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Ebook-Ausgabe 2016
Übersetzung: Marianne Thiel
Umschlaggestaltung: Silke Bunda Watermeier, www.watermeier.net
Umschlagsfoto: © www.sxc.hu
Copyright © deutsche Ausgabe, 2008 Innenwelt Verlag GmbH, Köln
Alle Rechte vorbehalten
Nachdruck und fotomechanische Wiedergabe, auch auszugsweise,
nur mit Genehmigung des Verlages
www.innenwelt-verlag.de

ISBN 978-3-942502-71-9

Dr. Krishnananda Trobe & Amana Trobe

Wenn Sex intim wird

Die drei Stufen zur verbindlichen
Partnerschaft

Mit einem Vorwort von Natalia Wörner

Inhalt

VORWORT VON NATALIA WÖRNER

Mitten durchs Herz

EINLEITUNG

Wie wir unseren Sex lebendig halten

I EIN MODELL FÜR SEX UND INTIMITÄT

1. Stimmt für mich die Art und Weise, wie ich Liebe mache?

Unterschiedliche Ebenen des sexuellen Erlebens – ein Überblick

II WENN DER SEX ZUM PROBLEM WIRD

2. Lebe ich meine Sexualität?

Die Sehnsucht nach sexueller Freiheit

3. Wovor laufe ich davon?

Wie wir Sex benutzen, um Verletzlichkeit zu vermeiden

4. Warum fühle ich nichts?

Wie Schock sich auf unsere Sexualität auswirkt

5. Ich verdiene nichts Besseres

Wie Sex unsere Scham an die Oberfläche bringt

6. Du musst für mich da sein!

Wie unser regrediertes Kind sich im Sex zeigt

7. Liebes- oder Kriegsspiele?

Wie Machtkämpfe unser Sexleben vergiften

8. Ich kann nicht mit dir und nicht ohne dich

Die Herausforderung, sich zu öffnen

III DIE HEILUNG

9. Empfindsam für uns selbst werden

Wie Verletzlichkeit beim Sex da sein kann

10. Sex ist einfacher als Liebe!

Wie wir lernen, die Liebe zu pflegen

11. Meine Beziehung wird mich nicht ganz machen

Illusionen über die Liebe loslassen

12. Emotionen haben keine Ohren, nur Münder!

Lernen, miteinander zu sprechen

13. Es geht immer um Verbundenheit

Im „Liebesstrom“ leben und lieben.

SCHLUSSWORT

Aus Sex wird Liebe

Leidenschaft zulassen, genießen und transzendieren

Bibliografie

Über die Autoren

Vorwort

Mitten durchs Herz

ICH HABE KRISHNANANDA UND AMANA AUF BALI bei einem ihrer Learning Love-Seminare kennengelernt und ich kann ohne zu übertreiben sagen, dass die beiden mein Leben nicht nur verändert, sondern auch unglaublich bereichert haben.

Mehr noch, es wurde mir möglich, mich nicht zu verschließen, sondern mich zu öffnen. Ich konnte (mit ihrer Hilfe) meine Schmerzen, Wunden und Muster so betrachten, dass sich der Blick auf mein Leben sowie der Umgang mit mir und den geliebten Menschen veränderte – und zwar nachhaltig.

Die beiden schaffen einen geschützten Raum, der Platz bereit hält für tiefe, lebensverändernde Prozesse. Und dann entlassen sie einen wieder liebevoll in die eigene Realität, die möglicherweise andere Wahrheiten offenbart; gleichzeitig bleiben sie als beeindruckende Persönlichkeiten präsent. Ihre Arbeit und auch dieses Buch reflektieren stets ihre eigene innere Reise; ihre Einsichten sind sehr persönlich, aber nie privat.

Es gibt wahrscheinlich kein anderes Thema, das unter derartiger medialer Dauerbefeuerung steht wie Sexualität: Superlative, Erfolgsrezepte und ein atemberaubender Handlungskatalog stehen ständig zur Verfügung. Dieses Buch wählt einen anderen Weg: Er geht mitten durchs Herz.

Manchmal ist es einfacher, zu beschreiben, was Sexualität nicht ist, als zu formulieren, was sie sein kann. Sexualität verändert sich in einer Beziehung ständig und wie alle Dinge, bekommt auch Sexualität ab einer bestimmten Tiefe eine spirituelle Dimension. Aber in wohl keinem anderen Bereich werden auch Verletzungen, Strategien, Scham und Sehnsüchte so deutlich, wie in unserer intimen Beziehung. Wir sind herausgefordert, uns mit unseren Ängsten ehrlich auseinanderzusetzen und die Begrenzungen der eigenen Prägung und die erlernten Erfahrungen hinter uns zu lassen, um wirklich Liebe zu leben.

