Wie die Technologie hinter Bitcoin
nicht nur das Finanzsystem,
sondern die ganze Welt verändert
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
Blockchain Revolution: how the technology behind bitcoin is changing money, business, and the world
ISBN 978-1-10-198013-2
© Copyright der Originalausgabe 2016:
Copyright © 2016 by Don Tapscott and Alex Tapscott
All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.
This edition published by arrangement with Portfolio, an imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC.
© Copyright der deutschen Ausgabe 2016:
Börsenmedien AG, Kulmbach
Übersetzung: Petra Pyka
Covergestaltung: Johanna Wack
Gestaltung und Satz: Regina Denhard, denksportler Grafikmanufaktur
Herstellung: Martina Köhler
Lektorat: Claus Rosenkranz
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-86470-388-1
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Für Ana Lopes und Amy Welsman,
weil sie dieses Buch möglich gemacht und verstanden haben,
„dass sich alles nur um die Blockchain dreht“.
„Ein Meisterwerk, das das Potenzial der Blockchain-Technologie fein säuberlich seziert, um so die dringlichsten Herausforderungen weltweit anzupacken.“
–Hernando De Soto, Ökonom und President, Institute for Liberty and Democracy, Peru
„Blockchain verhält sich zu Vertrauen wie das Internet zu Daten. Ebenso wie das erste Internet hat auch die Blockchain das Potenzial, alles zu verändern. Lesen Sie dieses Buch – dann wissen Sie, warum.“
–Joichi Ito, Director, MIT Media Lab
„Auf dieser außergewöhnlichen Reise an die Grenzen der Finanzwelt wirft Tapscott ein neues Licht auf das Phänomen ‚Blockchain‘ und bringt überzeugende Argumente, weshalb wir uns alle über sein Potenzial und seine Macht schlau machen sollten.“
– Dave McKay, President und CEO, Royal Bank of Canada
„Dieses Buch analysiert ebenso scharfsinnig wie eingängig die Chancen, aber auch die Gefahren der Blockchain. Die Blockchain-Revolution bietet den Lesern das Privileg, einen Blick in die Zukunft zu werfen.“
– Alec Ross, Autor von Die Wirtschaftswelt der Zukunft
„Wenn jemals etwas entmystifiziert werden sollte, dann doch wohl die Blockchain. Und den Tapscotts ist dies mehr als gut gelungen, denn mit ihrem Buch bringen sie dem Leser nahe, weshalb dieses Thema für solch eine Aufregung sorgt, weshalb es so wichtig ist und welche Möglichkeiten es eröffnet.“
– Blythe Masters, CEO, Digital Asset Holdings
„Dieses Buch steht dem prognostischen Wert von Orwells 1984 und der visionären Kraft eines Elon Musk in nichts nach. Wer es nicht liest, den wird wohl das Schicksal der Dinosaurier ereilen.“
– Tim Draper, Gründer von Draper Associates, DFJ und Draper University
„Die Blockchain ist eine ziemlich radikale technologische Welle – und wie schon so oft ist Tapscott auch jetzt wieder da draußen, diesmal gemeinsam mit seinem Sohn Alex, und surft in den Sonnenuntergang. Was für ein Ritt!“
– Yochai Benkler, Berkman Professor of Entrepreneurial Legal Studies, Harvard Law School
„Jeder Mitarbeiter eines Unternehmens oder einer Behörde sollte wissen, was die Blockchain-Revolution ist. Es gibt dazu kein besser recherchiertes und fesselnderes Buch über dieses Thema als das von Tapscott und Tapscott.“
– Erik Brynjolfsson, Professor am MIT; Koautor von The Second Machine Age
„Eine unverzichtbare und aktuelle Analyse, wie die Technologie hinter Bitcoin das wahre Potenzial einer digitalen Wirtschaft ausschöpfen könnte – und sollte –, um Wohlstand für alle zu ermöglichen.“
– Douglas Rushkoff, Autor von Present Shock und Throwing Rocks at the Google Bus
„Technologischer Wandel vollzieht sich normalerweise über etwa eine Generation, doch jetzt geht das in Sekundenschnelle! Und niemand erzählt uns diese Geschichte besser als die Tapscotts.“
– Eric Spiegel, President und CEO, Siemens USA
„Nur wenige Vordenker bringen uns dazu, über den Tellerrand zu schauen – doch Don Tapscott beherrscht das wie kein anderer. In Die Blockchain-Revolution vermittelt er uns gemeinsam mit seinem Sohn Alex Hintergrundwissen, bringt uns zum Nachdenken und weist uns einen ganz neuen Weg in die Zukunft.“
– Bill McDermott, CEO, SAP SE
„Die Blockchain-Revolution ist eine geniale Mischung aus Geschichte, Technologie und Soziologie, die alle Aspekte des Blockchain-Protokolls abdeckt – eine Erfindung, die sich einmal als so weltbewegend erweisen könnte wie die Kunst des Buchdrucks.“
– James Rickards, Autor von Währungskrieg und Die Geldapokalypse
„Die Blockchain-Revolution ist wie eine Straßenkarte für die Welt des digitalen Geldes mit einer perfekten Beschreibung der derzeitigen Landschaft, die zugleich den Weg weist in ein gerechteres, effizienteres und besser vernetztes globales Finanzsystem.“
