Ingrid Haslinger
Erzherzogin Sophie
Eine Biografie nach den persönlichen Aufzeichnungen
der Mutter Kaiser Franz Josephs
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Schriftzug der Erzherzogin Sophie: Österreichisches Staatsarchiv
Grafische Gestaltung/Satz: Silvia Druml
Lektorat: Rainer Schöttle
Gesamtherstellung: CPI books GmbH, Leck
ISBN 978 3 7017 4542 5
Vorwort
Einleitung
Die Biedermeierprinzessin
Kindheit und Jugend
Die Vermählung
Erste Zeit am Wiener Hof
Die Wohnverhältnisse
Die ersehnten Kinder
Die Entwicklung der Söhne
Die Probleme der Erzieher
Das große Sorgenkind
Schicksalsjahre
Gewitterwolken
Die Revolution 1848
Die Mutter des Kaisers
Olmütz
Der junge Kaiser
Ischl
Die Heiraten der Söhne
Franz Joseph
Ferdinand Max und Karl Ludwig
Familienleben
Sophie und Sisi
Interessen
Persönliche Niederlagen
Krankheiten und letzte Jahre
Die letzte Erkrankung
ANHANG
Dokumente
I.
II. Briefstellen/Tagebuchstellen
III. Diverse Dokumente
IV.
V.
VI. Stammbäume
Bibliografie
Quellen
Literatur
Bildnachweis
Dankadresse
Anmerkungen
Vorwort
Einleitung
Die Biedermeierprinzessin
Erste Zeit am Wiener Hof
Schicksalsjahre
Die Mutter des Kaisers
Familienleben
Anhang
Als die Autorin vor vielen Jahren vom damaligen Chef des Hauses der ehemaligen kaiserlichen Familie, Dr. Otto von Habsburg (1912–2011), die Genehmigung erhielt, den Nachlass der Erzherzogin Sophie (1805–1872) zu bearbeiten, hatte sie keine genaue Vorstellung, worauf sie sich einließ. Die Einsicht in die schriftlichen Unterlagen förderte 32.000 Seiten des Nachlasses zutage, der aus zahlreichen Briefen Sophies an ihre Mutter, Königin Karoline von Bayern (1776–1841), über hundert Tagebüchern, die Sophie nach dem Tod ihrer Mutter bis zu ihrem eigenen Tod führte, dem Briefwechsel mit Erzherzog Ludwig, Sammlungen von Theaterzetteln, Zeitungsausschnitten, medizinischen Rezepten und persönlichen Notizen besteht. Während Sophie in ihren Briefen an die Mutter bis zu deren Tod einige Details von ihrem Leben am Wiener Hof preisgab, sind die Tagebücher, die sie bis 1872 führte, von ihrem Inhalt her unterschiedlich zu bewerten. Die handschriftlichen Unterlagen sind in sehr kleiner Schrift und kleinem Format abgefasst und großteils in französischer Sprache geschrieben. Nach Durchsicht des gesamten Nachlasses ist es erstmals möglich, Erzherzogin Sophie in ihrer Gesamtheit zu erfassen, ihren Tagesablauf kennenzulernen, sie im Zusammenhang mit ihrer neuen Familie zu sehen und ihre Sorgen nachzuvollziehen.
Die Archivalien zur Erzherzogin sind nicht vollständig; manches ist im Zweiten Weltkrieg zugrunde gegangen, manches unter Umständen noch in Familienbesitz. Es fehlen die wichtigen Briefe Sophies an ihre Schwester Ludovika bzw. deren Antworten sowie der Briefwechsel mit ihren in Sachsen verheirateten Schwestern Marie und Amelie. Auch Sophies Briefwechsel mit ihrem Gemahl Franz Karl ist nicht mehr erhalten.1
Das vorhandene Material ist aber von besonderem Interesse – insbesondere Sophies Briefe an ihre Schwester Elise in Berlin; in diesen Briefen äußerte sich die Erzherzogin zu manchen Themen viel offener als in ihren Tagebüchern. Überdies gab es das Archiv Kaiser Karl, dessen Inventar im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv noch vorhanden ist; der Verbleib des Archivs ist allerdings unbekannt. Darin befanden (befinden?) sich zahlreiche Briefe Sophies an ihre Söhne Ferdinand Max und Karl Ludwig.2
Hofsprache war im 19. Jahrhundert Französisch, die damals in Adelskreisen allgemein verwendete Sprache. Bei Zitaten aus Erzherzogin Sophies Tagebüchern wurden die im Original auf Französisch geschriebenen Passagen für die Zwecke der vorliegenden Publikation ins Deutsche übersetzt und kursiv hervorgehoben; jene Passagen oder Wörter, die im Original auf Deutsch geschrieben wurden, sind nicht kursiv zitiert. Schrieb die Erzherzogin ihrer Mutter, Königin Karoline, auf Deutsch, duzte sie ihre Mutter. In französischen Briefen verwendete sie das formellere vous. Erzherzogin Sophie setzte in ihren Mitteilungen und Eintragungen nur wenige Satzzeichen; diese wurden in der deutschen Übersetzung ergänzt.
Erzherzogin Sophie gehört wohl zu den umstrittensten Persönlichkeiten der österreichischen Geschichte. Als Mutter zweier Kaiser – des schon zu Lebzeiten zur Legende gewordenen Kaiser Franz Joseph (1830–1916) und des einem tragischen Schicksal zum Opfer gefallenen Ferdinand Max (1832–1867) – und als Schwiegermutter der zu ihrer Zeit angeblich schönsten Frau des 19. Jahrhunderts, Kaiserin Elisabeth (1837–1898), hatte sie lange Zeit unter sehr wenig differenzierter historischer Beurteilung zu leiden. Der oft als gute Mutter und böse Schwiegermutter bezeichneten Erzherzogin Sophie warf (und wirft) man Einmischung in die Politik und in die Ehe ihres ältesten Sohnes vor, die angeblich aus diesem Grund scheiterte. Doch Sophie kümmerte sich auch um die Ehen ihrer anderen Söhne und war insbesondere Karl Ludwig (1833–1896) eine Stütze, als dessen kranke zweite Frau Maria Annunziata (1843–1871) ihre Kinder zur Welt brachte. Allerdings lebten Maximilian und Charlotte sowie Karl Ludwig mit seiner Familie nie so auf Tuchfühlung mit der Mama wie Franz Joseph und Sisi. Dennoch trachtete Sophie stets, das junge Ehepaar so viel wie möglich allein zu lassen; dies war für Franz Joseph anfangs nicht leicht, da er sehr an der Mutter hing.
Sophie war 1824 an einen Hof gekommen, der in einer bewahrenden Haltung erstarrt war und jede Veränderung verabscheute. Sophie war konservativ und anerkannte die Monarchie als einzige Staatsform, konnte sich aber aufgrund ihrer Intelligenz und Belesenheit nicht der Tatsache verschließen, dass es Entwicklungen gab, denen man Rechnung tragen musste. Obwohl ihr Vater eine konstitutionelle Monarchie regierte, verstand sie Veränderungen niemals im liberalen Sinn: Die Untertanen sollten einigermaßen ihr Auskommen haben und stets in treuer Liebe und Dankbarkeit an der Dynastie hängen.
