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Brigitte Sommer, Stefanie Sommer

Was kommt, wird gefüttert....

Tiergeschichten





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Kapitel 1 Die Menschen

 

Geschichten von Tieren sind auch Geschichten von Menschen.

Da waren zunächst meine Eltern, die mir neben Allem, was Eltern einem so beibringen, auch meine Tierliebe mit auf meinen Lebensweg gegeben haben.

Sie waren beide der Überzeugung: Wer keine Tiere mag, der mag auch keine Menschen.

Meine Mutter hat eigentlich alles Viehzeug gern, ob es Fell oder Federn hat, vier oder zwei Beine, egal. Sie hat meine Vögel versorgt und meine Katzen gehütet, wenn wir in Urlaub fuhren.

Mein Vater war ein großer Katzenfan, bei ihm wurde auch der frechste Stubentiger sanft wie ein Lämmchen.

Seine ganz große Liebe aber galt Pferden. Kein Wunder, mein Opa war Gestütswart. So ist mein Vater praktisch mit Pferden groß geworden.

Aber auch mit den Wellensittichen hatte er immer viel Spaß.

Meine Großeltern hatten, als ich noch klein war, einen blauen Wellensittich mit Namen Jackie. Der Arme wurde zwar immer gut versorgt, fristete aber ein Käfigdasein. Das Schönste war, dass meine Omi den Namen immer deutsch aussprach. Damals lernte man halt noch keine Fremdsprachen.

Später hatten meine Großeltern einige Kanarienvögel. Die haben herrlich gesungen und meine Omi liebte sie und hatte viel Freude an ihnen, aber es waren keine Tiere, zu denen man unbedingt eine Beziehung aufbaut.

Meinen ersten Wellensittich habe ich von meiner Omi zum Geburtstag bekommen.

Meine Mutter hatte noch zwei Schwestern und zwei Brüder.

Mit Tieren hatten meine Onkel und Tanten nicht viel im Sinn. Bis auf Onkel Winfried.

Er war der jüngere Bruder meiner Mutter und schleppte alles Mögliche an. Ihm hatten wir sogar einen Igel im Wohnzimmer zu verdanken. Von ihm bekam ich meinen ersten Hamster.

Später heiratete er Tante Karin, die beiden bekamen zwei Söhne - und eine Katze mit Namen Garfield. Die ganze Familie hatte ständig zerkratzte Beine. Die Mieze war immerzu auf Kleinkrieg aus. Eine falsche Bewegung und man hatte sie an der Wäsche.

Als ich später meinen ersten Mann Andreas heiratete, hatten wir zuerst Wellensittiche, später eine Katze.

Während unserer Ehe bekamen wir drei Kinder. Zuerst kam Stefanie, fünf Jahre später die Zwillinge Jan-Christof und Janina.

Stefanie teilt meine Tierliebe, sie hatte einen riesengroßen Vogelkäfig, in dem sich ständig zwei bis drei Wellensittiche tummelten. Inzwischen hält sie selbst keine Tiere mehr, aber seit sie vor ein paar Jahren hier zu mir ins Haus gezogen ist, teilt sie meine Liebe zu Sandy, unserer Kleinen Münsterländerin.

Unsere Katzen hat sie immer sehr geliebt, und auch die anderen Hunde sind ihr, auch wenn sie mit ihnen nie zusammengelebt hat, ans Herz gewachsen.

Stefanies Tochter Lena hat von Anfang an einen Narren an Sandy gefressen – und umgekehrt.

Janina akzeptiert zwar Tiere, hält aber selbst keine.

Jan hat ein eher gespaltenes Verhältnis zu Tieren. Alles was riecht, flust oder haart und Krach macht ist nichts für ihn. Auf der anderen Seite habe ich ihn schon stundenlang zusammen mit seinem Sohn Robin auf dem Bauch vor dem Käfig liegen sehen, um den Hamster Paul zu beobachten.

Mein zweiter Ehemann Alfons war ein Tiernarr.