Und das ist die Essenz der Arbeit Krishnanandas und Amanas: ehrlicher, lebendiger und der eigenen Wahrheit näher zu sein. Es kommt vor, dass sie in einem Atem sprechen … der eine beginnt einen Satz und der andere beendet ihn oder der eine spricht und der andere gestikuliert. Immer sind beide in ihrer Aufmerksamkeit ungeteilt bei der Sache und gleichermaßen bei sich.

Ich wünschte, alle Liebenden würden dieses Buch kennen. Jeder, der dieses Paar erlebt hat, spürt, dass alles, was sie zu geben haben, durch und durch gelebt ist. Nichts bleibt allgemein oder austauschbar.

Jedes Mal wenn ich mit den beiden gearbeitet habe – das fand mittlerweile in verschiedenen Kulturen und Kontexten statt – und auch nachdem ich dieses Buch gelesen habe, spüre ich, wie ich mit solidem Handwerkszeug ausgestattet, aber auch experimentierfreudig und voller Leichtigkeit im Umgang mit mir und anderen, in meinem Leben weiter schreite: wach, neugierig, offen und voller Lebensenergie.

Auch ein anderes Phänomen stellt sich bei jeder Begegnung mit Krishnananda und Amana ein, etwas, das für mich als Schauspielerin sehr beeindruckend ist: Ich habe noch nie so viele Menschen schön werden sehen … Als geübte Voyeuristin liebe ich es, Menschen zu beobachten: wie sie sich verrenken und verwandeln, wie sie sich bemühen, sich zu verstecken und dabei so viel von sich preisgeben. Deswegen ist es für mich immer wieder wertvoll mitzuerleben, wie schön die Menschen in der Arbeit mit den beiden werden: Masken fallen und feine, verletzbare und verletzte Gesichter kommen zu Tage. Es gehört so viel Mut dazu, sich in der eigenen Verletzlichkeit zu zeigen.

Ich bin sehr glücklich diese beiden wundervollen Menschen kennengelernt zu haben. Und voller Dankbarkeit, auf einer Reise mitgenommen worden zu sein, die dann irgendwann zu meiner Reise wurde. Ich habe noch einige Meilen vor mir und bin gleichzeitig sehr stolz, diese Route gewählt zu haben, wissend, dass in der eigenen Wahrheit zu leben, das Einfachste und mit das Schwierigste ist.

Natalia Wörner

Schauspielerin

Einleitung

Wie wir unseren Sex lebendig halten

SEIT VIELEN JAHREN LEITEN WIR WORKSHOPS, IN DENEN WIR Menschen lehren, wie man liebt – sich selbst und andere. Für Paare, die schon lange zusammen sind, taucht dabei sehr häufig das Thema auf, wie sie ihre Sexualität lebendig halten können. Oft machen Paare die Erfahrung, dass es immer schwieriger wird, das Interesse am Liebemachen aufrecht zu erhalten, je länger sie zusammen sind. Stress, Vertrautheit und ein Mangel an Kommunikation reduzieren nach und nach das Verlangen, Liebe zu machen. Vielleicht sehnen sie sich nach den alten Zeiten zurück, als sie es nicht erwarten konnten, miteinander ins Bett zu hüpfen und heißen, leidenschaftlichen Sex zu haben. Oder sie sehnen sich nach einer tieferen Art der Verbindung in ihrer Sexualität, aber es klappt nicht.

Sex verändert sich, je tiefer die Intimität wird. Wenn wir diese Veränderung nicht annehmen und mit ihr wachsen, dann liegt es meist daran, dass wir einfach nicht wissen, wie. Da Sex aber ein so wichtiger Aspekt des Zusammenseins ist, kann es die Beziehung gefährden, wenn er verschwindet. Und wenn er immer belangloser wird und immer weniger stattfindet, kann es sein, dass wir ruhelos oder nachtragend werden und mit ziemlicher Sicherheit beginnen wir dann eine Affäre. Oder wir resignieren innerlich, werden bitter und/oder deprimiert. Oder wir lassen uns mehr und mehr von anderen Dingen absorbieren: Computer, Fernsehen, Arbeit, Sport oder anderen Hobbys.

Wir nehmen uns nicht mehr die Zeit, uns mit unserem Partner zu verbinden. Wenn wir jemandem näher kommen, werden wir verletzlicher und diese Verletzlichkeit bringt üblicherweise Ängste und Unsicherheiten mit sich. Beim Sex zeigen sich diese Ängste und Unsicherheiten am meisten. Wenn wir sie, besonders im Zusammenhang mit unserer Sexualität, nicht erforscht, verstanden oder angenommen haben, wissen wir vielleicht nicht, wie wir damit umgehen können oder um was es sich überhaupt handelt, wenn sie auftauchen. Es kann sein, dass wir das Gefühl haben, mit uns oder mit der Beziehung sei etwas nicht in Ordnung. Vielleicht kompensieren wir die Ängste, indem wir uns beim Sex Druck machen, der sich nicht richtig anfühlt.

