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Im Wilden Westen Nordamerikas

AUFBRUCH INS UNGEWISSE

 

 

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In dieser Reihe bisher erschienen:

 

2201   Aufbruch ins Ungewisse

H. W. Stein (Hrsg.)

 

 

Aufbruch ins Ungewisse

 

 

Teil 1 der Trilogie
Die Schwarzen Teufel von Missouri

 

 

Aufgeschrieben von Thomas Ostwald

 

 

 

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Impressum

© 2017 BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-95719-431-2

1.

 

Der Ärger begann schon auf dem Frachtkahn, der uns die Elbe hinunter und nach Hamburg bringen sollte. Natürlich hätte ich bequem mit der Eisenbahn fahren können, aber auf den Bahnhöfen war mir einfach zu viel Betrieb. Nicht zu vergessen die Polizeibeamten, die sich oft die ein- und aussteigenden Passagiere recht genau ansahen. Und da ich den Eindruck hatte, dass mir in Dresden schon ein Geheimer gefolgt war, konnte ich mich nun kaum beschweren.

Der Kahn war einfach überladen, denn die zahlreichen Auswanderer, die sich hier auf dem Boot dicht zusammendrängten, hatten ihr gesamtes Gepäck in der Mitte aufstapeln müssen. Dabei achtete der Ewer-Führer{1} sehr genau darauf, dass sein Segel nicht mit dem Gepäckberg kollidierte, wenn der Segelbaum ausschwenkte. Der Anderthalbmaster lag tief im Wasser, machte aber trotzdem vor dem Wind gute Fahrt. Die beiden Seitenschwerter, die unser Besanewer{2} führte, wiesen ihn zusätzlich als tauglich für Nordseefahrten aus, sodass ich dem Kahnführer vertraute, was die Sicherheit anging.

Kahnführer! Den Begriff hatte ich nur einmal verwendet, dann wies mich der kräftige, braun gebrannte Mann mit der von Wind und Wetter verformten Mütze freundlich, aber bestimmt darauf hin, dass seine Anrede Kapitän sei. Und so hatte man ihn anzusprechen. Als einmal einer der Auswanderer ihn höflich mit Herr Meier ansprach, reagierte Kapitän Meier überhaupt nicht, sondern schaute über die Gepäckberge zu seinem viereckigen Gaffelsegel, das vom Wind gut gefüllt wurde und uns bereits hoffen ließ, die Fahrt in weniger als acht Tagen zu schaffen. Aber da hatte ich den Wettergott wohl ein wenig überschätzt. Er sollte sich nur zu bald von einer ganz anderen Seite zeigen.

Ein Blick auf meine Mitreisenden, und mir wurde sofort klar, dass ich die typischen Auswanderer begleitete. Da waren verhärmt wirkende Frauen mit ihren dünnen, abgearbeiteten Männern. Kinder, die blass und dürr in vielfach geflickten Kleidern mit großen Augen immer irgendwo im Wege standen und einfach nur schauten, als könnten sie das alles nicht begreifen. Blutarme Weberfamilien aus dem Erzgebirge. Es hätten meine Eltern, meine Geschwister sein können, und sie alle boten einen Anblick, der mir tief ins Herz schnitt.

Den krassen Gegensatz dazu bildete eine Gruppe munterer, junger Männer, die tatsächlich zur Abreise ihre Festkleidung angezogen hatten. So waren sie für alle als Bergleute erkennbar. Es gab zwei Gruppen, die sich offenbar kannten, denn mit viel Gelächter und Gejohle begrüßten sich die Männer aus dem Plauenschen Grund bei Dresden und die, die aus Zwickau kamen. Diese ehemaligen Bergleute nahmen für sich einen Teil im Heck des Ewers ein und schienen ihre Abreise schon von Anfang an zu feiern. Ein Krug mit Schnaps machte bald die Runde, dazu wurden Würste und sogar ein Stück Schinken ausgepackt und großzügig an die Mitreisenden verteilt.

Ich war gespannt, wie sich diese Gemeinschaft entwickeln würde, denn wie es sich bald herausstellte, würden wir für die nächsten Wochen auf Gedeih und Verderb zusammengeschweißt sein, wenn wir in Hamburg das Segelschiff nach New Orleans bestiegen und uns in die engen Kojen pressen mussten.

Glückliche Mitreisende, die das noch nie erlebt und keine Ahnung hatten, was es bedeutete, wenn das Schiff erst einmal in der Nordsee eine steife Brise erwischte und etwa ab dem Roten Sandleuchtturm das Schaukeln beginnen würde. Nur mit Schaudern dachte ich zurück an meine erste Überfahrt.

