Flächenland

Edwin A. Abbot

 

 

 

 

Renate Götz Verlag

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 ISBN 9783958495531


 

Der Autor

 

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E. A. Abbott

 

Edwin Abbott Abbott (* 20. Dezember 1838 in Marylebone/London; † 12. Oktober 1926 in Hampstead/London) war ein englischer Schuldirektor, Theologe und Schriftsteller. Bekannt wurde er durch seine mathematische Satire Flatland von 1884.

Leben und Werk

Abbott besuchte die City of London School und das St John's College in Cambridge, wo er Altphilologie, Mathematik und Theologie mit Auszeichnung studierte und Fellow des Colleges wurde. 1862 wurde er ordiniert. 1865 wurde er im Alter von nur 26 Jahren Schulleiter der City of London School. 1876 war er Hulsean lecturer.

 

Abbott ging 1889 in den Ruhestand und widmete sich literarischen und theologischen Bestrebungen. Abbotts liberale Einstellung zur Theologie waren in seinen Büchern und seinen Vorlesungen sichtbar. Seine Shakespeare'sche Grammatik von 1870 ist ein bleibender Beitrag zur englischen Philologie. 1885 veröffentlichte er eine Biografie über Francis Bacon. Seine theologischen Schriften beinhalten auch drei anonym publizierte religiöse Liebesromane: Philochristus (1878), Onesimus (1882) und Sitanus (1906).

 

Wichtige Beiträge waren seine ebenfalls anonym veröffentlichten theologischen Diskurse Der Kern und die Schale (1886), Philomythus (1891), sein Buch Die englische Laufbahn des Kardinal Newman (1892) und sein Artikel Die Evangelien in der neunten Ausgabe der Encyclopædia Britannica, in dem er einen kritischen Standpunkt vertrat, der merkliche Aufregung in der englischen theologischen Welt verursachte. Weitere Werke waren St. Thomas von Canterbury, sein Leben und seine Wunder (1898), Johannine Vocabulary (1905) und Johannine Grammar (1906).

 

Abbott verstarb 1926 an der Grippe und ist auf dem Friedhof des Londoner Stadtteils Hampstead beigesetzt.

Teil I: Flächenland

§ 1 Von der Natur des Flächenlandes

Ich nenne unsere Welt Flächenland - nicht weil wir sie so nennen, sondern um euch, meinen glücklichen Lesern, die ihr das Privileg genießt, im Raume zu leben, ihre Natur besser erklären zu können.

Stellt euch ein weitausgedehntes Blatt Papier vor, auf dem sich gerade Linien, Dreiecke, Quadrate, Fünfecke, Sechsecke und andere Figuren, anstatt an einem festen Ort zu bleiben, frei hin und her bewegen, jedoch ohne das Vermögen, sich darüber hinaus zu erheben oder darunter zu sinken, etwa wie Schatten - nur scharf umrissen und mit leuchtenden Kanten - und ihr werdet eine ziemlich exakte Vorstellung von meinem Land und meinen Landsleuten haben. Ach! vor einigen Jahren hätte ich noch gesagt: von meinem Universum, doch nun ist mein Denken einer höheren Schau geöffnet.

In einem solchen Land ist es (wie ihr sofort erkennen werdet) unmöglich, daß irgend etwas der Art existieren könnte, was ihr einen »festen Körper« nennt; aber wahrscheinlich nehmt ihr zunächst an, daß wir zumindest durch ihren Anblick die Dreiecke, Quadrate und anderen Figuren unterscheiden können, wie sie sich, so wie oben beschrieben, umherbewegen. Im Gegenteil - nichts davon können wir sehen, wenigstens nicht so, daß wir eine Figur von der anderen unterscheiden könnten. Nichts war für uns sichtbar oder konnte auch nur sichtbar sein, außer Geraden. Daß dies notwendigerweise so sein mußte, will ich sogleich beweisen.

Lege, Leser, eine Münze mitten auf einen eurer Tische im Raum, beuge dich darüber und sieh hinab: sie wird als Kreis erscheinen.

