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ISBN: 978-3-218-01050-4
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Typografische Gestaltung und Satz: Sophie Gudenus, Wien
Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien
Vorwort
In guten und in schlechten Zeiten
Trennung, scheibchenweise
Die Wucht der Rosenkriege
Besitzstörungsklage
Das ungleichschenkelige Dreieck
Die „schlagende Verbindung“
Frauensachen
Die belanglose Trennung
Danksagung
Literatur
Allen, die es überlebt haben:
„Die Zeit heilt nicht alles;
aber sie rückt vielleicht das Unheilbare
aus dem Mittelpunkt.“
LUDWIG MARCUSE
Obwohl mir in meinem beruflichen Leben, in der forensischen Psychiatrie, immer wieder dramatische Trennungsgeschichten begegnen, Geschichten, in denen wie in einem Brennglas alle menschlichen Emotionen fokussiert und hochexplosiv wirksam werden, waren es nicht diese Trennungstragödien, die mich dazu gebracht haben, mich intensiver mit dem Thema zu befassen. Es ist ein Privileg meines Berufs, dass ich neugierig sein kann und neugierig sein muss, um nachvollziehen zu können, was in Menschen vorgeht. Bei fast allen, mit denen ich bisher zu tun hatte, fand sich in der Biografie irgendeine Trennung, die relativ unspektakulär (jedenfalls ohne strafrechtliche Relevanz) verlaufen war, und fast keiner bewertete diese Trennung als eine positive Erfahrung. Weit häufiger war das vorherrschende Gefühl Bedauern oder auch Trauer, und bisweilen war da auch die Erkenntnis, dass der eigene Beitrag zur Trennung rückblickend ein Fehler gewesen war. Auf Nachfragen, was denn eigentlich der Grund für die Auflösung der Beziehung gewesen sei, kam in einer Vielzahl der Fälle die Antwort, „wir haben uns auseinandergelebt“. Beim Versuch, diese wenig aufschlussreiche Aussage näher zu hinterfragen, kam häufig nichts. Oft konnten die Betroffenen selbst nicht mehr nachvollziehen, was denn eigentlich an der Partnerschaft so störend oder belastend gewesen war, dass damals eine Trennung die bessere Alternative zu sein schien.
Das war verblüffend. Auseinandergelebt? Da teilte man oft jahrelang Wohnung, Tisch, Bett und Konto, und dann lebte man sich sozusagen nebeneinander auseinander?
T.H. Holmes und R.H. Rahe erstellten 1967 eine Skala, in der 43 Lebensereignisse aufgelistet waren. Die sogenannte SRRS (Social Readjustment Rating Scale) beinhaltete sowohl negative als auch positive Ereignisse (denen jeweils ein gewisser Punktewert zugeordnet wurde), gemeinsam war ihnen nur, dass sie dem Betroffenen eine höhere Anpassungsleistung abverlangten. Die dahinter stehende Annahme war, dass ein gewisses Maß an Anpassungsleistung normalerweise verkraftbar ist, dass aber ein Überschreiten von 100 Punkten in einem Jahr das Risiko sowohl für somatische als auch für psychische Erkrankungen deutlich erhöht, was sich in einer empirischen Untersuchung auch bestätigte. Auf dieser Skala wurde der Tod des Partners mit 100 Punkten bewertet, eine Scheidung mit 73 und eine Trennung mit 65 (zum Vergleich: Eine Inhaftierung brachte 63 Punkte, Unfall oder Krankheit 53 und fristlose Entlassung und Arbeitslosigkeit 47; ein Wohnungswechsel zählte 20 Punkte, Weihnachten schaffte es mit 12 Punkten immerhin auf den vorletzten Platz).