Sophie erkannte Kaiser Franz II. (I., 1768–1835), ihren Schwiegervater, als Garanten der Stabilität der Monarchie. Sein Tod bedeutete für sie – nicht nur menschlich – eine markante Zäsur. Doch die Erzherzogin war 1835 zu sehr mit ihren Kindern und mit der Erhaltung der Dynastie in der Linie des Kaisers (und ihres Gatten) beschäftigt. Erst die folgenden Jahre, die auf die Revolution 1848 zusteuerten, rissen sie stärker aus dem familiären Bereich heraus und ließen sie – zumindest im Hintergrund – politisch aktiv werden. Sie stand daraufhin ihrem Sohn, wann immer er sie brauchte, zur Seite und bewahrte sich sein Vertrauen, weil ihm niemand so nahestand wie seine Mutter. Auch in ganz privaten Dingen – wie etwa Eheproblemen – war Sophie Franz Josephs Ansprechpartner.
Das Leben der Erzherzogin war ständig von Problemen begleitet: Es begann mit ihrer anfänglichen Unfähigkeit, Kinder auszutragen, was sie jedoch glücklich überwand; ihre Schwangerschaften wurden ihr am Ende lästig. Der Tod des Kaisers im Jahr 1835 und ihrer einzigen Tochter Anna (geb. 1835) im Jahr 1840 überschatteten ihr familiäres Glück. 1848/49 schämte sich Sophie für Wien und ihre Wiener und begann die Ungarn zu hassen. Das Glück, ihren Sohn auf dem Thron zu sehen, wurde durch ihre Angst um seine Gesundheit geschmälert. Franz Joseph erwies sich politisch als glücklos – die Jahre 1859 und 1866 sowie die Entstehung des preußischen Kaiserreichs 1870 setzten der durch zahlreiche Fehlgeburten geschwächten Erzherzogin zu, die 1867 auch noch die standrechtliche Erschießung ihres Lieblingssohnes Max in Mexiko verarbeiten musste. In ihren letzten Jahren blieb Sophie zwar weiterhin an allen Ereignissen interessiert, zog sich aber mehr und mehr zurück.
»Es gereicht uns zu hohem Troste, daß wir die Überzeugung im Herzen tragen dürfen, in unserer bedrängten Lage und dem wahrhaft männlichen Geiste E.k.k.H.1 diejenige Stütze zu finden zu haben, die uns aufrecht erhält und hoffen läßt, welche uns der Drang der Zeitumstände gebieterisch vorschreibt.« So schrieb der Stellvertreter des Banus2 von Kroatien im Juli 1848 an Erzherzogin Sophie, als dieser für seine durch die Revolution erschütterte Provinz eine Million Gulden benötigte.
Im Juni 1848 berichtete Graf Bombelles, Franz Josephs Erzieher, aus Innsbruck an den exilierten Fürsten Metternich: »Ihre Briefe und Ihre Denkschriften, mein Fürst, enthalten die wertvollsten Ratschläge. Ich habe mich beeilt, sie der Erzherzogin Sophie mitzuteilen. Sie und unsere engelsgleiche Kaiserin sind eigentlich die einzigen mannhaften Wesen.«3 Erzherzogin Sophie ist eine Persönlichkeit, die aufgrund ihrer Bedeutung aus der österreichischen Geschichte nicht wegzudenken ist. Welche Eigenschaften waren für Sophie charakteristisch? Lässt sich ihr Wesen tatsächlich aus den eingangs angeführten Aussagen von Zeitgenossen ablesen? War sie wirklich der einzige Mann am Wiener Hof oder die heimliche Kaiserin, wie viele Historiker sie apostrophierten? Hat man bei ihrer oft harschen Beurteilung zu sehr das liebliche Bild der Kaiserin Elisabeth (1837–1898), ihrer Schwiegertochter und Nichte, die sich nicht um die eigene hohe Stellung kümmerte, mit Sophies Charakter kontrastiert und Sophie damit zur bösen Frau und Schwiegermutter gestempelt, die angeblich Sisis Leben und deren Ehe mit Franz Joseph zerstörte? – Sophies Persönlichkeit ist sehr schwer objektiv zu fassen, weil die Quellenlage zu ihrem Leben trotz ihres umfangreichen schriftlichen Nachlasses Probleme aufwirft.
Manches muss daher durch die Bemerkungen Außenstehender über Sophie erschlossen werden. Auch die vorhandenen Briefe sind zu relativieren, da man sich den allgemeinen Tratsch sehr gern schrieb – so wie man in diesen Kreisen gern Konversation machte. Überdies waren Personen des Hochadels, aber auch Angehörige des Kaiserhauses beim Briefeschreiben gewissen Konventionen verpflichtet. Noch dazu fürchtete man die Zensur des Metternichschen Systems, die Sophie bewusst war, und besprach heikle Themen – wenn möglich – mündlich. Im Mai 1830 ergab sich eine Gelegenheit für Sophie, dem Prinzen Wallenstein, der nach München fuhr, einen Brief an ihre Mutter mitzugeben: »… ich nütze diese gute Gelegenheit, um Ihnen offen zu schreiben …«, lautete die Einleitung des Briefes.4 Zum ersten Mal konnte sich Sophie ungeschminkt brieflich über den katastrophalen Gesundheitszustand ihres Schwagers, des Kronprinzen, äußern (Kaiser Franz wollte Sophie verbieten, ihn zu sehen und sein entstelltes, verzerrtes Gesicht zu bemerken; denn er fürchtete schlimme Folgen für Sophies fortgeschrittene Schwangerschaft5). Selbst Sophies dreizehnjähriger Sohn war schließlich über die Bespitzelungen bei Hof gut informiert: »Der junge Erzherzog Franz Joseph sagte, daß es in allen Ständen geheime Policey gebe; auch bei Hofe seien Leiblakaien dieser Kategorie. Die höchsten Herrschaften selbst seien genau überwacht; ihre Briefe werden eröffnet. Als ich ihn fragte, wer ihm dies gesagt hatte antwortete er: Die Mama.«6
Von großer Bedeutung für die Beurteilung Sophies sind die Briefe von Therese Landgräfin zu Fürstenberg (1839–1920) an ihre Schwestern, die 1865 mehr nolens als volens die Stelle als Hofdame bei der Erzherzogin annahm. Sie erlebte das Schicksal so mancher Tochter aus adeligem Hause, die zwar Heiratsanwärter hatten, deren Väter aber nicht über die ausreichenden Mittel verfügten, um sie mit einer entsprechenden Mitgift zu versehen. Für solche Mädchen gab es nur diese Möglichkeit oder den Weg ins Kloster. Obwohl Therese Sophie mit der Zeit schätzen lernte, war die Landgräfin doch sehr unglücklich in diesem Dienst, denn sie vermisste ihre Familie: »Ihr wißt, dß. ich nur dem Körper nach hier bin. Doch darüber will ich nichts mehr sagen, es ist geschehen! und allein das Bewußtsein erfüllter Pflicht könnte einem entschädigen, wenn auch nicht ersetzen, was man lassen mußte … Gott, wie gern wäre ich mit Mama davongelaufen! als sie weg war fühlte ich mich so schrecklich allein!«7
Interessant ist, was Gräfin Helene Erdödy über die Erzherzogin in ihren Erinnerungen schrieb – schließlich stammte auch sie aus Bayern8, und sie und ihre Familie waren dem bayerischen Königshaus immer nahe gewesen: »Klug, ja das ist das Wort, das so recht auf diese seltene Frau mit der imposanten Erscheinung und dem schlichten, herzlichen Wesen paßte! Verständig und vernünftig war jedes ihrer Worte … In unseren Gesprächen mit der Erzherzogin wurde so manches Thema, wie gemeinsame Jugenderinnerungen, Reisen, Kunst-, Mode- und Erziehungsfragen berührt – sehr interessante und auf Verstand, Auffassungsgabe und Charakter der hohen Frau nur günstige Rückschlüsse gestattende Unterhaltungsstunden! Politischen Themen wich sie aber aus, wo es nur anging und wußte es wohl, warum! … Nie in ihrem Leben, sagte sie, habe sie den Menschen Übles gewollt oder zugefügt, nie in ihrem ganzen Leben, und sich auch niemals in Dinge gemischt, die sie nichts angegangen. Um Rat oder ihre Meinung gefragt hätte sie wohl … nicht die Antwort verweigert …«9 Obwohl die Gräfin 1867 Palastdame von Kaiserin Elisabeth wurde, bewahrte sie sich offenbar trotz der charmanten neuen Herrin ihre Urteilsfähigkeit.