Als er zu uns kam, hatte unsere Katze Micky ihn nach zwei Tagen voll im Griff.

Wir hatten zusammen insgesamt fünf Katzen und drei Hunde. Dazu kamen noch die streunenden Katzen, die in der Nähe wohnten und die Hunde der Nachbarn. Alles, was kam, wurde gefüttert. Er verwöhnte die Tiere nach Strich und Faden, für meinen Geschmack tat er diesbezüglich manchmal etwas zuviel des Guten.

Als unser Retriever-Mischling Trixie starb, haben wir beide sehr gelitten, aber um Trixies Gefährtin Lisa nicht allein zu lassen, kaufte Alfons sofort die kleine Münsterländer-Hündin Sandy.

Er erfüllte sich damit einen großen Wunsch, er besaß früher schon einmal einen Hund dieser Rasse, das war seine Asta, die er sehr geliebt hat.

Sandy war erst ein halbes Jahr alt, als er seinem Leben ein Ende setzte. Es ist sehr traurig, dass er sie nicht hat groß werden sehen, aber er hat es selbst so entschieden.

Ich denke ab und zu darüber nach, was unsere Sternenkinder Simon und Leon wohl mit den ganzen Tieren anfangen würden. Würden sie mit ihnen dicke Freundschaft schließen wie Lena oder wären sie eher zurückhaltend und ängstlich wie Robin? Sicher ist, dass sie alle meine Tiere, die lange im Tierhimmel sind, inzwischen kennen gelernt haben.

Vielleicht schnattern sie mit den Hansis um die Wette, liegen auf dem Bauch bei Mäxchen und seinen Freunden, zeigen Micky wo der Kühlschrank aufgeht und schlafen mit Tommy auf der Himmelszeitung.

Vielleicht haben sie Binchen schon mit vereinten Kräften von irgendeinem Baum geholt, mit Cindy das Bellen geübt und sind zu Basti auf den Schrank geklettert. Sicher sind sie mit dem Opa, Trixie und Lisa durch himmlische Wälder gestreift und haben ihnen die schönsten Stöckchen geworfen.

Auf Sandy müssen sie noch ein bisschen warten, aber auch Sandy hat inzwischen ihr Alter erreicht, so dass ich bald auch von ihr werde Abschied nehmen müssen.

Zusammenfassend kann ich nur feststellen, dass bei mir immer die unmöglichsten und verrücktesten Tiere landen, die es gibt.

Ein Wellensittich, der Zucker nascht, eine Katze, die Paprikaschoten frisst, ein Hund, der an der Tür klingelt. Also ich weiß nicht, ob das alles so normal ist.

Aber so ein Tier ist ja schließlich auch nur ein Mensch, oder?

Nachdem ich die ersten Geschichten aufgeschrieben hatte, kam mir die Idee, sie Lena als Gutenachtgeschichten vorzulesen. Steffi gesellte sich mit schöner Regelmäßigkeit  zu uns und lauschte mit.

Bald fielen ihr selbst Geschichten von den Tieren ein, die sie, als sie noch zu Hause wohnte, erlebt hatte. Sie begann, alle aufzuschreiben und so entstand eine bunte Mischung aus Geschichten über unsere Tiere, geschrieben von Mutter und Tochter. Und Enkelchen Lena ist ein begeisterter Zuhörer, sie liebt jede einzelne Geschichte und kann nicht genug davon hören. Denn das eigentlich Verrückte an den total verrückten Geschichten ist:  

Es ist keine einzige erfunden, alle sind wirklich passiert.

 

Kapitel 2 Geschichten von vielen Hamstern und einer weißen Maus

Mäxchen

 

Mäxchen war mein erstes, eigenes Haustier.

 

Ich muss noch ziemlich klein gewesen sein, 5 oder 6 Jahre, als ich ihn von meinem Onkel Winfried zum Geburtstag geschenkt bekam.

Onkel Winfried war der jüngere Bruder meiner Mutter und hatte immer irgendwelche verrückten Ideen.

Mäxchen war aber nicht allein, es war noch eine weiße Maus dabei.