Die Life-Event-Forschung hat seither bestätigt, dass Trennungen zu den wesentlichsten Belastungsfaktoren zählen, wobei der trennungsunwillige Partner durch die Trennung stärker mitgenommen wird als der aktiv betreibende. Unstrittig ist, dass der Verlust einer emotionalen Bindung das belastendste Lebensereignis darstellt (major life event): „Bereavement or other losses of attachment have been found to be the main types of stressful life events, and in addition to being in itself a stressfull event, it involves a loss of primary source of social support, thereby leaving the individual doubly vulnerable.“ (Henderson & Argyle 1985)
Relativiert hat sich das Verhältnis von „schicksalhafter Trennung durch den Tod“ und „selbst herbeigeführter Trennung“: So wie auch das Traumatisierungspotenzial von Ereignissen dann höher ist, wenn es sich nicht um schicksalhafte, höheren Mächten zuzuschreibende Begebenheiten handelt, sondern wenn man einen gezielt-intentionalen, bösartigen Angriff erleidet, so scheint auch eine absichtlich herbeigeführte Trennung, in der man sich womöglich auch noch ohnmächtig-ausgeliefert fühlt, schwerer zu verkraften als der schicksalhafte Tod des Partners. Das hat mehrere Ursachen. Zum einen verlaufen Trennungen selten gänzlich konfliktfrei und das Gefühl, Unrecht erlitten zu haben, verliert sich nicht automatisch mit der Beendigung der gelebten Beziehung. Zum anderen ist der vormalige Partner ja noch „in der Welt“ und rein theoretisch verfügbar, sodass die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung (ebenfalls theoretisch) keine unmögliche ist, bzw. es trägt zumindest einer die Verantwortung für das Geschehen, und manche tragen daran schwer.
Es herrscht also Einigkeit darüber, dass eine Trennung nicht unbedingt zu den vorteilhaftesten Lebenserfahrungen zählt. Faktisch ist eine Trennung immer ein „Tatort“, an dem manche Menschen in Verzweiflung gestürzt, manche in lebenslange Verbitterung getrieben und die meisten mit einer Erschütterung ihrer bisherigen Selbstdefinition konfrontiert werden. Umso erstaunlicher scheint es, dass fast jeder in seinem biografischen Verlauf mit dieser Erfahrung Bekanntschaft macht, sie bisweilen auch selbst herbeiführt und vielleicht nachher nicht einmal nachvollziehbare Gründe dafür angeben kann.
All our troubles, says somebody wise, come upon us because we cannot be alone. And that is all very well. We must all be able to be alone, otherwise we are just victims. But when we are able to be alone, then we realize that the only thing to do is to start a new relationship with another – or even the same – human being. That people should all be stuck up apart, like
so many telegraph poles, is nonsense.
D.H. LAWRENCE
Alles Ungemach – so sagt ein Weiser – kommt nur über uns, weil wir nicht alleine sein können. Und das ist auch ganz gut so. Wir müssen alle fähig sein zum Alleinsein, sonst sind wir nur Opfer. Aber wenn wir dann dazu fähig sind, bemerken wir, dass es das einzig Wahre ist, eine neue Beziehung mit einem anderen – oder sogar mit demselben – Menschen einzugehen. Dass Menschen wie Telegrafenmasten in Distanz zueinander in der Landschaft herumstehen sollten, ist Unsinn.
D.H. LAWRENCE
One is constantly struck by the number of
happy marriages and unhappy people.
W.H. AUDEN
Da einer Trennung eine Beziehung vorangehen muss und da es nahe liegt, dass Trennung viel mit unerfüllten, enttäuschten Erwartungen zu tun hat, scheint es unumgänglich, sich mit den gängigen Beziehungskonzepten zu beschäftigen.
In unserer Kultur war umfassend gelebte Beziehung in gesellschaftlich akzeptierter Form lange Zeit nur in einem gesellschaftlich abgesegneten Rahmen möglich, der durch die Eheschließung begründet wurde. Die auch heute noch angewandte Trauungsformel ist in ihren Grundzügen schon seit 1139 etabliert, der Wortstamm von Ehe verweist auf „Sitte, Recht, Dauer, Ewigkeit“. Von Liebe keine Spur, wie dies auch heute noch zumindest formal gilt: „Das Gesetz regelt die Ehe, und da steht von der Liebe kein Wort.“ (Helene Klaar, Scheidungsanwältin) Allerdings war es auch mit der Dauer bzw. der Ewigkeit lange Zeit nicht weit her, die Lebenserwartung war deutlich kürzer: Dass das Gebären eines Kindes bis vor gar nicht so langer Zeit ein lebensbedrohliches Ereignis war (und Verhütung nicht existent), haben wir heute großteils vergessen, aber auch sonst waren die alltäglichen Risiken wesentlich höher als heute (trotz Terror und Amok unserer Tage), von schwerer körperlicher Arbeit und fatalen Krankheiten ganz zu schweigen. Man hatte also deutlich weniger Zeit, seine Eheschließung zu bereuen, Selbstverwirklichung war schon gar kein Thema und die Erwartung insgesamt weit pragmatischer.
