produktionen des Feminist Porn Europas vor, die ich kurz im Vorwort zum ersten Band erwähnt habe.
Feminismen gestalten sich in unterschiedlichen Ländern je nach gesellschaftlichem Kontext und den sozioökonomischen Bedingungen aus. In welchen Ländern die sexpositive Bewegung greifen kann und feministische Pornos produziert werden, gibt daher Aufschluss über die Regulierung von Sexualität und den jeweiligen Stand der Geschlechtergerechtigkeit. Frankreich beispielsweise hat schon immer starke Theoretikerinnen und Praktikerinnen vorzuweisen, trotz oder wegen einer recht starren und konservativen Geschlechterpolitik. Hier dauerte es relativ lange, bis mit Emilie Jouvet 2oo6 unter heftigsten Diskussionen frischer Wind aus Paris, der Stadt der Liebe kam. Deutschland fährt traditionell den pragmatischen und mehrgleisigen Weg (durch die Institutionen wie außerhalb), Skandinavien profiliert sich mit progressiver Geschlechterpolitik, die auch auf dem Gebiet der Sexualität Nachhilfe leistet. Italien wies zumindest in früheren Zeiten eine starke linke Politik und Frauenbewegung auf. In Spanien öffnete sich nach Franco ein Freiraum, der vieles auch im Sexualpolitischen ermöglichte und immer auch eine stark anarchistische Bewegung kannte. Die Niederlande experimentieren bodenständig mit Kulturen, Geschlechtern und verschiedensten Ansätzen. Insgesamt kann im „guten alten Europa“ ein fest verankertes Bedürfnis nach Hinterfragen und Kritik festgestellt werden, das sich auch in der Betrachtung von sogenannten „alternativen“ Ansätzen niederschlägt.
Deutschland/Österreich –
Starke Frauen und verqueertes Begehren
Fast alle Filmemacherinnen beschäftigten sich in den Anfängen mit dem eigenen Körper, oftmals weg von der Körperoberfläche hin zu den Säften, zum Blut, zum schönen Schleim. In diesen Körperentdeckungsfilmen geht es um die Überwindung physischer und psychischer Normierung und Unterdrückung hin zu Öffnung, Austausch und Transformierung.2
Die Österreicherin Valie Export ist eine der bekanntesten Vertreterinnen experimenteller Kunst, die mit „Genitalpanik“ ein bleibendes Bild einer potenten Frau hinterlassen hat, dem „Tapp- und Tastkino“ 1968 einen interaktiven Projektionsraum eröffnete und in zahlreichen Filmen wie „Orgasmus“ 1969 oder „Mann&Frau&Animal“ der Möse ins Auge blickte.
Mit einem Endoskop filmte Monika Funke-Stern (Deutschland) „Parfait d´Amour“, mit dem sie unmittelbar an und in den Körper gehen konnte und mit Bildern aus Mund und Möse überraschte. Claudia Schillinger, Eva Heldmann, Stefanie Jordan u. a. liefern in den 80ern/ 90ern „Love Bites“.
Zum Zwecke der anatomischen Sexualaufklärung wurden Mösen explizit zur Schau gestellt (Klitoris-Show des Feministischen Frauengesundheitszentrums FFGZ ab 1975, Pussy-Galerie in „Frauenkörper neu gesehen“ 2012) oder in Kurzfilmen z. B. die weibliche Ejakulation erklärt, „Nice girls don‘t do it“ (80er Kathy Daymond). Viele der Erotikund Sexfilme wurden unter heißen Diskussionen auf den in den 70ern entstehenden zahlreichen Frauenfilm-Festivals gezeigt, auch weil sie oft nicht der weiblichen Zuschreibung entsprechend sanft und „schön erotisch“ daherkamen. Die Frauen setzen alle verfügbaren Techniken ein (Super 8, 16 mm, Video, Trickfilm, multimedial) und überschreiten alle Grenzen, lassen sich nicht einordnen. Im Feminist Film wie im Feminist Porn geht es um Dekonstruktion und Transgression von Kategorien, sowohl was das Filmgenre betrifft als auch die Zuordnungen innerhalb des Mainstream-Pornos.
Eine und sicherlich die deutsche sexpositive Pionierin schlechthin, die sich in Spielfilmen mit Sexualität beschäftigt hat, ist Monika Treut. Alle ihre Filme zeigen Sexualitäten im positiven Sinne, ermuntern zum Ausprobieren, liefern sexuelle Bildung und erweitern den Horizont. Mit „Verführung – die grausame Frau“ (1985), den sie mit der ausgezeichneten Kamerafrau und Filmemacherin Elfie Mikesch zusammen realisierte, liefert sie nicht nur den Film zu ihrer Doktorinnenarbeit über das Frauenbild bei Sader-Masoch, sondern auch einen der wichtigsten und originellsten Spielfilme zu SM. Immer geht es Monika Treut auch um die politische Dimension von Sexualität und die kulturelle Einbettung. So ist die grausame Frau eine Männerfantasie, die für Männer und Frauen gleichermaßen faszinierend und angstbesetzt ist. Je mehr das Weibliche in patriarchalen Ordnungen gezähmt wurde, umso stärker fürchtet man die unangepasste Frau, die als grausam daherkommt. Eine befreite Frau innerhalb einer unfreien Gesellschaft lässt sich dann nur als Monstrum denken. Sie hält die Spannung von Lust und Leid, Genuss und Unterwürfigkeit unaufgelöst aufrecht. Hinter der Korsage steckt eine späte Vertreterin matriarchaler Macht, die nur noch mit Angst und Schrecken geliebt werden kann.3
Dieser außergewöhnliche Film ist ein eindeutiges Statement des Feminismus, inhaltlich und formal wird der Frau ihr Körper und ihre Begierde zurückgegeben. Mit fast immer schrägen Kamerawinkeln wird die Kamera aus der Horizontalen befreit, filmische Konventionen aufgebrochen und der Blick der Zuschauenden in Vielfältigkeit geschult, ganz wie es die feministische Filmtheorie der 70er gefordert hatte.