 

Nun aber zieh dich zum Rand des Tisches zurück und gehe mit deinem Gesicht immer tiefer (womit du dich mehr und mehr den Erkenntnisumständen der Bewohner von Flächenland näherst), und du wirst sehen, daß die Münze mehr und mehr oval erscheint. Und schließlich, wenn du dein Auge genau auf die Höhe der Tischkante gebracht hast (so daß du sozusagen zum Flächenländer geworden bist), wird die Münze nicht mehr oval erscheinen und, soweit du es erkennen kannst, eine Gerade geworden sein.

Dasselbe würde geschehen, wenn du auf dieselbe Weise mit einem Dreieck, einem Quadrat oder irgendeiner anderen aus Karton ausgeschnittenen Figur verfahren würdest. Sobald du sie mit deinem Auge am Rande der Tischplatte betrachtest, wirst du bemerken, daß sie dir nicht länger als Figur erscheint, sondern - der Erscheinung nach - zu einer Geraden wird. Nehmen wir zum Beispiel ein gleichseitiges Dreieck (das bei uns einen Kaufmann der wohlgeachteten Klasse darstellt). Abbildung 1 zeigt den Kaufmann, wie du ihn sehen würdest, von oben über ihn gebeugt; Abbildung 2 und 3 so, wie er dir erscheint, wenn dein Auge nahe der Tischoberfläche oder beinahe auf ihrer Höhe angelangt ist; und wenn dein Auge ganz auf der Ebene der Tischplatte angelangt ist (und eben so sehen wir ihn in Flächenland), so siehst du nichts als eine Gerade.

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Als ich in Raumland war, habe ich gehört, daß eure Seeleute ganz ähnliche Eindrücke haben, wenn sie über die Meere fahren und eine ferne Insel oder Küste am Horizont auftauchen sehen. Das weit vorausliegende Land mag Buchten, Landzungen, ein- und auswärtsweisende Winkel in jeder Menge und in jedem beliebigen Ausmaß besitzen, doch von weitem sieht man nichts davon (es sei denn, eure Sonne scheint hell auf das Land und läßt die Vorsprünge und Einschnitte durch Licht und Schatten sichtbar werden), nichts als eine ununterbrochene graue Linie auf dem Wasser.

Nun, genau das sehen wir, wenn einer unserer dreieckigen oder wie auch immer geformten Bekannten in Flächenland auf uns zukommt. Da es bei uns keine Sonne gibt, noch irgendeine Lichtquelle der Art, daß sie Schatten werfen würde, besitzen wir keine der Sichthilfen, über die ihr in Raumland verfügt. Wenn unser Freund näher kommt, sehen wir, wie seine Linie größer wird; verläßt er uns, wird sie kleiner; aber immer sieht er wie eine gerade Linie aus, sei er nun ein Dreieck, Quadrat, Fünfeck, Sechseck, Kreis - in allen Fällen sieht er aus wie eine Gerade und nichts anderes.

Ihr fragt euch vielleicht, wie wir unter diesen ungünstigen Umständen unsere Freunde voneinander unterscheiden können. Doch die Antwort auf diese in der Tat naheliegende Frage wird sich zwangloser und angemessener ergeben, wenn ich die Bewohner von Flächenland beschreibe. Im Augenblick lasse man mich diesen Gegenstand zurückstellen und ein paar Sätze über das Klima und die Behausungen in unserem Lande sagen.

§ 2 Vom Klima und den Behausungen in Flächenland

Wie bei euch, gibt es auch bei uns vier Richtungen: Norden, Süden, Osten und Westen.