– Jim Breyer, CEO, Breyer Capital
„Die Blockchain-Revolution ist definitiv der unverzichtbare Ratgeber für diese neue Technologie, die unsere Welt auf den Kopf stellen wird.“
– Jerry Brito, Executive Director, Coin Center
„Unglaublich. Wirklich unglaublich! Die Tapscott’sche Analyse der Blockchain als Modell für Inklusion in einer immer zentralisierteren Welt ist ebenso differenziert wie außergewöhnlich.“
– Steve Luczo, Chairman und CEO, Seagate Technology
„Dieses Buch liefert überzeugende Argumente dafür, dass die Blockchain die Transparenz erhöht und sogleich den Datenschutz stärkt. Um es mit den Worten der Autoren zu sagen: ‚Kein Internet der Dinge ohne Hauptbuch der Dinge‘.“
– Chandra Chandrasekaran, CEO und Geschäftsführer, Tata Consultancy Services
„Das Epizentrum des Vertrauens teilt sich auf! Der ultimative Bericht über die revolutionären Möglichkeiten eines dezentralen Systems des Vertrauens.“
– Frank D’Souza, CEO, Cognizant
„Die Blockchain-Revolution ist die Vorhut des technologischen Fortschritts – und das ist nur der Anfang!“
– Frank Brown, Geschäftsführer und Chief Operating Officer, General Atlantic
„Es geht einer neuen technologischen Bewegung auf den Grund und stellt den Zusammenhang her zu einem menschlichen Urbedürfnis: Vertrauen. Fundiert und provokant. Jeder Unternehmer und politischer Entscheidungsträger, der ernst genommen werden will, sollte Die Blockchain-Revolution gelesen haben.“
– Brian Fetherstonhaugh, Chairman und CEO, OgilvyOne Worldwide
„Dieses Buch müssen Sie gelesen haben. Denn nur dann begreifen Sie, weshalb sich die Blockchain schnell zu einer der wichtigsten technologischen Erfindungen seit dem Internet entwickelt.“
– Brian Forde, Director der Digital Currency Initiative, MIT Media Lab
„Die Blockchain-Technologie weist das Potenzial auf, die Industrie, das Finanz- und Staatswesen auf den Kopf zu stellen – Pflichtlektüre für jeden, der sich für die Zukunft des Geldes und der Menschheit interessiert.“
– Perianne Boring, Gründerin und President, Chamber of Digital Commerce
„Wenn eine generationsübergreifende Technologie die Welt verändert, in der wir leben, können wir uns glücklich preisen, dass es Kartografen wie Don Tapscott und seit Neuestem auch seinen Sohn Alex gibt, die uns erklären, wohin die Reise geht.“
– Ray Lane, Managing Partner, GreatPoint Ventures; Partner Emeritus, Kleiner Perkins
„Don und Alex haben den ultimativen Ratgeber für alle verfasst, die daran interessiert sind, die Tür zu einer neuen und vielversprechenden Welt zu öffnen.“
– Benjamin Lawsky, ehemaliger Superintendent of Financial Services des US-Bundesstaats New York; CEO von The Lawsky Group
„Die Blockchain-Revolution ist ein erhellendes, unglaublich wichtiges Manifest für das nächste digitale Zeitalter.“
– Dan Pontefract, Autor von The Purpose Effect, Chief Envisioner, TELUS
„Das hervorragend recherchierte und sorgfältig erarbeitete Buch bietet tiefe Einblicke in die aufregendste neueste Technologie seit dem Internet. Ein Werk von außergewöhnlicher Klarheit und erstaunlich breitem und tiefem Kenntnisreichtum.“
– Andreas Antonopoulos, Autor von Mastering Bitcoin
„Die Blockchain Revolution klärt auf über die schöne neue Welt des dezentralen, vertrauenslosen Geldes.“
– Tyler Winklevoss, Mitgründer, Gemini und Winklevoss Capital
„Ein faszinierender – und beruhigender – Einblick in eine Technologie, die die Weltwirtschaft neu erfinden kann. Was für eine Errungenschaft! Und was für ein Buch!“
– Paul Polman, CEO, Unilever
Stimmen zum Buch
Teil 1: Say You Want a Revolution
Kapitel 1:
Das Protokoll des Vertrauens
Auf der Suche nach dem Vertrauensprotokoll
Wie funktioniert dieses weltweite Hauptbuch?
Rationaler Überschwang für die Blockchain
Wie lässt sich im digitalen Zeitalter Vertrauen gewinnen?
Die Rückkehr des Internets
Ihr persönlicher Avatar und die Blackbox der Identität
Ein Wohlstandsplan
Chancen und Risiken der neuen Plattform
Kapitel 2:
Das Bootstrapping der Zukunft – sieben Gestaltungsprinzipien für die Blockchain-Wirtschaft
Die sieben Gestaltungsprinzipien
1. Vernetzte Integrität
2. Verteilte Macht
3. Wert als Anreiz
4. Sicherheit
5. Datenschutz
6. Wahrung von Rechten
7. Inklusion
Gestaltung der Zukunft
Teil 2: Umwälzungen
Kapitel 3:
Die Neuerfindung der Finanzdienstleistungen
Ein neuer Look für das zweitälteste Gewerbe der Welt
Die goldenen Acht: Wie sich der Finanzdienstleistungssektor verändert
Von der Stock Exchange zur Block Exchange
Der faustische Blockchain-Pakt
Die Bank-App: Wer hat im Privatkundengeschäft die Nase vorn?
