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GAY HARDCORE 08

Angeheuert
und umgedreht

Nick Holzner

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Gay Hardcore 08
© 2016 Bruno Gmünder GmbH
Kleiststraße 23 – 26, 10787 Berlin
info@brunogmuender.com
© 2016 Nick Holzner
Coverabbildung: © HotHouse.com
(Model: Topher DiMaggio)
Printed in Germany

ISBN 978-3-95985-246-3
eISBN 978-3-95985-270-8

Mehr über unsere Bücher und Autoren:
www.brunogmuender.com

Inhalt

Abschied vom Festland

An Bord

Heftiger Abgang auf hoher See

Schwarze Stiefel

Heiße Nacht in Ferrol

Harte Nummer im Puff

Angestochen auf hoher See

Der Pakt mit dem Kapitän

Aufstand im Unterdeck

Strafaktion mit Prinz Albert

Filmabend

Beinah eine Hochzeitsreise

Glück im Pinsel

Gay Hardcore

Die in diesem Buch geschilderten
Handlungen sind fiktiv.

Im verantwortungsbewussten
sexuellen Umgang miteinander gelten
nach wie vor die Safer-Sex-Regeln.

Abschied vom Festland

War ja zu erwarten. In der Toilette der dreckigen Spelunke stank es wie in einer Kloake. Die Mischung aus Pisse, Fäkalien und billigem Desinfektionsmittel stach beißend in die Nase. Ich stellte mich an die Pissrinne und fummelte meinen Schwanz aus der Hose. Mann, hatte ich einen Druck drauf! Konnte es kaum erwarten, endlich den erlösenden Strahl in die Rinne rauschen zu lassen. Eine Wohltat! Hinter mir hörte ich die Schwingtür klappern und schlurfende Schritte. Ein älterer Typ stellte sich mit einigem Abstand neben mich, ein kleiner, hagerer Kerl, der besoffen kicherte, als er sein Ding rausholte und bald darauf erstaunlich kräftig lospisste. Noch währenddessen sprach er mich an.

»Du bist Deutscher, stimmt’s?« Starker Akzent, aber immerhin verständlich. Jedenfalls war sein Deutsch sicher besser als mein mickriges Schulfranzösisch, das hier in Le Havre kaum zu gebrauchen war. Woher wusste der Typ, dass ich Deutscher war? Vielleicht hatte er gehört, wie ich mit dem Barkeeper gesprochen hatte.

Ich hatte keine große Lust auf eine Unterhaltung an dem stinkenden Ort, darum bejahte ich die Frage nur einsilbig.

»Jung und kräftig«, meinte der Gnom. »Wenn du willst, ich kann dich auf ein gutes Schiff unterbringen.«

»Hab schon eins«, fertigte ich ihn kurzerhand ab. Aber der Alte wollte die Pinkelpause offenbar unbedingt mit einem zwanglosen Gespräch verbinden.

»Ach so? Welches?«

»Die Vagevuur«, kam meine Antwort. Es ging ihn zwar nichts an, aber ich sah auch keinen Grund, ein Geheimnis daraus zu machen.

»Mon dieu«, entfuhr es dem Alten. Ich warf einen Blick hinüber und erkannte den entsetzten Ausdruck im Gesicht des Fremden, mit dem er mich ansah. Dunkel gebräunt, von Wind und Wetter gegerbt und mit tiefen Falten wirkte er wie ein Hundertjähriger. Die abgewetzte Kapitänsmütze und seine ganze Kleidung zeigten, dass er es nicht allzu weit gebracht hatte in all den Lebensjahren. Weil ich stumm blieb, reagierte er zuerst mit einem kummervollen Schnauben. Dann, während er seinen Pimmel abschüttelte und verpackte:

»Du bist entweder dumm oder äh, fatigué de la vie. Wie sagt man? – Lebensmüde.«

Was sollte ich mit dieser Bemerkung anfangen? Wahrscheinlich wollte sich der Kerl nur interessant machen, darum ignorierte ich sie einfach. Zum Abschied klopfte er mir auf die Schulter. »Pass auf dich auf!« Damit schlurfte er zur Tür hinaus.