Wir wohnten damals in einem Mietshaus im dritten Stock. Ich konnte, wenn ich im Hausflur nach unten schielte, durch das Treppengeländer erkennen, was da in dem kleinen Käfig war, den Onkel Winfried nach oben trug. Ich schrie, so laut ich konnte, durch den Hausflur:

„Mami, Mami, der Onkel Winfried bringt mir Mäuse!“

Das Entsetzen meiner Mutter war nicht zu beschreiben. Nicht, dass sie etwas gegen Hamster hatte, es war mein Geschrei, das im ganzen Haus bekannt gab, dass ich Mäuse hatte. In den Mietshäusern der 50er Jahre hallte es dermaßen, dass wirklich jeder mitbekam, was sich im Treppenhaus abspielte.

Himmel, was sollten die Nachbarn jetzt wohl denken.

Mäxchen war ein niedlicher, kleiner Kerl, die weiße Maus allerdings war ein freches Luder, dauernd hatte der Hamster Biss-Spuren. Die beiden zankten sich ständig, so dass Onkel Winfried die weiße Maus nach ein paar Tagen wieder abholte und in die Tierhandlung zurückbrachte.

Von dem Zeitpunkt an führte Mäxchen ein normales, ruhiges Hamsterleben.

Da Hamster ja nun mal Nachttiere sind, gibt es nicht viel Spektakuläres zu berichten. Ich kann mich auch nur noch an einen Weihnachtstag erinnern, als mein Vater Mäxchen gefüttert hat, und zwar mit dem Apfel und der Zwiebel, mit denen die Weihnachtsgans gefüllt worden war.

Der Apfel hat ihm ja prima geschmeckt, bei der Zwiebel, allerdings, kniff Mäxchen seine Äuglein zu und verzog regelrecht sein Gesichtchen, aber gefressen wurde sie trotzdem. Was irgendwie entfernt an Nahrung grenzte, musste in die Backentaschen, koste es, was es wolle.

Auch Kekse hatte Mäxchen gern, die stopfte er vollständig in seine Backentaschen. Seine Bäckchen sahen dann aus wie Wagenräder. Ich habe mich manchmal gefragt, wie er die da wieder herausbekommen hat, durfte dabei aber nie zusehen, weil er die nur in seiner „Speisekammer“ ausgeleert hat.

Mäxchen wurde zwei Jahre alt.

 

 

 

Max und Moritz

 

Das aufregende Leben von zwei Hamstermädchen

 

Als ich ein paar Jahre älter war, traten noch einmal Hamster in mein Leben. Zu der Zeit war schon der grüne Hans, mein erster Wellensittich, bei uns.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, woher eigentlich die beiden Hamster kamen. Ob sie von einem Klassenkameraden von mir oder einem Arbeitskollegen meiner Mutter waren, aber das spielt auch keine Rolle. Sie waren jedenfalls da. Und weil meine Hamster immer Mäxchen hießen, war der andere eben der Moritz.

Die beiden hamsterten so vor sich hin. Mein Hansi war zur Begrüßung zum Hamsterkäfig geflogen, hatte sich draufgesetzt und beäugte neugierig die Neuankömmlinge. Aber getreu dem Namen, den ich ihnen gegeben hatte, machten die beiden nur Blödsinn. Sie kletterten im Käfig hoch und bissen Hansi mit vereinten Kräften in die Füße.  Von dem Zeitpunkt an wurden sie von dem Vogel nur noch mit Verachtung gestraft.

Hamster agieren nur nachts, von daher waren sie für unseren Tagvogel auch reichlich uninteressant.

Spannend wurde die Geschichte, als wir in Urlaub fahren wollten. Der Vogel kam zur Omi, die Hamster wollte ein Arbeitskollege meiner Mutter hüten, der auch selber welche hatte. Meine Oma mochte nämlich keine „Mäuse“.

Leider war meine Mutter im Urlaub krank geworden und musste sofort nach unserer Ankunft zu Hause ins Krankenhaus.