Google Translate für die Wirtschaft: Neue Regelwerke für Rechnungslegung und Unternehmensführung
Reputation: Zeig mir deine Bonitätsbewertung und ich sage dir, wer du bist
In der Blockchain an die Börse
Der Markt für Prognosemärkte
Ein Fahrplan für die goldenen Acht
Kapitel 4:
Die Neugestaltung des Unternehmens – im Kern und am Rande
ConsenSys-Findung
Die Unternehmensgrenzen verändern
Festlegung der Unternehmensgrenzen
Kapitel 5:
Neue Geschäftsmodelle – die Regenmacher in der Blockchain
bAirbnb und Airbnb – ein Vergleich
Globales Computing: Der Siegeszug dezentraler Anwendungen
Die DApp-Könige: Verteilte Unternehmen
Autonome Agenten
Verteilte autonome Unternehmen
Die glorreichen Sieben: Geschäftsmodelle für offene Netzwerkunternehmen
Die Zukunft hacken: Innovative Geschäftsmodelle
Kapitel 6:
Das Hauptbuch der Dinge – Animation der physischen Welt
Power to the People
Die Evolution des Computers: Vom Großrechner zur intelligenten Pille
Kein Internet der Dinge ohne Hauptbuch der Dinge
Die zwölf Umwälzungen: Animation der Dinge
Der wirtschaftliche Nutzen
Die Zukunft: Von Uber zu SUber
Die Zukunft hacken für eine Welt der intelligenten Dinge
Kapitel 7:
Das Wohlstandsparadox und sein Lösung – wirtschaftliche Inklusion und Unternehmertum
Ein Schwein ist kein Sparschwein
Das neue Wohlstandsparadox
Fahrplan zum Wohlstand
Überweisungen: Die Geschichte von Analie Domingo
Humanitäre Hilfe über die Blockchain
So sicher wie ein Haus? Der Weg zum eigenen Vermögen
Umsetzungsprobleme und Führungschancen
Kapitel 8:
Die Umgestaltung von Staat und Demokratie
Etwas ist faul im Staate
Ein hochleistungsfähiger öffentlicher Dienst und Staatsbetrieb
Mehr Möglichkeiten für Menschen, sich und anderen zu dienen
Das zweite demokratische Zeitalter
Blockchain-Abstimmung
Ein alternatives Politik- und Justizmodell
Die Bürger an der Lösung großer Probleme beteiligen
Wie die Demokratiewerkzeuge des 21. Jahrhunderts zu handhaben sind
Kapitel 9:
Die Befreiung der Kultur in der Blockchain – Musik für unsere Ohren
Fair-Trade-Musik: Vom Musik-Streaming zur Messung der Rechte
Artlery für Kunstfreunde: Wie Künstler und Mäzen zusammenfinden
Datenschutz, Meinungs- und Pressefreiheit in der Blockchain
Weitersagen: So wichtig ist Bildung
Kultur in der Blockchain – und Sie
Teil 3: Chancen und Risiken
Kapitel 10:
Showstopper – zehn Probleme bei der Umsetzung
1. Die Technologie ist noch nicht massentauglich
2. Der Energieverbrauch ist untragbar
3. Regierungen können die Entwicklung abwürgen oder verfälschen
4. Mächtige etablierte Vertreter des alten Paradigmas vereinnahmen das neue
5. Unzulängliche Anreize für dezentrale Massenkooperation
6. Die Blockchain als Jobkiller
7. Protokolle zu verwalten ist wie einen Sack voller Flöhe zu hüten
8. Dezentrale autonome Agenten, die Skynet bilden
9. Der große Bruder sieht dich (immer noch)
10. Missbrauch durch Kriminelle
Gründe für das Scheitern der Blockchain – oder doch nur Umsetzungsprobleme?
Kapitel 11:
Führung im nächsten Zeitalter
Wer führt die Revolution an?
Das Blockchain-Ökosystem: Ohne Spielerliste weiß man nicht, wer spielt
Ein warnendes Beispiel für die Regulierung der Blockchain
Der Senator, der die Welt verändern sollte
Zentralbanken in einer dezentralen Wirtschaft
Regulierung und Governance – eine Gegenüberstellung
Ein neues System zur Blockchain-Governance
Eine neue Agenda für das nächste digitale Zeitalter
Was das Protokoll des Vertrauens für Sie persönlich bedeutet
Anmerkungen
Dank
Wieder einmal hat es den Anschein, als hätte jemand den Geist der Technik aus seiner Flasche befreit. Niemand weiß, wer diesen Geist heraufbeschworen hat oder aus welchen Motiven – in einer Zeit, die alles andere als sicher ist. Dennoch steht uns dieser Geist jetzt zu Diensten. Er kann die Machtverteilung in der Wirtschaft auf den Kopf stellen und die alte Gesellschaftsordnung zum Besseren wenden. Wir müssen es uns nur wünschen.
Wie es dazu kam?
Die ersten vier Jahrzehnte nach der Erfindung des Internets brachten uns Neuerungen wie E-Mail, das World Wide Web, Dotcoms, soziale Medien, das mobile Web, Big Data, Cloud-Computing und die ersten Tage des Internets der Dinge. All das hat in erheblichem Maße dazu beigetragen, die Kosten für die Suche nach und den Austausch von Informationen und für die Zusammenarbeit zu reduzieren. Es hat die Einstiegsbarrieren für neue Nachrichten- und Unterhaltungsmedien, neue Formen des Einzelhandels und der Arbeitsorganisation und bislang ungekannte digitale Projekte gesenkt. Durch Sensortechnologie verfügen wir nun über intelligente Brieftaschen, Bekleidung, Fahrzeuge, Gebäude, Städte – und diese Entwicklung hat nicht einmal vor unserer ureigenen Biologie Halt gemacht. Unser gesamtes Umfeld ist derart gesättigt damit, dass wir uns im Berufs- und Privatleben bald nicht mehr in diese allgegenwärtige Technologie „einloggen“, sondern gänzlich darin aufgehen werden.
Alles in allem hat das Internet viel zum Guten verändert – zumindest für diejenigen, die Zugang dazu haben. Im Geschäfts- und Wirtschaftsleben weist es aber schwerwiegende Defizite auf. The New Yorker konnte Peter Steiners Cartoon über das Gespräch zwischen zwei Hunden von 1993 gänzlich unverändert noch einmal abdrucken: „Im Internet weiß niemand, dass du ein Hund bist.“ Online sind wir nicht in der Lage, unsere Identität zweifelsfrei nachzuweisen, und für jede Transaktion und jeden Austausch von Zahlungsmitteln sind wir auf die Validierung durch einen Dritten wie eine Bank oder Regierungsbehörde angewiesen. Eben diese Intermediäre sammeln unsere Daten und missachten aus Profitgier oder aus Gründen der nationalen Sicherheit den Datenschutz. Doch selbst mit dem Internet schließt ihre Kostenstruktur an die 2,5 Milliarden Menschen aus dem globalen Finanzsystem aus. Trotz des Versprechens, eine Welt zu schaffen, in der alle gleichberechtigt sind, zeigt sich, dass die wirtschaftlichen und politischen Vorteile ungleich verteilt sind. Macht und Wohlstand fließen den Menschen zu, die bereits darüber verfügen – ohne dass sie noch viel dafür tun müssten. Mit Geld verdient man mehr Geld als die meisten Bürger durch Arbeit.
Technologie schafft weder Wohlstand noch greift sie in die Privatsphäre ein. Doch im digitalen Zeitalter steht und fällt einfach alles mit Technologie – Gutes ebenso wie Schlechtes. Sie sorgt dafür, dass wir die Rechte unserer Mitmenschen auf ganz neue Art und Weise respektieren oder mit Füßen treten können. Die explosionsartige Zunahme der Online-Kommunikation und des elektronischen Geschäftsverkehrs schafft mehr Gelegenheiten für Internet-Kriminalität. Das Moore’sche Gesetz, demzufolge sich die Prozessorleistung jedes Jahr verdoppelt, bedeutet auch, dass sich die Zahl der Betrüger und Diebe – der Moore’schen Gesetzlosen 1 – verdoppelt, ganz zu schweigen von der Flut an fragwürdigen Existenzen, die Spam versenden, Identitäten stehlen, Phishing betreiben, andere bespitzeln, Bot-Netze für ihre Zwecke missbrauchen, Rechner hacken und Cybermobbing oder Datenerpressung begehen – also Viren in Umlauf bringen, die ganze Festplatten verschlüsseln, und vom Anwender dann Lösegeld fordern. Die Aufzählung ließe sich endlos fortsetzen.