Auch ich hatte mein Bedürfnis erledigt und wollte schon zurück in den Schankraum, als ich ein unterdrücktes Stöhnen hörte. Ja, da war es schon wieder! Es kam aus einer der Kabinen weiter hinten. Das schummrige Licht von einer durch Spinnweben noch zusätzlich gedimmten Funzel an der Decke reichte kaum aus, um die letzte Ecke des Klos zu beleuchten. Die hinteren Kabinen lagen beinah im Dunkeln. Doch, ganz eindeutig, da stöhnte jemand vor Schmerzen aus der letzten Kabine am Ende des Gangs. Abgeschlossen! Ich wollte zumindest wissen, ob meine Hilfe gebraucht wurde. Meine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Die Tür der Nachbarkabine stand offen. Ich betrat sie und stieg auf die brillenlose, verdreckte Kloschüssel, hielt mich mit den Händen oben an der Zellenwand fest und balancierte mit einem Fuß auf dem wacklig angeschraubten Halter für die Papierrolle. Der Abstand zur Decke ließ reichlich Platz. Ich schob meinen Kopf über den Rand der Zelle – und schrak zurück. Nebenan bückte sich ein Kerl über die Schüssel und ließ sich von einem anderen, älteren Mann ficken!

Mein Herz pochte wie verrückt. Diese Dreckschweine! Mitten am Tag in einer Kneipe am Ficken! Ohne nachzudenken riskierte ich einen zweiten Blick auf die Szene, keine Ahnung, warum. Ein Fuß verlor kurz den Halt, was ein Klappern zur Folge hatte. Der Gebückte hob den Kopf. Ein ganz junger Typ war das, vielleicht in meinem Alter. Er sah mir direkt in die Augen, ohne jede Scham, und – bildete ich mir das nur ein? – grinste mich lüstern an. Ich sprang wieder auf den Boden und hörte meinen eigenen schweren Atem. Der Kerl sah gut aus. Wie konnte er sich nur von so einem alten Schwein durchficken lassen? Und hatte offensichtlich sogar Spaß daran. Bäh!

Ich beeilte mich, zurück in die Bar zu kommen. Mein Bier schmeckte schal, darum bestellte ich mir ein neues bei dem freundlichen Barkeeper. Seiner Bemerkung auf Französisch entnahm ich, dass er wissen wollte, ob alles in Ordnung sei. Anscheinend sah er mir meine Verwirrung an. Ich lächelte beruhigend zurück und signalisierte ihm, dass es mir gut ging. Ob er wohl wusste, was da auf dem Klo abging? Ein Blick auf die Uhr. Noch über vier Stunden, bis ich an Bord gehen sollte.

Ich verdrängte den Gedanken an das gerade Erlebte und hing ganz anderen nach, saß an der Bar, trank genüsslich mein Bier und sah dem Mann hinterm Tresen zu, wie er souverän, wenn auch ziemlich schweigsam, die wenigen Gäste bediente. Allesamt Männer, teilweise abgerissene Figuren. Ich kam mir vor wie in einer Kulisse für einen Seeräuberfilm. Eine richtige Hafenspelunke. Alles stimmte. Es gab einen riesigen Anker, ein paar Flaggen und geknotete Seile an der Wand. Bis auf ein paar Lichtkegel unter trüben Lampen waren nur ein paar bunte Werbeleuchten bemüht, die verrauchte Luft und das Dunkel zu durchdringen. Die müden Gestalten, die verteilt an den Holztischen saßen, waren kaum auszumachen. Da bot der vor sich hin arbeitende Barkeeper mehr Abwechslung. Ich würde bald sicher mehr als genug Abwechslung haben, dachte ich, darum war mir die Ruhe in der Kneipe ganz recht.

Die Fahrt von meinem Heimatort Waren in Mecklenburg-Vorpommern war einfacher gewesen, als ich es erwartet hatte. Zweimal umsteigen, und dann war ich tatsächlich in Le Havre. Schon während der Fahrt, mit jedem Kilometer, entfernte ich mich auch innerlich weiter von Zuhause. Grit, meine Freundin, schien mir wie aus einem anderen, früheren Leben, wenn ich ihr Bild jetzt heraufbeschwor. Dieses ewige Getue, weil sie nicht »bis zum Letzten« gehen wollte. Bis zum Letzten – so ein Schwachsinn! Noch nicht mal kurz reinstecken durfte ich meine Latte, egal wie dick und hart sie war und darum bettelte, Druck ablassen zu können. Ich war schließlich dreiundzwanzig und keine fünfzehn. Und sie keine Jungfrau. Also wo war das Problem? Blöde Kuh!