Ursprünglich dürfte die Ehe ein Vertrag gewesen sein, der zwei Sippen in einem Bündnis vereinte und damit die Überlebenschancen beider vergrößerte. Richard Wagner lässt den Riesen Fasolt in „Rheingold“ erklären: „Was du bist, bist du nur durch Verträge.“ So oder zumindest so ähnlich wird wohl auch das Selbstverständnis der Ehepartner gewesen sein, die durch ihre Verbindung einen Dienst aneinander und an der Gemeinschaft erbrachten und außerdem den Fortbestand der Familien sicherten. Wenn sie sich sympathisch fanden, war es sicher kein Nachteil, wenn nicht, konnte man vermutlich damit leben: Die Wirkungsbereiche beider Geschlechter waren streng definiert und wiesen wenige Überschneidungen auf, man konnte sich also relativ gut aus dem Weg gehen. Wesentlich beeinflusst wurde das Eheverständnis durch das Christentum. Monogamie und Unauflöslichkeit waren nunmehr höhere Pflicht, ebenso wie die Zeugung von Kindern. Die Ehe wurde als Sakrament definiert, ab dem 12. Jahrhundert war nur mehr die kirchliche Eheschließung gültig (was sich aus Sicht der Kirche bis heute nicht verändert hat).
Im frühen Mittelalter, das gar kein so finsteres Zeitalter war, wie man glauben möchte (zumindest aus der Warte der Frau, die als „vollkommenes Wesen“ betrachtet wurde; hier war reichlich Raum für Verschlechterung, der später auch genutzt wurde), wurde das Konsensprinzip eingeführt: Beide Ehepartner hatten in die Ehe einzuwilligen, sie konnten also zumindest theoretisch auch Nein sagen und sich ihren Partner in einem gewissen Rahmen selbst wählen, wobei der Rahmen immer noch weit ausschlaggebender war als die Zuneigung. Dieser Rahmen beschränkte die Auswahl potenzieller Ehepartner auf standesmäßig adäquate Personen des näheren Umkreises (Reisen war gefährlich, mühsam und langwierig und wurde zwecks Eheschließung nur dann in Kauf genommen, wenn besonders viel, z.B. ein Reich und dessen Absicherung durch unauflösliche Bündnisse, auf dem Spiel stand) und sollte vor allem der Frau, die ja lange nicht gleichberechtigt an Handel und Gewerbe teilnehmen durfte und für manche Arbeit nicht kräftig genug war, wirtschaftliche Absicherung bieten. Die Geschäftsfähigkeit der Frau wurde erst mit dem Erstarken der Städte seit dem 13. Jahrhundert in Stadtrechten verankert, im 14. und 15. Jahrhundert waren Frauen vielerorts schon in Handel und Handwerk tätig. Konsequenterweise waren Männer, die nicht in der Lage gewesen wären, mit ihrem Einkommen eine Frau und eine Familie zu erhalten, von der Eheschließung ausgenommen, durften also weder mit einer Frau zusammenleben noch Kinder zeugen. Der Bereich der Partnerschaft in zulässiger Form war streng reglementiert: Henker beispielsweise, die prinzipiell als unehrenhaft galten und vom gesellschaftlichen Leben, von Festivitäten und Wirtsstuben ausgeschlossen waren, konnten nur weibliche Mitglieder anderer Henkersfamilien heiraten und Kinder zeugen, die in die beruflichen Fußstapfen ihres Vaters traten.
Die Liebe als Gefühl, das natürlich damals genauso real oder surreal war wie heute, war für den Großteil der Bevölkerung kein lebensbestimmendes Thema und wurde von der Elite (zumindest wenn man die gängigen gesellschaftlichen Regeln einhielt) als hohe Minne sublimiert: Kein vernünftiger Mensch wäre auf die Idee gekommen, so wesentliche Dinge wie den Fortbestand der eigenen Linie oder die politische, finanzielle und wirtschaftliche Sicherheit auf eine derart flüchtige und unzuverlässige Basis zu stellen. Unklar ist, ob diese platonische hohe Minne, die sich im Dienst an der erwählten Dame verzehrte, ohne ihrer je wirklich habhaft zu werden, in der Lebensrealität der damaligen Menschen überhaupt irgendeine Bedeutung hatte oder ob es sich dabei eher um eine rein literarische Figur handelte, die im Minnegesang hochgehalten wurde. Die sexuellen Aspekte der gegengeschlechtlichen Anziehung gehörten in den Bereich der niederen Minne und waren als tierisch-triebhaft verpönt. Wie zumeist siegte auch hier das Faktische über die Fiktion, weshalb der Begriff der hohen Minne immer mehr von den „niederen Motiven“ kontaminiert wurde und schließlich ganz aus der Mode kam bzw. durch den Begriff „Liebe“ ersetzt wurde (die damit ursprünglich eine zwar teilweise erotisch aufgeladene, aber „reine“ Form der Zuneigung bezeichnete).