Man kann annehmen, dass die Erzherzogin bei ihren jährlichen Treffen mit ihrer Mutter bis 1830 auch über die Zustände am Wiener Hof bzw. über ihre neuen Verwandten sprach. Überdies gibt es noch Material zu Erzherzogin Sophie im Geheimen Hausarchiv in München, in den Archiven in Dresden und Berlin. Von besonderer Bedeutung sind jedoch die Geheimen Notizen des Paters Joseph Columbus10, die dieser zwischen 1843 und 1848 niedergeschrieben hat, sowie die Tagebücher der Erzieher der ersten drei Söhne.11 Sie geben ungeschminkt Aufschluss über die Probleme in der erzherzoglichen Familie mit den pubertierenden Söhnen, über die Konflikte und Intrigen ihrer Erzieher, über Sophies politische Ansichten, über ihr Zögern einzugreifen sowie über die absolute Untätigkeit ihres Gatten. Aufschluss über diese problematischen Jahre geben zusätzlich die Tagebücher des Grafen Coronini-Cronberg, in denen vor allem die Konflikte unter den Erziehern sowie deren Ablehnung Bombelles’ immer wieder zur Sprache kommen, ebenso wie die unentschlossene Haltung von Erzherzogin Sophie, die offenbar ganz unter dem Einfluss des »Franzoß« stand.12
Was hat insbesondere Sophie zur kaiserlichen Unperson abgestempelt? Es waren vor allem die Erinnerungen von Marie Gräfin Festetics (1839–1923), die ab Dezember 1870 Hofdame Kaiserin Elisabeths war. Sie erzählte dem Historiker Heinrich Friedjung (1851–1920) über ihre Jahre bei der Kaiserin und sparte nicht mit Kritik an Erzherzogin Sophie. Allerdings ist hier klar festzustellen, dass die Gräfin alles Negative an Sophie nur aus dem Mund der Kaiserin gehört haben konnte – denn sie selbst hatte die Erzherzogin kaum gekannt, die bereits im Frühjahr 1872 verstarb. Treu ihrer charmanten Herrin ergeben, nahm Gräfin Festetics alles für bare Münze, was ihr Sisi erzählte. Zahlreiche dieser Vorurteile werden im Folgenden widerlegt. Als Beispiel sei hier angeführt, dass Sophie ihrer Schwiegertochter immer wieder deren Liebe zum Zirkus angekreidet hätte. Doch die kaiserliche Familie liebte diese Unterhaltungen, auch die Brüder des Kaisers und Sophie gingen dorthin – und sogar der Kaiser selbst: »Der Kaiser, der im Zirkus gewesen ist.«13 Später berichtete Sophie immer wieder in ihren Tagebüchern, Franz Joseph hätte Sisi in den Zirkus geführt.
Sophies Einfluss auf Franz Joseph und die Politik vor 1848 ist aufgrund ihrer Aufzeichnungen schwer nachvollziehbar. Sie hatte engen Kontakt mit Erzherzog Ludwig (1784–1864), der mit Fürst Metternich (1773–1859) und Kolowrat14 den Staatsrat bildete. Der Staatsrat hatte auf Wunsch von Kaiser Franz II. (I., 1768–1835) die Regierungsgeschäfte für seinen Sohn Ferdinand I. (1793–1875) zu führen. In den Dreißigerjahren war Sophie vor allem um das Wohl und Wehe ihrer heiß ersehnten Kinder besorgt; solange der alte Kaiser lebte, gab es für sie ja keinen Grund, sich mit Politik zu beschäftigen. Der Geburt ihres Erstgeborenen Franz Joseph (1830–1916) waren zahlreiche Fehlgeburten vorangegangen, die die junge Erzherzogin an ihrer Hauptaufgabe – gesunde Söhne zu gebären – beinahe schon hatten verzweifeln lassen. Die Erziehung Franz Josephs durch Erzherzogin Sophie brachte einen Menschen hervor, der aus der mentalen Enge und der Unnahbarkeit, die aus dem ihm anerzogenen Verständnis eines Gottesgnadentums resultierten, nicht herausfand. Hierin lag neben ihren Aktivitäten im Jahr 1848 und dem damit verbundenen Thronwechsel im Dezember desselben Jahres wohl Sophies nachhaltigster Einfluss auf die Politik. Darüber hinaus förderte sie mit Nachdruck die starke Stellung der katholischen Kirche, was mit ihrer Ablehnung alles Constitutionellen und Liberalen schließlich in eine Richtung führte, die zum Untergang der Donaumonarchie beitrug – ein Umstand, den Sophie aufgrund ihrer tiefen Überzeugungen natürlich nicht voraussehen konnte.