Wenn wir beim Liebemachen Angst spüren
oder uns unsicher fühlen, beeinflusst das unser
sexuelles Erleben sehr stark und auch die Art,
wie wir Liebe machen wollen. Denn beim Sex,
besonders wenn wir jemandem näher kommen,
ist es entscheidend, dass wir uns sicher fühlen.

Es ist natürlich und sogar gesund, dass sich die Art der Erregung, die in der „Flitterwochenphase“ da war, verflüchtigt. Wir werden schnell erregt, wenn wir mit jemandem Sex haben, den wir gerade kennengelernt haben. Aber durch mehr Vertrautheit, das Zusammenleben und andere Gründe, die wir noch genauer untersuchen werden, verschwindet die Erregung mit der Zeit. Wir versuchen vielleicht, sie auf die eine oder andere Art lebendig zu halten, aber die Methoden werden immer künstlicher und bemühter. Die Lösung liegt darin, etwas Tieferes und Beständigeres zu finden, das nach und nach unser Bedürfnis nach immer wiederkehrender Erregung ersetzen kann.

Erregung kann in der Sexualität einer Langzeitbeziehung nicht die erhaltende Kraft sein.

Als wir uns hinsetzten, um dieses Buch zu schreiben, waren wir vierzehn Jahre zusammen. Die Einsichten, die wir hier weitergeben, haben wir selbst gelernt und erfahren, zum einen durch unsere eigene Liebesbeziehung, zum anderen durch die Arbeit mit Menschen in unseren Workshops. Begegnet sind wir uns zum ersten Mal in Indien, wo wir beide in einer spirituellen Kommune lebten und meditierten. Unter anderem wurden in dieser Kommune Kurse für persönliches Wachstum angeboten. Als wir ein Paar wurden, entschlossen wir uns, an einem zweiwöchigen Tantrakurs teilzunehmen. In diesem Kurs wurde eine bestimmte Art des Liebemachens (die wir in einem späteren Kapitel genauer beschreiben werden) gelehrt, in der Meditation und Sexualität miteinander verbunden waren. Das hat uns angesprochen.

Zu dieser Zeit, als wir den Kurs besuchten, war ich (Krish) an einem Punkt, wo ich an der Art und Weise meines Liebemachens etwas ändern wollte. Zum einen sehnte ich mich nach mehr Tiefe, Liebe und Meditation in der sexuellen Verbindung. Es gab aber auch einen anderen Grund. Ich hatte Angst, beim Liebemachen zu schnell zu kommen, wenn ich oder meine Partnerin erregt wurden. Ich schämte mich so, wenn das passierte und konnte mich deswegen nicht wirklich entspannen. Die Methode, die wir in diesem Tantrakurs lernten, legte mehr Gewicht auf das sich Verbinden als auf die sexuelle Leistung und lehrte Liebemachen auf eine so entspannte, nicht-aktive Weise, dass etwas in mir zutiefst loslassen konnte. Ich bemerkte, dass sich etwas für mich veränderte, wenn ich mir die Zeit nahm, mich zu entspannen und beim Liebemachen meinen Fokus mehr auf die Verbindung richtete, statt auf die Erregung.

Dadurch, dass der Druck und die Erwartungen wegfielen, verschwanden auch meine Unsicherheit und damit meine sexuelle Funktionsstörung.

Wir haben festgestellt: Je weniger Druck und Anforderungen beim Sex da sind, umso lebendiger bleibt das Liebes- und Sexleben für Paare.

Für mich (Amana) war es sehr nährend zu entdecken, dass Liebemachen so entspannend und zutiefst befriedigend sein konnte, ohne irgendetwas tun zu müssen. Ich entdeckte, dass etwas viel Tieferes passiert, wenn unsere Körper sich verbinden und unsere Energien miteinander verschmelzen, als beim „üblichen“ Sex. So hat dieser Kurs unsere Beziehung für eine andere Art des Zusammenseins vorbereitet, in der es beim Liebemachen weniger um Erregung oder sexuelle Befriedigung geht, als vielmehr darum, unsere Verbindung zu vertiefen.