Am nächsten Tag holten wir Hansi bei der Oma ab. Der Arbeitskollege brachte die Hamster zurück. Da kam die Überraschung. Ein Käfig mit zwei erwachsenen und 20 kleinen Hamstern stand da vor uns. Als wir ihn fragten, woher der überraschende Kindersegen kam, erzählte er uns, er hätte seine und meine Hamster in einen Käfig gepackt, damit sie nicht so alleine waren. Dann hätte er ihnen ein bisschen Bier gegeben, weil Hamster das doch so gerne mögen.

Tja, und dann hatten die Hamster Party. Der Haken war nur, er hatte zwei Männchen und ich hatte zwei Weibchen.

Niedlich waren sie ja, die kleinen Hamster, aber soo viele.

Meine Mutter staunte auch nicht schlecht, als ich sie im Krankenhaus besuchen ging. Ich hatte nämlich einen von den winzigen Hamstern in eine Streichholzschachtel gesteckt, in die ich vorher Luftlöcher gepiekt hatte. Diese Schachtel hatte ich ins Krankenhaus geschmuggelt.  Gut, dass mich keine Krankenschwester erwischt hat, das hätte gewiss Ärger gegeben.

Ich hatte schon bald etliche Klassenkameraden und Freundinnen mobilisiert, die gerne Hamster haben wollten, so konnte ich die meisten verschenken, sie mussten nur noch ein bisschen größer werden.

Als meine Mutter wieder zu Hause war, fingen die Hamsterkinder gerade an, ihre Umwelt zu erforschen. Da sie noch so klein waren, passten sie locker durch die Gitterstäbe des Käfigs, wenn sie sich nur ein wenig platt machten, und das können Hamster gut.

So hockten wir jede Nacht, wenn die Tiere munter wurden, auf den Knien und lockten sie hinter Schränken, unter Couch und Sesseln und aus allen möglichen anderen Ecken hervor. Das ging am besten mit Aniskeksen, wir mochten die nicht, aber unsere Hamster waren ganz wild darauf.

Nach einigen unruhigen Nächten kamen wir auf die Idee, den ganzen Käfig in die Badewanne zu stellen, an den glatten Wänden kamen sie nicht hoch. Von dem Tag an hatten wir zumindest wieder ruhige Nächte und brauchten morgens nur die Ausreißer einzusammeln.

Wir waren alle erleichtert, als wir den Großteil der Hamster verschenkt hatten. Die beiden Mütter waren zwischenzeitlich gestorben. Klar, bei zwanzig Kindern. Uns blieben noch drei: Max, Moritz und Goldi. Die fristeten dann ein gemütliches Hamsterdasein bis an ihr seliges Ende.

Ich habe danach beschlossen, mich für die nächste Zeit auf meinen Wellensittich zu beschränken.

 

 

 

 

Kapitel 3 Geschichten vom grünen Hansi, einem besonders hübschen Wellensittich

 

Der grüne Hans 

 

Als meine Omi mir den Wellensittich schenkte muss ich etwa 10 Jahre alt gewesen sein. Ich konnte mich gar nicht satt sehen an dem schönen, goldenen Käfig mit dem noch sehr kleinen, ängstlichen, grünen Vogel darin. Auch die Bandbreite der Geräusche, die der kleine Kerl machen konnte, verwunderte mich doch sehr.

Es dauerte nicht lange, bis Hansi zur Familie gehörte und sich sehr wohl fühlte.

Mein Vater stand auf dem Standpunkt, dass Vögel fliegen müssen und dass der Käfig nur ein Sicherheitsreservat für den Fall darstellt, dass in der Wohnung der Sauerstoff eine Chance bekommen sollte.

So stand die Käfigtür immer offen und wurde nur dann zugemacht, wenn die Fenster geöffnet wurden. Dann allerdings beklagte Hansi grundsätzlich die Freiheitsberaubung mit so lautem Krakeelen, dass wir die Fenster schon bald freiwillig wieder schlossen, damit er Ruhe gab.