Nur einmal – in den Dreißigerjahren – versuchte Sophie eine ihrer Ansicht nach inopportune Heirat vom Kaiserhaus abzuwenden, als der Herzog von Orléans gemeinsam mit seinem Bruder mit der Absicht nach Wien kam, Erzherzogin Maria Theresia (1816–1867), die Tochter Erzherzog Karls (1771–1847), zu heiraten.15 König Louis Philippe hatte diese Ehe für seinen Sohn ins Auge gefasst, um seine Stellung in Europa aufzuwerten. Der Vater des Mädchens stand diesem Plan nicht abgeneigt gegenüber – denn der junge Mann war klug, liebenswürdig und attraktiv. Doch schon vor der Ankunft der beiden Brüder versuchte Sophie, die junge Erzherzogin zu bearbeiten: »Mit Einverständnis der beiden Kaiserinnen und von Onkel Ludwig habe ich mit Therese gesprochen und sie gebeten, auf der Hut zu sein, denn niemals würde es dort Einstimmigkeit zu einer derartigen Verbindung geben.«16 Als der Herzog mit seinem Bruder nach Wien kam, dürfte Erzherzogin Maria Theresia sich sofort in ihn verliebt haben. Doch weder Fürst Metternich noch Erzherzog Ludwig (1784–1864) und schon gar nicht Erzherzogin Sophie war diese Verbindung recht. Sophie zerstörte mit ihren Intrigen aufgrund ihres Frankreichhasses vermutlich das Lebensglück der kleinen Erzherzogin. Sophie schirmte den Herzog von Orléans förmlich von ihrer Cousine ab. Sie beging zahlreiche Taktlosigkeiten, die die Prinzen auch bemerkten. Überdies sorgte die Erzherzogin dafür, dass die beiden während der Tafeln immer bei ihr und der Landgräfin Fürstenberg saßen. Schließlich konnte sich der Herzog von Orléans einer sarkastischen Bemerkung Sophie gegenüber nicht enthalten: »… in der Kutsche sagte mir der arme Knabe, es müsste mich ziemlich langweilen, dass er ständig an mich gekettet sei …«.17 Doch Sophie ignorierte diesen zarten Hinweis. Ein Dîner der beiden Brüder in der Weilburg bei Erzherzog Karl und seinen Kindern konnte sie allerdings nicht verhindern.
Als die beiden Prinzen schließlich unverrichteter Dinge Wien verließen, triumphierte Sophie und brachte die junge Therese mit einer weiteren Taktlosigkeit in Verlegenheit: »…ich sagte zu Therese, dass ich sehr wohl an sie gedacht und sehr bedauert hätte, als die Prinzen von Orléans in Baden waren – aber da sie sehr schüchtern oder verschlossen ist, war sie auf der Stelle zu verlegen und errötete so sehr, dass ich nicht wagte, fortzufahren – um so mehr, als uns ihr Vater folgte; aber ich rechne damit, dieses Thema ein anderes Mal anzuschneiden.«18 Sophie brachte die Kleine nicht nur in Verlegenheit, sie wollte sogar dieses Maria Theresia so unangenehme Thema wieder aufnehmen!
Im Gegenzug hob die Erzherzogin ständig die positiven Charakterzüge des Königs von Neapel (1810–1859) hervor, der kurz vorher verwitwet auf Brautschau nach Wien gekommen war. Der Monarch war für seine Fettleibigkeit und geistige Trägheit bekannt. Es erweckt beinahe den Eindruck, als müsste Sophie aufgrund ihrer Intrige gegen das junge Mädchen ihr christliches Gewissen beruhigen: »Der König von Neapel ist ganz heimisch in unserer Familie … er gewinnt immer mehr, er ist so perfekt natürlich, so höflich und freundlich und alles, was er sagt, beweist, dass er Geist und Urteilsvermögen hat.«19 Als Sophies Mutter, Königin Karoline, etwas anderes über den König berichtet wurde, geriet die Erzherzogin in hellste Aufregung: »Ich begreife nicht, wieso Julie Oettingen am König von Neapel eine unbedeutende Figur finden kann! Es ist wahr, er erinnert manchmal an seine Mutter, was nicht günstig ist – aber seine schönen Augen haben viel Ausdruck und er hat die Stirn … wie Napoleon … denn er ist so vollkommen einfach und natürlich … in unseren Augen ein großer Reiz, und es fehlen ihm weder Geist noch Urteilsvermögen – womit er erstaunt – immer sehr gerecht; wir fühlen uns in seiner Gesellschaft immer so vollkommen wohl im Unterschied zu den französischen Prinzen – bei welchen es nötig war, jedes Wort abzuwägen; es ist vielmehr der Herzog von Orléans, der eine unbedeutende Figur darstellt – trotz seiner schönen Augen … ich habe kaum Augen mit weniger Ausdruck gesehen als seine …«.20 Mit dieser Intrige machte Sophie das junge Mädchen tief unglücklich, das so ungern ihren Vater und ihre Geschwister verließ, um die sie sich seit dem frühen Tod der Mutter21 gekümmert hatte.22 Mit Überschwang berichtete Sophie ihrer Mutter immer wieder, welch ein Glück Maria Theresias Verheiratung mit dem König von Neapel doch sei.23
Ihre tiefe Religiosität – Sophie besuchte im Regelfall täglich die heilige Messe (manchmal mehrmals), las religiöse Schriften (vor allem l’année spirituelle24), ging nachmittags in den Segen und hatte über den Tag verteilt ihre regelmäßigen Gebetsstunden25 – bestärkte ihre konservative Haltung. Allerdings waren Zeitgenossen der Ansicht, dass die lebensfrohe Sophie, in deren Elternhaus die Religiosität nicht so sehr betont wurde, erst in Wien unter dem Einfluss von Kardinal Rauscher und Pater Columbus sowie Heinrich Bombelles ihre Ansichten änderte. Schließlich war die Erzherzogin manchmal sogar den Geistlichen zu bigott: »Die Erzherzogin Sophie sagte beim Unterrichte, daß sie bei Krankheit nicht dafür sei, daß man im Zimmer Meße lesen laße, – wo man so Vieles Weltliches thue; dasselbe habe sie dieser Tage vom hl. Salesius bestättigt gelesen, der einer Dame rieth, daß sie sich solle einschließen ins Meßopfer und nicht zu Hause. – Ich sagte, daß diese Reverenz eine gute Seite habe … aber auch andererseits das Verlangen nach einer Meße …«.26 Andererseits klagte Sophie immer wieder über die ihrer Ansicht nach übertriebene Frömmelei ihres Gemahls.27
Man kann der Erzherzogin sicher nicht ein gewisses Mitgefühl und Fürsorge für ärmere Bevölkerungsschichten absprechen – auch ihr Mann war karitativ tätig –, aber das Volk musste dankbar und unterwürfig bleiben. Sophie duldete im Interesse der Dynastie und des Bestandes der Monarchie kein Aufbegehren der Menschen. So war sie 1848 über ihre Wiener höchst empört.28 Wie im Erzhaus über die öffentliche Meinung und die Rechte der Bevölkerung im Allgemeinen gedacht wurde, charakterisiert augenfällig der Ausspruch, der angeblich von einer Erzherzogin (Sophie?) beim Ausbruch des Krieges 1859 gemacht wurde: »Ich weiß nicht, was es das Volk angeht, daß der Kaiser Krieg führt!«29 Sophie war, was ihre unmittelbare Umgebung anlangte, in keiner Weise an Ungehorsam oder Eigenmächtigkeit gewöhnt. Als eine ihrer Hofdamen die Erzherzogin um Beurlaubung bat, wurde ihr dies zwar genehmigt, aber man sah Sophie den Unmut über das Niedagewesene an.30
Die Erzherzogin ließ sich in ihrer Beurteilung der allgemeinen Lage häufig von Gefühlen lenken: Obwohl ihre Familie den Königstitel 1806 von Napoleon I. (1769–1821) erhalten hatte, hasste sie alles Französische. Sophies Mutter Karoline hegte eine unerfüllte Jugendliebe zu Louis Antoine Henri Bourbon, Herzog von Enghien (1772–1804). Napoleon ließ ihn 1804 von badischem Gebiet nach Frankreich verschleppen und dort erschießen. Karoline war tief getroffen, die europäischen Regierungen sprachen schlicht von Mord am Herzog.31 Als in Paris die Cholera ausbrach, konnte Sophie mit ihrer Schadenfreude nicht hinter dem Berg halten: »Gott möge mir vergeben, dass ich nicht böse bin, weil die Cholera in Paris regiert – aber es ist wahr, sie regiert mit Wut und sie bringt die verbrecherischen Franzosen zu Exzessen, dass einem die Haare zu Berge stehen – sie begehen Greueltaten, die den barbarischten Zeiten würdig wären.«32 Zu Schweden und Ungarn hatte Sophie ein ähnliches Verhältnis: Das erstere Land wählte Marschall Jean-Baptiste Bernadotte (1763–1844), einen der fähigsten Generäle bzw. Marschälle Napoleons, zum Kronprinzen.33 Die letzten Angehörigen der früheren Königsfamilie Wasa, mit denen Sophie verwandt war, mussten ins Exil.34 Die Abordnungen der Ungarn, wenn sie in ihren farbenfrohen, imposanten Uniformen bei ihrem Schwiegervater, dem Kaiser, erschienen, gefielen der Erzherzogin anfangs ungemein. Doch nach der Revolution 1848/49 und den Kämpfen mit den Ungarn hasste Sophie alles, was Ungarisch war, und betrat das Land nie wieder.