Da es keine Sonne oder andere Himmelskörper gibt, ist es uns nicht möglich, Norden auf die übliche Art und Weise festzulegen, aber wir haben unsere eigene Methode. Es herrscht bei uns ein Naturgesetz: es existiert eine konstante Anziehungskraft nach Süden, und obwohl diese in den gemäßigten Zonen sehr schwach ist (so daß selbst eine Frau, die sich einigermaßen bei Gesundheit empfindet, sich ohne Schwierigkeiten eine halbe Meile oder so nach Norden bewegen kann), ist der hemmende Effekt der Anziehung nach Süden durchaus genügend, um in den meisten Teilen unserer Welt als Kompaß zu dienen. Zusätzlich stellt der Regen, der in festen Abständen fällt, und zwar immer von Norden, eine weitere Hilfe dar, und in den Städten haben wir als Anhaltspunkt die Häuser, deren Seitenwände natürlich zum größten Teil in Nord-Süd-Richtung verlaufen, damit die Dächer den Regen von Norden abhalten können. Auf dem Lande, wo es keine Häuser gibt, geben die Baumstämme eine gewisse Orientierung. Insgesamt haben wir geringere Schwierigkeiten, als man annehmen sollte, uns zurechtzufinden.

Und doch - in unseren gemäßigteren Zonen, in denen die südliche Anziehung kaum spürbar ist, sah ich mich bei dem Gang durch eine völlig öde Ebene, wo kein Baum und kein Haus mir zur Orientierung dienen konnte, zuweilen veranlaßt stundenlang an derselben Stelle zu verharren und auf den Regen zu warten, bevor ich meine Reise fortsetzen konnte. Für die Schwachen und Alten und vor allem für zarte Frauen ist die Anziehungskraft sehr viel stärker fühlbar als für das männliche Geschlecht, so daß es eine Frage des guten Tons ist, einer Dame, die man trifft, immer die Nordseite des Weges einzuräumen - durchaus nicht immer einfach, sich da schnell zu entscheiden, wenn man bei robuster Gesundheit ist und sich in einem Klima befindet, wo Norden und Süden nur mühsam zu unterscheiden sind.

Fenster haben unsere Häuser nicht, denn das Licht erreicht uns gleichermaßen in unseren Häusern wie außerhalb, bei Tag und bei Nacht, zu allen Zeiten und an allen Orten gleichmäßig – woher, wissen wir nicht. In alten Zeiten war dies unter unseren Gelehrten eine interessante und häufig verfolgte Fragestellung: Was ist der Ursprung des Lichts? Oft wurde die Lösung versucht, doch als einziges Ergebnis füllten sich unsere Irrenhäuser mit den Lösungsbeflissenen. Daher hat (nach vergeblichen Versuchen, diese Art Untersuchungen indirekt zu unterbinden, indem man sie mit einer drückenden Steuer belegte) die Legislative sie vor verhältnismäßig kurzer Zeit absolut verboten. Ich - ach, ich allein in Flächenland - kenne nun die wahre Lösung dieses geheimnisvollen Problems nur zu gut, doch kann ich mein Wissen auch nicht einem einzigen meiner Landsleute verständlich machen, und man spottet meiner - der ich allein die Wahrheiten des Raumes und die Theorie des Lichteinfalls aus der dreidimensionalen Welt besitze -, als wäre ich der Verrückteste aller Verrückten! Doch genug dieser schmerzlichen Abschweifung; kehren wir zu unseren Häusern zurück.

Die verbreitetste Form der Konstruktion eines Hauses ist die fünfseitige oder pentagonale, wie in der beigefügten Abbildung.

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Die beiden nördlichen Seiten AB und BC bilden das Dach und haben meistens keine Türen. Im Osten ist eine kleine Tür für di kleine Tür für die Frauen, im Westen eine viel größere für die Männer; die Südseite - der Boden - ist meist türlos. Quadratische und dreieckige Häuser sind nicht gestattet, und zwar aus folgendem Grund. Da die Winkel eines Quadrats und mehr noch die eines gleichzeitigen Dreiecks viel spitzer sind als die eines Fünfecks, und die Linien bewußtloser Objekte (wie zum Beispiel von Häusern) schwächer ausgeprägt sind als die Linien von Männern und Frauen, ist offensichtlich, daß die Gefahr, ein unachtsamer oder geistesabwesender Reisender könne plötzlich gegen die Spitzen eines quadratischen oder dreieckigen Hauses anrennen und sich schwer verletzen, keine geringe ist. So wurden bereits im elften Jahrhundert unserer Zeitrechnung dreieckige Häuser generell durch Gesetz verboten, wobei nur Befestigungsanlagen, Pulvermagazine, Kasernen und andere Staatsgebäude ausgenommen wurden, wo es wünschenswert erscheint, daß sich die breite Öffentlichkeit nur vorsichtig nähere.