 

Hansi und die Gardinenstange

 

Da er praktisch ständig frei herumflog fand er in der Wohnung bald einige Lieblingsplätze. Einer davon war auf den Gardinenstangen, die in der Wohnung ein paar Zentimeter unterhalb der Zimmerdecke angebracht waren. Genau so viel, wie ein Wellensittich Platz braucht. Von dort oben kommentierte er jede unserer Bewegungen.

Eines Tages entdeckte meine Mutter auf der Erde ein kleines Häufchen weißen Staub. Sie fand das zwar merkwürdig, wischte es auf und vergaß den Vorfall. Am nächsten Tag an einer anderen Stelle das gleiche. Und immer öfter fanden sich an bestimmten Stellen immer wieder kleine weiße Staubhäufchen. So langsam wurde die Sache unheimlich. Die Tapete wurde abgeklopft, ob da vielleicht etwas herausrieselte – nichts.

Als mein Vater eines abends auf der Couch saß und las, ausnahmsweise mal ohne Radiogeräusche, hörte er ein anhaltendes Kratzen und Knuspern, ging dem Geräusch nach und fand die Ursache für die kleinen, weißen Häufchen.

Hansi saß oben auf der Gardinenstange und hatte genüsslich ein Loch in die Wand geknabbert. Wie wir dann feststellten, an jedem Ende der Gardinenstangen, überall in der ganzen Wohnung. Von unten war nichts davon zu sehen, meine Mutter oder ich hätten auf eine Leiter klettern müssen, um die Löcher zu entdecken. Da mein Vater allerdings über eine beachtliche Körpergröße verfügte, brauchte er sich nur zu recken, um zu sehen, was das kleine Nagetier da veranstaltet hatte.

Wir haben nie den Grund für diese Knabberei herausgefunden. Möglicherweise litt Hansi unter Kalkmangel und hat ihn sich einfach aus der Wand geholt oder wollte er seinen Schnabel wetzen? Vielleicht handelte es sich auch um unvollendete Ausbruchsversuche? Wir wissen es nicht.

Bei jedem Renovieren kauften wir ein Paket Gips mehr und schmierten die Löcher zu, was Hansi nicht davon abhielt, sie wieder aufzuknabbern. Es waren schließlich seine Löcher.

 

Hansi und die Nadeln

 

Meine Eltern waren beide berufstätig und ich hatte so lästige Verpflichtungen wie z. B. Schule. So kam es, dass Hansi recht oft allein in der Wohnung war. Wir hatten bald heraus, wem wir alle möglichen Merkwürdigkeiten zuschreiben sollten. Oft haben wir allerdings sehr lange gebraucht, bis wir herausbekamen, wie er das eine oder andere anstellte.

Meine Mutter hatte zur Aufbewahrung ihrer diversen Stick-, Stopf-, Näh- und Stecknadeln einen wunderschönen, roten Pilz gebastelt und umhäkelt, ca. 15 cm hoch, mit Watte gefüllt. Sämtliche Nadeln steckten im Hut des Pilzes und waren so bei Bedarf sofort zur Hand. Dieser Pilz stand entweder da, wo meine Mutter gerade stopfte, nähte oder eine Handarbeit machte, oder, wenn er gerade nicht gebraucht wurde, auf der Fensterbank. Nur die Nadeln, die haben wir jeden zweiten Tag vom Boden aufgelesen, aus der Couch gezogen oder vom Tisch aufgesammelt. Wer war das ?? Hansi ??

Es hat schon eine Weile gedauert, bis wir Hansi mal heimlich bei seinem Hobby beobachten konnten. Da hing der Vogel festgekrallt am Pilz wie ein Specht am Baum, zog genüsslich eine Nadel nach der anderen aus dem Pilz und schleuderte sie in hohem Bogen durch das Zimmer. Dabei schaute er der Flugbahn hinterher, horchte, wo sie hinfiel und nahm sich die nächste vor. Das machte er so lange, bis alle Nadeln verteilt waren, dann gab er einen zufriedenen Tschieper von sich und zog sich in seinen goldenen Käfig zurück.