Zum wiederholten Mal stellte ich mir vor, wie meine Eltern auf den Brief reagiert hatten, den sie inzwischen längst gefunden haben mussten. Außer der Bitte, bei meinem Boss anzurufen und ihm zu erklären, dass ich für mindestens ein Jahr nicht kommen könne, stand nicht viel drauf. Macht euch keine Sorgen, melde mich, und so weiter eben. Nichts großartig Melodramatisches oder so. Aber auch nichts Konkretes, wo ich hin bin … keine Ahnung. Auch kein ›Mir reicht’s!‹, ›Ich hab keinen Bock mehr!‹ oder so was. Obwohl das die Wahrheit war. Wenn’s schieflief, mussten die Eltern am Ende denken, ich sei entführt worden. Der Entschluss abzuhauen war echt ziemlich plötzlich gekommen, auch für mich selbst. Aber das Gefühl, immer mehr in eine Sackgasse gedrängt zu werden, hatte mir mehr und mehr die Luft geraubt. Der Job als Maler und Lackierer war okay, auch Chef und Kollegen, aber mit dem bisschen Knete, was am Schluss übrig blieb, konnte ich gerade so leben. Urlaub? Vielleicht mal paar Tage paddeln über die Seen, oder wandern in der Mecklenburgischen Schweiz, oder an der Ostsee. Alles schön und gut, aber richtig weg? Am Arsch! Dafür fehlte einfach die Kohle.

Auch, um wenigstens mal ab und zu aus dem Kaff zu verschwinden und allein nach Rostock oder so zu düsen, um mal was zu erleben. Fehlanzeige! Keiner meiner Kumpel wollte mitfahren, dann hätte man sich Sprit und Hotelzimmer teilen können, aber nein – die hockten lieber im Sportheim oder zu Hause mit ihrer Alten. Ein paar hatten auch schon Kinder.

Dabei träumte ich schon als kleiner Junge von fernen Ländern, sah mir am liebsten Dokus im Fernsehen an, statt irgendwelche Ballerserien. Und wie weit hatte ich es gebracht, mit dreiundzwanzig? Bis nach Hamburg, weiter nicht.

Ja, Hamburg war mein weitester Trip bisher. Das hatte ich mir nach der Ausbildung gegönnt, drei Tage, ganz allein! Alle haben mich hinterher gefragt, von wegen Nutten und Sex und so. Dabei ging’s mir gar nicht um Sex. Klar hatte ich auch Sex, wenigstens einmal, aber keine Nutte. Die Mädels da sind generell locker, glaube ich. Aber die meiste Zeit hab ich am Hafen verbracht. Geil, diese riesigen Passagierschiffe und Frachtkähne, die Kräne und Löschboote! Abends hat mich ein Dockarbeiter, dem ich während seiner Schicht am Schaltpult Löcher in den Bauch gefragt hatte, in ein paar Kneipen mitgenommen, das war echt super! Und da hab ich zum ersten Mal Leute vor mir gehabt, mit ihnen geredet, mit Männern, die wirklich die Eier hatten, einfach um die Welt zu schippern. Von einem Hafen zum anderen, über alle Meere, in alle Winde. Mann, wie ich die beneidet hab! Als sie mir dann auch noch erzählten, wie viel Geld sie verdienten, weckte das in mir tatsächlich die Idee, glaube ich. Die Idee, es genauso zu machen. Darum wurden meine Fragen immer konkreter. Welche Routen es gab. Wo man anheuern konnte.

Zurück zu Hause, startete ich eine Woche später einen letzten Versuch bei Grit. Als sie wieder zickte und mir nur einen blasen wollte, ließ ich sie stehen. Die Sachen packen, fünfhundert Euro abheben – am nächsten Morgen fanden meine Eltern mein Bett leer. Zum ersten Mal war ich froh, keine eigene Wohnung zu haben. Ich musste mich um nichts kümmern, konnte einfach abhauen.