Mit Humor und Liebe zu ihren SchauspielerInnen zeigt Treut „abweichendes Sexualverhalten“, ob es um SM-Praktizierende, Dominas, Lesben, Transgender oder andere Identitäten geht. Sie porträtiert „starke“ Frauen, die aus der Rolle fallen: „Female Misbehavior“ und „Didn’t do it for love“. In „Die Jungfrauenmaschine“, der zu einem Kultfilm der Lesbenszene avancierte, hinterfragt eine junge Frau die herrschende Sexualität und lernt die bunte sexpositive Szene San Franciscos kennen, der damaligen Sex-Metropole. „My father is coming“ behandelt die Turbulenzen, wenn ein Familienmitglied zu Besuch kommt und sich der Vielfalt der sexuellen Möglichkeiten öffnet.
Immer nimmt Treut mehrere Perspektiven ein, arbeitet grenzüberschreitend, zeigt Meta-Ebenen und spiegelt die Funktion von Gesellschaft, Kultur, Wissenschaft und Medien auf Sexualität und Identität.
Performance-Künstlerin, Fotografin und Filmemacherin ist die ebenfalls in Hamburg lebende Österreicherin Krista Beinstein. Ihre Hafen-Bilder sind spannende und sexuelle Vorlagen, die auf provokante Weise und in bislang nicht gesehener Vielfalt die sexpositive lesbische Szene Deutschlands der 80er und 90er inszenieren. Die extravagante Vorreiterin Beinstein spielt mit verborgenen Wünschen, realisiert Mythen in Fleisch und Blut und bringt schon früh Geschlechter und Körperteile in allen Dimensionen durcheinander. „Bad Girls“, „Boundless“, „Titten-Dominanz“, „Gewaltige Obsessionen“, „Isaac und Pascal“, „Vagina Dentata“ sind Titel, die auf das kreative und Angst einflößende Potenzial der Pionierin verweisen.
In Deutschland machte sich die Gruppe S.A.F.E., Sapphos allerotische Film Edition, Anfang der 90er an das Thema Safer Sex und Lesben. Der 1993 entstandene Film ist positiv legitimierend mit „Du darfst“ betitelt und spielt auf die sexuellen Verbote und Normen an und auf das noch stärkere Tabu von HIV-positiven Personen und Sexualität. In dem hier integrierten Porno „Latex Hearts“ wird neben der integrativen Darstellung von Safer Sex auch noch sogenannte „behinderte Sexualität“ positiv dargestellt. 1994 folgt der Film „Airport“ von Silke Dunkhorst & Manuela Kay, die Berliner Lesbenszene abbildend. Mit „Kundalini Berlin“ wird 2005 die Sexszene Berlins vom Netzwerk Freudenfluss in ihrer Vielfalt festgehalten, die sich von Sex-Partys über SM, Tantra, Freiluft-Ficken bis zu verschiedenen Körper-, Alters- und Fähigkeitstypen erstreckt. Die Filmemacherin Ulrike Zimmermann produziert Lehrfilme wie „Blissfull Bondage“ und beleuchtet in „Vulva 3.0.“ die weibliche Sexualität „Zwischen Tabu und Tuning“.
Marit Ostberg ist Teil der aktuellen queerfeministischen Pornszene der Hauptstadt und hat schon in Dirty Diaries einen Berlin-Beitrag für ihr Heimatland Schweden abgeliefert, der sich um Autoritäten dreht und wie Machtverhältnisse ausgehebelt und sexuell umgewandelt werden können. Ostberg dreht sehr mitreißend, ihre Figuren sind Identifikations flächen. In „Share“ zeigt sie eine Dreierszene und beobachtet die Dynamiken zwischen den sexuell Agierenden. „Sisterhood“ (2012) bringt die Hintergründe zu diesem Film und lässt die SchauspielerInnen über Beziehungen, Sexualität und Politik aus feministischer Perspektive diskutieren.
„Fucking different“ von Kristian Petersen vereint seit 2005 schwule, lesbische und trans* Sex Filmende aus verschiedenen Städten und will die Stereotype über die jeweils anderen und über das, was „normal“ ist, aufbrechen. „Stiftet Verwirrung und feiert die Vielfalt!“, heißt die Devise.
Der große Durchbruch für „weiblichen“ Porno auf europäischer und internationaler Ebene gelang der in England lebenden deutschen Medienfrau und Filmemacherin Petra Joy. Ihre Filme beziehen alle Geschlechter mit ein, setzen weibliche Fantasien um: Szenen ohne Penetration, nicht auf den Cumshot ausgerichtet, Safer Sex, Heterosex, masturbierende Männer und Frauen, lesbische, auch schwule Szenen und Dreierszenen, die die übliche Variante des „Ein Mann vögelt alle Frauen“ hinter sich lässt. Vom Mainstream-Großhandel herausgeschnitten wurde dabei ein Akt, in dem sich eine Lady dreier schwuler Jungs auf einem öffentlichen Klo für „dreckigen“ Sex bedient. Auch das Cover von „Feeling it!“ wurde zensiert, weil der abgebildete schwarze Mann Erwartungen auf exotischen Sex und eine Schwanzlänge weckt, die nicht eingehalten würden. Dieses Vorgehen dokumentiert neben dem Sexismus auch den Rassismus, der überall in der traditionellen Porn-Industrie herrscht. Petra Joy setzt sich über diese Zensuren hinweg, die Nachfrage nach den unzensierten Fassungen gibt ihr recht.