Dabei fing alles bei schönstem Wetter an, und ich nahm meine Mütze ab, als es an Kötzschenbroda vorüberging, wo ich liebe Freunde zurückließ. Ich verschenkte aber keine trüben Gedanken an die letzten, schönen Stunden, die ich vor meiner Abreise dort verlebt hatte. Es war mir schon lange klar geworden, dass ich nicht länger in der Studierstube hocken konnte, nachdem der große Krieg in Nordamerika endlich vorüber war. Also setzte ich alles daran, meine persönlichen Dinge zu regeln, schickte meinem Verleger noch die letzten Manuskripte zu, hatte bald darauf gepackt – und war unterwegs. Mein Gepäck war nicht besonders umfangreich. Die Reisetasche enthielt meinen Jagdanzug und ein Paar Mokassins, dazu Leibwäsche. Und das kräftige Bowiemesser. Alles andere wollte ich mir nach meiner Ankunft neu kaufen. Die beiden Gewehre waren in wasserdichte Hüllen gepackt und darunter noch mit einer dicken Wolldecke umwickelt. Die Lederriemen hatte ich so anfertigen lassen, dass ich die Waffen leicht transportieren und notfalls auch überhängen konnte.

Mein Reiseanzug war äußerst bequem und bestand bei dieser Witterung aus Nanking-Hosen,{3} einem weit geschnittenen Hemd und einer leichten Weste. Über die Reisetasche hatte ich die Wolljacke geschnürt, um sie notfalls rasch zur Hand zu haben. Außerdem trug ich halbhohe Schuhe, sogenannte Jodhpur-Stiefel, bis knapp über den Knöchel.

Nachdem sich alles mehr oder weniger an Bord eingerichtet hatte, konnte ich das schöne Wetter nutzen und noch einen Brief schreiben. Meine Reisetasche hatte ich dazu auf einen großen Schrankkoffer gelegt, den man aus Gründen der Stabilität im Boot seitlich gelagert hatte. So fand ich, wenn ich auf einem der kleinen Wasserfässer saß, eine gute Arbeitsfläche vor. Mein Reiseschreibwerkzeug hatte ich natürlich, wie immer, dabei und spürte, wie sich meine gute Laune auf das Papier übertrug. Eigentlich wollte ich nur einen kurzen Bericht über meinen geplanten Reiseverlauf geben, dann füllte sich Seite auf Seite, und ich musste fleißig dem Tintenfass zusprechen, denn die Stahlfeder flitzte nur so über das Papier dahin.

Dann aber hatten wir wohl gerade Meißen erreicht, als uns eine kräftige Windböe erwischte. Sie kam vollkommen überraschend und wirbelte den gesamten Ewer durcheinander. Schlimm war eigentlich nur, dass der Baum herüberschwang, gerade in dem Augenblick, als eine junge, sehr elegant gekleidete Dame an mir vorüberging. Ich erkannte die Gefahr und sprang von meinem niedrigen Sitz auf. Mit dem Oberkörper brachte ich die Dame zu Fall. Dabei gelang es mir aber, sie mit beiden Armen aufzufangen, um ihren Aufschlag auf das Deck zu vermeiden. Allerdings knallte ich mit beiden Armen so hart auf das Holz, dass der Schmerz mich für Sekunden lähmte. Blitzartig war er über meinen Rücken bis in die Beine gefahren, und ich hatte das Gefühl, dass der herumschwenkende Baum nun mich erwischt hatte.

Während die junge Frau noch vollkommen verblüfft über den plötzlichen Angriff in meinen Armen lag und mich anstarrte, wurden die ersten Stimmen um uns herum laut.

»Um Gottes willen, sind Sie unverletzt?«

»Das war eine blitzschnelle Reaktion!«

»Der Baum hätte beide erschlagen können!«

So und ähnlich prasselten die Stimmen unserer Mitmenschen auf uns ein, aber ich hatte mich nun so weit gesammelt, dass ich mich erheben konnte und meiner Schönen die Hand bot.

Noch immer sah sie mich sprachlos und mit weit aufgerissenen Augen an, und ich hatte noch immer nicht meine Arme von ihr gelöst.

So weiß wie Schnee, so rot wie Blut, so schwarz wie Ebenholz!, fiel mir bei ihrem Anblick ein. Tatsächlich entsprach die junge Frau genau dem Bild von Schneewittchen, das ich mir längst geschaffen hatte, als mir meine Großmutter die Märchen erzählte und ich durch meine Augenkrankheit dazu Bilder ersann, die nur ich sehen konnte.