In unserer eigenen Beziehung begegnen wir immer wieder unseren Ängsten und Unsicherheiten und arbeiten sie durch. Fakt ist, dass in fast jeder tiefen Beziehung die Wunden der einen Person die der anderen berühren. Und beide müssen sich den eigenen unbewussten, automatisierten Verhaltensweisen stellen, durch die sie den Anderen entweder wegstoßen oder sich verstecken – und sich dann vom Liebemachen zurückziehen. In unserem Fall kann Krishs Angst, von einer starken Frau überwältigt zu werden und dadurch in Schock zu gehen (was seinen Ursprung in einer sehr starken und übermächtigen Mutter hat), mit Amanas Erfahrung, dass ihr Mann nicht wirklich anwesend ist (was seinen Ursprung in einem alkoholkranken Vater hat, der in die Sucht geflohen war und sich letztlich umgebracht hat), auf Kollisionskurs gehen. Liebe und Bewusst heit haben uns geholfen, mit dieser Dynamik kreativ umzugehen.

Je intimer wir miteinander werden, umso mehr müssen wir verstehen lernen, wie Angst, Scham, Schock und Selbstzweifel sich auf unsere Sexualität auswirken. Und wir müssen lernen, über das, was wir beim Sex erleben, zu sprechen, besonders über das, was uns verletzt. Und sehr wahrscheinlich wird diese Verletzlichkeit den Sex verändern.

Es braucht aber ein bisschen mehr, um eine gesunde Langzeitbeziehung zu leben. Wir müssen auch unseren Gefühlshaushalt sauber halten und weiter daran arbeiten, die Liebe zwischen uns zu vertiefen. Wir waren damals zwölf Paare, die an diesem Kurs teilnahmen; soweit uns bekannt ist, sind wir das einzige Paar, das noch zusammen ist. Die häufigste Ursache, warum die anderen Beziehungen auseinander gingen, waren ungelöste emotionale Konflikte – sie haben das Band der Liebe zerrissen.

Wir beide konnten unsere Liebe und Sexualität lebendig halten, weil wir es uns von Anfang an zur Priorität gemacht haben, mit allem umzugehen, was Distanz und Schmerz zwischen uns verursacht. Mittlerweile sind wir so nah miteinander, dass wir sofort spüren, wenn etwas diese Nähe stört. Wir haben gelernt, dass wir emotional werden oder uns voneinander distanzieren, wenn eine frühere innere Wunde wieder berührt wird, die immer noch schmerzt. Oder weil wir im Stress und überfordert sind, und das am Anderen auslassen.

Der Sex ist das Erste, was sich verflüchtigt, wenn wir aus Stress emotional werden. Wir sind uns wahrscheinlich nicht bewusst, dass wir ein emotionales Minenfeld betreten, wenn wir jemandem nahe kommen. Wir wollen einfach, dass es wieder so harmonisch und konfliktfrei wird, wie am Anfang unseres Zusammenseins. Liebe ist nicht so.

Liebe lässt alte Wunden aufbrechen: die Angst, vereinnahmt oder verlassen zu werden, die Angst vor der Abhängigkeit vom Anderen, die Angst sich im Andern aufzulösen, unsere Erwartun gen und unseren tief vergrabenen Groll auf das andere Geschlecht.

Wir alle brauchen Anleitung, um durch all die emotionalen Themen zu steuern, die auftauchen. Wir müssen wissen, warum wir auf etwas reagieren, wie wir damit umgehen sollen – und schließlich und endlich darüber sprechen. Die meisten von uns haben das nicht gelernt, bevor sie sich in einer Beziehung wiederfanden. Wir haben keine „Schule für Intimität“ besucht, bevor wir uns verliebt haben.

Es ist meist so, dass unsere Reaktionen und Irritationen kaum etwas oder gar nichts mit der anderen Person zu tun haben. Sie kommen aus einem momentanen Mangel an innerem Raum und dem Gefühl, vom Leben überfordert zu sein. Wenn wir provoziert werden, möchten wir oft Jemandem oder Etwas die Schuld geben oder Etwas oder Jemanden finden, der macht, dass wir uns besser fühlen. Und wenn uns innerer Raum fehlt, können das kleinste Ding, das die andere Person tut, oder Stress, Enttäuschung oder Frustration leicht unsere Aufregung und Ängste provozieren und uns dazu bringen, zu reagieren. Wenn wir aufeinander reagieren, leidet unsere Sexualität darunter.

Unser Sex wird durch Angst, Scham und Selbstzweifel beeinträchtigt. Zugleich ist aber unsere Verletzlichkeit das Tor zu den tiefsten und wertvollsten Teilen unseres Selbst, zu den Schätzen unserer Seele und zum Herz unserer Intimität.