Großbritannien – Lesbische Komödien
Mit Rusty Caves Filmen Anfang des neuen Jahrtausends hielten endlich europäische Lesbenpornos mit einer der europäischen Szene stärker entsprechenden Darstellung lesbischer Sexualität Einzug. Davor existierten vorwiegend Pornos aus den USA, genauer die „Fatale-Media“-Filme der 90er aus San Francisco, die sich durch eine starke Butch- Femme-Aufteilung charakterisierten und für Europäerinnen durchaus „penetrationsfixiert“ wirkten. Jetzt kamen, wie schon längst begehrt, andere Modelle aufs Bett, die nicht in dieses Pärchen-Schema passten. Besonders beeindruckend waren die extensiven und lustvollen Leckszenen zu Beginn in „Madam & Eve“, ein fast schon öffentlich vergessenes und schließlich stattfindendes Spektakel. „Rusty Cave“ brilliert in einem ganz speziellen Genre, der Porno-Komödie. Schon ihr Name „rostige Höhle“ ist voller Ironie und so geht sie mit typisch britischem und klar feministischem Humor Klischees und Vorurteile gegen Frauen und Lesben an und nimmt ihnen somit den Wind aus der Hose. Die Charakterisierung von Frauen als vertrocknete Pflaumen, rostige Höhlen, dunkle Löcher wird hier parodiert. Besonders Feministinnen und Lesben wird Sex als solcher abgesprochen (Heilige), oder sie werden ins Gegenteil zu Nymphomaninnen und als Huren abgestempelt. Damit einher geht auch das Vorurteil, Frauen, Feministinnen und Lesben hätten keinen Humor. Die Verbindung von humor, humores-Feuchtigkeit und Sexualität wird hier offensichtlich, von ihr geht eine Gefahr aus, die gebändigt werden muss. Die Geschichte der Kontrolle über weibliche Sexualität ist auch eine Geschichte des Maulverbotes für Frauen. Frauen sollen ihren Mund, diese sexuelle Öffnung, nicht zeigen und erst gar nicht das Maul groß aufmachen.
Rusty Cave setzt sich darüber hinweg. Sie macht sich lustig über diese Verbote und sexuelle Mythen und zeigt Frauen, die ihre Sexualität lustvoll und spielerisch leben. Dazu ersinnt sie witzige Geschichten wie das Krankenhaus Eden, in das sexuell unterversorgte Frauen eingeliefert und in der Ambulanz notversorgt werden. „Madam & Eve“ bricht auch das heterosexuell normative Grundmuster in witziger Weise und räumt mit dem patriarchalen und biologistischen Urmythos auf.
Demgegenüber betont sie eine Matri-Linie, die von Müttern auf ihre Töchter übergeht. Hier ist eine andere Welt, die auch „Eden“ genannt werden kann, in der vom patriarchalen (Sex-)System erkrankte Menschen Zuflucht finden. Und tatsächlich wurde dieser Film in und mit einer lesbischen matriarchalen Sex-Kommune gedreht, die in einem ehemaligen Kloster in England lebt.
Auch in ihren früheren Filmen springt der Funke über. In „Tic Toc“ überwacht ein Hausmeister per Video alle Wohnungen und erfreut sich an den äußerst unterschiedlichen Weisen der dargebotenen Sexualitäten. Zu sehen sind auch sehr unterschiedliche Typen von Körper, Gender und Kulturen, wodurch der sonst gängige Sizeismus und Rassismus in feministische Vielfalt aufgelöst werden.
Rusty Caves Höhle ist eine quietschbunte, sie führt in eine farbenfrohe Welt der Sexualität und das auf hohem professionellem Niveau.
Frankreich – Gesellschaftsanalysen und Aufklärung
In Frankreich profiliert sich seit den 60ern Catherine Breillat als die Grande Dame des internationalen Eklats. Schon früh greift sie sexuelle Themen auf und weist auf sexuelle und gesellschaftliche Abhängigkeitsstrukturen hin. In dem bis 1999 verbotenen Film „La fille“ von 1976 zeigt sie die Herausforderung für ein junges Mädchen, ihre Sexualität und Potenz zu entdecken bzw. zu entfalten. Aufklärung und Sprechen über Sex finden nicht statt, das Mädchen reizt und spielt (un-)bewusst mit den wissenden Erwachsenen.
In „Romance“ engagiert sie unter großem öffentlichem Aufruhr einen Sexarbeiter für die männliche Hauptrolle, „weil er der Einzige ist, der diese Rolle spielen kann“. „Sex is Comedy“ zeigt die Inszenierung von Sexualität im Privaten wie im Öffentlichen, die gesellschaftliche und mediale Zurichtung von Sexualität.
Eine Generation weiter erregt der Film „Baise moi“ von Virginie Despentes und Coralie Trinh Thi aus dem Jahr 2000 Aufsehen, in dem zwei junge Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, sich zusammentun und ihre Sexualität mit Gewalt zurückerobern. Despentes ist eine explizite Vertreterin des Pro-Sex-Feminismus und plädiert für die Befreiung aller durch die Frauen. In ihrer „King-Kong-Theorie“ vertritt sie die interessante These, dass der Mainstream-Porno Frauen produziert, die die Männer gerne wären. Das aber ist in der Realität verboten, weil sexuelles Begehren in seiner vielfältigen Form unterdrückt wird.4
In der lesbischen bzw. queeren Szene Frankreichs wurde lange über das öffentliche Zeigen von weiblicher Sexualität diskutiert. Schließlich schaffte die Fotografin und Aktivistin Emilie Jouvet 2004 den filmischen Durchbruch und ist mittlerweile eine der wichtigsten europäischen, sexpositiven Filmemacherinnen. In all ihren Filmen verbindet sie lustvolle Bildproduktion mit aufklärerischen Ansinnen.