Und jetzt saß ich hier. Geil! Ich wachte aus meinen Gedanken auf und sah mich ein bisschen in der Kneipe um. Mittlerweile war es weit nach Mitternacht. Der Barkeeper wurde abgelöst und spielte mit ein paar Typen Dart. Er nickte mir zu, als er meinen Blick bemerkte, und winkte mich herüber. Warum nicht?, dachte ich. Ich kann machen, was ich will.

Zwei von den drei anderen waren Portugiesen, der andere Holländer. Wir verstanden uns auf Anhieb und hatten einen Heidenspaß. Geredet wurde nicht viel, aber ein paar brauchbare, derbe Worte in mehreren Sprachen lernte ich an dem Abend gleich kennen, fühlte mich schon bald wie ein Seemann auf Landgang. Die beiden Portugiesen gingen nach einer Weile, dann auch der Barkeeper. Der Holländer erklärte, dass sein Schiff erst am nächsten Tag auslaufen würde. Ich verabschiedete mich von ihm, packte meine Sporttasche und trat hinaus in die helle Sonne. Es war erst fünf Uhr morgens und darum noch relativ frisch. Das – und die drei Tassen Kaffee, die ich in der Bar getrunken hatte – half mir, meine Sinne wieder klar zu kriegen. Ich schulterte die Tasche und ging die Gasse entlang in Richtung Kai, wo meine Vagevuur vor Anker lag. Genau wie der Mann, der mich angeheuert hatte im Schifffahrtsbüro, gesagt hatte. Der Geruch von Meer schlug mir entgegen, vermischt mit Hafen. Nasser und angetrockneter Tang, Motorenöl und Teer. Roch nach Abenteuer, fand ich irgendwie. Ich hätte jauchzen wollen vor Freude! Mir war so leicht ums Herz, wie schon seit Jahren nicht mehr.

Da! Die Gruppe von Männern, die am Dock vor der Vagevuur bei ein paar Kisten standen, war offenbar gerade dabei, sich anzumelden. Als ich herantrat, blickten einige sich kurz um und maßen mich mit prüfenden Blicken. Ich lächelte unsicher, streckte aber meine Hand aus und stellte mich dem ersten einfach vor.

»Hi, I am Silvio.«

Der Typ hatte eine Kippe zwischen die Lippen gepresst, oder besser gesagt: zwischen die Haare in seinem Gesicht, denn Schnurr- und Kinnbart gingen ohne sichtbare Grenze ineinander über. »Italiano?«, knurrte er hervor, bemüht, den brennenden Stummel nicht zu verlieren.

»No, German«, stellte ich richtig.

»Ahoi, ich bin auch Deutscher. Heiner.« Er packte meine Hand und schüttelte sie kurz und kräftig. Das war zwar nicht gerade eine herzliche Begrüßung, aber hielt mich nicht davon ab, gleich dem nächsten der Umstehenden meine Hand hinzustrecken.

Der Glatzkopf mit den vielen Tattoos lachte, als er sie ergriff.

»Ahoi, Silvio«, meinte er belustigt, »du brauchst dich hier nicht gleich mit jedem zu verloben. Bei uns kennt kaum einer den Namen vom anderen. Aber ich bin Sven.«

»Ach so«, murmelte ich und versteckte meine Hände verlegen in den Hosentaschen. Als Landratte, die ich nun mal war, würde ich viel lernen müssen. Und es ging offenbar schon gleich los.

Dieser Sven war Anfang oder Mitte dreißig und hatte Oberarme, so dick wie meine Schenkel. Jedenfalls war er zugänglicher als der Bärtige, dessen Alter kaum zu schätzen war und der mich keines weiteren Wortes würdigte.

»Welche Passagen bist du denn bisher geschippert?«, wollte Sven wissen.

Ich dachte an meine kleinen Ausflüge im Kajak vom Kölpinsee zum Fleesensee und sparte mir den Witz, das als ›Passage‹ zu deklarieren. »Noch keine«, antwortete ich darum wahrheitsgemäß. »Ist meine erste.«

»Ach du meine Scheiße«, entfuhr es Sven. »Da hast du dir zum Üben aber einen dicken Brocken ausgesucht.«

Ich zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. »Irgendwie fängt ja jeder mal an.« Auf keinen Fall wollte ich mir Angst einjagen lassen, jetzt, kurz bevor es losging.