Bereits 1981 arbeiteten Erfinder an der Lösung der mit dem Internet verbundenen Probleme wie Datenschutz, Sicherheit und Einbindung von Kryptografie. Doch wie sie es auch drehten und wendeten, es gab immer Sicherheitslücken, weil Dritte ins Spiel kamen. Die Online-Zahlungsabwicklung über Kreditkarten war unsicher, da die Kunden zu viele persönliche Daten preisgeben mussten. Außerdem waren die Transaktionsgebühren bei geringen Rechnungsbeträgen zu hoch.
Schon 1993 hatte sich der brillante Mathematiker David Chaum das digitale Bezahlsystem eCash ausgedacht, „ein in technischer Hinsicht perfektes Produkt, das sichere und anonyme Zahlungen über das Internet ermöglichte. … Es eignete sich ideal, um elektronisch Kleinstbeträge über das Internet zu senden.“ 2 Es war so beeindruckend, dass selbst Branchenriesen wie Microsoft Interesse bekundeten, eCash als Feature in ihre Programme zu integrieren. 3 Das Problem war, dass Datenschutz und Sicherheit für Online-Käufer damals kein Thema waren – ein Grund dafür, dass Chaums niederländisches Unternehmen DigiCash 1998 in Konkurs ging.
Etwa zu dieser Zeit verfasste einer von Chaums Geschäftspartnern, Nick Szabo, eine kurze Abhandlung mit dem Titel „The God Protocol“ (sinngemäß: „Das Gottesprotokoll“), eine Anspielung auf den von Nobelpreisträger Leon Lederman geprägten Begriff vom „Gottesteilchen“, um auf die Bedeutung des Higgs-Bosons für die moderne Physik zu verweisen. Szabo sinnierte darin über ein allumfassendes Protokoll, das Gott als Vertrauensperson ins Zentrum aller Transaktionen rückte: „Alle Beteiligten sollten ihre Eingaben an Gott schicken, der dann zuverlässig die Ergebnisse berechnen und diese zurücksenden würde. Da Gott als ultimative Instanz für Verschwiegenheit gilt – man denke nur an das Beichtgeheimnis –, würde keiner der Beteiligten mehr über die Eingaben eines anderen Beteiligten erfahren, als er aufgrund seiner eigenen Eingaben und Ergebnisse ohnehin wüsste.“ 4 Seine Argumentation überzeugte: Geschäfte über das Internet abzuwickeln ist ohne Vertrauensvorschuss praktisch unmöglich. Doch da es der Infrastruktur an der dringend benötigten Sicherheit fehlt, haben wir oft keine andere Wahl, als Intermediäre wie Götter zu behandeln.
Ein Jahrzehnt später, also im Jahr 2008, kam es zur weltweiten Finanzkrise – womöglich ein günstiger Zeitpunkt für eine Person oder Gruppe, unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto ein neues Protokoll für ein elektronisches Peer-to-Peer-Zahlungssystem unter Verwendung einer Kryptowährung namens Bitcoin vorzustellen. Kryptowährungen (also digitale Währungen) unterscheiden sich dadurch von herkömmlichen Fiatwährungen, dass sie nicht von Staaten eingeführt und kontrolliert werden. Das neue Protokoll stellte in Form dezentraler Berechnungen Regelsätze auf, um die Datenintegrität der zwischen Milliarden elektronischen Endgeräten übermittelten Daten sicherzustellen, ohne dass ein vertrauenswürdiger Dritter vonnöten war. Dieser scheinbar unspektakuläre Schritt war der Zündfunke, der in der Computerwelt helle Aufregung auslöste – und mitunter auch Angst und Schrecken. Die Zukunft wurde in den schillerndsten Farben ausgemalt. Von dort aus sprang das Feuer auf die Geschäftswelt über und erfasste Behörden, Datenschützer, Aktivisten für soziale Entwicklung, Medientheoretiker und Journalisten, um nur einige zu nennen – und das weltweit.
„Sie alle jubelten ‚Mein Gott, das ist es! Endlich ist der Durchbruch geschafft! Darauf haben wir die ganze Zeit gewartet‘“, formulierte es Marc Andreessen, der Mitentwickler des ersten kommerziellen Webbrowsers Netscape und einer der großen Technologie-Investoren. „‚Er hat alle Probleme gelöst. Wer immer er sein mag, er hat den Nobelpreis verdient – er ist ein Genie.‘ Das ist der ganz große Wurf! Das ist das dezentrale Vertrauensnetzwerk, das das Internet schon immer gebraucht und bislang entbehrt hat.“ 5
Heutzutage versuchen vorausschauende Menschen auf der ganzen Welt zu begreifen, welche Tragweite ein Protokoll hat, das es Normalsterblichen ermöglicht, Vertrauen mithilfe eines cleveren Codes zu erzeugen. So etwas hatte es bislang noch nicht gegeben – sichere und direkte Transaktionen zwischen zwei und mehr Parteien, authentifiziert durch die Zusammenarbeit der Masse, neuerdings angetrieben durch kollektives Eigeninteresse und nicht mehr durch die Profitgier großer Unternehmen.
Mochte es auch nicht allmächtig sein, so war es doch eine vertrauenswürdige globale Plattform für unsere Transaktionen – also an sich schon eine große Sache. Wir bezeichnen das als Protokoll des Vertrauens.
Dieses Protokoll bildet die Grundlage für eine wachsende Zahl globaler dezentraler Hauptbücher, die Blockchains genannt werden. Die größte davon ist die Bitcoin-Blockchain. Die Technologie dahinter ist sehr kompliziert und auch der Begriff Blockchain geht nicht wirklich leicht ins Ohr, aber die zugrunde liegende Idee ist beeindruckend simpel. Solche Blockketten ermöglichen es, Geld direkt und sicher zum Beispiel von mir zu Ihnen zu transferieren, ohne dass einer von uns eine Bank oder ein Kreditkartenunternehmen oder PayPal bemühen müsste.