Zu dieser Zeit waren quadratische Häuser noch überall erlaubt, obwohl man versuchte, die Erbauer durch eine Sondersteuer davon abzubringen. Doch etwa drei Jahrhunderte später erging ein Gesetz, daß in allen Städten mit einer Einwohnerzahl über zehntausend der Winkel eines Fünfecks der kleinste Architektur-Winkel sei, der im Hinblick auf die öffentliche Sicherheit gestattet werden könnte. Die Vernunft des Publikums hat die Anstrengungen der gesetzgebenden Körperschaft unterstützt, und jetzt hat selbst auf dem Land die Fünfeckskonstruktion jede andere verdrängt. Nur hie und da trifft der Altertumsforscher in sehr entlegenen und zurückgebliebenen ländlichen Distrikten auf ein quadratisches Haus.

§ 3 Über die Bewohner von Flächenland

Die größte Länge oder Breite eines ausgewachsenen Bewohners von Flächenland beträgt etwa elf Zoll eurer Rechnung. Zwölf Zoll kann man als Maximum betrachten. Unsere Frauen sind Geraden.

Unsere Soldaten und die untersten Klassen unserer Arbeiter sind gleichschenklige Dreiecke, deren Schenkel etwa elf Zoll lang sind, und deren Basis oder dritte Seite so kurz ist (oft nicht mehr als ein halber Zoll), daß sie an ihrem Scheitel einen sehr spitzen und bedrohlichen Winkel bilden. In der Tat kann man sie, wenn sie dem untersten Typus angehören (mit einer Basis, die nicht mehr als einen Achtelzoll mißt), kaum mehr von Geraden oder Frauen unterscheiden, so spitz sind ihre Scheitel. Bei uns wie bei euch werden diese Dreiecke zum Unterschied von anderen gleichschenklige genannt, und mit diesem Namen werde ich sie auf den folgenden Seiten bezeichnen.

Unsere Mittelklasse besteht aus gleichseitigen Dreiecken.

Unsere Freiberufler und Gentlemen sind Quadrate (ich selbst gehöre zu dieser Klasse) und Fünfecke.Als nächstes kommt der Adel, der verschiedene Stufen aufweist, beginnend mit dem Sechseck oder Hexagon, und von da aufsteigend mit immer größerer Anzahl ihrer Seiten, bis man den Ehrentitel Polygon tragen kann: der Vielseitige. Wenn schließlich die Anzahl der Seiten so groß wird, und diese selbst so klein, daß sich die Figur nicht mehr von einem Kreis unterscheiden läßt, wird sie der zirkulären oder Priester-Klasse zugerechnet, der höchsten von allen.

Es ist bei uns ein Naturgesetz, daß ein männliches Kind eine Seite mehr als sein Vater hat, so daß jede Generation (in der Regel) einen Schritt nach oben auf der Stufenleiter der Entwicklung und des Adels tut. So ist der Sohn eines Quadrats ein Pentagon, der Sohn des Pentagons ein Hexagon, und so fort.

Diese Regel gilt jedoch nicht immer für die Kaufleute und noch seltener für die Soldaten und die Arbeiter, die in der Tat kaum den Namen menschlicher Figuren verdienen, da ihre Seiten nicht alle gleich sind. Für sie gilt deshalb das Naturgesetz nicht, und der Sohn eines gleichschenkligen Dreiecks bleibt immer noch ein Gleichschenkliger. Trotzdem ist selbst für einen Gleichschenkligen nicht alle Hoffnung verloren, daß seine Nachkommenschaft einst über seinen niederen Zustand hinauswachsen könnte. Denn nach einer langen Reihe militärischer Erfolge oder sorgfältiger und geschickter Arbeiten bemerkt man in der Regel bei den Intelligenteren der Arbeiter- und Soldatenklassen eine geringfügige Vergrößerung ihrer dritten Seite und ein Schrumpfen der beiden anderen. Heiraten zwischen den Söhnen und Töchtern dieser intelligenteren Glieder der unteren Klassen (von den Priestern geplant), haben meistens eine Nachkommenschaft zum Ergebnis, die sich noch mehr der Gestalt des gleichzeitigen Dreiecks annähert.