Sven grinste beinah mitleidig und rieb sich mit Skepsis im Blick den bulligen Nacken. Dabei bemerkte ich, dass seine Tätowierung auf den Armen sich rundherum zog. Ineinander verwundene Drachenschlangen oder so was, rot und schwarz. »Najaaaa …«, meinte er schließlich. »Aber gleich übern großen Teich, und dann mit so ’nem schrottigen Riesen. Warst du überhaupt schon mal auf ’nem richtigen Schiff? Mal Seegang erlebt?«

Als ich verneinte, ließ Sven einen respektvollen Pfiff ertönen. »Mann, Kleiner, du hast Mumm. Aber glaub ja nicht, dass ich dir das Köpfchen halte, wenn du die Fische fütterst. Sieh zu, dass du dir so schnell und so viel wie möglich abguckst. Die Vagevuur ist bestimmt kein Lehrschiff. Hier musst du dein Geld wert sein, und jeder sieht zu, dass er seine eigene Arbeit schafft.«

Mir war im Leben noch nichts geschenkt worden, darum schreckten mich diese Worte nicht ab. »Bist du schon öfter mit der Vagevuur gefahren?«

Wieder lachte Sven, als ob ich was furchtbar Dummes gefragt hätte. Ich konnte wohl gar nichts richtig machen, noch nicht mal die unschuldigste Frage stellen. »Mit dem Kahn?«, meinte er abfällig und deutete auf die Vagevuur hinter sich. »Würde mir sonst nicht im Traum einfallen. Aber ich hab das Auslaufen von meinem Frachter verpennt. Zu viel gesoffen, verdammt. Und hier werden Leute gesucht.«

Er war jetzt an der Reihe und setzte seine Unterschrift unter die lange Reihe von Namen. Daneben ein Kürzel: AB. Stumm saß der bärtige Aufpasser hinter seinem Kistenaufbau, der als Schreibtisch diente. Die zwei Streifen auf der Dienstjacke verrieten mir, dass er ein Offizier war, aber mit den Dienstgraden kannte ich mich kaum aus, wusste nur, dass der Kapitän vier Streifen und einen Stern hatte. Ich signierte unter Svens Namen und wollte schon weitergehen, da hielt mich der Offizier am Ärmel fest. Wortlos klopfte er mit seinem verdreckten Zeigefinger auf die Stelle neben meinem Namen, wo offenbar das Kürzel verlangt war.

Sven erkannte glücklicherweise meine Hilflosigkeit. »Schreib ›OS‹ hin, das passt schon.«

Nachdem ich das getan hatte, nickte der Offizier nur stumm und entließ mich. Sven klärte mich auf. »Das ist das englische Kürzel für Leichtmatrose, Ordinary Seaman. Ich bin immerhin Vollmatrose«, meinte er noch lachend, schulterte seinen Seesack und ging voran zur Gangway. Und ich hinterher, die steile Schräge hoch. An Bord meines Schiffs! Ahoi! Silvio, der Leichtmatrose. Ich musste schmunzeln. Klang irgendwie nach billigem Flittchen.