»Entschuldigung, aber ich musste reagieren. Die Böe hatte das Segel umgeschlagen, dadurch kam der Baum zu uns herüber, als Sie gerade an mir vorübergehen wollten.«

Ich gab die junge Frau jetzt frei, deren eben noch schneeweißes Gesicht plötzlich feuerrot übergossen war, was ihr ein noch lieblicheres Aussehen verlieh. Verlegen klopfte ich mich ab und sagte dazu halblaut:

»Bitte um Vergebung, gnädiges Fräulein, aber ich konnte nicht anders handeln. Mein Name ist Winter, Karl Winter, aus Dresden.«

Die Schöne hatte sich jetzt wieder gefasst, zumal eine andere junge Frau, die erheblich schlichter gekleidet war, zu ihr getreten war, knickste und sich verlegen nach ihrem Befinden erkundigte.

»Es ist alles in Ordnung, Anna, der freundliche Herr hier hat mich zwar von den Füßen gerissen, damit aber wohl Schlimmeres verhindert. Ich habe mich noch gar nicht dafür bedankt, Herr Winter. Es ist mir sehr unangenehm, wenn Sie dadurch sogar verletzt wurden. Hier ist meine Karte. Wenn wir in Hamburg sind, kann ich mich entsprechend erkenntlich zeigen.«

Damit zog sie aus ihrer kleinen Tasche ein grazil bedrucktes Kärtchen, auf das ich rasch einen Blick warf und deren kleinen Druck ich noch gerade entziffern konnte. Klara von Rauten, ein Name, der mir nichts sagte. Aber die Ausführung der Karte wie auch die ganze Erscheinung der Schönen bestärkte mich in dem Gedanken, dass sie eigentlich nicht an Bord des Ewers mit seinen zahlreichen Auswanderern passte. Doch der Hinweis auf eine mögliche Entschädigung in Hamburg ließ meine Gedanken weiter spielen. Sie wollte offenbar auch das Schiff nach New Orleans erreichen, verfügte jedoch nicht über genügend Mittel, um die Reise per Eisenbahn oder mit der Kutsche zurückzulegen. Das war interessant, und ich witterte hier schon das Sujet für eine hübsche kleine Reiseskizze.

»Sie entschuldigen mich, Herr Winter, ich habe das dringende Bedürfnis, mich etwas zu setzen. Wir werden uns im Verlaufe der Reise sicher noch häufiger sehen!«

Damit verschwand meine Schönheit, der ich sofort den Namen Schneewittchen gegeben hatte, und ich konnte kaum den Blick von ihr abwenden, als sie um den Mast gegangen war und auf der anderen Seite verschwand.

Als ich mich schließlich etwas verwirrt wieder auf das Wasserfass setzte, durchzuckte mich blitzartig die Erkenntnis, dass meine Briefbogen vom Wind erfasst und über Bord gegangen waren. Hastig beugte ich mich über die Bordwand und starrte in das braune Wasser der Elbe. Tatsächlich, weit hinten konnte ich auf den kleinen Wellen, die von dem aufkommenden Wind erzeugt wurden, weiße Stellen blitzen sehen. Fluchend suchte ich die Einzelteile meines Schreibsets zusammen, die zum Glück nur von dem Koffer gerollt waren und sich in verschiedene Ecken des Decks verteilt hatten. Schwierigkeiten gab es dann nur mit der Bergung meines Federhalters, weil der sich ausgerechnet die einzige breite Rille zwischen zwei Holzbohlen ausgesucht hatte. Dort lag er nun fest und unzugänglich und ich hatte keine Möglichkeit, ihn mit den Fingern herauszuklauben. Glücklicherweise hatte ich die Schachtel mit den Ersatzfedern verschlossen, zog sie jetzt hervor, griff mir eine der Stahlfedern und stocherte damit so lange in der Rille herum, bis ich den Federhalter etwas anheben konnte. Dann hatte ich ihn mit zwei Fingern gegriffen und endlich befreit. Als ich mich aufrichtete, fiel mein Blick auf einen vollbärtigen Mann, der mich bei meinem Tun amüsiert beobachtete.

Er mochte wohl gut doppelt so alt sein wie ich, hatte braunes, lockiges Haar, strahlend blaue Augen und einen Mund, um den es ständig zuckte, als würde er in jedem Augenblick das Lachen nicht mehr zurückhalten können.