Das ist nicht mehr das Internet der Daten, sondern ein Internet des Wertes oder des Geldes. Zugleich ist es eine Plattform, auf der jeder die Wahrheit erkennen kann – zumindest, was strukturierte, erfasste Daten betrifft. Im Grunde handelt es sich um einen offenen Quellcode. Das heißt, jedermann kann die Plattform kostenlos herunterladen, nutzen oder damit neue Tools für die Verwaltung von Online-Transaktionen entwickeln. Somit birgt sie das Potenzial für unzählige neue Anwendungen und bislang noch nicht realisierte Möglichkeiten – und sie verfügt über die Fähigkeit, vieles von Grund auf zu ändern.
Großbanken und manche Behörden nutzen Blockchains als dezentrale Hauptbücher und revolutionieren damit die Art und Weise, wie Daten gespeichert und Transaktionen abgewickelt werden. Dabei verfolgen sie hehre Ziele: Geschwindigkeit, niedrigere Kosten, Sicherheit, weniger Fehler und das Wegfallen zentraler Angriffspunkte und Fehlerquellen. Bei diesen Modellen ist die Einbindung einer Kryptowährung für Zahlungen aber kein Muss.
Die wichtigsten und weitreichendsten Blockchains basieren auf Satoshis Bitcoin-Modell. Und so funktionieren sie.
Der Bitcoin wird wie andere digitale Währungen auch nicht irgendwo in einer Datei gespeichert; er steht für Transaktionen, die in einer sogenannten Blockchain gespeichert sind – eine Art globales Datenblatt oder Hauptbuch, das sich die Ressourcen eines großen Peer-to-Peer-Bitcoin-Netzes zunutze macht, um jede einzelne Bitcoin-Transaktion zu verifizieren und zu genehmigen. Jede Blockchain ist wie die Bitcoin-Blockchain verteilt. Das heißt, sie läuft auf von Freiwilligen in aller Welt zur Verfügung gestellten Rechnern. Es gibt keine zentrale Datenbank, die gehackt werden könnte. Die Blockchain ist öffentlich. Das heißt, jeder kann sie jederzeit einsehen, da sie Teil eines Netzwerks ist und nicht Teil einer einzelnen Institution, die mit der Überprüfung von Transaktionen und der entsprechenden Dokumentation betraut ist. Außerdem ist eine Blockchain verschlüsselt. Das heißt, es kommt eine umfassende Verschlüsselung einschließlich öffentlicher und privater Schlüssel zum Einsatz (was in etwa dem 2-Schlüssel-System eines Schließfachs entspricht), um virtuelle Sicherheit zu gewährleisten. Kein Grund mehr also, sich um die miserable Firewall von Target oder Home Depot zu sorgen oder um räuberische Mitarbeiter von Morgan Stanley oder US-amerikanischer Behörden.
Alle zehn Minuten – sozusagen der Herzschlag des Bitcoin-Netzwerks – werden alle durchgeführten Transaktionen verifiziert, freigegeben und in einem Block abgespeichert, der sich an den vorausgegangenen Block anschließt, sodass eine Kette entsteht. Jeder Block muss sich auf den vorherigen Block beziehen, ansonsten ist er ungültig. Mit dieser Struktur ist dafür gesorgt, dass jeder Wertaustausch dauerhaft mit einem Zeitstempel versehen und gespeichert wird, was erfolgreich verhindert, dass das Hauptbuch geändert werden kann. Wer eine Bitcoin-Einheit stehlen will, müsste ihre gesamte Historie in der Blockchain unter aller Augen neu schreiben und das ist praktisch unmöglich. Somit ist die Blockchain ein dezentrales Hauptbuch, das für einen Netzwerkkonsens über jede einzelne Transaktion steht, die je erfolgt ist. Ebenso wie man vom World Wide Web der Daten spricht, könnte man auch vom World Wide Ledger der Werte sprechen – von einem dezentralen Hauptbuch, das jedermann herunterladen und auf seinem PC laufen lassen kann.
Manche Wissenschaftler behaupten, die Einführung der doppelten Buchführung habe den Aufstieg des Kapitalismus und die Bildung der Nationalstaaten erst möglich gemacht. Das neue digitale Hauptbuch für wirtschaftliche Transaktionen lässt sich so programmieren, dass es quasi alles aufzeichnet, was für die Menschheit von Wert und Bedeutung ist: Geburts- und Sterbeurkunden, Heiratserlaubnisse, Besitzurkunden, Eigentumsnachweise, Bildungsabschlüsse, Jahresabschlüsse, Patientenakten, Versicherungsfälle, Wahlen, Herkunft von Lebensmitteln und alles andere, was sich in Programmiersprachen ausdrücken lässt.
Die neue Plattform ermöglicht den Abgleich digitaler Datensätze über alles Mögliche, und das auch noch in Echtzeit. Fakt ist, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis Milliarden intelligenter Dinge in der materiellen Welt über Sensortechnik allerhand wahrnehmen, darauf reagieren, kommunizieren, sich ihren eigenen Strom kaufen, wichtige Daten austauschen, ja, einfach alles erledigen – vom Umweltschutz bis hin zur Gesundheitsvorsorge. Dieses Internet für alles braucht natürlich auch ein Hauptbuch für alles. Die Unternehmen, der Geschäftsverkehr und die Wirtschaft brauchen ein digitales Rechnungswesen.
Und was hat das alles mit Ihnen zu tun? Nun, unserer Auffassung nach kann uns die Wahrheit befreien und dezentrales Vertrauen wird jeden einzelnen Lebensbereich in erheblichem Maße beeinflussen. Vielleicht sind Sie ja ein großer Musikfan und möchten gerne, dass Interpreten von ihrer Kunst leben können. Oder Sie zählen zu den Verbrauchern, die wissen möchten, woher das Hackfleisch für ihren Hamburger wirklich stammt. Oder Sie sind ein Einwanderer, der es satt hat, jedes Mal, wenn er Geld in sein Heimatland überweist, um seine Familie zu unterstützen, hohe Gebühren zu berappen. Oder ein saudische Frau, die gerne ihre eigene Modezeitschrift herausgeben möchte. Vielleicht sind Sie aber auch Entwicklungshelfer, der Grundbesitzrechte klären muss, um nach einem Erdbeben Häuser wiederaufzubauen. Oder Sie wünschen sich als kritischer Bürger von den Politikern Ihres Landes mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht. Oder aber Sie legen als Nutzer sozialer Medien Wert auf Datenschutz und sind der Auffassung, dass sämtliche von Ihnen erzeugte Daten etwas wert sind – zumindest für Sie. Noch während wir diese Zeilen schreiben, tüfteln Entwickler an Blockchain-basierten Anwendungen, die auf solche Dinge ausgelegt sind. Und das ist erst der Anfang.