„Pour une nuit“ von 2006 ist der erste von Lesben produzierte Porn Frankreichs – einem Land, in dessen Mainstream-Kultur die Opposition der Norm-Geschlechter vielleicht besonders stark ist. Es ist ein feministischer Porn und eine Dokumentation über lesbischen und Transgender-Sex in einer coolen Szene, inklusive Interviews mit den ProtagonistInnen, in denen diese über ihre Erfahrungen mit der Selbstdarstellung vor der Kamera sprechen. Diese erklärenden Interviews sind ein wesentlicher Bestandteil von Feminist Porn, da sie persönliche Informationen liefern und zum Nachdenken und zu sexuellem Austausch anregen. Emilie Jouvets Kamera ist eine direkte, aber respektvolle und sich fast unsichtbar machende, die den Fokus ganz auf die untereinander Agierenden legt. Dabei betreibt sie wie nebenbei Aufklärung, auch über Safer Sex, wofür ihr 2014 ein öffentlicher Auftrag für einen Safer Sex Clip erteilt wurde, der modern, sexy und sehr erfolgreich ist. In Tradition politisch motivierter Lesbensexfilme werden ganz selbstverständlich Handschuhe, Gummis, Gleitgel eingesetzt und Tampons und Blut wäh rend des Sex gezeigt. Auffallend ist auch die Musik aus der lesbisch-queeren Subkultur, die das Umfeld der DarstellerInnen betont. 2010 entstand die Road-Movie-Dokumentation „Too much pussy“ über die Queer X Show auf Tour durch Europa. Der Film begleitet Sex-AktivistInnen und ihre provokative Show; in dem Streifen verbinden sich das Private, das Sexuelle und das Politische. Eine moderne Umsetzung des frauenpolitischen Mottos: „Das Private ist politisch.“
Eine Amerikanerin in Paris ist die Filmemacherin Maria Beatty, die in ihren Werken ihre eigenen Präferenzen für Fetisch- und lesbischen BDSM äußerst ästhetisch umsetzt. So hat sie in ihren Films Érotique Noir („The elegant spanking & The black glove“/„Seven deadly sins and lusts“/ „Berlin Ecstasy“) wunderschöne schwarz-weiße Stummfilme geschaffen, die romantische und nostalgische Bilder im Zwanziger- Jahre-Stil liefern. In „Silken Sleeves“ widmet sie den Jahreszeiten sexuelle Rituale. Beatty greift Themen wie die erotische Besetzung von Müttern durch ihre Töchter auf, sexuelle Initiierung von jungen Frauen durch erfahrene, sexuell ausgereifte Frauen („Vampirinnen“) oder inszeniert die Liebe einer Frau zu einer Puppe, die dann zur Sexpartnerin erweckt wird („Sex Mannequin“). In „Apocalypse Cowgirls“ haben ebendiese in der Wüste den dritten Weltkrieg überlebt und lieben jetzt frei aller patriarchalen Einschränkungen drauflos. Maria Beatty rückt ihre DarstellerInnen und die selten zu sehenden Praktiken positiv ins Bild und bricht derart Normen und Tabus: Ob es Achselhaare sind, die von der Sexpartnerin leidenschaftlich geleckt werden, Milch aus einer Brust in den geöffneten Mund der Wartenden fließt, Pickel auf den geröteten Arschbacken oder im strahlend vor Erwartung erhitzten Gesicht glühen, die Frauen kommen authentisch sexy daher. Oft dürfen wir am verbalen sexuellen Austausch teilnehmen, der als animierender Bestandteil der Sexszene geschätzt und entsprechend im Ton festgehalten ist. Die Kamera fängt zusätzlich den Blick- und Körperkontakt ein und betont hier die Hingabe an Lust wie an Schmerz. Respekt- und lustvoll sind auch Latina- und schwarze Frauen integriert, deren sexuelle Potenz auch keine positiven Vorurteile bedient. In Teil 2 der „Apocalypse“ sehen wir eine äußerst attraktive dicke schwarze Frau in Aktion (beide Rollen spielend, S&M), ebenso ist eine Transfrau vollkommen und selbstverständlich dabei.
Schweden – Staatlich geförderte sexuelle Vielfalt
„Dirty Diaries“, zusammengestellt von Mia Engberg, kam 2009 mit einem Manifest heraus, das sich für unser aller Schönheit ausspricht, auf unser Recht, geil auf eigene Art zu sein, für mannigfaltige und facettenreiche Sexualität und eigene sexy Filme à la „Mach es selbst“. Dazu wurde öffentlich aufgefordert, feministische pornografische Kurzfilme einzureichen. Die Handyfilme zeigen eine wunderbare Vielfalt von Hetero-, Homo-, Genderplay-Szenen, verschiedene künstlerische Ansätze (Doku, Comic, Fantasie etc.), humorvolle und wilde Szenen, oftmals ohne direkt sichtbare Höhepunkte, Exhibitionismus, die Eroberung öffentlichen Raums für weibliche Sexualität oder Fantasien, in denen Männer lustvoll als Dildo benutzt werden. Insgesamt ein breites Spektrum an Praktiken, Identitäten und Sexualitäten, die lustvoll aufklärenden Charakter haben und zu vielfältiger Nachahmung einladen.
Dänemark – Puzzy Power
Die dänische Produktion erkannte Ende der 90er das Bedürfnis nach frauenfreundlicheren Filmen und brachte drei äußerst erfolgreiche Streifen heraus, die nach folgenden Kriterien ausgerichtet waren: Sie sollten Frauen in den Mittelpunkt stellen, eine Geschichte nachvollziehbar zur sexuellen Aktion führen und humorvoll sein. Der erste Film, „Pink Prison“, spielte mit der Fantasie einer sich durch den Männerknast vögelnden Frau. Als Journalistin recherchiert diese vor Ort und bewegt sich voyeuristisch vorwärts, von einer Zelle zur nächsten, vom Waschraum zum Untersuchungsarzt und zum Koch und erlebt dabei die unterschiedlichsten Praktiken von zärtlich weich bis hart, von eher aktiv bis hingebend. Das Ganze ist auch durch irreal lustig wirkende Dialoge klar als Fantasie erkennbar und mündet in eine überraschende Schlussszene. Besonders gelungen ist der Voyeurismus der Frau, die sich ganz unverschämt an ideal inszenierten Männerkörpern erfreut und zur Nachahmung anregt. Die Darstellenden waren auch in den beiden folgenden Filmen „Constanze“ (eine ältere Frau führt eine jüngere in die Künste der Liebe ein) und „All about Anna“ (die polyamouröse Anna findet zu ihrem ersten Freund zurück) mit idealen Körpermaßen ausgestattet und äußerst normgerecht attraktiv.
Italien/Spanien – Tabubruch
Die international anerkannte Filmemacherin Liliana Cavani behandelt wie viele ihrer Kolleginnen dieser Zeit das Thema Sexualität und stellt die Machtfrage. Mit „Der Nachtportier“ (1975), der von einer sexuellen Beziehung zwischen einer ehemaligen jüdischen KZ-Inhaftierten zu ihrem SS-Oberst handelt, die sich nach Kriegsende wiedertreffen, zeigte sie den strukturellen und gesellschaftlichen Einfluss auf Sexualität und leistet einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung von Kriegserlebnissen. Mit diesem Skandale auslösenden Film werden gleich mehrere Tabus gebrochen, u. a. dass eine Frau Sex mit ihrem „Peiniger“ genießen kann. Vor allem aber wird eines der wichtigsten sexpositiven Kriterien demonstriert, dass Sexualität keiner Einmischung, Wertung oder Kommentierung bedarf.