»Schriftsteller, was?«, sagte er schließlich und streckte mir zur Begrüßung zwei weiße, etwas zerknitterte Blätter entgegen, in denen ich einen Teil meines Briefes wiedererkannte.

»Allerdings!«, antwortete ich und betrachtete voller Neugierde mein Gegenüber etwas genauer. Der Mann war gut einen Kopf größer als ich, hatte eine kräftige Gestalt, und seine muskulösen Oberarme steckten in einem knallroten Wollhemd, wie ich es nur von den Minern und Eisenbahnarbeitern in Amerika kannte. Seine grobe Hose aus einem segeltuchartigen Stoff steckte in halbhohen Wasserstiefeln, und der dicke, schwarze Ledergurt um die Hüfte wies tatsächlich eine große Lederscheide auf, in der ein Messer steckte. Ich staunte, als ich den Griff mit einem raschen Blick musterte. Hier stand auf einem Ewer-Frachtkahn mitten auf der Elbe ein Mann vor mir, der tatsächlich ein Bowiemesser am Gürtel trug! Etwas fassungslos drückte ich ihm nun die Hand, nachdem ich mit der Linken die Blätter entgegengenommen hatte.

»Eine tolle Reaktion, herzlichen Dank!«, sagte ich dazu, und der Bärtige schmunzelte erneut.

»Leider konnte ich nicht alles zugleich erwischen, weil auch ich dem Baum ausgewichen bin. Na ja, ärgerlich, aber hoffentlich nicht unwiederbringlich für Sie!«

»Karl Winter!«, stellte ich mich kurz und knapp vor, und der Bärtige drückte noch einmal kräftig zu. Ich muss sagen, der Mann hatte offenbar gelernt, zuzupacken, obwohl sich seine Hand nicht so rau anfühlte wie die eines Handwerkers oder Arbeiters. Und wenn jemand die Kraft einer Männerhand beurteilen konnte, dann war das wohl ich, der während seines ersten Aufenthaltes im Wilden Westen den Ehrennamen Old Shatterhand erhielt.

»Fred Miller!«, stellte sich der Bärtige vor. »Aus Dresden, unterwegs nach Hamburg und von dort weiter nach New Orleans. Ich schätze mal, dass wir den gleichen Weg vor uns haben?«

»Aber ja, so ist es! Wenn Sie aus Dresden sind, so wundere ich mich allerdings doch über ihren englischen Namen, Herr Miller!«, sagte ich und lud ihn ein, sich neben mir auf den Boden des Ewers zu hocken, was Miller auch ohne Weiteres tat.

»Na, das ist so eine Marotte von mir geworden, Herr Winter. Ich heiße eigentlich Friedrich mit Vornamen, aber habe mich durch meine zahlreichen Reisen schon so verenglischt, dass ich meinen deutschen Namen gar nicht mehr herausbringe.«

Er lachte vergnügt und deutete auf mein eingesammeltes Schreibset.

»So etwas habe ich auch immer bei mir, Herr Winter. Und Sie werden es kaum glauben, aber ich habe schon vor der Abfahrt des Kahnes einen umfangreichen Brief an meine Familie geschrieben und noch in Dresden auf die Post gegeben.«

»Sie führen ein Schreibset auf Reisen mit sich? Dann schreiben Sie unterwegs wohl Tagebuch oder ein Manuskript? Interessant. Und Sie reisen tatsächlich nach New Orleans ohne Ihre Familie?«

Erneut lachte Miller fröhlich auf.

»Meine Familie möchte ich nun um nichts in der Welt bei mir wissen. In Amerika erwartet mich ein so wildes und unstetes Leben, dass ich so etwas meiner Frau und den Kindern nicht zumuten darf. Nein, ich reise, weil ich reisen muss, und vor vielen Jahren war ich bereits in Nordamerika, habe zahlreiche Eindrücke gesammelt und muss nun endlich noch einmal hinüber, um mir selbst ein Bild von den dortigen Zuständen nach dem Bürgerkrieg zu machen.«