Sophie war 1848 sehr aktiv um ihren Erstgeborenen, der im Dezember desselben Jahres den Thron besteigen sollte. Anschließend bemühte sie sich um die Vermählung ihres Franzi. Doch die Wittelsbacherin Elisabeth brachte Probleme in das so harmonische Verhältnis zwischen Mutter und Sohn. Auch die anderen Söhne bescherten der Erzherzogin Sorgen: Ferdinand Max heiratete zwar standesgemäß eine Königstochter – Charlotte von Belgien (1840–1927) –, ließ sich aber auf das mexikanische Abenteuer ein und wurde 1867 standrechtlich erschossen. Diesen Schock überwand die Erzherzogin nicht mehr – sie zog sich bis zu ihrem Tod 1872 immer mehr von allem zurück. Erzherzog Karl Ludwig entpuppte sich als träger, erzkonservativer Mensch. Er enttäuschte seine Mutter zwar nicht, verlor aber sowohl seine erste als auch seine zweite Frau nach jeweils relativ kurzer Ehe.35 Die dritte Ehe ihres Sohnes erlebte Sophie nicht mehr.36 Der jüngste Sohn, Erzherzog Ludwig Viktor (1842–1919), entwickelte sich zum Sorgenkind, um dessen Zukunft Sophie große Angst hatte.
Prinzessin Friederike Sophie wurde als Tochter des 1806 von Napoleon I. zum ersten König von Bayern erhobenen Maximilian (I.) Joseph (1756–1825), Prinz von Pfalz-Zweibrücken, seit 1799 Kurfürst von Bayern, der später zur »Inkarnation des Biedermanns mit gesundem Menschenverstand« wurde, und seiner zweiten Gemahlin Karoline, geborene Prinzessin von Baden, geboren. Einer seiner Schwiegersöhne, der spätere König Johann von Sachsen, beschrieb Max folgendermaßen: »Überdem war mein guter Schwiegervater, wenn auch nicht irreligiös, doch zu viel Lebemann, um hierauf besonderes Gewicht zu legen, und jedenfalls nicht sehr kirchlich. Äußere Religionsübungen wurden daher nur sparsam getrieben.«1 Johann führte den großen Widerwillen seines Schwiegervaters gegen alles Liberale oder gar revolutionäre Wesen auf die Franzosenkriege und die Freundschaft, die Max mit den Bourbonen verband, zurück. Diese Haltung des ersten bayerischen Königs dürfte auch Sophie maßgeblich beeinflusst haben. Sophies Mutter wurde als ganz eigentümlicher Mensch beschrieben: Geistreich, milde und wohltätig, war sie zart besaitet und leicht verletzt oder beleidigt.2
In der Familie wurde Sophie liebevoll Fefe, Pifi, Pipi, Bibi, Fifi, Soph oder Sinpilfer3 genannt – was den herzlichen Umgang innerhalb der Familie zeigt. Sie war – wie ihre älteren Schwestern Elisabeth (1801–1873) und Amalie (1801–1877)4 – als Zwilling geboren. Sophies Zwillingsschwester war Marie (1805–1877), die 1833 mit Friedrich August (später II., König von Sachsen) vermählt wurde. 1808 wurde Prinzessin Louise (gest. 1892) geboren, die 1828 Herzog Max in Bayern (1808–1888) zum Mann nehmen musste – was sie ganz unglücklich machte – und Mutter der späteren Kaiserin Elisabeth von Österreich (1837–1898) war. Im Jahr 1810 folgte noch das Nesthäkchen Maximiliane Karoline, Nini oder Ni genannt, das zum Kummer der fünf Schwestern sehr früh starb (1821). Nini wurde nicht nur deshalb von der ganzen Familie so geliebt, weil sie die jüngste, sondern auch, weil sie seit ihrer Geburt nie ganz gesund war. Sie litt unter nässenden Flechten am Körper, musste ein Korsett tragen und hatte häufig heftige Kopfschmerzen. Deshalb kümmerten sich die Schwestern so rührend um sie. In ihren letzten beiden Lebensjahren verbesserte sich Ni’s Gesundheitszustand sichtlich, sodass ihr Tod 1821 von der Familie umso schmerzlicher aufgenommen wurde.5 In der Familie hinterließ sie eine riesige Lücke. Elise schrieb von einer ihrer Reisen nach Ninis Tod: »Mit welchem Gemisch von Freude und Schmerz kam ich wieder in die liebe schöne Gegend, wohin wir unser Engelsnichen nicht mehr zurückbrachten. Wenn ich denke wie Sie von da an so gesund nach Hause kam und daß Sie das Alles doch nicht retten konnte! Mir scheint immer jeder Stein, jeder Baum müßte mich nach Ihr fragen und Sie von uns zurückfordern. – Mit Zittern stieg ich also aus dem Wagen, der gute Papa schien gerührt als Er uns umarmte. Er mag wohl gefühlt haben was in uns vorging.«6 Im Juli 1821 schickte Max Joseph seine Frau und seine drei jüngsten Töchter zur Ablenkung in die Schweiz.7 Als Sophie schon lange in Wien verheiratet war, gedachte sie in den Briefen an ihre Mutter immer wieder des Todestags der geliebten kleinen Ni.
Der einzige Sohn König Max I. mit seiner zweiten Frau Karoline, Max Joseph Karl Friedrich (1801–1803), überlebte das Kindesalter nicht. Daher setzte man alle Hoffnungen in die weiteren Schwangerschaften der Gemahlin. Die Zwillinge 1801 (Amalie und Elise) wurden noch mit einiger Freude hingenommen. Doch die Geburt 1805 – erneut weibliche Zwillinge – löste Bestürzung aus. König Max nahm es nicht zu tragisch; er schrieb seinem Schwager nach der Niederkunft: »Geben Sie immerhin zu, dass es rühmlich ist, einen Schwager zu besitzen, der zweimal hintereinander Zwillinge zustande bringt. Es ist die notwendige Folge, wenn man unentwegt ein braves, geregeltes Leben geführt hat.«8 Doch Auguste9, eine Tochter aus Max’ erster Ehe, sah die Lage ganz anders: »Gestern ist die liebe Mama mit zwei Mädchen niedergekommen. Wir sind alle betrübt, obwohl die liebe Mama sich so gut befindet, als man es nur wünschen kann. Wir wollten zwei Söhne oder doch einen … Ich habe sie eben gesehen. Sie sieht gut aus, aber es thuet ihr auch leid, daß sie keinen Sohn hat.«10
Die Jugendzeit der fünf Prinzessinnen verlief heiter und ungezwungen. Am liebsten waren sie alle zusammen: in der Münchner Residenz, im Schloss Nymphenburg, in Baden, in Bruchsal etc. Wann immer sie getrennt waren, schrieben sie sich liebevolle Briefe. Aber auch ihre Mutter, die sich oft im Ausland aufhielt, schrieb zärtliche Briefe an ihre Mädchen. Aus Mailand lobte sie die zweijährige (!) Sophie: »Tausend Dank mein gutes Sophiechen für Deinen schönen Brief. Ich wünsche recht sehnlich Dich bald wieder zu sehen!«11 Im Winter erfreuten sich die Prinzessinnen an Schneeballschlachten in Nymphenburg12, bei Abwesenheit ihrer Eltern tollten sie im Appartement ihrer Mutter in der Münchner Residenz herum13 und hielten sich bei Schönwetter, wann immer es möglich war, in der freien Natur auf. Besonders schwer fiel den Mädchen die Abwesenheit der Eltern während des Wiener Kongresses (1814/15). Bereits im November 1814 riss der kleinen Sophie die Geduld, und sie schrieb recht gekränkt an ihre Mutter: »Es ist derzeit ein wenig zu heftig, schon seit zwei Monaten habe ich nicht die Freude gehabt, Sie zu sehen und zu umarmen. Das trifft mich so sehr, dass ich heiße Tränen vergießen könnte. Sagen Sie den Kaisern und Königen aber, dass sie sich ein wenig beeilen, ihre Angelegenheiten zu Ende zu bringen, um den armen Waisenmädchen ihre Eltern zurückzugeben, die ihren kleinen Herzen so teuer sind.«14 Doch die Prinzessinnen mussten sich noch bis Ende Jänner 1815 gedulden. Da beschloss Königin Karoline, nach München zu ihren Mädchen zurückzukehren. Der in Wien zurückbleibende König Max beklagte sein Schicksal, noch weiter fernbleiben zu müssen und seine Familie zu entbehren.15 Die Kinder freuten sich über alle Maßen: »… Die Nini hat eine unbeschreibliche Freude, als man ihr sagte, daß die Mama bald wieder käme, sie hüpfte im Zimmer herum wie ein Hirschchen und war vor Vergnügen außer sich …«.16 Ihren fünf Schwestern erging es nicht anders. Allerdings waren die Nachrichten, die Königin Karoline während der Kongresszeit aus Wien an die Töchter daheim schickte, besonders interessant. Sophie skandalisierte sich über das so schmutzige Wien, wo sie jedoch lieber mit ihrer Mutter gewesen wäre, »als ohne Dich in dem reinlichen München«.17 Und vierzehn Tage später berichtete Nini von einem Brief der Mutter, in dem diese ihr mitteilte, dass sie in Wien Goldbären, die im Wasser planschten, und Elephanten gesehen hätte.18
Als Königin Karoline im Herbst 1815 wieder längere Zeit von München abwesend war, schrieb ihr Sophie über ihren Tagesablauf: »Ich gehe nun zu meiner Tagsbeschreibung über. Gestern Morgens lernten wir von 8 bis 12 Uhr, während die Rotberg die Güte hatte, unsere Maskerade zuzurichten. Um 12 Uhr gingen wir zum Niechen. Und denke Dir! welche Freude wir da hatten? von ihren Fenstern aus sahen wir die Relais vorübergehn, die unsern lieben Papa abholen sollen … Nach dem Essen gingen wir spazieren, aber der Regen jagte uns wieder nach Hause. Pünkt. 3 Uhr gingen die Lehrstunden wieder an und dauerten bis 6 Uhr. Dann begaben wir uns zu den Schwestern, und goutirten19, und spielten bis 7 Uhr. Von 7 bis 8 Uhr schrieben wir … Um 8 Uhr gingen wir zu Niechen, und spielten mit ihr, hierauf zu Tische, dann zu Bette und damit schließt sich auch meine Tagsgeschichte.«20
Die Prinzessinnen erhielten in München eine gute, solide Erziehung und Ausbildung. Sophies Lehrer war der Altphilologe Wilhelm Thiersch (1784–1860), mit dem sie weiterhin in Briefkontakt blieb.21 Auch die katholische Religion wurde im Unterricht hervorgehoben, denn Königin Karoline war Protestantin. Doch Sophie wurde davon nur wenig beeinflusst und erst viel später unter Wiener Einfluss zu einer bigotten Frau, die mit den Jesuiten sympathisierte und jegliche Niederlage der katholischen Konservativen mit größtem Schmerz verzeichnete. In der bayerischen Königsfamilie war die Religion allerdings kaum präsent, Gespräche über solche Themen waren nicht üblich.22 Professor Siber brachte Sophie Physik bei, und für das Französische war bei den Prinzessinnen Herr Belleville verantwortlich.23
Das Königspaar kümmerte sich – trotz vieler Repräsentationspflichten – rührend um die Kinder. Man machte Ausflüge, ging in den Parks der Schlösser spazieren, fütterte die Schwäne im Englischen Garten und besuchte ganz leutselig kleine Ortschaften der jeweiligen Umgebung.24 Als die kleinen Prinzessinnen vier Jahre alt waren, begann man, sie ins Theater zu führen. Dies bewirkte bei Sophie ein besonderes Interesse am Theater, aber auch an Konzerten und sogenannten tableaux. Letztere waren Darstellungen nach Gemälden oder historische Szenen, häufig nach Bildern berühmter Maler, die von Adeligen oder Angehörigen der herrschenden Familie in historischen Kostümen einem adeligen Publikum vorgeführt wurden. Sophie setzte diese Tradition in Wien fort. Als Königin Karoline 1817 mit ihrem Gatten und den Töchtern Louise und Ni wieder in Wien war, schickte sie Sophie Theaterzettel: »Hier schicke ich Dir wieder einen Comödien-Zettl liebe Sophie – alle diese Tage habe ich allerliebste ballets gesehen besonders gestern die Hochzeit der Tetis und des Peleus – auch die Pagen des Herzogs von Vendôme sind charmant – alles übrige von Schauspielern und deutscher Oper ist recht langweilig.«25
Das bayerische Königspaar war oft in seinem Land unterwegs, nahm aber nicht immer alle sechs/fünf Mädchen mit. Von Reisen ohne Sophie sandte ihr Königin Karoline immer genaue Beschreibungen der Leute, mit denen sie zusammenkamen, dass ihr Mann abends oft Whist spielte und dass sie aufgrund der zahlreichen gesellschaftlichen Verpflichtungen kaum Zeit hatte, ihren daheimgebliebenen Töchtern Briefe zu schreiben.26 Wie unbeschwert und naturnah die Kinder König Max I. Joseph aufwuchsen, zeigt eine Stelle aus einem Brief von Prinzessin Amalie an Sophie: »Wenn ich Dir erzähle, wo wir einen Nachmittag waren, wirst Du gewiß lachen: Wir wollten nach einem kleinen Schlösschen, ohnweit Baden, gehen; doch als wir in ein Dorf kamen, fing es an zu regnen, und wir waren gezwungen uns in eine Scheune zu flüchten. Da kam eine alte Bauernfrau, die uns einlud mit ihr in die Stube zu gehen, und da es immer stärker regnete, so folgten wir ihrer Einladung, in der Hoffnung, es würde bald aufhören. Als wir hineinkamen, fanden wir alles sehr reinlich; sie sagte uns auch sie habe vier Kühe und ein Kälbchen. Wir baten sie uns Milch zu bringen, die wirklich recht gut war, ebenso die Butter … Sie hatten ein junges weißes Kätzchen, das Dir gewiß auch gefallen hätte, und das wir in die Hand nahmen, ohne daß es uns was that. Aber als der Regen schon aufgehört hatte, es aber, wegen dem vielen Koth, unmöglich war zu Fuß nach Hause zu gehen, lief das älteste Mädchen nach der Stadt, um einen Wagen zu holen …«.27 Als Sophie und Elise wieder einmal getrennt waren, schrieb Elise an die jüngere Schwester: »Es freut mich recht, daß Du mich noch liebst, und ich hoffe Du wirst es immer thun. Dein liebes Briefchen hat mir recht viel Freude gemacht und ich wünsche daß der meinige Dir so viel Vergnügen macht als dieser von Dir mir gemacht hat. Wie geht es dem lieben Louischen, sage ihr viel schönes. Lebe wohl und vergiß nicht Deine Dich zärtlich liebende Elise.«28 Zahlreiche Briefe dieser Art unter den Geschwistern haben sich erhalten und zeugen vom innigen Familienleben am Münchner Hof.
Die Kindheit der Mädchen war unbeschwert und angefüllt mit Fantasie; sie liebten ihre kindlichen Unterhaltungen: »Wir spielten oft, wenn es nicht zu frisch ist, ballen [Ballspiele], auf dem Balkon. Da geschieht es dann hie und da, daß der liebe Mr Kakadu, wie ich meinen Ballen jetzt nenne, hinunterfällt … Wir haben uns auch recht schöne Titel gegeben. Amelie hat den Titel, Generalin Pagode chinoise erhalten, Cecile29 Generalin Stöpsel und ich gar den Schönsten Generalin Confusibus. Nun Adieu, liebe Pifi, ich küsse der guten Mama die Hand … Deine Dich herzlich liebende Schwester Wusibibeln.«30 Selbst Kaiserin Karoline Auguste31 belegte ihre Stiefschwestern mit Kosenamen. So bezeichnete sie Sophie als ihre Exgoldmaus und deren Zwillingsschwester Marie als Exmäuschen.32 Die Kaiserin schickte ihren Stiefschwestern auch immer wieder hübsche Kleider aus Wien. Sophie entwickelte sich zu einer lebhaften Frohnatur. Ein Charakteristikum aus ihrer Kindheit blieb ihr auch als junge Frau erhalten: Sie hielt sich die Ohren zu, wenn ihr jemand etwas erzählte und sie fürchtete, etwas Unangenehmes zu hören.«33
Waren die Eheleute getrennt, so berichtete jener Teil, bei dem die Kinder waren, pünktlichst, wie es ihnen ging. Königin Karoline schickte ihrem Gemahl die Briefe ihrer Töchter nach, die sich schon sehr früh bemühten, selbstständig zu schreiben: »Hier sind die Briefe von Sophie und Marie, die sie selbst entworfen und geschrieben haben, was Du leicht sehen wirst.«34 Die Zwillingsschwestern waren zu dem Zeitpunkt fünf Jahre alt. Die Mädchen freuten sich sehr, wenn sie glaubten, von den Eltern Geschenke erhoffen zu können, »besonders Sophie, die, wie Du weißt, es sehr liebt, beschenkt zu werden«.35 Und eine Woche später schrieb Karoline: »Gestern war Sophie sehr mit dem Gedanken beschäftigt, was ihr wohl der Papa mitbringen würde.«36 Die Königin berichtete ihrem Gemahl, dass Sophie davon träumte, er käme zurück, und dass die kleine Louise, nachdem sie zum ersten Mal Bier gekostet hatte, kaum vom Trinken abgehalten werden konnte.37 Karoline schrieb ihm von den fröhlichen Ballspielen der Mädchen, von ihren Abenden mit ihnen im Garten und dass die Küsse, die sie vom Papa an sie weitergab, von den Töchtern gracieusement in Empfang genommen wurden.38 Die Mädchen erzählten der Mutter immer, was sie den Tag über getrieben hatten. Jede geschwollene Backe wurde erwähnt; und als sich Sophie einen ihrer ersten Zähne ziehen ließ, schenkte ihr die Mutter eine Goldkette, ein gesticktes Ridicule39 und eine Nadel mit dem Porträt ihres Vaters.40 Sophie und Marie waren trotz der großen Kinderschar die Lieblinge ihres königlichen Vaters. Karoline berichtete über ihren Gatten: »Er liebt es, einen Teil des Abends mit meinen Kleinen zu verbringen; besonders Sophie und Marie machen ihm Spaß, er liebt sie am meisten. Wenn sie zu Bett gehen, ist es aus.«41
Im Jahr 1820 erkrankte Sophie ziemlich schwer. Sie hatte ein entzündetes Bein und arge Magenprobleme. Über diese Krankheit berichtete Königin Karoline ihrem Gemahl in jedem Brief42; sie war in großer Sorge, war doch Sophies Leben bisher mit Ausnahme von Husten, Schnupfen und kleinerem Unwohlsein gesundheitlich unspektakulär verlaufen. Sophie, die gerne aß, war nun auf Diät gesetzt und froh, wenn sie wenigstens ein Kompott erhielt; sie durfte mit dem kranken Bein auch nicht aufstehen und konnte keine Ausfahrten machen. Als sie endlich Gerstenschleimsuppe, Spargel und Apfelkompott zu essen bekam, war sie ganz glücklich.43 Und am 1. Juli 1820 konnte die glückliche Mutter ihrem Gemahl melden, dass Sophie wieder dieselben Speisen essen durfte, die auch ihre Schwestern zum Dîner erhielten.44
Kaiser Franz II. (I., 1768–1835) hatte alle seine Nachkommen aus der Ehe mit seiner zweiten Frau, Maria Theresia (1772–1807)45, der Tochter König Ferdinands I. beider Sizilien. Von den zwölf Kindern, die Maria Theresia ihrem Gemahl in sechzehn Jahren Ehe schenkte, überlebten nur zwei Knaben – Kronprinz Ferdinand (1793–1875) und sein um neun Jahre jüngerer Bruder Erzherzog Franz Karl (1802–1878) – sowie vier Mädchen das Kindesalter. In den Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts war Ferdinands Gesundheit besonders labil. Der Kaiser fürchtete daher um die Nachkommenschaft in seiner Linie und forcierte deshalb eine Eheschließung Franz Karls, um vielleicht doch noch vom jüngeren Sohn die erwünschten Enkelkinder – vorzugsweise Söhne – zu erhalten.