Die Verhältnisse blieben bis ins 18. Jahrhundert auf diesem Niveau stabil. Voraussetzung für eine Partnerschaft war die Ehe, und diese blieb im Dienst des wirtschaftlichen Vorteils und der Zeugung von Nachkommen. Abgesehen von zweckdienlichen Zusammenkünften der Ehepartner war Sexualität oft eine außerhäuslich-gewerblich betriebene Angelegenheit und romantische Liebe kein Thema, dem man außerhalb literarischer Ergüsse und schwärmerischer Verstiegenheiten viel Aufmerksamkeit schenkte.
Mit dem Aufstieg des Bürgertums (und der Romantik) wurde das fatale Ideal der eierlegenden Wollmilchsau in die Welt gesetzt: Ehe, Liebe und Sexualität sollten in Kombination gelebt werden können. Einer der Schlüsselromane des 18. Jahrhunderts, Goethes „Leiden des jungen Werther“, zeigte schon sehr bald auf, was man sich damit eingehandelt hatte. Der junge Rechtspraktikant Werther schildert darin in Briefen seine unglückselige Liebe zu einer Frau, die mit einem anderen verlobt ist, was ihn schließlich in den Suizid treibt. Der fiktive Werther hatte viele reale Epigonen, an ihrem Liebesleid und der Unerfüllbarkeit des Kombinationsanspruchs scheiternde junge Männer, und löste eine wahre Suizidepidemie aus. Goethe selbst verarbeitete in dem Roman seine aussichtslose Beziehung zur anderweitig verlobten Charlotte Buff, aber auch den Suizid eines Freundes, der die Unerreichbarkeit seiner verheirateten Angebeteten nicht ertragen hatte. Kein mittelalterlicher Mensch hätte diese Fülle von Unvernunft und Lebensverachtung verstehen oder gar nachvollziehen können.
Was nun ebenfalls folgte, war die Fokussierung auf das „häusliche Glück“, auf das traute Ehe- und Familienleben und die Kleinfamilie, womit eine drastische Reduzierung der Frau auf Haus und Herd einherging. Es darf bezweifelt werden, dass sich die Qualität der ehelichen Beziehungen im Vergleich zu früheren Jahrhunderten wesentlich verbesserte. Hochgesteckte Erwartungen bergen den Keim tiefer Enttäuschung in sich, überzogene Idealvorstellungen lassen die alltägliche Realität bald kümmerlich wirken und degradieren eine unspektakuläre, aber auch nicht sonderlich triste Lebenssituation zu einem Scheitern des eigenen Lebensplans.
Um die praktische Seite der ehelichen Liebe war es außerdem weiterhin nicht gut bestellt: Nach wie vor wurde der Intimbereich der Ehepartner vom rigiden Moraldiktat der Kirche dominiert, nur dass nun auch die außerhäuslichen einschlägigen Aktivitäten zwecks Aufrechterhaltung der Sittlichkeit streng verpönt waren und weit verborgener (und verlogener) ausgelebt wurden als im „finsteren Mittelalter“. Der reichlich hysterische, sexualneurotische Umgang mit dem Thema der körperlichen Nähe ist, so wie die Gegenbewegung der sexuellen Revolution, ein Erbe einer Zeit, in der selbst „unanständige“ Tischbeine verhüllt werden mussten, um den Damen eine Ohnmacht zu ersparen.
Nachdem sich Bismarck, der für eine strikte Trennung von Staat und Kirche eintrat, mit Papst Pius IX. überworfen hatte, wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland die Zivilehe eingeführt. In Frankreich hatte Napoleon das schon 1804 in Umsetzung der Ideale der französischen Revolution erledigt. Scheidungen waren somit legitim und wurden langsam gesellschaftliche Realität.