Selten findet (verglichen mit der großen Zahl gleichschenkliger Geburten) die Geburt eines echten und offiziell beurkundbaren gleichseitigen Dreiecks von gleichschenkligen Eltern statt. 1 Eine solche Geburt setzt nicht nur voraus, daß eine Reihe sorgfältig arrangierter Ehen vorausgegangen sind, sondern auch, daß eine lange Übung in Bedürfnislosigkeit und Selbstkontrolle seitens der Eltern erfolgt ist, die das ersehnte gleichzeitige Dreieck hervorbringen wollen, und eine geduldige, systematische und fortdauernde Entwicklung- des gleichschenkligen Intellekts durch viele Generationen.

Die Geburt eines echten gleichseitigen Dreiecks von gleichschenkligen Eltern ist in unserem Land Anlaß zur Festesfreude auf Meilen in der Runde. Nach einer genauen Prüfung durch den Sanitär- und Sozialausschuß wird das Kind, falls als regelmäßig bestätigt, mit feierlicher Zeremonie in die Klasse der Gleichseitigen aufgenommen. Dann nimmt man ihn sofort von seinen stolzen, aber traurigen Eltern, und ein kinderloses gleichseitiges Dreieck adoptiert ihn, welches einen Schwur leistet, dem Kind nie zu erlauben, in sein altes Haus zurückzukehren oder auch nur seine Verwandten anzusehen - denn es wird befürchtet, daß sonst der neu entwickelte Organismus durch eine Art unbewußter Nachahmung auf seine erbliche Stufe zurückfallen könnte.

Das gelegentliche Hervortreten eines Gleichseitigen aus den Reihen seiner unfrei geborenen Vorfahren wird nicht nur von den armen Leibeigenen selbst froh begrüßt als Lichtstrahl der Hoffnung, der in die eintönige Schäbigkeit ihrer Existenz fällt, sondern auch der Aristokratie ist dies willkommen. Denn alle höheren Klassen sind sich darüber im klaren, daß dieses seltene Phänomen ihren eigenen Privilegien wenig oder gar keinen Abbruch tut, dagegen eine höchst nützliche Schranke gegen eine Revolution von unten bildet.

Wäre das spitzwinklige Pack insgesamt ohne jegliche Hoffnung und ohne jeden Ehrgeiz gewesen, so hätte es vielleicht in manchen seiner vielen aufrührerischen Ausbrüche Führer gefunden, die so befähigt gewesen wären, daß seine zahlenmäßige Überlegenheit und seine Stärke selbst für die Weisheit der Kreise zuviel gewesen wären. Doch eine weise Verordnung der Natur selbst hat festgelegt, daß in eben dem Maße, in dem die arbeitenden Klassen an Intelligenz, Wissen und Tugend insgesamt zunehmen, der spitze Winkel (der sie physisch so furchterregend macht) sich ebenfalls vergrößert und sich dem vergleichsweise harmlosen Winkel des gleichseitigen Dreiecks annähert. Solcherart kann man beobachten, wie bei den Brutalsten und Gefährlichsten der Soldatenklasse Kreaturen, beinahe den Frauen gleich in ihrem Mangel an Intelligenz - entsprechend ihrer zunehmenden geistigen Fähigkeit, ihre gewaltige durchbohrende Kraft zu ihrem eigenen Vorteil einzusetzen, eben diese ihre Durchbohrungskraft abnimmt.