Die Gesundheit Franz Karls war zwar stabiler, aber als Zweiundzwanzigjähriger zeigte er sich – wie aus seinen Briefen hervorgeht – noch als sehr einfacher junger Mensch. Im Mai 1824 schrieb er treuherzig an seinen Vater: »Ich habe Ihrer gütigen Erlaubniß zu folge vom Tage Ihrer Abreise an, täglich, mit Ausnahme eines Tages, an dem wir alle beym guten Bruder Ferdinand speisten, bey der guten Schwester Marie46 gespeiset, und bin täglich mit ihr in den Prater gefahren, und ins Theater gegangen. Wir waren immer fröhlich, vorzüglich Sonntags, wo Bruder Ferdinand und der Herzog von Reichstadt daselbst speisten …«.47 Zu jener Zeit war schon allgemein bekannt, dass sich der jüngere Kaisersohn mit der bayerischen Königstochter Sophie verloben sollte. Der ursprüngliche Plan lautete jedoch, dass erst Elise Ferdinand48, später Sophie Franz Karl zu heiraten hätte.
Jedenfalls sprach Sophie später davon, dass es bereits ein solches Projekt gab, als sie ungefähr zehn Jahre alt war. Denn die Beziehungen zwischen Österreich und Bayern waren denkbar schlecht. Metternich schrieb während des Wiener Kongresses (1814/15): »Die Fragen, welche gegenwärtig in den Verhandlungen stehen, sind zwischen Österreich und Bayern seit 1813 auf dem Tapet; ganz Europa hat in der Zwischenzeit Mittel gefunden, sich über die verwickeltsten Gegenstände zu vereinigen, und zum allgemeinen Scandal streiten heute noch 2 Mächte, deren Interesse so viele Berührungspunkte darbiethet, über Fragen, welche wie die Sachen stehen, auf blosse elende Rechnungs-Spitzfindigkeiten hinauslaufen … Graf Mongelas findet nun eine Gelegenheit den politischen Gang seines Hofes wieder in die Gränzen zurückzuführen, aus welchen sie der militärische Schwindel des Marschalls Wrede gerissen hat … Jetzt ist aber sicher keine Zeit zu verlieren, denn jeder Tag der Spannung entfernt Österreich und Bayern auf eine schwer zu berechnende Weise von einander.«49
Bis zu seiner Abreise über Salzburg nach Tegernsee freute sich Franz Karl auf den »Ort meiner Bestimmung«.50 Im Zeremonial-Protokoll kann man über Franz Karls Werbefahrt Folgendes lesen: »26. Mai um 5 ½ Uhr früh haben Se. kk. Hoheit Sich mit dem kk. Haus-, Hof- und Staatskanzler Fürsten von Metternich, von Salzburg nach Tegernsee, in Bayern, begeben, um die in Folge des zwischen Sr. Majestät dem Kaiser und Sr. Majestät dem Könige von Baiern zu Stande gebrachten freundschaftlichen Übereinkomens bei beiden königlichen Majestäten persönlich um die Hand der königlichen Prinzessin Friederike Sophie Dorothee Wilhelmine zu werben.«51 Fürst Metternich war dem Prinzen beigegeben worden, um Peinlichkeiten vorzubeugen. Denn bei den Mitgliedern der kaiserlichen Familie machte sich ein schreiender Ton bemerkbar, in den sie bei Verlegenheit verfielen und der auf Uneingeweihte eigenartig wirkte. Ebenso in Tegernsee anwesend war Sophies Schwager Johann von Sachsen, der sich über den Besuch Franz Karls gar nicht freute: »Doch wurde ich dieses Aufenthalts nicht so recht froh, weil durch die bald darauf erfolgte Ankunft des Erzherzogs Franz Carl die Existenz mehrfach gestört und ermüdend gemacht wurde. Das längst verabredete Heiratsproject des Erzherzogs mit meiner Schwägerin Sophie war der Grund dieses Besuchs; da konnte es nun nicht fehlen, daß sein wenig empfehlendes Äußeres und seine im Ganzen wenig versprechende Persönlichkeit keinen günstigen Eindruck und namentlich auf die nächstbetroffene Person hervorbrachten.«52 Der sächsische Prinz schätzte die Lage und Sophies Gefühle richtig ein.
Erzherzog Franz Karl war offenbar von den Eheplänen, die für ihn entwickelt worden waren, sehr angetan und ließ sich radikal verschönern, da sein Äußeres generell vernachlässigt war. Ein Bruder des Kaisers, Erzherzog Ludwig (1784–1864), mokierte sich sichtlich ein wenig über die Metamorphose seines Neffen. An seine Nichte Marie Louise53 in Parma schrieb er recht launig: »Vor der Hand ist der Franz durch den berühmtesten hiesigen Friseur und Schneider, so modernisirt worden daß Sie ihn gar nicht erkennen würden. Dies hat aber auch wirklich Noth gethan …«.54 Erzherzog Ludwig hegte große Befürchtungen, wie sich Franz Karl beim ersten Treffen mit seiner ihm zugedachten Braut benehmen würde. Er wäre gern dabei gewesen, um seinen Neffen beobachten zu können: »Ich muß gestehen daß ich … gern incognito dabey seyn möchte um zu sehen wie der Franz sich dabey benimmt. Ich habe ihm die schönsten Lehren vor seiner Abreise gegeben.«55 Doch wenige Tage später war der Erzherzog ganz beruhigt – es hatte alles geklappt: »Der Franz soll sich in Tegernsee sehr gut benommen haben. Alles ist dort in Richtigkeit. Man sagt die Trauung soll schon im September statt finden.«56