Dies ist kein Tantrabuch. Es handelt nicht von der Lehre, auf eine andere Art Sex zu haben, um einen besseren Orgasmus zu bekommen oder Sexualität zu nutzen, um ekstatische Zustände zu erreichen. Dafür sind wir keine Experten und es gibt viele gute Bücher, die sich damit beschäftigen.

In diesem Buch bieten wir eine „Landkarte“, um Sexualität und Verletzlichkeit zusammen zu bringen, sodass daraus eine Möglichkeit entsteht, eine tiefere und reichere Intimität zu leben. Zu oft scheitern Beziehungen und Sexualität, weil wir die Empfindlichkeiten des Anderen nicht verstehen und weil uns das Handwerkszeug fehlt, um miteinander zu kommunizieren und Groll und Kränkungen aufzulösen

Es ist uns ein aufrichtiges Anliegen, mit diesem Buch konkrete Wege aufzuzeigen, wie man mit diesen Themen umgehen kann. Wir werden Beispiele aus unserem eigenen Leben geben und von Menschen, mit denen wir gearbeitet haben. Um die Vertraulichkeit zu bewahren, haben wir Namen weggelassen oder verändert.

TEIL I

Ein Modell für Sex und Intimität

 

1. Kapitel

Stimmt für mich die Art und Weise, wie ich Liebe mache?

Unterschiedliche Ebenen des sexuellen Erlebens – ein Überblick

ADRIAN UND LISA SIND SEIT SIEBEN JAHREN ZUSAMMEN. SIE HABEN Schwierig keiten im Sex. Adrian hat das Gefühl, dass Lisa ihm nicht erlaubt, lebendig, ungehindert und spontan zu sein, wenn sie miteinander Liebe machen, während Lisa fühlt, dass er zu schnell loslegt und sich vor seiner sexuellen Forschheit erschreckt. In den Momenten, in denen bei ihr Angst aufsteigt und sie ihm sagt, er möge sensibler mit ihr umgehen, sieht und spürt er seine Mutter, deren eigene Sexualität unterdrückt war und die sich schuldig fühlte und die seine Sexualität nicht unterstützt hat.

Lisas Geschichte ist eine andere. Sie hat erst vor kurzem entdeckt, dass sie als Kind sexuell missbraucht wurde und spürt jetzt bereits Angst, wenn sie nur an Sex denkt. Einen Weg zu finden, wie die beiden einfühlsam miteinander umgehen können und sich ihre Sexualität trotz ihrer Wunden weiterentwickeln kann, war ein hartes Stück Arbeit.

Hier ist ein Ausschnitt eines Streits, den die beiden in einer ihrer Sitzungen mit uns hatten:

Adrian: „Ich hasse es, wenn du mich beim Sex bremst. Ich fühle mich dadurch kontrolliert und sogar kastriert.“

Lisa: „Adrian, ich möchte dich nicht bremsen, aber wenn du mit dieser Art männlicher Energie auf mich zukommst, zieht sich mein Körper sofort zusammen.“

Adrian: „Das war früher nie so. Du hast es geliebt, wenn ich dich erregt habe.“

Lisa: „Ich weiß, aber das war am Anfang. Jetzt ist es anders. Ich mag deine Intensität und deine Männlichkeit, aber aus irgendeinem Grund wird es mir zuviel, wenn wir Liebe machen. Und wenn du dich dann so schnell in mir bewegst, bekomme ich Angst.“

Adrian: „Du hast einfach Angst vor viel Energie, weil du die Kontrolle nicht verlieren kannst.“

Lisa: „Und du hast Angst davor, verletzlich zu sein.“

Hier bricht die Kommunikation ab und es herrscht Stillstand.

An diesem Beispiel zeigen sich wichtige Themen für Paare, die schon länger zusammen sind. Am Beginn einer Partnerschaft ist durch die neue Situation Harmonie und gutes Verstehen fast automatisch gegeben, aber im Verlauf der Beziehung hält das nicht unbedingt an. In einem unserer Bücher, Liebe ist k(ein) Kinderspiel, haben wir über die drei Schichten unseres Seins ge sprochen. Es ist ein Modell, das wir auch hier anwenden können, um die Reise des Liebenlernens zu verstehen. Es besteht aus drei Kreisen, die unsere emotionale und spirituelle Struktur zeigen – ein großer Kreis mit einem kleineren darin und einem noch kleineren in diesem.

Der äußere Ring repräsentiert die Schicht unserer Schutzhüllen und Verteidigungsmechanismen: unsere Strategien der Kontrolle, wie wir uns zurückziehen, kämpfen, manipulieren, Besitzansprüche, Forderungen stellen, Erwartungen haben, aufgeben, in den Kopf gehen, unsere Sucht, ob Arbeit, Essen oder Sex – all das, was uns davon abhält zu fühlen.