An Bord

Die Vagevuur war ein Containerfrachtschiff der zweiten Generation, hatte ich mich schlau gemacht. Maße: 225 Meter lang und 30,5 Meter breit. So breit, so gut. Aber meine Vorstellungen vom Miteinander auf einem Frachtdampfer prallten recht schnell mit der Realität zusammen. Kein Antreten der versammelten Mannschaft vorm Kapitän, der eine flammende Rede hielt. Kein organisiertes Einteilen für Dienste, Wachen, Essens- und Schlafenszeiten. Stattdessen musste ich gleich anpacken, noch bevor ich wusste, wohin mit meinen Habseligkeiten und wo ich schlafen sollte. Ich folgte Svens Beispiel, der seinen Seesack in eine Ecke pfefferte, sobald wir die Gangway hochgelaufen und an Bord waren, und sich hinter ein paar Männern einreihte. Sie nahmen von einem Vorarbeiter Anweisungen entgegen. Obwohl die Vagevuur unter holländischer Flagge fuhr, wurde meistens Englisch gesprochen, denn die Besatzung war international. Ich wurde auf Deck 3 geschickt und sollte mich bei einem gewissen Gerrit oder Baritt melden, wenn ich das richtig verstanden hatte. Leider war Sven bereits in eine andere Richtung verschwunden. Also machte ich mich allein auf die Suche nach Deck 3. Um mich herum schien jeder genau zu wissen, was zu tun war. Ich stapfte in meinen Stiefeln, die ich wohlweislich angezogen hatte, übers blecherne Deck. Der Klang der Schritte gefiel mir. Schier unendlich kam mir das Deck vor mit seiner Landschaft aus zahllosen Containern, von denen die letzten mit Kränen an Bord gehievt wurden. Mal rot, mal blau, gelb, weiß oder schwarzweiß gestreift waren die einzelnen Bereiche farblich gegeneinander abgegrenzt. Die Bedeutung war mir noch nicht klar, aber ich hielt mich auf dem weißen Weg, der zu einer Treppe führte. ›Deck 1 – 3‹ war in akkurat gezeichneten Lettern zu lesen, mit einem Pfeil nach unten. Klonk-klonk-klonk. Der Klang meiner bestiefelten Schritte mischte sich mit dem der heraufkommenden Männer. Jeder von ihnen schleppte ein Trumm mit sich: Seile, fette Metallteile, von denen ich keine Ahnung hatte, wofür sie gut sein mochten. Es waren durchweg verwegene Gesellen, die meisten um die vierzig, ein paar jünger. Kaum einer nahm mich wahr, und wenn, dann nur mit einem dumpfen Blick, der keinerlei Interesse zeigte. Plötzlich hörte ich einen Pfiff hinter mir, von der Sorte, die man heißen Bräuten hinterherpfeift. Ich drehte mich unwillkürlich um, war darauf geeicht, das bewunderte Subjekt selbst in Augenschein zu nehmen. Wie staunte ich, als ein Kerl weiter oben auf der Treppe mich frech angrinste und sich die Lippen leckte! Es war klar: Der Pfiff von ihm hatte mir gegolten! Sein Glück, dass er auf dem Weg nach oben war, sonst hätte ich … Ich wusste nicht, was, aber so was konnte ich doch einem wildfremden Kerl nicht erlauben, oder …?

Besser, wenn ich mich wieder auf meine Aufgabe konzentrierte!

Unten auf Deck 3 war es höllisch heiß, obwohl es noch früher Morgen war. An die zehn, zwölf Männer schufteten hier, allesamt mit nacktem Oberkörper. Jeder Fetzen am Leib war bei der Hitze lästig. Die hatten Muskeln! Jedenfalls die meisten. Einige waren dicht behaart, alle braungebrannt, und jeder schien Tattoos und Piercings zu haben. Über den Lärm von Motoren hinweg riefen sie sich lautstark Anweisungen oder Scherze zu. Keiner beachtete mich. Ich ging einfach weiter, bis ich einen Mann sah, der Pläne in der Hand hielt und wild vor ein paar Kerlen gestikulierte. Das musste Gerrit sein. Als ich bei der kleinen Gruppe ankam, unterbrach der Mann seine Ansprache nicht, fixierte mich aber kurz, nickte mir zu und griff hinter sich. Immer weiter redend, hielt er mir einen gelben Bauhelm und Schutzhandschuhe hin. Pflichtbewusst setzte ich den Helm auf, kannte die Regeln von Baustellen, auf denen ich als Maler und Lackierer jahrelang gearbeitet hatte. Vorteil für mich, dachte ich.