 

Wie bewunderungswürdig ist dieses Gesetz des Ausgleichs! Und ein wie vollkommener Beweis der natürlichen Angemessenheit und, ich darf beinahe sagen, des göttlichen Ursprungs der aristokratischen Verfassung unserer flächenländischen Staaten! Durch überlegten Gebrauch dieses Naturgesetzes sind die Vielecke und Kreise fast immer in der Lage, den Aufruhr im Keime zu ersticken, indem sie sich der ununterdrückbaren und grenzenlosen Hoffnung der Menschen bedienen. Auch die Kunstfertigkeit tritt helfend an die Seite von Gesetz und Ordnung: im allgemeinen findet man meist einen Weg durch eine kleine (von den Staatsärzten vorgenommene) künstliche Verkürzung oder Erweiterung -, einige der intelligenteren Anführer einer Rebellion völlig regelmäßig zu machen und sie sogleich in die Reihen der privilegierten Klassen aufzunehmen. Eine weit größere Anzahl, die immer noch hinter den Anforderungen zurückbleibt, wird durch die Aussicht einer schlußendlichen Veredelung dazu veranlaßt, sich in die Staatskliniken aufnehmen zu lassen, wo sie in allen Ehren lebenslänglich abgesondert gehalten wird; ein oder zwei von den Verstockteren, Törichteren und hoffnungslos Unregelmäßigen werden hingerichtet.

Dann wird der elende Haufen der Gleichschenkligen, ohne Plan und ohne Führung, entweder durch eine kleine Truppe ihrer Brüder, die sich der Oberste Kreis für solche Krisenfälle gegen Bezahlung hält, widerstandslos durchbohrt; oder aber - was noch häufiger geschieht - sie werden durch Rivalitäten und Mißtrauen, die die Kreispartei geschickt unter ihnen zu schüren versteht, zu gegenseitigem Krieg aufgehetzt und fallen, einer unter dem Winkel des anderen. Nicht weniger als hundertundzwanzig solcher Rebellionen verzeichnen unsere Annalen, abgesehen von kleineren Ausbrüchen, zweihundertfünfunddreißig an der Zahl. Und alle fanden dasselbe Ende.

§ 4 Über die Frauen

Wenn unsere höchst spitzwinkligen Dreiecke der Soldatenklasse gefährlich sind, wird es ohne weiteres einleuchten, daß unsere Frauen eine noch viel größere Gefahr darstellen. Denn ist ein Soldat ein Keil, so ist eine Frau eine Nadel, da sie, sozusagen, ganz und gar Scheitelpunkt ist, zumindest an den beiden Extremitäten. Nimmt man ihre Fähigkeit hinzu, sich nach ihrem Willen praktisch unsichtbar zu machen, so wird man sehen, daß eine Frau (in Flächenland) keineswegs ein Wesen ist, mit dem man leichthin umgehen kann.

Hier aber werden vielleicht einige meiner jüngeren Leser fragen, wie eine Frau in Flächenland sich unsichtbar machen kann. Dies sollte allerdings, glaube ich, ohne weitere Erklärung offensichtlich sein. Ein paar Sätze werden es jedoch auch dem Begriffsstutzigsten klar werden lassen.

Der Leser möge eine Nadel auf den Tisch legen. Dann blicke er sie (mit dem Auge in Tischhöhe) von der Seite an. Ihre volle Länge ist sichtbar. Doch schau sie von einem Ende her an, und du siehst nichts als einen Punkt sie ist praktisch unsichtbar geworden. Ebenso ist es mit einer unserer Frauen. Ist ihre Seite uns zugekehrt, sehen wir sie als Gerade; wenn das Ende, das ihr Auge oder ihren Mund enthält (denn bei uns sind diese beiden Organe identisch), der Teil ist, auf den unser Blick fällt, sehen wir nichts als einen hell leuchtenden Punkt; doch wenn sich der Rücken unserem Auge bietet, dann dient ihre hintere Extremität (deren Leuchtkraft weit unter dem Normalmaß liegt und in der Tat fast ebenso schwach ist wie die eines unbelebten Objekts) ihr als eine Art Tarnkappe.