Der mittlere Ring repräsentiert unsere verletzte Empfindsamkeit, im Grunde all unsere Ängste und Unsicherheiten: Die Angst vor Nähe, die Angst davor, verlassen oder vereinnahmt zu werden, Angst vor Grenzüberschreitung und Respektlosigkeit, unsere Angst uns auszudrücken, jemanden zu konfrontieren oder ehrlich zu sein, die Angst gedemütigt, verurteilt oder kritisiert zu werden oder allein zu sein. In dieser Schicht tragen wir unsere Verletzungen und die Körpererinnerung an Traumata aus unserer Vergangenheit. Hier liegen auch unsere verwundete Unschuld und unser gebrochenes Vertrauen, unsere Sehnsucht nach Liebe, aber auch unsere Angst, uns zu öffnen und uns verletzlich zu zeigen.

Der innere Ring stellt unsere Essenz dar: unsere natürliche Lebendigkeit, Sensibilität, Freude, unsere freie Sexualität, Kraft, Klarheit, Stille, Liebesfähigkeit und Weisheit. Viele von uns haben diesen inneren Raum für kurze Augenblicke erfahren, sei es in Meditation, beim Liebemachen, im Sport, in der Natur oder unter dem Einfluss psychedelischer Substanzen. Aber selten leben wir die überwiegende Zeit in unserer Essenz. Wenn wir einmal den Seinszustand der Essenz geschmeckt haben, ist es ganz natürlich, dass wir Sehnsucht nach mehr haben. Das kann uns süchtig nach dem machen, was uns zu diesem Geschmack verhilft, zum Beispiel Drogen, Extremsport, Sex usw.

Das Bild der drei Schichten gibt uns ein gutes Bezugssystem, um unsere Sexualität verstehen zu können, und wie und warum sie sich durch mehr Nähe verändert. Wenn wir eine Beziehung anfangen, das gilt für jede Beziehung, aber besonders für eine sexuelle, begegnen wir einander oft in unserer essenziellen Schicht. Deswegen geht am Anfang alles so reibungslos. Unsere Energie ist hoch, wir sind glücklich, dass wir jemand getroffen haben, mit dem wir zusammen sein wollen und der Sex ist wahrscheinlich großartig, wenn nicht ekstatisch. Aber dieser Flitterwochenzustand hält meist nicht lange an. Mit der Zeit gibt es Enttäuschungen und Frustration, und alte Wunden werden berührt. Jetzt erfahren einer oder beide die mittlere (verwundete) Schicht. Anstatt diese Ängste und Verletzungen zu fühlen und sie durchzuarbeiten, springen wir im Normalfall direkt in unsere äußere (Schutz-)Schicht. Die Flitterwochen sind vorbei.

Dieses Modell hilft auch zu verstehen, wie unsere Sexualität sich mit tiefer gehender Intimität verändert. Wir beschreiben diese Änderungen als drei unterschiedliche Ebenen der sexuellen Erfahrung. Sie sind weder linear, noch ist die eine „höher“ oder „besser“ als die andere. Sie sind einfach unterschiedlich.

Die Ebenen beschreiben auch eine innere Reise und die natürliche Entwicklung von zwei Menschen, die in Liebe und Intimität miteinander wachsen. Unser spiritueller Meister hat der Sexualität viel Aufmerksamkeit geschenkt. Er war der Ansicht, dass die traditionellen Religionen durch die Untedrückung der Sexualität falsche Moral, Aggressionen, Unterdrückung, Schuldgefühle und Krankheiten erzeugten. Er lehrte, dass wir durch die freie Erforschung unserer Sexualität auf eine natürliche Weise zu einer Sexualität kommen würden, die auf Verbundensein und Meditation ausgerichtet ist. Wir beide waren von diesem Ansatz sehr angezogen; wir haben es ausprobiert und festgestellt, dass es genauso abläuft, wie er es beschrieb. Bevor wir beide zusammen kamen, hatten wir unsere Sexualität weitgehend erforscht, und so hatten wir beide das Gefühl „alles ausprobiert zu haben“, und suchten deshalb nach etwas, das tiefer ging und nährender für uns war.

Sex auf Ebene I

BEIM SEX AUF EBENE I geht es in erster Linie um Energie, Leidenschaft und Erregung. Der Fokus ist auf Vergnügen und den Orgasmus ausgerichtet, auf tiefer Befriedigung und darauf, zu lernen, wie wir uns selbst und der anderen Person Genuss verschaffen können. Sex auf Ebene I hat auch damit zu tun, uns von unseren Hemmungen und den unterdrückten Aspekten unserer Sexualität zu befreien, mit der viele von uns aufgewachsen sind. Wir lernen, unseren eigenen und den Körper der anderen Person ohne Schuldgefühle zu genießen. Wir erforschen unterschiedliche und abenteuerliche Formen der Sexualität und haben Spaß daran. Bei Sex auf Ebene I kann es auch sein, dass wir in einer Phase mit mehreren Partnern Sex haben.