Eines steht fest: Die Blockchain-Technologie wird zahlreiche Institutionen von Grund auf verändern. Und genau deshalb dürften so viele kluge und einflussreiche Menschen so aufgeregt sein, wenn es um die Blockchain geht. Ben Lawsky hängte seinen Job als Leiter der Bankenaufsicht im US-Bundesstaat New York an den Nagel, um ein eigenes Beratungsunternehmen zu gründen, das sich auf die Blockchain-Technologie spezialisiert hat. Er sagte uns: „In fünf bis zehn Jahren werden wir das Finanzsystem nicht mehr wiedererkennen … und ich will diesen Wandel mitgestalten.“ 6 Blythe Masters, ehemalige Finanzchefin und Leiterin der globalen Rohstoffabteilung der Investmentbank J.P. Morgan, gründete ein Blockchain-fokussiertes Technologie-Start-up, um die Branche aufzumischen. Im Oktober 2015 war Masters auf der Titelseite von Bloomberg Markets. Die Schlagzeile lautete: „Alles dreht sich um die Blockchain.“ Auch in dem Leitartikel „Die Vertrauensmaschine“ des Economist vom Oktober 2015 hieß es, die Technologie hinter dem Bitcoin könne die Wirtschaft auf den Kopf stellen. 7 Für The Economist ist die Blockchain-Technologie eine fantastische Kette des Vertrauens. Banken in aller Welt bauen hochkarätige Teams auf, um Chancen auszuloten, und heuern dafür Spitzenkräfte an. Gerade Bankern gefällt die Vorstellung von sicheren, reibungslosen und blitzschnellen Transaktionen, doch der Gedanke von Offenheit, Dezentralisierung und neuen Währungsformen ist ihnen suspekt. Die Finanzdienstleistungsbranche hat die Blockchain-Technologie bereits umfirmiert und privatisiert – unter der Bezeichnung Technologie des dezentralen Hauptbuchs. Damit will sie die großen Vorteile des Bitcoin – nämlich Sicherheit, Geschwindigkeit und Kosten – mit einem in sich geschlossenen System vereinen, in dem eine Bank oder ein anderes Finanzinstitut die Nutzungsgenehmigung erteilen muss. In ihren Augen sind Blockchains zuverlässiger als bestehende Datenbanken. Und diese Datenbanken ermöglichen es ihren maßgeblichen Interessengruppen – Käufern, Verkäufern, Depotbanken und Aufsichtsbehörden –, über gemeinsame, unauslöschliche Datensätze zu verfügen und auf diese Weise die Kosten und Abwicklungsrisiken zu senken und zentrale Schwachpunkte zu eliminieren.
Investitionen in Blockchain-Start-up-Unternehmen sind jetzt ebenso angesagt und gefragt wie damals in den 1990er-Jahren Investitionen in Dotcoms. Wagniskapitalgeber legen eine Begeisterung an den Tag, die den damaligen Dotcom-Investoren nachgerade peinlich wäre. Allein 2014 und 2015 floss bereits über eine Milliarde US-Dollar an Risikokapital in das aufkeimende Ökosystem der Blockchain und die Höhe der Investitionen verdoppelt sich nahezu jährlich. 8
„Wir sind sehr zuversichtlich“, sagte Marc Andreessen in einem Interview mit The Washington Post, „dass wir in 20 Jahren mit der gleichen Selbstverständlichkeit [von der Blockchain-Technologie] reden wie heute vom Internet.“ 9
Auch die Aufsichtsbehörden stehen in den Startlöchern und haben schon Arbeitsgruppen gebildet, um herauszufinden, welche Gesetze sinnvoll wären – wenn überhaupt. Autoritäre Regierungen, etwa in Russland, haben der Verwendung des Bitcoin einen Riegel vorgeschoben oder die Nutzung stark eingeschränkt. Das Gleiche gilt für einige demokratische Staaten wie zum Beispiel Argentinien, die es aufgrund ihrer Währungskrisen eigentlich besser wissen müssten. Vernünftiger agierende westliche Regierungen geben derzeit viel Geld aus, um zu analysieren, wie die neue Technologie nicht nur das Zentralbankwesen und den Charakter des Geldes transformieren könnte, sondern auch den Staatsbetrieb und das Wesen der Demokratie. Carolyn Wilkins, die stellvertretende Direktorin der Bank of Canada, ist überzeugt, dass die Zeit für die Zentralbanken in aller Welt reif ist, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, was passiert, wenn das gesamte nationale Währungssystem auf digitales Geld umgestellt würde. Der Chefvolkswirt der Bank of England, Andrew Haldane, macht sich für eine nationale digitale Währung für das Vereinigte Königreich stark. 10
Es ist eine aufregende Zeit und so viel steht fest: Mit der steigenden Zahl der Befürworter digitaler Währungen nimmt auch der Anteil an Opportunisten, Spekulanten und Kriminellen zu, die Bitcoin und Co für sich entdecken. Als Erstes hören die meisten Menschen vom Konkurs der Bitcoin-Börse Mt.Gox oder der Verurteilung von Ross William Ulbricht, dem Gründer der virtuellen Handelsplattform Silk Road, der von FBI-Beamten wegen des Verdachts auf den Handel mit Drogen, Kinderpornografie und Waffen festgenommen wurde. Ulbricht nutzte die Bitcoin-Blockchain als Zahlungssystem. Der Bitcoin-Kurs schwankte heftig und der Bitcoin-Besitz ist nach wie vor stark konzentriert. Eine Studie wies 2013 nach, dass 937 Personen etwa die Hälfte aller Bitcoins besitzen, doch das ändert sich allmählich. 11
Aber wie kommen wir weg von Pornografie und Schneeballsystemen und hin zu Wohlstand? Dazu Folgendes vorab: Sie sollten sich für den Bitcoin nicht als nach wie vor spekulative Anlageklasse interessieren – es sei denn, Sie sind Trader von Beruf. In diesem Buch geht es um weit mehr als um Geldanlage, nämlich um die technologische Plattform, die dem allen zugrunde liegt, und um ihre Möglichkeiten.