Als er uns dann bemerkte, schaute er uns an und hielt sein Köpfchen schief als wollte er fragen: „ Is was?“

 

Die Naschkatze

 

Hansi spazierte wirklich überall herum.

Wenn meine Mutter und ich morgens das Haus verlassen hatten, ließen wir immer das Frühstück für meinen Vater auf dem Tisch stehen. Er war der letzte, der aufstehen musste, da er den kürzesten Weg zur Arbeit hatte. Außerdem hatte er die größten Schwierigkeiten, aus den Federn zu kommen. Folglich blieb seine Kaffeetasse, die Zuckerdose und der Frühstücksteller immer auf dem Tisch stehen, bis ich aus der Schule kam und alles wegräumte.

Nun ja, bei einem solchen Morgenmuffel wundert man sich eigentlich nicht sehr, wenn er zum Umrühren seines Kaffees nicht den dafür vorgesehenen Kaffeelöffel, sondern den silbernen Zuckerlöffel aus der Zuckerdose benutzt, den fanden wir nämlich ständig neben der Tasse. Als meine Mutter und ich uns allerdings bei ihm beschwerten, dass wir ständig den blöden, silbernen Löffel mit der Rose am Stiel spülen und abtrocknen mussten, erklärte er uns, dass er niemals den Silberlöffel nehmen würde. Okay, dachten wir, er ist halt morgens noch nicht ganz da. Dabei blieb es.

Bis meine Mutter krank wurde und  nicht zur Arbeit fuhr.

Nachdem mein Vater und ich aus dem Haus waren, entschloss sie sich, sich trotz Grippe aus dem Bett zu schälen und etwas aufzuräumen. Da konnte sie beobachten, wie Hansi ganz gezielt auf den Tisch flog, zur Zuckerdose tappte und auf den Löffelstiel sprang. Der Löffel kippte natürlich aus der Dose und der Restzucker, der auf dem Löffel war, verteilte sich auf dem ganzen Tisch. Hansi lief dann immer um die Zuckerdose herum und pickte alle Zuckerkrümel auf.

Hat jemand behauptet, Wellensittiche mögen nur Körner?

 

Hansi und der Spatz

 

Eines Tages kam mein Vater nach Hause und hielt in seiner Riesenhand etwas Winziges, das kläglich piepste. Er hatte einen kleinen Spatz gefunden, der wohl aus dem Nest gefallen sein musste. Der kleine Kerl tat ihm so leid, dass er ihn mitbrachte. Schön und gut, aber was nun?

Zunächst brauchte er ein Nest, dafür wurde eine Keksdose weich ausgepolstert, dann fehlte ihm dringend Futter und Wasser. Aber wie kriege ich so was in einen so kleinen Vogel hinein – und vor allen Dingen – was? Jetzt war unser Ideenreichtum gefragt.  Aus dem Napf trinken konnte er noch nicht, also gab es Wasser aus der Pipette. Die hatten wir aus einem Fläschchen Nasentropfen geholt und ausgespült. Körner knacken konnte er auch noch nicht. So wurde etwas Reis gekocht und mit der Pinzette in den ständig geöffneten Schnabel verfrachtet.

Es war mächtig viel Arbeit, bis er so kräftig war, dass er Körner fressen und alleine trinken konnte. Alle naselang lief einer von uns zur Keksdose um nachzuschauen, wie es dem Vogel ging.

Hansi beobachtete das Schauspiel zunächst von seinem Lieblingsplatz auf der Gardinenstange aus und kommentierte alles, was wir taten mit Geschrei und Geschimpfe. Es dauerte eine Weile, bis er sich in die Nähe traute. Er setzte sich auf den Rand der Keksdose und beäugte das winzige Etwas von allen Seiten.