Girlswholikeporn sind seit 2002 eine spanische künstlerisch feministische Gruppe, die in Workshops zu eigenen Pornofilmen motivieren, hinter die verinnerlichten Normen blicken und eigene Bilder zu erschaffen suchen. Maria Llopez und in ihrem Umfeld viele andere Filmemacherinnen wie Lola Clavo entwickeln weitere künstlerisch interessante Perspektiven auf Sexualität. Pornoterrorismo nennt sich eine andere revolutionäre Gruppe Spaniens, die die Befreiung des Körpers mit Performances, direkten Bildern und aufregenden Aktionen angeht. Auf der anderen Seite steht Erika Lust, die als Schwedin in Spanien extrem ästhetische „Hot Stories“ mit normiert schönen Körpern und meist traditioneller Gender-Aufteilung erfolgreich vermarktet.
Niederlande – Emotionaler Realismus
Jennifer Lyon Bell zeichnet sich durch die Darstellung intimer und expliziter heterosexueller Sexualität aus, die sie in „Echtzeit“-Langsamkeit dreht und „emotionalen Realismus“ nennt (die sie in Arthouse-Ästhetik taucht). In „Headshot“ (2006) sehen wir nur das Gesicht eines Mannes beim Sex, in „Matinée“ schauen wir einem Schauspielpärchen und der Herausforderung zu, Sexualität auf die Bühne zu bringen. Durch den Theaterrahmen wird eine Verfremdung erreicht, beim Betrachten des Publikums und der Bühne wird das eigene Betrachten bewusst. In „Skinlikesun“ begleitet Bell ein junges Pärchen in Echtzeit in einem leer stehenden Haus bei zahlreichen Liebesspielen und bebildert „Slow Sex“. „Silver Shoes“ von 2014 spielt mit queerer Sexualität, verweigert sich eindeutiger Zuordnung von männlich und weiblich und zeigt Wellen in der Sexualität.
Feministisches Fazit:
Europa wartet ab den 60ern mit Experimentellem, Aufklärung und Machtanalyse der Sexualität in Spielfilmen auf. In den 80ern kommt Eindrucksvolles aus der SM-Bewegung mit dazu, ab den 90ern explizite und oft politisch motivierte Lesbenpornos. Um 2000 schaffen es sexpositive Filme in den Mainstream. Die feministische Szene erweitert sich um queere oder Trans*filme, gendersensible schwule oder cis*-Personen werden in queere Filme integriert und vereinzelt auch schwule Filme feministisch produziert.
Auf Basis der feministischen Grundlagenarbeit erfolgt eine zunehmende Ausdifferenzierung, die weiter neu entstehenden Subkulturen erlaubt, ihre eigenen Filme zur (sexuellen) Identitätsfindung zu drehen. Auf der anderen Seite werden zunehmend jegliche begehrenden Personen im Feminist Porn integriert und somit die Abschaffung der Kategorien ermöglicht. Das wiederum ist und war immer erklärtes Ziel des Feminismus. Europa ist also auf dem besten Weg zu fließenden sexuellen Grenzen. Europa einig Freudenhaus. Viva la Vulva!
Anmerkungen
1 Zur Geschichte der sexpositiven Bewegung s. Vorwort in Band 1
2 Einen guten Überblick über weibliche Gegenbildästhetik, Erotik und Pornografie bis zu den 90ern findet sich in Rote Küsse, Film Schau Buch. Sabine Perthold (Hg.). Konkursbuch 1990
3 Vgl. Monika Treut, Die grausame Frau. Zum Frauenbild bei de Sade und Sacher-Masoch. Frankfurt am Main 1990
4 Vgl. Virginie Despentes, Kong-Kong-Theorie. Berlin 2007
Filmografie und Adressen:
Love Bites Vol.1–3. Sammlung erotischer Kurzfilme von Frauen aus den 80er-/90er-Jahren. Konkursbuch
Monika Treut: www.hyenafilms.com
Krista Beinstein: kristabeinstein.de aus den 90ern „Boundless“ und Bad Girls“ sind bei petrajoy.com
www.fucking-different.de
Airport: sexclusivitaeten.de
Rusty Cave
Catherine Breillat: Ihre Filme sind in gut sortierten Videotheken erhältlich.
www.emiliejouvet.com
Maria Beatty: www.bleuproductions.com
www.dirtydiaries.org
www.puzzypower.dk/UK/
http://www.mariallopis.com
Jennifer Lyon Bell: blueartichokefilms.com
www.poryes.de
CONSTANCE PENLEY
Constance Penley ist Professorin für Film und Medien und Co-Direktorin des Carsey-Wolf Center an der Universität von Kalifornien, Santa Barbara. Ihre hauptsächlichen Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Film- und Mediengeschichte und -theorie, feministische Theorie, kulturelle Studien, zeitgenössische Kunst sowie Wissenschafts- und Technikforschung. Sie ist Gründerin und Herausgeberin von Camera Obscura: Feminism, Culture, and Media Studies und Herausgeberin bzw. Mitherausgeberin der einflussreichen Sammlungen Feminism and Film Theory, Male Trouble, Technoculture und The Visible Woman: Imaging Technologies, Science and Gender. Sie ist Autorin von The Future of an Illusion: Film, Feminism, and Psychoanalysis, NASA/TREK: Popular Science and Sex in America und von Teaching Pornography. Zu ihren künstlerischen Gemeinschaftsprojekten zählen „MELROSE SPACE: Primetime Art by the GALA Committee“ und „Biospheria: An environmental opera“, bei der sie Kolibrettistin war. Penley gewann 2009 den MacArthur Foundation Digital Media and Learning Award.
„Eine Feministin, die Pornografie lehrt? Das ist wie Scopes beim Evolutionsunterricht!“ Was hat Pastor Pat Robertson wohl gemeint, als er diese Worte wählte, um den Kurs über pornografischen Film anzuprangern, den ich seit 1993 an der Universität von Kalifornien, Santa Barbara, hielt? Dieses bemerkenswerte Statement machte er in einer Spezialausgabe des The 700 Club von 1994 zur „Gottlosigkeit an den öffentlichen Schulen“, unmittelbar nachdem er meinen Kurs als „ein neues Tief des menschlichen Exzesses“ bezeichnet hatte (was ich stolz als Klappentext für mein neues Buch Teaching Pornography zu benutzen gedenke). Er verglich eine Feministin, die in den frühen 1990ern Pornografie unterrichtete, mit dem Wissenschaftsdozenten John Scopes, der Mitte der 1920er Evolution lehrte – ungeachtet eines Gesetzes von Tennessee, das verbot, „jede Theorie, welche die göttliche Schöpfungsgeschichte des Menschen, wie sie in der Bibel dargestellt ist, verneint und stattdessen lehrt, dass der Mensch von einer minderwertigen Reihe von Tieren abstammt“, zu verbreiten.
Ähnlich erpicht auf die Idee einer Pornografie lehrenden Feministin war das Oberhaupt der Santa Barbara County Citizens Against Pornography (SBC-CAP), die über die örtlichen Kirchen operieren. Er rief zuerst das Rektoratsbüro der Universität Santa Barbara an und wurde dann nacheinander zum Vizerektor, dem Verwaltungsdirektor, dem Dekan und schließlich zu meiner Lehrstuhlabteilung heruntergereicht, wo er verlangte, dass ich gefeuert und mein Kurs sofort gestrichen werden solle. Er war überrascht, als das nicht geschah, und sogar noch mehr, als er erfuhr, dass ich eine doppelte Stelle sowohl für Frauenforschung als auch für das Filmstudium innehatte. Wie kann eine Feministin Pornografie unterrichten?
Die Journalisten kapierten es auch nicht. „Was sagen Feministinnen zu Ihrem Kurs?“, war unweigerlich die erste Frage bei jedem Interview. Ich erklärte ihnen gewissenhaft, dass ich eine Professorin für Film, jedoch auch eine Professorin für Frauenforschung und auch eine gründende Herausgeberin der Camera Obscura sei, dem am längsten existierenden feministischen Medienjournal in Englisch. Die Reporter pflegten dann zu sagen: „Okay, gut, was haben andere Feministinnen zu Ihrem Kurs gesagt?“ Selbst nach meiner Mitteilung, ich hätte nichts als Interesse und Unterstützung von den Feministinnen auf meinem Campus und im ganzen Land erhalten, pflegten sie wegzugehen und zu schreiben, Feministinnen hätten massiv gegen meinen Kurs protestiert.
Ich bedauere es, dass ich nicht die Chance hatte, das US Department of Justice (DOJ) mit diesem vermeintlichen Paradox einer Pornografie lehrenden Feministin in gleicher Weise zu verwirren, als ich 2010 im föderativen Obszönitäts-Prozess Vereinigte Staaten gegen John Stagliano in Washington, D.C., als Sachverständige berufen wurde. Das DOJ musste die Zwangsaushändigung der Lehrpläne für meinen pornografischen Filmkurs gerichtlich verfügen, nachdem ich sie auf Anfrage nicht aushändigen wollte. Nicht nur missfiel mir die Vorstellung, meine Unterrichtsmaterialien von Staatsseite überprüfen zu lassen, ich wollte die Staatsanwaltschaft auch nicht wissen lassen, wie ich den Unterricht der Pornografie als Genre und Industrie, als Film und Populärkultur anging. Wenn sie meinen Lehrplan genau lesen würden (oder irgendeine meiner Forschungsarbeiten über Frauen, Pornografie, Kunst und Populärkultur), könnten sie vor dem Prozess herausfinden, wie ich aussagen würde. Sie würden verstehen, wie diese feministische Pornografie-Lehrerin die Filme im Prozess – Belladonnas Fetish Fanatic 5, Joey Silveras Storm Squirters 2: Target Practice und Jay Sins Milk Nymphos – wegen vorhandener (oder nicht mangelnder), seriöser künstlerischer und politischer (feministischer) Werte leicht und mit viel Autorität verteidigen könnte, ganz zu schweigen von dem wissenschaftlichen Wert, nachdem sie in einem Grundkurs für Forschung an der Universität gezeigt und studiert worden waren. (Teams meiner StudentInnen transkribierten hilfsbereit die angeklagten Videos, meine Klasse kurzzeitig in „The Innocence Project for Porn“ verwandelnd.)
Letztendlich waren die angeklagten Videos (und ein Website-Trailer) der Starregisseurinnen von Staglianos Unternehmen Evil Angel im Grunde Frauen-Spielpartys, ein populäres Subgenre, das man auf HBOs Real Sex sehen kann. Wie konnten handwerklich gut gemachte Filme, die Frauen beim Austausch von Körperflüssigkeiten zeigten, mit etwas leichtem Bondage, zur obszönsten Sache im Land werden, mit mehreren Zehnmillionen Strafwert?
Es wäre faszinierend gewesen, die Chance zu erhalten, dem Obersten Gerichtshof Beweise für den künstlerischen und politischen Wert solcher Materialien zu liefern, der nur über die Art von kombinierten geschichtlichen, ästhetisch-inhaltlichen, ethnografischen und industriellen Ansätzen, die in meinem Unterricht zu finden sind, aufgezeigt werden kann. Der Richter machte entscheidende, anfechtbare Fehler, die eine Anhörung beim Obersten Gerichtshof sichergestellt hätten, wie die Nichtzulassung von Sachverständigen und die Suspendierung der Obszönitäts-Gesetzesentscheidung, damit die Jury über das belastete Material als Ganzes entscheiden könne. Dies wurde jedoch alles irrelevant, als der Fall vollständig ohne Berufungsmöglichkeit zusammenbrach und kurzerhand wegen strafrechtlicher Nichteignung abgewiesen wurde. Zumindest die Nichteignung und die sich daraus ergebende Blamage für das DOJ bedeutete das Ende der Obscenity Prosecution Task Force von Bush!
Dass eine Feministin Pornografie nicht nur lehrte, um sie zu denunzieren, sondern auch als ernsthaftes Studium der Geisteswissenschaften anbot, erschien all diesen Parteien aus zumindest zwei Gründen verwirrend. Seit den 1970ern und während der 1980er und 1990er, und jetzt mit dem Wiedererwachen des Anti-Porno-Feminismus in den 2000ern, ist die allgemeine Auffassung über Feminismus, dass er ein und dasselbe wie die Anti-Porno-Bewegung sei, selbst wenn diese Bewegung damals und leider heute erneut mit den Kräften des religiösen rechten und konservativen Denkens über Frauen und Sexualität verschmilzt. Die gängige Vorstellung, alle Feministinnen seien per Definition Anti-Porno, wird von Medien genährt, die es lieben, die reißerische Geschichte des Feminismus wie im neunzehnten Jahrhundert erneut zu verkünden, degenerierend in eine Bewegung der moralischen Hygiene oder des öffentlichen Anstands. Dieser journalistische Kurs ist zugegebenermaßen pikanter, als zu versuchen, die Komplexität feministischer Gedanken zur sexuellen Darstellung und ihre beeindruckend breite und vielfältige Palette an Sichtweisen zu erklären.
Ebenfalls glauben Porno-GegnerInnen nicht, dass eine Feministin Pornografie lehren könnte, weil sie denken, sie könne nicht studiert werden – entweder weil es da nichts zu studieren gibt (sie ist eine derart niedrige Kulturform, dass sie nicht einmal zur Kultur zählt) oder weil sie zum Studieren zu gefährlich sei. Die örtlichen Anti-Porno-AktivistInnen bezichtigten mich beispielsweise, Kinder in meinem Unterricht der Pornografie auszusetzen, ganz zum Ärger und Entsetzen meiner StudentInnen, die in Briefen an den Herausgeber der Lokalzeitung lauthals gegen ihre Charakterisierung als Kinder protestierten.
Aus religiöser Sicht ist es nicht nur irreführend, dass eine Feministin Pornografie unterrichtet, sondern auch ein Verrat gegen die Allianz des Anti-Porno-Feminismus mit der religiösen Rechten, die in den frühen 1980ern begann.
Während eines fünfundvierzigminütigen Telefongesprächs mit dem Oberhaupt der SBC-CAP (nebenbei bemerkt war das namentliche Oberhaupt eine Frau, das gesamte Gespräch wurde jedoch von einem Mann geführt) erkannte er allmählich, dass diese Feministin keinerlei Absicht hegte, einer neuen Bewegung der sexuellen Mäßigung vorzustehen. Vielmehr plante sie, Pornografie als Genre und Industrie, Film und Populärkultur innerhalb eines streng kritischen Medienstudienplans zu unterrichten. Ich denke, er verstand – und befürchtete zu Recht –, dass ein Studium der Pornografie, Pornografie studierbar zu machen, diese in das Spektrum aller anderen Formen des Films und der Populärkultur einreihen würde. Dieses Studium würde somit normalisierend wirken, Pornografie vielleicht sogar harmloser als einige dieser anderen Kulturbeispiele erscheinen lassen.
Ich war überrascht zu sehen, wie die Verzweiflung des SBC-CAP-Oberhaupts ihn dazu verleitete, seine Karten aufzudecken: Er gestand, dass die Kirchen die Leute nicht mehr dazu bringen könnten, Pornografie aus religiösen oder moralischen Gründen abzulehnen, sodass sie die wissenschaftlichen Studien der Universitäten zur Schädlichkeit der Pornografie bräuchten, um irgendeinen Fortschritt mit ihrem Verbot zu erzielen. Deswegen war er so bestürzt, als er erkannte, dass meine Art von geisteswissenschaftlicher Forschung und Unterricht seiner Gruppe nicht die universitätsgeprüften Werkzeuge liefern würde, die sie für eine „wissenschaftlich“ gestützte Argumentation über die Schädlichkeit der Pornografie und ihre verderblichen gesellschaftlichen Auswirkungen benötigte.
Nach einem enttäuschenden Besuch beim Frauenstudienprogramm in der vergeblichen Hoffnung, natürliche Verbündete gegen mich zu finden, versuchte er, andere solche Verbündete unter den namhaften „Porno-Effekt“-Forschern in der Kommunikationsabteilung des Sozialwissenschaftszweigs, von mir aus nur den Flur runter, aufzutun. Edward Donnerstein und Dan Linz teilten ihm mit, sie freuten sich über meinen Lehrstuhl, weil sie meinten, er biete einen historischen, inhaltlichen und institutionellen Zusammenhang zu ihren quantitativen Laborstudien. (Die Porno-Effekt-Professoren und ich hatten übrigens einige interessante Diskussionen über unsere jeweiligen erzieherischen Methoden, als ich herausfand, dass sie gewalttätige Exploitation-Filme wie Tool Box Murders in ihren Laborstudien als stellvertretend für pornografische Filme einsetzten, um die Auswirkungen der Pornografie auf männliche Aggressionsstufen zu messen. Ich war auch verwundert zu sehen, dass sie zum Testen ihre eigenen Filme machten, indem sie einen vorhandenen Pornofilm nahmen und ihn neu schnitten, um irgendeine Geschichte, einen Dialog oder Darsteller zu entfernen. Sie testeten also mit einem Film, den es nirgendwo in der wirklichen Welt gab.) Zur endgültigen Enttäuschung des SBC-CAP-Chefs schickten sie ihm diese letzte Spitze hinterher, als er nach seinem gescheiterten Versuch, die Sozialwissenschaftler gegen mich zu mobilisieren, auf den Flur zusteuerte: „Übrigens, Sie haben unsere Daten all diese Jahre missbraucht. Sie bedeuten nicht das, was Sie gerne hätten, dass sie bedeuten“, wie sie mir berichteten. Die Anti-Porno-AktivistInnen hatten ihre Laborstudien zitiert, um zu behaupten, das Betrachten von explizitem Sex mache Männer aggressiver und veranlasse sie, Frauen zu vergewaltigen und herabzuwürdigen. Donnerstein und Linz bestanden jedoch darauf, dass ihre Studien keinen Zusammenhang zwischen dem Betrachten von explizitem Sex und gesteigerter Aggression aufzeigten, wenngleich sie einen gewissen Zusammenhang beim Betrachten einer Auswahl von Proben mit einem eher hollywoodmäßigen Mix von Sex und Gewalt feststellten. Und was bot dieser religiöse Anti-Porno-Aktivist als Berechtigungsnachweis dafür, dass er seine Stimme gegen die Schädlichkeit des Pornografie-Gebrauchs und des Pornografie-Unterrichts erhob? Er verkündete mir stolz, er habe noch niemals einen nicht jugendfreien Film gesehen.
Weder der gute Pastor, der religiöse Anti-Porno-Aktivist, der Journalist oder wahrscheinlich die föderativen Staatsanwälte konnten verstehen, warum eine Frau speziell bei diesem Thema mit der Wissenschaft, sprich dem weltlichen Humanismus, verbündet sein sollte. „Der Evolutionsbaum“, eine Illustration auf dem Umschlag von Christopher J. Toumeys faszinierender anthropologischer Studie God’s Own Scientists: Creationists in a Secular World, zeigt, wie der Glaube in die biologische Evolution – mit seinen Wurzeln im „Unglauben“ – sich in die Sünden Kommunismus, Hard Rock, Humanismus, Alkohol, Abtreibung, Homosexualität, Sexualerziehung, schmutzige Bücher und „Frauen- und Kin deremanzipation“ verzweigt – neben weiteren moralischen Gräueltaten.1 Die Lösung lautet nicht, jede Sünde einzeln zu verfolgen, sondern den biologischen Evolutionsstamm mit der Axt des wissenschaftlichen Kreationismus zu fällen. Wie Toumey zeigt, glauben die Kreationisten (oder Intelligent Designer, wie sie sich derzeitig namentlich umgestylt haben), der einzige Weg, der Etablierung von „schlechter” Wissenschaft (basierend auf dem Unglauben) entgegenzutreten, sei ihre „gute“ Wissenschaft (basierend auf der wörtlichen Auslegung der Schrift und einer geistreichen Interpretation der fossilen Vorgeschichte). Ich möchte den Vergleich zwischen der Lehrmeinung der Anti- Porno-AktivistInnen und dem Kreationismus nicht überstrapazieren, ich denke jedoch, dass sie sich in ihrem Widerstand gegen die theorie- und beweisbasierte Wissenschaft im Namen einer übergeordneten Wissenschaft, begründet auf Anekdoten, Bezeugungen von Andersdenkenden (von genesenden Pornostar-„Opfern“) und biblischen Ansichten über die gebührliche Rolle von Sex und sexuellen Beziehungen, ähnlich sind. Wie Feona Attwood und Clarissa Smith im ersten Band aufzeigen: „Tatsächlich, auch wenn einige der jüngsten Schriften wie die von Karen Boyle redigierte Sammlung Everyday Pornography als wissenschaftliche Arbeit vorgestellt werden und obgleich sie behaupten, sich auf Theorie und Beweise zu stützen, steht der Anti-Porno-Feminismus wissenschaftlicher Arbeit allgemein immer mehr und immer offener ablehnend gegenüber als in der Vergangenheit … Porno wird als ‚intellektuelles Spiel’ für AkademikerInnen beschrieben, die in Zusammenhängen arbeiten, die ‚darauf ausgelegt sind, fast roboterhaft bestimmte Arten von Einwänden abzurufen’.“ Boyle stellt es so dar: „Wenn man Beispiele dazu anführt, was Frauen bei [Anti-Porno-]Diashows sagen oder fühlen oder denken, werden Akademiker entgegnen, ‚Das kann nicht wahr sein, weil es nicht wissenschaftlich untersucht wurde‘ oder ‚Zeigen Sie mir den Beweis dafür‘.“ Hier wird jedes akademische Festhalten an forschungsbasierten Nachweisen als nicht mehr denn ein Ausdruck falschen Bewusstseins angesehen, ein akademischer Verrat am Feminismus.
Wie also gehen Anti-Porno-AktivistInnen, deren Forschung von Ideologie und Theologie geleitet wird, mit der Herausforderung einer Wissenschaft um, die auf historischen, inhaltlichen, institutionellen oder ethnografischen Studien beruht? Falls sie diesen Methoden überhaupt Achtung schenken, schmälern sie diese, indem sie behaupten, eine rein inhaltliche Analyse berücksichtige nicht die institutionellen Aspekte, sie sei nicht fundiert, weil sie ihre Ausrichtung nicht von Opfern und AktivistInnen beziehe, oder es handle sich um eine sichere Wissenschaft, gemacht, um keine Wellen in den Bildungsanstalten zu schlagen. Andererseits – wie gehen KreationistInnen mit der Herausforderung der fossilen Vorgeschichte um? Sie sagen, diesem geologischen Beweismaterial könne nicht getraut werden, da es Lücken habe, vertikal nicht in der angenommenen evolutionären Ordnung aufeinanderfolge oder – die endgültige Aberkennung – der Schöpfer habe diese scheinbar sehr alten Gegenstände hingelegt, um unseren Glauben an eine junge Erde zu testen, deren Geschichte nur mit der Flut erklärt werden könne, die in den ersten Tagen der Schöpfung stattfand. Und am vernichtendsten, die Forschung zum Klimawandel betreffend, behaupten sie, Wissenschaftler studierten nur das, was ihnen die Einrichtungen an Forschung finanzieren würden, und nichts, was das von der Elite anerkannte Wissen bedrohen könnte. Es würde einiges mehr an anthropologischer und rhetorischer Forschung erfordern, um zu verstehen, warum die aktiven Anti-Porno-WissenschaftlerInnen und die Kreations-WissenschaftlerInnen ein solch starkes Bedürfnis haben, ihre Argumente im Namen der Wissenschaft vorzubringen, selbst wenn es eine Wissenschaft nach ihren eigenen Maßstäben ist. Hatte das Oberhaupt der SBC-CAP es adäquat beschrieben, warum die religiösen Anti-Porno-AktivistInnen so erbittert daran festhielten, den Stempel der Wissenschaft zu tragen – weil die Menschen letztendlich mehr an die Wissenschaft als an die Religion glaubten?