Wenn man Spaß am Sex hat, fühlt man sich sehr lebendig und vital. Und wenn wir in unserem Leben diese Phase des Ausprobierens verpasst haben, dann sehnen wir uns danach. Vielleicht hatten wir keine Möglichkeit, Sex ohne Repressionen zu erforschen, aber an einem bestimmten Punkt im Leben hinterfragt man diese Konditionierungen und „verbotene“ Gedanken steigen einem zu Kopf. Man entwickelt Fantasien über wilden Sex, surft im Internet nach entsprechenden Seiten, starrt gut aussehenden Männern oder Frauen hinterher, oder fühlt sich in der Ehe alleingelassen – all das, weil man Sex auf Ebene I nicht gelebt hat. Wir erleben das oft in unserer Arbeit. Sehr oft liegt die Wurzel eines Paarproblems darin, dass einer oder beide Sehnsucht nach gutem Sex auf Ebene I haben, weil sie es nie gelebt haben.

Es passiert nicht selten, dass zwei Menschen sich ein gemütliches und sicheres Leben miteinander einrichten und dann entdecken, dass ihnen etwas fehlt – sie haben nie ihre Sexualität erforscht. Wenn beide Partner dafür offen sind, können sie Unterstützung in Workshops oder bei einem Therapeuten finden, um dies gemeinsam zu tun. Oft ist das jedoch der Grund, warum Langzeitpaare sich trennen. Es fehlt ihnen an Verständnis darüber, dass es notwendig ist, sich von Schuldgefühlen zu befreien und alle Repressionen, die es um das Thema Sexualität gibt, zu heilen.

Die meisten von uns fantasieren über erregenden, leidenschaftlichen und orgasmischen Sex, sie hungern förmlich danach. Wenn wir das nie gelebt haben, kann es passieren, dass wir einen großen Teil unseres Lebens mit der Sehnsucht danach verbringen. Und da so viele von uns von klein auf mit allen möglichen Schuldgefühlen und unterdrückenden Botschaften über Sex konditioniert wurden, kann die Begierde nach solchem Sex zu einem Vulkan werden, der in uns schwelt und nur darauf wartet, auszu brechen.

Es gibt einen Nachteil beim Sex auf Ebene I: Wenn der Fokus auf Lust und Orgasmus liegt, kann es Probleme geben, wenn unsere Verletzlichkeit auftaucht. Sie kann sich in Angst, Kontraktionen und Funktionsstörungen zeigen. Wir wollen aber auf dieser Ebene auf keinen Fall, dass irgend ein Problem den freien Fluss unserer Sexualität einschränkt. Also kompensieren wir, um unsere Verletzlichkeit in Schach zu halten: Wir machen uns Druck, lustvoller zu sein oder der anderen Person mehr Lust zu bereiten, tollere Orgasmen zu haben, härtere Erektionen oder länger andauernden Sex. Dadurch kann unsere Sexualität leicht von unserem inneren Empfinden abgetrennt werden.

Kompensierende Verhaltensweisen sind: Das Fokussieren auf sexuelle Leistung und Orgasmus, der Zwang Sex zu haben, um unseren eigenen Ansprüchen oder den Erwartungen der anderen Person zu entsprechen. Wir können uns getrieben fühlen, ungeduldig und sexuell fordernd. Kompensation kann sich in obsessivem Denken und Fantasien über Sex zeigen.

Ein Klient gestand uns, dass er – würde er sich erlauben, seine Unsicherheit zu fühlen – nicht mehr „richtig“ funktionieren würde; er würde entweder zu schnell kommen oder seine Erektion verlieren. Er hatte schreckliche Angst, dass seine Partnerin ihn ablehnen und jemand anderen finden würde.

Eine Frau, mit der wir arbeiteten, erzählte, dass sie ihrem Partner niemals ihre Ängste mitteilte, denn „wenn er wüsste, was für Ängste ich habe, würde er mich nicht mehr attraktiv finden.“

Das größte Problem beim Sex auf Ebene I ist, dass wir durch die Verweigerung, unsere Verletzlichkeit zu fühlen, uns sehr wahrscheinlich zu „objektivem Sex“, wie wir ihn nennen, hingezogen fühlen. Bei objektivem Sex machen wir keinen wirklich intimen Kontakt mit unserem Partner. Objektiver Sex erlaubt uns, stimuliert und erregt zu sein, ohne uns um potentiell unangenehme Unsicherheiten und Ängste kümmern zu müssen, die irgendwo im Unbewussten lauern. Objektiver Sex hat eine starke Anzie hungskraft, wie wir in einem späteren Kapitel noch be schreiben werden, und ist der Grund, warum Sex süchtig machen kann und viele Menschen sich zu Pornografie hingezogen fühlen.

Sex auf Ebene I macht Spaß, ist aufregend und manchmal ekstatisch. Aber wenn wir daran festhalten und unseren Ängsten und Unsicher heiten nicht erlauben aufzutauchen, werden wir im Laufe der Zeit und wenn größere Nähe entsteht, kompensieren und es entwickeln sich Suchtstrukturen.

Sex auf Ebene II

Wenn wir beim Sex verletzlicher werden, betreten wir Ebene 2. Wir beginnen zu fühlen, dass wir etwas anderes beim Liebemachen brauchen als bisher. Ein Grund kann sein, dass wir uns nach einer tieferen Verbindung mit unserem Partner sehnen und mit der bisherigen Art des Liebemachens nicht mehr zufrieden sind. Aber öfter kommt es vor, dass Unsicherheiten auftauchen, wenn wir mit unserem Partner schlafen. Wir entwickeln vielleicht sexuelle Funktionsstörungen oder haben Schmerzen beim Sex, unser Körper zieht sich zusammen und möglicherweise haben wir sogar verschwommene Erinnerungen an frühere Traumata. An einem bestimmten Punkt können wir es nicht länger verheimlichen oder davor davon laufen, unser Körper macht einfach nicht mehr mit. Und dann, wie gesagt, wollen wir Sex vermeiden oder wir versuchen zu kompensieren, um die aufkommende Angst und Unsicherheit zu übergehen.

Es kommt oft vor, dass wir Sex meiden oder durch etwas kompensieren, um nicht die Ebene II oder „Verletzlichkeitsschicht“, wie wir sie nennen, zu betreten.

Manche befinden sich gleich am Anfang einer Beziehung auf Ebene II. Bei anderen zeigt sie sich, wenn sie sich näher kommen. Die schmerzvollen Erfahrungen der Vergangenheit sind immer noch in unserem Körper, unserer Sexualität und unserem Nervensystem gespeichert. Werden sie berührt, kommen die Symptome unseres Traumas an die Oberfläche.

Viele Menschen, mit denen wir gearbeitet haben, erzählen, dass sie erst, nachdem sie eine Zeit lang mit jemand zusammen waren, merkten, wie sehr sie sich beim Sex ängstigten und un sicher fühlten. Andere litten nicht so sehr unter Angst und Unsicherheit, sondern unter physischen Funktionsstörungen. Das alles gehört zu Sex auf Ebene II.

Es gibt einige Herausforderungen auf Ebene II: Wir werden wahrscheinlich das unkomplizierte „high“ beim Sex, das wir auf Ebene I hatten, vermissen. Wir sehnen uns nach den guten alten Zeiten, als es beim Sex noch keine Komplikationen gab und möglicherweise manipulieren wir unsere Sexualität, damit wir uns nicht so verletzlich fühlen. Hinzu kommt, dass unser Partner vielleicht keine Geduld mit uns hat. Wir verstehen nicht, was passiert und wissen nicht, wie wir uns mitteilen können, wenn diese Zustände auftauchen.

Oft merken wir nicht einmal, dass wir Angst haben oder uns schämen, aber unser Körper weiß es und funktioniert einfach nicht so, wie wir wollen. Bei Frauen kann sich das darin zeigen, dass sie nicht erregt werden, nicht zum Orgasmus kommen, Infek tionenin der Vagina haben, eine trockene Scheide, Beckenboden- oder Blasenentzündungen.

Bei Männern können es Schmerzen im Genital bereich sein, Erektionsschwierigkeiten oder frühzeitiger Samen erguss. Bei beiden kann es sich in sexuellen Fantasien zeigen und einem innerlichen Weggehen während des Liebemachens.

Wir können unser Verletzlichsein nicht bekämpfen. Wenn Angst und Unsicherheit beim Sex auftauchen, müssen wir damit umgehen; sie verschwinden nicht von selbst. Sex war vielleicht unsere Lieblingsmethode, um tiefe innere Begegnungen zu vermeiden, aber wenn der Körper so reagiert, dass er nicht mehr funk tioniert, ist uns dieser Fluchtweg verwehrt.

Probleme gibt es meist, wenn eine Person sich auf Ebene II befindet, und Scham und Angst auftauchen, während der Partner auf Ebene I