Irgendwann begannen die Beiden dann, angeregte Unterhaltungen zu führen. Wenn man bedenkt, dass ein Wellensittich allein schon ein Riesenspektakel veranstalten kann, dann lässt sich erahnen, mit welcher Geräuschkulisse wir zu tun hatten. Der Spatz hatte ein derart lautes Organ, er übertönte den Hansi spielend. Bald saß der Spatz auf dem Rand der Keksdose und übte mit Hansi fliegen. Das Bild war zu schön, wie der Wellensittich ein Stück flog, sich hinsetzte und den Spatz rief. Nach ein paar Bauchlandungen und vielen Versuchen konnte er tatsächlich fliegen. Er war handzahm und landete am liebsten auf irgendeiner Schulter um sich herumtragen zu lassen.

Zu dieser Zeit kam mein Biologie- und Physiklehrer, Herr Schmitz, häufig zu uns zu Besuch. Er war Amateurfunker und holte sich bei meinem Vater, der Elektroniker war, immer Tipps zum Um- und Ausbau seiner Geräte. Eines Nachmittags war mein Vater noch nicht zu Hause, als er kam und ich bat ihn ins Wohnzimmer um dort zu warten. Oh Gott, mit einem Lehrer allein zu Haus. Ein Alptraum. Was redet man mit so einem Menschen außerhalb der Schule? Unser Spatz entschärfte die Situation, er visierte Herrn Schmitz an, legte den Turbogang ein und kam mit einer Punktlandung auf seiner Schulter zum Stehen. Der Pädagoge für Biologie war entzückt, als ich ihm dann noch die Geschichte erzählte, wie wir den Vogel aufgepäppelt hatten. Und der Spatz unterstrich meine Erzählung mit einem etwas streng riechenden weiß-grauen Häufchen auf der Schulter des Lehrers. Zuerst war ich entsetzt, verließ dann schnell unter dem Vorwand, ein Tempotuch zu holen das Zimmer und kringelte mich draußen vor Lachen. Ich glaube mir standen die Lachtränen noch in den Augen, als ich mit dem Taschentuch zurückkam. Gott sei Dank kam dann auch mein Vater und ich war erlöst.

Am nächsten Tag in der Schule war ich eine Riesennummer, als ich erzählte, dass unser Vogel dem Lehrer auf die Schulter gemacht hatte. Fortan zeugten alle meine Freunde unserem Spatz den höchsten Respekt.

Leider kam auch irgendwann die Zeit, dass dem Spatz unsere Wohnung zu klein wurde. Wir überlegten hin und her, ob wir ihn fliegen lassen sollten, ob er sich überhaupt allein ernähren konnte. Man merkte ihm allerdings auch an, dass er in die Freiheit wollte. Er hockte nur noch am Fenster und unterhielt sich mit seinen Artgenossen draußen, bis wir uns schweren Herzens entschlossen, das Fenster zu öffnen.

Er flog raus, drehte eine Runde draußen, kam noch mal zurück, landete auf der Fensterbank und verabschiedete sich, dann war er verschwunden.

Ich war sehr traurig, aber auf der anderen Seite war ich auch sicher, das Richtige getan zu haben, ein Spatz ist kein Käfigtier. Wir staunten nicht schlecht, als am Abend etwas am Fenster pickte. Da saß unser Spatz, flog sofort herein, als wir das Fenster öffneten und verlangte energisch nach Futter.

Das blieb eine ganze Weile so, morgens flog er raus, abends kam er zum Fressen und Schlafen nach Hause. Später wurden seine Besuche dann unregelmäßig und immer seltener bis er ganz weg blieb. So hat er uns den Abschied nicht ganz so schwer gemacht und er hatte Zeit, seine Nahrungssuche in Freiheit in den Griff zu kriegen, ohne hungern zu müssen. Er hatte ja für den Notfall immer eine Anlaufstelle.

Unser Hansi hat ihn wohl auch sehr vermisst. Als das Fenster mal offen war und wir vergessen hatten, die Käfigtür zu schließen, flog Hansi auch nach draußen. Mir blieb vor Schreck fast das Herz stehen, aber unser Wellensittich drehte nur eine Runde und kam wieder herein. Ihm war es da draußen sicher zu ungemütlich, er war schließlich ein Menschenvogel.

