Maik Ottleben
Der Dingle-Way
3,5 Wanderer umrunden die Halbinsel
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Vorwort
Die Anreise nach München -
Anreise nach Tralee
Etappe 1: Tralee bis Camp
Etappe 2: Camp bis Annascaul
Etappe 3: Annascaul bis Dingle
Etappe 4: Dingle bis Dunquin
Etappe 5: Dunquin bis Ballydavid
Etappe 6: Cuas bis Cloghane
Etappe 7: Cloghane bis Castlegregory
Etappe 8: Castlegregory bis Camp
Rückreise von Tralee nach Cork
Heimreise nach Kassel
Impressum neobooks
„Laufen ist eines der ersten Dinge, die ein Kind tun möchte und eines der Dinge, die man am schwersten aufgeben will. Laufen ist eine Bewegung die keine Turnhalle braucht. Es ist ein medizinisches Rezept ohne Medikament, es ist eine Gewichtskontrolle ohne Diät und eine Kosmetik , die man nicht chemisch beschreiben kann. Es ist ein Schlafmittel ohne Tablette, eine Psychotherapie ohne Analyse und ein Ferientag der fast nichts kostet. Außerdem trägt Wandern nicht zur Umweltverschmutzung bei, verbraucht fast keine Rohstoffe und ist hocheffektiv. Wandern ist bequem, es braucht meist keine besondere Ausrüstung. Es reguliert sich von selbst und ist kaum verletzungsträchtig. Laufen ist so natürlich wie Atmen.“
(aus „The Magic Of Walking“ von Aaron Sussman und Ruth Goode, 1967)
Vor einigen Jahren hat mein Vater mich dazu überredet, mit ihm ein paar Tage in der Rhön wandern zu gehen.
Er als „alter Wandervogel“ war wohl der Meinung, ich bräuchte einerseits dringend Urlaub und müsste andererseits auch mal wieder etwas für meine Gesundheit tun. Wie auch immer, diese paar Tage damals waren für uns beide so eine Art Initialzündung und seitdem sind wir zusammen viele Kilometer gewandert. Hier in der nordhessischen Heimat gibt es inzwischen kaum noch Wanderwege, die unsere Füße nicht kennen, daneben haben wir uns aber auch Teile der Alpen und die meisten Mittelgebirge erschlossen.
Ich werde immer wieder von Freunden und Bekannten erstaunt gefragt, wieso ich es mir antue, im Urlaub Berge rauf und runter zu laufen, Kilometer zu machen bis die Füße mich nicht mehr tragen wollen und die Schuhe reif für den Mülleimer sind. Warum also lege ich mich nicht wie andere eine Woche an der Strand oder feiere die Nächte auf wilden Partys durch, sondern renne wie ein Verrückter den ganzen Tag durch die Gegend?
Dafür gibt es zwei Gründe: der eine ist die „körperliche Ertüchtigung“. Wandern ist viel anstrengender, als die meisten glauben. Natürlich gibt es die Art Wanderer, die zwei Stunden gemütlich gehen, eine Stunde Picknick machen und dann wieder zurück gehen. Für uns heißt wandern aber, uns eine Strecke abzustecken (üblicher Weise mindestens 20km) und diese dann konsequent durchzulaufen und maximal für Fotos oder etwas zu essen stehen zu bleiben. Auf diese Art ist man abends ordentlich müde und hat dabei auch etwas für seine Gesundheit getan (auch wenn sich das am nächsten Morgen manchmal ganz anders anfühlt).
Der zweite und nicht minder wichtige Grund ist aber, dass Wandern den Geist entspannt und den Kopf frei macht. Man lässt dabei den ganzen Stress des Alltags hinter sich und kann sich wieder auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist.
Außerdem hat man, wenn man den ganzen Tag nebeneinander her geht, auch endlich mal wieder Zeit, sich richtig zu unterhalten. Gerade in der heutigen Zeit, in der man quasi immer per Mobiltelefon erreichbar „sein muss“, man permanent von allen Seiten beschäftigt wird, hat man dafür eigentlich keine Zeit mehr. Ein richtiges Gespräch, bei dem man sich ungestört und mitunter über Stunden hinweg unterhalten ist, ist kaum noch möglich.
Vor zwei Jahren nun habe ich mir mit meinem Bruder und unserem Freund Andy einen Traum erfüllt und bin mit ihnen den „West Highland Way“ in Schottland gelaufen. In acht Tagen sind wir von Glasgow bis Fort William über 156km gewandert und waren absolut begeistert. Jeden Abend an einem anderen Ort, mit neuen Bekanntschaften aus aller Welt, dazu die unglaubliche Landschaft der Highlands. Uns war klar, dass wir so eine Tour noch einmal machen wollten.
2016 sollte es dann soweit sein, doch leider hatte mein Bruder keinen passenden Urlaub bekommen, dafür aber kam Andys Lebensgefährtin Susi mit.
Da wir meinem Bruder die Qual, sich Fotos von uns aus den High-lands ansehen zu müssen aber nicht antun wollten, beschlossen wir, das Reiseziel zu ändern. Nach einer relativ kurzen Entscheidungsphase (Andys Anteil beschränkte sich dabei äußerst hilfreich auf ein „mach du mal“) und einigen Youtube-Videos war klar: 2016 würde es nach Irland gehen.
Dies ist unsere Tour.
oder auch: "Abenteuer Bahnfahren !"
Es war Mittwoch der 13.07.2016 um 13:16 Uhr, als ich in den ICE von Kassel Wilhelmshöhe zum Hauptbahnhof München stieg.
Ein Stück rechts von mir sprangen gerade vier Beamte der Bundespolizei mit einem Bahnangestellten in einen der vorderen Waggons.
Kaum hatte ich meinen Platz gefunden, kam auch schon die Durchsage im Zug, dass wir leider wegen eines Polizeieinsatzes im Zug etwas Verspätung bekommen würden. Später erfuhr ich, dass es sich um einen illegal eingereisten und zudem ohne Fahrschein fahrenden Afrikaner gehandelt hatte (nein, jetzt kommt kein schlechter Witz über Schwarzfahrer, oops...) – was davon nun die schwerere Untat war, blieb wohl je nach Betrachtungswinkel verschieden.
Warum ich in den Zug gestiegen war?
Ich war auf dem Weg nach München, um von dort per Regionalbahn weiter Richtung Rosenheim zu fahren. Dort würde ich mich mit meinen Freunden Andy und Susi treffen, bei ihnen übernachten und am nächsten Morgen würde unser Urlaubsflieger ab München in Richtung Cork, Irland, abheben.
Vor uns lagen elf Tage grüne Insel, genauer gesagt ein Wanderurlaub auf der Dingle-Halbinsel im Südwesten Irlands.
Wikipedia meint zu diesem Landstrich: „Die Dingle-Halbinsel (englisch: Dingle Peninsula, irisch: Corca Dhuibhne, nach einer alten Stammesgruppe) liegt in Irland, im County Kerry, in der Provinz Munster. Sie hat ihren anglisierten Namen vom Ort Dingle (An Daingean), der im Westen der 50 km langen und durchschnittlich neun km breiten Halbinsel liegt.“
Unser Wanderweg, der gleichnamige Dingle-Way würde uns beginnend in der kleinen Stadt Tralee einmal im Uhrzeigersinn auf insgesamt 190 Kilometern Streckenlänge um die Halbinsel herumführen. Veranschlagt hatten wir für die ganze Tour acht Tagesetappen zwischen 10 und 29 Kilometern. Dass es am Ende etwas weniger werden würde, war dann doch dem teilweise sehr unfreundlichen Wetter und ein paar kleineren, gesundheitlichen Dingen geschuldet
Wir hatten die Tour im Vorfeld über einen irischen Reiseanbieter komplett gebucht, der für uns alle Übernachtungen in landestypischen Bed-and-Breakfast-Pensionen (BnBs) geplant hatte und sich auch um den täglichen Weitertransport unseres Gepäcks kümmern würde.
Wir selbst würden nur einen kleinen Tagesrucksack mit der notwendigen Verpflegung und der leider noch viel nötigeren Regenschutzkleidung mit uns führen. Alles andere würde jeden Abend im nächsten BnB auf uns warten. Für echte „Hardcore-Wanderer“ mag dieses sogenannte „Wandern ohne Gepäck“ vielleicht geschummelt wirken, für mich, der diese Art nun zum vierten Mal machen würde, ist es einfach Genuss pur. Es verbindet das Fernwandern mit dem Komfort einer garantierten Dusche und einem guten Frühstück, ohne dass man dafür zwanzig Kilogramm Gepäck mit sich herumschleppen muss. Vielleicht bin ich ja zu alt oder zu verwöhnt (wahrscheinlich sagen jetzt manche, die mich kennen „beides!"), aber ich mag es nun mal, nach einem langen und anstrengenden Wandertag eine gute Dusche und frische Kleidung vorzufinden und in einem richtigen Bett zu schlafen, bevor es nach einem ordentlichen Frühstück am nächsten Morgen auf die nächste Etappe geht. Wir hatten jedenfalls das Komplettpaket über einen Reiseveranstalter gebucht, mit dem wir schon zwei Jahre zuvor in Schottland den West-Highland-Way gelaufen waren und da damals alles absolut top gewesen war, hatten wir uns ihm auch dieses Mal wieder anvertraut (an dieser Stelle ein Dank an und auch etwas Werbung für Hillwalk Ltd, Galway).
So saß ich also in meinem ICE und fuhr gen Süden. Ich hatte laut Fahrplan in München neun Minuten Zeit, um von Gleis 5 zu Gleis 14 zu kommen, wenn ich meine Regionalbahn nach Rosenheim noch erreichen wollte. Noch war ich aber zuversichtlich, dass unser Zugführer es schaffen würde, während der über dreistündigen Fahrt die paar Minuten wieder aufzuholen. Bereits kurz hinter Fulda waren wir fast wieder im Soll und ich war beruhigt.
Ich war ja so naiv...
Bis Augsburg hatten wir wieder fünf Minuten Verspätung und bis München wurden daraus dann insgesamt fünfzehn Minuten. Mein Anschlusszug war weg.
Während ich also schnell Andy, der mich in Rosenheim am Bahnhof abholen wollte, über meine unfreiwillige Fahrplanänderung informierte, kam die Durchsage, dass meine Regionalbahn nun mit fünfzehn Minuten Verspätung abfahren würde. Ich bekam einen Anfall wutbedingter Schnappatmung, den ich mit aller Gewalt unterdrückte, packte mein Gepäck und rannte los. Ich sah noch die Rücklichter des ausfahrenden Zuges. So stand ich also wenig später doch wieder an der Fahrplanauskunft und suchte nach einer Möglichkeit, nach einer Reise von ein paar hundert Kilometern auch noch das letzte Stück zu bewältigen. Hätte ich geahnt, was noch kommen sollte, hätte ich mich von Andy auch direkt in München abholen lassen können.
Aber der Reihe nach:
Die nächste Regionalbahn in meine Richtung sollte in fünfzehn Minuten fahren, dafür würde ich aber an einer früheren Haltestelle aussteigen können. Ich dirigierte Andy also per Handy um (das war der Zeitpunkt, an der der erste dumme Spruch von ihm kam) und wartete. Nach nicht einmal zwei Minuten kam die Ansage, dass diese Bahn leider zehn Minuten Verspätung haben würde. Ich seufzte. Es gibt einfach diese Tage. Wenig später kam dann die Erweiterung auf fünfzehn und kurz darauf auf zwanzig Minuten Verspätung. Mein eigenes Seufzen ging im kollektiven Seufzen von einigen Dutzend anderen Reisenden um mich herum unter.
Ich informierte meinen Abholer am Bahnhof über die erneute Verspätung (der Zeitpunkt seiner zweiten blöden Bemerkung a'la „willst du eigentlich überhaupt hier her kommen?“) und wartete weiter. Inzwischen fuhr der Folgezug meiner eigentlichen Regionalbahn ein. Da ich mir aber sehr genau vorstellen konnte, was er sagen würde, wenn ich ihn nun wieder zum Bahnhof in Rosenheim umleiten würde, sagte ich Andy lieber nichts davon und wartete weiter.
Ausnahmsweise war dies an dem Tag sogar die richtige Entscheidung, denn kaum stand der Zug, kam auch schon die erste Verspätungsansage über fünfzehn Minuten durch. Ich grinste innerlich, froh darüber, wenigstens eins richtig gemacht zu haben.
Endlich kam mein Zug eingefahren, ich stieg ein und zusammen mit mir warteten viele weitere, äußerst geduldige Reisende auf eine Abfahrt, die sich immer weiter verzögerte. Nach sage und schreibe 31 Minuten Standzeit im Bahnhof fuhren wir endlich los – ein kollektiver Seufzer der Erleichterung wanderte durch alle Abteile.
Bereits kurz hinter dem zweiten Halt standen wir dann mitten im Nirgendwo einige Minuten, da die Strecke vor uns überlastet war.
Am nächsten Halt kam dann die Durchsage, alle Reisenden, die zu den Zwischenhalten zwischen hier und Rosenheim wollten, sollten nun bitte in den Zug auf dem Nachbargleis umsteigen. Unser Zug würde auf Grund seiner massiven Verspätung (inzwischen über 45 Minuten) nun zu einem Expresszug umbenannt und ohne Halt direkt bis Rosenheim durchfahren. Zudem würde der andere Zug zuerst weiterfahren und somit wären wir schneller am Ziel.
Im Nachhinein erscheint auch mir das äußerst unlogisch (kann man auf Gleisen überholen?), damals hatte mein aktiver Teil des Gehirns dank der bayrischen Landesbahn aber längst in Stand-by geschaltet.
Folglich sprangen mehrere Dutzend Fahrgäste samt Gepäck aus unserem Zug, drängelten sich wie Vieh in den bereits übervollen Abteilen der anderen Bahn zusammen und schauten zu, wie unsere alte Bahn mit Vollgas wegfuhr.
Inzwischen waren wir fast alle längst Zyniker geworden, denn kaum jemand schimpfte darüber, während der Großteil nur noch schallend lachte und von einer Real-Satire in Bestform sprach.