Tatsächlich bereitete es mir keine Probleme, mich in die Gruppe der Arbeiter einzuordnen. Nach und nach wurden die Männer freundlicher, als sie sahen, dass ich mit Anpacken konnte. Auch ich hatte längst Hemd und T-Shirt ausgezogen und wusste, dass ich mich nicht zu verstecken brauchte. Ich war zwar nicht so sonnengebräunt, aber immerhin trainierte ich schon seit Jahren, war stolz auf mein Sixpack. Es gefiel mir, zusammen mit den meist älteren Männern die schweißtreibende Arbeit zu verrichten. Der seltsame Hall unter Deck ließ das Wummern der Motoren und die Schreie der Männer manchmal wie Musik über mich rauschen. Ein Franzose, der sich mit Handschlag kurz als Eric vorstellte, rief mir immer wieder was zu. Ich verstand Null, aber er lachte immer so fröhlich dabei, dass ich einfach nickte und auch lachte. Das schien zu reichen. Ähnlich erging es mir mit Robin, einem Deutschen aus Augsburg, und Kem, einem Deutsch-Türken aus Köln. Das waren die Einzigen, von denen ich immerhin schon mal die Namen kannte. Aber die Stimmung war super. Wir waren allesamt ganz schön verdreckt nach einer Weile, denn der Schweiß lief uns in Strömen unterm Helm über die Fresse und die nackte Brust. Einmal Wischen mit dem Schutzhandschuh, und schon war eine deutliche Spur zu sehen. Egal, wir machten einfach weiter. Ein Typ mit einem Gabelstapler kam vorbei und brachte uns ein paar Kisten gekühltes Mineralwasser. Geil! Eric trank auf einen Satz eine ganze Literflasche aus, rülpste tierisch laut, schnappte sich eine zweite, zog sich den Helm ab und schüttete sich das kalte Nass über den Kopf. Dabei juchzte er und sprang herum wie ein Verrückter. Ich lachte mich schief. Weil er einen Bart und ziemlich lange Haare hatte, eine richtige Mähne, spritzte das Wasser rundherum, als er sich schüttelte. Das war wie eine Zündung. Grölend schnappte sich jeder von uns eine Flasche, und wir bespritzen uns gegenseitig. Der Typ auf dem Gabelstapler schüttelte nur den Kopf und düste davon. Eric beugte sich nach hinten und goss den Rest aus der Flasche über seine nackte Brust. Es lief voll in seine abgewaschenen Jeans rein und färbte sie dunkelblau. Über die Beule und dann die Beine runter. Ich konnte gar nicht wegsehen. Mann, war das eine Hitze hier unten! – Da, Kem rief mich zu sich. Er brauchte Hilfe beim Verlöten einer Kiste.

Die Zeit verging wie im Flug bei der Arbeit. Wieder kam ein Gabelstapler vorbei, diesmal mit Futter. Die lecker belegten Stücke Baguette kosteten allerdings was. Eric bestand darauf, mich einzuladen. Weil er unser Essen in beiden Händen hielt, bedeutete er mir, seinen Geldbeutel aus der Arschtasche zu holen und zu bezahlen. Er beugte sich ein bisschen vor, damit ich besser ran kam, denn seine Hosen saßen ziemlich stramm. Tatsächlich klemmte der Geldbeutel richtiggehend, war gar nicht so leicht rauszuziehen. Grinsend musste ich Erics Ritze beäugen. Die konnte ich sehen, jedenfalls den Anfang, war den Anblick hundertfach vom Bau gewohnt. Bauarbeiterdekolleté, jaja.

Dem Kerl lief Wasser oder Schweiß über den Rücken direkt rein in die Ritze. Ich suchte die Knete zusammen, bedankte mich mit einer kleinen Verbeugung bei Eric und stopfte nach dem Bezahlen den Geldbeutel wieder in die Arschtasche. Wir futterten gemütlich auf den Kisten, und erst jetzt, im Sitzen, bemerkte ich, dass das ganze Schiff vibrierte. Verdutzt sprang ich auf, vergaß ganz zu kauen. Hatten wir schon abgelegt?