»Und darüber schreiben Sie dann? Für welche Zeitung, wenn ich fragen darf?«, erkundigte ich mich, denn meine Neugierde war geweckt. Ich hatte nicht erwartet, einen reisenden Kollegen hier zu treffen, und der Mann schien eine interessante Persönlichkeit zu sein. Dabei unterschied er sich schon in den ersten Minuten unserer Bekanntschaft auf angenehme Weise von vielen anderen Reisenden, die ich während meines ersten Aufenthaltes in Amerika erlebt hatte. Fred Miller war ruhig und zurückhaltend. Wenn er mir etwas von sich erzählte – und das tat er im weiteren Verlauf unserer gemeinsamen Reise sehr häufig – dann in einer sehr gelassenen Art. Miller hatte bereits ein sehr abenteuerliches Leben hinter sich, aber niemals hatte ich das Gefühl, dass er aufschnitt oder sich in den Vordergrund drängen wollte. Für mich waren aber seine Erfahrungen wichtig, und ich begann, seine Erzählungen geradezu in mich einzusaugen. Der Mann schien mir ein wandelndes Lexikon und zudem ein Reiseführer par excellence zu sein!

»Lassen Sie uns später in Ruhe weiter miteinander plaudern, Herr Winter!«, sagte meine neue Reisebekanntschaft. »Es sieht so aus, als käme da ein gewaltiges Gewitter hinter uns die Elbe herunter. Und der Ewerführer scheint in Meißen anlegen zu wollen. Da müssen wir auf unsere Sachen achten, denn dieses bunt zusammengewürfelte Volk ist doch offenbar so grün hinter den Ohren, dass es hilflos nach jedem Stück greift, das es für sein eigenes hält. Bis nachher an Land!«

Tatsächlich machte sich der Gehilfe des Kapitäns im Bug des Schiffes bereit, eine Leine hinüberzuwerfen, die an einem Steg von einem anderen aufgefangen und sogleich geschickt mit einem Eisenring verbunden wurde.

Kaum lag der Ewer fest, als auch die Leute schon begannen, alle auf die Landseite hinüber zu laufen. Damit kamen sie aber Kapitän Meier gerade recht. Er schrie sie auf barsche Weise an, und seine beiden Matrosen spannten Seile vom Mast zum Bootsrand, um die an Land drängenden Menschen in eine geregelte Bahn zu lenken. Vor allen Dingen ging es den Schiffern darum, den ohnehin schwer beladenen Kahn nicht noch durch die Menschenmenge einseitig zu belasten.

Kaum hatten die ersten mit ihren großen Reisetaschen oder auch Koffern das Land wieder betreten, als ein mächtiger Regen auf uns herunterprasselte und alle innerhalb von wenigen Minuten bis auf die Haut durchnässte.

Ich sah mich um, entdeckte in der Nähe meinen neuen Reisebekannten, der mir ein Zeichen gab und auf ein niedriges Gebäude deutete, auf das er zulief. Meine Reisetasche hatte ich mit einem Griff an mich gerissen und eilte ihm nun in großen Sätzen hinterher.

»Puh, was für ein Schietwetter!«, rief Miller aus, als wir die Tür zu dem Gastraum öffneten und in die trockene Stube eintraten. Wir suchten uns einen Platz in der Nähe des schlichten Holztresens, der die gesamte Breite der hinteren Wand einnahm. Überall standen bunte Flaschen und Gläser in Regalen, auf der Theke selbst befand sich ein großes Bierfass, aus dem offenbar direkt in die Gläser gezapft wurde.

Der rotgesichtige, beleibte Wirt eilte diensteifrig heran und erkundigte sich nach unseren Wünschen. Miller bestellte zwei Bier für uns, und ich musste lächeln. Das war doch alles noch so typisch deutsch! Der dunkle, ungelüftete Schankraum mit seinen langen Holztischen und Bänken, die sich jetzt rasch nacheinander durch unsere Mitreisenden füllten. Dazu der Wirt, der wie aus dem Bilderbuch für Gastwirte entstiegen schien, die Ärmel des etwas schmuddeligen Hemdes hoch aufgerollt, die Lederschürze vor dem unglaublich gewölbten Bauch, die Holzschuhe an den Füßen, mit denen er trotz seines Körperumfanges geschäftig hin und her eilte. Die Geräusche, die er mit den klobigen Schuhen auf dem Holzboden verursachte, verhallten bald in dem einsetzenden Lärm der anderen Gäste. Viele entledigten sich rasch ihrer nassen Kleidung und versuchten, sie irgendwie über die teilweise noch unbesetzten Tische und Bänke auszubreiten.

Schon gab es die ersten Streitigkeiten, und als zum Schluss die Bergleute hereinkamen, mussten alle die nassen Sachen wegräumen.

»Wie sollen wir denn jemals wieder trockene Sachen bekommen?«, murrte ein alter Mann. Aber der Wirt lächelte nur freundlich über sein feistes Gesicht, deutete auf die Tür und sagte: