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Ulrike Strätling

Die Zeit

hat keine Zeit

für mich

Impressum

Autorin:

Ulrike Strätling

Als Printmedium erschienen:

im Printsystem Medienverlag, D-71296 Heimsheim

Mail: info@printsystem-medienverlag.de

www.printsystem-medienverlag.de

ISBN 978-3-945833-61-2

E-Book-Verlag:

Joy Edition, Grußkarten, E-BOOKS and more, Gottlob-Armbrust-Straße 7, D-71296 Heimsheim

Mail: info@joyedition.de

Copyright:

E-Book © 2016 by Joy Edition, Grußkarten, E-BOOKS and more, Heimsheim

Buchgestaltung:

Grafik- und Designstudio der Printsystem GmbH

Kein Teil des Buches darf in irgendeiner Form vervielfältigt, übersetzt, abgelichtet oder mit elektronischen Systemen verbreitet werden.

ISBN: 978-3-944815-78-7

 

Ein neues Problem

Geschafft! Nun gibt es ein Buch mehr auf dem Büchermarkt. Stolz wie Bolle bin ich, denn es ist von mir. Nun muss es bloß noch jemand kaufen. Es muss nicht gleich ein Bestseller werden, ich bin ja nicht gierig. Aber, ich sage auch nicht nein, wenn sich der Geldsack füllt. Dann könnte ich mir ein paar von meinen tausend Wünschen erfüllen. Denn fünfhundert von den tausend sind mindestens kostenpflichtig. Weniger ist mehr, höre ich immer, doch ich kann das nicht bestätigen.

Gerade erst habe ich mein Leben wieder ins Lot gebracht. Mich mit dem fiesen, unerbittlichen Alter herumgeschlagen und letztendlich einen Kompromiss mit ihm geschlossen. Nun will ich leben. Mit all meinen Sinnen. Ich will hoffnungsvoll in meine Zukunft blicken. Ich bin gespannt und voller Erwartungen, was mir die Zukunft noch zu bieten hat. Zukunft? Welche Zukunft? Da nistet sich doch gleich bei mir die Frage ein, wie viel Zukunft habe ich noch? Wie viel Zeit habe ich noch? Mit ziemlicher Sicherheit ist die Zeit bei mir nicht mehr etliche Kilometer lang. Im Gegenteil. Und schon ist das nächste Problem da. Ja, kann ich denn nicht mal so ganz in Ruhe vor mich hinleben?

 

Februar – Die Zeit hat keine Zeit für mich

Heute ist mein Geburtstag, doch feiern mag ich nicht. Der Tag sagt mir nur, dass ich nun noch weniger Zeit habe. Verflixt, irgendwie muss die Zeit doch aufzuhalten sein. Sie läuft und läuft, ach was, sie rennt. Sie nimmt die Beine in die Hand und haut ab. So schnell sie kann. Von Tag zu Tag legt sie noch einen Zacken zu. Mit der Geschwindigkeit einer Rakete, die auf dem Weg zu fernen Galaxien ist. Die Schallmauer durchbrechend. In turboschneller Lichtgeschwindigkeit rast sie davon. Ohne Rücksicht, da hat sie etwas mit dem Alter gemeinsam. Unberechenbar verschwindet sie. Meine Zeit. Meine persönliche Zeit, unsere Zeit, die kostbare wertvolle Zeit aller Menschen, die bereits ihre Jugend vor längerer Zeit hinter sich gelassen haben. Die Zeit, die verantwortlich ist für den Ablauf allen Geschehens. Die durch nichts auf der Welt zu ersetzen ist. Die kostbarer ist, als der größte Diamant. Und wenn sie sich dem Ende zuneigt, ist es schon fast zu spät. Dann ist es aus.

Aber so weit ist es bei mir noch nicht. Ich spüre es genau. Ich habe noch ein paar Meter Zeit. Was und wo ist die Zeit, die mich so gänzlich im Stich lässt? Kann man sie sehen? Nein. Es ist die Gegenwart, die einen Wimpernschlag später schon die Vergangenheit ist und sich dann unwillkürlich in die Zukunft bewegt. Das ist die Zeit, und sie ist gnadenlos. Und unsichtbar.

Ich stelle mit Schrecken fest, dass meine Zeit zum größten Teil bereits Geschichte ist. Eine Menge Geschichte. Zu viel Geschichte. Ich bin schon das reinste Geschichtsbuch. Die Zeit lässt mir keine Zeit mehr. Und da läuten bei mir die Alarmglocken. Schrill, grell und furchtbar laut.

 

Schlagartig ist jegliche Luft bei mir raus. Meine Lebensgeister haben sich verzogen. Mein Akku ist leer. Falten, Runzeln und Furchen habe ich akzeptiert. Zahnverlust, Hörverlust und Muskelschwund werde ich akzeptieren, wenn es so weit ist. Das Alter ist wahrhaftig richtig mies, es arbeitet mit der Zeit zusammen. Je weniger mir bleibt, umso heftiger schlägt es zu. Äußerlich und innerlich. Auch meine Seele wird es nicht verschonen. Das Alter und die Zeit machen gemeinsame Sache. Es ist zusagen das Zeitalter. Zuständig für die Menschen, die keine Zeit mehr haben. Also, das Zeitalter der Zeitlosen. Und ich gehöre dazu.

 

Wie sieht meine Welt am Ende meiner Zeit aus? Allein, einsam und farblos? Krank und voller Traurigkeit? Oh Gott, bloß das nicht. Nach und nach werde ich meine Freunde verlieren. Und vielleicht auch meinen Mann. Oh nein, bitte nicht. Alleine in der großen Wohnung und niemanden zum Reden oder Streiten haben. Wie furchtbar. Da wird sich das Alleinsein schnell in Einsamkeit verwandeln. Einsamkeit, welch schreckliches Wort. Ich werde vor Einsamkeit krank werden und an einem gebrochenen Herzen das Zeitliche segnen. Und kein Hahn kräht mehr nach mir. Ich sehe voller Schrecken, ein Ende mit Schrecken. Und da kreischen die Alarmglocken erneut auf. Noch lauter und schriller. Nicht mit mir. Ich will nicht mehr ich sein, wenn ich es nicht wagen würde, mit dem Zeitalter in den Ring zu steigen. Auf zur ersten Runde.

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Ich brauche einen Plan

Noch ehe der kalte Wintertag den Horizont ein wenig erhellt und uns auf unbarmherzige Weise wieder zum Frieren bringt, bin ich wach. Die Nacht war eisig, ich habe kaum ein Auge zugemacht. Müde starre ich auf eine Spinne an der Decke. Da kommen mir einige Gedanken. Ich darf keine Zeit mehr vergeuden. Meine Zeit ist leider begrenzt. Oh, komme ich eventuell unter Zeitdruck? Ich hoffe nicht. Also, ich weiß, dass die Zeit die Zeit zwischen Erwartung und Erfüllung ist. Oder zwischen Aufbau und Verfall. Oh, das ist mir zu gruselig. Geburt und Tod. Hausbau und Ruine. Also, ich brauche dringend eine Zeitverlängerung. Die erreiche ich, indem ich jedes Sekündchen effektiver nutze. Ich brauche absolut neue Erlebnisse, interessante Herausforderungen, das lässt die Zeit nicht so schnell verstreichen. Denn neu Erlebtes lässt die Zeit langsamer vergehen. Vorausgesetzt, die Erlebnisse sind noch nicht in meinem Erfahrungsschatz eingespeichert. Ansonsten schaltet mein Gehirn auf bereits Erlebtes, und ich habe nur einen relativ kurzen Augenblick dafür zu Verfügung. Und je älter ein Mensch wird, umso größer ist sein Erfahrungsschatz und dadurch hat der ältere Mensch das Gefühl, dass die Zeit schneller vergeht. Gelingt es mir aber, neue unbekannte Momente zu schaffen, habe ich also mehr von der Zeit. Das ist gut. Ich habe dann sozusagen einen Zeitgewinn. Gibt es Zinsen dafür? Schön wäre es. Auf jeden Fall habe ich dann mehr von meiner Zeit. Ich kann also selbst bestimmen, wie schnell meine Zeit vergeht. Und die dazu gewonnene Zeit nutze ich dann, um vorbeugend Schutzmaßnahmen gegen die Einsamkeit zu sammeln. Nur wie soll ich das anstellen? Ich brauche einen Plan.

Zuerst mal springe ich aus dem Bett. Etwas zu schnell, der Schwindel ergreift Besitz von mir. Ich plumpse zurück und sitze wieder. Auch gut. Dann denke ich eben hier über einen Plan nach. Am Ende meiner persönlichen Zeit soll es mir gut gehen. Es soll auf keinen Fall eine Zeit der Einsamkeit werden. Ups, das löst großes Unbehagen in mir aus. Ich sehe mich verhärmt, eigenbrötlerisch und schrullig. Ich sehe mich krank vor Einsamkeit und unendlich traurig. Nein, das will ich nicht. So soll es mit mir nicht enden.

Vorbeugung ist alles. Das A und O. Ich brauche dringend einen großen Freundes- und Bekanntenkreis. Der kann mir später dann sehr von Nutzen sein. Wenn ich dann eines Tages alleine bin, sollen viele Freunde mich unterhalten, mir Gesellschaft leisten. Apropos, ob man sich Gesellschafter mieten kann? Das käme dann als Notlösung ganz gut, falls ich keine Freude oder auch nicht genügend Freunde finde. Aber da muss man ganz genau gucken, sonst hat man schneller, als man denkt, einen Callboy neben sich sitzen. Und Sex brauche ich am Ende meiner Zeit wohl kaum noch. Oder doch? Vielleicht das berühmte letzte Mal?

Naja, noch ist es nicht so weit. Nun, diese Freunde können mich dann unterstützen, wenn ich alt und klapprig bin und niemand mehr für mich da sein wird. Wir werden reden und lachen, Musik hören oder einen Film gucken. Wenn ich weinen muss, dann können sie mir die Tränen trocknen. Und wenn meine Augen versagen, so kann mir jemand vorlesen. Vielleicht sogar aus meinen selbstgeschriebenen Büchern. Und schließlich kann es auch passieren, dass ich nicht mehr alleine essen kann. Sicher werden mir meine Freunde mit großer Freude das Essen reichen. Der eine oder andere wird schon rüstig genug bleiben.

Ich werde also ab heute versuchen, meine Zeit aufzuhalten, besser gesagt zu verlangsamen und entschleunigen. Aufhalten oder so geht ja wohl nicht. Außerdem mache ich mich sofort und unverzüglich auf die Suche nach lieben Menschen, die meine Freunde für das Ende meiner Zeit werden wollen. Augen auf, liebe Menschen gibt es an jeder Ecke. Auf geht’s!