Die anderen deuteten meine Reaktion richtig und lachten sich schlapp darüber, dass mir offensichtlich erstens das Ablegen entgangen, und zweitens das Ablegen so wichtig war. Jedenfalls verstand ich es so. Aber das war mir egal. Für mich war das was Besonderes, okay? Ein Abschied, ein Neuanfang, alles Mögliche. Also ignorierte ich die anderen und rannte die Treppe rauf zur Reling an der Landseite. Von wegen Landseite! Der Kahn musste sich gedreht haben, auch das hatte ich unter Deck nicht mitbekommen. Jedenfalls konnte ich sehen, dass Hafen und Stadt mit ihren Hochhäusern auf der anderen Seite lagen, allerdings schon ziemlich weit weg. Wir waren sicher schon eine halbe Stunde unterwegs, schätzte ich. Schade, dass ich das Ablegemanöver nicht mitbekommen hatte. Ich rannte wieder quer übers Deck, bis ich an der anderen Reling stand. Starrte auf die Häuserkisten der Stadt, auf die Schiffe im Hafen. Riss mir den Helm vom verschwitzten Kopf und ließ die Haare im Wind flattern, ja! Na und? Es fühlte sich großartig an! Wir hatten eine ordentliche Brise, und ich atmete tief die Meeresluft ein, die mir entgegenblies. War total happy.

Und hatte wahrscheinlich ein dämliches Grinsen auf dem Gesicht, als ich Eric herantraben sah. Auch er hatte seinen Helm abgezogen, musste ständig die Haare aus dem Gesicht schütteln, aber er lachte und zeigte dem Wind die Zähne. Mein Grinsen wurde womöglich noch breiter, ich fand’s einfach klasse, dass er gerade jetzt kam. Den Moment teilte ich gerne. Es war klar, dass Eric sich echt freute über meine Freude, auch wenn er sich darüber lustig machte. Mit großen Gesten, pantomimisch, ahmte er mein kindliches Staunen nach. Oh, die Stadt, so weit weg! Oh, das Meer, da draußen! Oh, der Wind, der herrliche Wind! Ich lachte gutmütig mit, denn genauso war es ja. Freundschaftlich schlug mir Eric auf die Schulter und reichte mir mein zweites Baguette, das er extra für mich mitgebracht hatte. Mampfend und schweigend standen wir beide eine Weile nebeneinander und glotzten übers endlose Meer zum Horizont vorm Bug unserer Vagevuur, wo das Wasser in den wolkenlosen Himmel überging.

Schließlich rissen wir uns los, die Arbeit wartete. Ich wollte noch kurz pinkeln, und Eric ging voraus. Auf jedem Deck gab es vorne und hinten Unterbauten, die als Toilette dienten. Auf dem Weg dahin sah ich in einem engen, unbeleuchteten Gang zwischen zwei Containertürmen schemenhaft zwei Männer, die sich eng umschlungen aneinander rieben und knutschten. Ziemlich geschockt blieb ich stehen und starrte in den Gang, bis eine Hand auf meiner Schulter mich aufschreckte.

»Komm«, forderte Eric mich auf. Ich konnte meinen Blick nicht lösen.

»Was machen die denn da?« Die Frage war bescheuert, aber die einzige, die mich im Moment interessierte.

Eric lachte belustigt auf. »They make love«, sagte er mit seinem französischen Akzent. Er zog mich weg von der Szene, während ich noch immer fassungslos war. Eric redete auf mich ein. Fragte, ob ich ein Spießer sei. Da wäre doch nichts dabei, die Kerle waren immerhin erwachsen genug, um zu wissen was sie taten. »Oder bist du etwa jaloux

Ich blieb abrupt stehen. Ich und neidisch? Der spinnte wohl! Eric grinste mich provozierend an. »Also wo ist das Problem?«

Hundert Antworten schwirrten in meinem Kopf herum, aber ich schluckte alle hinunter. »Alles okay«, sagte ich nur, und folgte ihm wieder. Vielleicht hatte Eric ja recht. Es ging mich eigentlich nichts an, was die Männer trieben.

Im Pissoir war sonst keiner. Eric stellte sich an die eine Ecke der Pissrinne, ich an die andere. Mann, das Klo hatte auch schon bessere Tage gesehen! Wie alles auf der Vagevuur waren große Rostflecken nur dürftig überpinselt. Das korrodierte Blech unter der Farbschicht wirkte wie Schorf auf einer Haut, wulstig und rau. Auch die sanitären Anlagen waren alles andere als auf dem neusten Stand. Als die Tür einer Kabine beim Wellengang aufschwang, konnte ich die brüchige Kloschüssel und die bekritzelten Wände sehen. Oje, ich war schon gespannt auf die Duschen. Das konnte ja lustig werden, wenn hier alles so siffig war!

»Boy, you really need it, right?«