 

Hansi und die Chrysanthemen

 

Auch ein Vogel frisst gern mal was Frisches. Ein Blatt Salat war für Hansi das Größte. Zunächst wurde in den Wassertropfen, die noch vom Salatwaschen im Blatt hingen, gebadet, dann wurde das Blatt gefressen.

Da wir seine Vorliebe kannten, besorgten wir ihm in der Zoohandlung Vogelgras. Das war ein kleiner Plastikbecher, der mit Wasser gefüllt wurde, so konnten die Grassamen, die sich obenauf befanden, sprießen. Hansi zeigte an dem Gras selbst herzlich wenig Interesse, viel besser schmeckten ihm die Samenkörner, die er sich aus dem Becher pulte, bevor das Gras überhaupt wachsen konnte. Wir sind dann dazu übergegangen, das Gras außerhalb des Käfigs an einem sicheren Ort zu züchten und es ihm dann anzubieten. Aber das war Hansi alles nicht genug, er labte sich auch ständig an irgendeiner Zimmerpflanze, oder, wenn mal Schnittblumen im Haus waren, auch an den Blüten. Es geht doch nichts über ein Häppchen rote Nelken.

Nur einmal hatte er großes Pech. Meine Mutter hat Ende November Geburtstag. Sie hat immer die Sommer-Geburtstagskinder beneidet, die die herrlichsten Blumensträuße geschenkt bekamen. Bei ihr beschränkte sich die Blütenpracht ausschließlich auf Astern. An einem Geburtstag hatte jemand Mitleid und schenkte ihr einen großen Strauß gelbe Chrysanthemen. Ein ungewohnter wunderschöner Anblick.

Nur hatte niemand von uns bedacht, dass die Chrysanthemenblüten nicht grade gesund sind und dass unser Hansi Blüten aller Art zu vertilgen gedachte.  Am nächsten Tag fanden wir einen todkranken Vogel vor. Er musste sich ständig übergeben, seine Federn waren total verklebt und er konnte sich kaum auf der Stange halten. Wir rechneten alle mit dem Schlimmsten.

Meine Mutter nahm den vollkommen geschwächten Vogel in die Hand, drehte kurzerhand den Wasserhahn auf um ihm die Federn auszuwaschen. Vorsichtig ließ sie das lauwarme Wasser über den kleinen Kerl laufen. Immer wenn ein Tropfen in Schnabelnähe kam, leckte er diesen dankbar auf. Auf diese Art muss er ziemlich viel von dem lauwarmen Wasser getrunken haben. Sie setzte ihn wieder in seinen Käfig. Er hing regelrecht auf der Stange, war ganz still und rührte sich kaum. In der Nacht haben wir alle wenig geschlafen. Immer wieder schlich jemand zum Käfig um nach ihm zu sehen. Mir ging es vor lauter Sorge fast genauso schlecht wie dem Vogel. Irgendwann gegen Morgen muss ich dann doch eingeschlafen sein.

Als ich aufwachte hörte ich ein kleines klägliches Piepsen aus dem Vogelkäfig. Hansi war noch sehr schlapp, aber er begann, sein strubbeliges Gefieder zu putzen. Niemand kann sich vorstellen, wie erleichtert ich war. Wenn sich ein Vogel putzt, dann wird er gesund.

Es hat noch ein paar Tage gedauert, bis er wieder der Alte war. Er hat sich an Chrysanthemen nie wieder vergriffen, wir haben allerdings auch höllisch aufgepasst, dass er keine ungenießbaren Pflanzen mehr auf seine Speisekarte setzte.

Zeit seines Lebens ist Hansi von uns allen sehr geliebt worden und er hatte uns als seine Familie akzeptiert. Ich glaube, das Tier war bei uns sehr glücklich, nicht zuletzt, weil er ständig herumfliegen durfte. Sein Käfig war für ihn nur Fressplatz und Bett.

Als Hansi dann später an Alterschwäche starb, hatte er ein schönes, abwechslungsreiches Vogelleben hinter sich.