Das soll nicht heißen, dass der Bitcoin oder Kryptowährungen per se unwichtig seien, wie so mancher behauptet, der natürlich daran interessiert ist, dass das eigene Projekt nicht mit den Skandalen der jüngsten Vergangenheit in Verbindung gebracht wird. Diese Währungen sind für die Blockchain-Revolution entscheidend, denn sie dreht sich in erster Linie um den Peer-to-Peer-Austausch von Werten, vor allem von Geld.
Vertrauen in der Geschäftswelt bedeutet nichts anderes als die Erwartungshaltung, dass sich der Geschäftspartner an die vier Grundregeln der Integrität hält: Ehrlichkeit, Gegenleistung, Rechenschaftspflicht und Transparenz. 12
Ehrlichkeit ist nicht nur eine Frage der Ethik, sie hat auch eine wirtschaftliche Dimension. Für eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Unternehmen und ihren Mitarbeitern, Geschäftspartnern, Kunden, Aktionären und auch der breiten Öffentlichkeit muss die Kommunikation wahrheitsgetreu, korrekt und vollständig ablaufen. Tabu sind Lügen, indem Wichtiges weggelassen wird, und auch Verschleierungstaktiken durch vermeintliche Komplexität.
Unter Gegenleistung versteht man in der Geschäftswelt häufig den in gutem Glauben erfolgenden Austausch von Vor-, aber auch Nachteilen zwischen Parteien. Doch zu einer vertrauensvollen Beziehung gehört viel mehr, nämlich echter wechselseitiger Respekt für die Interessen, Wünsche und Gefühle des anderen und dass beide Parteien einander Wohlwollen entgegenbringen.
Rechenschaftspflicht bedeutet, den eigenen Anspruchsgruppen klare Zusagen zu machen und diese dann auch einzuhalten. Jeder Einzelne muss ebenso wie jede Institution unter Beweis stellen, dass er seinen Verpflichtungen nachkommt und die Verantwortung für gebrochene Versprechen übernimmt. Vorzugsweise bestätigen das die eigenen Anspruchsgruppen oder aber externe Fachleute. Was gar nicht geht: anderen den schwarzen Peter zuschieben und die Schuld abstreiten.
Transparenz bedeutet, unter aller Augen zu operieren. Allein die Frage „Was verheimlichen sie uns?“ ist ein untrügliches Zeichen für mangelnde Transparenz, was in der Regel Misstrauen nach sich zieht. Zweifelsohne sind Unternehmen aus gutem Grund und völlig legal berechtigt, Betriebsgeheimnisse und andere vertrauliche Informationen zu schützen. Doch wenn es um nützliche Informationen für Kunden, Aktionäre, Mitarbeiter und andere Interessenvertreter geht, ist aktive Offenheit gefragt, denn nur damit lässt sich Vertrauen gewinnen. Der Spruch „Kleider machen Leute“ gilt für Unternehmen nicht mehr. Stattdessen sollten sie sich besser bis auf die Unterhose ausziehen.
Doch mit dem Vertrauen in Unternehmen und andere Institutionen ist es nicht weit her. Das sogenannte „Trust Barometer“ (Vertrauensbarometer) des PR-Netzwerks Edelman für das Jahr 2015 spricht eine deutliche Sprache: Das Vertrauen in Institutionen, allen voran in Unternehmen, ist wieder so gering wie zuletzt während der Finanzkrise von 2008. Edelman stellte fest, dass selbst die einst unangreifbare Technologiebranche, die unter den Wirtschaftssektoren auch heute noch das größte Vertrauen genießt, zum ersten Mal in fast allen Ländern einen Vertrauensverlust hinnehmen musste. Weltweit betrachtet zählen CEOs und Regierungsbeamte zu den Informationsquellen, denen man am stärksten misstraut – weit abgeschlagen hinter Wissenschaftlern oder Fachleuten. 13 Auch Gallup kam in einer Umfrage von 2015 zum Vertrauen der US-Bürger in Institutionen zu dem Ergebnis, dass „Unternehmen“ den vorletzten Platz von insgesamt 15 zur Auswahl stehenden Institutionen belegten. Weniger als 20 Prozent der Befragten gaben an, dass sie den Unternehmen in erheblichem oder hohem Maße vertrauten. Nur der US-amerikanische Kongress schnitt noch schlechter ab. 14
In der Welt vor der Erfindung der Blockchain entstand Vertrauen bei Transaktionen, wenn sich Einzelne, Intermediäre oder andere Organisationen integer verhielten. Doch da wir unsere Geschäftspartner oft gar nicht kennen und erst recht nicht beurteilen können, ob ihr Verhalten integer ist, müssen wir uns auf Dritte verlassen, die ihre Hand für diese Unbekannten ins Feuer legen, die aber auch Daten über Transaktionen speichern und die Geschäfts- und Transaktionslogik beherrschen, die dem elektronischen Geschäftsverkehr zugrunde liegt. Diese mächtigen Intermediäre – Banken, Behörden, PayPal, Visa, Uber, Apple, Google und andere digitale Konzerne – schneiden sich für ihre Dienste ein großes Stück vom Kuchen ab.