Die Zeit des Nationalsozialismus brachte mit dem „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ vom 15. September 1935 einen nie dagewesenen staatlichen Eingriff in die Partnerwahl, indem Eheschließungen zwischen „Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artsverwandten Blutes“, die sogenannte „Rassenschande“, verboten wurden. Dieses Gesetz wurde durch ein eigenes Ehegesetz des Alliierten Kontrollrats am 20. Februar 1946 aufgehoben; andernorts ging man den umgekehrten Weg: Im südafrikanischen System der Apartheid waren gemischte Ehen seit 1949 und sexuelle Kontakte zwischen unterschiedlichen Rassen seit 1950 verboten, das Verbot blieb bis zum Wahlsieg Mandelas 1994 aufrecht.
Während das deutsche Grundgesetz die Ehe in Artikel 6 besonders schützt, existiert eine solche Regelung in Österreich nicht. Familie und Ehe kommen in der österreichischen Verfassung nicht vor und genießen nur insofern besonderen Schutz, als sie von der Europäischen Menschenrechtskommission in Artikel 8 EMRK erwähnt werden: Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Nach Artikel 12 haben Personen im heiratsfähigen Alter das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen.
Der Wirtschaftsboom der Nachkriegsjahre brachte insofern Veränderungen, als junge Menschen schneller finanziell selbsterhaltungsfähig waren und daher auch heiraten konnten. Nach wie vor wurde aber die Ehe von der Gesellschaft als einzig akzeptable Form des Zusammenlebens gesehen, auch an der Rollen- und Aufgabenverteilung (Mann sichert das Einkommen, Frau versorgt Mann, Haushalt und Kinder) wurde nicht gerüttelt. Der Niedergang der Ehe als formal erforderliche Basis einer Partnerschaft begann in den 1960er und 1970er Jahren. Eheliche und nichteheliche Kinder wurden gleichgestellt, die Antibabypille schützte (weitgehend, vor allem aber in nie dagewesener Form) vor unerwünschter Verantwortung. Mit 1.1.1975 wurde in Österreich der Schwangerschaftsabbruch bis zum Ende des dritten Schwangerschaftsmonats straffrei, wobei ausschließlich die Frau darüber entscheidet und keinem anderen ein Mitspracherecht eingeräumt wurde.
Nichteheliche Partnerschaften nahmen zu, Eheschließungen nahmen ab. Seit 1950 hat sich die Zahl der pro Jahr neu eingegangenen Ehen auf ungefähr die Hälfte reduziert und bleibt seither relativ konstant auf diesem Niveau.
Ein kontinuierlicher Anstieg war hingegen bei den Scheidungsraten zu verzeichnen, die erst in den letzten Jahren wieder moderat rückläufig sind und bei ca. 40 Prozent liegen. Die Ehedauer ist zuletzt angestiegen und liegt durchschnittlich bei ungefähr 14 Jahren, wobei sich Trennungsaffine anscheinend früher trennen, die übrigen hingegen länger am Ball und/oder in der Partnerschaft bleiben, was bei der aktuellen Lebenserwartung gut und gerne eine 40- bis 50-jährige Bindung bedeuten kann. Allerdings hat sich zuletzt der Anteil an Scheidungen nach über 25-jährigen Beziehungen verdoppelt.
Der Anteil an innerlich distanzierten Verheirateten, an getrennt Verbundenen, wird im Übrigen auf 25 Prozent geschätzt; die Häufigkeit der Auflösung von nicht formal erfassten Partnerschaften ist eine Dunkelziffer, vermutet wird, dass die nichtehelichen Lebensgemeinschaften, deren Zahl in den letzten 15 Jahren um 40 Prozent gestiegen ist, nur selten, nämlich zu einem Fünftel, ein Ablaufdatum von zwei Jahren überstehen.
Was unterscheidet nun die einen von den anderen? Wie viel Gefühl (sprich: Liebe) braucht es, um Beziehungen zu erhalten? Geht es überhaupt um Gefühl oder sind andere Faktoren wichtiger? 2008 hat eine groß angelegte deutsche Studie gestartet (Pairfam), die sich anhand von 12.400 Männern und Frauen über einen Zeitraum von 14 Jahren mit diesen Fragen beschäftigen soll, in der Hoffnung, zumindest aus sozialpsychologischer Sicht Muster zu identifizieren. Was sich bisher schon herauskristallisiert hat, ist jedenfalls eine Bankrotterklärung des romantischen Ideals. Die überraschende Botschaft lautet, dass die romantische Liebe in ihrer Bedeutung für den Erhalt einer Beziehung überschätzt wird.