In der aufstrebenden Welt der Blockchain entsteht Vertrauen durch das Netzwerk und sogar durch die Objekte in diesem Netzwerk. Carlos Moreira von dem kryptografischen Sicherheitsunternehmen WISeKey ist davon überzeugt, dass die neuen Technologien Vertrauen effektiv delegieren – sogar an materielle Dinge. „Ist das Vertrauen, dass ein Objekt wie der Sensor eines Sendemasts, eine Glühbirne oder ein Herzmonitor, ordnungsgemäß funktioniert oder Dienstleistungen honoriert, nicht vorhanden, werden sie von anderen Objekten automatisch abgelehnt.“ 15 Das Hauptbuch an sich ist die Grundlage für Vertrauen. 16
Um es klarzustellen: „Vertrauen“ bezieht sich auf den Kauf und Verkauf von Waren und Dienstleistungen sowie auf die Integrität und den Schutz von Daten, nicht jedoch auf das Vertrauen in allen geschäftlichen Angelegenheiten. Doch Sie werden in diesem Buch immer wieder davon lesen, wie ein globales Hauptbuch mit wahrheitsgetreuen Daten dazu beitragen kann, in all unseren Institutionen für mehr Integrität zu sorgen und die Welt somit sicherer und vertrauenswürdiger zu machen. Wir sind überzeugt, dass Unternehmen, die alle oder einen Teil ihrer Transaktionen über eine Blockchain abwickeln, einen enormen Vertrauensschub erleben, was sich im Aktienkurs niederschlagen wird. Aktionäre, aber auch Normalbürger werden erwarten, dass alle an der Börse notierten Unternehmen und mit Steuergeldern finanzierten Organisationen mindestens ihre Finanzabteilung über die Blockchain laufen lassen. Aufgrund der damit verbundenen höheren Transparenz können Investoren selbst beurteilen, ob ein CEO seinen fetten Bonus wirklich verdient hat. Mithilfe von durch Blockchains ermöglichten intelligenten Verträgen werden die Vertragsparteien faktisch gezwungen, ihre Pflichten zu erfüllen – und Wähler können aus erster Hand erfahren, ob ihre Volksvertreter ehrlich sind und sorgsam mit Steuergeldern umgehen.
Das erste Internetzeitalter begann mit der Energie und Geisteshaltung eines jungen Luke Skywalker – in der festen Überzeugung, dass jedes Kind eines unwirtlichen Wüstenplaneten ein Imperium des Schreckens zu Fall bringen und eine neue Zivilisation gründen könnte, indem es ein Dotcom-Unternehmen startet. Keine Frage, das war ziemlich naiv. Aber viele Menschen, so auch wir, hofften, das Internet oder besser gesagt das World Wide Web würde die industrielle Welt auf den Kopf stellen, in der die Macht auf ein paar wenige verteilt und ein Aufstieg innerhalb der Machtstrukturen schwer war und diese noch schwerer zu überwinden waren. Anders als die alten zentralisierten Medien, die von mächtigen Kräften kontrolliert wurden, während die Nutzer in Trägheit verharrten, waren die neuen Medien dezentral und neutral. Einfach jeder konnte sich aktiv daran beteiligen und war nicht mehr auf die passive Rolle eines bloßen Empfängers reduziert. Niedrige Kosten und die enorme Peer-to-Peer-Kommunikation im Internet sollten dazu beitragen, traditionelle Hierarchien zu untergraben und Bürger von Entwicklungsländern in die Weltwirtschaft zu integrieren. Wert und Reputation sollten sich nach der Qualität des Beitrags richten, nicht mehr nach dem Status. Der Einsatz eines intelligenten, fleißigen Inders sollte durch einen tadellosen Ruf belohnt werden. Die Welt sollte nivellierter werden, leistungsorientierter, flexibler und fließender. Und das Tüpfelchen auf dem i wäre, wenn die Technologie dazu beitrüge, Wohlstand für alle zu schaffen – nicht nur Reichtum für ein paar wenige.
Manches davon ist eingetreten. Es gab große Gemeinschaftsprojekte wie Wikipedia, Linux und Galaxy Zoo. Outsourcing und vernetzte Geschäftsmodelle haben dazu beigetragen, dass Menschen aus Entwicklungsländern besser an der Weltwirtschaft teilhaben konnten. Mittlerweile arbeiten rund zwei Milliarden Menschen sozial gleichgestellt als „Peers“ zusammen. Wir alle haben in bislang unbekanntem Umfang Zugriff auf Informationen.
Doch das Imperium hat zurückgeschlagen. Inzwischen hat sich gezeigt, dass die konzentrierte Macht von Unternehmen und Staaten die ursprünglich demokratische Architektur des Internets nach ihrem Willen gebeugt hat.
Riesige Institutionen besitzen und kontrollieren inzwischen diese neuartigen Mittel der Produktion und der sozialen Interaktion – die zugehörige Infrastruktur, die jetzt schon gewaltige und weiter anwachsende Fundgrube an Daten sowie die Algorithmen, die das Geschäfts- und Privatleben zunehmend bestimmen, die Welt der Apps und außergewöhnliche und neuartige Fertigkeiten, maschinelles Lernen und selbstfahrende Autos. Vom Silicon Valley über die Wall Street bis nach Schanghai und Seoul nutzt diese neue Aristokratie ihr Insiderwissen, um mithilfe der außergewöhnlichsten aller je entwickelten Technologien Menschen zu Wirtschaftsakteuren zu machen, um riesige Vermögen anzuhäufen und ihre Macht und ihren Einfluss über Volkswirtschaften und Gesellschaften zu stärken.
Viele der pessimistischen Befürchtungen der digitalen Vorreiter sind im Großen und Ganzen eingetreten. 17 Wir haben zwar das Bruttoinlandsprodukt gesteigert, aber in den meisten Industrieländern konnte das Beschäftigungswachstum nicht Schritt halten. Die Reichen werden immer reicher, die soziale Ungerechtigkeit nimmt zu. Einflussreiche Technologieunternehmen sind wieder ein ganzes Stück abgerückt vom offenen, verteilten, egalitären und ermächtigenden Web und entscheiden sich mehr und mehr für geschlossene Bereiche im Internet (sogenannte „Walled Gardens“) oder eigentumsrechtlich geschützte Read-only-Anwendungen, die neben anderen Dingen auch die Kommunikation torpedieren. Mächtige Konzerne bedienen sich vieler dieser wunderbaren demokratischen und offenen Peer-to-Peer-Anwendungen und sichern sich damit einen ungebührlich hohen Anteil an Wert.
Und das Ergebnis? Ökonomische Macht ist noch hermetischer und konzentrierter geworden und hat sich fester etabliert. Statt dass unsere Daten breiter und demokratischer verteilt werden, werden sie von einigen wenigen Stellen gehortet und dafür eingesetzt, noch mehr Macht und Kontrolle auszuüben. Wer Daten sammelt und somit an Einfluss gewinnt, kann seine Position noch weiter stärken, indem er sie in geschützte Informationen umwandelt. Dieses Privileg sticht Verdienst aus, egal worauf es fußt.